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Die Besatzungspolitik der Alliierten in Deutschland 1945-1949 | APuZ 28/1995 | bpb.de

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APuZ 28/1995 Von Versailles nach Potsdam Deutsche Frage und internationales System Zwischen Krieg und Frieden Die Potsdamer Konferenz 1945 Die Besatzungspolitik der Alliierten in Deutschland 1945-1949 „Preußen im Westen“. Großbritannien, die Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen 1946 und die Wiedergeburt der Demokratie in Deutschland

Die Besatzungspolitik der Alliierten in Deutschland 1945-1949

Hermann Graml

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Zusammenfassung

In ihrer Anfangsphase stand die alliierte Besatzungspolitik in Deutschland noch im Zeichen west-östlicher Gemeinsamkeit. Der Grund war die vom gemeinsamen Bedürfnis nach Sicherheit vor Deutschland bewirkte Übereinstimmung in Punkten negativer Deutschlandpolitik, d. h. hinsichtlich der Entwaffnung und der wirtschaftlichen Reduzierung Deutschlands, auch hinsichtlich der Liquidierung des Nationalsozialismus. Angesichts der ideologischen und politischen Gegensätze zwischen der Sowjetunion und den Westmächten führte dann aber gerade der im Gefolge der Potsdamer Konferenz gemachte Versuch, in Deutschland positive politische Aufbauarbeit zu leisten, zu tiefgreifenden Unterschieden zwischen der sowjetischen und der westlichen Besatzungspolitik und damit zu allmählich unüberbrückbar werdenden Unterschieden zwischen der sowjetischen Besatzungszone und den westlichen Zonen. Ausgelöst und befördert wurde dieser Prozeß dadurch, daß französische Obstruktionspolitik längere Zeit den Alliierten Kontrollrat als gesamtdeutsche Entscheidungsinstanz ausschaltete, was eine Regionalisierung der Besatzungspolitik und eine Sonderentwicklung der einzelnen Zonen zur Folge hatte. Als dann ab Mitte 1946 der Kalte Krieg nach Deutschland Übergriff, wurde die Rückkehr zu einer gemeinsamen Deutschlandpolitik der Alliierten unmöglich, die Entstehung zweier deutscher Staaten unabwendbar.

Oft wird gesagt, die Deutschland-und Besatzungspolitik der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs habe seit Beginn der Okkupation einvernehmlich auf eine Trennung des Deutschen Reiches in -mindestens -eine westliche und eine östliche Hälfte hingearbeitet; die entsprechenden Beschlüsse zur Teilung nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas hätten die USA, Großbritannien und die Sowjetunion bereits auf der Konferenz von Jalta gefaßt, die noch in der Endphase des Krieges, vom 4. bis zum 11. Februar 1945, stattfand. Andererseits ist ebensooft zu hören, die deutschland-und besatzungspolitischen Konflikte, die zwischen der UdSSR und den westlichen Siegermächten spätestens bei Beginn der Okkupation ausgebrochen seien, hätten zu den wichtigsten Ur-'Sachen jenes globalen Spannungsverhältnisses zwischen Ost und West gehört, dessen Wesen -keine Gewaltanwendung, aber auch keine Verständigungsmöglichkeit -der amerikanische Journalist Walter Lippmann schon 1947 mit dem Begriff „Kalter Krieg“ kennzeichnete Beides ist so nicht zutreffend.

Die Anfangsphase: Alliierte Übereinstimmung im Negativen

Das Problem, was nach dem Kriege mit Deutschland geschehen sollte, stand seit dem Dezember 1941 -nachdem die Angriffskriege des nationalsozialistischen Deutschland, des faschistischen Italien und des partiell faschistischen Japan eine Allianz der drei Weltmächte USA, Großbritannien und UdSSR erzwungen hatten -naturgemäß auf der Tagesordnung fast jeder politischen Konferenz der Alliierten Seit das Kriegsende mit der Niederlage Deutschlands absehbar war, beschäftigte sich eine alliierte Kommission -die European Advisory Commission -, die am 15. Dezember 1943 ihre Tätigkeit in London aufnahm, sogar permanent mit der Arbeit an einer alliierten Deutschlandpolitik Diese kontinuierliche Debatte ergab in den Motiven und im Blick auf die von den Motiven unmittelbar bestimmten Nahziele alliierter Politik in Deutschland durchaus Gemeinsamkeiten zwischen der Sowjetunion und den Westmächten.

Als beherrschendes und allen gemeinsames Motiv hatte sich bereits früh ein Sicherheitsbedürfnis herausgeschält, das durch den nach 1918 erneuten deutschen „Griff nach der Weltmacht“ aufs äußerste gereizt worden war und nach totaler Befriedigung verlangte. Erbittert durch die außerhalb der deutschen Grenzen nirgends ernsthaft bezweifelte Verantwortung Deutschlands sowohl für den Ersten wie für den Zweiten Weltkrieg und tief erschreckt durch die Kraftentfaltung, zu der sich die deutsche Gesellschaft in den beiden Kriegen fähig gezeigt hatte, stimmten in allen Siegerstaaten öffentliche Meinung und Politiker vorerst darin überein, daß Aggressivität ein Wesensmerkmal deutscher Politik sei und daß gegen eine Aggressi-• vität, der ein so bedeutendes Potential zur Verfügung stehe, außergewöhnliche Vorkehrungen getroffen werden müßten. Die Verbrechen, die von den Organen des nationalsozialistischen Deutschland -auch unabhängig von der Judenverfolgung -in sämtlichen besetzten Ländern verübt worden waren, und der Haß, den diese Verbrechen notwendigerweise geweckt hatten, wirkten als zusätzliche Stimulanzien des Sicherheitsbedürfnisses und verschafften praktisch jedem Befriedigungsmittel das erforderliche gute Gewissen.

So einigten sich die drei Regierungen -anders als die Siegermächte des Ersten Weltkriegs -mühelos darauf, Deutschland vollständig zu entwaffnen und überdies das wirtschaftliche Kriegspotential des Reiches zu zerstören. Ebenso verstand es sich von selbst, daß jede organisierte Erscheinungsform des Nationalsozialismus und Militarismus liquidiert, die nationalsozialistische und militaristische Gesin-nung ausgerottet werden müsse. Als Konsequenz ergab sich die Notwendigkeit, Deutschland zu besetzen und durch die militärische Präsenz der Großmächte auf unbestimmte Zeit unter straffster politischer Kontrolle zu halten. Eine Aufnahme Deutschlands in die gerade entstehenden Vereinten Nationen kam -jedenfalls zunächst -nicht in Frage

Noch vor Kriegsende hatten sich daher die Siegermächte über die Aufteilung Deutschlands in drei und dannnachdem Frankreich in den Kreis der Sieger aufgenommen worden war -in vier Besatzungszonen verständigt, deren Grenzen von der European Advisory Commission festgelegt und in Jalta von Roosevelt, Churchill und Stalin -den „großen Drei“ -bestätigt wurden. In den Zonen sollten Militärgouverneure die Regierungsgewalt ausüben, und dem Kollektiv der vier Militärgouverneure war die Aufgabe zugedacht, im gemeinsam verwalteten und in vier Sektoren geteilten Berlin als oberstes Organ des gesamten Besatzungsgebiets -mit der Bezeichnung „Alliierter Kontrollrat“ -die Richtlinien für eine gemeinsame Besatzungspolitik zu bestimmen. Da solchermaßen die Verantwortung für Deutschland -und für Österreich -zur gemeinsamen Bürde erklärt worden war, konnte allein die Präsenz sowjetischer, amerikanischer und britischer Truppen in dieser Region zunächst nirgends als politisches Ärgernis wirken; sie war einfach eine Folge des Kriegsverlaufs und danach das Resultat interalliierter Abmachungen.

Andererseits war die Schaffung der Besatzungszonen keineswegs ein Akt bewußter alliierter Zerstückelungspolitik. Zwar ist die Aufteilung Deutschlands in mehrere Kleinstaaten auf den internationalen Konferenzen der Kriegsjahre von allen Politikern der Alliierten als bare Selbstverständlichkeit behandelt worden; während der ersten Tage der Besprechungen in Jalta bekräftigten die „großen Drei“ erneut solche Absichten. Doch gingen die Meinungen über die Details der Aufteilung weit auseinander, sowohl in jedem Staat der Koalition wie auch -wenngleich ohne Schärfen -zwischen den Koalitionspartnern; bindende Beschlüsse waren nie gefaßt worden. Der einzige territoriale Eingriff, über den sich die Verbündeten noch vor Kriegsende geeinigt hatten, nämlich die Abtrennung der deutschen Ostgebiete bis zur Oder und zur Glatzer Neiße, konnte nur bedingt als Teil alliierter Deutschlandpolitik bezeichnet werden; er resultierte vielmehr aus der alliierten Polenpolitik: Da Stalin darauf beharrte, Ostpolen, also die Beute aus der deutsch-sowjetischen Teilung Polens vom August und September 1939, zu behalten, glaubten die Alliierten Polen im Westen entschädigen zu müssen.

Gegen Ende der Konferenz von Jalta zeichnete sich überdies eine Abkehr von den Plänen zur Aufteilung Deutschlands ab, und in den folgenden Monaten hat ein amerikanisch-britisch-sowjetischer Ausschuß den Meinungsumschwung, der in Washington, namentlich aber in London und Moskau eingetreten war, zur Richtlinie alliierter Deutschlandpolitik erhoben; am 11. April 1945 konstatierte der Ausschuß den politischen Tod des Aufteilungskonzepts Churchill hielt mit dem Blick auf die sowjetischen Machtgewinne eine allzu nachhaltige Schwächung Deutschlands nicht mehr für wünschenswert, er kehrte also angesichts der unmittelbar bevorstehenden deutschen Niederlage zum britischen Antisowjetismus der Vorkriegsjahre zurück, nahm Elemente der traditionellen Londoner Politik der „balance of power“ auf und entdeckte auf dieser Basis auch schon das britische Interesse an einem einheitlichen deutschen Wirtschaftsgebiet.

Stalin hingegen erkannte offenbar, daß eine Teilung Deutschlands die Eintreibung der hohen sowjetischen Reparationsforderung erschweren würde; zudem begann ihn vermutlich die Möglichkeit einer sowjetischen Mitsprache im Ruhrgebiet zu reizen, die bei einer Auflösung Deutschlands in mehrere Staaten verschwinden mußte, da westliche Teilstaaten naturgemäß unter westlicher Kontrolle stehen würden. So hat er, obwohl er gerade im Begriffe war, Polen -ohne die westlichen Verbündeten zu konsultieren -auch noch das Gebiet zwischen Glatzer und Görlitzer Neiße zuzuschanzen, am 9. Mai 1945 öffentlich versichert: „Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten.“

Eine zweite Motivgruppe, die aber auch sicherheitspolitische Aspekte hatte, ist mit den Begriffen „Bestrafung“ und „Wiedergutmachung“ zu bezeichnen Bis Kriegsende hatten die Alliierten -und zwar wiederum einvernehmlich -das Ziel formuliert, im Namen und im Auftrag der Vereinten Nationen, die sich am 26. Juni 1945 in San Francisco endgültig konstituiert hatten, alle Deutschen vor Gericht zu stellen, die sich gegen Angehörige der Vereinten Nationen irgendwelcher Verbrechen schuldig gemacht, die sonst gegen die Grundregeln der Menschlichkeit verstoßen und die an der militärischen oder wirtschaftlichen Vorbereitung und Auslösung des Krieges mitgewirkt hatten. Ferner war es -die USA ausgenommen -erklärtes Ziel der Alliierten, Deutschland hohe Reparationen zahlen zu lassen, vor allem durch direkte Entnahmen aus dem deutschen Volksvermögen, das heißt durch die Demontage von Industriebetrieben und die Übernahme von Schiffen, rollendem Material und sonstigen Anlagen. Auf solche Weise sollte auch, teils zur Strafe, teils zur Verhinderung einer als politisch gefährlich angesehenen allzu raschen Erholung Deutschlands, eine drastische Reduzierung der deutschen Wirtschaftskapazität erzwungen werden -über die vom engeren Sieherheitsbedürfnis geforderte Zerstörung der deutschen Kriegsindustrie hinaus.

Am weitesten hatte in diese Richtung der amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau gedacht, der im übrigen aus ideologischen Gründen eine Abneigung gegen ein Zuviel an Industrialisierung entwickelt hatte, mit seinem Glauben an die grundsätzlich gesündere Natur überwiegend agrarisch strukturierter Gesellschaften den Anschauungen deutscher Konservativer -selbst der Nationalsozialisten -nicht fern stand und seine deutschlandpolitischen Vorschläge nicht so antideutsch verstand, wie sie naturgemäß von den Deutschen damals aufgefaßt wurden und noch heute aufgefaßt werden In seinem 1944 entstandenen Plan, den er bezeichnenderweise „Programm zur Verhinderung der Auslösung des Dritten Weltkriegs durch Deutschland“ überschrieb, sagt er: „Dieses Programm faßt die Verwandlung Deutschlands in ein Land ins Auge, das in erster Linie einen landwirtschaftlichen und ländlichen Charakter hat.“ Unter dem Druck des State Department und des Kriegsministeriums, denen die Verwirklichung der Gedanken Morgenthaus zugefallen wäre, hat sich Präsident Roosevelt von dem ebenso anmaßend-brutalen wie unrealistischen Plan allerdings bald distanziert, und auch die Briten nahmen die zunächst gegebene widerwillige Zustimmung Churchills fast sofort wieder zurück.

Der sowjetische Vorschlag, die deutsche Schwerindustrie um 80 Prozent zu verringern, konnte sich auf der Konferenz von Jalta ebenfalls nicht durch-setzen. Früh wurde somit klar, daß Briten wie Amerikaner vor einer Politik zurückscheuten, die am Ende ihnen die Verpflichtung aufbürden mußte, der deutschen Bevölkerung das Existenzminimum zu finanzieren. Immerhin ist in Jalta die Summe von 20 Milliarden Dollar, die von der sowjetischen Seite als Verhandlungsgrundlage für eine Alliierte Reparationskommission genannt worden war, nicht einfach vom Tisch gewischt worden, und die Alliierten zeigten sich vorerst weiterhin entschlossen, die Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie künstlich zu begrenzen.

Die Tendenz, die deutsche Bevölkerung für den Krieg büßen zu lassen und die Erholung Deutschlands jedenfalls nicht zu erleichtern, kam noch deutlich in jenem Dokument zum Ausdruck, das den amerikanischen Militärgouverneur mit den Richtlinien für die in seiner Besatzungszone zu verfolgende Politik versah -in der Direktive JCS 1067, die Präsident Truman, Nachfolger des am 12. April verstorbenen Roosevelt, am 11. Mai 1945 genehmigte: „Es muß den Deutschen klargemacht werden, daß Deutschlands rücksichtslose Krieg-führung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht haben und daß sie nicht der Verantwortung für das entgehen können, was sie selbst auf sich geladen haben. Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat.“

Solche Nahziele hatten sehr wohl politische Konsequenzen, etwa die Industriepläne, mit denen die Besatzungsmächte der deutschen Industrieproduktion recht enge -freilich aus anderen Gründen jahrelang ohnehin nicht erreichte -Grenzen zogen. Aber ein Katalog überwiegend negativer Vorhaben und Maßnahmen ergab noch keine Deutschlandpolitik im vollen Sinne des Wortes, und vielen wichtigen Problemen der Zukunft Deutschlands standen die Sieger anfänglich im Grunde konzeptionslos gegenüber. Alle Siegermächte vertraten allerdings politische Ideologien und Prinzipien, die Anspruch auf universale Geltung erhoben und es daher nicht erlaubten, das besiegte Deutschland von den Plänen zur Schaffung einer neuen und besseren Welt einfach auszunehmen. Weder aus der Propaganda noch aus den Überlegungen und Äußerungen der Politiker waren demokratisierend-partizipatorische Elemente je völlig verschwunden.

Machte sich auf westlicher Seite immer wieder eine von eigenen Sicherheitsinteressen weitgehend unabhängige Neigung bemerkbar, sich Mittel und Wege zur Liberalisierung und Demokratisierung der deutschen Gesellschaft einfallen zu lassen so ließen auch die sowjetischen Führer -wie sie mit der Schaffung des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ gezeigt hatten -die Möglichkeit nicht gänzlich außer acht, zu der vor 1933 gepflegten politischen Zusammenarbeit mit dem deutschen Bürgertum zurückzukehren Mit der Sammlung und Schulung einer aus KPD-Emigranten bestehenden und für die politische Arbeit im Nachkriegsdeutschland bestimmten kommunistischen Kadergruppe verrieten sie andererseits, daß die Neigung vorherrschte, eine Allianz mit der deutschen Arbeiterklasse zu schließen und mit Hilfe dieser Allianz die deutsche Gesellschaft zu revolutionieren, also in einem kommunistischen Sinne zu „befreien“

Indes blieben solche Vorstellungen bis Kriegsende eben nur Ansätze. Angesichts der Entschlossenheit, Deutschland fürs erste als besiegten Feind-staat zu behandeln, mithin die Grundsätze altmodischer Sicherheits-, Wiedergutmachungs-und Vergeltungspolitik anzuwenden, konnten jene Ansätze keine Entwicklungsmöglichkeit finden. Das galt für die Westmächte wie für Stalin. Daß der sowjetische Führer gegen Ende des Krieges und unmittelbar nach Kriegsende die Zielsetzung einer Allianz mit den deutschen Werktätigen deutlicher auszusprechen begann und zur Verwirklichung dieser Absicht die KPD-Kadergruppe unter der Führung Walter Ulbrichts sogleich mit entsprechenden Aufträgen in die sowjetische Besatzungszone entsandte, ließ den Widerspruch zwischen den Erfordernissen einer dem Aufbau dienenden Allianzpolitik und den tatsächlich getroffenen Maßnahmen einer ungehemmt verfolgten und sogar die Existenzbasis des Bündnispartners -nämlich der deutschen Arbeiterklasse -bedrohenden Zerstörungs-und Ausbeutungspolitik nur besonders rasch und besonders schrill hervortreten.

Keine geringere Rolle spielte allerdings die in Moskau ebenso wie in London und Washington vorhandene Einsicht, daß in Ost und West sehr verschiedene Vorstellungen über die Grundsätze richtiger Gesellschaftsordnung und Gesellschaftsentwicklung herrschten. Jeder Versuch, einvernehmlich ein positives Deutschlandprogramm zu entwerfen, mußte die tiefen Divergenzen zwischen den Alliierten sichtbar machen und zu Konflikten führen. Während des Krieges, solange der gemeinsame Feind noch kämpfte, schienen solche Konflikte eher Gefahren für den Bestand oder doch das Funktionieren der Koalition heraufzubeschwören. Also beließen es die Alliierten bei der leichter fallenden Verständigung über den an eindeutigen Interessen orientierten Katalog der nahezu ausschließlich negativen Nahziele.

Das Resultat war eine seltsame Mischung aus Entschlossenheit und Ratlosigkeit. Schon die Formel von der „bedingungslosen Kapitulation“, die Roosevelt am 24. Januar 1943 in Casablanca verkündete und die Churchill ebenso billigte wie Stalin hatte dieses Mißverhältnis ausgedrückt: den Willen zur totalen Verfügungsgewalt über Deutschland einerseits, die Unsicherheit über den Gebrauch der Gewalt andererseits. Bis zum Kriegsende war von niemand gesagt worden, in welchem Sinne, in welche Richtung und in welchem Tempo die Entwicklung der deutschen Gesellschaft verlaufen oder gesteuert werden sollte. Selbst über die Gestalt, die Funktion und wiederum die Zukunft jener deutschen Ämter und Institutionen, die ja notwendigerweise unter und neben den Besatzungsbehörden arbeiten würden, herrschte keine Klarheit.

Folgen der Potsdamer Konferenz: Regionalisierung der Besatzungspolitik und Sonderentwicklung der SBZ

Die Konferenz von Potsdam, auf der sich vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 abermals die Regierungschefs der drei Weltmächte trafen, setzte dieser seltsamen Haltung der konzeptionslosen Entschlossenheit noch kein Ende Selbst in der territorialen Frage blieben Ungewißheiten. Als die Siegermächte offiziell ihre politische Zuständigkeit für das geschlagene und besetzte Deutschland feststellten, weil es „in Deutschland keine zentrale Regierung oder Behörde“ mehr gebe, „die fähig wäre, die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für die Verwaltung des Landes und für die Ausführung der Forderungen der siegreichen Mächte zu übernehmen“, da konnten die vier Oberbefehlshaber der in Europa operierenden alliierten Streitkräfte -in ihrer vom 5. Juni datierten Erklärung, aus der die zitierte Wendung stammt -den Raum, für den sie jetzt die Regierungsgewalt an sich zogen, zwar wieder Deutschland nennen. Aber abgesehen davon, daß Dwight D. Eisenhower, Georgi Schukow, Bernard L. Montgomery und Jean de Lattre de Tassigny keine genaueren Richtlinien zur Ausübung der Regierungsgewalt besaßen, schienen die äußeren Grenzen jenes Deutschland noch keineswegs festgelegt zu sein.

Gewiß dekretierten Truman, Churchill -bzw.dessen Nachfolger Clement Attlee -und Stalin in Potsdam, unter Deutschland seien die vier Besatzungszonen zu verstehen und dieses Deutschland müsse als wirtschaftliche Einheit behandelt werden. Da außerdem die baldige Errichtung deutscher Zentralbehörden -als Hilfsorgane des Alliierten Kontrollrats -vereinbart wurde, sah es in der Tat so aus, als sei die Abkehr von den früheren Teilungsplänen endgültig, als werde mithin zumindest das Besatzunsgebiet die politische Einheit bewahren können. Daß Deutschland die vom März 1938 bis zum Kriegsende annektierten Gebiete wieder abzutreten hatte, war eine Selbstverständlichkeit, und die Beschlüsse der Konferenz ließen ferner keinen Zweifel daran, daß sich die Oder-Neiße-Linie zur dauernden deutschen Ostgrenze verfestigen werde, obgleich die Koalitionspartner die deutschen Ostgebiete vorerst -das heißt bis zum Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland -nur unter polnische Verwaltung stellten. Doch blieben die französischen Ansprüche auf das Saargebiet und auf andere linksrheinische deutsche Territorien unerledigt, ebenso das wiederum vornehmlich von Frankreich aufgeworfene Problem einer Internationalisierung des Ruhrgebiets. Überdies hatten die drei Regierungschefs die Wirtschaftseinheit des Okkupationsgebiets sogleich selbst wieder in Frage gestellt und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik in Deutschland praktisch unmöglich gemacht, als sie sich -unfähig zur Formulierung einer gemeinsamen Reparationspolitik und zur einvernehmlichen Festsetzung einer gesamtdeutschen Reparationsschuld -darauf verständigten, daß jede Besatzungsmacht ihre Reparationsforderung ohne Einmischung der Partner weitgehend durch direkte Entnahmen aus der eigenen Zone befriedigen dürfe

Auch mit dem Problem der verfassungs-und gesellschaftspolitischen Entwicklung im okkupierten Deutschland setzten sich die Sieger nur ungenügend auseinander. Zwar schien die Potsdamer Konferenz gerade in dieser Hinsicht einen Fortschritt zu bringen, indem die Alliierten Deutschland nun ausdrücklich gleichsam zum politischen Entwicklungsland erklärten, dessen Bevölkerung lediglich für eine gewisse Zeit unter Vormundschaft gestellt werde. Die Vormünder entwarfen denn auch ein Hilfsprogramm, das gewissermaßen chirurgische Eingriffe und andererseits eine kräftigende Behandlung mit Medikamenten vorsah. Zur Chirurgie gehörten die längst beschlossenen Eingriffe wie Entwaffnung und industrielle Kapazitätsverringerung, außerdem die Aburteilung der Kriegsverbrecher und die Entfernung aller Nationalsozialisten aus dem öffentlichen Leben. In einer „Entnazifizierung“ genannten gigantischen Säuberungsaktion sollte die politische Vergangenheit aller erwachsenen Deutschen genau geprüft und eine festgestellte Schuld oder Verstrickung in das NS-Regime je nach Schwere und Grad mit Haft, Berufsverbot oder Geldbußen geahndet werden General Lucius D. Clay, der als amerikanischer Militärgouverneur amtierte, umschrieb den Sinn der Entnazifizierung mit folgendem Satz: „Sie ist eine Voraussetzung der deutschen Erhebung und Rehabilitierung, eine Notwendigkeit für die Entwicklung einer gesunden deutschen Demokratie.“

Zugleich betonten die Vormünder aber ihre Bereitschaft und sogar Entschlossenheit, auch positive Beiträge zur Demokratisierung der deutschen Gesellschaft zu leisten und den Aufbau demokratischer Institutionen in Deutschland zu fördern. Dabei wollten die Sieger vor allem auf die Wirkung politischer Pädagogik vertrauen: Mit einem umfassenden Umerziehungsprogramm müsse der nationalsozialistische Geist überwunden und die Bekehrung der Deutschen zu den Werten, Einrichtungen und Spielregeln der Demokratie erreicht werden.

Jedoch machten die in Potsdam konferierenden Repräsentanten dreier Besatzungsmächte -Frankreich blieb hier noch ausgeschlossen -einen weiten Bogen um die Aufgabe, den allgemeinen Auftrag zur Demokratisierung Deutschlands, der dem Kontrollrat und den vier Militärgouverneuren nun immerhin erteilt worden war, in ein konkretes, detailliertes und vor allem gemeinsames Handlungsprogramm umzusetzen. Nach wie vor bestand ja das Problem, daß das britische Verständnis von Demokratie anders aussah als das amerikanische oder französische und daß die sowjetischen Funktionäre mit diesem Begriff erst recht sehr eigene Vorstellungen verbanden. Und nach wie vor war es -wollte man nicht in schwerste Konflikte verstrickt werden -unmöglich, den gerade in dieser Frage so notwendigen Kompromiß in der Interpre-tation bestimmter Grundbegriffe auch nur zu versuchen; und ohne einen solchen Kompromiß war es wiederum unmöglich, genaue und einheitliche Richtlinien für das politische Handeln in Deutschland zu formulieren. Unter derartigen Umständen steckte aber in dem Potsdamer Demokratisierungsauftrag an die Besatzungsbehörden die Möglichkeit zu Komplikationen und Konfusionen, sogar eine gefährliche Sprengkraft.

Daß diese Sprengkraft ihre Gefährlichkeit in der Tat sofort erwies, war noch kein Effekt des Kalten Krieges, sondern lag vielmehr an einem vorher von niemand bedachten Umstand. Im Kontrollrat saß ein Vertreter des Besatzungsmacht gewordenen Frankreich, und Frankreich fühlte sich nicht einmal an das magere Ergebnis von Potsdam gebunden, da die drei Weltmächte es nicht für nötig gehalten hatten, die französische Regierung an den Beratungen zu beteiligen Die damaligen Leiter der französischen Politik dachten aber noch in den Kategorien der Zwischenkriegszeit, die sie durch den deutschen Angriffskrieg bestätigt glaubten, und orientierten ihre Deutschlandpolitik zunächst allein am Bedürfnis nach Sicherheit vor Deutschland. Solange dieses Sicherheitsbedürfnis nicht befriedigt war -und zwar durch die Internationalisierung des Ruhrgebiets und durch die Lösung des Saargebiets wie des Rheinlands von Deutschland -, hielten sie sich für berechtigt, jeden Schritt der Besatzungsmächte zu blockieren, der zur wirtschaftlichen und politischen Erholung des Okkupationsraums und damit zur Restauration eines deutschen Nationalstaats führen konnte.

Der französische Vertreter im Kontrollrat erhielt die Weisung, bis zur Erfüllung der französischen Forderungen Obstruktionspolitik zu treiben, namentlich die Schaffung deutscher Zentralbehörden zu verhindern -und da er ein Vetorecht hatte, war er dazu auch in der Lage. Die drei anderen Besatzungsmächte weigerten sich jedoch, auf die territorialen Wünsche Frankreichs einzugehen. Andererseits fanden sie keine Möglichkeit, Frankreich zum Nachgeben zu zwingen, zumal sich die einzige Macht, die in der Lage gewesen wäre, auf Paris Druck auszuüben -die USA -trotz größter Verärgerung genötigt glaubte, französische Empfindungen schonen und die politische Position Frankreichs wiederherstellen zu müssen: zur im eigenen Interesse erwünschten Stabilisierung Europas und nicht zuletzt zur Verhinderung einer für möglich gehaltenen kommunistischen Machtübernahme in Frankreich.

Ein Jahr lang sorgte Frankreich dafür, daß es eine einheitliche Wirtschaftspolitik des Kontrollrats, durch die Potsdamer Reparationsbeschlüsse ohnehin aufs äußerste erschwert, nicht geben konnte. Darüber hinaus sah sich der Kontrollrat durch die französische Obstruktion als politische Zentrale Deutschlands nahezu ganz ausgeschaltet. Als Konsequenz ging die Ausübung der politischen Gewalt vom Gremium der Militärgouverneure auf den einzelnen Militärgouverneur in seiner Zone über. Jeder Militärgouverneur aber interpretierte danach -in Verbindung mit seiner Regierung -die vagen Aufträge des Potsdamer Protokolls zwangsläufig in seinem Sinne und leitete damit unwillentlich eine Regionalisierung der Politik in Deutschland ein, die nur in eine Sonderentwicklung jeder Zone münden konnte.

Die meisten Gemeinsamkeiten bewahrten die britische und die amerikanische Zone. Auf nahezu alle Besatzungsoffiziere machten, als sie ihren Fuß auf deutschen Boden setzten, die Verheerungen einen tiefen Eindruck, die der Krieg, namentlich der Luftkrieg, in Deutschland angerichtet hatte Offiziere wie General Clay verarbeiteten derartige Eindrücke sogleich zu dem Schluß, daß das vom Sicherheitsbedürfnis diktierte wichtigste Kriegsziel der Alliierten, die Vernichtung des deutschen Kriegspotentials, „durch die Entwicklung des Krieges selbst erreicht“ worden sei, wie Clay bereits am 26. April 1945 an John McCloy schrieb damals an führender Stelle im Kriegsministerium tätig. Nach solcher Erkenntnis breitete sich Aufbaustimmung aus, Lust zu konstruktiver Arbeit im eigenen Besatzungsgebiet. Normale politische Überlegungen gewannen schon früh wieder die ihnen zukommende Bedeutung, das heißt die ohnehin in erster Linie an Ruhe und Ordnung interessierten amerikanischen und britischen Besatzungsoffiziere waren alsbald wieder auf die Entlastung der heimischen Steuerzahler bedacht, kamen rasch zu der Einsicht, daß die Wichtigkeit Deutschlands als künftiger Wirtschaftspartner hoch einzuschätzen sei, und richteten ihr Augenmerk auch bereits auf die Immunisierung der deutschen Bevölkerung gegen kommunistische und sowjetische Einflüsse.

Für die besatzungspolitische Praxis folgte daraus, daß sich die britischen und amerikanischen Besatzungsbehörden fast sofort daran machten, den Deutschen ihrer Zonen die Sicherung des Existenzminimums aus eigener Kraft zu ermöglichen und mithin wenigstens eine begrenzte wirtschaftliche Erholung zu fördern. Lewis Douglas, ein Berater Clays, bezeichnete die wirtschaftlichen Richtlinien der Direktive JCS 1067 schon vor der Kapitulation als das Werk „ökonomischer Idioten“ und Clay selbst sagte in dem erwähnten Brief an McCloy: „Wenn die Deutschen auch nur einen minimalen Lebenstandard erhalten sollen, müssen wir hier die Freiheit haben, die Produktion der Industrie wieder anzukurbeln.“

Gewiß stellten derartige Einsichten und auf ihnen beruhende Richtlinien einige Zeit nicht viel mehr dar als Absichtserklärungen. Aber abgesehen davon, daß die Absichten im Lauf der Monate und Jahre konkrete Formen annahmen, spielte die Überzeugung, der deutschen Wirtschaft müsse nicht zuletzt auch im wohlverstandenen Interesse der Nachbarn Deutschlands und der Besatzungsmächte selbst wieder auf die Beine geholfen werden, für die britisch-amerikanische Einstellung zu fast allen Problemen, die in Deutschland auftauchten, schon früh eine entscheidende Rolle: Daher Clays schroffe und im Hinblick auf die Wirkung nicht immer genau kalkulierte Aktionen gegen die französische Obstruktionspolitik daher der wachsende amerikanisch-britische Widerstand gegen hohe Reparationsansprüche an Deutschland, der das Verhältnis zur reparationshungrigen Sowjetunion schwer belastete; und daher der bereits 1946 Realität gewordene amerikanisch-britische Verzicht darauf, die fruchtlosen Bemühungen um eine einheitliche Deutschlandpolitik des Kontrollrats auf unbestimmte Zeit fortzusetzen -ein Verzicht, den der Versuch ablöste, die Zonengrenzen durch eine Politik der territorialen Zusammenschlüsse -der Zonenvereinigung zur „Bizone“ -zu überwinden, was freilich im Effekt eine Selbstbeschränkung auf amerikanisch-britische Kooperation bedeutete und die Sonderentwicklung der französischen wie vor allem der sowjetischen Zone sofort begünstigte

Im übrigen hat die Überzeugung, daß der deutschen Industrie Entwicklungsmöglichkeiten bleiben müßten, viele deutsche Industriebetriebe vor der Demontage gerettet, sogar gegen direkte Interventionen amerikanischer Konkurrenzunternehmen. Amerikanische Textilproduzenten, Uhrenfabrikanten, Hersteller optischer Instrumente und sonstige Interessentengruppen unternahmen erhebliche Anstrengungen, deutsche Konkurrenten auf die Liste der Kriegsbetriebe und damit auf die Demontageliste setzen zu lassen. Hätten die Militärregierung und die Administration in Washington andere und tatsächlich Morgenthauschen Ideen angenäherte Ziele gehabt, wäre solchen Anstrengungen der Erfolg vermutlich nicht versagt geblieben; so aber konnten sich die Interventionen im allgemeinen nicht gegen den Widerstand Clays durchsetzen

Auch bei der steuernden Ermunterung des politischen Lebens folgten britische und amerikanische Besatzungsverwaltungen nahezu gleichen Prinzipien. Zwar haben die Amerikaner, den heimischen Traditionen folgend, zunächst den in ihrer -überwiegend in Süddeutschland gelegenen -Zone ohnehin kräftigen Föderalismus und die Exekutive begünstigt, die Briten dagegen den Zentralismus und die Entwicklung freier Institutionen der Gesellschaft wie Parteien, Gewerkschaften, Presse und Rundfunk. Aber dabei handelte es sich nur um kurzfristig unterschiedliche Prioritäten, im Ergebnis nur um Nuancen sekundärer Ordnung. In beiden Zonen entstanden und festigten sich, von der Mehrheit der Bevölkerung begrüßt, politische Strukturen, die vom angelsächsischen Liberalismus und Demokratieverständnis geprägt waren.

Die selbstverständliche Präferenz für eine den heimischen Zuständen verwandte Gesellschaftsstruktur hat in beiden Zonen -in denen im übrigen das alliierte Strafprogramm auf Grund seiner inneren Unmöglichkeiten wie auf Grund der Erfordernisse der Effizienz von Wirtschaft, Verwaltung und Justiz ein baldiges Ende nahm -auch deutschen gesellschaftspolitischen Reformbewegungen ein gleichartiges Schicksal bereitet. Dem in der deutschen Bevölkerung allenthalben lebendigen -wenngleich nicht mit größeren Energien ausgerüsteten -Wunsch nach zumindest partieller Sozialisierung der Produktionsmittel begegneten die meist konservativen britischen Besatzungsoffiziere kühl und oft ablehnend, obwohl oder vielleicht weil die im Sommer 1945 gewählte Labour-Regierung in Großbritannien gerade selbst ein Verstaatlichungsprogramm durchführte Die Spitzenfunktionäre des amerikanischen Besatzungsapparats, die häufig der Leitung großer amerikanischer Industriebetriebe, Handelsunternehmen und Banken angehört hatten, ehe sie die Uniform eines Generals oder Colonels anzogen, waren erst recht nicht von Zweifeln an „free enterprise" angekränkelt, zumal nach den gewaltigen Leistungen der US-Wirtschaft im eben zu Ende gegangenen Krieg. So haben sie, ohne die Propagierungsozialistischer Ziele zu unterdrücken, pragmatisch gegen jeden deutschen Anlauf zur Realisierung sozialistischer Programmpunkte Front gemacht

Ergaben sich daraus schon zur französischen Zone leichte, wenn auch die Vereinigungsfähigkeit nie ernstlich in Frage stellende Unterschiede, so entstand vor allem ein tiefer Graben zur sowjetischen Besatzungszone. Angesichts der Funktionsunfähigkeit des Kontrollrats folgte die sowjetische Besatzungspolitik ebenfalls einfach der Tendenz, die . Verhältnisse in ihrer Zone nach dem Vorbild der Zustände im eigenen Land zu formen Schon 1945 wurde zum Beispiel eine Bodenreform eingeleitet, die den agrarischen Großgrundbesitz entschädigungslos enteignete, und weitere tiefe Eingriffe in das deutsche Wirtschafts-und Gesellschaftsgefüge schlossen sich bald an. So einseitige Aktionen in so entscheidenden Fragen standen in einem klaren Gegensatz zum Geiste des Potsdamer Einheitsgebots. Sie isolierten die sowjetische Zone bereits um die Jahreswende 1945/46 effektiver vom übrigen Deutschland als eine Staatsgrenze, wenngleich die Isolierung ihren Ausdruck schon früh auch darin fand, daß die westliche Grenze der Zone sowohl von den sowjetischen Besatzungsbehörden wie von ihren deutschen Hilfsorganen als schwer überschreitbare Grenze eines Staates mit feindlichen Nachbarn behandelt wurde.

Jedoch begnügten sich die sowjetischen Okkupanten nicht mit einer gesellschaftlichen Revolutionierung. Sie suchten auch das politische System in ihrer Zone dem sowjetischen Muster anzupassen. Bereits im April 1946 erzwangen sie die Vereinigung der SPD mit der politisch chancenlosen KPD, wobei sie dafür sorgten, daß in der so geschaffenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands die einflußreichen Positionen von Kommunisten besetzt wurden, und dieser SED schoben sie dann, während sie die noch geduldeten bürgerlichen Parteien zu einer bloßen Statistenrolle verurteilten, alle politische Macht zu, die sie nicht selbst beanspruchten Sie legten also das Fundament einer Einparteiendiktatur, und dies war mit dem Potsdamer Demokratisierungsauftrag natürlich nur dann vereinbar, wenn man den sowjetischen Demokratiebegriff für richtig hielt; eine deutliche Majorität der deutschen Bevölkerung tat das nicht, sehnte sich vielmehr nach der Praktizierung des westlichen Demokratieverständnisses.

Mit der Oktroyierung eines weithin abgelehnten politischen Systems geriet die sowjetische Besatzungspolitik also nicht nur in einen schwer zu korrigierenden Gegensatz zu den Potsdamer Vereinbarungen, sondern in einen noch schwerer zu korrigierenden Gegensatz zur Bevölkerung der eigenen Zone und zur Bevölkerung der drei anderen Zonen. Die einzige Nutznießerin der sowjetischen Politik -die SED -geriet naturgemäß in den gleichen Gegensatz. Schon zu Beginn ihrer Existenz von der Sowjetunion abhängig, ist sie im Laufe der Jahre von ihr noch abhängiger geworden.

Konfrontation der Besatzungsmächte im Zeichen des Kalten Krieges: Spaltung Deutschlands in Ost und West

Die Rückkehr zu einer gemeinsamen Deutschland-und Besatzungspolitik war schon Mitte 1946 schwer vorstellbar; sie wurde unmöglich, als nun der globale Ost-West-Konflikt auch auf Deutschland Übergriff. Zunächst lag Deutschland am Rande des Kalten Krieges. Die Schwierigkeiten des Kontrollrats bei der Schaffung deutscher Zentralbehörden und bei der Bewahrung der deutschen Wirtschaftseinheit gingen lange eindeutig auf das Konto Frankreichs. Die durch Frankreichs Haltung entscheidend mit verursachte Sonderentwicklung der einzelnen Zonen scheint sowohl von den sowjetischen wie von den amerikanisch-britischen Besatzungsbehörden -und offenbar auch von den Regierungen in Moskau, Washington und London -zunächst vor allem als Erschwerung der eigenen Wirtschaftspolitik in Deutschland registriert worden zu sein. Daß die anglo-amerikanisehen Besatzungsbehörden die Struktur einer bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftsstruktur fixierten und als energische Gärtner das Wachsen der Institutionen einer parlamentarischen Demokratie förderten, daß auf der anderen Seite die Sowjets eine sozialistische Gesellschaftsordnung begründeten und mit grober Gewaltsamkeit den Weg in eine SED-Diktatur bereiteten, ist auf beiden Seiten nicht sofort als ein von der jeweils anderen Seite bewußt gesteuerter Spaltungsprozeß verstanden worden.

So nahm zum Beispiel Clay die Zwangsvereinigung von KPD und SPD gelassen auf und erklärte während einer Konferenz mit seinem Stab, solche Dinge in der SBZ gingen ihn nichts an, da laut Potsdam jeder Zonenbefehlshaber für seinen Bereich allein verantwortlich sei Es dauerte bis zum 1. Juni 1946, ehe Clay die Beziehungen zu den Sowjets erstmals intern als problematisch erwähnte. Bezeichnenderweise hob er aber vor allem hervor, daß sich die Einstellung der amerikanischen Öffentlichkeit zur Sowjetunion zu wandeln beginne; in Deutschland selbst glaubte er lediglich festgestellt zu haben, daß Vereinbarungen mit den Sowjets allmählich mühsamer zustande kämen, weshalb seine Mitarbeiter enge Kontakte zu ihren sowjetischen Partnern halten sollten

Es gab in Deutschland Streitpunkte genug -so in erster Linie das ständig Anlässe zu Reibereien bietende Reparationsproblem. Aber derartige Konflikte hielten sich ein Jahr lang im Rahmen von Spannungen, wie sie von Großmächten, die kaum durch gemeinsame Interessen verbunden sind, als normal empfunden werden. In diesem Zeitraum dürfte die Deutschlandfrage eher zur Verzögerung eines offenen Ausbruchs des Kalten Krieges beigetragen haben, da die Erinnerung an den gemeinsamen Sieg über Deutschland und die gemeinsame Aufgabe in Deutschland eine Weile noch als eine Art Kitt der zerfallenden Allianz wirkten. Der Kalte Krieg hatte seine Ursachen in Zusammenstößen der Großmächte im Iran und in China, vor allem jedoch in Stalins ebenso rüdem wie ungeniertem Bruch der in Jalta getroffenen Vereinbarungen über Ost-und Südosteuropa Stalin hatte in Jalta schriftlich zugesagt, beim Aufbau demokratischer Systeme im Staatengürtel von Polen bis Bulgarien das Mitspracherecht und die Mitwirkung der Westmächte zu respektieren; statt dessen ließ er einen Eisernen Vorhang herunterrasseln und verwandelte jenen Staatengürtel mit höchst brutalen Methoden in einen Teil des sowjetischen Imperiums.

Erst nachdem die Säure der dadurch provozierten Kontroversen den dünnen Vertrauensfirnis zerfressen hatte, der in den Kriegsjahren entstanden war, und auf beiden Seiten wieder die Vorstellung von der naturgegebenen Feindschaft zwischen Sowjetsystem und westlicher Gesellschaft dominierte, verwandelten sich auch die Querelen der Besatzungsmächte in Deutschland zu Bestandteilen des weltweiten Ost-West-Konflikts, und an eine gemeinsame Besatzungspolitik konnte nicht mehr ernstlich gedacht werden. Selbst die Spaltung des Landes war nun eine entschiedene Sache. Die verfeindeten Weltmächte waren jetzt nicht länger bereit, eine Vergrößerung der gegnerischen oder eine Verkleinerung der eigenen Einfluß-und Herrschaftszonen hinzunehmen, schon gar nicht in dem strategisch, wirtschaftlich und politisch so wichtigen Deutschland.

Bereits im März und April 1947 bewies das Fiasko einer Deutschland gewidmeten Außenministerkonferenz in Moskau, daß im Zeichen des Kalten Krieges nicht nur eine gemeinsame Besatzungspolitik unmöglich geworden war, sondern jede gemeinsame und die deutsche Einheit erhaltende Lösung der Deutschlandfrage, da eine solche Lösung Gesamtdeutschland erlauben mußte, sich über kurz oder lang einer der beiden Konfliktparteien anzuschließen. Folgerichtig hörte die bislang praktizierte regionalisierte Besatzungspolitik allmählich auf und wurde auf beiden Seiten der Elbe von Integrationspolitik abgelöst, also von dem Bemühen, das Besatzungsgebiet als wirtschaftlichen und politischen Partner zu gewinnen.

Die Anfänge dieser Integrationspolitik sind zu erkennen: Als der sowjetische Außenminister Molotow am 10. Juli 1946 auf einer Außenministerkonferenz in Paris eine Rede hielt, in der er eine an Morgenthau oder an den französischen Amputationsplänen orientierte Deutschlandpolitik scharf verurteilte und eine konstruktive Deutschlandpolitik forderte, als der amerikanische Außenminister James Byrnes am 6. September mit einer ähnlichen -in Stuttgart gehaltenen -Rede reagierte da sprachen beide zwar noch von ganz Deutschland. Tatsächlich aber waren ihre Worte bereits Signale und erste Manöver einer auf die Deutschen des eigenen Machtbereichs berechneten Werbe-und Integrationspolitik. Als am 1. Januar 1947 der im Sommer 1946 gefaßte Beschluß zur Vereinigung der amerikanischen mit der britischen Besatzungszone in Kraft gesetzt wurde, kam in diesem Akt -der Gründung der Bizone -die ihrerseits wiederum entwicklungsbestimmende Überzeugung zum Ausdruck -die in Moskau schon etwas früher herrschend geworden war daß die Entstehung zweier vermutlich langlebiger deutscher Staaten unabwendbar geworden war

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Walter Lippmann, The Cold War. A Study in US Foreign Policy, New York-London 1947.

  2. Vgl. Wolfgang Marienfeld, Konferenzen über Deutschland. Die alliierte Deutschlandplanung und -politik 1941-1949, Hannover 1962; Hans-Peter Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft, Neuwied 1966, Stuttgart 19802; Hermann Graml, Die Alliierten und die’Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Frankfurt am Main 1985.

  3. Vgl. Hans-Günter Kowalski, Die „European Advisory Commission“ als Instrument alliierter Deutschlandplanung 1943-1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ), 19 (1971) 3, S. 261-293.

  4. Vgl. Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland 1945-1955. Unterwerfung, Kontrolle, Integration, München 1986; Alexander Fischer, Sowjetische Deutschlandpolitik im Zweiten Weltkrieg 1941-1945, Stuttgart 1975.

  5. Vgl. H. Graml (Anm. 2), S. 52ff.

  6. Zit. nach Thilo Vogelsang, Das geteilte Deutschland, in: Deutsche Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg, Bd. 2, Stuttgart 1973, S. 389.

  7. Vgl. Wolfgang Benz, Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft und Neuaufbau im Vier-Zonen-Deutschland, München 1986, S. 25ff.

  8. Der Text der zunächst akzeptierten Zusammenfassung Morgenthauscher Vorschläge in: Henry L. Stimson/McGeorge Bundy, On Active Service in Peace and War, New York 1948, S. 576f.; dazu Henry L. Morgenthau, Germany is our Problem, New York 1945; vgl. ferner Harry G. Gelber, Der Morgenthau-Plan, in: VfZ, 13 (1965) 4, S. 372-402.

  9. H. L. Stimson/McG. Bundy (Anm. 8), S. 576.

  10. Beate Ruhm von Oppen (Hrsg.), Documents on Germany ander Occupation 1945-1954, London 1955, S. 13.

  11. Vgl. Bodo Scheurig, Freies Deutschland. Das Nationalkomitee und der Bund Deutscher Offiziere in der Sowjetunion 1943-1945, München 1961.

  12. Vgl. Walrab von Buttlar, Ziele und Zielkonflikte in der sowjetischen Deutschlandpolitik 1945-1947, Stuttgart 1980.

  13. Vgl. Alfred Vagts, Unconditional Surrender -vor und nach 1943, in: VfZ, 7 (1959) 3, S. 280-309.

  14. Vgl. W. Benz (Anm. 7).

  15. Vgl. Otto Nübel, Die amerikanische Reparationspolitik gegenüber Deutschland 1941-1945, Frankfurt am Main 1980; Bruce Kuklick, American Policy and the Division of Germany. The Clash with Russia over Reparations, Ithaca-London 1972.

  16. Vgl. Klaus-Dietmar Henke, Die Trennung vom Nationalsozialismus. Selbstzerstörung, politische Säuberung, „Entnazifizierung“, Strafverfolgung, in: Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hrsg.), Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991, S. 21-83.

  17. Am 5. 8. 1947 vor den Ministerpräsidenten der US-Zone, zit. nach John Gimbel, Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945-1949, Frankfurt am Main 1971, S. 147.

  18. Vgl. Claus Scharf/Hans-Jürgen Schröder (Hrsg.), Die Deutschlandpolitik Frankreichs und die französische Zone 1945-1949, Wiesbaden 1983; Walter Lipgens, Bedingungen und Etappen der Außenpolitik de Gaulles 1944-1946, in: VfZ, 21 (1973) 1, S. 52-103.

  19. Vgl. hierzu das Standardwerk von Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1994.

  20. Vgl. Jean Edward Smith (Hrsg.), The Papers of General Lucius D. Clay. Germany 1945-1949, Bd. 1, Bloomington-London 1974, S. 8.

  21. S. J. Gimbel (Anm. 17), S. 16.

  22. Clay Papers (Anm. 20), S. 8.

  23. Vgl. H. Graml (Anm. 2), S. 110ff.

  24. Vgl. ebd.

  25. Vgl. J. Gimbel (Anm. 17), S. 50f.

  26. Vgl. Rolf Steininger, Reform und Realität. Ruhrfrage und Sozialisierung in der angloamerikanischen Deutschland-politik 1947/48, in: VfZ, 27 (1979) 2, S. 167-240; Günther J. Trittei, Die Bodenreform in der britischen Zone 1945-1949, Stuttgart 1975.

  27. Vgl. Eberhard Schmidt, Die verhinderte Neuordnung 1945-1952. Zur Auseinandersetzung um die Demokratisierung der Wirtschaft in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 1970.

  28. Vgl. Hermann Weber, Geschichte der DDR, München 1985; Dietrich Staritz, Die Gründung der DDR. Von der Besatzungsherrschaft zum sozialistischen Staat, München 1984.

  29. Vgl. Lucio Caracciolo, Der Untergang der Sozialdemokratie in der sowjetischen Besatzungszone. Otto Grotewohl und die „Einheit der Arbeiterklasse“, in: VfZ, 36 (1988) 2, S. 281-318; Reiner Pommerin, Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED. Eine britische Analyse vom April 1946, in: VfZ, 36 (1988) 2, S. 319-338.

  30. Vgl. OMGUS staff Conference, 16. 3. 1946, Archiv Institut

  31. Vgl. OMGUS staff Conference, 1. 6. 1946, ebd.

  32. Vgl. H. Graml (Anm. 2), S. 61 ff.

  33. Vgl. John Gimbel, Byrnes’ Rede und die amerikanische Nachkriegspolitik in Deutschland, in: VfZ, 20 (1972) 1, S. 39-62.

  34. Vgl. Christoph Kießmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Göttingen 1982.

Weitere Inhalte

Hermann Graml, geb. 1928; Studium der Geschichtswissenschaft, der Germanistik und der Politikwissenschaft in München und Tübingen; seit 1960 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeit-geschichte, München. Veröffentlichungen u. a.: Europa zwischen den Kriegen, München 1969, 1982; Die Alliierten und die Teilung Deutschlands. Konflikte und Entscheidungen 1941-1948, Frankfurt a. M. 1985; Europas Weg in den Krieg. Hitler und die Mächte 1939, München 1990; „Reichskristallnacht“. Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich, München 1988; (Hrsg.) Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten, Frankfurt a. M. 1994.