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Religiöse Erneuerung in Südostasien Ihre Auswirkungen auf Säkularisierung und Demokratie | APuZ 48/1998 | bpb.de

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APuZ 48/1998 Artikel 1 Das „asiatische Wunder“ in der Krise Die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung im asiatisch-pazifischen Raum Japan und die Zukunft der ASEAN-Staaten Demokratisierung und die Rolle der Zivilgesellschaft in Südkorea, Taiwan und auf den Philippinen Religiöse Erneuerung in Südostasien Ihre Auswirkungen auf Säkularisierung und Demokratie Andere Werte und Handlungsrahmen in Ostasien Konsequenzen für Deutschland

Religiöse Erneuerung in Südostasien Ihre Auswirkungen auf Säkularisierung und Demokratie

Jürgen Rüland

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Für Modernisierungstheoretiker galt als ausgemacht, daß Modernisierung und Säkularisierung zwei Seiten ein und derselben Medaille sein würden. Seit den siebziger Jahren schwappt jedoch eine Welle der religiösen Erneuerung über die Welt, von der nahezu alle großen Religionsgemeinschaften erfaßt wurden. Auch Südostasien bildet dabei keine Ausnahme. Vor diesem Hintergrund stellt der vorliegende Beitrag drei grundlegende Fragen: erstens, inwieweit mit der religiösen Erneuerung Gefahren für die politische Stabilität verbunden sind, zweitens, ob durch sie die säkulare Staatsidee zurückgedrängt wird und, drittens, ob mit ihr jene Thesen neue Bestätigung finden, die in asiatischen Religionen schon immer ein Demokratisierungshindernis erblicken wollten. Zur Beantwortung wird in einem ersten Abschnitt auf das Verhältnis von Religion und Politik im postkolonialen Asien eingegangen. Im Anschluß daran werden die Erscheinungsformen, Träger-schichten und Ursachen der religiösen Erneuerung sowie die Reaktion des Staates darauf beleuchtet. Im letzten Abschnitt werden die eingangs aufgeworfenen Fragen wieder aufgegriffen und folgendermaßen beantwortet: Gefahren für die politische Stabilität sind nicht von der Hand zu weisen, die Gefahren für die säkulare Staatsidee halten sich in Grenzen, und die Religionen der Region implizieren nicht per se Demokratisierungsblockaden. Ein Erstarken fundamentalistischer Islaminterpretationen könnte jedoch im Verbund mit den sozialen Folgen der Asienkrise und der damit einhergehenden Krise des westlichen Entwicklungsmodells Demokratisierungsfortschritte aufhalten.

I. Von der Säkularisierung zur religiösen Erneuerung: Die „Rache Gottes“ als globales Phänomen

Für Modernisierungstheoretiker galt als ausgemacht, daß nachholende Entwicklung weitgehend in den von den westlichen Industrienationen vorgezeichneten Bahnen zu verlaufen habe. So sprach der Berliner Entwicklungssoziologe Richard E Behrendt 1965 von der Notwendigkeit einer Dynamisierung der Entwicklungsländer Dadurch sollten sie Anschluß finden an jenen „okzidentalen Rationalisierungsprozeß“ (Max Weber) mit seiner Betonung von Rationalität, Skeptizismus und Individualismus, der in der Frühen Neuzeit von Europa seinen Ausgang genommen hatte. Im Zuge dieser „Entzauberung der Welt“ würde die Religion allmählich aus dem öffentlichen Leben herausgedrängt und in die Privatsphäre verbannt werden. Damit korrespondierte die Vorstellung einer säkularen Staatsordnung, vorzugsweise in Form einer repräsentativen, liberalen Demokratie.

Die Modernisierungstheorien spiegelten den ungebrochenen Fortschrittsglauben der fünfziger und sechziger Jahre wider. Im Verlaufe der siebziger Jahre geriet dieses Denken jedoch zunehmend in Widerspruch zur gesellschaftlichen Realität -selbst im industrialisierten Norden. Rezessionen, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung beschrieben die „Grenzen des Wachstums“. In den Entwicklungsländern breitete sich die Armut weiter aus, und selbst dort, wo makroökonomische Erfolge sichtbar wurden wie in Ost-und Südostasien, spitzten sich die sozialen Gegensätze zu. Bürgerkrieg, Flucht, Verschuldung, Raubbau an den natürlichen Ressourcen und wirtschaftliche Abhängigkeit bestimmten mehr denn je den Alltag der meisten Staaten des Südens. Dies nährte Zweifel an der Richtigkeit des eingeschlagenen Entwicklungsweges. Die Kritik am westlichen Modernisierungsmodell artikulierte sich auf zweierlei Weise: einmal in den neomarxistisch und politökonomisch inspirierten Dependenztheorien, zum anderen in Rekonstruktionsversuchen traditionaler Kultur. Letztere nahmen vor allem den Aspekt der Verwestlichung ins Visier. Sie trage die Hauptschuld an den krisenhaften Zuständen, denn vor allem ihr seien Werteverfall und daraus resultierende geistige und moralische Orientierungslosigkeit anzulasten. Religion als gesellschaftliche Sinnstiftung erhielt damit einen neuen Stellenwert.

In der Tat schwappt seit den siebziger Jahren eine Welle der religiösen Erneuerung über die Welt. Diese „Rache Gottes“ an der Moderne ist keineswegs nur auf die islamischen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens beschränkt, sondern hat auch Europa, die USA, Lateinamerika und Asien erfaßt. Judentum, Christentum, Hinduismus und Buddhismus sind davon gleichermaßen betroffen wie der Islam.

Auf dem Vormarsch ist dabei ein orthodoxes Religionsverständnis. Der damit verbundene, freilich nicht immer zutreffende Fundamentalismusverdacht erklärt, warum gerade in Südostasien die religiöse Erneuerungsbewegung auf reges Interesse stößt. Nicht nur sind hier gleich mehrere Weltreligionen heimisch; auch die einzelnen Staaten der Region sind im Sinne John S. Furnivalls plurale Gesellschaften , gekennzeichnet durch eine große ethnische, religiöse und linguistische Heterogenität. So sind die Mehrheit der Bewohner Indonesiens, Malaysias und Bruneis sunnitische Muslime. Hingegen ist in Festlandsüdostasien mit den Staaten Myanmar (Birma), Thailand, Laos und Kambodscha der Theravada-, in Vietnam der Mahayana-Buddhismus beheimatet. Die Filipinos sind mehrheitlich Katholiken. Daneben leben aber nennenswerte islamische Minderheiten im Süden der Philippinen, in Südthailand, Myanmar, Kambodscha und Singapur, christliche Minderheiten in Malaysia, Vietnam, Myanmar und Sin-Indonesien, gapur, in Indonesien und Malaysia außerdem Buddhisten, Taoisten und Hinduisten. Angesichts dieser Vielfalt stellt sich die Frage, inwieweit mit der religiösen Erneuerungswelle Gefahren für die politische Stabilität der Staaten Südostasiens verbunden sind. Werden durch sie ohnehin prekäre gesellschaftliche Gleichgewichte grundlegend verschoben, Toleranz. Kompromißund Konsensfähigkeit einer massiven Belastungsprobe unterzogen? Wird damit die säkulare Staats-idee zurückgedrängt, und finden mit ihr die Vertreter jener Thesen neue Bestätigung, die in asiatischen Religionen schon immer ein Demokratisierungshindernispar excellence erblicken wollten? Zur Beantwortung dieser Fragen erweist es sich als zweckmäßig, zunächst auf das Verhältnis von Politik und Religion im postkolonialen Südostasien einzugehen. Im Anschluß daran werden die Erscheinungsformen, Trägerschichten und Ursachen der religiösen Erneuerung sowie die Reaktion des Staates auf die Renaissance der Religionen beleuchtet. Abschließend wird nach den Perspektiven der politischen Entwicklung Südostasiens unter dem Einfluß religiöser Erneuerungsbewegungen gefragt.

II. Religion und Politik im postkolonialen Südostasien

Die Religion spielte in der Politik des postkolonialen Südostasien eine unterschiedliche Rolle. Mehr oder weniger gemeinsam ist jedoch den meisten Regierungen das Bestreben, sie zu entpolitisieren. Ursächlich dafür ist der plurale Charakter dieser Staaten und die damit verbundene hohe Anfälligkeit für gewaltsame Konflikte zwischen den Volks-und Religionsgruppen. Nicht zuletzt deswegen überwiegt heute mit Ausnahme der „MalaiischMuslimischen Monarchie“ {Melayu Islam Beraja) Brunei das säkulare Prinzip Mobilisierungsfunktionen und identitätsstiftende Wirkungen kamen den Religionen in der Unabhängigkeitsbewegung einiger Staaten zu. Dies gilt für den Islam in Indonesien, wo die 1912 gegründete Sarekat Islam ein erstes Sammelbecken der Nationalbewegung darstellte und den Buddhismus in Myanmar. Dort hatte der Mönch U Ottama 1920 das General Council of Sangha Sameggi gegründet, das mit seiner antibritischen Agitation im Gegensatz zu den säkularen Organisationen auch die ländlichen Massen erreichte

Bis zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit hatte sich jedoch in den meisten Staaten Südostasiens die Idee des säkularen Nationalstaats durchgesetzt.

Daran änderte auch wenig, daß der Buddhismus in den Verfassungen von Laos, Kambodscha und Myanmar zwischenzeitlich in den Rang einer Staatsreligion erhoben wurde Auch in Indonesien wurde hart darüm gerungen, welche Stellung der Religion nach der Unabhängigkeit zukommen sollte. Mit seiner genialen Eingebung, der Verfassung fünf Prinzipien {Pancasila) voranzustellen, suchte der spätere Gründungspräsident des unabhängigen Indonesien, Achmed Sukarno, diesen Konflikt zu entschärfen. Die fünf Prinzipien lauten: Glaube an einen Gott, Humanität, Einheit Indonesiens, soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Mit der Formulierung „Glaube an einen Gott“ war dafür gesorgt, daß auch Christen, Buddhisten und Hinduisten ihren Platz in dem neuen Staat finden konnten. Einer Diskriminierung nicht-islamischer Religionen schien damit vorgebeugt. Auch wenn dies einer Einschränkung der Religionsfreiheit gleich kam, denn Atheismus war damit per definitionem ausgeschlossen, stellten die fünf Prinzipien eine salomonische Lösung dar: Indonesien war damit weder islamischer noch säkularer Staat.

Den Befürwortern eines islamischen Staates ging der Pancasila-Katalog in dieser Form freilich nicht weit genug. Sie erzwangen den Zusatz „Glaube an Gott, mit der Verpflichtung für die Muslime islamisches Recht anzuwenden“. Damit hätte die Scharia Eingang in die indonesische Verfassung gefunden. Diese als Jakarta Charter bekanntgewordene Ergänzung der Präambel fand jedoch in der einen Tag nach der Unabhängigkeitserklärung, am 18. August 1945, verkündeten Verfassung keine Berücksichtigung mehr Damit war für die nächsten 15 Jahre eine der Hauptkonfliktlinien der indonesischen Politik vorgezeichnet. Von da an war es das Hauptziel des politischen Islam, eine Revision der Verfassung im Sinne der Jakarta Charter zu erzwingen. Die 1955 gewählte Konstituante, deren Aufgabe die Ausarbeitung einer neuen Verfassung war, zerbrach an diesem Konflikt und gab damit Präsident Sukarno die Handhabe, das bis dahin recht offene politische System durch die autoritäre Ordnung einer „gelenkten Demokratie“ zu ersetzen.

Schon zuvor hatte die Auseinandersetzung um die Stellung des Islam die junge Republik vor Zerreißproben gestellt. Sie führte in mehreren Provinzen zu Rebellionen islamistischer Kräfte. Noch 1948, während sich die Republik verzweifelt gegen die wiedergekehrte holländische Kolonialmacht zu behaupten suchte, rief der Mystiker S. M. Kartosuwirjo in Westjava einen Islamischen Staat aus. Seine Darul Islam-^e'NQgwag bekämpfte die Republik in einem Guerilla-Krieg, der Anfang der fünfziger Jahre auch auf die Provinzen Aceh und Südsulawesi Übergriff und erst Mitte der sechziger Jahre endgültig beigelegt werden konnte.

Ungeachtet der Tatsache, daß nur knapp über die Hälfte der Malaysier Muslime sind, erklärt die malaysische Verfassung den Islam zur Staatsreligion. Diese Festlegung ist Teil des Verfassungskompromisses von 1957, der den politischen Führungsanspruch der malaiischen Volksgruppe als „Söhne der Erde“ (bumiputeräs') begründet. So stellt die Verfassung eine unauflösliche Verbindung von Islam und Malaientum her die durch die Stellung der malaiischen Erbherrscher -der Sultane -als nominelle Oberhäupter der Gliedstaaten und ihre damit verbundene Rolle als Schutzpatrone des Islam untermauert wird

Gleichwohl ist Malaysia im wesentlichen ein säkularer Staat geblieben. Grundvoraussetzung dafür ist die in der Verfassung enthaltene Garantie der Religionsfreiheit (Art. 3), die auch in den anderen Staaten Südostasiens zu den verbrieften Grundrechten gehört.. Dies schließt jedoch nicht aus, daß -wie in Thailand -Staat und Religion seit jeher in einem symbiotischen Verhältnis zueinander stehen. Der Staat, verkörpert in der Monarchie, bietet dem buddhistischen Mönchsorden, der Sangha, Schutz und materielle Sicherheit, während die Sangha den Staat und seine Herrschaftsordnung durch ihre Mitwirkung an staatlichen Zeremonien mit sakralen Weihen und moralischer Legitimität versieht. Dieses Zusammenspiel von Staat und Religion kommt in dem von König Vajiravudh im frühen 20. Jahrhundert als Grundpfeiler einer nationalen Ideologie formulierten Dreiklang von „Nation, König und Buddhismus“ zum Ausdruck.

Jenseits ihrer legitimatorischen Funktionen ist die Sangha ihrem Selbstverständnis nach unpolitisch, stellt doch die Einmischung in weltliche Angelegenheiten einen Verstoß gegen die mönchische Disziplinarordnung, die Vinaya, dar. Freilich hielt sich die Sangha nicht immer an deren Grundsätze. So agitierte der Mönch Kittiwuttho Bikkhu in den turbulenten Jahren nach dem Sturz der Thanom-Praphat-Diktatur (1973) im Zusammenspiel mit der militärnahen Nawaphol-Bewegung gegen linksgerichtete Studenten, Bauernverbände und Gewerkschaften. Seine Tiraden gipfelten in der Aussage, daß es kein Vergehen sei, Kommunisten zu töten Zur gleichen Zeit formierten sich reformistische Mönche, die vor allem im armen Nordosten des Landes Sozialarbeit leisteten und politische Parteien mit sozialistischer Programmatik unterstützten. In den achtziger und neunziger Jahren sind buddhistische Mönche auch in der Umweltbewegung und NGOs -den Nichtregierungsorganisationen -aktiv. Wie eingangs des Abschnitts bereits angedeutet, kennt auch die birmanische Sangha politische Traditionen. Sie spielte eine bedeutende Rolle in der Volkserhebung des Jahres 1988, und auch nach deren blutiger Niederschlagung nahm sie eine kritische Haltung gegen die Militärjunta des State Law and Order Restoration Council (SLORC) ein In Südvietnam hatten buddhistische Aktivisten im Jahre 1963 maßgeblichen Anteil am Sturz des (katholischen) Diktators Ngo Dinh Diem.

Auf den Philippinen ist die Trennung von Staat und Kirche verfassungsmäßig verankert. Dennoch verfügte vor allem die katholische Amtskirche stets über einen weitreichenden politischen Einfluß. In den Jahren der Marcos-Diktatur (1972-1986) wuchs sie dabei immer mehr von einer den Status quo stabilisierenden Kraft in die Rolle einer Ersatz-opposition hinein. Ein Teil des Klerus stand auf dem Boden der Befreiungstheologie und sympathisierte mehr oder minder offen mit dem bewaffneten' Kampf der maoistisch orientierten New People's Army (NPA) und ihrem politischen Arm, der National Democratic Front (NDF). Beim Sturz des Diktators im Februar 1986 spielte die Kirche durch die Mobilisierung von People’s Power eine Schlüsselrolle. Daß der kirchliche Einfluß auf die Politik auch in der Gegenwart ungebrochen ist, verdeutlichten in den vergangenen Jahren die Kampagnen gegen die Familienplanungspolitik der Regierung und Verfassungsänderungen, die auf eine Aufhebung der Wiederwahlbeschränkungen für hohe politische Ämter abzielten. Als potentieller Hauptnutznießer der Verfassungsänderungen verzichtete Präsident Fidel V. Ramos schließlich auf eine zweite Amtszeit, als der Erzbischof von Manila, Kardinal Jaime Sin, eine Neuauflage von People’s Power zu inszenieren begann.

Die politische Kontrolle über die Religionen liegt in Indonesien, Kambodscha, Myanmar und Brunei in den Händen eines Ministeriums für religiöse Angelegenheiten, in Thailand wird sie durch das Erziehungsministerium ausgeübt. In der Föderation Malaysia sind die Einzelstaaten für religiöse Angelegenheiten zuständig. Dessen ungeachtet wurde jedoch im Amt des Ministerpräsidenten eine Abteilung für religiöse Angelegenheiten angesiedelt -ein Hinweis auf die große Bedeutung, die man im multiethnischen Malaysia religiösen Fragen zuerkennt. Rechtliche Grundlage für die staatliche Kontrolle über den buddhistischen Mönchsorden sind in Thailand die Sangha-Gesetze von 1902, 1941 und 1962. Sie entwarfen eine straff durchhierarchisierte, dem staatlichen Verwaltungsaufbau entlehnte Ordensstruktur, die der Sangha kaum Spielräume zur Selbstverwaltung beließ. In besonders prägnanter Form kommt die staatliche Oberhoheit über die Sangha in den Ernennungsfunktionen des Monarchen zum Ausdruck, der sowohl den Obersten Patriarchen {Sangha raja) als auch den Höchsten Ordensrat {Mahatherasamakom) bestellt

Daß auch die indonesische Regierung bei der Kontrolle des Islam wenig dem Zufall überließ, zeigte 1975 die Gründung eines Rates der Muslimischen Rechtsgelehrten {Majlis Ulama Indonesia), der als Transmissionsriemen für die Akzeptanz der staatlichen Entwicklungspolitik in der Gemeinde der islamischen Gläubigen {umma) zu sorgen hat.

Dies geschieht durch die Anfertigung von Rechtsgutachten (fatwa), deren Funktion es ist, die Vereinbarkeit umstrittener staatlicher Entwicklungsmaßnahmen mit islamischen Grundsätzen nachzuweisen. Ein Beispiel dafür war die Familienplanungspolitik in den siebziger Jahren Auch Vietnam zwang die religiösen Gemeinschaften in staatlich gelenkte Organisationen wie etwa die Vietnam Buddhist Church (VBC), das Committee for the Solidarity of Vietnamese Catholics oder die Union of Patriotic Priests. Sie alle unterstehen der Vietnamesischen Vaterlandsfront, einem Sammelbecken der Kommunistischen Partei für gesellschaftliche Massenorganisationen

Günstiger Nährboden für politische Parteien mit religiöser Programmatik fand sich in Südostasien vor allem in den mehrheitlich islamischen Staaten Indonesien und Malaysia. In Indonesien konkurrierten in der Phase der parlamentarischen Demokratie (1950-1957) gleich mehrere islamische Parteien. Gemeinsamer Ausgangspunkt war die Masyumi, eine 1943 von den japanischen Besatzern gegründete islamische Sammelbewegung zur Unterstützung der japanischen Kriegsziele. Sie wurde allerdings schon bald nach der Unabhängigkeit durch die Abspaltung der Partai Serikat Islam Indonesia (PSII) und der eher traditionalistisch ausgerichteten Nahdlatul Ulama (NU) stark geschwächt und kam bei den bislang einzigen freien Wahlen des Landes im Jahre 1955 über enttäuschende 20, 9 Prozent der Wählerstimmen nicht hinaus. Auch gemeinsam verfügten die islamischen Parteien mit 43, 5 Prozent über keine parlamentarische Mehrheit. Dennoch avancierte die Masyumi, die für einen modernistischen Islam stand, zur Haupttriebkraft der Bemühungen, den Islam mit Hilfe der Jakarta Charter stärker in der Verfassung zu verankern. Sie wurde 1960 wegen ihrer Beteiligung an einer CIA-gestützten Rebellion abtrünniger Offiziere von Staatspräsident Sukarno verboten. Sukarnos Nachfolger Hadji Mohamed Suharto und große Teile der Armee teilten angesichts der zahlreichen islamisch inspirierten Aufstandsbewegungen in den fünfziger Jahren das Mißtrauen gegenüber dem politischen Islam. Daran konnte auch die tatkäftige Mitwirkung der orthodoxen Muslime bei der Ausschaltung der Kommunistischen Partei (PKI), in deren Verlauf mehrere hunderttausend Indonesier umkamen, nichts ändern. Eine Wiederzulassung der Masyumi kam für Suharto nicht in Frage. Vielmehr betrieb er bis Ende der achtziger Jahre eine konsequente Depolitisierung des Islam, zumal dieser nach Ausschaltung der Kommunisten einzige Quelle organisierter politischer Opposition blieb Ein Meilenstein war dabei 1973 die Fusion aller islamischen Parteien zur Vereinigten Entwicklungspartei (PPP). Die PPP sah sich damit jedoch dem gleichen Dilemma ausgesetzt wie seinerzeit die Masyumi. Angesichts sehr unterschiedlicher Islamauslegungen und politischer Interessen waren interne Konflikte vorprogrammiert. Die PPP wurde damit manipulierbar durch das Regime, das vor allem auf Personalentscheidungen Einfluß nahm. Die Nahdlatul Ulama verließ 1984 als Konsequenz der parteiinternen Dauerquerelen die PPP und kehrte in ihre frühere Rolle als sozio-religiöse Vereinigung zurück. Höhepunkt der Maßnahmen zur Entpolitisierung des Islam war jedoch die 1985 verfügte Unterwerfung aller Massenorganisationen - inklusive der politischen Parteien -unter die Staatsphilosophie Pancasila als einzig legitime ideologische Grundlage. Für die PPP bedeutete dies den Verzicht auf den Einsatz islamischer Symbole zur Wählermobilisierung

Ohne die Beschränkungen von Pancasila vermag die Parti Islam Se-Malaysia (PAS) offener für die Schaffung eines islamischen Staates und die Scharia in Malaysia einzutreten. Ihre Hochburgen befinden sich im Osten der Malaiischen Halbinsel. 1993 beschloß die PAS-geführte Landesregierung des Gliedstaates Kelantan die Einführung der im Koran vorgesehenen körperlichen Strafen (hudud). Der Beschluß hat jedoch keine bindende Wirkung, da dazu die Bundesverfassung geändert werden müßte. Außerhalb ihrer Hochburg in Kelantan blieben der PAS bisher jedoch nennenswerte Wahlerfolge versagt. Vor allem bei bundesweiten Wahlen kam sie kaum über den Rang einer Splitterpartei hinaus, was auch mit dem verzerrenden Moment des in Malaysia geltenden Mehrheitswahlrechts zu tun. Das Wählerpotential der PAS liegt in der malaiischen Volksgruppe bei immerhin 30 Prozent, so daß sie vor allem für die im Regierungsbündnis der Nationalen Front (Barisan Nasional) dominante, aber gleichfalls um die malaiischen Wähler werbende United Malays National Organization (UMNO) eine stete Gefahr darstellt. Versuche, sie in die Barisan Nasional (BN) zu kooptieren, erwiesen sich als kurzlebig. Nach nur dreijähriger Mitgliedschaft schied die PAS 1977 wieder aus der BN aus. Seit ihrer Regierungsübernahme in Kelantan (1990) wird sie von der Bundesregierung durch eine sogenannte political recession bekämpft -was gleichbedeutend ist mit der Abkoppelung Kelantans von Fördermitteln und Projekten des Bundes.

Wenn auch in den anderen Staaten politische Parteien bestenfalls nominell religiöse Bezüge aufweisen, so bedeutet dies nicht, daß die Religionen in der parteipolitischen Auseinandersetzung nicht präsent sind. So verfügen die Philippinen über eine lange Tradition der Hirtenbriefe und Wahl-empfehlungen, in denen die Katholische Kirche von der Kanzel aus Einfluß auf die Wahlentscheidung der Gläubigen zu nehmen sucht. Die Iglesia ni Kristo-Sekte geht sogar noch einen Schritt weiter: Sie schreibt ihren Gläubigen bindend vor, welchen Kandidaten sie ihre Stimme zu geben haben. Selbst im buddhistischen Thailand spielen die Klöster eine bedeutende Rolle im Wahlkampf. Obwohl die Vinaya den Mönchen politische Aktivitäten verbietet, ist der von ihnen auf das Wahl-verhalten der Bevölkerung ausgehende informelle Einfluß beträchtlich.

Neben den politischen Parteien sind vor allem religiöse Vereinigungen ein wichtiges Vehikel zur Durchsetzung religiöser Interessen. In Indonesien sind dies die 1912 gegründete Muhammadiyah sowie die Nahdlatul Ulama (gegründet 1926). Beide verstehen sich als sozio-religiöse Organisationen, deren Anliegen das Wohlergehen der Muslime und die Vertretung spezifisch islamischer Interessen ist. Sie betreiben eine Vielzahl sozialer Einrichtungen, Schulen und Universitäten. Mit jeweils 20 bis 30 Millionen Mitgliedern sind sie nicht nur bei Wahlen ein politischer Machtfaktor. Dem Suharto-Regime war dieser Tatbestand stets wohlbewußt: Durch personalpoiitische Manipulationen versuchte das Regime, einen regierungsfreundlichen Kurs sicherzustellen. Während die Muhammadiyah einen modernistischen, von lokalem Brauchtum gereinigten Islam vertritt und hauptsächlich in den urbanen Zentren heimisch ist, baut die NU auf eine eher traditionalistische Islamauslegung. Sie stützt sich vor allem auf religiöse Lehrer (kiai) und ist vorwiegend im ländlichen Raum Mittel-und Ostjavas vertreten. Dagegen ist in Thailand der Einfluß religiöser Vereinigungen wie der Buddhist Association oder der Young Buddhist Association stark rückläufig.

III. Südostasien und die religiöse Erneuerungswelle

Seit Ende der siebziger Jahre geriet auch Südostasien in den Sog der weltweiten religiösen Erneuerungswelle. Sie erfaßte zuerst die islamischen Gesellschaften. Doch auch in den nichtislamischen Gesellschaften der Region griff die „Rache Gottes“ um sich. So entstanden in Thailand buddhistische Erneuerungsbewegungen, die sich scharf von der Sangha-Bürokratie abgrenzen. Die drei, die dabei die größte Aufmerksamkeit auf sich zogen, sind Dhammakaya, Santi Asoke und die (schon ältere) Suan Moke-Bewegung des Buddhadasa Selbst in den sozialistischen Gesellschaften Indochinas erfährt der Buddhismus eine Renaissance. Auf den überwiegend katholischen Philippinen schließlich waren es charismatische Bewegungen und protestantische Evangelisten (born agains), die sich rasch auf Kosten der Amtskirche ausbreiteten. Ohne Zweifel am stärksten schlägt die religiöse Erneuerung jedoch im Islam auf das Alltagsleben durch. Vordergründige Indizien sind die strengere Befolgung der rituellen Vorgaben wie das tägliche fünfmalige Beten, der Besuch der Freitagsandacht in der Moschee, die Einhaltung der Fastenregeln im Ramadan und die Pilgerfahrt nach Mekka (haj). Mehr Muslime beachten die islamischen Kleidungs-und Speisevorschriften, Koran-Studien-gruppen verzeichnen wachsendes Interesse, Firmen, Hotels und Behörden richteten Gebetsräume für die Gläubigen ein, und arabisches Vokabular hielt über die Begrüßungsfloskel assalam alaikum (Friede sei mit Dir) hinaus Einzug in den Alltag. Schulen, die den gängigen säkularen Fächerkanon mit einem speziellen islamischen Curriculum kombinieren (madrasahs), befinden sich seither ebenso im Aufwind wie die Hochschulen der Muhammadiyah oder die vom Staat seit Beginn der sechziger Jahre eingerichteten islamischen Universitäten (IAIN). Koranrezitationswettbewerbe, Seminare und Vortragsveranstaltungen zu theologischen Fragen, die vermehrte Präsenz religiöser Themen in den Medien, Arabischkurse im staatlichen Fernsehen und eine kaum noch überschaubare Flut von Buchpublikationen und Pamphleten sind weitere Merkmale des islamischen Erwachens.

Die Kehrseite der islamischen Identitätsfindung ist eine zunehmend kritischere Sicht des Westens und seines Entwicklungsmodells. Sie koinzidiert zu Beginn der neunziger Jahre mit den Bestrebungen verschiedener asiatischer Regierungen, die bestehenden autoritären politischen Systeme der Region als Ausfluß spezifisch asiatischer Werte und Traditionen zu interpretieren. Dabei geht es vor allem um die Abwehr liberalen Gedankenguts mit seiner Betonung individueller Rechte, denen der Westen universalen Geltungsanspruch beimißt. Orthodoxe Auslegungen sowohl des Islam als auch des Konfuzianismus boten dabei zahlreiche Anknüpfungspunkte, der westlichen Betonung individueller Rechte Kollektivrechte und eine Pflichtenlehre entgegenzustellen Die asiatische Wertehypothese mag als Vielzweckwaffe einsetzbar sein -ihrer Dämonisierung des Westens lagen jedoch vor allem in den islamischen Staaten primär innenpolitische Ziele zugrunde. Es ging dabei darum, durch ideologische Zugeständnisse dem islamistischen Diskurs Wind aus den Segeln zu nehmen.

Dafür gab es gute Gründe, ging doch mit der islamischen Erneuerung ein Erstarken modernistischer und fundamentalistischer Auslegungen einher, die den Islam weniger als Religion denn als ein alle Lebensbereiche übergreifendes System interpretieren. Daraus speisen sich Forderungen nach einem islamischem Staat, zumindest aber -wenn dies wie in Indonesien in Widerspruch zur herrschenden Staatsideologie steht -nach einer islamischen Gesellschaft. Wie schon zu Beginn des Jahrhunderts, als die modernistische Islamauslegung in Südostasien Fuß zu fassen begann, kamen dabei in erheblichem Maße nahöstliche Einflüsse zum Tragen. Es waren vor allem Studierende an Hochschulen arabischer Länder, die einen militanteren Islam mit nach Hause brachten. 1997 studierten rund 3 000 Indonesier in Ägypten, wo sie an den Hochburgen der Islamwissenschaft wie der renommierten Al Azhar Universität in Kairo mit fundamentalistischen Ideen in Berührung kamen. Doch unerwarteterweise kehrten auch viele Absolventen westlicher Universitäten als überzeugte Islamisten in ihre Heimat zurück. Fundamentalisten nahmen sie im Gastland unter ihre Fittiche und halfen ihnen auf ihre Weise, den Kulturschock dieser oft aus einfachen ländlichen Verhältnissen stammenden Studenten und den akademischen Leistungsdruck zu bewältigen.

Zwar kamen auch politischen Ereignissen außerhalb der Region wie dem arabischen Ölboykott gegen den Westen (1973) und der iranischen Revolution (1979) katalytische Wirkungen für das islamische Erwachen in Südostasien zu, doch mehr als anderswo war dieses hier auf hausgemachte Ursachen zurückzuführen. Vor allem die Universitäten entwickelten sich dabei zu Hochburgen eines militanteren Islam. Angesichts von Studentenprotesten gegen die autoritären Regime und die darauf folgende Depolitisierung des Campuslebens verblieben die Moscheen als die einzigen staatsfreien Räume. Sofern sich an den Hochschulen überhaupt politische Opposition regen konnte, geschah dies zumeist im Schutze der Moscheen und artikulierte sich in Forderungen nach einer angemesseneren politischen Rolle des Islam. In Indonesien avancierte vor allem die Salman Moschee an der Technischen Hochschule Bandung unter dem Einfluß des wortgewaltigen Predigers Imaduddin Abdulrahim zur Speerspitze der islamistischen Opposition.

Unbewältigte Modernisierungsfolgen bildeten eine weitere Ursache für das Erstarken des Islam. Der rapide soziale und kulturelle Wandel, der mit dem atemberaubenden Wirtschaftswachstum der achtziger und neunziger Jahre einherging und in einem kräftigen Urbanisierungsschub zum Ausdruck kam, hinterließ bei vielen Muslimen gravierende Orientierungsprobleme. Dies gilt vor allem für die Verlierer der Modernisierung: kleine Ladenbesitzer, Bazarhändler, Handwerker, Opfer von Landvertreibungen und Migranten, die auf der Suche nach Arbeit in die Städte strömten, um dort in den wild wuchernden Slums zu enden oder im informellen Sektor eine prekäre Existenz zu fristen. Aber auch viele Angehörige des neuen Mittelstandes -höhere Verwaltungsbeamte, Angestellte in der Privatwirtschaft und Freiberufliche -entdeckten die Religion neu. Gerade bei letzteren handelt es sich um die erste Generation sozialer Aufsteiger aus ländlichem Milieu, die ihrer tiefen psychischen und kulturellen Verunsicherung durch ein Festhalten an den ländlichen Lebensgewohnheiten zu begegnen suchen. In Gesellschaften mit erheblichen rechtsfreien Räumen erleben gerade sie tagtäglich die Unwägbarkeiten einer modernen Existenz. Gemeinsam ist all diesen Gruppen die Suche nach Halt, Identität und sozialer Sicherheit. Der Islam scheint ihnen eben dies zu bieten.

Dafür sorgen vor allem islamische Organisationen und Stiftungen mit ihren dichtgeknüpften sozialen Netzwerken, Dienstleistungen und karitativen Projekten. In Malaysia sind vor allem die Dakwah(Missionierungs-) Bewegungen ABIM (Angkatan Belia Islam Malaysia), Perkim, Jama’at Tabligh und Al Arqam in dieser Hinsicht aktiv. Sie alle stehen für einen islamistischen Kurs. Die 1971 gegründete islamische Jugendorganisation ABIM beispielsweise vermochte es, die Zahl ihrer Mitglieder bis Mitte der achtziger Jahre von 300 auf über 35 000 zu erhöhen. Ihr politischer Kurs und ihr Islamverständnis -zeitweise beeinflußt durch die pakistanische Jamaat-i-Islami und die nahöstlichen Moslembruderschaften -standen der PAS näher als der UMNO und der Regierung Auch in Indonesien avancierte insbesondere die jüngere Generation zu Trägern der Islamisierung. Wie in Malaysia gehen dabei vor allem von studentischen Organisationen wie der Himpunan Mahasiswa Islam (HMI) und der Ikatan Mahasiswa Muhammadiyah wesentliche Impulse aus.

Die Pathologien der Modernisierung sind auch in Thailand eine der Hauptursachen für das Wieder-erstarken des Buddhismus. Soziale und regionale Disparitäten, Umweltprobleme, AIDS, Drogen-sucht, Prostitution und kulturelle Verfallsprozesse sind Themen, deren sich vor allem die Bewegung des Buddhadhasa und Santi Asoke annehmen. Sie wenden sich gegen die Auswüchse und moralisch korrumpierenden Einflüsse des Kapitalismus und propagieren eine Rückkehr zu einfacheren Lebensformen. Gemeinsam ist ihnen eine antiliberale und antikapitalistische Grundeinstellung. Buddhadasas Dhammic Socialism und gandhianisch inspirierte Gedankenfragmente einer „Buddhistischen Ökonomie“ fanden Eingang in den sogenannten Community Culture-Ansatz, dem sich Teile der in den achtziger Jahren sprunghaft gewachsenen NGO-Gemeinde verschrieben. Deren Ziel bestand nicht nur in einem Empowerment benachteiligter Bevölkerungsgruppen, sondern auch in der Förderung eines Entwicklungsideals, das Natur, Religion und Ökonomie wieder in Einklang bringen wollte. Ein offenkundiger Sitten-verfall in der Sangha, deren Integrität durch Korruptionsskandale und Sex-Affären prominenter Mönche in Frage gestellt wurde, beschleunigte den Zulauf zu den Erneuerern. Die Reaktion des Staates auf die islamische Erneuerungswelle war eine Mischung aus Anpassung und verschärfter Repression. Während in Malaysia die Regierung Mahathir schon früh, seit Beginn der achtziger Jahre, Anstrengungen unternahm. sich an die Spitze der Islamisierungstendenzen zu stellen, sah sich in Indonesien der Suharto-Staat erst ab 1985 zu einer islamfreundlicheren Politik in der Lage. Voraussetzung dafür war die Verabschiedung eines Gesetzes, das den Pancasila-Pluralismus zur alleinigen weltanschaulichen Grundlage des indonesischen Staates erhob. Letztendlich waren es jedoch eliteninterne Gegensätze, die Suharto Anfang der neunziger Jahre zu einer Annäherung an den Islam bewegten Ziel dieses überraschenden Schachzugs war es, seinen schwindenden Einfluß im Militär zu kompensieren. Ungeachtet unterschiedlicher Motive und Zeitpunkte für die Annäherung an den Islam gleichen sich jedoch in beiden Ländern die Einbindungsstrategien. -Proislamische Rhetorik und Symbolik: In Malaysia machen es sich vor allem die Hinterbänkler der UMNO und die UMNO-Jugendorganisation zur Aufgabe, islamischen Themen Gehör zu verschaffen. Sie brauchen dabei weniger Rücksichten auf die Befindlichkeiten der anderen Volksgruppen zu nehmen als Spitzenfunktionäre der Partei und Kabinettsmitglieder. Mit Hilfe dieser parteiinternen Arbeitsteilung gelang der UMNO bislang der schwierige Spagat, auf der einen Seite ein multiethnisches Regierungsbündnis zu führen, sich andererseits jedoch als Sachwalter malaiisch-islamischer Interessen zu profilieren. An die Adresse der muslimischen Bevölkerung richtet sich naturgemäß auch das staatliche Bemühen, die sittlich-ethischen Grundwerte des Islam für das Wohl des Gemeinwesens als Ganzes hervorzuheben. Ebenso nahtlos fügt sich in Indonesien die Pilgerreise des Suharto-Clans nach Mekka im Jahre 1991 in dieses Bild eines proislamischen Populismus ein. -Staatliche Patronage: Auf Legitimitätsgewinne in den islamischen Bevölkerungsschichten richtet sich auch die staatlicherseits betriebene, massive materielle Förderung des Islam. Sie findet ihren Ausdruck im Bau und der Renovierung von Moscheen, in staatlich finanzierten Koranausgaben und der Förderung der pesantren, den von kiais geleiteten, traditionellen islamischen Schulen im ländlichen Java. Im gleichen Kontext steht die Gründung neuer islamischer Einrichtungen. Beispiele dafür sind die Eröffnung einer islamischen Universität in Malaysia (1983), die Gründung islamischer Banken in Malaysia (1984), Indonesien (1992), Brunei und auf den Philippinen , einer islamischen Versicherung (Malaysia) und Denkfabriken wie das Institut Kajian Dasar (IKD) oder das Center for Information and Development Stadies (C 1DES) in Indonesien. Der Islam-Forschung und zugleich der Vermittlung einer der Regierung genehmen moderaten Islamauslegung widmet sich das auf Anregung von Premierminister Mahathir eingerichtete Institute for Islamic Understanding (IKIM). Demgegenüber tritt beim Pusat Islam der Kontrollgedanke wesentlich stärker hervor. Seine Aufgabe ist die Überwachung der teilweise recht militante Islamversionen propagierenden malaysischen Dakwah-Bewegungen -Proislamische Politik: Politische Entscheidungen berücksichtigen mehr als in der Vergangenheit islamische Werte-und Moralvorstellungen. Dazu gehören in Indonesien die staatliche Bestätigung des islamischen Familien-und Erbschaftsrechts, die Einstellung des staatlichen Fußball-Lottos, harte Strafen für Blasphemievergehen, die gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung von Speisen als zulässig (halal) oder unzulässig (haram) und die Rücknahme des jilbab-Verbotes für muslimische Schulmädchen, in Malaysia Gesetzesentwürfe aus den Reihen der UMNO, empfindliche Strafen auf die Apostasie (Glaubensabfall) auszusprechen , das Verbot von Body-Building- und Schönheitswettbewerben oder die Zensur des preisgekrönten Films Schindler’s List 29. -Kooption: Eine in Südostasien gängige Strategie, Opposition zu neutralisieren, ist die Kooption vermeintlicher oder tatsächlicher politischer Gegner. Nicht anders verfuhren die Regierungen mit Wortführern aus dem islamischen Lager. Ein besonders häufig genanntes Beispiel ist die Einbindung des charismatischen Studentenführers und früheren ABIM-Vorsitzenden Anwar Ibrahim in die UMNO und das malaysische Kabinett Anfang der achtziger Jahre. Als noch kontroverser erwies sich die Gründung eines Verbandes der Indonesischen Muslim-Intellektuellen (ICMI) im Dezember 1990. Über dessen Funktionen herrscht noch immer Uneinigkeit unter Beobachtern. Die meisten sahen in ihm ein Vehikel Suhartos zur Integration der unruhigen islamischen Vordenker in den Pancasila-Staat. Andere freilich wollten in dem schillernden Verband eher den Versuch erblicken, eine Hausmacht für den seit Mai 1998 amtierenden Suharto-Nachfolger Bacharuddin Jusuf Habibie aufzubauen. Die Schwierigkeiten, die Funktionen und Ziele von ICMI einzuschätzen, ergeben sich auch aus der Heterogenität seiner Mitgliedschaft. Diese reicht von hochrangigen Ministerialbeamten und Politikern der staatstragenden GOLKAR-Bewegung über nahezu das gesamte Spektrum der Islam-Versionen, von moderaten Traditionalisten über Modernisten aus alten Masyumi-Famihen bis hin zu militanten Islamisten. Vor allem letztere Gruppe wollte Suharto durch ICMI in das Regime integriert wissen. ICMIs Kernanliegen ist die Verbesserung der Lebensbedingungen der Muslime, ihre ökonomische Emanzipation sowie eine ihrem Bevölkerungsanteil entsprechende politische Repräsentation. Viele ICMI-Aktivisten sahen die Christen in Kabinett, Militär und Wirtschaft über-repräsentiert -daher ihre Forderung nach einem Marsch durch die Institutionen. In der Tat gibt es einen Zusammenhang zwischen der Existenz von ICMI und einem Dechristianisierungsprozeß in Kabinett. Bürokratie und Militär.

Doch folgten längst nicht alle Muslim-Intellektuellen dem Werben von ICMI. Einer seiner vehementesten Kritiker ist der NU-Vorsitzende Abdurrahman Wahid. Wahid sieht vom Wirken von ICMI große Gefahren für das im Pcmcasila-Konzept angelegte Toleranzgebot ausgehen. ICMI vertiefe die ethnischen und religiösen Gegensätze in Indonesien. Wahids Antwort auf ICMI war die Gründung des Forum Demokrasi, eines interkonfessionellen Gremiums führender indonesischer Intellektueller -Proislamische Außenpolitik: Sowohl Malaysia als auch Indonesien unterhielten seit jeher enge Beziehungen zu arabischen Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten, dem Irak und den Golf-Emiraten. Die Pilgerfahrten zu den heiligen Stätten des Islam, Studienaufenthalte und die Beschäftigung von Gastarbeitern in den Ölstaaten sorgten für ständige Kontakte und schufen gemeinsame Interessen. Während jedoch in der Außenpolitik Malaysias in den achtziger und neunziger Jahren ein schärferes islamisches Profil deutlich zu Tage tritt, begnügte sich Indonesien mit proislamischer Rhetorik. So setzte sich Malaysia mit Nachdruck für die palästinensische Sache ein, kritisierte den Staatsbesuch des israelischen Präsidenten Chaim Herzog 1986 in Singapur und bezog Stellung gegen die amerikanische Politik im Golfkrieg. Malaysia nahm Bosnienflüchtlinge auf und entsandte ein Kontingent von 1 500 UN Peace keeping-Soldaten ins ehemalige Jugoslawien Sogar das geheiligte Nichteinmischungsprinzip der ASEAN wurde über Bord geworfen, als 1992 250 000 Angehörige der muslimischen Rohingya-Minderheit aus Myanmar nach Bangladesch flohen. Kuala Lumpurs Zorn richtete sich unzweideutig gegen die Generalsjunta in Rangun, deren Repressionspolitik gegen Minderheiten als Hauptgrund für den Exodus angesehen wurde. Auch in der 1970 gegründeten Organisation Islamischer Staaten (OIC) engagierte sich Malaysia, im Juni 1997 wurde es zusammen mit Indonesien Gründungsmitglied der D-8-Gruppe, eines Verbundes islamischer Staaten, mit der Funktion, Gegenmacht gegen die G-8 der führenden Industriestaaten zu entwickeln Dagegen tarierte Indonesien pro-islamische Wendungen stets durch den Verweis auf weitere Grundpfeiler seiner Außenpolitik aus. Dazu gehört seit Mitte der achtziger Jahre vor allem die Blockfreienbewegung Gemeinsam ist beiden Staaten allerdings eine unverkennbare Distanz gegenüber radikalen islamischen Staaten wie Libyen, dem Sudan oder dem Iran, deren fatalen Einfluß auf das prekäre Gleichgewicht zwischen den Volksgruppen und Religionsgemeinschaften sie fürchten.

Entsprechend kennzeichnet in beiden Fällen kompromißlose Härte die Haltung des Staates gegenüber radikalen Islamversionen. Freilich blieben religiös motivierte Gewaltakte in Südostasien sporadisch, sieht man einmal von den muslimischen Separatistenbewegungen im Süden der Philippinen und in der indonesischen Provinz Aceh ab. Malaysia reagierte auf islamischen Extremismus stets mit der Anwendung seines drakonischen Gesetzes über die innere Sicherheit {Internal Security Act, ISA), so zuletzt im August 1994 gegen die Al Arqam-Sekte. Al Arqam wurde unter anderem zur Last gelegt, terroristische Selbstmordkommandos auszubilden. Das Suharto-Regime ging teilweise noch einen Schritt weiter. Muslim-Ausschreitungen, die 1984 ihren Ausgang von einer Moschee in Jakartas Hafenviertel Tanjung Priok nahmen, wurden ebenso mit militärischer Brachialgewalt beantwortet wie 1989 eine messianische Bewegung in Lampung, Süd-Sumatra. In beiden Fällen gab es nichtamtlichen Schätzungen zufolge bis zu 200 Tote. Aber auch sonst ließ der Staat radikalen islamischen Gruppen wenig Spielraum. Dies gilt für jemaah usroh, eine radikale islamische Studiengruppe, studentische Aktivisten und die Mitglieder des fundamentalistischen Dewan Dakwah Islamiyah Indonesia. Immer wieder wurden Mitglieder dieser Gruppen verhaftet, unter dem Subversionsvorwurf angeklagt und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt

Einen anderen Verlauf nahm die Entwicklung in Thailand. Auch hier wurden in den achtziger Jahren heterodoxe religiöse Bewegungen verfolgt. Dies gilt insbesondere für die Santi Asoke, deren Gründer, der ehemalige Fernsehjournalist Photirak, sich 1975 von der Sangha lossagte. Repressionsmaßnahmen gegen Santi Asoke nahmen an Schärfe zu, als ab Mitte der achtziger Jahre Teile der Bewegung mit der von Chamlong Srimuang gegründeten Phalang Dharma-Partei in Verbindung gebracht wurden. Chamlong, selbst Santi Asoke-Mitglied, wurde 1985 und 1990 zum Gouverneur von Bangkok gewählt, nicht zuletzt deshalb, weil er mit den Werten, die Santi Asoke propagierte, Wahlkampf betrieb und als „Mr. Clean" großen Anklang beim Mittelstand Bangkoks fand. Photirak wurde 1995 nach langen juristischen Auseinandersetzungen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Angesichts einer fortschreitenden politischen Liberalisierung, die nicht mehr -wie früher autoritäre Ordnungen -auf religiöse Legitimationsquellen angewiesen ist, wollen Beobachter darin ein zunehmendes Desinteresse des Staates erkennen, sich mit abweichenden religiösen Bewegungen auseinanderzusetzen

IV. Religiöse Erneuerung: Eine Gefahr für den säkularen Nationalstaat und die Demokratisierung?

Damit kommen wir zu den eingangs aufgeworfenen Fragestellungen zurück. Gehen mit der religiösen Erneuerung Gefahren für den säkularen Nationalstaat und Demokratieblockaden einher? Ist die religiöse Erneuerung nur ein Vorbote für das Entstehen eines ähnlich aggressiven und gewaltbereiten Fundamentalismus, wie ihn Bassam Tibi für den Islam des Nahen und Mittleren Ostens beschrieben hat ?

Alle drei Fragen lassen sich mit unterschiedlicher Gewißheit verneinen. Gravierende Einbrüche der Religion in das Prinzip des säkularen Nationalstaats sind vorerst nicht zu befürchten. Diese Aussage gilt vor allem für die buddhistischen Staaten Festlandsüdostasiens und die mehrheitlich katholischen Philippinen. Die buddhistischen Erneuerungsbewegungen in Thailand versuchen zwar Einfluß auf den Staat zu gewinnen, beschränken sich dabei aber darauf, moralisch-ethischen Prinzipien Geltung zu verschaffen und Modernisierungsauswüchse zu bekämpfen. Ein Streben nach Übernahme politischer Verantwortung durch die Sangha ist nirgends erkennbar. Selbst die Phalang Dharma-Partei, die noch am ehesten politische Ambitionen und religiöse Prinzipien miteinander verknüpfte, geriet seit Anfang der neunziger Jahre immer stärker in das Fahrwasser ihres säkular orientierten Flügels. Eine prinzipielle Infragestellung des Dualismus von Kirche und Staat läßt sich auch auf den Philippinen weder bei den christlichen Erneuerungsbewegungen noch bei der Amts-kirche ausmachen.

Unter gewissen Vorbehalten trifft der obige Befund auch auf die mehrheitlich muslimischen Staaten zu. Sowohl in Malaysia als auch in Indonesien fördert der Staat einen „kulturellen Islam“. Jegliche Islamisierung der Politik ist jedoch Anathema. Zwar gibt es in beiden Staaten deutlich mehr Gegner des säkularen Nationalstaats, doch ebenso eindeutig blieben die Verfechter eines islamischen Staates bislang eine Minderheit. Allzu evident sind selbst vielen Muslimen dessen Folgewirkungen für plurale Gesellschaften. Die Einführung eines islamischen Staates würde sowohl in Malaysia als auch in Indonesien große innenpolitische Spannungen heraufbeschwören und den Bestand des Staates gefährden. Einen Vorgeschmack darauf lieferten in Indonesien die pogromartigen Ausschreitungen der letzten Monate gegen Chinesen und Kirchen, wobei allerdings viele Beobachter davon ausgehen, daß die Unruhen von einer Fraktion innerhalb des Militärs bewußt geschürt wurden 37.

Die Attacken auf den säkularen Nationalstaat halten sich freilich nur solange in Grenzen, wie Modernisierungskrisen und die Pathologien der Moderne vom Staat beherrschbar erscheinen. Die Gefahren wachsen indes, wenn es den Regierungen nicht gelingt, der sozialen Folgen der derzeitigen Währungs-und Finanzkrise Herr zu werden. Damit würde es Kritikern des säkularen, westlich beeinflu

Die Attacken auf den säkularen Nationalstaat halten sich freilich nur solange in Grenzen, wie Modernisierungskrisen und die Pathologien der Moderne vom Staat beherrschbar erscheinen. Die Gefahren wachsen indes, wenn es den Regierungen nicht gelingt, der sozialen Folgen der derzeitigen Währungs-und Finanzkrise Herr zu werden. Damit würde es Kritikern des säkularen, westlich beeinflußten Modernisierungsmodells leicht gemacht, mit Hilfe sozialer Gerechtigkeitsrhetorik und antiwestlicher Verschwörungstheorien die not-leidenden Massen hinter sich zu bringen. Derartige Zusammenhänge sollten auch der Internationale Währungsfonds (IWF) und die westlichen Regierungen bei ihrem Krisenmanagement nicht übersehen. Die mangelnde Sozialverträglichkeit der IWF-Medizin wird dem Westen zur Last gelegt und liefert fundamentalistischen Demagogen die Argumente frei Haus.

Sind die religiösen Erneuerungsbewegungen ein Demokratisierungshindernis? Auch für diese Annahme gibt es keine zwingenden Belege. Thesen dieser Art gründen auf starren essentialistischen Interpretationen und beliebigen Exegesen kanonischer Texte ohne hinreichende Berücksichtigung der gelebten Religion und der Vielfalt ihrer Auslegungen. Sowohl die Philippinen als auch Thailand haben in den vergangenen Jahren erhebliche Demokratisierungsfortschritte aufzuweisen. In beiden Fällen gibt es plausible Argumente für die These, daß die dortigen Demokratien bereits in die Konsolidierungsphase eingetreten sind. Zwar ist die Erneuerungsbewegung Dhammakaya straff paramilitärisch durchorganisiert, zwar vertritt sie alles andere als politisch progressive Werte und findet ihre Klientel in wohlhabenden, konservativen Segmenten der Thai-Gesellschaft, aber ihr politisches Sendungsbewußtsein für einen religiös bestimmten Gesellschaftsentwurf zu unterstellen ginge zweifellos zu weit. Insofern treffen jene Analysen eher zu, die in Dhammakaya primär eine Anpassung der Religion an die moderne Konsumentenkultur sehen, ein Heilsangebot, das käuflich zu erwerben ist. Niels Mulder schließt daraus auf eine politisch eher neutrale Wirkung der Erneuerungsbewegungen, er versteht sie als Teil einer neuen Mittelschichten-ldentität, Religion gewissermaßen als Ornament und Ritual, ohne moralische und ethische Substanz 38. Ähnlich argumentiert Raymond Lee. Er sieht in den Erneuerungsbewegungen eine Analogie zum Markt. Die fortschreitende ökonomische -und teilweise auch politische -Liberalisierung findet ihre Entsprechung im religiösen Bereich durch eine Ausweitung des religiösen Angebots 39. Santi Asoke und die Suan Moke-Bewegung weisen zwar antiliberale und antikapitalistische Stoßrichtungen auf, aber was auf den ersten Blick als Kapitalismuskritik schlechthin aufscheint, richtet sich in erster Linie gegen eine Kapitalismusversion, die durch ungezügelte Gewinnsucht und die wahllose Vernichtung gemeinschaftlicher Lebensgrundlagen gekennzeichnet ist. Der frühere Gouverneur von Bangkok, Chamlong Srimuang, als besonders prinzipientreues Santi Asoke-MiigWeA in den achtziger Jahren mitunter als thailändischer Khomeini dämonisiert, war 1992 immerhin der Wortführer der Demokratiebewegung gegen die Putschistenclique des National Peace Keeping Council (NPKC) unter General Suchinda Kraprayoon. Auch in anderer Hinsicht ging von Santi Asoke und Suan Moke durchaus emanzipatorische Wirkung aus. Viele ihrer Ideen fanden Eingang in die rege NGO-Bewegung, die in den achtziger Jahren entstand. Die damit verbundenen Ziele wie soziale Gerechtigkeit, Empowerment benachteiligter Gesellschaftsgruppen und die Intensivierung des entwicklungspolitischen Diskurses stehen jeder Demokratie gut zu Gesicht. Anstatt die Religion im Staat zu verankern, haben sie sie zu einem Bestandteil der Zivilgesellschaft gemacht.

Noch weniger haltbar wäre es, auf den Philippinen vom Christentum als einem Demokratiehindernis zu sprechen. Die Katholische Kirche war maßgeblich am Sturz des Diktators Marcos beteiligt, und sie ist auch nach dem Wiedererstarken ihres konservativen Flügels während der Präsidentschaft Cory Aquinos nicht zu der den Status quo legitimierenden Rolle der vorkonziliaren Zeit zurückgekehrt. Ihr jüngster Widerstand gegen geplante Verfassungsänderungen hat die Demokratie insofern gestärkt, als er ins öffentliche Bewußtsein rief, daß eine Verfassung eine politische Grundordnung ist, die man nicht nach Belieben tagespolitischen Vorteilen dienstbar machen darf. Im übrigen haben ihre Hirtenbriefe und Wahlempfehlungen an Wirksamkeit eingebüßt. Mit dem im Mai 1998 gewählten Präsidenten Joseph Estrada zog nach Fidel V. Ramos nun schon zum zweiten Male ein Kandidat in den Malacanang-Palast ein, der im Wahlkampf ohne die Unterstützung der Kirche auskommen mußte.

Größere Schwierigkeiten bereitet die Beurteilung des Islam. Vor allem im Westen sind für viele Islam und Demokratiefeindlichkeit synonym. Samuel P. Huntington beispielsweise verweist darauf, daß fast nirgendwo in der islamischen Welt demokratische Willensbildungsstrukturen Fuß zu fassen vermochten Eine derartige Sichtweise beruht freilich auf dem bereits an anderer Stelle kritisierten Essentialismus. Oft liegt ihr darüber hinaus eine unzulässige Gleichsetzung von Islam und Islamismus/Fundamentalismus zugrunde. Dieser Hinweis soll jedoch nicht die Tatsache verschleiern, daß der Fundamentalismus in der Tat demokratie-feindlich ist -ein Punkt, in dem sich auch die Islamwissenschaftler weitgehend einig sind. Doch gerade im Islam, dem -wie Lorenz Müller hervorhebt eine autoritative Instanz wie der Papst im Katholizismus fehlt, gibt es eine so große Bandbreite von Auslegungen, daß sich grobe Verallgemeinerungen von selbst verbieten. Nicht umsonst wird in Staaten wie Indonesien unter Muslim-Intellektuellen ein lebhafter Diskurs über die Kompatibilität von Islam und Demokratie geführt

Versucht man aus diesem Diskurs in der hier gebotenen Kürze auch auf die Gefahr grober Vereinfachungen ein vorläufiges Fazit herauszudestillieren, so ergeben sich folgende Punkte.

Erstens: Nur wenige Muslim-Intellektuelle sehen einen Gegensatz von Demokratie und Islam. Diejenigen, die dies tun, berufen sich darauf, daß Demokratie eine säkulare politische Ordnung darstellt, der Islam hingegen eine göttliche. Das in der Demokratie zentrale Prinzip der Volkssouveränität stehe im Widerspruch zur Souveränität Gottes.

Zweitens: Entsprechend hält die Mehrzahl der Diskutanten Islam und Demokratie für kompatibel. Allerdings begreifen auch sie den Islam als ein ganzheitliches, Politik und Gesellschaft durchdringendes System. Dies erklärt indes, warum es sich im Verständnis dieser Intellektuellen um keine liberale Demokratie, sondern eine eigene, islamische Form der Demokratie handelt. Drittens: Bei der Mehrzahl der islamischen Intellektuellen, vor allem der jüngeren Generation, ist die Bereitschaft zur Kontextualisierung der offenbarten Wahrheiten durch ijtihad (individuelle religiöse Interpretation) verbreitet. Sie sind auf diese Weise eher mit demokratischen Prämissen in Einklang zu bringen.

Dennoch läßt dieser Diskurs entscheidende Fragen offen. Allzu oft stellen die Diskussionen auf abstrakter Ebene eine Kompatibilität zwischen islamischen Werten und Demokratie her, wenn es jedoch um die konkrete Anwendbarkeit geht, begnügt man sich mit vagen Verweisen auf die erforderliche Übereinstimmung mit der Scharia.

Da diese jedoch wie etwa die hadd-Strafen oder die Ungleichbehandlung der Frau auf Koranstellen mit „absolutem Geltungsanspruch“ beruhen, ergibt sich daraus ein eindeutig weniger demokratisches Staatswesen als das einer liberalen Demokratie. Vor allem bei'Amien Rais, dem Vorsitzenden der Muhammadiyah, der sich in den letzten Monaten des Suharto-Regimes als politische Alternative zu profilieren suchte, finden sich derartige Positionen -etwa mit Blick auf die Stellung der Frau oder von Minderheiten. Trotz ihrer Sympathien für demokratische Verfahrensweisen und Prinzipien, die auch in liberalen Demokratien einen zentralen Stellenwert einnehmen, können die Verfechter einer islamischen Gesellschaft den Verdacht nicht ausräumen, daß ein auf islamische Prinzipien gegründetes Staatswesen leicht monistisch umzuinterpretieren ist. Es sind die erheblichen Grauzonen der Islamauslegung, die Gefahren für die Demokratie heraufbeschwören.

Schließlich gibt es eine Minderheit unter den Muslim-Intellektuellen, die Religion als Privatangelegenheit betrachten und für einen säkularen Staat im Sinne des Pancasila-Pluralismus eintreten. Den Islam interpretieren sie nicht als Einheit von Religion und Staat, sondern lediglich als ein den säkularen Staat ergänzendes Werte-und Rechtssystem. Der soll nach ihrer Bestandteil Vorstellung ein der Zivilgesellschaft werden Der NU-Vorsit-zende Abdurrahman Wahid als der profilierteste dieser Autoren geht sogar noch einen Schritt weiter. Er unterstellt einem Teil der Islamgelehrten, daß sich ihr Verhältnis zur Demokratie lediglich auf ein Zweck-Mittel-Verhältnis reduziere. Die Demokratie sei in Staaten mit großem islamischen Bevölkerungsanteil ein geeignetes Mittel, die Macht im Staate zu erringen, um dann allerdings ein islamisches Staatswesen zu errichten, das nur wenig Übereinstimmung mit demokratischen Prinzipien aufweise.

Ungeachtet dieser Gegensätze sind sich jedoch die meisten Beobachter darin einig, daß sich der süd-ostasiatische Islam grundlegend von nah-und mittelöstlichen Varianten unterscheidet Dies hängt mit der Geschichte seiner Ausbreitung zusammen. Zum einen erreichte der Islam die südostasiatische Inselwelt im 13. /14. Jahrhundert relativ spät, zum anderen verband er sich in der Folge mit vorislamischen animistisch-mystischen und hinduistisch-buddhistischen Kulturelementen. Daraus entstand ein synkretistischer Islam, der -wie Bernhard Dahm anmerkt -durch eine unterschiedliche Synthese von Islam und adat (vorislamischen Kultur-elementen) gekennzeichnet ist, woraus sich die Vielfalt vor allem des indonesischen Islam ableitet Die Spannbreite dieses islamischen Pluralismus hat Clifford Geertz zwischen abangan-Islam -einem nur nominellen Islam, der stark von vorislamischem und javanischem Brauchtum durchsetzt ist -und den santri -schriftgläubigen Muslimen -festgemacht Bis vor kurzem war die Mehrheit der indonesischen Muslime der abangan-Variante zuzuordnen. Umstritten ist jedoch, inwieweit mit der religiösen Erneuerungswelle eine „Santrifizierung“, d. h. eine Purifizierung des Islam einher ging, die vor allem in den abangan-Hochburgen Militär und Bürokratie an Boden gewonnen hat. Ungeachtet dieser Kontroverse herrscht jedoch weitgehender Konsens darüber, daß diese Vielfalt einen toleranteren Islam als anderswo hervorgebracht hat. Dem Vordringen eines radikalen Islamismus stehen damit historisch-kulturelle Sicherungen entgegen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Richard F. Behrendt, Soziale Strategie für Entwicklungsländer, Frankfurt am Main 1965.

  2. Vgl. Gilles Kepel, Die Rache Gottes. Radikale Moslems, Christen und Juden auf dem Vormarsch, München 19943.

  3. Vgl. J. S. Furnivall, Plural Societies, in: Hans-Dieter Evers (Hrsg.), Sociology of Southeast Asia. Readings on Social Change and Development, Kuala Lumpur 1980, S. 86-96.

  4. Vgl. Volker S. Stahr, Südostasien und der Islam. Kulturraum zwischen Kommerz und Koran, Darmstadt 1997, S. 178-190.

  5. Vgl. M. C. Ricklefs, A History of Modern Indonesia since c. 1300, Basingstoke 1991, S. 166 ff.

  6. Vgl. Robert H. Taylor, The State in Burma, London 1987, S. 181.

  7. Vgl. Yoneo Ishii, Sangha, State, and Society. Thai Buddhism in History, Honolulu 1986, S. 36.

  8. Vgl. Republic of Indonesia, The 1945 Constitution of the Republic of Indonesia, Jakarta 1996; Tiga Undang Undang Dasar. Undang-Undang Dasar 1945. Konstitusi Republik Indonesia Serikat 1950. Undang-Udang Dasar Sementara Republik Indonesia 1950, Surabaya 1994, S. 5 ff.

  9. Vgl. Anthony H. Johns, Indonesia. Islam and Cultural Pluralism, in: John L. Esposito (Hrsg.), Islam in Asia. Religion, Politics, and Society, New York-Oxford 1987, S. 210; Martin van Bruinessen, Islamic State or State Islam? Fifty Years of State-Islam Relations in Indonesia, in: Ingrid Wessel (Hrsg.), Indonesien am Ende des 20. Jahrhunderts. Analysen zu 50 Jahren unabhängiger Entwicklung, Hamburg 1996, S. 19-34.

  10. Die Verfassung definiert folgendermaßen: „Malay means a person who professes the Muslim religion, habitually speaks the Malay language, conforms to Malay customs.“ Constitution of Malaysia, Article 160 (2).

  11. Vgl. Fred R. von der Mehden, Malaysia. Islam and Multiethnic Politics, in: J. L. Esposito (Anm. 9), S. 187 f.

  12. Vgl. Somboon Suksamran, Buddhism and Politics in Thailand, Singapore 1982, S. 135.

  13. Seit November 1997 umbenannt in State Peace and Development Council (SPDC).

  14. Vgl. Bruce Matthews, Buddhism under a Military Regime. The Iron Heel in Burma, in: Asian Survey, 33 (April 1993) 4, S. 408-423.

  15. Vgl. Heinz Bechert, Buddhismus, Staat und Gesellschaft in den Ländern des Theravada-Buddhismus, Frankfurt am Main -Berlin 1966, S. 185; S. Suksamran (Anm. 12), S. 29.

  16. Vgl. M. van Bruinessen (Anm. 9), S. 24.

  17. Vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 25. März 1994.

  18. Vgl. Franz Magnis-Suseno. Indonesischer Islam: wohin?, in: ASIEN, (April 1994) 51, S. 8.

  19. Vgl. Michael R. J. Vatikiotis, Indonesian Politics under Suharto. Order, Development and Pressure for Change, London -New York 1993, S. 122.

  20. Vgl. Peter A. Jackson, Buddhism, Legitimation and Conflict: The Political Functions of Urban Thai Buddhism, Singapore 1989.

  21. Zum Verhältnis von Rechten und Pflichten im Islam vgl. Bassam Tibi, Krieg der Zivilisationen. Politik und Religion zwischen Vernunft und Fundamentalismus, München 19982, S. 148 ff.

  22. Mehr dazu bei Jürgen Rüland, Keine Chance für die Demokratie in Asien? Anmerkungen zur west-östlichen Wertedebatte, in: WeltTrends, (1996) 12, S. 53-80.

  23. Für Details zum Verhältnis der einzelnen Gruppen untereinander, ihrer theologischen Ausrichtung und ihren Zielen siehe Jomo Kwame Sundaram/Ahmed Shabery Cheek, The Politics of Malaysia’s Islamic Resurgence, in: Third World Quarterly, 10 (April 1988) 2, S. 848-868.

  24. Vgl. M. R. J. Vatikiotis (Anm. 19), S. 132, und Adam Schwarz. A Nation in Waiting. Indonesia in the 1990s, Sydney 1994, S. 176.

  25. Dabei handelt es sich um Banken, die das islamische Zinsverbot zu umgehen suchen. Vgl. Jakarta Post vom 14. November 1996. S. 4, sowie Dawam Rahardjo, The Question of Islamic Banking, in: Muhammed Ariff (Hrsg.), Islamic Banking in Southeast Asia, Singapore 1988, S. 137-163.

  26. Vgl. The Straits Times vom 30. Dezember 1994, S. 1; David Camroux, State Responses to Islamic Resurgence in Malaysia. Accommodation, Co-Option and Confrontation, in: Asian Survey, XXXVI (September 1996) 9, S. 858.

  27. Der jilbab ist eine islamische Kopfbedeckung für Frauen.

  28. Vgl. The Straits Times vom 17. April 1998.

  29. Vgl. Douglas E. Ramage, Politics in Indonesia. Democracy,. Islam and the Ideology of Tolerance, London 1995;. Nasrullah Ali-Fauzi (Hrsg.), ICMI. Antara Status Quo dan Demokratisasi, Bandung 1995.

  30. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Juli 1995, S. 2.

  31. Mitglieder sind Ägypten, Bangladesch. Indonesien, Iran, Malaysia, Nigeria, Pakistan und die Türkei.

  32. Vgl. dazu Michael R. J. Vatikiotis, Indonesia’s Foreign Policy in the 1990s, in: Contemporary Southeast Asia, 14 (März 1993) 4, S. 352-367; Leo Suryadinata: Islam and Suharto’s Foreign Policy. Indonesia, the Middle East and Bosnia, in: Asian Survey. XXXV (März 1995) 3, S. 291-303.

  33. Vgl. M. R. J. Vatikiotis (Anm. 19), S. 125; A. Schwarz (Anm. 24), S. 179.

  34. Vgl. Peter A. Jackson, Withering Centre, Flourishing Margins. Buddhisms’s Changing Political Roles, in: Kevin Hewison (Hrsg.), Political Change in Thailand. Democracy and Participation, London 1997, S. 91.

  35. Vgl. u. a. Bassam Tibi, Die fundamentalistische Herausforderung. Der Islam und die Weltpolitik, München 1993.

  36. Vgl. Far Eastern Economic Review vom 23. Juli 1998, S. 23-27.

  37. Vgl. Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München -Wien 1996. S. 28, 177, 309.

  38. Vgl. Lorenz Müller, Islam und Menschenrechte. Das Bild im Westen und die arabisch-sunnitische Diskussion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28/97, S. 22.

  39. Einen ausgezeichneten Überblick dazu bietet Masykuri Abdillah, Responses of Indonesian Muslim Intellectuals to the Concept of Democracy (1966-1993), Hamburg 1997. Auf Masykuris Werk beruhen auch die folgenden zusammenfassenden Bemerkungen zu dieser Diskussion.

  40. Vgl. Suara Demokrasi Gus Dur, „Saya Ingin NU Jadi Gerakan Kultural", in: Abdurrahman Wahid u. a., Zaman Baru Islam Indonesia. Pemikiran dan Aksi Politik. Bandung 1998, S. 272.

  41. Vgl. Robert W. Hefner, Islam in an Era of Nation-States: Politics and Religious Renewal in Muslim Southeast Asia, in: Robert W. Hefner/Patricia Horvatich (Hrsg.), Islam in an Era of Nation States. Politics and Religious Renewal in Muslim Southeast Asia, Honolulu 1997, S. 21.

  42. Vgl. Bernhard Dahm, Islam in Sumatra, in: Werner Draguhn (Hrsg.), Der Einfluß des Islams auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Südostasien, Mitteilungen des Instituts für Asienkunde, Nr. 133, Hamburg 1983, S. 57.

  43. Vgl. Clifford Geertz, The Religion of Java, Chicago -London 1960, S. 121-131.

Weitere Inhalte

Jürgen Rüland, Dr. phil., geb. 1953; Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) The Dynamics of Metropolitan Management in Southeast Asia, Singapore 19972; (Mithrsg.) Japan und Deutschland in der internationalen Politik. Neue Herausforderungen nach dem Ende des Kalten Krieges, Hamburg 1997; Politische Systeme in Südostasien. Eine Einführung, Landsberg 1998; (Mithrsg.) Hongkong und China auf dem Weg in das Pazifische Jahrhundert, Hamburg 1998.