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Menschenrechtsverletzungen als Fluchtursache | APuZ 49/1998 | bpb.de

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APuZ 49/1998 Menschenrechtsverletzungen als Fluchtursache Probleme der Zuwanderung, Zuwanderung als Problem. Weder Katastrophen-Alarmismus noch Utopie-Idyllen helfen weiter Überforderte Nachbarschaften. Eine Analyse von Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus und die Wohnsituation von Migranten

Menschenrechtsverletzungen als Fluchtursache

Michael Maier-Borst

/ 30 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der politischen Diskussion um das Thema Menschenrechte in Deutschland fällt auf, daß Fragen des Flüchtlings-und Asylschutzes nicht als integraler Bestandteil des Menschenrechtsschutzes und damit einer umfassenden Menschenrechtspolitik angesehen werden. Während die allgemeine Menschenrechtsdebatte in Deutschland vorsichtig offensiv und wenig kontrovers geführt wird, geben die äußerst umstrittenen Entwicklungen im Bereich des Asylrechts wenig Anlaß für optimistische Einschätzungen. Die Bundesrepublik -zahlenmäßig das wichtigste Aufnahmeland von Flüchtlingen in Europa -beschneidet seit Jahren die rechtlichen Positionen von Asylsuchenden und schließt mit gesetzlichen Novellierungen ganze Flüchtlingsgruppen vom Asylrechtsschutz aus. Auch die Rechtsprechung gerät zusehends in Widerspruch zu den internationalen Konventionen zum Flüchtlings-und Menschenrechtsschutz. Der Beitrag versucht die wichtigsten Tendenzen dieser Entwicklungen zu skizzieren und plädiert dafür, daß sich die Bundesregierung wieder an einer positiven Diskussion -z. B. auch über den Schutz von weiblichen Flüchtlingen -beteiligen sollte.

Was kann man von menschenrechtlichen Verheißungen der internationalen Pakte, Verträge und Konventionen erwarten? Welche Rechte vermögen sie zu garantieren und welche nicht? Wen sollen sie schützen und wen nicht? In der Beantwortung dieser Fragen gab und wird es immer einen Dissens zwischen Regierungen und Nichtregierungsorganisationen geben. Und auch zwischen einzelnen Regierungen bestand und besteht keine Einigkeit.

Im folgenden soll in drei Schritten gezeigt werden, daß Menschenrechte und damit der Schutz der Opfer von Menschenrechtsverletzungen immer wieder Veränderungen erfahren. Während in der allgemeinen Debatte um die Menschenrechte (I) und im internationalen bzw. vor allem im nationalen Flüchtlingsschutz (II) eher restriktive Tendenzen zu erkennen sind, zeichnet sich in der Debatte um die Anerkennung und Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Verfolgung im Asylrecht (II) eher ein positiver Trend ab, der in Deutschland allerdings noch blockiert wird.

I. Die Menschenrechtsdebatte in Deutschland

Einiges spricht dafür, daß nach dem Ende der Blockkonfrontation vieles, was im Westen eher unumstritten bzw. klar schien, nun insbesondere auch in Europa in Frage gestellt bzw. unklar wird. Ein Beispiel für diese These ist die Rede von einem „Kern der Menschenrechte“, die die Unteilbarkeit der Menschenrechte, also ihre Bezogenheit aufeinander, zu berühren vermag. Ein Zitat aus der Menschenrechtsdebatte in Deutschland sei als Beleg hierfür angeführt: „Zunächst ist mit einem engsten Bereich solcher Menschenrechte zu rechnen, die dem Einzelnen die schlimmsten Ein-griffe in seine personale Integrität ersparen sollen. Dazu gehört das Recht auf Achtung des Lebens, das Verbot von Leibeigenschaft, Sklaverei und Folter, der Schutz vor willkürlichem Freiheitsentzug und das Verbot der Diskriminierung aus rassischen, religiösen und ähnlichen Gründen -also das, was man meist als den Kern’ der Menschenrechte bezeichnet. An der Geltung dieser Rechte auf der ganzen Welt, an ihrer Universalität also, kann und darf es keinen Zweifel geben.“ Erfreulich an solchen Aussagen ist, daß wenigstens hinsichtlich einiger Menschenrechte die Diskussion, ob diese zu gewähren sind, abgeschlossen scheint. Es soll offenbar nur noch um die Frage gehen, ob diese Menschenrechte tatsächlich eingehalten werden oder nicht. Derart Apodiktisches wird häufig vorgebracht. Eigentlich werfen solche scheinbar kräftigen Bekundungen in einer dynamischen Menschenrechtsdebatte jedoch mehr Fragen auf, als durch sie geklärt werden. Mindestens drei Ungereimtheiten oder Schwierigkeiten fallen ins Auge:

1. Kann ein Staat, der das Leben achtet, gleichzeitig die Todesstrafe durch Gesetz vorsehen und exekutieren? Wenn nein, dann verletzen etwa die USA und China ständig und mit derzeit zunehmender Tendenz das Menschenrecht auf Achtung des Lebens

2. Auf was will uns der Satz „An der Geltung dieser (Hervorhebung M. M. -B.) Rechte auf der ganzen Welt, an ihrer Universalität also, kann und darf es keinen Zweifel geben“ vorbereiten? Gibt es andere, nicht aufgezählte Menschenrechte, an deren grundsätzlicher weltweiter Geltung Zweifel mit guten Gründen angemeldet werden dürfen? Die man temporär -z. B. aus innen-oder wirtschaftspolitischen Erwägungen -suspendieren kann?

3. Wo bleibt in der Aufzählung des „Kerns der Menschenrechte“ unseres Bundespräsidenten die Freiheit, die eigene Meinung zu äußern? Gehört sie etwa nicht zum „Kern“? Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte spricht immerhin eine mögliche Beschränkung der freien Meinungsäußerung in ihrem Artikel 30 an. Auch der Artikel 19 Absätze 2 und sowie Artikel 20 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPübupR) machen Einschränkungen möglich. Artikel Absatz 2 dieses Paktes schließlich zählt die freie Meinungsäußerung nicht zum soge-nannten „notstandsfesten" Bereich der durch die Konvention garantierten Rechte. Ist die freie Meinungsäußerung unter gewissen Bedingungen also disponibel oder gar von nur geringerer Bedeutung -wie offenbar auch die anderen in der Herzog-sehen Aufzählung nicht genannten Menschenrechte? Eine Antwort gibt wieder der Bundespräsident -wie üblich für ihn recht unverkrampft: „Für hungrige Menschen hat ein Recht wie die Meinungsfreiheit zwangsläufig geringere Bedeutung als für satte. Für einen Afrikaner, der noch in seiner Stammestradition lebt, ist die Idee der Individualrechte zwangsläufig weniger interessant als für Mitglieder der individualistischen westlichen Gesellschaften. Und für einen Chinesen, der mit der konfuzianischen Pflichtethik aufgewachsen ist, wird es nicht ganz leicht sein einzusehen, daß Rechte so sehr im Vordergrund stehen müssen, wie es unseren Überzeugungen entspricht.“ 3

Jeder, der beispielsweise einmal einen Jahresbericht von amnesty international auch nur auszugsweise gelesen hat, wird leicht feststellen können, daß ein guter Teil der dort dargestellten Menschenrechtsproblematik darauf verweist, daß diejenigen, die nicht genug zu essen haben, zugleich meist auch keine Meinungsfreiheit genießen und ihnen auch andere Menschenrechte vorenthalten werden. Zudem ist es für die Unterdrückten und Hungernden weitaus schwerer, auf ihre Lage aufmerksam zu machen bzw. sich aus ihrer Not zu befreien, wenn ihnen das Recht auf Meinungsfreiheit nicht offensteht. Ebenso sind wohl weniger die Lehren der konfuzianischen Pflichtethik dafür verantwortlich zu machen, daß die Menschenrechte durch willkürliche Inhaftierungen, unfaire Prozesse oder schwerste Strafen in einigen asiatischen Staaten seit Jahren mit Füßen getreten werden. Der Grund hierfür scheint vielmehr der rücksichtslose Wille zum Machterhalt der dort jeweils Herrschenden zu sein.

Die Vorstellung eines „Kerns der Menschenrechte“ im Sinne Herzogs führt nicht richtig weiter. Ein so verstandener Kern der Menschenrechte impliziert eine Reihenfolge oder Rangliste der Menschenrechte, die die Menschenrechte in wichtige und unwichtige Menschenrechte aufteilen würde. Dies würde die Idee der Unteilbarkeit aller Menschenrechte -ihre Bezogenheit aufeinander -konterkarieren, die auf der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien 1993 ausdrücklich bestätigt worden ist. Insofern vermögen die Aussagen des Bundespräsidenten einer aktiven Menschenrechts-politik, die die Unteilbarkeit der Menschenrechte und ihre Universalität ernst nimmt, kaum Impulse zu geben.

Dieser kurze, einleitende Seitenblick auf die Menschenrechtsdebatte in Deutschland sollte darauf aufmerksam machen, wie schnell Menschenrechts-standards verändert, uminterpretiert oder verwässert werden können 4. Es herrscht derzeit eine große Dynamik in der Debatte. Dabei droht, daß tendenziell Opfer von Menschenrechtsverletzungen aus dem Schutzbereich der verbindlichen Menschenrechtspakte herausfallen oder herausdefiniert werden.

Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen will ich mich nun den Fragen zuwenden, wen das internationale Flüchtlingsrecht schützen will und ob es im internationalen und bundesdeutschen Flüchtlingsrecht ähnliche Umdefinierungsversuche und restriktive Entwicklungen gibt.

II. Internationaler und nationaler Flüchtlingsschutz

1. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, das New Yorker Zusatzprotokoll von 1967 und die deutsche Asylpolitik Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist eine Nachkriegskonvention mit langer Vorgeschichte. Diese Vorgeschichte betrifft den staatlichen Umgang mit Flüchtlingen und Staatenlosen, wie er von Hannah Arendt 1951 in ihrem Buch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ oder von Gerad Noiriel in „Die Tyrannei des Nationalen“ beschrieben worden ist. Unmittelbarer Anlaß für die Formulierung der GFK waren jedoch die Folgen des 2. Weltkrieges. Die große Zahl von Flüchtlingen, die in Europa umherirrten, sollten Rechte erhalten.

In dieser Zeit entstanden und zerfielen Nationalstaaten. Diese Konvention setzte sich zum Ziel, eine Verantwortung der internationalen Staatengemeinschaft für die von diesen Entwicklungen betroffenen Menschen zu begründen. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) wurde installiert und die Konvention über die Rechtsstellungen der Flüchtlinge verabschiedet Die GFK besteht im wesentlichen aus drei Teilen: -der Flüchtlingsdefinition in Artikel 1 A Nr. 2, -den Rechten und Pflichten von anerkannten Flüchtlingen im Zufluchtsland in den Artikeln 12-32 sowie -dem Gebot des non refoulement in Artikel 33 Absatz 1, das einen Zurückweisungs-und Abschiebungsschutz statuiert.

Ein Flüchtling ist nach der Definition der GFK eine Person, „die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will“.

Die Rechte der Konvention stehen allen nach der GFK anerkannten Flüchtlingen offen. Die zeitliche Beschränkung der GFK auf Ereignisse vor dem 1. Januar 1951 wurde im New Yorker Zusatz-protokoll 1967 endgültig beseitigt. Das Flüchtlingsproblem war damit als Dauerproblem der internationalen Staatengemeinschaft akzeptiert.

Das Zurückweisungs-und Abschiebungsverbot in Artikel 33 GFK verbietet den Signatarstaaten der Konvention, einen Flüchtling auf „irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten“ auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen „sein Leben oder seine Freiheit“ wegen der genannten Gründe (Rasse, Religion etc.) bedroht wäre. Der Umkehrschluß lautet daher, daß ein Staat, der eine Person tatsächlich abschieben oder zurückweisen will, sicherstellen muß. daß er dabei keinen Flüchtling im Sinne der GFK trifft. Das könnte der um Asyl nachgesuchte Staat auf drei Wegen tun: a) Er schiebt überhaupt nie ab bzw. weist nie zurück; b) er schiebt keine Person in ihr Herkunftsland ab, ohne ihre Flüchtlingseigenschaft nach Artikel 1 A GFK vorher -mit negativem Ausgang -geprüft zu haben; c) er schiebt Personen nur in Länder ab, in denen ihnen nichts droht, insbesondere keine weitere Verbringung in ihren Herkunftsstaat (Verbot der Kettenabschiebung). Dann könnte es dem zuerst um Asyl nachgesuchten Staat „egal“

sein, ob es sich um Flüchtlinge nach der GFK handelt oder nicht.

Wie wir wissen, ist die heutige deutsche Asylpolitik eine Mischung aus b) und c). Die asylpolitischen Entwicklungen weisen seit der Einführung der Drittstaatenregelung in Richtung der Option c). Die Kritik an dieser Regelung geht dahin, daß ohne umfassende und rechtlich verbindliche Übereinkommen zwischen zurückweisenden Ländern und Drittstaaten nicht sichergestellt werden könne, daß ein Flüchtling tatsächlich eine inhaltliche Prüfung seines Asylbegehrens erhält oder er zumindest vor einer Kettenabschiebung in seinen Herkunftsstaat bewahrt wird. Die Verantwortung der Staaten gegenüber Flüchtlingen drohe sich aufzulösen. Deshalb wurden von Nichtregierungsorganisationen (NROs) in Anlehnung an das internationale Flüchtlingsrecht Mindeststandards für faire und umfassende Asylverfahren definiert, die eine vergleichbare Behandlung von Asylgesuchen in den Aufnahmeländern -seien sie Drittstaaten oder nicht -gewährleisten würden

Diese Auslegung und Weiterentwicklung staatlicher Verantwortung wird selten thematisiert, wenn die Positionen von NROs als unrealistisch oder überzogen kritisiert werden. Letztendlich verstellt das skizzierte Verständnis der NROs von nachprüfbarer verbindlicher staatlicher Verantwortung denjenigen den Weg, die sich einseitig für nicht mehr zuständig erklären wollen. Die Frage, wer ein Flüchtling ist und wer nicht, kann nur beantwortet werden, wenn in jedem Fall voraussehbar ein faires Asylverfahren durchgeführt wird -von welchem Staat auch immer. Wer in einem solchen Asylverfahren rechtskräftig abgelehnt wird und keine anderen relevanten Gründe hat, die gegen seine Rückkehr in sein Herkunftsland sprechen, kann -so der Umkehrschluß -, wenn er nicht freiwillig ausreist, dorthin abgeschoben werden. Kann eine Abschiebung, aus welchen Gründen auch immer, nicht stattfinden, ist der Aufenthalt des Betroffenen zumindest zu dulden.

Wie steht es aber um die gemeinsame Verantwortung der Staaten für die besondere Situation von Flüchtlingen, die die GFK begründete? Werden die Staaten ihr noch gerecht? Erhalten die Flüchtlinge die ihnen zustehenden Rechte, oder wird die eingegangene internationale Verantwortung nationalen Veränderungen oder Umdeutungen unterzogen? Drei Beispiele für solche Veränderungen bzw. Umdeutungen in Deutschland sollen hierauf Antworten geben: 1. Die GFK nimmt die Befürchtung des Flüchtlings, in seinem Heimatstaat verfolgt zu werden, als Ausgangspunkt. Diese Furcht muß vom Flüchtling konsistent begründet werden -mehr nicht. In deutschen Asylverfahren geht es jedoch in erster Linie um die Einschätzung der objektiven Gefährdungslage für den Asylsuchenden. Nach deutscher Rechtsprechung ist für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr maßgeblich, ob aus Sicht verständiger anderer Personen gute Gründe dafür vorliegen, daß mit einer Verfolgung im Heimatstaat zu rechnen ist oder nicht.

Auch der Vorläufer der Drittstaatenregelung, die Bestimmung zur sogenannten „anderweitigen Sicherheit“, nimmt eher die Perspektive des Flüchtlings ein. Sie sieht noch ausdrücklich vor, daß Flüchtlinge Gründe benennen können, die gegen die Annahme ihrer anderweitigen Sicherheit in einem Drittstaat sprechen. Die relativ neue bundesdeutsche Drittstaatenregelung beinhaltet diese Möglichkeit hingegen nicht mehr. Sie übergeht subjektive Aspekte vollends und bestimmt objektiv qua Zustimmungsgesetz oder Verfassung eine Liste von sogenannten „sicheren Drittstaaten“ (Artikel 16 a Absatz 2 GG), in die die Bundesrepublik die Asylsuchenden ohne Prüfung ihres Asylbegehrens zurückschieben darf Der Wille des Flüchtlings oder andere subjektive Elemente spielen hierbei -anders als in einigen Passagen der GFK -keine entscheidende Rolle mehr. 2. Veränderungen erfährt auch der Begriff der „Verfolgung" selbst. Die deutsche Rechtsprechung legte den verfassungsrechtlichen Begriff der „politischen Verfolgung“ in Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 GG (heute Artikel 16a Absatz 1 GG) dahingehend aus, daß darunter grundsätzlich gezielte staatliche Verfolgung zu verstehen sei, die an die Rasse, Religion, Nationalität, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung anknüpfen muß.

Im Bürgerkrieg jedoch gibt es keinen Staat, sondern nur Bürgerkriegsparteien, die sich militärisch bekämpfen. Deshalb wird eine gezielte staatliche Verfolgung grundsätzlich ausgeschlossen. Die deutschen Verwaltungsgerichte, insbesondere der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes, übertrugen diese Vorstellung nach und nach auch auf die Auslegung der GFK, die im Rahmen der Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Absatz 1 Ausländergesetz ebenfalls vorzunehmen ist. Die Tendenz in der Rechtsprechung, die Staatlichkeit der Verfolger zur Voraussetzung für eine asyl-oder abschiebungsschutzrelevante Bedrohung zu machen, weitet sich in den letzten Jahren auch auf die Prüfung des Abschiebungshindernisses nach § 53 Absatz 4 Ausländergesetz aus (s. u.).

In der bundesdeutschen Asylpraxis führte dies dazu, daß Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien, Afghanistan, Liberia, Sierra Leone oder Somalia weder nach der GFK noch nach Artikel 16 a Absatz 1 GG anerkannt wurden. In den Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu Flüchtlingen aus Somalia und Afghanistan wird oft nicht bestritten, daß die einzelnen Flüchtlinge teilweise schwerwiegende Eingriffe in ihre körperliche Integrität erlitten oder -im Falle ihrer Abschiebung -zu gewärtigen haben. Gleichwohl fehlt es aus Sicht des Bundesamtes jeweils an der Asylrelevanz der Übergriffe.

Um so schwerer verständlich sind vor diesem Hintergrund Asyldebatteri, die eine Ablehnung in einem deutschen Asylverfahren vorschnell mit „Asylmißbrauch“ oder einem fehlenden Schutzbedürfnis der Asylsuchenden gleichsetzten. Abgesehen davon, daß auch in anderen Rechtsgebieten nicht jedem Antragsteller, der einen negativen Behördenbescheid erhält, zugleich vorgehalten wird, er hätte das Recht mißbraucht, scheinen viele Ablehnungen in den Asylverfahren auch nicht im Einklang mit der GFK zu stehen.

Liest man die genannte Flüchtlingsdefinition der GFK, erkennt man leicht, daß es in der Konvention nicht darum geht, daß eine Person staatlich verfolgt sein muß, um Schutz beanspruchen zu können. Der Begriff „Staat“ taucht in diesem Zusammenhang gar nicht auf. Bei der Klärung der Frage, ob jemand ein Flüchtling sei oder nicht, geht es in der GFK vielmehr um fehlenden oder nicht mehr zur Verfügung stehenden staatlichen Schutz, und zwar um den „Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er (der Flüchtling, M. M. -B.) besitzt“ und den er nicht „in Anspruch nehmen kann“ oder „will“. Diese Voraussetzungen können auch in einem Bürgerkrieg erfüllt sein Die Idee des Flüchtlingsschutzes zielt ja gerade darauf, daß ein anderer Staat den Schutz gewähren soll, den der Herkunftsstaat seinem Bürger nicht mehr zuteil werden läßt. 3. Im deutschen Asylrecht wurden weitere Asylausschlußgründe „erfunden“, die im internationalen Flüchtlingsrecht keine Entsprechung finden bzw. anders gehandhabt werden. So gibt es in der deutschen Asylrechtsprechung etwa die Figur des sogenannten „mehrgesichtigen Staates“. Ein solcher Staat verfolgt nicht flächendeckend, sondern nur regional. Die Betroffenen -so das deutsche Asylrecht -befinden sich damit in ihrem Herkunftsland oftmals nicht in einer ausweglosen Situation. Sie könnten eine sogenannte inländische Fluchtalternative innerhalb ihres Herkunftslandes nutzen, bedürften deshalb keines asylrechtlichen Schutzes in Deutschland und können ebenfalls keinen Abschiebungsschutz nach § 51 Absatz 1 Ausländergesetz beanspruchen. Auch hier dominiert in der deutschen Asylrechtsprechung der objektive Ansatz, der es ausreichen läßt, wenn der Flüchtling in einem Landesteil hinreichend sicher vor Verfolgung ist und ihm dort keine anderen Gefahren oder Nachteile drohen. Im Rahmen der Auslegung des Artikels 1 A Nr. 2 und des Artikels 33 Absatz 1 GFK kommt es hingegen auch auf die subjektive Zumutbarkeit der inländischen Flucht-alternative für den betroffenen Flüchtling an.

Diese Rechtsprechung wird insbesondere äuf Asylsuchende aus der Südost-Türkei (Kurden), aus Sri Lanka (Tamilen) und -in eigentümlich abgewandelter Form -auf bosnische Flüchtlinge (Muslime aus der „Republika Srpska“) angewandt. Seit kurzem zeichnet sich ab, daß für Kurden aus dem Irak eine inländische Fluchtalternative im Nordirak unterstellt werden soll.

Auch im Flüchtlingsschutz werden also -wie in der allgemeinen Menschenrechtsdebatte -Um-deutungen vorgenommen, die die Auslegung der internationalen Flüchtlingschutzinstrumente verändern und dazu geeignet sind, Flüchtlingsgruppen vom rechtlichen Schutz auszuschließen. Ausgangspunkt ist entweder die nationale Rechtsprechung oder die Legislative.

Die Versuche, die relativ hohe Zahl von Flüchtlingen oder Asylbewerbern in Deutschland durch unterschiedliche rechtliche oder administrative Hürden zu reduzieren, bestimmen die deutsche Asylpolitik seit Jahren. Trotzdem darf auch nicht verkannt werden, daß die Bundesrepublik im Vergleich zu einigen EU-Staaten viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Das Ansinnen der Bundesregierung, eine auch rechtlich akzeptable europa-oder EU-weite „Lastenverteilung“ zu realisieren, ist bisher kläglich gescheitert. Die Antwort auf diesen politischen Mißerfolg der Bundesregierung, der teilweise auch auf die Unwilligkeit der anderen europäischen Länder zurückgeführt werden kann, Flüchtlinge aufzunehmen, läßt sich in Deutschland immer deutlicher als ein stetiges Unterlaufen der Standards des internationalen Flüchtlingsrechts darstellen. Die parlamentarische Opposition gegen den Trend in diesem Politikfeld ist schmal und umfaßt die SPD insgesamt immer seltener. Ein ausgearbeitetes Gegenkonzept, liegt nicht vor.

Die Situation für die von Menschenrechtsverletzungen oder -Übergriffen betroffenen Flüchtlinge in ihrem Herkunftsland hingegen ändert sich eigentlich kaum. Ihr Schutz vor Verfolgung im Zufluchtsland wird jedoch Schritt für Schritt geschmälert. Verschärfungen der Menschenrechts-situation oder auch nur eine gleichbleibende Lage im Herkunftsland bedeuten derzeit in Deutschland keinen besseren bzw. gleichbleibenden rechtlichen Schutz. Dies soll im folgenden an Länderbeispielen veranschaulicht werden. 2. Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen als Fluchtgrund -Asylrecht in Deutschland? Eine beträchtliche Zahl von Asylsuchenden und Bürgerkriegsflüchtlingen fällt in deutschen Asyl-verfahren in die Lücke, die sich durch die Rechtsprechung jenseits der Voraussetzung gezielter staatlicher Verfolgung aufgetan hat, insbesondere im Verfahren beim Bundesamt. Im Bürgerkrieg soll grundsätzlich keine asylrelevante Verfolgung möglich sein. Die Asylsuchenden erhalten keinen adäquaten rechtlichen Abschiebungsschutz. Was heißt „Bürgerkrieg“ genau? Im Bereich der Menschenrechtsverletzungen als Fluchtgrund lassen sich aus meiner Sicht -stark verkürzt -mindestens vier unterschiedliche Konstellationen in den Herkunftsstaaten von Flüchtlingen unterscheiden: -Situationen, in denen die Opfer von gezielten staatlichen Verfolgungsakten getroffen werden.

Die klassische „Steckbriefsituation“ eines Victor Laszlo in dem Filmklassiker „Casablanca“, die Verbote politischer Betätigung oppositioneller Gruppen, aber auch offizielle Vernichtungsprogramme der Regierung gegen bestimmte Gruppierungen sind hierunter zu zählen.

-Situationen, in denen die Opfer schwerwiegende Übergriffe erleiden, die mittelbar dem Staat zuzurechnen sind, von ihm geduldet oder gefördert werden. In dieser Konstellation ist der Begriff des „Zurechnens“ die Schlüsselkategorie. -Situationen, in denen staatsähnliche mächtige gesellschaftliche Gruppen schwerwiegende Übergriffe durchführen, aber das, was in Westeuropa mit dem Begriff „Staat“ assoziiert wird, nicht (oder noch nicht) existiert.

-Situationen, in denen überhaupt keine übergreifende staatliche oder staatsähnliche Macht mehr auszumachen ist und schwerwiegende Übergriffe von vielen Seiten stattfinden und nahezu jeden treffen können.

Die geschilderten Situationen unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der tatsächlichen Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Möglichkeiten, die Bürgerinnen und Bürger vor Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung zu schützen. Für alle diese Konstellationen ist laut deutscher Asylrechtsprechung insbesondere natürlich die Intensität oder Schwere der individuellen Verfolgungsakte maßgeblich für ihre asylrechtliche Relevanz. In den Asylverfahren ergeben sich -teilweise jenseits der Frage der Intensität der Übergriffe -aber folgende Probleme. 1. Situationen, in denen die Opfer von gezielten staatlichen Verfolgungsakten getroffen werden Staatliche Eingriffe in die Rechtsgüter Leib, Leben und persönliche Freiheit sind in der Regel asylrelevant. Werden Bereiche wie die Religionsfreiheit und die Berufsfreiheit getroffen, kommt es ganz besonders auf die Intensität der Eingriffe an. die, um asylrelevant zu sein, die Menschenwürde verletzen müssen. Eine staatliche Diskriminierungspolitik überschreitet hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität -wie es in den Bescheiden des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oft heißt -nicht „die Schwelle“, die „bloße Diskriminierungen von gezielter staatlicher und damit politischer Verfolgung trennt“. Bezüglich der Einschränkungen der Religionsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß gewisse Einschränkungen der Religionsausübung hinzunehmen seien und erst dann Asylrelevanz erhielten, wenn sie eine Religionsausübung in den eigenen vier Wänden unmöglich machten. 2. Situationen, in denen die Opfer schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder -Übergriffe erleiden, die mittelbar dem Staat zuzurechnen sind, von ihm geduldet, nicht verhindert oder gar gefördert werden Hier ergeben sich in den deutschen Asylverfahren derzeit beispielsweise im Falle Algeriens Probleme. Es geht um die Unterscheidung zwischen einem „schutzwilligen Staat“ versus einem „schutzunwilligen/-unfähigen Staat“. In einer Situation. in der bewaffnete islamistische Gruppen gegen die derzeitige Regierung kämpfen, stellt sich die Frage, ob die zahllosen Tötungen, die zu beklagen sind, nicht darauf hindeuten, daß der algerische Staat einen großen Teil seiner Staatsangehörigen nicht mehr effektiv zu schützen vermag, selbst wenn dies sein Ziel wäre. Das Bundesamt nimmt jedoch bei Asylsuchenden, die angeben, Angst vor Verfolgung durch islamistische Gruppen zu haben, an, daß der algerische Staat noch schutz-fähig und auch schutzwillig sei, sich die Staatsgewalt nicht aufgelöst habe und den islamistischen Gruppen noch keine asylrelevante Verfolgungsmächtigkeit wie einer staatsähnlichen Gruppe zukomme. Die Asylgesuche werden regelmäßig abgelehnt. Die Anerkennungsquote liegt daher nur knapp über einem Prozent.

Oftmals stellt sich aber die Frage, ob die Regierungstruppen sich nicht teilweise in die Rolle einer Terroristenorganisation hineinbegeben und selber politische Morde begehen oder diese zumindest wissentlich dulden. Letzteres wäre dann der Fall, wenn z. B. in der Nähe einer Kaserne ein mehrstündiges Massaker stattfindet und die Regierungstruppen nicht eingreifen. Über derartige Fälle -wurde berichtet, und sie wären ernsthaft zu untersuchen, auch weil sich dadurch ergeben könnte, daß diese Übergriffe dem „Staat“ zurechenbar sind. Islamistisch orientierte Flüchtlinge hingegen, die vor staatlicher Repression fliehen, haben derzeit eher größere -wenn auch insgesamt immer noch sehr geringe -Anerkennungschancen in deutschen Asyiverfahren. Unter die Problematik des „Zurechnens“ müssen auch unterschiedliche kulturelle Praktiken gerechnet werden, die als schwerwiegende Eingriffe in die körperliche Integrität aufgefaßt werden können. Auch hier bleibt relevant, inwieweit der Staat seine Schutzpflichten verletzt, wenn er nicht einschreitet, obwohl er von den Praktiken weiß. 3. Situationen, in denen staatsähnliche mächtige gesellschaftliche Gruppen schwerwiegende Übergriffe durchführen In diesem Bereich stellt sich nicht die Frage der Zurechenbarkeit der Menschenrechtsübergriffe gegenüber einem übergreifenden „Staat“. In Afghanistan oder Somalia existieren eher mehrere staatsähnliche -zweifellos regional mächtige -Gruppierungen. Die Orientierung des deutschen Asylrechts an einer übergreifenden staatlichen Verfolgungsmacht bzw. an deren Institutionen droht dann leerzulaufen. Ein Staat Afghanistan soll nach dem Willen einiger der kämpfenden Parteien am Ende der Auseinandersetzungen erst wieder entstehen. Deshalb müßten die einzelnen Einheiten im Taliban-oder Dostam-Gebiet als „Quasi-Staaten“ genommen werden und für sich ihre Verfolgungshandlungen innerhalb ihres jeweiligen Herrschaftsgebietes isoliert betrachtet werden, um jeweils quasistaatliche Verfolgung beurteilen zu können.

Nun gibt es viele Bundesamtsbescheide, die sich allein mit der Frage auseinandersetzen, ob solche staatsähnlichen Machtbereiche feststellbar sind. Dies ist vom Bundesverwaltungsgericht für Afghanistan und Somalia 1997 verneint worden. Eine Asylanerkennung oder die Bestätigung von Abschiebungshindernissen nach GFK (§ 51 Absatz 1 Ausländergesetz) sei nur möglich, wenn eine Gebietsgewalt entstanden sei, die „auf einer organisierten, effektiven und stabilisierten Herrschaftsmacht beruht. Dabei erfordern die Effektivität und Stabilität eine gewisse Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft, verkörpert vorrangig in der Durchsetzungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des geschaffenen Machtapparates.“ „Effektivität“ und „Stabilität“ erfordern „Stetigkeit und Dauerhaftigkeit“. Ein Verwaltungsrichter, dem im Klageverfahren ein Asylgesuch eines somalischen oder eines afghanischen Flüchtlings vorliegt, hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder er folgt den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts. Das Ergebnis ist dann regelmäßig eine Ablehnung des Asylgesuchs, die auf das individuelle Verfolgungsschicksal des Flüchtlings wenig Bezug nimmt. Oder er prüft, ob neue Tendenzen der Verstetigung, Stabilisierung und Effektivierung der territorialen Herrschaftsmacht vorliegen; wenn er sie findet, macht er sie zur Grundlage seiner Entscheidung und erkennt den Asylsuchenden an. In diesem Fall wird jedoch der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten gegen die Verwaltungsgerichtsentscheidung Antrag auf Zulassung der Berufung einlegen oder Revision beantragen und sich dabei auf die obergerichtliche Rechtsprechung beziehen. Wie streng der Maßstab für das Bestehen einer staatsähnlichen Gebietsgewalt während eines Bürgerkrieges ist, hat der 9. Senat eindrücklich formuliert. Vorläufer neuer oder erneuter dauerhafter staatlicher Strukturen seien nur dann anzunehmen, wenn „die Bürgerkriegs-parteien nicht mehr unter dem Einsatz militärischer Mittel mit der Absicht, den Gegner zu vernichten, und mit Aussicht auf Erfolg um die Macht im ganzen Bürgerkriegsgebiet kämpfen, die Fronten also über längere Zeit hinweg stabil sind und allenfalls in den Randbereichen noch gekämpft wird, im übrigen aber eine dauerhafte nichtmilitätische Lösung zu erwarten ist“

Der abflauende Bürgerkrieg -mit Stellungskrieg-charakter inklusive einigermaßen ruhigem Hinterland -, an dessen Ende sich entweder eine politisch und militärisch vollendete Separation mindestens einer Bürgerkriegspartei oder eine Föderation abzeichnet, würde wohl unter diese Definition fallen. Ein Zeitpunkt also, in dem sich einerseits bereits wieder eine gewisse Zivilität in der Gesellschaft durchzusetzen beginnt, in dem andererseits aber eben auch die Schutzlosigkeit der Betroffenen wieder abnehmen müßte.

Das zitierte Urteil erfüllt in erster Linie die Funktion, Bürgerkriegsflüchtlinge von der Schutzgewährung in Deutschland ausschließen zu können. Nicht die tatsächliche Schutzbedürftigkeit der Betroffenen ist Voraussetzung für eine Schutzgewährung in Deutschland, sondern die politischen oder militärischen Ziele und Motivationen der Bürgerkriegsakteure werden entscheidend. Eine solche Auslegung des Verfolgüngsbegriffes wird wohl auch verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen. Die Kriterien für das Bestehen staatsähnlicher Gebietsgewalt sind deutlich zu streng. 4. Situationen, in denen überhaupt keine übergreifende staatliche oder staatsähnliche Macht mehr auszumachen ist und schwerwiegende Übergriffe von vielen Seiten stattfinden Diese Situation unterscheidet sich von der vorher ausgeführten dadurch, daß die kämpfenden Einheiten umherziehen und überhaupt keine Ordnungsstrukturen im gesamten Geschehen mehr ausgemacht werden können. Liberia und Sierra Leone waren zeitweilig solche Fälle. Diese Konstellationen sind eher selten, werden aber häufig vom Bundesamt unterstellt, um unter Zuhilfenahme der Bürgerkriegsrechtsprechung eine nur „allgemeine Gefährdungslage“ zu unterstellen und damit den Asylantrag ablehnen zu können. Asyl-rechtlich werden diese Übergriffe gegenüber den Opfern dann als allgemeine Bürgerkriegsgefahren dargestellt; als Straftaten zwischen einem privaten Täter und einem privaten Opfer, -denen es an der Gezieltheit der Verfolgung mangelt, -die an kein asylerhebliches Merkmal anknüpfen und schließlich -nicht übergreifenden oder staatsähnlichen Herrschaftsgewalten zugerechnet werden können. Diese Rechtsprechung, die für den verfassungsrechtlichen Begriff der politischen Verfolgung entwickelt worden ist und dann auf den Flüchtlingsbegriff der GFK übertragen wurde, weitet sich in den letzten Jahren aus. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Oktober 1995 entschieden, daß sich Menschen aus Bürgerkriegsländern nur dann auf ein rechtliches Abschiebungshindernis berufen können, wenn eine extreme allgemeine Gefährdungslage vorliege. Dies sei nur dann der Fall, wenn jeder einzelne Ausländer „im Falle einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde Das ist der geltende Maßstab, der in Deutschland Abschiebungen in Bürgerkriegsgebiete aus rechtlichen Gründen verhindert. Ein rabenschwarzer Tag für den Flüchtlingsschutz in Deutschland. An einem solchen Maßstab muß das Vorbringen eines Bürgerkriegsflüchtlings scheitern. Nirgendwo wird der tiefe Graben deutlicher, der sich zwischen der deutschen, staatszentrierten Asylrechtsprechung einerseits und dem Schutzgedanken der GFK andererseits aufgetan hat. Allein die technische und damit tatsächliche Undurchführbarkeit der Ab-Schiebung verhindert seitdem die Abschiebung vieler Flüchtlinge aus Somalia und Afghanistan.

Im April 1997 legte der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts noch weiter nach In mehr als schroffer Distanzierung von einem aktuellen und bekannten Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zum Abschiebungsschutz eines somalischen Flüchtlings nach Artikel 3 (Verbot der Folter) der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) -dem Fall Ahmed gegen Österreich (71/1995/577/663 vom 17. 12. 1996) -wurde mehreren Flüchtlingen aus Somalia der Schutz aus Artikel 3 EMRK versagt. In Somalia fehle es an staatlichen oder staatsähnlichen Organisationen mit entsprechender Gebietsgewalt.

Deutschland fällt mit dieser Entscheidung in offener Weise hinter die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zurück obwohl sich der Bundesminister des Innern unter Bezug auf den Artikel 3 EMRK an die von den „europäischen Rechtsprechungsorgane(n) entwickelten Grundsätze und Leitlinien“ gebunden sieht Auf Artikel 1 GG und Artikel 16 a Absatz 1 GG bezogene Schutzbegehren könnten „nicht mehr ausschließlich national interpretiert werden“, wurde im Drittstaatenverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht noch behauptet.

Der Völkerrechtler Frowein hatte vor kurzem die relativ schwachen Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auf die deutsche Rechtsordnung zu erklären versucht. Nach seinem Hinweis auf den gut ausgebauten Grundrechtsschutz in Deutschland beklagte er, daß die EMRK von deutschen Juristen zu oft als „Sleeping Beauty“ betrachtet würde. Die Verarbeitung der , Ahmed‘-Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht 1997 hingegen scheint ein neues Problem anzuzeigen: Die von dem Gerichtshof in Straßburg bereits „erweckte Schönheit“ wird vom 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes wieder eingeschläfert oder gar entstellt, weil sonst die „ausländerpolitische Handlungsfreiheit der Vertragsstaaten zur Bewältigung des Problems weltweiter Flüchtlings-und Wanderungsbewegungen nahezu vollständig eingeschränkt“ wäre

III. Frauen im deutschen Asylrecht -geschlechtsspezifische Verfolgung und ihre Berücksichtigung in bundesdeutschen Asylverfahren

Es ist davon auszugehen, daß die dargestellten Tendenzen im Flüchtlingsschutz weibliche Flüchtlinge oft besonders hart treffen. Es gibt unter den Flüchtlingsfrauen Asylsuchende, deren Schicksal als politisch Verfolgte und Kämpferinnen gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Ausbeutung sich kaum von dem der männlichen Flüchtlinge unterscheidet; höchstens dadurch, daß manche darüber hinaus ihre Situation als Frau im Herkunftsland zum Gegenstand ihres politischen Engagements machen. Frauen werden aber auch in spezifischen Situationen Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Sehr kontrovers hinsichtlich ihrer asylrechtlichen Relevanz oder Würdigung sind z. B. Strafen diskutiert worden, die Frauen auferlegt werden, weil sie sich gegen die vorherrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen in ihrem Heimatland gewandt haben.

Frauen werden zudem an Stelle ihrer untergetauchten Männer und Söhne Opfer von staatlicher Gewalt. So werden sie mitunter von den politischen Gegnern verantwortlich gemacht und verfolgt, wenn sie durch die Erfüllung ihrer mutmaßlich traditionellen Rolle oppositionelle Gruppen unterstützen (Kochen. Nahrungsmittel besorgen, Nähen von Uniformen oder Fahnen, Verletzte pflegen etc.). Frauen werden schließlich auch Opfer von Vergewaltigungen, die Teil einer Kriegs-oder Einschüchterungsstrategie sein können, die u. a. ihre Männer treffen soll. Damit erleben sie Menschenrechtsverletzungen, die -ähnlich wie Folter -in Asylverfahren grundsätzlich schwer zu thematisieren sind Viele dieser Verfolgungskonstellationen werden eher dem privaten Bereich zugerechnet und begründen damit keine staatliche Verantwortung für die Verfolgungsmaßnahmen. Hinzu mag noch eine Art „Regelvermutung“ kommen, die Frauen, die z. B. nicht gebildet sind oder sich nicht besonders gut ausdrücken können, eine politische asylrelevante Betätigung eher nicht zutraut. Schwerwiegende Eingriffe in die körperliche Integrität von Frauen sind darüber hinaus in deutschen Asylverfahren oft deshalb kaum zu artikulieren, weil das Asylverfahrensgesetz insgesamt einer Beschleunigungsmaxime unterliegt:

-Die entscheidende Anhörung findet meist schon kurz nach der Asylantragstellung statt, -oft sind die Frauen mit männlichen Anhörern und Dolmetschern konfrontiert und/oder ihr Ehepartner ist zugegen, -die Rechtsmittel-und Begründungsfristen im Falle einer Ablehnung des Asylantrags sind sehr kurz (in einigen Fällen nur eine Woche), -ein Nachschieben von Gründen, die nicht in der ersten Anhörung vorgebracht worden sind, soll in den Asylverfahren grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, -oft steht darüber hinaus der männliche Ehepartner mit seinen Fluchtgründen allein im Mittelpunkt der Anhörung

Aus welchen Ländern fliehen Frauen? Welche Probleme haben sie? Wie laufen die Asylverfahren ab und welche Probleme könnten Berücksichtigung finden? Hierzu einige Beispiele:

1. Distanziert sich eine Frau im Iran bewußt von den gesellschaftlichen Kodizes, kann sie von den Revolutionswächtern bzw. manchmal auch von anderen Bürgern grausam bestraft werden. Der Staat läßt dies geschehen. Man kann das bewußte Ablehnen der Regeln im Iran jedoch als politische Handlung einer Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe -der Gruppe der die Regeln ablehnenden Frauen -interpretieren. Es müßte also je nach Beeinträchtigung des Rechtsgutes und der Intensität der Strafe eine Anerkennung gemäß GFK erfolgen Dies hat das Exekutivkomitee des UNHCR, in dem ca. 50 Staatenvertreter sitzen, die die Anwendung und Fortentwicklung der GFK sicherstellen sollen und das seine Beschlüsse einstimmig faßt, in seinem Beschluß Nr. 39 Buchstabe k) im Jahr 1985 klargestellt. 2. In Pakistan existiert in manchen Regionen die Tradition der karo-kari-Tötung (Sindh, Lower Punjab). Begeht ein Mitglied des Stammes einen Ehebruch, verletzt es die Ehre des Stammes und ihm droht der Tod durch seine Stammesmitglieder. Die Strafe kann sowohl Männer als auch Frauen treffen, wird aber in der Praxis vor allem gegen Frauen vollstreckt. Der Staat kennt diese Praxis, schreitet aber nicht ein. Hier ist die Frage, ob dem Staat nicht gewisse Schutzpflichten auferlegt sind, die er durch sein Nicht-Einschreiten verletzt. Ihm wären dann die Tötungen zuzurechnen. 3. Klarer schienen die Anerkennungschancen bei Frauen aus Bosnien-Herzegowina zu liegen. Die Vergewaltigungen von Frauen durch serbische Soldaten während des dortigen Bürgerkriegs verdeutlichen, daß Verfolgung aufgrund der Nationalität und Religion auch im Bürgerkrieg stattfinden kann. Einschlägig wäre hier der Beschluß Nr. 73 Buchstabe d) des Exekutivkomitees des UNHCR aus dem Jahr 1993. Er sieht vor, daß sexuelle Gewalt, die an eines der Asylmerkmale anknüpft, Verfolgung im Sinne der GFK darstellt. Buchstabe e) legte fest, daß Richtlinien für die Anerkennungsbehörden zu erarbeiten seien, die diese Anwendung sicherstellen. Eine ähnliche Forderung wurde in die Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking aufgenommen die Ministerin Nolte für die Bundesrepublik mittrug. Auch wenn im Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifische Verfolgung, Folter und Flüchtlingskinder benannt worden sind, die auch Schulungen erhalten, ist bis heute in Deutschland keine verbindliche Initiative in diese Richtung ergriffen worden.

Angesichts der unglaublich brutalen und systematischen Übergriffe erklärte der Bundesminister des Innern im Rechtsausschuß des Bundestages 1993, daß er geschlechtsspezifische Verfolgung dann als politische Verfolgung ansehe, wenn Übergriffe „etwa im Rahmen einer auf das äußerste zu verurteilenden, völkerrechtswidrigen, absolut inhumanen sogenannten ethnischen Säuberung“ durchgeführt worden seien Deshalb benötige man in der Gesetzesbegründung zur Änderung des Artikel 16 GG -so die Botschaft des Bundesinnenministers -keinen Hinweis auf die Problematik geschlechtsspezifischer Verfolgung. Das Bundesamt würde von dieser Auffassung unterrichtet.

Als die ersten positiven Entscheidungen einiger Verwaltungs-und Oberverwaltungsgerichte bekannt wurden, ergriff der Bundesinnenminister damals jedoch zwei bemerkenswerte Initiativen: Zum einen schickte er den Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten in Berufungs-bzw. Revisionsverfahren. Zum anderen verfügte er wegen der unübersichtlichen Situation in Bosnien einen Entscheidungsstopp beim Bundesamt, um nicht während des brutalen Bürgerkriegs mit weiteren positiven Verwaltungsgerichtsentscheidungen konfrontiert zu werden Der damalige Bundesminister des Innern hat sein Versprechen aus dem Rechtsauschuß des Deutschen Bundestages, Frauen, die vor sogenannten „ethnischen Säuberungen“ fliehen, dauerhaft asylrechtlich zu schützen, nicht eingehalten. 4. Frauen aus afrikanischen Bürgerkriegsländern -wie z. B. Angola, Sierra Leone oder Liberia -, die sich auf die Seite einer oppositionellen Gruppe geschlagen haben, sind oft mit Bescheiden des Bundesamtes konfrontiert, die selbst sexuelle Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen durch Regierungssoldaten als allgemeine Bürgerkriegsfolgen und nicht als gezielte Verfolgung deklarieren. Das politische Engagement dieser Frauen wird dabei zumeist übergangen. 5. Von Kurdinnen aus der Türkei wird immer häufiger berichtet, daß sie von Sicherheitskräften auch als PKK-Unterstützerinnen oder an Stelle ihres Mannes oder Sohns Opfer von politischer Verfolgung werden. Asyl-Anerkennungen dieser Frauen sind trotzdem selten. 6. Aus Afghanistan fliehen seit den Siegen der Taliban immer mehr Frauen vor der fundamentalistischen Politik der neuen Machthaber. Einige gaben an, lieber im Iran leben zu wollen, als in Afghanistan zu bleiben. Aufgrund der Schwere der drohenden Rechtsgutverletzungen waren positive Entscheidungen in letzter Zeit etwas häufiger geworden. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Tendenz für Afghanistan jedoch jüngst über die Bürgerkriegsrechtsprechung vorerst wieder gestoppt

Amnesty international befaßt sich schon seit längerer Zeit mit den Problemen von Menschenrechtsverletzungen an Frauen Im Asylbereich hatte die Menschenrechtsorganisation im Rahmen ihrer weltweiten Flüchtlingskampagne 1997 von der Bundesrepublik gefordert, die international eingegangenen Versprechen endlich einzulösen. Jüngst wurden den Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag detaillierte Änderungen des Asylverfahrensgesetzes vorgeschlagen, die sowohl die Aufmerksamkeit der Anhörer/innen und Dolmetscher/innen im Bundesamt gegenüber politisch verfolgten Frauen erhöhen müßten als auch den Verwaltungsgerichten Instrumente in die Hand geben würden, um ein Nicht-Beachten der besonderen Situation von weiblichen Flüchtlingen durch das Bundesamt ahnden zu können

Pro Asyl und der Deutsche Frauenrat haben eine Initiative mit ähnlichen Zielen begonnen, die Konferenz der für Gleichstellung und Frauen zuständigen Ministerinnen und Minister bzw. Senatorinnen und Senatoren hat -wie auch die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen 1997 -die Bundesregierung aufgefordert, Verbesserungen für Frauen im Asylverfahren zu beschließen und endlich deren Verfolgungssituation besser zu berücksichtigen. Der Deutsche Bundestag hat sich im Dezember 1997 teilweise mit dem Thema befaßt Auf Dauer müßten diese Initiativen zu verbindliehen, also in dem Gesetz zu verankernden Verbesserungen führen, die die Asylanerkennungschancen von Frauen in Deutschland verändern.

IV. Resümee

Es sollte deutlich gemacht werden, daß einerseits zwar Bewegung in den unterschiedlichen Menschenrechtsdebatten zu registrieren ist, andererseits sich aber auch der Eindruck verstärkt, viele internationale Standards seien mit guten Gründen festgelegt bzw. nationalstaatlichen Opportunitätserwägungen teilweise entzogen worden. Insbesondere mit letzterer Tatsache hat die staatliche Menschenrechtspolitik in Deutschland -und dort insbesondere die Asylpolitik bzw. das Asylrecht -zunehmend Probleme. Auch die Rechtsprechung verwickelt sich in Widersprüche und bleibt teilweise deutlich hinter den internationalen und regionalen Menschenrechtsstandards zurück.

Der vollmundigen Menschenrechtsrhetorik auf nationalem und internationalem Parkett folgen selten entsprechende Taten. Insbesondere der asyl-und ausländerrechtliche Umgang mit den Frauen aus Bosnien ist ein Skandal, der politisch und öffentlich vorrangig angegangen werden müßte. Ebenso merkwürdig ist, daß die damalige Ministerin Nolte die Beurteilung der asylrecht-liehen Praxis im Falle geschlechtsspezifischer Verfolgung nahezu vollständig dem Bundesministerium des Innern überlassen hat.

Wer in der Bundesrepublik am internationalen Flüchtlingsrecht festhält, ist mitnichten konservativ. Die Diskussion über neue Entwicklungen, die neue Lösungen erfordern würden, lenkt allzuoft von den bereits deutlich sichtbaren Lücken ab, die sich zwischen der hektischen deutschen Asylpraxis und -politik einerseits und den schlichten, aber wohlüberlegten Standards des internationalen Flüchtlingsrechts sowie des regionalen Menschen-rechtsschutzes andererseits aufgetan haben Diese Lücke gilt es vorrangig zu schließen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Überarbeitete Fassung meines Vortrages vom 16. Oktober 1997, der im Rahmen einer Ringvorlesung der Hochschulgruppe von amnesty international an der Universität Mannheim im Wintersemester 1997/98 gehalten worden ist und im Sammelband von Franz-Josef Hutter/Anja Mihr/Carsten Tessmer (Hrsg.), Menschen auf der Flucht, 1999 erscheinen wird. Roman Herzog, Die Rechte der Menschen, in: Die Zeit vom 6. 9. 1996, S. 3f.

  2. Vgl. Bundestagsdrucksachen 13/6060 vom 8. 11. 1996 und 13/9055 vom 13. II. 1997, die sich mit den Möglichkeiten der Unterstützung der weltweiten Bemühungen um die Abschaffung der Todesstrafe befassen.

  3. R. Herzog (Anm. 1), S. 3.

  4. Der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat mit anderen ehemaligen Staatsmännern kürzlich eine Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten entworfen. Es sei Zeit, über Pflichten zu reden, wurde verlautbart und zugleich angedeutet, daß die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor dem historischen und philosophischen Hintergrund Westeuropas erarbeitet worden sei. Vgl. Helmut Schmidt, in: Die Zeit vom 3. 10. 1997, S. 17 f., die notwendige Kritik dazu: Volkmar Deile, Rechte bedingungslos verteitigen, in: Die Zeit vom 21. 11. 1997, S. 15.

  5. Zur Entstehung der GFK Reinhard Marx, Zur Rechts-erheblichkeit des Bürgerkriegs bei der Auslegung und Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, in: Informationsbrief Ausländerrecht. 9/97, S. 372-379, umfassend historisch: Michael R. Marrus, The Unwanted, New York -Oxford 1985.

  6. Vgl. amnesty international (Hrsg.), Zwei Jahre neues Asylrecht, Bonn 1995. Selbst das sogenannte Dubliner Abkommen, das im Asylbereich zwischen den EU-Staaten gilt, stellt nicht sicher, daß ein Asylsuchender auf dem Gebiet der EU ein Asylverfahren bekommt. Artikel 3 Absatz 5 des Abkommens ermöglicht es, einen Asylbewerber nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften aus dem Vertragsgebiet zurück-oder auszuweisen. Ebenso das Schengener Durchführungsübereinkommen in Kapitel 7, Artikel 29 Absatz 2 Satz 2.

  7. Die Bundesrepublik hat sich nicht verbindlich verpflichtet. dafür zu sorgen, daß die Asylbewerber, die unter die Drittstaatenregelung fallen, in dem Drittstaat tatsächlich ein Asylverfahren erhalten.

  8. Vgl. etwa Artikel 1 A Nr. 2 und vor allem C Nr. 5 GFK.

  9. Vgl. BVerfGE 80, S. 315 ff.

  10. BVerwG 9 C 15. 96 vom 15. 4. 1997, S. 10; dagegen: VG Frankfurt/M., Beschluß 9 G 50507/97. A(2) vom 27. 8. 1997, in: Informationsbrief Ausländerrecht, 2/98, S. 84-91.

  11. BVerwG 9 C 34. 96 vom 4. 11. 1997, S. 12, abgedruckt in: Informationsbrief Ausländerrecht, 3/98, S. 145-148, hier S. 147.

  12. BVerwG 9 C 10. 95 vom 17. 10. 1995.

  13. Vgl. BVerwG 9 C 38. 96 vom 15. 4. 1997.

  14. Kritisch hierzu: Reinhard Marx, Anmerkung zum Urteil des BVerwG, in: Informationsbrief Ausländerrecht, 11-12/97, S. 447-450, und Anja Zimmer, Abschiebungsschutz durch Art. 3 EMRK im Fall nichtstaatlicher Verfolgung, in: Zeitschrift für Ausländerrecht, (1998) 3, S. 115-125. Zur Vertretbarkeit des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts hingegen: Hans-Georg Maaßen, Abschiebungsschutz aus Art. 3 EMRK auch bei nicht vom Staat ausgehenden Menschenrechtsverletzungen und allgemeinen dem Ausländer im Herkunftsstaat drohenden Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit, in: Zeitschrift für Ausländerrecht, (1998) 3, S. 107-115, sowie Thomas Buß, Grenzen der dynamischen Vertragsauslegung im Rahmen der EMRK, in: Die Öffentliche Verwaltung, (1998) 8, S. 323-330. In einer ähnlichen Richtung wie die Beiträge von Maaßen und Buß argumentierend: Juliane Kokott, Die Aufnahme „humanitärer Flüchtlinge“. Manuskript, Juni 1998.

  15. 2 BvR 1938/93; 2315/93 vom 14. 5. 1996, S. 34.

  16. BVerwG (Anm. 13), S. 15.

  17. Zu der gesamten Problematik vgl. Martina Schottes/Monika Schuckar (Hrsg.), Frauen auf der Flucht, Bd. 1, Berlin 1994, sowie Martina Schottes (Hrsg.), Frauen auf der Flucht, Bd. 2, Berlin 1995. Kaum nachvollziehbar sind die Formulierungen des Bayer. Verwaltungsgerichts (VG) Bayreuth (Urteil B 5 K 97. 30391 vom 29. 10. 1997) im Falle einer Albanerin aus dem Kosovo: Die Klägerin habe „den Vorgang in Zusammenhang mit ihrer Vergewaltigung* ersichtlich emotionslos ohne merkliche Betroffenheit berichtet und dabei nicht den Eindruck gemacht, als würde sie ein tatsächlich erlebtes und zudem äußerst verletzendes Ereignis schildern“. Darüber hinaus sei es „eher unwahrscheinlich, daß ein serbischer Polizist, der auf geschlechtliche Befriedigung oder auf besondere Demütigung des Opfers aus ist. eine Ohnmächtige mißbraucht“. Eine ähnliche Problematik wird hingegen im Falle einer afghanischen Frau deutlich und vom VG Frankfurt a. M. (Urteil 5 E 33532/94. A [3] vom 23. 10. 1996) vorbildlich gewürdigt, wobei die Betroffene in diesem Fall offenbar außergewöhnlich exakt und glaubhaft vortrug.

  18. Die Bedenken werden nun auch in der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag geteilt, innenpolitische Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zeichnen sich trotzdem noch nicht ab. Vgl. die Äußerungen der CDU-Abgeordneten Ilse Falk, in: Bundestagsplenarprotokolle -12. Wahlperiode-211. Sitzung vom 12. 12. 1997, S. 19335 f.

  19. Einschlägig z. B. die Interpretation in der Entscheidung des Board of Immigration Appeals im Fall der Togoerin Fauziya Kasinga in den USA vom 13. 6. 1996, Interim Decision 3278, S. 10: für Deutschland: VG Magdeburg, Bescheid 1 A 185/95 vom 20. 6. 1996.

  20. Vgl. Strategisches Ziel E. 5. Randnr. 147 h), 148 a).

  21. Zit. nach Kay Hailbronner, Geschlechtsspezifische Fluchtgründe, die Genfer Flüchtlingskonvention und das deutsche Asylrecht, in: Senatsamt für die Gleichstellung der Hansestadt Hamburg (Hrsg.), Frauen auf der Flucht, Hamburg 1997, S. 14.

  22. Grundsätzliche Bedenken gegen die Politik des damaligen Innenministers, einen Entscheidungsstopp allein aufgrund unübersichtlicher Verhältnisse im Herkunftsland zu verhängen, hegt das VG Schleswig-Holstein (Urteil 15 A 100/97 vom 29. 8. 1997) bezüglich Ruanda.

  23. Vgl. BVerwG (Anm. 10 u. 11).

  24. Vgl. amnesty international (Hrsg.), Frauen in Aktion -Frauen in Gefahr, Bonn 1995.

  25. Vgl. amnesty international (Referat für politische Flüchtlinge), Geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen. Vorschläge für eine Änderung des Asylverfahrensgesetzes vom 5. 12. 1997.

  26. Bundestagsplenarprotokolle (Anm. 18), S. 19332-19345.

  27. Leider in die falsche Richtung und wenig überzeugend: der nun wohl wieder zurückgezogene Entwurf der EU-Präsidentschaft eines Strategiepapiers zur Migrations-und Asyl-politik vom 1. 7. 1998. In die richtige Richtung hingegen: die Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention in der Entscheidung der „Rechtseendheidskammer“ (REK) vom 27. 8. 1998 in den Niederlanden zu Somalia. Zur Auslegung von Artikel 3 EMRK -aber auch zu den vorhandenen Grenzen der Rechtsprechung -überzeugend: A. Zimmer (Anm. 14).

Weitere Inhalte

Michael Maier-Borst, Dipl. -Pol., geb. 1965; 1992-1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin; 1994-1998 Vorstandsreferent für politische Flüchtlinge der deutschen Sektion von amnesty international. Veröffentlichungen u. a.: Asylpolitik, in: Ulrich Albrecht/Helmut Volger (Hrsg.), Lexikon der Internationalen Politik, München -Wien 1997; Überlegungen zu Asylpolitik und -recht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu Artikel 16 a GG aus menschenrechtlicher Sicht, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Fluchtursachen bekämpfen -Flüchtlinge schützen, Dresden 1997.