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Kohls knappster Sieg. Eine Analyse der Bundestagswahl 1994 | APuZ 51-52/1994 | bpb.de

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APuZ 51-52/1994 Kohls knappster Sieg. Eine Analyse der Bundestagswahl 1994 Auf einer Woge der Euphorie Veränderungen der Stimmungslage und des Meinungsklimas im Wahljahr 1994 Die Wähler der PDS bei der Bundestagswahl 1994. Zwischen Ideologie, Nostalgie und Protest Nichtwähler 1994. Eine Analyse der Bundestagswahl 1994 Die Wahlslogans von 1949 bis 1994

Kohls knappster Sieg. Eine Analyse der Bundestagswahl 1994

Matthias Jung/Dieter Roth

/ 29 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Mit einem denkbar knappen Vorsprung von nur 0, 3 Prozentpunkten haben die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP vor den im Parlament vertretenen Oppositionsparteien SPD, Grüne und PDS die Wahl am 16. Oktober gewonnen. 15 kleine und kleinste Parteien kamen insgesamt auf 3, 6 Prozent, davon als stärkste die Republikaner auf 1, 9 Prozent. Wegen der am gleichen Tag durch die Ergebnisse der Landtagswahlen im Saarland, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen nochmals bestätigten klaren Bundesratsmehrheit der SPD-regierten Länder bleibt der Spielraum für die Regierungsparteien, politische Änderungen herbeizuführen, äußerst begrenzt. Das Regieren ist schwieriger geworden. Die Situation für die FDP ist prekär, sie hat einen herben Verlust gegenüber 1990 hinnehmen müssen und besitzt eine ganz schwache Wählerbasis. Sie ist in zehn aufeinanderfolgenden Wahlen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und nur deshalb in den Bundestag eingezogen, weil sie in bisher nicht gekanntem Ausmaß von Unionsanhängern gewählt wurde (63 Prozent).

I. Einleitung

Schaubild 1: Zufriedenheit mit Regierung und SPD-Opposition (Mittelwerte +/— 5-Skala) Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer und Blitzumfrage vor der Bundestagswahl.

Die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP haben mit 0, 3 Prozentpunkten, dem kleinsten Vorsprung, der bisher bei Bundestagswahlen gemessen wurde, vor den im Bundestag vertretenen Oppositionsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS die zweite gesamtdeutsche Wahl am 16. Oktober 1994 gewonnen. 15 kleine und kleinste Parteien kamen insgesamt auf 3, 6 Prozent der gültigen Stimmen, darunter als stärkste die Republikaner mit 1, 9 Prozent. Durch zwölf Überhangmandate für die CDU und vier für die SPD, die nach dem Bundestagswahlrecht nicht ausgeglichen werden, hat sich die denkbar knappste Mandatsmehrheit der Regierung von zwei auf zehn erhöht. Eine Mehrheit von zehn Sitzen hatte 1976 auch die Koalitionsregierung von SPD und FDP unter Helmut Schmidt, allerdings nach einem Vorsprung von fast 2 Prozentpunkten bei der Wahl.

Das Regieren ist schwieriger geworden, für die Koalition aus CDU/CSU und FDP aber nicht unmöglich, wie die Wahl des Bundeskanzlers und die ersten Entscheidungen zeigen. Die starke Bundesratsmehrheit der SPD-regierten Länder hat sich durch die am 16. Oktober gleichzeitig durchgeführten Landtagswahlen im Saarland, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen eher noch stabilisiert.

Der Spielraum für die Regierungsparteien, politische Änderungen herbeizuführen, bleibt äußerst begrenzt. Für Diskussionsstoff innerhalb der Koalition sorgt die schwache Basis der FDP, die auch bei den Landtagswahlen 1995 in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin ein Scheitern der Liberalen an der 5-Prozent-Hürde möglich werden läßt; gleichzeitig hat sich aber die strategische Position der FDP innerhalb der Bonner Koalition eher verbessert, denn es gibt im Gegensatz zur letzten Legislaturperiode rechnerisch eine Mehrheit für eine Ampelkoalition. Aus einer Vielzahl von Gründen hat die Verwirklichung einer solchen Konstellation derzeit kaum eine Chance, aber als politische Spielmöglichkeit wird sie sicherlich im Laufe der nächsten Jahre bemüht werden.

Das Ergebnis der Bundestagswahl und die Fortführung der Regierung aus CDU/CSU und FDP bedarf nach den zum Teil schweren Verlusten der Unionsparteien bei den Landtagswahlen seit der letzten Bundestagswahl 1990 und der Serie von Niederlagen für die FDP, aber auch der schlechten Leistungsbeurteilung der Regierung über fast die gesamte Regierungszeit einer Erklärung. Waren es kurzfristige Faktoren der Beeinflussung von Wählerverhalten, wie die veränderte politische Agenda, die veränderte ökonomische Situation, sich verändernde Kompetenzzuschreibungen für die Lösung der anstehenden Probleme oder gar die Kandidaten, die es vermocht haben, der Regierung zu einem kleinen Vorsprung zu verhelfen? Oder gibt es sowieso eine strukturelle Mehrheit in der Bundesrepublik für eine bürgerliche Regierung, und ist es nur deshalb so eng geworden, weil die Folgen der Einheit zu einer partiellen Verunsicherung geführt haben? Haben wir es also eher mit einer Abweichung vom generellen Verhalten zu tun und pendelt sich dies nach Ablauf einer Anpassungszeit alles wieder ein?

Zwar werden Bundestagswahlen im Westen gewonnen, weil rein quantitativ der Osten nur ein Fünftel des gesamten Wahlkörpers ausmacht. Wenn aber die Veränderungen in Ostdeutschland unkalkulierbar werden, weil dort die Wähler ohne parteiliche Bindungen zu schnellen und häufigen Wechseln neigen, dann kommt bei relativ geringen Unterschieden zwischen Regierungs-und Oppositionsblock im Westen dem Osten doch eine große Bedeutung für das Gesamtergebnis zu: Die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP verloren im Westen weniger als ein Zehntel ihres Stimmenanteils von 1990, im Osten büßten sie mehr als ein Viertel ihrer Ausgangsbasis von vor vier Jahren ein.

Wahlen werden nur formal am Wahltag entschieden. Wahlergebnisse haben eine Geschichte, so auch die vom 16. Oktober; sie ist mindestens eine Legislaturperiode alt.

II. Die politische Ausgangslage dieser Wahl

Schaubild 2: Mit der Wirtschaft geht es wieder aufwärts (Zustimmung in Prozent der Befragten) Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer und Blitzumfrage vor der Bundestagswahl.

Die Enttäuschung der Wähler, insbesondere in den neuen Ländern, nach der letzten Bundestagswahl war groß und setzte früh im Jahr 1991 ein. Die Hoffnungen auf schnellen wirtschaftlichen Aufschwung und auf Angleichung an die wirtschaftlichen Verhältnisse im Westen waren durch die Versprechungen der Politiker im Wahlkampf 1990 noch genährt worden. Das Gefühl, daß die Wünsche der Bevölkerung nach gewonnener Wahl nicht mehr so wichtig waren (Steuerlüge), führte insbesondere im Osten, abgemildert aber auch im Westen sehr schnell zu einer schlechten Beurteilung der Regierung. Daraus konnte die Opposition zunächst Nutzen ziehen, was dem normalen Wechselspiel in einer funktionierenden Demokratie entspricht. Die Opposition löste bereits im Januar 1991 in Hessen mit einem knappen Sieg, dann in Rheinland-Pfalz im April sehr viel eindeutiger die CDU-geführten Regierungen ab und war auch bundesweit klar im Aufschwung (s. Schaubild 1).

Das Thema „deutsche Einheit“ beherrschte nach wie vor die politische Agenda. Allerdings stand dabei nicht die Euphorie über die erreichte Einheit der Nation wie vor der Wahl 1990 im Vordergrund, sondern die Lasten der Einheit, im Osten die aus der Sanierung der Großbetriebe erwachsene Arbeitslosigkeit, im Westen die Erhöhung von Steuern und Abgaben. Die Regierung hatte in dieser Zeit hohe Vertrauensverluste, aber auch die zum Zeitpunkt der Wahl zugeordnete Kompetenz in Wirtschaftsfragen litt sehr deutlich, im Osten noch eindeutiger als im Westen.

Im Spätsommer 1991 trat mit den spektakulären Übergriffen rechtsradikaler Randgruppen auf Ausländer und Asylbewerber dieser latent vorhandene Problemkomplex, der durch die Entwicklung zur deutschen Einheit weitgehend zugedeckt worden war, erneut ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Zwar führten die Übergriffe zu einer wachsenden Solidarisierung der Bevölkerung mit Ausländern, gleichzeitig wurde aber die Lösung des Asylproblems aus der Sicht der Wähler immer dringlicher. Ende 1991 kamen sich Regierung und Opposition bei der Lösung dieses Problems deutlich näher, wahltaktische Überlegungen zu den anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein verhinderten jedoch einen Kompromiß. Die Wähler reagierten heftig. Regierung und Opposition gerieten von Anfang 1992 an in ein bis dahin nie gemessenes Stimmungstief, das letztlich für die Regierung bis zum Herbst 1993 anhielt, aber fast genauso die Opposition traf, dienicht mehr als Alternative betrachtet wurde. Dies ist die Phase, in der man zu Recht von Parteien-und Politikerverdrossenheit spricht. In den Frühjahrswahlen 1992 in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein mußten beide großen Parteien empfindliche Verluste hinnehmen. In Baden-Württemberg traf es vor allem die CDU, die nach der Wahl in eine große Koalition gezwungen wurde, in Schleswig-Holstein die SPD. Die Distanz der Bevölkerung gegenüber den Parteien wuchs. Den Parteien wurden zusehends weniger Fähigkeiten zugeschrieben, die anstehenden Probleme zu lösen. Asyl und Ausländer war im Westen der Republik das absolut dominierende Thema vom Herbst 1991 bis zum Sommer 1993. Im Osten war über die gesamte Legislaturperiode die Arbeitslosigkeit konstant das Problem Nummer eins, seit 1993 stärker als je zuvor. Anfang des Jahres 1993 gewann auch im Westen das Problem Arbeitslosigkeit an Bedeutung, das schließlich ab Herbst die politische Agenda anführte und von diesem Zeitpunkt an das beherrschende Thema bis zur Bundestagswahl blieb.

Nach der Wahl in Hamburg im Herbst 1993, dem Tiefpunkt der Leistungsbeurteilung der Regierung, hat diese sich praktisch von Monat zu Monat erholt. Die steilsten Aufwärtsentwicklungen gibt es einmal im Frühsommer 1994 und nochmals nach der Sommerpause bis zur Wahl. Die Regierung erreicht zwar nicht ihr Ausgangsniveau vom Dezember 1990, schafft es aber doch in weniger als einem Jahr, die Zweifel an ihrer Durchsetzungsfähigkeit und Lösungskompetenz weitgehend zu beseitigen. Noch zum Anfang dieses Jahres schienen die Regierungsparteien kaum in der Lage, ihre Mehrheit zu verteidigen. Die Unionsparteien waren von herben Verlusten bedroht, die FDP im Verhältnis zu 1990 etwa halbiert. Dagegen schien die SPD die Chance zu haben, stärkste Partei zu werden; die Grünen waren nahe an einem zweistelligen Ergebnis und die extreme Rechte wie auch die PDS ohne Chance. Der Regierungswechsel schien programmiert.

III. Die wirtschaftliche Lage und die wirtschaftlichen Erwartungen

Tabelle 1: Parteianteile nach Alter und Geschlecht (in Prozent) Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Befragung am Wahltag (n = 17708).

Wenn auch der empirische Nachweis über den genauen Einfluß der wirtschaftlichen Faktoren auf das Wahlverhalten nur schwer zu führen ist, so besteht doch Übereinstimmung darin, daß die ökonomische Statusverbesserung, zumindest aber die Statussicherung, eine der wichtigsten individuellen Zielsetzungen darstellt und die Verfolgung dieses Ziels auch das politische Verhalten des einzelnen beeinflußt. Daß die Deutschen insgesamt eine erfolgsorientierte Gesellschaft sind, haben bereits Almond und Verba in den sechziger Jahren festgestellt. Daß diese Feststellung nicht revidiert werden muß, haben die Ostdeutschen durch ihr Wahl-verhalten bei den ersten freien Wahlen in der DDR und auch danach mehrfach bewiesen und die Westdeutschen in der Diskussion um die Lasten der Einheit weiterhin bestätigt. Über die Hälfte der Wähler geht davon aus, daß ihre persönliche wirtschaftliche Situation davon beeinflußt ist, wer in Bonn regiert. Zumindest die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns sind durch politische Entscheidungen beeinflußbar, und die geschilderte politische Agenda macht deutlich, daß ökonomische Probleme und deren Lösungen mehr denn je im Vordergrund stehen. 63 Prozent der Westdeutschen und 75 Prozent der Ostdeutschen nannten in der Woche vor der Wahl auf eine offene Frage nach dem wichtigsten Problem in Deutschland (zwei Antworten waren möglich) Arbeitslosigkeit als das wichtigste Problem. Zu Beginn der Legislaturperiode 1991 kamen 17 Prozent der Westdeutschen und 68 Prozent der Ostdeutschen zu diesem Schluß.

Die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage hat mehrere Komponenten. Es geht dabei zunächst um die Einschätzung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage. Die Informationen hierzu werden in der Regel durch die Medien vermittelt oder über glaubwürdige Agenten, z. B. Experten, aber auch über Parteien bzw.deren Repräsentanten. Die Beurteilung der eigenen wirtschaftlichen Lage beruht auf eigenen Wahrnehmungen. Diese sind in der Regel überzeugender und auch stabiler. Beide Komponenten haben eine Gegenwarts-und eine Zukunftsdimension.

Die allgemeine wirtschaftliche Lage wurde von 75 Prozent der Westdeutschen im Januar 1991 als gut bezeichnet. Danach setzte parallel zum Bedeutungszuwachs der Arbeitslosigkeit aus der Sicht der Wähler eine stetige Abwärtsentwicklung ein. Mitte 1993 meinten gerade noch 10 Prozent, die wirtschaftliche Lage sei gut. Seit dem Frühjahr 1994 verbessert sich die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage wieder. In der Woche vor der Bundestagswahl sagten 24 Prozent, die Lage sei gut. Im Osten unterlag die Beurteilung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage sehr viel geringeren Schwankungen. Sie wurde nach einer leichten relativen Verbesserung im Januar 1991 für einen Zeitraum von etwa zwei Jahren konstant überwiegend als schlecht bezeichnet. Erst seit Beginn des Jahres 1994 wurde sie tendenziell weniger schlecht beurteilt. Zu allen Zeitpunkten wurde sowohl im Osten als auch im Westen die persönliche wirtschaftliche Lage durch die Befragten ungleich besser und mit relativ geringen Veränderungen bewertet, wobei im Westen über die gesamte Beobachtungsperiode die Bewertung tendenziell leicht nach unten zeigt, im Osten nach oben. Wichtig erscheinen aber in diesem Zusammenhang die Erwartungen des Wähler, ob und wann die ökonomische Krise überwunden werden kann.

Mit Anworten auf die schlichte Frage: Was meinen Sie, geht es mit der Wirtschaft in Deutschland zur Zeit wieder aufwärts, oder meinen Sie das nicht? kann einer der wichtigsten Gründe für den Stimmungsumschwung in der Wählerschaft nachgezeichnet werden. Von Februar 1994 an glaubten immer mehr Wähler sowohl im Westen als auch im Osten an den wirtschaftlichen Aufschwung (s. Schaubild 2).

Diese Entwicklung setzte zu einem Zeitpunkt ein, zu dem es noch kaum diese Meinung unterstützende Informationen in den Medien gab. Die Bestätigungen eines positiven Trends wurden erst im April und Mai über offizielle unabhängige Gutachten und die Veröffentlichungen der statistischen Wirtschaftsdaten des ersten Quartals geliefert. Diese haben die perzipierte Aufwärtsbewegung dann noch verstärkt. Mit den Erwartungen eines Wirtschaftsaufschwungs hat sich aber vor allem die Beurteilung der Kompetenz für die Lösungen wirtschaftlicher Probleme zugunsten der Regierungsparteien verändert. Diese Wirtschaftskompetenz hatten die Regierungsparteien im Osten bereits im Frühjahr 1992, im Westen im Herbst 1993 an eine SPD-geführte alternative Regierung abgetreten. Im April 1994 gewann die Regierung die Kompetenz zunächst im Westen, im Mai dann auch im Osten wieder zurück und hat sie nicht mehr abgegeben, sondern zumindest im Westen noch ausgebaut. Parallel zu dieser Entwicklung stieg die Unterstützung für die Unionsparteien und auch die Zufriedenheit mit der Regierung deutlich an.

Gleichzeitig aber gibt es am Arbeitsmarkt keineswegs Entspannung, die Arbeitslosigkeit hat im Bewußtsein der Wähler eher an Bedeutung zugenommen. Zwei ökonomische Zielsetzungen, Wirtschaftsaufschwung und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, partiell im Konflikt stehend und die beiden großen Parteien unterschiedlich begünstigend, beherrschen damit den Wahlkampf. Der SPD gelang es dabei offensichtlich nicht, die sich aus der ökonomischen Entwicklung ergebendenFragen der sozialen Gerechtigkeit überzeugend für die Wählerschaft zu artikulieren. Zwar wird der SPD die Kompetenz zur Lösung des Arbeitslosenproblems eher zugeschrieben als den Regierungsparteien, aber über die Mobilisierung ihrer Stammklientel hinaus kann sie daraus keinen Nutzen ziehen. Zwar wurde das Thema Arbeitslosigkeit als das mit weitem Abstand wichtigste politische Problem bezeichnet, aber lediglich 13 Prozent der berufstätigen Westdeutschen hielten ihren • Arbeitsplatz für gefährdet. Damit war die Arbeitslosigkeit in Deutschland zwar als wichtigstes Problem anerkannt, für das individuelle Kalkül der meisten Wähler spielte sie jedoch keine unmittelbare Rolle.

IV. Andere politische Probleme

Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Befragung am Wahltag (n = 17708). Tabelle 2: Parteianteile in den Berufsgruppen (in Prozent)

Andere zur Lösung anstehende Probleme waren in dieser Auseinandersetzung um wirtschaftliche Ziele deutlich in den Hintergrund gerückt. Ausländerproblematik und Asylbewerber, nach dem Asylkompromiß weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden oder zum Alltag geworden, nannten nur noch 17 Prozent in der Woche vor der Wahl als wichtigstes Problem, Kriminalität 11 Prozent, Umweltschutz 10 Prozent und ebenso viele den Wohnungsmarkt (10 Prozent). Das Asyl-und Ausländerthema wurde dabei im Westen ungleich häufiger genannt (19 Prozent) als im Osten (9 Prozent). Unterschiede ergeben sich auch bei den Themen Kriminalität und Umweltschutz. Die innere Sicherheit spielt im Osten (22 Prozent) eine weitaus größere Rolle als im Westen (8 Prozent). Beim Umweltschutz ist das bekanntermaßen umgekehrt, im ökonomisch besser ausgestatteten Westen nennen das Thema 11 Prozent, im Osten, wo man mit Problemen grundsätzlicher wirtschaftlicher Umstrukturierung kämpft, nennen es nur 4 Prozent.

Bei den Kompetenzzuordnungen für eine befriedigende Asyl-und Ausländerpolitik liegen eine unionsgeführte und eine SPD-geführte Regierung nahezu gleichauf. Auf dem Gebiet der inneren Sicherheit verfügt die Union über einen Kompetenzvorteil gegenüber der SPD (25 Prozent : 16 Prozent), allerdings trauen viele (35 Prozent) beiden großen Parteien die Lösung der Kriminalitätsprobleme zu, 19 Prozent erwarten dies von keiner der beiden möglichen Regierungen. Eine effiziente Umweltpolitik versprechen sich deutlich mehr Wähler von einer SPD-geführten Regierung (38 Prozent) als von einer unionsgeführten (13 Prozent). Auch bei der Lösung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt liegt die SPD (42 Prozent) weit vor der Union (17 Prozent).

Insgesamt schneidet die SPD bei der Kompetenz-beurteilung für die Lösung wichtiger anstehender Probleme gut ab, was sicherlich ein wesentlicher Grund für ihre Stimmengewinne war. Wahlentscheidend war jedoch der sich abzeichnende ökonomische Aufschwung, der als Erfolg der Regierung gewertet wurde und insbesondere der Union zugute kam. Die Regierung konnte also erneut, wie in den Wahlkämpfen 1983 und 1987, die ökonomische Karte spielen, und sie gewann. 1990 mußte sie diese Karte nicht zücken, die Einheit war ausreichend, um die Wahl zu gewinnen.

V. Die Kanzlerkandidaten

Tabelle 3: Parteianteile bei den Arbeitern West und Ost (in Prozent) Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Befragung am Wahltag (n = 17708).

In der klassischen Lehre der Einflußfaktoren auf Wahlverhalten (Michigan-Schule) spielen neben der Parteibindung und den politischen Problemen sowie ihren Lösungsmöglichkeiten durch die Parteien die Kandidaten eine wichtige Rolle. Ihr Gewicht kann von Wahl zu Wahl unterschiedlich sein. Zwar wird in der Regel der Einfluß, der von Personen auf die Wahlentscheidung ausgeht, von den Medien und den Politikern selbst überschätzt, aber ohne Zweifel hat die Entwicklung in den Medien in den letzten Jahren zu einer Vergrößerung der Chancen geführt, über Personen Politik darzustellen und stärker emotionale Momente oder Identifikationsstrategien mit den Führungspersonen in den Vordergrund zu stellen. Dabei spielt das Fernsehen eine beherrschende Rolle, weil es für die überwiegende Mehrheit in der Bevölkerung politisches Informationsmedium, zum Teil sogar einziges Medium ist. Das Fernsehen räumt dabei, weil es Bilder präsentieren muß, den Spitzenkandidaten der Parteien große Möglichkeiten der Darstellung ein. Weil das Fernsehen die Komplexität von Politik reduzieren muß, bedient es sich dabei der Politiker als professioneller Vereinfacher.

Bereits die Wahl 1990 war eine Ausnahmesituation in dieser Beziehung, weil mit dem Ereignis der Einheit Deutschlands eine starke Bereitschaft der Wähler zur Aufnahme politischer Informationen da war und gleichzeitig dem Bundeskanzler als Amtsinhaber eine herausragende Rolle zufiel. Helmut Kohl gewann in dieser Zeit das Ansehen eines Staatsmannes, der über den Parteien stand, im Gegensatz zu seiner früheren Beurteilung alsParteiführer, der die Lager deutlich trennte. Nach der Wahl holte die Enttäuschung über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Einheit Kohl relativ schnell wieder von diesem hohen Sockel. Er geriet vom Frühjahr 1991 an in ein Dauertief, und die alten Beurteilungsgegensätze von Anhängern und Gegnern galten wieder. Erst seit Beginn des Jahres 1994 hat sich das Ansehen Helmut Kohls systematisch von Monat zu Monat verbessert. Das gilt sowohl für die eigene Anhängerschaft als auch für die Anhänger anderer Parteien. Er erreichte in einer Aufholjagd, die keinen Vergleich hat, schließlich seinen Herausforderer im Mai, überholte ihn, und erst kurz vor der Wahl konnte Rudolf Scharping wieder etwas aufschließen.

Helmut Kohl war auch 1994 ein ganz wichtiger Faktor für das Erreichen der Regierungsmehrheit. Er hat alle Chancen, die es in diesem Wahljahr gab, genutzt, um deutlich zu machen, daß er ein starker und energischer politischer Führer ist. Seine optimistische Sicht der ökonomischen und politischen Entwicklungen und seine Fähigkeit, seine Anhängerschaft und darüber hinaus auch andere Menschen von einem Aufwärtstrend zu überzeugen, wenn objektiv nur wenige Anzeichen dafür vorliegen, ist einmalig. Sicherlich waren die Erwartungen einer positiven ökonomischen Entwicklung in der Bevölkerung für ihn von großer Hilfe, aber schließlich hat er sie durch ungebrochenen Optimismus zum Teil selbst initiiert. Im Mai schließlich gewann Helmut Kohl praktisch alle wichtigen Führungseigenschaften eines Politikers, die er im Laufe des Jahres 1993 an Rudolf Scharping hatte abgeben müssen, wieder zurück. Vom Frühsommer 1994 an galt Helmut Kohl wieder als führungsstärker, tatkräftiger und verantwortungsbewußter als Rudolf Scharping. Es ist vielleicht weniger verwunderlich, daß man Kohl eher die Fähigkeit zuschreibt, die deutschen Interessen im Ausland besser vertreten zu können als Rudolf Scharping, und vielleicht auch noch, daß der Kanzler besser eine Regierung führen kann, aber eben auch bei den Eigenschaften Tatkraft und Verantwortungsbewußtsein führte Helmut Kohl klar. So verbleibt Rudolf Scharping nur ein großer Vorsprung bei dem Attribut, sozialer eingestellt zu sein, und ein kleiner Vorsprung darin, als der ehrlichere Politiker angesehen zu sein, was aber offensichtlich im politischen Geschäft nicht allzuviel bedeutet. Selbst Scharpings Schattenkabinett hat nicht so hohe Zustimmung wie das Regierungsteam von Kohl. Als Siegertyp sehen schließlich Kohl insgesamt 61 Prozent aller Deutschen, und sogar eine Mehrheit der SPD-Anhänger (52 Prozent) ist dieser Meinung, und das war er schließlich auch.

Trotz des gestiegenen Einflusses von kurzfristigen Bestimmungsfaktoren des Wahlverhaltens, die sich ab Frühjahr 1994 zugunsten der Regierung entwikkelt haben, hätte die Union ohne ihre strukturelle Basis wohl kaum ihre Position als stärkste Partei verteidigen können. Die Frage ist also, wie es um die Konstanz des Wahlverhaltens in den den Parteien nahestehenden sozialen Gruppen bestellt ist.

VI. Konstanz und Wandel im Wahlverhalten sozialer Gruppen

Tabelle 4: Parteianteile in traditionellen Wählermilieus (in Prozent) Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Befragung am Wahltag (n = 14478).

Die Analyse der sozialstrukturellen Abhängigkeit des Wahlverhaltens zeigt zum einen, inwieweit in Westdeutschland traditionelle Bindungen an die beiden großen Volksparteien in den ihnen nahestehenden Milieus noch vorhanden sind und inwieweit sich ihre Bedeutung für das Gesamtergebnis der Parteien in Anbetracht der fortschreitenden Auflösung dieser Milieus verändert hat. Zum anderen wird untersucht, ob in Ostdeutschland mehr als vier Jahre nach der ersten freien Wahl bereits vergleichbare politische Orientierungsmuster erkennbar sind. Dabei wird auf die Ergebnisse der Befragung am Tag der Bundestagswahl der Forschungsgruppe Wahlen zurückgegriffen, an der sich in Westdeutschland 14478 und in Ostdeutschland 5458 Wähler beteiligt haben. Für die gesamtdeutsche Auswertung wurden die Umfrageergebnisse so gewichtet, daß der Anteil der Befragten in Ost-und Westdeutschland den tatsächlichen Bevölkerungsstärken entspricht. Dadurch ergeben sich rechnerisch 17708 Befragte. 1. Alter Ähnlich wie bei der letzten Bundestagswahl 1990 ist die SPD auch jetzt wieder in den Altersgruppen der unter 35jährigen stärkste Partei, während die Union bei den über 44jährigen klar dominiert. In der Gruppe der 35-bis 44jährigen liegen SPD und Union fast gleichauf. Während die SPD bei den 25-bis 34jährigen ihr bestes Ergebnis erzielt (39 Prozent), schneidet die CDU/CSU mit 50 Prozent bei den Befragten ab 60 Jahren am besten ab. Auch bei den Grünen stellt sich das gewohnte Bild ein: Je jünger die Wähler sind, desto besser die Ergebnisse für die Grünen. In der jüngsten Altersgruppe kommen sie auf 14 Prozent, bei den über 60jährigen lediglich auf 3 Prozent. Bei der FDP hingegen gibt es keinen deutlichen Zusammenhang zwischen Alter und Wahlverhalten (s. Tabelle 1).Interessant sind in diesem Zusammenhang die Unterschiede zwischen Ost-und Westdeutschland. Während die SPD bei den 35-bis 44jährigen im Westen vor der CDU/CSU liegt (39 Prozent : 36 Prozent), ist die CDU im Osten in dieser Altersgruppe die stärkste Partei (38 Prozent : 32 Prozent). In Ostdeutschland zeigt sich zudem ein deutlicher Alterseffekt bei der PDS: Je jünger die Wähler sind, desto besser die PDS-Ergebnisse. So erreicht die PDS bei den unter 35jährigen ein Ergebnis von 23 Prozent, bei den Wählern über 60 Jahren kommt sie lediglich auf 17 Prozent. 2. Geschlecht Während es insgesamt beim Wahlverhalten keine großen Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt, zeigen sich beachtenswerte Differenzen bei allen Parteien, mit Ausnahme der FDP, sobald man sich das geschlechtsspezifische Verhalten in den einzelnen Altersgruppen näher betrachtet. So erzielt die CDU/CSU bei den unter 35jährigen Frauen deutlich schlechtere Ergebnisse als bei den entsprechenden Altersgruppen der Männer, bei den über 34jährigen ist es umgekehrt: Hier kommt die Union bei den Frauen auf teilweise deutlich bessere Werte als bei den jeweils gleichaltrigen Männern. Ihr schlechtestes Ergebnis erzielt die Union bei den Frauen von 25 bis 34 Jahre (29 Prozent), ihr bestes Ergebnis bei den Frauen ab 60 Jahre (53 Prozent). Bei der SPD ist es jeweils genau umgekehrt: Bei den jungen Frauen schneidet sie besser, bei den älteren schlechter ab als in den entsprechenden männlichen Altersgruppen. Die SPD erhält ihr bestes Ergebnis bei den 25-bis 34jährigen Frauen (43 Prozent), ihr schlechtestes Ergebnis bei den Frauen ab 60 Jahren (32 Prozent).

Die relativ großen Defizite der Union bei den jüngeren Frauen haben bereits eine gewisse Tradition. So erreichte die Union bei den 18-bis 24jährigen Frauen seit 1972 jeweils nur ein Ergebnis, das zwischen 7 Prozentpunkten (1983) und 10 Prozentpunkten (1980 und 1994) unter ihrem Gesamtergebnis in Westdeutschland lag. Allerdings war der Abstand zwischen Männern und Frauen in der jüngsten Altersgruppe noch nie so groß wie bei dieser Wahl. Ebenfalls erstmals ist bei dieser Bundestagswahl ein so großer geschlechtsspezifischer Effekt beim Unionsergebnis der 25-bis 34jährigen zu beobachten. Die Grünen erreichen bei den Frauen in allen Altersgruppen jeweils bessere Ergebnisse als bei den Männern. Besonders dramatisch fallen die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den PDS-Ergebnissen in Ostdeutschland unter den Wählern ab 60 Jahren aus: Hier erreicht die PDS bei den Männern ein Ergebnis von 23 Prozent und bei den Frauen lediglich eines von 13 Prozent. Bei den unter 45jährigen hingegen schneidet sie bei den Frauen jeweils etwas besser ab als bei den gleichaltrigen Männern.

Bei der Interpretation dieser Ergebnisse muß man berücksichtigen, daß die Altersgruppen nicht alle gleich groß sind. So stellt die Gruppe der Wähler ab 60 Jahre mit 28 Prozent den größten Anteil an der Wählerschaft insgesamt, gefolgt von den 45-bis 59jährigen, die noch einmal 27 Prozent aller Wähler bei der Bundestagswahl ausmachen. Somit sind 55 Prozent der Wähler älter als 44 Jahre. Im Vergleich dazu stellen die unter 25jährigen nur jeden zehnten Wähler.

So sind bei der Union 63 Prozent der Wähler 45 Jahre und älter, aber nur 25 Prozent bei den Grünen. Umgekehrt rekrutieren sich 20 Prozent der Wähler der Grünen aus der Gruppe der 18-bis 24jährigen, aber nur 8 Prozent der Unionswähler sind aus dieser Altersgruppe. Ein Vergleich der Zusammensetzung der Wählerschaft von Grünen und PDS macht deutlich, daß trotz guter Ergebnisse der PDS bei den jüngeren Wählern die Grünen nach wie vor die Partei der Jungen geblieben sind. So sind 51 Prozent der Wähler der Grünen jünger als 35 Jahre, während es bei der PDS lediglich 35 Prozent sind. 3. Berufsgruppen Neben den demographischen Faktoren Alter und Geschlecht spielt bei Wahlen in der Bundesrepublik die Sozialstruktur eine wichtige Rolle. Als wichtigste Determinanten haben sich dabei in den vergangenen Jahrzehnten in Westdeutschland die Berufs-und konfessionelle Struktur herauskristallisiert. So konnte die SPD in der Vergangenheit im Westen in der Arbeiterschaft zumeist weit überproportionale Stimmenanteile erzielen, die Union war demgegenüber bei Landwirten und Selbständigen besonders erfolgreich. Sowohl bei der Volkskammerwahl als auch bei der nachfolgenden Bundestagswahl war es entgegen den traditionellen Mustern der CDU in Ostdeutschland allerdings gelungen, bei den Arbeitern jeweils deutlich besser abzuschneiden als in der Gesamtheit.

Dieser allgemeine Trend findet sich auch bei den Ergebnissen der Bundestagswahl 1994 (s. Tabelle 2). So erzielt die SPD bei den Arbeitern mit 45 Prozent ein deutlich überdurchschnittliches Ergebnis und ist dort stärkste Partei vor der Union mit 37 Prozent, während FDP und Grüne hier deutlich unter ihrem Gesamtergebnis bleiben. Bei den Angestellten, die die größte Berufsgruppe überhaupt stellen, liegt die Union mit 38 Prozent knapp vor der SPD, die hier genauso abschneidet wie in der Gesamtheit aller Wähler. Die kleineren Parteien erreichen hier durchweg etwas günstigere Ergebnisse im Vergleich zu ihrem Gesamtergebnis. Bei den Beamten erzielt die Union mit 43 Prozent ein leicht überdurchschnittliches Ergebnis, die SPD liegt mit 33 Prozent deutlich dahinter, sehr viel besser als in der Gesamtheit schneiden hier mit 11 Prozent die Grünen ab. Die Selbständigen hingegen sind die Domäne der CDU/CSU (52 Prozent), wobei zusätzlich die FDP (15 Prozent) hier mehr als doppelt so gute Ergebnisse erzielt wie in der Gesamtheit aller Wähler. Bei der allerdings sehr kleinen Gruppe der Landwirte erreicht die Union fast eine Zweidrittelmehrheit.Mitentscheidend für den knappen Sieg der Bonner Regierungskoalition war das Wahlverhalten der Arbeiter in Ostdeutschland. Im Gegensatz zu der aus dem Westen bekannten traditionellen Orientierung der Arbeiter zugunsten der SPD, die dort auch jetzt mit 50 Prozent der Stimmen deutlich vor der Union liegt (35 Prozent), konnte die CDU in Ostdeutschland mit 41 Prozent bei den Arbeitern die SPD im Osten wieder klar auf Platz 2 verweisen (35 Prozent) (s. Tabelle 3). Bei der letzten Bundestagswahl hatte allerdings die Union bei den Arbeitern im Osten noch einen Vorsprung von 25 Prozentpunkten vor der SPD erreicht. 4. Konfession Bei den Katholiken erreichen die Unionsparteien traditionell ihre besten Ergebnisse. Durch das Hinzukommen der neuen Bundesländer, in denen eine deutliche Mehrheit keiner Konfession angehört, hat sich jedoch der Anteil der Katholiken an der Gesamtwählerschaft merklich reduziert. Nach wie vor aber wird die CDU/CSU von den Katholiken mit 52 Prozent deutlich häufiger gewählt als von den Protestanten (39 Prozent) und erst recht von denjenigen, die keiner Kirche angehören (29 Prozent). Bei der SPD sind die Unterschiede etwas geringer: Während sie bei den Konfessionslosen ein durchschnittliches Ergebnis erzielt, schneidet sie bei den Protestanten etwas überdurchschnittlich und bei den Katholiken unterdurchschnittlich gut ab. Eher vernachlässigbar sind die Unterschiede bei der FDP und bei den Grünen, die am besten bei den Wählern ohne Kirchenzugehörigkeit abschneiden. Die Partei der Konfessionslosen ist aber eindeutig die PDS, die hier auf 17 Prozent kommt, was in erster Linie eine Folge der unterschiedlichen Anteile derjenigen Wähler in West-und Ostdeutschland ist, die keiner Kirche angehören. So gibt es im Osten nicht nur relativ, sondern auch absolut mehr Konfessionslose als im Westen. Nur auf den Osten bezogen hat die PDS in dieser Gruppe 25 Prozent. 5. Traditionelle Wählermilieus Die relativ große politische Stabilität der Wahlergebnisse bei Bundestagswahlen wird sehr oft durch die stabile Präferenz innerhalb großer sozialer Gruppen für die großen Volksparteien erklärt, die diesen einen bedeutenden Grundsockel an Wählerstimmen garantiert. Relevant in diesem Zusammenhang sind zum einen die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft für die SPD und zum anderen die Katholiken mit einer ausgeprägten Kirchenbindung. Im Osten Deutschlands konnten sich bisher solche Stammwählerschaften für einzelne Parteien aus einer Vielzahl von Gründen nicht etablieren. Im Westen Deutschlands erzielt die SPD bei den Arbeitern ein Ergebnis von 50 Prozent, bei den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern kommt sie auf 60 Prozent. Damit kann sie nahtlos an die Ergebnisse aus den siebziger und achtziger Jahren in dieser Gruppe anschließen. Die CDU/CSU ist in der Gruppe der Katholiken mit starker Kirchen-bindung im Vergleich zu den vorausgegangenen Bundestagswahlen fast unverändert erfolgreich. Ihr Ergebnis bei dieser Wahl liegt bei 74 Prozent (s. Tabelle 4). Obwohl somit die beiden großen Volksparteien in ihren wichtigsten Stammwählergruppen jeweils wieder weit überdurchschnittliche Ergebnisse erreichten, nimmt in der längerfristigen Betrachtung die Bedeutung dieser Stammwählerschaften für die Union bzw. SPD weiter ab, da die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter sowie die der Katholiken mit einer starken Kirchenbindung weiter dramatisch zurückgehen. So haben die DGB-Gewerkschaften allein zwischen 1991 und 1994 zwei Millionen Mitglieder verloren. Bei dieser Bundestagswahl stellen die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter lediglich noch 13 Prozent aller SPD-Wähler, alle gewerkschaftlich Organisierten 28 Prozent. Bei der Union machen die Katholiken mit einerstarken Kirchenbindung lediglich noch 18 Prozent aller CDU/CSU-Wähler in Westdeutschland aus. In Deutschland insgesamt beträgt ihr Anteil an den Unionswählern sogar nur noch 14 Prozent. Bei der Bundestagswahl 1976 betrug der Anteil der Katholiken mit einer starken Kirchenbindung am Wahlergebnis der CDU/CSU, das damals mit 48, 8 Prozent deutlich über dem jetzigen lag, noch 37 Prozent. Somit sind auch die großen Volksparteien zunehmend darauf angewiesen, die meisten ihrer Stimmen aus dem Lager der potentiellen Wechselwähler zu gewinnen.

Im Osten Deutschlands haben diejenigen, die überhaupt einer Kirche angehören, eine ähnliche Funktion wie die Katholiken mit Kirchenbindung im Westen. Dies hängt damit zusammen, daß die Konfessionszugehörigkeit in Ostdeutschland eher die Ausnahme ist und somit in der Regel die Kirchenzugehörigkeit als solche schon eine starke Bindung signalisiert. Während die Union im Westen bei den Katholiken ein um 10 Prozentpunkte über dem Durchschnitt liegendes Ergebnis erreicht, kommt sie bei den wenigen Katholiken im Osten auf 69 Prozent und liegt damit hier um 30 Prozentpunkte über ihrem Ost-Ergebnis. Bei den Protestanten, bei denen die Union im Westen 5 Prozentpunkte schlechter abschneidet als insgesamt, erzielt die CDU in Ostdeutschland 53 Prozent und damit 14 Prozentpunkte mehr als im Osten insgesamt. Insofern hat das Wahlergebnis der Union im Osten eine sehr starke konfessionelle Komponente, die dort naturgemäß eher protestantisch geprägt ist.

VII. Stimmensplitting

Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Befragung am Wahltag (n = 17708). Tabelle 5: Welchen Kandidaten haben Sie gerade mit Ihrer Erststimme gewählt?

Bei den großen Parteien haben außerordentlich viele Wähler diese Parteien mit beiden Stimmen unterstützt: 95 Prozent der Wähler von CDU undCSU haben auch die Kandidaten dieser Partei gewählt, bei den SPD-Wählern lag der entsprechende Anteil bei 91 Prozent (vgl. Tabelle 5). Ein ganz anderes Bild ergibt sich bei den Wählern, die mit ihrer Zweitstimme die FDP gewählt haben: Hier finden die Kandidaten der Unionsparteien mit 55 Prozent eine deutlich größere Unterstützung als die FDP-Kandidaten, die lediglich auf 32 Prozent kommen. Bei der letzten Bundestagswahl hatte lediglich ein Drittel der FDP-Wähler die Kandidaten der Unionsparteien mit ihrer Erststimme unterstützt, und mehr als die Hälfte hatte damals auch mit der Erststimme die FDP-Kandidaten gewählt. Bei den Wählern der Grünen stimmten jetzt 56 Prozent auch für die Kandidaten dieser Partei, während 33 Prozent die SPD-Vertreter unterstützten. Von den PDS-Wählern insgesamt in Deutschland stimmten 74 Prozent auch für die PDS-Kandidaten, 17 Prozent wählten die SPD-Bewerber.

Insgesamt fallen keine wesentlichen Unterschiede im Splitting-Verhalten zwischen West-und Ostdeutschland auf; mit einer Ausnahme: Im Osten Deutschlands wählten 7 Prozent derjenigen, die der SPD ihre Zweitstimme gaben, mit ihrer Erst-stimme den PDS-Kandidaten. Wie unsere gesonderte Wahltagsbefragung für die fünf Wahlkreise im Osten Berlins zeigt, haben dort sogar 17 Prozent der SPD-Zweitstimmen-Wähler, das entspricht knapp 6 Prozent der gültigen Stimmen, die PDS-Kandidaten gewählt und ihnen damit zum entscheidenden Durchbruch verhelfen. Insofern verdankt die PDS der Unterstützung durch einen nicht unerheblichen Teil der SPD-Wähler im Osten Berlins den Einzug in den Bundestag. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, daß 12 Prozent der CDU-Zweitstimmen-Wähler in Berlin-Ost mit ihrer Erststimme die SPD-Kandidaten gewählt haben, da dies aufgrund der dortigen Schwäche der CDU nur gut 2 Prozent aller gültigen Stimmen entspricht.

VIII. Wahlbeteiligung

Aus der neueren Diskussion um die gestiegene Zahl der Nichtwähler und um die Gründe für diese Entwicklung geht hervor, daß auch die Nichtwähler differenziert zu betrachten sind. Neben den Nichtwählern „alten Typs“, die durch geringes politisches Interesse und zumeist auch durch niedrige formale Bildung zu charakterisieren sind, gibt es einen neuen Typ Nichtwähler: Als Folge immer lockerer werdender Parteibindungen beteiligt er sich nicht mehr an jeder Wahl, obwohl er nicht unbedingt unzufrieden mit dem politischen System ist. Er erachtet aber nicht jede Wahl für so wichtig, daß er sich an ihr beteiligt; „staatsbürgerliche Wahlpflicht“ verliert an Verhaltensrelevanz, ähnlich wie andere Pflicht-Werte. Demokratie und Wahlen sind zur Normalität geworden, und nicht bei jeder Wahl steht die Demokratie zur Abstimmung.

Darüber hinaus erkennen wir aber bei den Wahlen nach der Bundestagswahl 1990 in größerem Umfang Nichtwähler, die ihr Verhalten als Protest gegenüber den Parteien, insbesondere den alten Parteien, einsetzen. Für sie ist Nichtwahl Ausdruck von Unzufriedenheit mit den Leistungen dieser Parteien und gleichzeitig eine Warnung an sie. Diese Gruppe ist zusammen mit den saisonalen Nichtwählern am ehesten von den Parteien in Wahlkämpfen zu mobilisieren. Mindestens zum Teil ist dies auch bei dieser Wahl gelungen. Die Wahlbeteiligung von 79 Prozent ist gegenüber 1990 nicht weiter gesunken, allerdings ist sie nur im Westen um zwei Prozentpunkte auf 80, 6 Prozent angestiegen, im Osten ist die Wahlbeteiligung leicht zurückgegangen (-1, 6 Prozentpunkte) auf den im Westen nie erreichten niedrigen Stand von 72, 9 Prozent.

Die Analyse der Wahlkreisergebnisse deutet darauf hin, daß die Höhe und die Veränderung der Wahlbeteiligung das Ergebnis der Unionsparteien kaum beeinflußt haben. Wegen der unterschiedlichen Entwicklung der Wahlbeteiligung sollte man aber bei der Analyse zwischen Ost und West differenzieren. Für die SPD gilt dann, daß sie in Gebieten mit niedriger Wahlbeteiligung (Ost) ihre höchsten Zuwachsraten hat, aber in Gebieten mit der höchsten Wahlbeteiligung (West) ihre besten Ergebnisse erzielt. Damit hat die SPD fast durchgehend ihre Anhänger mobilisiert. Die PDS, die sinnvollerweise nur im Osten betrachtet werden sollte, hat dort besonders gut abgeschnitten, wo die Wahlbeteiligung gegen den Trend noch zu-oder nur geringfügig abgenommen hat, und sie hat gleichzeitig dort auch überproportional gewonnen. Die Wahlentscheidung für die PDS muß im Osten durchaus auch als Ventil der Unzufriedenheit mit den Regierungsparteien, aber auch mit der SPD als Opposition gesehen werden. Man muß davon ausgehen, daß ein Teil der Unzufriedenen sich aber auch für Wahlenthaltung entschieden hat.

IX. Die FDP

Nachdem die FDP bei sieben Wahlen in Folge die 5-Prozent-Hürde nicht überwinden konnte und seit Anfang 1994 auch auf Bundesebene, wie aus Umfragen hervorging, in einem Dauerstimmungstief war, schienen die Liberalen aus der Sicht vieler Beobachter auch am 16. Oktober gefährdet. Was die Landtagswahlen an diesem Tag betraf, war dies ja durchaus richtig, denn sie verfehlten in allen drei Ländern, in denen gleichzeitig der Landtag gewählt wurde, den Einzug in das Parlament (Mecklenburg-Vorpommern 3, 8 Prozent, Thüringen 3, 2 Prozent, Saarland 2, 1 Prozent), aber bei der Bundestagswahl kamen sie auf 6, 9 Prozent. Dies war zwar ein herber Verlust gegenüber 1990 (— 4, 1 Prozent) und gleichzeitig die größte Wählerbewegung insgesamt bei der Wahl, aber der Fortbestand der Regierung war mit diesem Ergebnis gesichert. Betrachtet man die Wähler der FDP genauer, dann stellt man fest, daß die Mehrheit dieser Wähler (63 Prozent) der CDU/CSU politisch näherstand als der FDP und die Hälfte sich sogar mit den Unionsparteien identifizierte. Ein ähnliches, allerdings nicht ganz so krasses Ergebnis gab es bereits einmal 1983, fünf Monate nach dem Koalitionswechsel 1982, als unionsnahe Wähler ihr Votum für die FDP abgaben, um die Liberalen und gleichzeitig die Koalition zu retten. Zwar hätte es damals ohne diese Stützaktion der Union zur absoluten Mehrheit gereicht, diesmal war der Sprung der Liberalen über die 5-Prozent-Hürde allerdings lebensnotwendig für die Regierung. Dies wußten ausreichend viele taktische Wähler, also Wähler, die in der Regel politisch stark interessiert und gut informiert sind. Man mag diese Wähler Koalitionswähler nennen, wirkliche FDP-Anhänger sind es nicht. Die FDP konnte ihnen gegenüber zwar ihre Funktion als Mehrheitsbringer klarmachen, und sie wurde deshalb gewählt. Das Urteil dieser Wähler über die FDP wurde dadurch aber nicht besser. So kommt es zu der kuriosen Situation, daß die FDP-Wähler die Arbeit der Union in der Regierung deutlich besser beurteilen (1, 4 auf einer Skala von + 5 bis — 5) als die Arbeit der Liberalen in der Regierung (0, 9).

Die Verluste der FDP sind in den neuen Ländern besonders hoch (— 9, 4 Prozent), und sie kommt dort nirgendwo mehr nur in die Nähe der 5-Prozent-Hürde. Im Westen der Republik verliert die FDP knapp 3 Prozentpunkte. Hier ist allerdings die Unterstützung der FDP durch unionsnahe Wähler sehr viel höher als im Osten. Insgesamt ist die FDP derzeit eine Partei, die aus eigener Kraft nicht mehr in ein Parlament einziehen kann.

X. Die PDS

Nach dem Erfolg der PDS bei den Europawahlen im Juni 1994 war deutlich geworden, daß die PDS als regionale Partei des Ostens Chancen haben würde, über Direktmandate im Ostteil von Berlin in den Bundestag einzuziehen. Schließlich hatte sie dort im Juni bei niedriger Wahlbeteiligung 40 Prozent der gültigen Stimmen erreicht und war damit klar stärkste Partei geworden. Bei einer als besonders wichtig eingeschätzten Wahl -das ist die Bundestagswahl -und eindeutig höherer Wahlbeteiligung waren zwar die Chancen der PDS geringer, aber die Möglichkeit der Teilung von Erst-und Zweitstimme erhöhte die Chancen für die PDS-Direktkandidaten wieder, da diese Konstellation der Neigung vieler Ostdeutschen entgegenkam, die PDS im Bundestag vertreten zu sehen, ohne daß sie den Zielen der Partei sonderlich nahestanden. Der Wunsch, die PDS als ganz normale Partei behandelt zu sehen, findet zwar im Westen weniger Verständnis, aber er ist im Osten mehrheitlich vorhanden.

Mit dem Gewinn von vier Direktmandaten in Berlin zieht die PDS auch ohne Erreichen der 5-Prozent-Hürde mit 30 Abgeordneten, was dem Gesamtergebnis von 4, 4 Prozent entspricht, in den Bundestag ein. Dabei verdankt die PDS ihren Einzug in den Bundestag den SPD-Zweitstimmenwählern in Berlin-Ost, von denen 17 Prozent mit der Erststimme die PDS gewählt haben. Die PDS gewinnt in Ostdeutschland im Vergleich zu 1990 fast 700000 Stimmen hinzu und erreicht dort 19, 8 Prozent, im Westen verdreifacht sie ihren Stimmenanteil von vor vier Jahren, erreicht aber trotzdem nur 1 Prozent. Die PDS bleibt eine regionale Partei des Ostens. Ihr bestes Ergebnis hat sie in Mecklenburg-Vorpommern, wo gleichzeitig Landtagswahlen waren. Hier hat sie auch ihren größten Zugewinn (+ 9, 3 Prozent). Aber auch in Thüringen, wo der Landtag ebenfalls neu gewählt wurde, waren die Zuwächse besonders hoch (+ 8, 8 Prozent).

Die PDS hat ihre größten Erfolge in Großstädten bzw. in den Verwaltungszentren der alten DDR.In Städten über 100000 Einwohner erreicht sie 28 Prozent, im Ostteil der Stadt Berlin sogar fast 35 Prozent. In Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern kommt die PDS hingegen nur auf 13 Prozent. Wie die Befragung am Wahltag zeigt, ist die PDS besonders bei Angestellten in der Verwaltung erfolgreich. Betrachtet man die kleine Gruppe der Beamten gesondert, so ist die PDS dort sogar stärkste Partei mit einem Anteil von 36 Prozent, vor der CDU (30 Prozent) und der SPD (24 Prozent).

Aber nicht nur von Menschen, die dem alten Regime nahestanden, wird die PDS gewählt, auch von vielen jungen Wählern, die ideologisch wenig mit der PDS gemein haben, wird die PDS gestützt. Hohe Anteile hat sie auch unter Arbeitslosen und gewerkschaftlich Gebundenen, nicht aber unter den Arbeitern. Die Wählerschaft der PDS ist sehr heterogen. Das Gemeinsame bei diesen Wählern ist: Sie sind unzufrieden mit den Folgen der Einheit, nicht nur mit den ökonomischen Folgen; sie glauben, daß die PDS ihre Interessen am besten vertreten könne, und darüber hinaus meinen sie fast alle, daß die PDS mit der Vergangenheit gebrochen habe. Die PDS kt deshalb sowohl die Partei derer, dje dem alten DDR-Regime nahestanden, als auch die Partei für den Protest gegen die aktuellen Zustände, für die die SPD keine glaubwürdige Opposition darstellt.

Der Erfolg der PDS hat dazu geführt, daß wir es im Osten mit einem Dreiparteiensystem zu tun haben, im Westen gibt es dagegen nach wie vor vier politische Kräfte, und im Bundestag schließlich sind fünf Parteien vertreten. Die Chancen der PDS, auch im Westen die Funktion einer Protest-partei oder einer dezidierten Linkspartei übernehmen zu können, sind nur schwer abzuschätzen; ähnliches gilt auch für die langfristigen Perspektiven der PDS im Osten, wo sie wegen ihrer dichten Organisation und der Basisarbeit, die sie in den Kommunen leistet, noch einige Zeit Erfolge -mindestens auf lokaler Ebene -haben wird.

XI. Die Republikaner

Die Republikaner sind als einzige der Rechtsaußenparteien zur Bundestagswahl angetreten. Sie erzielten 1, 9 Prozent der gültigen Stimmen, 2 Prozent im Westen und 1, 2 im Osten. Die Wähler der Republikaner sind auf den Kern ihrer Anhängerschaft geschmolzen. Die Protestwähler, die sie noch 1992 und 1993 in politisch relevante Größenordnungen gebracht haben, sind weitgehend zu ihren angestammten Parteien zurückgekehrt. Bereits zum Anfang des Jahres zeichnete sich ab, daß die Protestwählerwelle gebrochen war. Die Republikaner näherten sich in Umfragen systematisch der Nullinie sowohl im Westen wie im Osten. Ihr Thema, das sie stark werden ließ, -die Asyl-und Ausländerpolitik -wurde nicht mehr diskutiert. Der Asylkompromiß vom Sommer 1993 zeigte Erfolge, die Asylbewerberzahlen gingen deutlich zurück. Den Rest besorgten die Streitigkeiten und Zerwürfnisse in der Partei. Bereits bei der Landtagswahl in Niedersachsen war die Schwäche der Republikaner offensichtlich geworden. Ihre Chancen, bei der Europawahl bei niedriger Wahlbeteiligung ihre Klientel zu mobilisieren und damit ein relativ gutes Ergebnis zu erzielen, konnte die Partei nicht wahrnehmen. Selbst im Bundesland ihrer bisher größten Erfolge, in Bayern, waren die Republikaner bei der Landtagswahl am 25. September mit 3, 9 Prozent klar an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Bei der aus Sicht der Wähler ungleich wichtigeren Bundestagswahl, bei der die Wähler keine Stimme „verschenken“ wollten, bestanden für die Republikaner praktisch keine Aussichten mehr auf Erfolg.

Ein Potential für Protestwahlverhalten gibt es in der Bundesrepublik trotzdem nach wie vor und dieses wird auch in den kommenden Jahren, wenn es zu wachsender Unzufriedenheit mit einzelnen politischen Entscheidungen kommen sollte, mobilisierbar sein, möglicherweise auch wieder von einer rechtsextremen Partei.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Matthias Jung, Dipl. -Volksw., geb. 1956; Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen e. V., Mannheim. Veröffentlichungen zur Wahlforschung, zu Methoden der Umfrageforschung und zur Militärsoziologie. Dieter Roth, Dipl. -Volksw., Dr. phil., geb. 1938; Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen e. V., Mannheim; Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg. Veröffentlichungen u. a.: Die deutsche Einheit und die Wahlen der Jahre 1989-1992, in: Handbuch der deutschen Einheit, Bonn 1993; (Hrsg. zus. mit Wilhelm Bürklin) Das Superwahljahr. Deutschland vor unkalkulierbaren Regierungsmehrheiten?, Köln 1994.