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Agrarentwicklungspolitik vor dem Offenbarungseid? | APuZ 50/1992 | bpb.de

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APuZ 50/1992 Ethische Probleme einer Weltwirtschaftsordnung Die Dritte Welt in ihrem fünften Jahrzehnt Zur langfristigen Wirtschaftsentwicklung der Dritten Welt Drogenwirtschaft und Drogenpolitik in Entwicklungsländern Agrarentwicklungspolitik vor dem Offenbarungseid? Soziale Sicherheit in Entwicklungsländern

Agrarentwicklungspolitik vor dem Offenbarungseid?

Joachim von Stockhausen

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der Mehrzahl der Entwicklungsländer obliegt der Landwirtschaft die Aufgabe, zusätzliche dauerhafte Arbeitsplätze für die wachsende Bevölkerung zu schaffen und zugleich die Produktion zu steigern, um einmal die nationale Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln zu verbessern, zum anderen, um die für den Aufbau der nationalen Wirtschaften erforderlichen Devisen zu verdienen. Diese Aufgabenstellung soll sie zugleich in einer Weise wahmehmen, daß die Umwelt nicht geschädigt wird. Wenn die Landwirtschaft in vielen Ländern diese ihr zugewiesene Rolle nicht erfüllt und ihre Umweltschädigung bereits alarmierende Größenordnungen angenommen hat, so ist hierfür politisches Versagen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene verantwortlich zu machen. Im Bereich der nationalen Agrarentwicklungspolitik sind vor allem drei Defizitbereiche anzusprechen: unzulängliche Anreize zur Schaffung von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen im ländlichen Raum, Fehlen einer sozial und ökologisch verträglichen Bodennutzungspolitik und schließlich staatliches Versagen bei der Festlegung von Rechten zur nachhaltigen Nutzung von nicht emeuerbaren Ressourcen. Solche und weitere politische Defizite werden überlagert und verstärkt durch eine internationale Politik der Entwicklungszusammenarbeit, die noch stark dem herkömmlichen Hilfeverständnis von technischen Lösungen verhaftet ist und dem Gebot von gemeinsamen politischen Lösungen sowohl in den Empfänger-als auch in den Geberländem zum Wohle eines gedeihlichen Miteinanders der Weltgesellschaft reserviert gegenübersteht.

I. Einleitung

Armut, Hunger und Umweltzerstörung sind Bilder aus der Dritten Welt, die uns die Medien in vielfältiger Form in unsere Wohnzimmer tragen. 20 Millionen Menschen, so schätzt die Welthungerhilfe, sterben jährlich an Hunger und seinen Folgen, und fast 800 Millionen Menschen, ein Fünftel der Weltbevölkerung, leiden an chronischer Unterernährung. Mit diesen Schreckensnachrichten verbinden sich Bilder und Meldungen über eine wachsende Umweltzerstörung, über eine Zerstörung von Luft, Boden und Wasser.

Weltweit trägt die Landwirtschaft mit 23 Prozent zu den Gesamtemissionen bei, die für den vom Menschen verursachten Treibhauseffekt verantwortlich sind Durch die Umwandlung von Tropenwäldern in landwirtschaftliche Nutzfläche -jährlich werden etwa 17-20 Millionen Hektar Tropenwälder vernichtet -wird Kohlendioxyd freigesetzt, dessen Menge mit ungefähr 15 Prozent zur globalen Erwärmung beiträgt. Durch die Methan-Emission im Reisanbau, in der Rinderhaltung und beim Verbrennen von Biomasse leistet die Landwirtschaft einen weiteren siebenprozentigen Beitrag zum Treibhauseffekt.

Zunehmende Bodenerosion als Folge einer intensiveren landwirtschaftlichen Nutzungsweise vermindert die Bodenfruchtbarkeit, beeinträchtigt Bewässerungsprojekte und Dämme, läßt Kanäle und Häfen versanden und vernichtet produktive Feuchtgebiete. Schätzungen besagen, daß bis zum Jahre 2000 durch Erosionsvorgänge auf jeden Bewohner der Erde etwa 32 Prozent weniger Boden kommen als heute in einigen Ländern werden die jährlichen Verluste an landwirtschaftlichem Produktionspotential auf 0, 5 bis 1, 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes beziffert.

Durch wachsenden Bevölkerungsdruck, hohen Viehbestand, zu intensive landwirtschaftliche Nutzung, Brandrodung und das Abtragen von Feuer-holz und Dung weiten sich in den trockenen und halbtrockenen Gebieten die Verödung von Land und die Wüstenbildung dramatisch aus. Etwa 21 Millionen Hektar degradieren jährlich bis zur Un-rentabilität ihrer Bewirtschaftung, und weitere sechs Millionen Hektar, das sind etwa 1, 7 Prozent der gesamten ackerbaulich genutzten Fläche, veröden unwiederbringlich. Holz und Holzkohle stellen in Afrika mit etwa 60 Prozent den wichtigsten Energieträger dar. Die Verwendung von Kuhdung zu Energiezwecken führt zu erheblichen landwirtschaftlichen Ertragseinbußen; in Asien und Afrika werden jährlich etwa 100 Milliarden Tonnen Dung verbrannt, was mit einem Verlust von 20 Millionen Tonnen Getreide gleichgesetzt wird.

In vielen Regionen der Welt droht eine zunehmende Wasserverknappung. Bis zum Jahre 2000 werden viele Länder pro Kopf nur halb so viel Wasser zur Verfügung haben wie 1975. Hauptwassernutzer mit einem Anteil von etwa 70 Prozent ist die Landwirtschaft. Weltweit werden etwa 15 bis 20 Prozent des Ackerlandes bewässert, auf denen etwa 30 bis 40 Prozent der gesamten Agrarproduktion erzeugt werden. Die Hälfte der weltweiten Bewässerungsflächen jedoch ist inzwischen bis zur Unfruchtbarkeit versalzt davon betroffen ist nicht nur die landwirtschaftliche Produktion, sondern auch und insbesondere die Trinkwasserversorgung derjenigen Menschen, die unterhalb eines Staudammes leben (Unterlieger).

Anders als in den Industrieländern spielt die Landwirtschaft in den Ländern der Dritten Welt eine zentrale entwicklungspolitische Rolle. Trägt doch der Agrarsektor mit rund 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt aller Entwicklungsländer bei -in Ländern wie Mozambique, Somalia, Tansania, Uganda sogar mit über 60 Prozent -, sind annähernd 60 Prozent der gesamten arbeitsfähigen Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, und für die Mehrzahl der Entwicklungsländer liegt der Anteil der Agrarprodukte am gesamten Außenhandel bei über 50 Prozent. Da erscheint es nur konsequent, die entwicklungspolitischen Überlegungen darauf zu konzentrieren, -wie dauerhafte Existenz-bzw. Erwerbsmöglichkeiten in der Landwirtschaft für die wachsende Bevölkerung geschaffen werden können, -wie die nationale Selbstversorgung mit Grund-nahrungsmitteln sichergestellt werden kann und -wie durch eine Steigerung der Agrarexporte die Deviseneinnahmen erhöht werden können.

Wurde in der Vergangenheit ausschließlich danach gefragt, ob diese drei Ziele miteinander vereinbar seien, so muß heute zusätzlich die Frage gestellt werden, ob der Agrarsektor auch ohne Zerstörung der Umwelt den an ihn gestellten Anforderungen entsprechen kann.

II. Ausreichende Arbeitsplätze in der Landwirtschaft?

Insbesondere in den ärmeren Entwicklungsländern mit hohem Bevölkerungswachstum und vergleichsweise langsamem Strukturwandel wird die Landwirtschaft noch für Jahrzehnte der wichtigste Beschäftigungsgeber sein müssen. Untersuchungen in schwarzafrikanischen Ländern machen allerdings deutlich, daß bei traditioneller Produktionstechnik eine Zunahme der bäuerlichen Bevölkerung und eine damit steigende Arbeitsintensität zu einem unaufhaltbaren Verarmungsprozeß führen, in dessen Verlauf der vermarktbare Überschuß, d. h. die Differenz zwischen Agrarproduktion und Eigenverbrauchsanteil der Landwirtschaft, pro Arbeitskraft gegen Null geht. Bereits heute liegen elf afrikanische Länder über der kritischen Bevölkerungsdichte, im Jahre 2000 werden es voraussichtlich 23 sein

Starker Bevölkerungsdruck und das Bedürfnis der bäuerlichen Familien, ihren überlebensnotwendigen Subsistenzbedarf zu befriedigen, sind dafür verantwortlich, daß den Bodenruhezeiten, die für die Regeneration der natürlichen Bodenfruchtbar-keit dringend erforderlich sind, immer weniger entsprochen wird und die landwirtschaftliche Nutzung von marginalen und ökologisch sehr anfälligen Standorten zunimmt. Liegt hier gleichsam ein ehernes Gesetz der Zerstörung der Bodenfruchtbarkeit vor?

Gemeinhin werden Kleinbauern als arm, aber effizient angesehen; doch dynamische Umfeldbedingungen in Form steigender Bevölkerungsdichten und sich beschleunigender Prozesse der Boden-zerstörung überforden! die Anpassungsfähigkeit der bäuerlichen Betriebsleiter. So kann es kaum überraschen, daß erhebliche Effizienzunterschiede bei der nachhaltigen Bodenbewirtschaftung festgestellt worden sind.

Wohl auf der ganzen Welt sind bäuerliche Haushalte bestrebt, ein möglichst hohes Haushaltseinkommen zu erzielen. Hierfür stehen ihnen -zumindest theoretisch -zwei Verwendungsalternativen ihrer Arbeitszeit zur Verfügung, nämlich landwirtschaftliche und außerlandwirtschaftliche Erwerbstätigkeit. Je geringer die Möglichkeiten für die Aufnahme einer außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit sind, desto stärker ist das Haushaltseinkommen den Folgen des landwirtschaftlichen Ertragsgesetzes ausgesetzt. Ist die Flächenausstattung im Vergleich zur verfügbaren familiären Arbeitskapazität gering, so kann dieses verheerende Folgen für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit haben. Denn in einer solchen Situation sind die Nutzungskosten der Fläche so hoch, daß sich aus der Sicht der bäuerlichen Familie keine Maßnahmen zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit lohnen, die nicht in relativ kurzer Zeit hohe Erträge bringen. Ökologisch besonders verhängnisvoll wirkt sich dieses aus, wenn umfangreichere Investitionen mit vergleichsweise langer Ausreifungszeit, etwa im Falle von agroforstwirtschaftlichen Maßnahmen, erforderlich werden. Wohl sind mit solchen Maßnahmen langfristig beträchtliche Einkommenssteigerungen erzielbar, doch liegt in den Anfangsjahren das Einkommen der bäuerlichen Familie nicht selten erheblich unter dem bei bisheriger Wirtschaftsweise *so daß sie nur sehr zögerlich, wenn überhaupt in Angriff genommen werden.

Fassen wir die bisherigen Betrachtungen zusammen, so kann die Landwirtschaft bei bereits hoherBesiedlungsdichte die ihr gestellte Aufgabe, die wachsende arbeitsfähige Bevölkerung zu beschäftigen, vielfach nicht erfüllen, ohne daß die Boden-fruchtbarkeit zumindest stark gefährdet wird. Um dieses zu verhindern, ist es notwendig, die verfügbare Arbeitskapazität der bäuerlichen Familie, die nicht für eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung benötigt wird, einer außerlandwirtschaftlichen Verwertung zuzuführen. In dem Maße, wie Arbeitsplätze von außen nicht angeboten werden, werden es die bäuerlichen Familien selbst sein, die diese Arbeitsplätze schaffen müssen. Untersuchungen in Kenia bestätigen dieses: Bei 40 Prozent der insgesamt erfaßten ländlichen Gewerbebetriebe kann von landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieben gesprochen werden; dabei sind es zugleich die bäuerlichen Familien, die die Grundfinanzierung zur Schaffung der außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätze erbracht haben Diese Finanzierungsleistung ist vor dem Hintergrund zu würdigen, daß es im ländlichen Raum häufig an adäquaten institutionellen Angeboten zur Anlage von Kleinstsparbeträgen mangelt und nicht selten die Situation noch dadurch verschärft wird, daß sich die im ländlichen Raum tätigen Banken auf die Finanzierung von landwirtschaftlichen Maßnahmen beschränken und für den Aufbau von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen keine Hilfestellung bieten.

III. Land ohne Leute für Leute ohne Land

Zunehmende Bodenknappheit ist kein Vorgang, der alle Menschen in gleicher Weise trifft. In vielen Ländern geht mit ihr ein Prozeß der sozialen Differenzierung einher, wobei es einflußreichen Kreisen gelingt, Land in einem überdurchschnittlichen Umfang in ihre Verfügungsgewalt zu bringen. Im Durchschnitt von 83 untersuchten Entwicklungsländern besaßen vor 30 Jahren etwa 50 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe knapp drei Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche, während zehn Prozent der Betriebe über 65 Prozent des Bodens verfügten. Seitdem hat in vielen Entwicklungsländern der Prozeß der Bodenkonzentration keineswegs abgenommen, eher das Gegenteil ist der Fall. Staatliche Agrarförderungs-maßnahmen, die die größeren Betriebe einseitig begünstigen, verstärkt durch hohe Inflationsraten, treiben die Bodenpreise in die Höhe und lassen den Boden zu einem prestigeträchtigen Spekulationsobjekt der politisch einflußreichen Staats-klasse werden.

Es sind die Menschen, die auf diese Weise von ihrem Land vertrieben werden oder für die der Kauf von Boden wegen der hohen Preise nicht möglich ist, die in die weniger fruchtbaren und besonders erosionsgefährdeten Gebiete abgedrängt werden und die einen ungeheuren Druck auf die Wald-randgebiete ausüben; auf diese ver-und getriebenen Menschen entfallen über 60 Prozent der gesamten Waldvernichtung

Dabei handelt es sich keineswegs um spontane, gleichsam illegale Überlebensversuche. Indem Wald zu unproduktivem Land erklärt wird, fördern oder zumindest dulden die Regierungen diese Form der waldvernichtenden Überlebensstrategie; in Paraguay beispielsweise ist auf diese Weise in den vergangenen 20 Jahren die Waldfläche um knapp 40 Prozent reduziert worden Vergleichbaren Mechanismen unterliegt auch die von der Öffentlichkeit in den Industrieländern stark kritisierte Zerstörung des Amazonaswaldes. Als Ersatz für Agrarreformen in anderen Teilen Brasiliens, die die Großgrundbesitzer gegen die Regierung aufgebracht hätten, gab die Regierung gleichsam als „Druckventil“ für soziale Spannungen die Losung aus: „Land ohne Leute für Leute ohne Land“ (Präsident Medici) Die Zahl derer, die nicht nur in Brasilien dieser Losung gefolgt sind, wird Anfang der achtziger Jahre auf 300 Millionen geschätzt. Im Gegensatz zu dem Wanderfeldbau traditionellen Typs, der die Waldökosysteme auf schonende Weise nutzte, verfügen die verdrängten Brandrodungsbauern häufig nicht über die nötigen Kenntnisse für eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung dieser besonders sensiblen Ökosysteme; sie verursachen damit eine größere Waldvernichtung als alle anderen Abholzungsmaßnahmen zusammengenommen.

Doch es sind nicht nur die ökologischen Folgen, die der Bodenkonzentration anzulasten sind. In Paraguay beispielsweise wird geschätzt, daß 22 Prozent der gesamten Landfläche für eine ackerbauliche Nutzung geeignet sind; tatsächlich acker-baulich genutzt wird aber nur die Hälfte. Für diese Situation verantwortlich gemacht wird die extensive Viehhaltung der Großbetriebe; in den letzten 20 Jahren betrug die Zunahme des Weidelandes etwa 60 Prozent der zerstörten Waldfläche. Dabei beträgt die Wertschöpfung je Hektar Weideland knapp ein Zehntel dessen, was im Ackerbau erwirtschaftet wird. So gesehen ist es das Rind, das nicht nur den Wald zerstört und den Treibhauseffekt verstärkt, sondern zugleich auch vielen Menschen die Möglichkeit raubt, zumindest sich selbst mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Für ganz Lateinamerika wird geschätzt, daß mehr als 20 Millionen Hektar Regenwald zur Rinderzucht abgeholzt und niedergebrannt worden sind

IV. Privateigentum versus Gemeineigentum

Hunger in der Dritten Welt ist nicht nur ein Problem eines unzureichenden Angebotes an Nahrungsmitteln, d. h. ein Produktionsproblem, für breite Bevölkerungsschichten ist es ein Kaufkraft-problem. Wer nicht über genügend Grund und Boden verfügt und keine dauerhafte Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft findet, ist nicht oder kaum in der Lage, seinen Bedarf an Lebensmitteln zu decken; er ist es, der durch die herrschenden Spielregeln des Marktes gleichsam extemalisiert wird. „Der Markt“, so Kurt Biedenkopf, „kann weder die ökologische Dimension noch die soziale Dimension der Gesellschaft bewältigen, denn der Markt ist kein Instrument zur Bewältigung normativer Probleme.“ Er bedarf der Ergänzung durch staatliches Handeln, um die Gesellschaft gegen Hunger und Umweltzerstörung zu schützen.

Einen so verstandenen Schutz benötigt auch die Nutzung von Gemeineigentum in Form von kommunalem Forst-und Weideland, Fischerei, Grundwasser u. a. m. Denn die gemeinsame Nutzung von privaten und kommunalen Eigentums-rechten stellt nicht nur für viele, insbesondere für die ärmeren Menschen in zahlreichen Entwicklungsländern eine Überlebensfrage dar, sie ist auch zugleich ein Mittel für den schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Wenn sich das Gemeineigentum gegenwärtig auf dem Rückzug befindet -Ende des letzten Jahrhunderts befanden sich beispielsweise in Indien 80 Prozent aller natürlichen Ressourcen in Gemeineigentum, in den achtziger Jahren betrug ihr Anteil in den Trocken-gebieten nur noch 10 bis 20 Prozent -, so liegt das nicht so sehr an dem vermeintlichen „Zerstörungsinteresse“ seiner Nutzer gemäß der Hardinschen Tragödie vom Gemeineigentum. Von größerer Bedeutung sind drei Umstände:

1. Marktwirtschaftliche Rangkonkurrenz trägt starke sozial desintegrative Züge, indem derjenige den höchsten sozialen Status einnimmt, der der Gemeinschaft den größten Schaden zufügen kann, d. h. über die Macht verfügt, anderen Menschen Lebensgüter vorzuenthalten bzw. ihnen den Zugang zu diesen zu verwehren. So sind es diejenigen, die am wenigsten auf die Rechte des herkömmlichen kommunalen Rechte-Pflichte-Kanons angewiesen sind, die mit dem Entstehen von externen Märkten ihre kommunalen Pflichten aufkündigen. Damit lösen sie einen Prozeß aus, der die sozial integrative Nutzung von Gemeineigentum untergräbt, eine Nutzung, bei der sich das Ansehen der einzelnen Mitglieder danach bemißt, welchen Nutzen sie für die anderen Mitglieder der Gemeinschaft stiften.

2. Traditionelle Produktions-und marktwirtschaftliche Aneignungsgesellschaften begegnen sich mit gegenseitigem Unverständnis; bei ersteren erscheinen die angewandten Praktiken für den Außenstehenden rational, ihre wissens-mäßigen Grundlagen dagegen bleiben ihm verborgen; im Falle der marktwirtschaftlichen Aneignungsgesellschaften erscheinen die sozialen Praktiken irrational, wenn etwa die Menschen die Kontrolle über ihre Umwelt verlieren oder bereits verloren haben, die ihnen zugrundeliegende Theorie des Handelns dagegen erscheint rational, ersetzt sie doch traditionelles Wissen durch wissenschaftliche Erkenntnisse

3. Da die Gemeineigentums-Ökonomie nach den Regeln einer bargeldlosen Tauschwirtschaft erfolgt, ist sie laufend der Gefahr ausgesetzt, als ökonomisch wenig effizient im Sinne einer unproduktiven Landnutzung „angeklagt“ zu werden. Mitverantwortlich hierfür ist, daß bei ihr die Maxime „welchen Nutzen eine Sache stiftet“ über der Maxime der Geldwirtschaft „Was kann ich mir leisten“ rangiert.

Die ökonomische Geringschätzung der sozial-ökologischen Bedeutung der Gemeineigentums-Ökonomie verschärft sich, wenn seitens der internationalen Gläubiger der Druck steigt, die nationale Agrarproduktion aus Devisengründen drastisch zu erhöhen. Ein Projekt der Privatisierung von Gemeineigentum zwecks Anlage von privaten Baumpflanzungen in Indien zeigt beispielsweise, daß höchstens zehn Prozent der Menschen, für die die Nutzung des Gemeineigentums eine Überlebensfrage darstellte, begünstigt werden können, während 90 Prozent ihre Überlebensquelle verlieren Möglicherweise ist eine solche Privatisierung Pareto-effizient, indem die wenigen Nutzer der Baumpflanzungen den landlos Gewordenen deren Einkommensminderung ersetzen können und zugleich noch einen Überschuß behalten, doch das Problem ist, daß solche Kompensationszahlungen in der Regel nicht geleistet werden. Hat das traditionelle Recht die Armen geschützt, so kehren sich im Falle der Privatisierung die Rechtsansprüche um. Es sind nunmehr die Landlosen, die den Landbesitzenden attraktive Angebote unterbreiten müssen, aber nicht können, um die herkömmliche Nutzungsform beizubehalten.

Doch es geht nicht nur um eine Frage der Einkommensverteilung, das indische Beispiel macht auch deutlich, daß Änderungen der Eigentumsrechte erhebliche ökologische Konsequenzen haben können. Waren auf der als Gemeineigentum genutzten Fläche 50 bis 200 verschiedene Baumarten je Acre (ca. 4 000 qm) anzutreffen, so reduziert die Anlage von Eukalyptus-Plantagen die Anzahl auf einige wenige. Ökonomische Effizienz beruht auf der jeweils gegebenen institutionellen Struktur, die den Begriffen Einnahmen und Ausgaben ihren Sinngehalt gibt und ihre Erscheinungsformen bestimmt Es sind die Veränderungen dieser institutionellen Struktur, die die staatliche Politik zur Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt legitimieren. Ökonomische Effizienz, auch als Pareto-Optimalität bekannt, ist für die gesellschaftliche Optimalität notwendig, keineswegs ist sie aber ausreichend. Denn die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit und des Umwelterhaltes kann von der paretianischen Ethik nicht beantwortet werden, und zwar deshalb nicht, weil interpersonelle Nutzenvergleiche nicht möglich sind.

Damit gewinnt die Frage an Dringlichkeit, wie es um die so häufig behauptete selbstzerstörerische Kraft des Gemeineigentums bestellt ist. Privat-eigentum an natürlichen Ressourcen ist keineswegs ein Garant, sie gegen ihre Zerstörung zu schützen. Zu erklären ist dieser Umstand mit Informationsmängeln und der zeitlichen Analyse von gegenwärtigen und zukünftigen Umweltnutzungen, bei der sich Ökonomen des Instruments der Diskontierung bedienen. Bildhaft vergleicht Heilbroner diese „Zeit-Diskontierung“ mit der umgekehrten Verwendung eines Fernrohrs, durch das die Menschheit sozusagen in die Zukunft blickt, wobei sie den Zeitwert der Dinge, die erst in der Zukunft genossen werden sollen, viel geringer veranschlagt als den Wert, den sie hätten, wenn sie augenblicklich in die Gegenwart geholt werden könnten Es ist das Fehlen einer Bindung an die Zukunft, das Heilbroner an der Fähigkeit von Nationalstaaten zweifeln läßt, heute die notwendigen Maßnahmen zu begreifen, um die Schwierigkeiten der Zukunft zu meistern.

Die Widersinnigkeit der Zeit-Diskontierung, die dazu führt, daß gesellschaftliche Wohlfahrtsmaximierung mit einer gleichzeitigen nachhaltigen Umweltzerstörung vereinbar ist, ist nicht der Methode als solcher anzulasten, sondern beruht darauf, daß Überlegungen zur optimalen Zusammensetzung mit Verteilungsmaßnahmen verwechselt werden. Ursächlich verantwortlich hierfür ist, daß auf den Märkten für natürliche Ressourcen wichtige Teilnehmer, nämlich die künftigen Generationen, nicht vertreten sind. Können sich deren Interessen als private Nachfrager nach Ressourcen nicht durchsetzen, so erhalten sie den Charakter eines öffentlichen Gutes, und es obliegt den Regierungen, die Nachfrage nach diesem öffentlichen Gut analog zu der nach anderen öffentlichen Gütern, wie z. B. innere und äußere Sicherheit eines Landes, durch institutionelle Regelungen in eine effektive Nachfrage zu verwandeln. Als Maxime einer solchen öffentlichen Nachfragepolitik schlägt Daly vor, „that present Claims should dominate future Claims only up to some level or resource use that is sufficient for a good life for a population that is sustainable at that level“ Es sind zwei Gesichtspunkte dieser Maxime, die generelle Beachtung verdienen: a) politische Entscheidungen sind erforderlich, um Widersprüche zwischen Ökologie und anthropozentrischer Ethik aufzulösen, undb) je größer das Spannungsverhältnis zwischen Grundbedürfnisbefriedigung der gegenwärtigen Generation und Erhalt der Umwelt einerseits und je ungleicher die gegenwärtige Einkommensverteilung andererseits ist, desto umfangreichere Umverteilungsmaßnahmen innerhalb der gegenwärtigen Generation zugunsten künftiger Generationen sind erforderlich.

Wie steht nun die Nutzung von Gemeineigentum zu einer solchen Umverteilungsmaxime? Um gleich zu Beginn möglichen Fehleinschätzungen vorzubeugen: Gemeineigentum bedeutet nicht jedermanns Eigentum, eine Vorstellung, die den Eigentumsbegriff auf den Kopf stellen würde. Gemeineigentum bezieht sich auf Ressourcen, die mit dem Recht auf gemeinsame Nutzung ausgestattet sind, nicht aber mit einem spezifischen Nutzungsrecht, das mehreren Eigentümern zusteht Die Nutzung von Boden in Gemeineigentum unterliegt im wesentlichen vier Zerstörungsgefahren: 1. Steigender Bevölkerungsdruck führt sowohl zu einer Abnahme als auch zu einer Übernutzung des im Gemeineigentum genutzten Bodens. Ursächlich verantwortlich hierfür ist, daß sich das Recht auf gemeinsame Nutzung auf eine laufend größere Zahl von Nutzungsberechtigten (Erben der Besitzer von Nutzungsrechten) ausdehnt und sich damit der Charakter des Gemeineigentums (res communes) in eigentums-lose Ressourcen (res nullius) verkehrt, deren Nutzungsrechte sich sodann häufig sukzessiv in Quasi-Eigentum wandeln. 2. Bodenzerstörung, ein kurzfristig kaum wahrnehmbarer, schleichender Prozeß, ist das Resultat sehr komplexer Wechselbeziehungen zwischen biologischen und physikalischen Umweltfaktoren sowie sozio-ökonomischen und kulturellen Bedingungen. Je weniger den Nutzungsberechtigten die kausalen Zusammenhänge von Ressourcennutzung und Ressourcenerhalt bekannt und bewußt sind, desto höher sind die Gefahren einer nachhaltigen Zerstörung einzuschätzen. Dabei handelt es sich nicht zuletzt um ein Informationsproblem, das keineswegs gemeineigentumsspezifisch ist. 3. Doch auch wenn das Wissen um die Bodenzerstörung und ihre Ursachen vorhanden ist, so sind wirkungsvolle Gegenmaßnahmen dann kaum zu erwarten, wenn die private Vermögensschädigung der einzelnen Nutzungsberech-tigten je Zeiteinheit gering ist. Untersuchungen in Indien zeigen, daß es gerade die ärmeren Nutzungsberechtigten sind -sie beziehen etwa 20 Prozent ihres Einkommens aus der Nutzung von im Gemeineigentum gehaltenen Ressourcen -, die von einer Zerstörung des Gemein-eigentums besonders betroffen werden, während der Einkommensanteil der sonstigen Nutzer mit etwa zwei Prozent sehr niedrig ist und damit keinen Schutz gegen eine Übernutzung bietet. 4. Somit sind es die ärmeren Nutzungsberechtigten, die an einer Beibehaltung der herkömmlichen Nutzungsregelungen interessiert sind und für die hohe Transaktionskosten der Umgestaltung des Gemeineigentums in Privateigentum einen Schutz bieten. Doch dieser Schutz ist vergleichsweise schwach. Sind es doch diejenigen, die von den Nutzungsrechten kaum abhängig sind, die die traditionellen Sanktionsmechanismen unterlaufen und dabei kaum einen Nachteil erleiden. Und nicht selten wird die kompensationslose Auflösung von Gemeineigentum noch vom Staat direkt und indirekt dadurch unterstützt, daß Gemeineigentumsflächen für Agrarreformen freigegeben werden oder die bargeldlose Ökonomie des Gemeineigentums besteuert wird.

Die Nutzungsmaxime von Gemeineigentum ist darauf ausgerichtet, das nutzungsberechtigte Vermögen zu erhalten oder seinen Wert sogar noch zu erhöhen, nicht aber, individuelle Rechte zu kreieren. Eine solche Nutzungsmaxime gewinnt dann eine besondere Bedeutung, wenn die gemeinsam zu nutzende Ressource für die Nutzungsberechtigten mehrere Eigenschaften aufweist, wie etwa im Falle von Bewässerungsprojekten die Wassermenge und die Wasserqualität, letztere ausgedrückt durch den Salzgehalt Über den Wasserpreis die Wassermenge an die Nutzungsberechtigten zu verteilen, kann nicht ausschließen, daß die Unterlieger aus der Wassernutzung ausscheiden müssen, wenn es den Oberliegern möglich ist, die Kosten der von ihnen verursachten Versalzung zu externalisieren. Die Wasserqualität hat den Charakter eines öffentlichen Gutes, und um das Wohlergehen aller Nutzungsberechtigten zu erhöhen, bedarf ihr Erhalt institutioneller Regelungen, die über einen reinen Preismechanismus hinausgehen. Zerstörung von Gemeineigentum ist somit kein zwangsläufiger Prozeß marktwirtschaftlicher Durchdringung, er ist Ausdruck eines Staatsversagens, die für den Erhalt von gemeinschaftlichen. Nutzungsrechten erforderlichen institutioneilen Regelungen zu erlassen und administrativ durchzusetzen, falls die herkömmlichen Nutzungsregulative versagen.

V. Ökologisches Dumping

„Es ist unmöglich“, so schreibt Ernst Ulrich von Weizsäcker, „in Südamerika über irgendein ökologisches Thema ... zu reden, ohne daß man nach fünf Minuten beim Thema Schulden ist.“ Ende 1990 betrug der Schuldendienst der Entwicklungsländer 162 Milliarden US-Dollar, und es war die Landwirtschaft, die diese Last im wesentlichen aufzubringen hatte. Doch um diese Aufgabe zu erfüllen, sieht sie sich erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Bedingt durch eine niedrige Einkommenselastizität der Nachfrage in den westlichen Industrieländern, verstärkt durch vielfältige protektionistische Handelspraktiken, ist sie einem vehementen Abwertungsdruck der nationalen Währung ausgesetzt. Abwertungen der nationalen Währung bedeuten aber, daß je Mengeneinheit weniger Devisen eingenommen werden, mit anderen Worten, daß die Landwirtschaft mehr produzieren muß, um die benötigten Devisen zu erwirtschaften.

Werden die inländischen Preissteigerungen, die aus den Abwertungen folgen, an die Bauern weitergegeben, so erhalten sie zwar den erforderlichen Preisanreiz, um ihre Produktion zu erhöhen, doch es sind im wesentlichen zwei Umstände, die diesen Preiseffekt erheblich vermindern können. Da die Einkommenselastizität der Nachfrage nach Nahrungsmitteln aufgrund des niedrigen Einkommensniveaus der Bevölkerung in den Entwicklungsländern -im Gegensatz zu der in den Industrieländern -hoch ist, geht ein mehr oder weniger gewichtiger Teil der Mehrproduktion in den inländischen Verbrauch und steht folglich für eine Erhöhung der Agrarexporte nicht zur Verfügung. Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu. Subjektiv empfundene hohe Finanzierungs-, Preis-und Marktrisiken aufgrund von Unzulänglichkeiten der ländlichen Finanz-und landwirtschaftlichen Absatz-und Bezugsmärkte haben zur Folge, daß die Preiselastizität des agrarischen Überschusses insbesondere der kleineren bäuerlichen Betriebe vergleichsweise niedrig ist. So sind es vor allem die mittleren und größeren Betriebe, die auf die Preis-anreize mit Produktionssteigerungen reagieren.

Es liegt im Wesen der Produktionsfunktion mit abnehmenden Ertragszuwächsen, wie sie für die Landwirtschaft normal ist, daß pro Kilogramm Mehrertrag steigende Mengen an Düngemitteln aufgewendet werden müssen, von denen ein überproportionaler Teil im Ökosystem verbleibt, sei es im Boden, in der Atmosphäre oder im Grundwasser. Globale Schätzungen für Entwicklungsländer besagen, daß bei Stickstoff etwa 40 bis 50 Prozent, bei Phosphor 85 bis 90 Prozent und bei Kali 75 bis 80 Prozent im Boden Zurückbleiben oder in Flüsse, Seen oder in das Grundwasser ausgewaschen werden. Aus der Sicht des einzelnen Bauern ist es bei entsprechenden Preiskonstellationen durchaus wirtschaftlich, diese Verluste in Kauf zu nehmen, was allerdings nicht bedeutet, daß es für ihn nicht sinnvoll ist, alle Möglichkeiten einer effizienten Dünge-und Pflanzenschutzmittelausnutzung auszuschöpfen.

Doch was für den einzelnen Bauern von Vorteil ist, nämlich für die Externalisierung seiner Produktionskosten nicht aufkommen zu müssen, wird für die Regierungen der Empfängerländer zu einem Entscheidungsproblem. Gebieten sie der Umweltzerstörung Einhalt durch Anwendung des Verursacherprinzips, dann sinkt und verteuert sich die landwirtschaftliche Produktion. Und um diese verteuerten Agrarprodukte auf den Weltmärkten absetzen zu können, müssen weitere Abwertungen in Kauf genommen werden. Was sich bislang als ein Intensitäts-und Umweltproblem darstellte, wandelt sich nunmehr zu einem Problem der Flächenkonkurrenz mit der inländischen Nahrungsmittelversorgung. Doch, so mahnt Kurt Biedenkopf: „Es sollte nicht... dazu kommen, daß sich Entwicklungsländer vor die Alternative gestellt sehen, entweder ihre Bürger verhungern zu lassen oder die Natur zu zerstören.“

VI. Gemeinsam politische Verantwortung tragen

Vor neun Jahren, als sich Ost und West noch mißtrauisch gegenüberstanden, schrieb Henry Kissinger: „Wenn die Verschuldungskrise dazu führt, radikale antiwestliche Regierungen hervorzubringen, dann werden die finanziellen Probleme durch die politischen Konsequenzen überrannt.“ Und vor einem Jahr stellte Ernst Ulrich von Weizsäcker fest: „Die ökologischen Probleme Lateinamerikas können nur gemeinsam mit der Schuldenkrise gelöst werden.“ Auf den ersten Blick scheinen sich beide Feststellungen erstaunlich zu gleichen, wird doch die gedeihliche Fortentwicklung der Weltgesellschaft vorrangig als eine politische und weniger als eine ökonomische Aufgabe betrachtet. Doch bei näherem Hinsehen zeigen sich auch gravierende Unterschiede. Handelte es sich beim Ost-West-Konflikt um ein Gegeneinander, so ist heute ein Miteinander der Weltgesellschaft gefordert. Wenn für die Bewältigung der ökologischen Probleme ein neues globales Konzept angemahnt wird, so wird das „Zurückreißen der Menschen vom nahen Untergang ... auf keinen Fall durch denselben Geist gelingen, der diese ausweglos erscheinende Entwicklung verschuldet hat“

Lokal Handeln und global Denken würde ihres Sinngehaltes entleert, wenn diese so geläufige um-weltpolitische Devise agrarentwicklungspolitisch etwa in der Weise verstanden würde, daß die Frage der optimalen Intensität der Landschaftsausnutzung in den armen und dicht besiedelten Entwicklungsländern anders zu beantworten wäre (Vorrang von ökonomisch-technischen Gesichtspunkten vor ökologischen Forderungen) als in den Überflußgesellschaften westlicher Industrieländer, „in denen der Wohlstand der Agrarbevölkerung an der überintensiven Nutzung der Agrarlandschaften zu ersticken droht“ Miteinander Verantwortung tragen kann nur heißen, der Umwelt oder Mit-Natur nicht nur dort Ehrfurcht zu zollen, wo Überfluß herrscht, sondern auch und insbesondere dort, wo gegenwärtig Mangel das menschliche Leben bestimmt.

Eine wichtige Maxime der Umweltpolitik ist das Verursacherprinzip, demzufolge derjenige die Kosten der Umweltbelastung zu tragen hat, der für ihre Entstehung verantwortlich ist. Würde man dieses Prinzip in der Dritten Welt konsequent durchsetzen, dann liefe das, so Hoimar von Dit-furth, „in der Realität auf Völkermord hinaus“ Doch, so fügt er zugleich hinzu, dürfe man es dabei nicht bewenden lassen, es müsse die Frage gestellt werden, welche Umstände die Menschen in die Lage gebracht haben, „in der eine rücksichtslose , Kostenextemalisierung‘ zum schlichten Akt der Notwehr geworden ist“. Eine Belastung der physischen Urheber von Umweltbelastungen, wie etwa der Brandrodungsbauern, greift für eine sozialverträgliche Umweltpolitik nicht nur zu kurz, sie entbehrt auch der ökonomischen Legitimation. Denn damit das Verursacherprinzip einen ökonomischen Sinn macht, muß es die Verursacher der volkswirtschaftlichen Kosten treffen, und diese Verursacher sind nicht einfach identisch mit den Urhebern der physischen Effekte.

Zweifelsohne sind es die Brandrodungsbauern, die den Tropenwald physisch zerstören. Doch neben ihnen gibt es noch weitere Verursacher, und das sind die Großbetriebe, die die Menschen in den Wald drängen. Wer wie stark zu belasten ist, ist eine politische Entscheidung, die sich aus der staatlichen Zuständigkeit und Verantwortung für die Mitwelt, Umwelt und Nachwelt ableitet. Sich ausschließlich auf die physischen Urheber zu konzentrieren und dabei darauf zu verzichten, die Ursachenkette der Umweltzerstörung um einige Glieder rückwärts zu verfolgen, wäre bezeichnend für eine klientelistische, die sozialen Belange negierende Umweltpolitik.

Legt man die vorangegangenen Betrachtungen zu den verschiedenen Ursachenketten der landwirtschaftlichen Umweltzerstörung zugrunde, so sind es fünf Bereiche, die ein verstärktes politisches Handeln erfordern:

1. Entlastung der Landwirtschaft als Beschäftigungsreservoir durch Förderung der ländlichen Industrialisierung, die den Mitgliedern der bäuerlichen Familien Zugang zu außerlandwirtschaftlichen Beschäftigungsmöglichkeiten schafft, ohne in die Städte abwandem zu müssen.

2. Anreize zur Veränderung der Bodeneigentumsund landwirtschaftlichen Produktionsstrukturen, um ökologisch angepaßte Formen der Ressourcennutzung zu ermöglichen und eine sozial-verträgliche Organisation des Bodeneigentums zu fördern.

3. Zuweisungen von sozial und ökologisch verträglichen Nutzungsrechten an den Umweltressourcen. 4. Aufklärung und Information der bäuerlichen Bevölkerung über die kausalen Zusammenhänge von Bodennutzung und Umweltzerstörung sowie über angepaßte Produktionstechniken durch ein verbessertes Leistungsangebot des landwirtschaftlichen Beratungsdienstes.

5. Verbesserung der Funktionsfähigkeit der ländlichen Finanz-und landwirtschaftlichen Absatz-und Bezugsmärkte, um die landwirtschaftlichen Produktionsrisiken zu senken und Diskriminierungen der ärmeren bäuerlichen Familien abzubauen.

Wer sich in der Programmatik der bilateralen und der multilateralen Entwicklungshilfe auskennt, wird an dem Maßnahmenkatalog nichts Besonderes finden, so unvollständig er auch immer ist. Doch es sind die Ernsthaftigkeit und die Ansiedlung seiner Umsetzung im politischen Bereich, d. h. die unausweichliche Einsicht in die politische Dimension der Entwicklungshilfe, die das Eigentliche ausmacht, soll eine weitere Umweltzerstörung durch eine Überforderung der Landwirtschaft vermieden werden.

Verantwortlich für alle Umwelteffekte, die von dem privatwirtschaftlichen System ausgehen, sind die Regierungen. Doch die Zusammenarbeit zwischen Industrie-und Entwicklungsländern beschränkt sich darauf, technisch-finanzielle Lösungsmöglichkeiten anzubieten, und überläßt es den Regierungen der Empfängerländer, ihre politische Verantwortung wahrzunehmen. Eine Entwicklungshilfe des Miteinander zur Bewältigung der ökologischen Krise kann sich nicht auf das Angebot von technischen Lösungen zurückziehen, gefordert sind politische Lösungen Nach Ansicht von Umweltminister Klaus Töpfer stellt für einen solchen Lösungsansatz die Umweltkonferenz in Rio einen wichtigen Schritt, eine „vertrauensbildende Maßnahme“ dar.

Vergleichsweise zurückhaltend dagegen gibt sich das Kieler Institut für Weltwirtschaft Die Beschlüsse des Umweltgipfels seien weder geeignet, die globalen Umweltbelastungen zu verringern, noch die Entwicklungsperspektiven der Dritten Welt zu verbessern: Die Rahmenkonzeption über Klimaveränderung sei ohne begleitende Transfer-zahlungen an die Verlierer der Verteilungsregel nicht konsensfähig; die Projektfinanzierung im Rahmen der „Globalen Umweltfazilität“ schwäche die Verhandlungsposition der Entwicklungsländer; und schließlich seien die zahlreichen Handels-hemmnisse auf den westlichen Märkten für die Entwicklungsländer nicht thematisiert worden. So muß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest fraglich erscheinen, ob das in der Erklärung von Rio proklamierte Recht auf Entwicklung, das gleichermaßen den Umwelt-und Entwicklungsbedürfnissen gerecht werden soll, der Agrarentwicklungspolitik in den Ländern der Dritten Welt die erforderliche Entlastung bietet. Es wird wohl noch erheblicher, weiterer politischer Einsichten und Anstrengungen bedürfen, soll die Erklärung von Rio nicht zur hinlänglich vertrauten internationalen Konferenzrhetorik verkommen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. A. Ehrlich, Der Beitrag der Landwirtschaft zur globalen Erwärmung, in: J. Leggett (Hrsg.), Global Warming. Der Greenpeace Report, München u. a. 1991, S. 449 ff; J. Goldenberg, Politische Reaktionen auf die globale Erwärmung, in: ebd., S. 236.

  2. Vgl. J. Herkendell/E. Koch, Bodenzerstörung in den Tropen, München 1991, S. 43.

  3. Vgl. H. -P. Schipulle, Einbeziehung der Umweltdimension in die Entwicklungspolitik der Bundesregierung, in: W. Hein (Hrsg.), Umweltorientierte Entwicklungspolitik, Hamburg 1991, S. 152.

  4. Vgl. H. Brandt, Unzureichende landwirtschaftliche Erzeugung und Entwicklung, in: Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung (Hrsg.), Voraussetzungen und Ansatzpunkte zur Stärkung der Emährungsbasis schwarzafrikanischer Länder insbesondere der LLDC, Bonn-Beuel 1984, S. 29ff.

  5. Vgl. R. Adelhelm u. a., Standortgerechte Landwirtschaft -Ansätze der Technischen Zusammenarbeit, in: P. von Blanckenburg/H.de Haen (Hrsg.), Bevölkerungsentwicklung, Agrarstruktur und ländlicher Raum, Münster-Hiltrup 1986, S. 370; D A. Hoekstra, The Use of Economics in Diagnosis and Design of Agroforestry Systems, ICRAF Working Paper No. 29, Nairobi 1985.

  6. Vgl. N. Ng’ Ethe/J. Wahome, The Rural Informal Sector in Kenya: Report of a Survey in Nyeri, Meru, Vasin Gishu and Siaya Districts, Institute for Development Studies, University of Nairobi 1987.

  7. Vgl. N. Myers, Tropische Wälder, in: J. Leggett (Anm. 1), S. 439.

  8. Vgl. G. Ocampos, Desarrollo y Modelo Agroexportador: La Relation Entre El Crecimiento Economico, La Justitia Social Y El Medio Ambiente, Asuncion 1991, S. 29.

  9. D. Burger, Nutzungsformen des Amazonaswaldes: ökologische kontra institutionelle Rahmenbedingungen, in: Nord-Süd aktuell, 5 (1991) 3, S. 376.

  10. Vgl. Nord-Süd aktuell, 5 (1991)

  11. K. Biedenkopf, Wachstum bis Zeit vom 26. September 1991, S. 43. 3, S. 337. zur Katastrophe?, in: Die

  12. Vgl. M. Redclift, Sustainable Development. Exploring the Contradictions, London u. a. 1987, S. 152.

  13. Vgl. V. Shiva, Coming Tragedy of the Commons, in: Economic and Political Weekly, 21 (1986) 15, S. 613f.

  14. Vgl. D. W. Bromley, Economic Interests and Institutions, New York 1989, S. 32.

  15. Vgl. R. L. Heilbroner, Die Zukunft der Menschheit, Frankfurt 1976, S. 82f.

  16. H. E. Daly, The Economic Growth Debate: What some economists have leamed but many have not, in: Journal of Environmental Economics and Management, 14 (1987), S. 329.

  17. Vgl. S. V. Ciriacy-Wantrup/R. Bishop, “ Common Property" as a Concept in Natural Resources Policy, in: Natural Resources Journal, 15 (1975), S. 714.

  18. Vgl. N. S. Jodha, Rural Common Property Resources. Contribution and Crisis, in: Economic and Political Weekly, 25 (1990), S. A-67.

  19. Vgl. J. Quiggin, Murray River Salinity. An Illustrative Model, in: American Journal of Agricultural Economics, 70 (1988) 3, 8. 635ff.

  20. E U. von Weizsäcker, Bigotter Umwelteifer, in: Die Zeit vom 25. Oktober 1991, S. 44.

  21. K. Biedenkopf (Anm. 11), S. 44.

  22. Zit. in U. Albrecht, Internationale Politik, München u. a. 1986, S. 125.

  23. E. U. von Weizsäcker (Anm. 20), S. 44.

  24. S. Hunke, Das nach-kommunistische Manifest, Stuttgart 1974, S. 225.

  25. G. Weinschenck/R. Werner, Prinzipien einer ökologisch orientierten Agrarpolitik, in: W. von Urff/R. Zapf (Hrsg.), Landwirtschaft und Umwelt, Fragen und Antworten aus der Sicht der Wirtschafts-und SozialWissenschaften des Landbaues, Münster -Hiltrup 1987, S. 432f.

  26. H. von Ditfurth, So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen. Es ist soweit, München 1988, S. 244.

  27. Vgl. J. von Stockhausen, Paraguay zwischen Auslands-verschuldung, Bodenspekulation und Umweltzerstörung, in: entwicklung und ländlicher raum, 25 (1991) 5, S. 11 ff.

  28. Zukunft ohne Wohlstandslüge, in: Die Zeit vom 19. Juni 1992, 8. 26.

  29. Vgl. Position der Entwicklungsländer geschwächt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Juli 1992, S. 11.

Weitere Inhalte

Joachim von Stockhausen, Dr. agr. sc., geb. 1939; Studium der Land-und Volkswirtschaft; apl. Professor für Agrarökonomie an der Universität Göttingen; freiberuflicher Gutachter in der Entwicklungshilfe. Veröffentlichungen u. a.: Staatliche Agrarkreditpolitik und ländliche Finanzmärkte in den Ländern der Dritten Welt, Berlin 1984; Theorie und Politik der Entwicklungshilfe, München 1986; Kleinbetriebe in Entwicklungsländern und ihre finanzielle Förderung, Frankfurt 1988.