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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwischen Recht und Politik | Öffentlich-rechtlicher Rundfunk | bpb.de

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwischen Recht und Politik

Dieter Dörr

/ 14 Minuten zu lesen

Die vom Bundesverfassungsgericht ausgestaltete Rundfunkfreiheit sichert einerseits die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, gibt dem Gesetzgeber andererseits aber einen Gestaltungsspielraum, den es demokratiefunktional zu nutzen gilt.

Die Medienordnung in Deutschland ist wie kaum ein anderer Bereich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt, das insbesondere in den dreizehn Rundfunkurteilen aus der Rundfunkfreiheit detaillierte Vorgaben für die Medienordnung abgeleitet hat. Dabei ging es wiederholt um die Frage, ob und inwieweit Parlamente und Regierungen durch gesetzliche Vorgaben und Finanzierungsentscheidungen Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nehmen dürfen.

Dass diese Frage das Bundesverfassungsgericht immer wieder beschäftigte, lag auch daran, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner jetzigen Form keine deutsche Erfindung war, sondern nach 1945 durch die Vorstellungen der Briten und US-Amerikaner in ihren jeweiligen Besatzungszonen geprägt wurde. Angesichts der historischen Erfahrungen mit dem zentralistischen staatlichen Rundfunk (Reichsrundfunkgesellschaft) in der Weimarer Republik und seines nachfolgenden Missbrauchs durch die Nationalsozialisten als Propagandainstrument waren sich Briten und Amerikaner einig, einen demokratischen Rundfunk schaffen zu wollen, der weder dem Staat oder den Parteien noch einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, etwa den Kapitalgebern, sondern der Allgemeinheit gehören sollte. Die von den Briten eingebrachte Staatsferne und Pluralität zur Gewährleistung umfassender und ausgewogener Information der Bürgerinnen und Bürger und der von den Amerikanern beigesteuerte Föderalismus bildeten das Fundament dieses neuen Rundfunks.

Allerdings war diese auf die Vorstellungen der Westalliierten zurückgehende Konstruktion von Anfang an umstritten. Beiden großen politischen Parteien der frühen Bundesrepublik, sowohl der SPD als auch und noch stärker der CDU, war das Modell einer Kontrolle durch "gesellschaftlich relevante Gruppen" ein Dorn im Auge; sie verlangten mehr oder weniger unverblümt einen stärkeren Einfluss der Parteien und des Staates in den Gremien, bis hin zu deren Besetzung in Übereinstimmung mit den Wahlergebnissen. Der Versuch Konrad Adenauers, mit der Deutschland-Fernsehen-GmbH in Form einer im staatlichen Eigentum stehenden privaten Gesellschaft wieder ein vom Bund kontrolliertes Staatsfernsehen nach Weimarer Muster zu schaffen, scheiterte im Februar 1961 mit dem berühmten Ersten Fernsehurteil vor dem Bundesverfassungsgericht. Das im Rahmen eines Bund-Länder-Streits ergangene Urteil gilt, anknüpfend an eine Äußerung des damaligen Intendanten des Süddeutschen Rundfunks Hans Bausch, ganz zu Recht als "Magna Charta des Rundfunkrechts".

Bedeutung des Ersten Fernsehurteils

Die Karlsruher Richter begnügten sich in diesem Ersten Fernsehurteil nicht mit der Feststellung, dass dem Bund bereits die Kompetenz fehle, sich der Materie Rundfunk, auch in Form der Gründung einer privaten Gesellschaft, anzunehmen. Vielmehr enthält das Urteil auch grundsätzliche Aussagen zur Rundfunkfreiheit, die nach Ansicht des Gerichts von fundamentaler Bedeutung auch für das verfassungsrechtliche Leben in den Ländern ist, weshalb ihr objektiv-rechtlicher Gehalt auch in einem Bund-Länder-Streit verteidigt werden könne. Die Rundfunkfreiheit hat aus Sicht der Richter für die Demokratie und die freie Information der Bürgerinnen und Bürger zentrale Bedeutung, da der Rundfunk nach ihrer zutreffenden Ansicht nicht nur Medium, sondern auch ein eminenter Faktor der öffentlichen Meinungsbildung ist. Deshalb sind – so das Gericht – besondere Vorkehrungen erforderlich, um die Rundfunkfreiheit zu verwirklichen und aufrechtzuerhalten.

Ein zulässiger Weg war nach ihrer Ansicht der Aufbau föderaler öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, die dem staatlichen Einfluss entzogen und höchstens einer begrenzten Rechtsaufsicht unterworfen sind. Damit hatte das von den Alliierten geschaffene System den verfassungsgerichtlichen Segen erhalten. Aber bereits in dieser Entscheidung weist das Gericht darauf hin, dass ein öffentlich-rechtliches Monopol unter den damaligen Bedingungen zwar zulässig, aber nicht zwingend ist. Mit diesem Hinweis wurde bereits 1961 der Weg zu einem dualen Rundfunksystem geebnet.

Zudem verbietet nach Ansicht des Gerichts die Bestimmung des Artikels 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes, dass der Rundfunk dem Staat oder einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert werden darf. Dies schließt es aus, dass der Staat – auch in der Form einer privaten Gesellschaft – als Rundfunkveranstalter auftritt, wie es mit der Deutschland-Fernsehen-GmbH geplant war. Zudem darf er auch keinen beherrschenden Einfluss über ihm zuzurechnende Gremienmitglieder ausüben. Allerdings schließt es dieser Grundsatz der "Staatsfreiheit" nach Ansicht des Gerichts nicht aus, dass den Organen der Rundfunkanstalten ein "angemessener Anteil" staatlicher Vertreter angehört. Daher wäre es wohl schon damals sachgerecht gewesen, nicht von Staatsfreiheit, sondern von Staatsferne zu sprechen.

Mit dieser ersten Entscheidung in einer langen Reihe von Rundfunkurteilen begannen die Karlsruher Richter, die bundesdeutsche Rundfunkordnung entscheidend mitzuprägen. Ihr Beitrag zum Erhalt und der Fortentwicklung einer demokratischen, vielfältigen, der Demokratie verpflichteten und den kulturstaatlichen Auftrag berücksichtigenden Rundfunklandschaft kann gar nicht genug gewürdigt werden.

Die in den Entscheidungen entwickelten Vorgaben schränken allerdings den grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraum der Länder im Bereich des Medienrechts nicht unerheblich ein, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugleich verpflichtet sind, den Rundfunk nicht dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen, sondern ihn gesetzlich auszugestalten. Dieses Spannungsverhältnis soll im Folgenden an den Beispielen der fortbestehenden Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie seines Auftrags und seiner Finanzierung verdeutlicht werden.

Fortbestehende Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Die Digitalisierung hat gravierende, teilweise disruptive Veränderungen für die gesamte Medienlandschaft und insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit sich gebracht. Mit ihr ist es möglich geworden, jedwede Kommunikationsinhalte auf verschiedenen Übertragungswegen zu verbreiten und für die Empfänger auf beliebigen Endgeräten verfügbar zu machen. Zudem sind neben das klassische Fernsehen eine riesige Zahl weiterer medialer Angebote getreten, deren Bedeutung sich dem Fernsehen mehr und mehr annähert. Dies hat zu einer unermesslichen Vielzahl von Informations- und Unterhaltungsangeboten geführt, die jedem über das Internet auf Abruf zur Verfügung stehen. Die Digitalisierung bewirkt also auf der einen Seite die massenhafte Verbreitung meinungsrelevanter Inhalte und befördert dadurch die Informationsvielfalt. Dieser Zuwachs ist aber auf der anderen Seite mit einem Verlust an Übersichtlichkeit verbunden. In dieser Situation gewinnen die Informationsvermittler, also die "Intermediäre", zunehmend an Bedeutung, die mit ihren durch Algorithmen gesteuerten Selektionsleistungen über die Reichweite der Angebote maßgeblich mitbestimmen. Neu ist dabei die Möglichkeit, durch Tarnprofile oder Social Bots die eigenen Überzeugungen um ein Vielfaches multipliziert zu verbreiten und so den Anschein einer mehrheitsfähigen Tendenz zu erwecken.

Zudem geht mit den durch die Digitalisierung bewirkten Veränderungen eine zunehmende Fragmentierung der Gesellschaft einher. Dieser Trend wird durch Empfehlungen Dritter gestärkt, die zu vielbeachteten viralen Effekten führen. Die Folge dieser Fragmentierung ist, dass sich Communities bilden, die, gestützt auf die im Internet bereitstehenden Kommunikationsplattformen, vorwiegend untereinander kommunizieren und sich dem Austausch mit anderen Gruppen tendenziell verschließen. Dadurch entstehen sogenannte Echokammern beziehungsweise Filterblasen. Da sich in diesen digitalen Realitäten eigene Mentalitäten und Sichtweisen herausbilden, ist das Risiko hoch, dass sie sich von anderen Communities, insbesondere von den Eliten aus Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft, entfremden. Schließlich hat die massenhafte Verbreitung von Hass und Hetze in einem Ausmaß zugenommen, das sich viele vor nicht allzu langer Zeit nicht vorstellen konnten.

Zu diesen allgemeinen Entwicklungen treten Vorgänge bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten selbst hinzu, die mitunter dazu beitragen, den Fortbestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks infrage zu stellen – so zuletzt etwa beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), bei dem der Intendantin ein "System der Gefälligkeiten" zwischen ihr und dem RBB-Verwaltungsratsvorsitzenden vorgeworfen wurde, oder beim Norddeutschen Rundfunk (NDR), in dessen Umfeld Vorwürfe politischer Einflussnahme laut geworden waren. Diese Vorgänge sind ganz unabhängig vom Ausgang strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gravierend und haben eine heftige Diskussion darüber ausgelöst, ob man der Objektivität und Verlässlichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei seiner Berichterstattung noch trauen kann und ob er mit den ihm anvertrauten Beitragsmitteln sachgerecht und sparsam umgeht. Infrage gestellt wird damit auch, ob die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Zukunft noch Bestand haben kann und ob ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der bisherigen Form weiterhin notwendig ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die Rundfunkfreiheit eine dienende Funktion für die Demokratie. Die Demokratie ist idealtypisch auf umfassend informierte Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Daher muss das Medienangebot umfassende und vielfältige Informationen ermöglichen. Diese Aufgabe obliegt im Bereich des Rundfunks in erster Linie den öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Schon im Zweiten Gebührenurteil vom 11. September 2007 und noch intensiver in der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags vom 18. Juli 2018 nimmt das Bundesverfassungsgericht zur Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der digitalen Medienwelt Stellung. Es betont, dass die Digitalisierung der Medien und insbesondere die Netz- und Plattformökonomie des Internets einschließlich der sozialen Netzwerke Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen bei Anbietern, Verbreitern und Vermittlern von Inhalten begünstigen. Hinzu komme die Gefahr, dass – auch mithilfe von Algorithmen – Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führe. Dies alles führe zu schwieriger werdender Trennbarkeit zwischen Fakten und Meinung, Inhalt und Werbung sowie zu neuen Unsicherheiten hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen. Der einzelne Nutzer müsse die Verarbeitung und die massenmediale Bewertung übernehmen, die herkömmlich durch den Filter professioneller Selektionen und durch verantwortliches journalistisches Handeln erfolgt. Angesichts dieser Entwicklung wachse die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische und sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit unverzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken. Er müsse, so die Richter, ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht bilden. Diese Überlegungen werden in der jüngsten Rundfunkentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nochmals ausdrücklich bestätigt.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht etwa entbehrlich geworden ist, sondern – ganz im Gegenteil – unverzichtbarer ist als je zuvor.

Auftrag und Finanzierung

Die Bestimmung des Artikels 5 Absatz 1 Satz 2 GG enthält nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Auftrag, die Rundfunkfreiheit durch eine Ordnung zu gewährleisten, die sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in größtmöglicher Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet. Die Ausgestaltung dieser Ordnung ist Aufgabe der Landesgesetzgeber, die dabei grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum, auch für Differenzierungen insbesondere nach der Regelungsart und Regelungsdichte, haben. Allerdings sind die Länder verpflichtet, die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einschließlich seiner bedarfsgerechten Finanzierung zu sichern. Damit korrespondiert ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter, der mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar ist.

Zwischen der bedarfsgerechten Finanzierung und dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Dieser beruht unter anderem darauf, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk wegen der ihm zustehenden Rundfunkfreiheit Programmautonomie besitzt. Daher steht ihm die Entscheidung über die zur Erfüllung des Funktionsauftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms zu. Bei der Festsetzung des Rundfunkbeitrags müssen Risiken einer mittelbaren Einflussnahme auf die Wahrnehmung des Programmauftrags ausgeschlossen werden, um die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten zu sichern. Daher sind für die Beitragsfestsetzung die Grundsätze der Programmneutralität und der sogenannten Programmakzessorietät maßgeblich. Dies bedeutet, dass sich die Finanzierung nach dem Auftrag richten muss und nicht umgekehrt.

Spielraum des Gesetzgebers

Das hat allerdings nicht zur Folge, dass dem Gesetzgeber im Übrigen medienpolitische oder programmleitende Entscheidungen als solche versagt sind. Vielmehr sind gesetzliche Programmbegrenzungen keineswegs von vornherein ausgeschlossen. Hierzu sind die Länder aber auf die allgemeine Rundfunkgesetzgebung verwiesen. Insbesondere darf eine Entscheidung über Zeitpunkt, Umfang oder Geltungsdauer der Beitragsfestsetzung nicht zu Zwecken der Programmlenkung oder der Medienpolitik, namentlich im dualen System, benutzt werden.

Bei der Konkretisierung des Auftrags müssen die Länder die verfassungsrechtlichen Vorgaben beachten, die das Bundesverfassungsgericht aus der besonderen Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für eine ausgewogene, vielfältige und umfassende Information und damit für eine funktionsfähige Demokratie abgeleitet hat. Ganz allgemein gestehen die Karlsruher Richter in der Entscheidung zum ZDF-Staatsvertrag vom 25. März 2014 und der jüngsten Rundfunkentscheidung vom 20. Juli 2021 dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen "klassischen Funktionsauftrag" zu, der sich vor allem auch in der Aufgabe eines Gegengewichts zu den privaten Rundfunkanbietern manifestiert (Komplementärfunktion). Mit dieser Feststellung verknüpfen sie Erwartungen an öffentlich-rechtliche Programme und Telemedien, also Abrufangebote. So müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk insbesondere auch solche Aspekte aufgreifen, die über die Standardformate von Sendungen für das Massenpublikum hinausgehen oder solchen dann ein eigenes Gepräge geben. Bestätigt werden die Aussagen vorangegangener Urteile, wonach der Auftrag nicht als Mindestversorgung oder als das Füllen von "Lücken" und "Nischen", sondern im Sinne einer Vollversorgung ("klassischer Rundfunkauftrag") zu verstehen ist, wobei das Angebot insgesamt dynamisch offen sein muss und seine Verbreitung nicht auf einen bestimmten technischen Entwicklungsstand beschränkt sein darf.

Obwohl gesetzgeberische Ansätze zur Umschreibung des Funktionsauftrags stets Gefahr laufen, in Widerspruch zu diesen verfassungsgerichtlichen Vorgaben zu geraten, bleiben sie angesichts der abstrakten verfassungsgerichtlichen Anforderungen notwendig und erweisen sich als unumgänglich, zumal auch das europäische Beihilferecht eine möglichst präzise Beschreibung des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verlangt.

Mit dem Bundesverfassungsgericht bleibt festzuhalten, dass die Rundfunkanstalten trotz Programmautonomie bei der Bestimmung des Programmumfangs gerade nicht vollständig frei sind. Allerdings muss das Programmangebot auch für neue Inhalte, Formate und Genres sowie für neue Verbreitungsformen offen bleiben. Der Gesetzgeber darf also den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks trotz seines weiten Gestaltungsspielraums in programmlicher Hinsicht nicht auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand einfrieren.

Insoweit erscheint es sachgerecht, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade in der digitalen Welt die Entwicklungsmöglichkeiten einzuräumen beziehungsweise zu erhalten, die ihn im Wettbewerb publizistisch konkurrenzfähig bleiben lassen.

Verfahren zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags

Trotz des Grundsatzes der Programmakzessorietät wird derzeit besonders intensiv über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die "Beitragsstabilität" diskutiert, die sich einzelne Landespolitikerinnen und Landespolitiker auf die Fahnen geschrieben haben und die auch im Beschluss der Rundfunkkommission zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk vom 19./20. Januar 2023 auftaucht. Dies geht so weit, dass etwa der Ministerpräsident von Brandenburg bereits vor Beginn des Beitragsfestsetzungsverfahrens erklärt hat, einer möglichen von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) vorgeschlagenen Beitragserhöhung nicht zuzustimmen. Um beurteilen zu können, ob Landesregierungen oder Landesparlamente eine von der KEF vorgeschlagene Beitragserhöhung ohne spezifische Gründe ablehnen dürfen, ist es notwendig, die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genauer zu analysieren.

Besonders intensiv hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der angemessenen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dem diesbezüglichen Gebührenfestsetzungsverfahren in den beiden Gebührenurteilen 1994 und 2007 beschäftigt. Es hat in diesen Entscheidungen das dreistufige Verfahren zur Festlegung der Höhe der Rundfunkgebühr entwickelt beziehungsweise bestätigt. In seiner jüngsten Rundfunkentscheidung 2021 musste sich das Gericht damit befassen, ob diese Rechtsprechung auch für den ab 2013 an die Stelle der Rundfunkgebühr getretenen Rundfunkbeitrag gilt, was die Karlsruher Richter nachdrücklich bejahten. Zudem stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass auch ein Unterlassen der Zustimmung zu einem Staatsvertrag, mit dem der Rundfunkbeitrag entsprechend dem Vorschlag der KEF erhöht werden soll, tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist, weil aus der Rundfunkfreiheit in Bezug auf die Gewährleistung der funktionsgerechten Finanzierung eine Handlungspflicht der Länder abzuleiten ist. Daher könne ein Unterlassen der Erfüllung dieser Pflicht mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden.

Am Beginn des Verfahrens zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags muss nach dieser Rechtsprechung die Bedarfsanmeldung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stehen, die auf ihren Programmentscheidungen beruht und sich nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu richten hat. Auf der zweiten Stufe ist eine Überprüfung der Bedarfsanmeldung durch eine staats- und politikfrei besetzte Sachverständigenkommission, also durch die KEF, vorzunehmen. Diese kontrolliert, ob sich die Bedarfsanmeldungen innerhalb des rechtlich umgrenzten Rundfunkauftrages halten und der daraus abgeleitete Finanzbedarf zutreffend und in Einklang mit den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist. Es handelt sich bei dieser Kontrolle also nicht um eine politische, sondern um eine fachliche Aufgabe. Die Kontrolle endet in einem konkreten Beitragsvorschlag auf der Grundlage des überprüften Finanzbedarfs (KEF-Bericht).

Die eigentliche Beitragsfestsetzung erfolgt dann auf der dritten Stufe durch einen Staatsvertrag, dem alle Landesparlamente zustimmen müssen. Allerdings sind Abweichungen von dem Beitragsvorschlag der KEF zulasten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig. Dabei erschöpfen sich die Abweichungsgründe im Wesentlichen in den Gesichtspunkten des Informationszugangs und der angemessenen Belastung der Rundfunkteilnehmer, also der Sozialverträglichkeit des Beitrags.

Diese Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht 2021 in einem Punkt nochmals verschärft. Es verlangt nämlich für ein Abweichen vom Beitragsvorschlag der KEF eine einvernehmliche Entscheidung aller Länder. Hält also ein Land eine Abweichung für erforderlich, ist es in Zukunft Sache dieses Landes, das Einvernehmen aller Länder über die Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF herbeizuführen. Zudem muss der Abweichungsgrund von allen Ländern dargelegt und hinreichend begründet werden.

Das dreistufige Verfahren zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags hat sich bisher insbesondere deshalb bewährt, weil sich die KEF als Garant für die Einhaltung von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und damit der Interessen der Beitragszahler erwiesen hat. Dies lässt sich angesichts der Entwicklung der Beitragshöhe verdeutlichen:

Als am 1. Januar 2013 die Umstellung der Rundfunkgebühr auf den Rundfunkbeitrag erfolgte, betrug die Gebühr 17,98 Euro pro Monat. Diese Höhe wurde zunächst für den Rundfunkbeitrag unverändert beibehalten, ab dem 1. April 2015 auf 17,50 Euro abgesenkt und blieb bis 2021 stabil. Zum 1. Januar 2021 schlug die KEF eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags auf 18,36 Euro vor. Wegen der unterlassenen Zustimmung des Landtages von Sachsen-Anhalt trat der von allen Ländern unterzeichnete Staatsvertrag zunächst nicht in Kraft; dessen maßgebliche Bestimmungen setzte dann das Bundesverfassungsgericht nach erfolgreichen Verfassungsbeschwerden von ARD, ZDF und Deutschlandradio mittels Vollstreckungsanordnung mit Wirkung ab dem 20. Juli 2021 in Kraft. Der Rundfunkbeitrag weist demnach, nicht zuletzt durch die effektive Kontrolle der KEF, ein hohes Maß an Stabilität über einen langen Zeitraum auf.

An dem bisherigen Verfahren zur Festsetzung des Rundfunkbeitrages ist nicht nur aus diesem Grunde, sondern auch im Interesse der Staatsferne unbedingt festzuhalten, da ansonsten mittels Gewährung beziehungsweise Verweigerung einer Beitragserhöhung durch Landesregierungen oder Landesparlamente indirekt, aber besonders effektiv Einfluss auf das Programm genommen werden kann. Dies bedeutet nicht, dass die Länder keinen Einfluss besitzen. Vielmehr bestimmt der Auftrag die Finanzierung. Bei der Ausgestaltung des Auftrags besitzen die Länder durchaus Gestaltungsspielraum. Es liegt an ihnen, ob und in welcher Weise sie davon Gebrauch machen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. BVerfGE 12, 205; 31, 214; 57, 295; 73, 118; 74, 297; 83, 238; 87, 181; 90, 60; 119, 181; 121, 30; 136, 9; 149, 222; 158, 389.

  2. Vgl. Axel Buchholz, Wie staatsfern ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk?, in: Mark D. Cole/Stephanie Schiedermair/Eva Ellen Wagner (Hrsg.), Die Entfaltung der Freiheit im Rahmen des Rechts. Festschrift für Dieter Dörr zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2022, S. 603–616, hier S. 603ff.

  3. BVerfGE 12, 205. Zur Bedeutung dieser Entscheidung vgl. Dieter Dörr, Die Magna Charta des Rundfunkrechts – Das Erste Fernsehurteil und seine Folgen, in: Jürgen Becker/Peter Weber (Hrsg.), Funktionsauftrag, Finanzierung, Strukturen – Zur Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, Liber Amicorum für Carl-Eugen Eberle, Baden-Baden 2012, S. 143–154.

  4. Zitiert nach Knut Hickethier, Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart 1998, S. 116.

  5. BVerfGE 12, 205 (243ff.).

  6. Ebd., 259ff.

  7. Ebd., 259.

  8. Ebd., 261f.

  9. Ebd., 263. Detaillierte Vorgaben zur Gremienbesetzung hat das Bundesverfassungsgericht erst in der Entscheidung BVerfGE 136, 9 (37ff.) entwickelt.

  10. In der Entscheidung BVerfGE 136, 9 (33f.) bekennt sich das Gericht ausdrücklich zum Begriff der Staatsferne und hebt den Unterschied zur Staatsfreiheit hervor.

  11. Vgl. Dieter Dörr, Unabhängig und gemeinnützig – ein Modell von gestern?, in: ARD (Hrsg.), 50 Jahre ARD, Baden-Baden 2000, S. 12–22, hier S. 15.

  12. So zuletzt BVerfGE 158, 389 (421), unter Hinweis auf BVerfGE 119, 181 (214 und 221).

  13. Vgl. ebd.

  14. Auf die aus der Staatsferne abgeleiteten detaillierten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Gremienzusammensetzung wird in diesem Beitrag nicht näher eingegangen. Vgl. dazu BVerfGE 136, 9 (37ff.) und Dieter Dörr, Grundsätze der Medienregulierung, in: ders./Johannes Kreile/Mark D. Cole (Hrsg.), Medienrecht. Recht der elektronischen Medien, Frankfurt/M. 2022, Rn. 105ff.

  15. Vgl. zu diesen Entwicklungen Dieter Dörr/Bernd Holznagel/Arnold Picot, Legitimation und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Zeiten der Cloud, Frankfurt/M. 2016, S. 15ff.

  16. Vgl. ebd., S. 32ff. m.w.N.

  17. Vgl. epd medien 33–34/2022, S. 12f. und 35/2022, S. 13.

  18. Vgl. epd medien 35/2022, S. 13.

  19. Vgl. epd medien 44/2022, S. 7f. und 37/2022, S. 9ff.

  20. Vgl. BVerfGE 57, 295 (319); 83, 238 (295); 87, 181 (197); 158, 389 (416).

  21. Eingehend dazu Paul Kirchhof, Der Öffentlichkeitsauftrag des öffentlichen Rundfunks als Befähigung zur Freiheit, in: Hanns Abele/Hermann Fünfgeld/Antonio Riva (Hrsg.), Werte und Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der digitalen Zukunft, Berlin 2001, S. 9–21.

  22. Vgl. nur BVerfGE 158, 389 (417f.). Dazu auch Dieter Dörr/Richard Deicke, Positive Vielfaltsicherung – Ein Beitrag zur Bedeutung und zukünftigen Entwicklung der Fensterprogramme für die Meinungsvielfalt in den privaten Fernsehprogrammen, in: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (ZUM) 2/2015, S. 89–106, hier S. 91f.

  23. BVerfGE 119, 181.

  24. BVerfGE 149, 222 (261f.).

  25. BVerfGE 158, 389 (419f.).

  26. Vgl. BVerfGE 57, 295 (319f.); 73, 118 (152f.); 90, 60 (88); 114, 371 (387ff.); 136, 9 (28); 158, 389 (416f.).

  27. Vgl. zuletzt BVerfGE 158, 389 (415); so auch schon BVerfGE 74, 297 (342); 87, 181 (198); 90, 60 (91); 119, 181 (214).

  28. Vgl. BVerfGE 158, 389 (415).

  29. Vgl. ebd., 421.

  30. BVerfGE 136, 9 (30).

  31. BVerfGE 158, 389 (417f.).

  32. BVerfGE 136, 9 (30).

  33. Ebd.

  34. BVerfGE 12, 45 (53).

  35. Vgl. auch Andreas Neun, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Grenzen des Wachstums, Berlin 2002, S. 365ff.; Martin Eifert, Konkretisierung des Programmauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Baden-Baden 2002, S. 89ff.

  36. Vgl. Hubertus Gersdorf, §26 MStV, in: Beck’scher Online-Kommentar Informations- und Medienrecht, 36. Edition 2022, Rn. 9ff.

  37. Vgl. nur BVerfGE 158, 389.

  38. Vgl. Gersdorf (Anm. 36).

  39. Abgedruckt in epd medien 4/2023, 42f.

  40. BVerfGE 90, 60 (101ff.); 119, 181 (222ff.).

  41. BVerfGE 158, 389.

  42. Ebd., 424ff.

  43. Ebd., 413ff.

  44. Ebd., 429.

  45. Ebd., 430.

  46. Ebd., 431f.

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war bis 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Medienrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
E-Mail Link: ddoerr@uni-mainz.de