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Informationen zur politischen Bildung Nr. 335/2023

Zur Geschichte der Medienkompetenz

Johannes Gemkow

/ 7 Minuten zu lesen

Auch wenn die pädagogische Auseinandersetzung mit Medien bis in die Antike zurückreicht, kam die Forderung nach einem kompetenten und kritischen Medienumgang erst im Laufe des 20. Jahrhunderts auf.

Wie und welche Medien genutzt werden, entwickelt sich über die Zeit kontinuierlich: Fahrgäste in der Kiewer Metro lesen im August 1961 Zeitung. (© Getty Images / FPG/Archive Photos/Hulton Archive)

Die pädagogische Auseinandersetzung mit Medien reicht zurück bis Sokrates Kritik an der Schrift. Dennoch dauert es bis ins 20. Jahrhundert, bis die Begriffe Kompetenz und Medien miteinander verbunden wurden. In Deutschland ist Medienkompetenz untrennbar mit dem Erziehungswissenschaftler Dieter Baacke (1934–1999) verbunden. Baacke hat den Begriff der Kompetenz in den frühen 1970er-Jahren erstmals eingeführt. Damit war auch ein medienpädagogischer Wandel verbunden, und zwar weg von der Frage, „Was machen die Medien mit den Menschen?“, hin zu der Frage, „Was machen die Menschen mit den Medien?“.

Die Vorbedingungen dieses Wandels bildeten die nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschende Bewahrpädagogik und die Bildungstechnologie in Deutschland.

Was machen die Medien mit den Menschen? Bewahrpädagogik und Bildungstechnologie

Im Zuge der Überwindung des Nationalsozialismus wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland Massenmedien wie Radio, Film und Fernsehen von den Besatzungsmächten als manipulatives Instrument wahrgenommen. Vor allem jüngere Menschen galt es davor zu beschützen und zu bewahren, weshalb auch von einer Bewahrpädagogik gesprochen wird. In dieser Zeit entwickelten sich einige wesentliche Gesetze für den deutschen Jugendmedienschutz: 1947 wurde die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) gegründet, 1951 traten das Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) und 1953 das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) in Kraft. 1954 wurde die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) gegründet.

Ab den 1960er-Jahren äußerten sich zudem Philosophen wie Theodor W. Adorno (1903–1969), Max Horkheimer (1895–1973) oder Jürgen Habermas in Deutschland kritisch gegenüber den Massenmedien. Sie gehören zur sogenannten Frankfurter Schule und vertraten unter anderem die sogenannte Kritische Theorie. Sie fürchteten jedoch keine politische Manipulation, sondern warnten vor möglichen kapitalistischen Inszenierungslogiken der modernen, vor allem US-amerikanisch geprägten Medienindustrie. Mit dem Begriff der Kulturindustrie verwiesen Horkheimer und Adorno auf den Warencharakter von Kultur – alles kann und wird zur Ware gemacht, nicht von den Bürger:innen, sondern durch jene, die die Vermarktung antreiben. Kritische Mediennutzung war in diesem Sinne vor allem eine Nutzung, die auf Entbehrung zielte.

QuellentextAdorno und Horkheimer über die Kulturindustrie

[…] Vor 75 Jahren waren der Zweite Weltkrieg und die Schoah kaum überwunden. Dann erschien ein philosophisches Buch, das ganz grundsätzlich fragte, wie es zu dieser Barbarei kommen konnte: Die „Dialektik der Aufklärung“ von Max Horkheimer und Theodor Adorno entstand im amerikanischen Exil, wohin die beiden Wissenschaftler aus Frankfurt/Main geflohen waren. Die Arbeit am Buchmanuskript schlossen sie im Juni 1947 ab. Das Werk ist noch heute auf unheimliche Weise aktuell. Und einige Gedanken daraus schreiben seit 75 Jahren Begriffs- und Geistesgeschichte. […]

Aufklärung ist bei Horkheimer/Adorno nicht nur das Erwachen des Subjekts à la Kant: also die Befreiung des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Aufklärung hat durch die Moderne und ganz besonders durch den Zivilisationsbruch der Nazis ihre Unschuld verloren. Aufklärung wird erkauft durch „die Anerkennung der Macht als des Prinzips aller Beziehungen“. Zum Beispiel die Macht des Marktes. Oder die Macht der instrumentellen Vernunft.

Herrschaft, auch die der Vernunft, hat laut Horkheimer/Adorno etwas Unversöhnliches, weil sie den Verstand durchsetzen will – und auch muss, wenn nicht Willkür regieren soll. „Aufklärung ist totalitär“, heißt es einmal, an anderer Stelle steht sogar, Aufklärung sei ein „Diktator“. Und doch muss sie regieren, wenn Menschen nicht ins Zeitalter der alten Barbarei zurückfallen wollen. […]

Die These von der „Dialektik der Aufklärung“ besagt, dass die auf instrumenteller Vernunft basierende Aufklärung nicht zufällig in ihr Gegenteil umschlage. Vielmehr sei der Umschlag ins Negative in der Moderne angelegt, weil Aufklärung als Prinzip bestimmte Eigenschaften hat, die auch totalitär sein können.

Das interessanteste […] Kapitel in der „Dialektik der Aufklärung“ ist das zur Kulturindustrie. […] Kultur als Ware, quasi industriell hergestellt, lässt aus ihrer Sicht jeden Anspruch auf Ästhetik und Individualität vermissen.

Film, Radio, Magazine? Ein einziges „System“, „das alles mit Ähnlichkeit schlägt“. Fernsehen? Eine „hohnlachende Erfüllung des Wagnerschen Traums vom Gesamtkunstwerk“. Was hätten Horkheimer/Adorno wohl zu [...] Pyrotechnik [...] [auf Konzerten] gesagt? Natürlich wissen sie, dass der Slogan „Brot und Spiele“ bereits aus der Antike kommt, aber „das Brot, mit dem Kulturindustrie die Menschen speist“ sei „der Stein der Stereotypie“. […]

Ganz besonders verdächtig ist Horkheimer/Adorno die Kulturindustrie immer dann, wenn sie […] der bloßen Entspannung und „Flucht aus dem Alltag“ dient. Das sei „massenhafter Betrug und massenhafte Beraubung“ in einer „gleichgeschalteten ästhetischen Sphäre“. Vielleicht ist es ihre eigene Zeitgenossenschaft zum Faschismus, dass Horkheimer/Adorno überall da, wo Massen sich amüsieren können, nur Manipulation wittern? Popkultur im späteren Sinne kannten sie eben noch nicht. Zum Anliegen der Kulturindustrie, Vergnügen zu bereiten, formulieren Horkheimer und Adorno einen der berühmtesten Sätze ihres Traktats: „Fun ist ein Stahlbad. Die Vergnügungsindustrie verordnet es unablässig. Lachen in ihr wird zum Instrument des Betrugs am Glück.“ […]

[…] in einem Punkt scheinen die Überlegungen zur Kulturindustrie aber doch noch bedenkenswert. Dass Unterhaltung, Propaganda und Marketing zunehmend ineinander aufgehen, ist im Zeitalter einer werbedurchtränkten, datenabsaugenden Internetkultur, in der sich Fakten und Fake News, Informationen, Mythen und Verschwörungstheorien subtil und oft perfide mischen, tatsächlich ein Thema.

Gelenkte Kollektivität und die Instrumentalisierung unmündig gehaltener Massen im Dienste der Herrschaft – so wie bei der Bordbesatzung des Odysseus – das ist für Horkheimer/Adorno die Crux des Fortschritts, egal, ob dieser Fortschritt im Zeichen von Maschinen oder von Märkten steht. Die beiden Verfasser der „Dialektik der Aufklärung“ sind hier ganz Marxisten, insofern sie das Marktprinzip als Gewaltanwendung definieren. […]

Über 80 Mal tritt Odysseus in der „Dialektik der Aufklärung“ namentlich auf. Horkheimer und Adorno erklären an seinem Beispiel den Zusammenhang zwischen Mythos und Aufklärung. Vor allem schildern sie, mit welcher List er die Macht der Sirenen bricht. Seiner Besatzung verordnet Odysseus Ohropax, so sind seine Leute vor dem erotischen Gesang der Sirenen als Kollektiv geschützt. Er selbst behält die Ohren frei, aber lässt sich an den Mast anbinden. Als der Gesang der Sirenen ihn mit seiner Schönheit schwach macht und er seinen Gefährten befiehlt, ihn loszubinden, glauben sie ihm nicht. Die Musik, die ihn verführt, können sie aber gar nicht hören.

Horkheimer/Adorno lesen „die Maßnahmen, wie sie auf dem Schiff des Odysseus im Angesicht der Sirenen durchgeführt werden,“ als „ahnungsvolle Allegorie der Dialektik der Aufklärung“. Denn wofür steht die Szene? Dass Men­schen im Kollektiv manipuliert werden können. Nur Odysseus konnte das Lied hören, nur er hatte den Kulturgenuss. Es ist die marxistische Lesart der Massenmanipu­lation, die sich bei Horkheimer/Adorno nicht nur auf den Faschismus und seine Barbarei bezieht, sondern ebenso auf den Markt und die moderne Industriegesellschaft. […]

Marc Reichwein „Alles, was Sie über die ‚Dialektik der Aufklärung‘ wissen müssen“, in: WELT vom 7. Juni 2022. Online: https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/plus238940033/Alles-was-Sie-ueber-die-Dialektik-der-Aufklaerung-wissen-muessen.html

Dies änderte sich zaghaft durch die bildungstechnologische Medienpädagogik in den 1960er-Jahren. Die Bildungstechnologie wurde vom sogenannten Sputnikschock [die politischen und gesellschaftlichen Reaktionen des Westens auf den Start des ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 durch die Sowjetunion – Anm. d. Red.], der Rezession im Jahre 1966 („Stabilisierungskrise“) und veränderten Arbeitsbedingungen („Automatisierung“) angetrieben. Gemein ist all diesen Anlässen, dass sie das Bildungswesen in der damaligen Bundesrepublik Deutschland infrage stellten („Bildungskatastrophe"). Das überholte Bildungswesen sollte auf pragmatischen, verwertbaren Grundlagen wie ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit und höher qualifizierten Ausbildungen beruhen.

Die damaligen Massenmedien wie Radio und Fernsehen, deren Nutzung in den 1960er-Jahren in Deutschland deutlich zunahm, wurden herangezogen, um dieses Vorhaben zu bewerkstelligen. Beispiele dafür sind der erste Schulfernsehversuch in Hamburg 1961, das erste regemäßige Schulfernsehen vom Bayerischen Rundfunk 1964 sowie der Beginn gezielter Bildungsangebote durch die Rundfunkanstalten der Länder mit dem Funk- und Telekolleg ab 1966.

Im Kern bestand das Ziel der bildungstechnologischen Medienpädagogik in einer Ökonomisierung von Lernangeboten. Dazu wurde beispielsweise in der Schule das Fernsehen genutzt, um den Unterricht und das Lernen effizienter zu gestalten. Grundsätzlich werden bildungstechnologische Ansätze zum Teil bis heute noch von einer Sichtweise dominiert, die diese Mediennutzung euphorisch betrachtet. Dahinter steckt die Annahme, dass die bloße Nutzung von Medientechnologien per se einen Lernerfolg mit sich bringen würde. Eine solche Annahme ist jedoch zu einfach, da die komplexen Nutzungsbedingungen ausgeblendet werden. Zu diesen gehören beispielsweise die Kompetenzen der Lehrkräfte, angemessene Zielsetzung, Anspruch an die Zielgruppe oder das didaktische Grundverständnis.

Was machen die Menschen mit den Medien? – Die 1970er-Jahre

In den 1970er-Jahren begann das entscheidende medienpäda­gogische Umdenken. Dabei entwickelte sich die Medienpäda­gogik weg von der Frage, „Was machen die Medien mit den Menschen?“, hin zu der Frage, „Was machen die Menschen mit den Medien?“. Unterstützt wurde die Medienpädagogik dabei von einem Wechsel der wissenschaftlichen Grundauffassung (Paradigmenwechsel), der in der Kommunikationswissenschaft schon zehn Jahre zuvor stattgefunden hatte.

In Ergänzung zur Medienwirkungsforschung waren Rezipient:innen (d. h. das konsumierende Publikum) nun nicht mehr nur in einer passiven Rolle und von der Wirkung der Medien abhängig, sondern wählten Medien und Medieninhalte nach eigenen Motiven, Interessen und Einstellungen aus. Für die Medienpädagogik bot sich nun die Möglichkeit, ein Konzept zu finden, welches die Auswahl der Medien pädagogisch stützt. Doch bis dieses Konzept den Namen Medienkompetenz tragen würde, sollte noch ein Vierteljahrhundert vergehen.

Den theoretischen Grundstein zur Medienkompetenz legte Dieter Baacke mit seinem Werk „Kommunikation und Kompetenz“ im Jahr 1973. Dieter Baacke, ursprünglich Germanist und Theologe, hatte erstmals in der deutschsprachigen Wissenschaft das Thema Medien mit dem Fach Pädagogik systematisch verknüpft. Laut Baacke sind die Menschen den Medien nicht einfach ausgeliefert, sondern in der Lage, diese aktiv und souverän zu nutzen.

Die bis dahin eher sprachtheoretisch geprägte Lehrmeinung über Kompetenz erweiterte Baacke einerseits um die Massenmedien. Mit Massenmedien können Menschen ihre Möglichkeiten zur Kommunikation erweitern. Die Medien hingegen leisten über ihre Themen und Informationen Orientierung. Massenmedien wurden damit nicht mehr im Sinne der Frankfurter Schule als etwas Zerstörerisches für die Bevölkerung betrachtet. Andererseits griff Baacke auch die damals neuen Individualmedien wie Videokameras oder Tonbänder auf. Auch diese seien kommunikative Medien, mit denen sich Menschen aktiv in der Welt bewegten.

Medienkompetenz – Konjunkturbegriff der 1990er-Jahre

Doch es dauerte bis in die 1990er-Jahre hinein, bis sich der Begriff Medienkompetenz in Deutschland etablierte. Analog zur steigenden Nutzung technischer Medien im privaten wie gesellschaftlichen Leben ging die verstärkte Auseinandersetzung um die Bewältigung gegenwärtiger und kommender Herausforderungen einher. Dies förderte die Debatte um den Begriff der Medienkompetenz. Die Gründe für die Konjunktur des Begriffs sind dabei vielfältig. Um nur einige zu nennen: die zunehmende Kommerzialisierung im Medienbereich, die Zunahme an privaten Fernsehkanälen, ökonomische oder bildungspolitische Forderungen, die Anforderungen der Wissens- oder Informationsgesellschaft und schließlich auch die Entwicklung zur sogenannten Mediengesellschaft. Allen Gründen ist die zunehmende Bedeutung technologischer Medien gemein, auf die nun medienpädagogisch reagiert werden sollte.

Aufbauend auf dieser Grundlage entwickelt Baacke ein Modell zur Medienkompetenz. Seine Intention war, Medienkompetenz als Lernaufgabe inhaltlich zu beschreiben. Nach Baacke gibt es vier Dimensionen der Medienkompetenz: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung. Verschiedene andere Autor:innen bildeten auf Grundlage von Baackes Modell eigene Dimensionen zur Medienkompetenz.

Die Entwicklung des Konzepts der Medienkompetenz fiel in eine mediengeschichtlich dynamische Phase in den 1990er-Jahren. Zu dieser Zeit tritt der Computer als Basistechnologie der Digitalisierung in Erscheinung. Dies betrifft vor allem den Anstieg der Personal Computer-Ausstattung in privaten Haushalten. Das Statistische Bundesamt berichtet in seinem Jahresreport von 1999, dass sich von 1994 bis 1998 die Anzahl der mit PCs (mobil und stationär) ausgestatteten Haushalte in Deutschland auf 17 Millionen (45,7 %) verdoppelt habe. Der Zusammenhang zwischen der Konjunktur des Medienkompetenzbegriffs und der zunehmenden Digitalisierung im privaten Bereich scheint somit offenkundig.

In diesem Zuge ist Medienkompetenz aber auch zu einem (bildungs-)politischen Kampfbegriff der Mediengesellschaft geworden. Es entstand eine Reihe von bildungspolitischen Instanzen, aktionistischen Tagungen sowie politischen Positionspapieren, die Medienkompetenz als eine wichtige Aufgabe für die allgemeine und berufliche Bildung beschrieben. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass ein kaum noch zu überblickendes Sammelsurium an unterschiedlichen Begrifflichkeiten, Verständnisweisen, Analyseebenen usw. entstand, sondern auch, dass Medienkompetenz oftmals auf ein technisches Verständnis reduziert wurde.

Eine solche Begriffsverwendung war natürlich nicht im Sinne des ursprünglichen Kompetenzbegriffes. Baacke definierte Medienkompetenz als eine Fähigkeit, mit der man sich die Welt aktiv aneigne. Dafür sollten die Medien ein Handlungsrepertoire sein, das gerade nicht auf Face-to-Face-Situationen abzielt, sondern auf die Kommunikation mit nicht räumlich anwesenden Personen, wie bei der Aneignung von massenmedialen Botschaften oder in sozialen Medien.

Medienkompetenz und Digitalisierung – Die 2000er-Jahre

Eine große Herausforderung für das Konzept der Medienkompetenz stellte sich mit der Digitalisierung. Die Digi­talisierung führt nicht nur dazu, dass die Inhalte von Medienkompetenz neu definiert werden müssen, sondern stellt auch die Frage, was unter Medienkompetenz überhaupt zu verstehen ist. Baackes Modell, aber auch die zeitlich nachfolgenden hatten Medienkompetenz jeweils vor allem auf die Massenmedien wie Fernsehen oder Zeitungen hin ausgerichtet. Jedoch wurde in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere unter Verweis auf den Begriff „Web 2.0“ für ein zu erweiterndes Modell von Medienkompetenz plädiert.

Dabei und darüber hinaus werden weitere Faktoren angesprochen: beispielsweise die ständige Erreichbarkeit mittels Smartphones, eine digital konvergierende Medienlandschaft (wie Fernsehen auf dem Smartphone), neue Prozesse der Wissensherstellung (wie Wikipedia), Informationsdarstellung und -angebot (wie durch personalisierte Suchmaschinen) oder gesteigerte Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten (wie in sozialen Medien).

In der Medienpädagogik haben diese und noch viele weitere Aspekte der Digitalisierung dazu geführt, das Konzept der Medienkompetenz umzudenken. Bisher gibt es dazu von einigen Autor:innen Vorschläge. Gemeinsam ist allen Vorschlägen, dass der allgemeine, also auf alle Medien abzielende Anspruch von Baackes Medienkompetenzmodell, einem dynamischeren, das heißt auf einzelne Medien(-angebote) ausgerichtetem Modell weichen solle. Hinzu kommt die stärkere Betonung von spezifischen Herausforderungen einzelner Medienangebote, wie beispielsweise Algorithmen, der Bedeutungsgewinn digitaler Daten (Datafizierung), Populismus oder Privatsphäre. Einzelne Medienangebote, gerade auch Dienste wie Google oder Microsoft, verfügen über ganz spezifische Handlungsmöglichkeiten und Handlungsbedingungen.

Die konkreten Herausforderungen der jeweiligen Plattformen herauszuarbeiten und daraus jeweils spezifische Medienkompetenzmodelle zu „bauen“, ist eine Möglichkeit, das Konzept an die Digitalisierung anzupassen. Andere Autor:innen sprechen allgemeiner von einer digitalen Medienkompetenz bzw. Medienkompetenz 2.0, die dann vor allem auf die technologischen Aspekte und deren ökonomische Verflechtungen hin ausgerichtet sind. Ein weiterer Vorschlag besteht in dem Ersetzen des Medienkompetenzbegriffs durch den Begriff der Medienbildung. Dahinter steht die Idee, dass Medienbildung – verstanden als die Frage, wie Bildung mit, über und durch Medien den Blick der Menschen auf sich und die Welt verändern kann – geeigneter für das Zeitalter der Digitalisierung ist.

Eine weitere zukunftsweisende Herausforderung für die Medienkompetenz wird ihre soziale Bindung sein. Viele Studien betonen den milieuspezifischen Charakter und die hohe Bedeutung von (Medien-)Sozialisation bei der Aneignung von Medientechnologien. Die soziale Herkunft und die Chancen und Bedingungen des Heranwachsens bestimmen zu einem großen Teil die Möglichkeiten, Medien für das eigene Handeln zu nutzen, problematische Kommunikation zu durchschauen und sich in einer reichen Medienumgebung zurechtzufinden. Auf diese Befunde muss sich auch ein Modell zur Medienkompetenz ausrichten.

Dr. Johannes Gemkow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), Teilstandort Leipzig. Am FGZ forscht Johannes Gemkow über den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Zusammenhalt und (teil-)öffentlicher Kommunikation populistischer Gruppierungen und Jugendlicher auf sozialen Medien.
E-Mail-Adresse: E-Mail Link: johannes.gemkow@uni-leipzig.de