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Comeback der Industriepolitik? | Industriepolitik | bpb.de

Industriepolitik Editorial Comeback der Industriepolitik? In der Sackgasse. Warum Industriepolitik scheitern wird Europa braucht eine aktive Industriepolitik Pragmatischer Interventionismus. Deutsche Industriepolitik im 20. und 21. Jahrhundert Herausforderungen der Industrie am Standort Deutschland Fluch der Nostalgie. Industriepolitik in den USA Mehr als Protektionismus. Industriepolitik und die industrielle Revolution

Comeback der Industriepolitik?

Holger Görg

/ 14 Minuten zu lesen

Spätestens seit der Verabschiedung des CHIPS and Science Act und des Inflation Reduction Act durch die US-Administration unter Joe Biden wird von einer Renaissance der Industriepolitik gesprochen. Welche Ziele verfolgt Industriepolitik? Und was sind ihre Vor- und Nachteile?

Die Weltwirtschaft wurde in den vergangenen Jahren von zahlreichen Krisen und Veränderungen erschüttert. Die Corona-Pandemie, die russische Invasion in der Ukraine, Naturkatastrophen, Unfälle wie im Suezkanal, aber auch die wachsenden geopolitischen Ambitionen Chinas haben unter anderem dazu geführt, dass viele Unternehmen die Struktur ihrer internationalen Lieferketten und damit auch ihre Produktionsstandorte grundlegend überdenken. Ein viel diskutiertes Ziel ist es dabei, die Abhängigkeiten von bestimmten Märkten zu reduzieren, wobei in der deutschen Diskussion neben Russland vor allem China im Fokus steht. Aber nicht nur in Deutschland, sondern auch in der übrigen EU und den USA steht dieses Thema auf der Agenda aktueller wirtschaftspolitischer Debatten. Ein Teil der Strategie zur Verringerung dieser Abhängigkeiten ist der Versuch, die Standortentscheidungen von Unternehmen in Hochtechnologiesektoren dahingehend zu beeinflussen, dass sie sich im eigenen Land niederlassen. Dazu werden Subventionen und andere finanzielle Anreize von staatlicher Seite eingesetzt. Diese können als industriepolitische Maßnahmen verstanden werden.

Lange Zeit war Industriepolitik in vielen hochindustrialisierten Ländern, auch in Deutschland, verpönt. Spätestens seit der Verabschiedung des CHIPS and Science Act und des Inflation Reduction Act (IRA) im August 2022 durch die US-Administration unter Joe Biden wird von einem Comeback der Industriepolitik gesprochen. Nach heftigen politischen Auseinandersetzungen hat auch die EU industriepolitische Maßnahmen beschlossen, die dem IRA entgegenwirken sollen, insbesondere den EU Chips Act, der ähnlich dem amerikanischen CHIPS Act auch die Halbleiterproduktion betrifft.

Doch welche Ziele werden mit Industriepolitik verfolgt? Wie funktioniert sie? Welche Vor- und Nachteile hat sie? Und war Industriepolitik tatsächlich lange Zeit in Vergessenheit geraten?

Was ist Industriepolitik?

Die Ökonomen Réka Juhász, Nathan J. Lane und Dani Rodrik definieren Industriepolitik als wirtschaftspolitische Maßnahmen, die explizit darauf abzielen, die Struktur der wirtschaftlichen Aktivitäten zu verändern, um ein bestimmtes öffentliches Ziel zu erreichen – ein Ziel, das durch die Aktivitäten der Unternehmen und des Marktes allein nicht oder nicht schnell genug erreicht werden könne. Der Grund dafür liege darin, dass private Wirtschaftsaktivitäten sogenannte Externalitäten erzeugen, die von privaten Unternehmen bei ihren Entscheidungen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Ein Beispiel: Die Investition eines Hochtechnologieunternehmens schafft nicht nur neue Arbeitsplätze im investierenden Unternehmen, sondern kann auch dazu führen, dass sich vermehrt hochqualifizierte Arbeitskräfte in der Region niederlassen, die dann auch von anderen Unternehmen angeworben werden können. Dieser Aspekt wird jedoch vom rein betriebswirtschaftlich orientierten investierenden Unternehmen nicht in Betracht gezogen.

Wichtig bei der Diskussion um Industriepolitik ist auch die Einsicht, dass damit ein Strukturwandel der Wirtschaft beabsichtigt ist. So besteht ein wesentlicher Aspekt der Industriepolitik darin, dass jeweils ein bestimmter Teil der Wirtschaft gefördert wird – zum Beispiel die Halbleiterhersteller durch die Chip-Acts der EU und der USA –, was gleichzeitig bedeutet, dass andere Teile der Wirtschaft nicht gefördert werden. Dies soll zu einer intendierten Strukturveränderung der Wirtschaft führen. Typischerweise geht es dabei um die Förderung von Innovation und Wachstum in bestimmten Wirtschaftssektoren wie der Hochtechnologie, um den Ausbau von Klimaschutzmaßnahmen oder um den Erhalt beziehungsweise die Schaffung von Arbeitsplätzen in ausgewählten Unternehmen oder Branchen.

Diese Politik kann durch unterschiedliche Maßnahmen umgesetzt werden. Am stärksten wahrgenommen werden Subventionen und steuerliche Anreize für Unternehmen – auch weil sie quantitativ gut messbar und darstellbar sind. So wurde bei der Verabschiedung des IRA in den USA angegeben, dass im Rahmen dieses Gesetzes rund 369 Milliarden US-Dollar an finanziellen Anreizen für Investitionen in „grüne Technologien“ bereitgestellt werden sollen. Auch in Deutschland sind die im August 2023 zugesagten milliardenschweren Subventionen des Bundes an den taiwanesischen Halbleiterhersteller TSMC für eine neue Niederlassung in Sachsen ein bekanntes Beispiel.

Dies ist aber nicht der einzige Weg, Industriepolitik zu betreiben. Auch handelspolitische Maßnahmen wie Zölle zum Schutz der heimischen Produktion oder Anreize für die Exporttätigkeit bestimmter Branchen werden genutzt. So wird in der EU seit einigen Monaten diskutiert, ob zusätzliche Zölle auf chinesische Autoimporte erhoben werden sollen, um die heimische Automobilindustrie zu schützen. Auch der Abbau bürokratischer Hürden oder Auflagen für bestimmte Wirtschaftszweige kann industriepolitische Ziele verfolgen. So können sowohl der Beschluss des EU-Parlaments, Verbrennungsmotoren in der Automobilindustrie ab 2035 zu verbieten, als auch der deutsche Widerstand gegen dieses Gesetz und die damit verbundenen Ausnahmen für sogenannte E-Fuels als industriepolitische Maßnahmen im Sinne der obigen Definition angesehen werden.

Kritische Einwände

Sowohl die Ziele der Industriepolitik als auch die Maßnahmen zu ihrer Umsetzung erscheinen auf den ersten Blick sinnvoll. Warum aber war und ist diese Art der Wirtschaftspolitik in Teilen von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft dann so verpönt? Die wirtschaftswissenschaftliche Kritik an der Industriepolitik konzentriert sich vor allem auf zwei Aspekte: die Rolle des Staates und die Wirksamkeit der Maßnahmen.

Wenn Industriepolitik auf die Förderung bestimmter Wirtschaftszweige abzielt, dann sollten dies natürlich besonders „förderungswürdige“ Branchen und Unternehmen sein. Meist handelt es sich um Unternehmen, die besondere Wachstumschancen für die Zukunft versprechen, also um „Gewinner“ der Wirtschaft. Es kann sich aber auch um Unternehmen in bestimmten Branchen handeln, die durch äußere Einflüsse geschwächt sind und stabilisiert werden sollen, um Arbeitsplätze zu sichern. In jedem Fall setzen beide Formen voraus, dass der Staat beurteilen kann, welche Wirtschaftsbereiche förderungswürdig sind. Diese Fähigkeit wird häufig mit dem Einwand infrage gestellt, dass der Markt solche Entscheidungen besser treffen könne, da er generell über bessere Informationen verfüge.

Hinzu kommen mögliche Interessenkonflikte bei der Umsetzung dieser Maßnahmen sowie das Potenzial für Lobbyismus seitens der Unternehmen, um staatliche Förderung zu erhalten. Aus diesen Gründen wird die Rolle des Staates in vielen industrialisierten Volkswirtschaften darin gesehen, lediglich einen regulatorischen Rahmen zu setzen, aber nicht direkt in das Marktgeschehen einzugreifen – dies wird im deutschsprachigen Raum oft als „Ordnungspolitik“ bezeichnet.

Unabhängig von diesem ersten Aspekt stellt sich die Frage, ob industriepolitische Maßnahmen überhaupt wirksam sind, das heißt, ob sie ihre Ziele erreichen können. In der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung herrschte lange Zeit die Meinung vor, dass dies im Großen und Ganzen eher nicht der Fall ist. Studien aus den 1990er und frühen 2000er Jahren zeigen beispielsweise, dass Subventionen und Protektionismus in bestimmten Branchen nicht positiv mit Wachstum korrelieren, sondern mit sinkendem Produktivitätswachstum in den betroffenen Bereichen einhergehen. Allerdings hat es in den vergangenen zwanzig Jahren eine enorme Entwicklung in der empirischen Wirtschaftsforschung gegeben, die hier zu einem gewissen Umdenken geführt hat.

Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von Maßnahmen ergibt sich aus den unterschiedlichen Zielsetzungen der Industriepolitik und den damit verbundenen Zielkonflikten. Ziele der Industriepolitik können die Förderung von Innovation und Wachstum in bestimmten zukunftsträchtigen Branchen sein, aber auch der Erhalt oder die Schaffung von Arbeitsplätzen – wobei es bei der Beschäftigungssicherung häufig um die Unterstützung von Unternehmen und Branchen geht, die entweder temporären oder strukturellen negativen Schocks ausgesetzt sind. In diesem Fall läuft also der Zielkonflikt, etwas zugespitzt formuliert, auf die Frage hinaus, ob man alternde, sich im Abschwung befindliche Branchen aufpäppeln oder auf neue Industrien mit ungewissen Zukunftschancen setzen soll. Strukturwandel ist ein notwendiger, aber auch schmerzhafter Prozess für das langfristige Wachstum der Wirtschaft und politisch nicht immer einfach durchzusetzen.

Industriepolitik global

Interessanterweise wurde Industriepolitik in den vergangenen Jahrzehnten vor allem in den großen Industrieländern kritisch gesehen. In Entwicklungs- und Schwellenländern wurde sie dagegen in großem Umfang betrieben, wie etwa die südostasiatischen Tigerstaaten Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong zeigen. Diese haben seit den 1970er und 1980er Jahren industriepolitische Maßnahmen eingesetzt, um ihre Volkswirtschaften in Richtung Hochtechnologieindustrien zu transformieren. Mit einigem Erfolg, wie ihnen Wirtschaftswissenschaftler weltweit bescheinigen. Auch in den lateinamerikanischen Ländern hat Industriepolitik eine lange Tradition, wenngleich der Erfolg dieser Maßnahmen nicht eindeutig belegt ist. Und auch die Volksrepublik China hat in den vergangenen Jahren, insbesondere seit ihrem Beitritt zur Welthandelsorganisation, durch den Einsatz industriepolitischer Maßnahmen, vor allem durch Subventionen in ausgewählten Branchen, von sich reden gemacht – häufig mit eher negativer Resonanz in den westlichen Industrieländern. Aber auch in Europa gibt es zumindest ein Land, das selbst in Zeiten allgemeiner Skepsis aktiv Industriepolitik betrieben hat: Irland hat durch den Einsatz von Subventionen, finanziellen Anreizen und anderen industriepolitischen Maßnahmen seit den 1980er Jahren eine Transformation der Wirtschaft hin zu Hochtechnologie und Dienstleistungen vollzogen.

In jüngster Zeit hat sich in den großen hochindustrialisierten Volkswirtschaften eine Trendwende vollzogen. Insbesondere als Reaktion auf den Aufstieg Chinas zum internationalen Konkurrenten hat die Industriepolitik an Bedeutung gewonnen, um der vermeintlichen Gefahr einer verstärkten Abwanderung von Unternehmen oder der Übernahme heimischer Unternehmen durch ausländische Konkurrenten entgegenzutreten. Im Gefolge der oben genannten Krisen hat diese Bedeutung weiter zugenommen. In Deutschland ist Industriepolitik spätestens seit der Veröffentlichung der Nationalen Industriestrategie 2030 im Februar 2019 durch den damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wieder ein Thema. Die Strategie wurde durchaus kontrovers diskutiert, markiert aber eindeutig eine Kurswende in der deutschen Wirtschaftspolitik.

Aufgrund der Vielzahl möglicher industriepolitischer Maßnahmen ist es schwierig, exakte Schätzungen über den monetären Umfang solcher Interventionen abzugeben. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur finden sich jedoch einige Messversuche mit sehr interessanten Ergebnissen. Eine Studie des Center for Strategic and International Studies etwa sammelte dafür Daten über Subventionen, Steueranreize und andere finanzielle Hilfen, die als industriepolitische Maßnahmen gelten können. Diese Daten wurden für das Jahr 2019 für acht Länder analysiert – China, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Japan, Südkorea, Taiwan und die USA. In dieser Gruppe gab China mit 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mit Abstand

(© bpb)

am meisten für Industriepolitik aus. Die anderen Länder lagen zwischen 0,7 (Taiwan) und 0,3 (Brasilien) Prozent, Deutschland lag mit Ausgaben von rund 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Mittelfeld. Die Null vor dem Komma darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um beträchtliche Summen handelt – für Deutschland entspricht der prozentuale Wert beispielsweise absoluten Ausgaben in Höhe von 16 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Zahl aufgrund der Reaktionen auf die genannten Krisen seither erhöht hat.

Ein anderer Ansatz zur Messung der Bedeutung industriepolitischer Maßnahmen wird in der bereits erwähnten Studie von Juhász, Lane und Rodrik verfolgt. Für die Analyse wird eine Datenbank verwendet, die industriepolitische Maßnahmen auflistet, die von Ländern weltweit seit 2010 umgesetzt wurden. Diese Daten werden textanalytisch ausgewertet, um Maßnahmen mit industriepolitischem Charakter zu identifizieren. Alle Maßnahmen dieser Art werden dann addiert. Es wird also nur die Anzahl der industriepolitischen Maßnahmen erfasst, nicht die monetären Summen, die in diesen Maßnahmen enthalten sind.

Die Auswertung dieser Daten zeigt eine sehr deutliche Entwicklung (Abbildung). Die Anzahl der industriepolitischen Maßnahmen steigt seit 2010 deutlich an und hat insbesondere seit 2019/20 – also dem Beginn der Corona-Pandemie – nochmals stark zugenommen. Die Studie zeigt auch, dass der gleiche Trend zu beobachten ist, wenn die industriepolitischen Eingriffe als Anteil aller wirtschaftspolitischen Maßnahmen ausgedrückt werden – von 8 Prozent im Jahr 2010 auf 38 Prozent im Jahr 2022. Die Industriepolitik gewinnt also auch im Vergleich zu anderen wirtschaftspolitischen Instrumenten an Bedeutung. Deutlich wird auch, welche Länder für den Großteil der industriepolitischen Maßnahmen verantwortlich sind: die hochindustrialisierten Länder in Europa und Nordamerika sowie der Rest der OECD.

Picking Winners

Industriepolitik scheint also in den Industrieländern wieder en vogue zu sein, auch in Deutschland und der EU. Aber wie passt das zu den oben erwähnten Kritikpunkten?

Beginnen wir mit der Evidenz: Es wird häufig argumentiert, empirische Studien seien methodisch nicht in der Lage, die Wirksamkeit von Politikmaßnahmen überzeugend nachzuweisen. Dies liegt in der Natur wirtschaftspolitischer Interventionen: Die Wirtschaftspolitik wählt für ihre Maßnahmen Unternehmen oder Branchen aus, denen sie ein hohes Wachstumspotenzial zutraut. Die Auswahl erfolgt also nicht zufällig, sondern in der Regel nach ökonomischen Kriterien. Es werden also Unternehmen oder Branchen gefördert, die ein anderes Wachstumspotenzial haben als andere, nicht geförderte Unternehmen. Bei einer solchen Ausgangslage ist es für die Forschung nicht einfach, nachzuweisen, ob die Wirtschaftspolitik einen Einfluss hatte. Ist der Wachstumsunterschied darauf zurückzuführen, dass die Unternehmen gefördert wurden, oder einfach darauf, dass diese Branchen per se andere Wachstumsaussichten haben?

Eine Reihe neuerer empirischer Studien nähert sich diesem Problem mit detaillierten theoretischen Modellen und neu entwickelten empirischen Methoden. Diese Studien liefern methodisch glaubwürdige Belege für die Hypothese, dass industriepolitische Maßnahmen wirksam sein können. So zeigt beispielsweise die Analyse einer industriepolitischen Intervention in Südkorea in den 1970er Jahren, die insbesondere auf die Schwer- und Chemieindustrie abzielte, dass diese Politikmaßnahme den komparativen Vorteil der ausgewählten Industrie positiv beeinflusste und damit das Wachstum der Exportunternehmen und ihrer Zulieferer in diesen Sektoren nachhaltig ankurbelte. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen einzelnen Maßnahmen. Es kann jedoch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass es keine glaubwürdige Evidenz für die Wirksamkeit industriepolitischer Interventionen gibt.

Aber auch wenn die Evidenz inzwischen darauf hindeutet, dass einzelne industriepolitische Maßnahmen wirksam sein können, bleibt die grundsätzliche Kritik, dass der Staat nicht durch picking winners in den Wirtschaftsprozess eingreifen sollte. Wenn es stimmt, dass der Staat nicht oder zumindest nicht vollständig über die notwendigen Informationen verfügt, um zu beurteilen, welche Branchen und Unternehmen gefördert werden sollten, dann sind Märkte besser in der Lage, Informationen über die Zukunftschancen von Branchen, Unternehmen oder Produkten zu erhalten und zu bewerten. Vor dem Hintergrund der Krisen der vergangenen Jahre ist jedoch auch dieses Argument nicht mehr haltbar: Die Produktions- und Lieferausfälle während der Corona-Pandemie oder die Reaktionen der Unternehmen auf die steigenden Energiepreise infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben ernüchternd gezeigt, dass auch der Markt nur begrenzt in der Lage ist, zukünftige Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft richtig einzuschätzen.

Aber auch unabhängig von solchen Krisen ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass private Unternehmen grundsätzlich einen Informationsvorsprung gegenüber staatlichen Akteuren haben. Dies mag zwar der Fall sein, wenn es um bereits vorhandene Güter und Produkte geht. Basierend auf den vorhandenen Informationen können Wachstumschancen unter Unsicherheit eingeschätzt werden, solange keine unerwarteten Krisen auftreten. Anders sieht es aus, wenn es um völlig neue Industrien und deren Wachstumsaussichten geht – also um solche Zukunftsbranchen, auf die sich die Industriepolitik konzentriert. Hier ist nicht klar, dass der Markt bessere Informationen sammeln kann als der Staat. Sowohl staatliche als auch marktwirtschaftliche Akteure sind mit großer Unsicherheit konfrontiert. Daraus ergibt sich die Einsicht, dass auch private Unternehmen nicht über alle Informationen verfügen und der Staat somit durchaus eine Rolle spielen kann.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass es für eine erfolgreiche Industriepolitik nicht nur darauf ankommt, die zu fördernden Industrien „richtig“ auszuwählen – also solche Branchen zu fördern, die als „Gewinner“ auch Wachstumschancen versprechen. Vielmehr ist es auch wichtig, „Verlierer“ gehen zu lassen. Das bedeutet, dass die Politik die Förderung von bereits unterstützten Unternehmen oder Branchen, die das erwartete Potenzial nicht erreichen, einstellen sollte. Dazu müssen vorab klare Ziele formuliert und deren Erreichung kontrolliert werden. Außerdem muss der politische Wille vorhanden sein, die Förderung zu beenden, wenn die Ziele nicht erreicht werden.

Schluss

In der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion geht es heute weniger um die Frage, ob Industriepolitik wirksam sein kann, sondern vielmehr darum, wie politische Maßnahmen aussehen müssen, damit sie erfolgreich eingesetzt werden kann. Dabei sind mindestens drei Dinge wichtig:

Erstens müssen klare Ziele für die geförderten Unternehmen definiert werden. Diese müssen kontrolliert werden, und gegebenenfalls muss die Förderung eingestellt werden, wenn die Ziele nicht erreicht werden.

Zweitens ist es wichtig, sich möglicher Zielkonflikte der Förderung bewusst zu sein und diese zu berücksichtigen. Beispielsweise kann die Förderung von Unternehmen in bestimmten Hochtechnologiesektoren, in denen die Produktion überwiegend von Robotern übernommen wird, zwar das Ziel erreichen, Deutschland als Standort für diese Branche attraktiv zu machen und durch die Neuansiedlungen auch technologische Impulse in die übrige Wirtschaft zu senden. Es würden aber wegen des Einsatzes von Robotern nur relativ wenige Arbeitsplätze entstehen. Wenn also die Industriepolitik aber auch das Ziel verfolgt, neue Arbeitsplätze zu schaffen, könnte dies zumindest kurzfristig zu einem Zielkonflikt führen. Hier wäre über flankierende politische Maßnahmen nachzudenken.

Drittens sollte sich die Politik über mögliche negative Effekte der Förderung im Klaren sein, selbst wenn die Förderung nach Ansicht der Politik wirksam ist. Solche negativen Externalitäten ergeben sich zum einen aus dem Vergleich zwischen geförderten und nicht geförderten Unternehmen. Erstere werden sich, wenn die Förderung wirksam ist, besser entwickeln als ohne Förderung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich benachbarte, nicht geförderte Unternehmen, die mit den geförderten Unternehmen im Wettbewerb stehen, schlechter entwickeln. Somit kann die Förderung auch einen potenziell negativen Effekt auf die nicht geförderten Unternehmen haben.

Ein weiterer möglicher, aber nicht zu vernachlässigender negativer Effekt der Förderung ist die Gefahr eines Subventionswettbewerbs. In einer globalisierten Weltwirtschaft kann die Subventionierung einer bestimmten Branche in einem Land dazu führen, dass Unternehmen derselben Branche aus anderen Ländern abwandern, um von den Subventionen zu profitieren. Um dies zu verhindern, könnten andere Länder ebenfalls Subventionen anbieten, was ökonomisch ineffizient wäre. Ein aktuelles Beispiel für die Gefahr eines solchen Subventionswettlaufs ist der US-amerikanische IRA und die Reaktion der EU-Kommission, mit den gleichen Mitteln (sprich Subventionen) zu antworten. Bei einem solchen Subventionswettlauf gewinnt nur eine Seite: die Unternehmen (und insbesondere ihre Anteilseigner), die mit verschiedenen Regierungen verhandeln können, um sich den Standort auszusuchen, der die besten finanziellen Anreize bietet. Ein Beispiel dafür sind die Verhandlungen über die mögliche Ansiedlung eines schwedischen Batterieherstellers in Norddeutschland. Anfang 2022 wurde der Bau in Deutschland angekündigt, dann aber wieder infrage gestellt, unter anderem wegen der Möglichkeit, im Rahmen des IRA Subventionen zu erhalten, sollte ein Produktionsstandort in den USA gewählt werden. Daraufhin wurden von deutscher Seite höhere Subventionen in Aussicht gestellt. Für den Staat bedeutet ein solcher Subventionswettlauf nicht nur eine Verteuerung und Verschwendung von Mitteln, die anderweitig hätten eingesetzt werden können. Er führt auch zu einer erhöhten Unsicherheit, ob eine Industrieansiedlung überhaupt zustande kommt oder wie lange ein gefördertes Unternehmen seinen Standort im Land behält, wenn im Ausland bessere Bedingungen geboten werden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Industriepolitik ist zurück – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Es ist nun wichtig, darüber nachzudenken, wie politische Maßnahmen so gestaltet werden können, dass ihre Wirksamkeit maximiert und gleichzeitig Zielkonflikte und andere mögliche negative Effekte minimiert werden. Hierzu wäre auch eine internationale Abstimmung wünschenswert, insbesondere, um mögliche Subventionswettläufe zu vermeiden.

ist Professor für Außenwirtschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und leitet das Forschungszentrum "Internationaler Handel und Investitionen" am Kiel Institut für Weltwirtschaft.