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Artikel 9 | APuZ 47/1964 | bpb.de

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Artikel 9

und äußerster Besonnenheit geleitet sein, auch wenn sie zugleich durch eine in vollem Umfang aufrechterhaltene militärische Stärke untermauert wird. Forsches Auftreten und eine „Politik am Rande des Abgrunds" werden zwar stets das Volk ansprechen, aber die Staatskunst zeigt sich eher in der Geduld als im Säbelrasseln. Einem zornigen Aufwallen nachzugeben und dem Gegner mit schrecklichen Strafen zu drohen, mag für den einzelnen wie für eine Gemeinschaft eine gewisse reinigende Wirkung haben, aber ein solches Verhalten ist stets ein Luxus, den sich allenfalls Einzelpersonen aber keine Großmacht leisten kann.

Und als letztes: Unsere Politik muß weiterhin alles in ihrer Macht stehende tun, um den ganzen verfügbaren Apparat der internationalen Zusammenarbeit und der friedlichen Regelung von Meinungsverschiedenheiten zu nutzen und zu stärken. Es wäre töricht zu glauben, daß die Vereinten Nationen oder irgendeine andere internationale Organisation in einer Welt von selbständigen Nationalstaaten ein vollwertiger Ersatz für die Diplomatie sein könnte. Sie können aber kleine Probleme lösen, die sonst gefährliche Ausmaße annehmen könnten, einem Verlierer die beste Möglichkeit bieten, das Gesicht zu wahren, und für die Welt ein Forum sein, in dem, wie man hoffen darf, sich eine wachsende Übereinstimmung über Maßstäbe und Verfahrensweisen in internationalen Fragen allmählich ergibt.

Fassen wir zusammen: Unsere neue außen-politische Periode muß, wo immer es nötig ist, durch entschlossene Festigkeit gekennzeichnet sein, die jedoch durch größere Beweglichkeit, durch Erfindungsreichtum und eine realistische Einschätzung der Welt gemäßigt werden muß. Die größte nationale Gefahr, die uns auf diesem Wege droht, liegt in der immer breiter werdenden Kluft zwischen dem Denken unserer Politiker und Staatsmänner, die gelernt haben, die Welt kühl, vorsichtig und realistisch zu betrachten, und der Haltung großer Teile der Oifentlichkeit, die sich häufig nur von unkontrollierten Gefühlen leiten lassen. Diese Kluft gibt es immer, aber sie bedeutet eine wachsende Gefahr. Nur wenn unsere Führer mutig und ohne Umschweife ihre Meinung in der Oifentlichkeit vertreten, kann diese Kluft überbrückt werden. Die Demagogen werden stets unter uns sein, aber das Feld der öffentlichen Diskussion darf ihnen nicht überlassen bleiben, nur weil ältere und klügere Männer den rauhen Ton der öffentlichen Auseinandersetzung scheuen. Es geht hier um lebenswichtige Fragen, und das amerikanische Volk verdient es, daß seine Führer nicht nur Aufrichtigkeit und Mut, sondern auch Besonnenheit und Zurückhaltung zeigen.

Fussnoten

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