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Politikerin als Beruf Ergebnisse einer Untersuchung zur politischen Bildung und Professionalisierung von Frauen für die Politik | APuZ 22-23/1998 | bpb.de

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APuZ 22-23/1998 Politikerin als Beruf Ergebnisse einer Untersuchung zur politischen Bildung und Professionalisierung von Frauen für die Politik Frauen und Macht -die andere Stimme in der Wissenschaft Was hat sie, was er nicht hat? Forschungsergebnisse zu den Erfolgen von Frauen in Führungspositionen Möglichkeiten und Schwierigkeiten hochqualifizierter Frauen auf dem Arbeitsmarkt Informatikerinnen in der Bundesrepublik Artikel 1

Politikerin als Beruf Ergebnisse einer Untersuchung zur politischen Bildung und Professionalisierung von Frauen für die Politik

Ulla Weber/Marion Esch/Barbara Schaeffer-Hegel

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Um die Präsenz von Frauen in der Politik zu vergrößern und um ihren politischen Einfluß zu stärken, bedarf es nicht nur institutioneller Regelungen, wie z. B.der Quote, sondern auch innovativer bildungspolitischer Maßnahmen. Zu diesem Ergebnis kam das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie geförderte Forschungsprojekt „Zur Situation und Zukunft von Frauen in der Politik als Aufgabe politischer Bildungsarbeit“, das 1996/97 unter der Leitung von Barbara Schaeffer-Hegel an der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde zur Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs von Frauen für die Politik und zur wissenschaftlichen Vorbereitung und Fundierung der Arbeit der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft -Berlin erstmals eine Gesamtbefragung aller weiblichen Abgeordneten der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Zusätzlich wurden Intensivinterviews mit einer Gruppe von Spitzenpolitikerinnen geführt. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts machen deutlich, daß Bedarf an gezielten Maßnahmen im Bereich der politischen Bildung und der Professionalisierung von Frauen für die Politik besteht. Damit entsprechende Angebote dazu beitragen können, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der politischen Macht zu fördern, müssen sie gezielt auf die besonderen Anforderungen, die an Politikerinnen im politischen Alltag gestellt werden, und auf die sozialisationsbedingten Voraussetzungen, die Frauen mitbringen, zugeschnitten sein. In der Perspektive einer Veränderung der Politik und der politischen Kultur sollten Qualifizierungsangebote nicht nur darauf ausgerichtet sein, daß sie Politikerinnen darin bestärken, sich in den bestehenden Strukturen des politischen Apparats zu behaupten. Qualifizierungsangebote für die Politik können Frauen darüber hinaus darin unterstützen, Strategien zur Etablierung innovativer Politikgestaltung zu erarbeiten und wegweisende gleichstellungspolitische Problemlösungen zu entwickeln.

I. Vorbemerkungen

Tabelle 1: Personen, die fördernd den Einstieg von Frauen in die Politik unterstützen*.Quelle: Eigene Untersuchung.%

Frauenförderung in der Politik kann sich nicht nur auf die Quote verlassen. Noch sind 78 Prozent der Parlamentarier in Bund und Ländern Männer, und nur 18 Prozent der politischen Führungspositionen auf Bundesebene sind von Frauen besetzt -und der Mangel an weiblichem Parteinachwuchs hat alarmierende Ausmaße erreicht. Ergebnisse neuerer Untersuchungen verweisen auf eine ansteigende Politikverdrossenheit der jüngeren Generation und belegen die Distanz insbesondere junger Frauen zur institutioneilen Politik. Soll das Ziel einer geschlechtergerechten Gesellschaft erreicht werden, müssen Macht und Einfluß der Frauen auf politische Themensetzungen in vielfacher Weise gestärkt werden.

Schaubild 4: Wunsch nach speziellen Schulungsangeboten für Frauen nach Altersgruppen (in Prozent). Quelle: Eigene Untersuchung.

Da die Institutionen der parlamentarischen Demokratie unter Ausschluß von Frauen entstanden sind, leben wir in Strukturen, welche in jeder Generation von neuem dafür sorgen, daß sich die Lebensentwürfe von Frauen und Männern erheblich voneinander unterscheiden. Solange die männlichen Rollenmuster den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen noch so wenig entsprechen, werden es Frauen weitaus schwerer haben als Männer, ihre familiäre Orientierung mit einer politischen Karriere zu verbinden. Weitere Probleme müssen fast zwangsläufig dadurch entstehen, daß Frauen Schwierigkeiten haben, sich in ein System „einzufädeln“, in dem sie sich als Minderheit nur mit erheblichem Durchsetzungsvermögen und überdurchschnittlicher Kompetenz behaupten können.

Die Widerstände gegen eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der Politik liegen also sowohl bei wichtigen institutionellen Regelungen, die dringend einer politischen Revision bedürfen, als auch bei subjektiv verankerten Dispositionen und Vorbehalten von Männern -aber auch von Frauen -, Die Auswertung und die Ergebnisse des in Kapitel II referierten Teiles der Untersuchung stammen von Susanne Bergmann. welche durch den Einsatz geeigneter Bildungsmaßnahmen beeinflußt werden können. Politische und bildungspolitische Maßnahmen müssen daher aufeinander abgestimmt sein und gleichzeitig ansetzen: Größere Anstrengungen im Bereich der politischen Bildung und Professionalisierung von Frauen werden bewirken, daß mehr Frauen mit mehr Durchsetzungskraft bessere politische Voraussetzungen für eine geschlechterdemokratische Gesellschaft schaffen.

Mit dieser Zielsetzung und unter Bezugnahme auf die Forderung der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking im September 1995 nach „Ausbildungskursen und geschlechtsspezifischen Trainingsprogrammen, die die Befähigung und das Selbstwertgefühl von Frauen für Entscheidungs-und Führungsaufgaben verbessern“, begann vor drei Jahren eine Gruppe von Frauen und Männern in Berlin mit dem Aufbau der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft. Die Akademie soll der Kooperation und der Qualifizierung von Frauen in der Politik und der Förderung des weiblichen Führungsnachwuches dienen; sie soll als Macht-und Kräftezentrum für Frauen in politischen und anderen gesellschaftlichen Führungspositionen wirken.

Um die Konzeption und die Angebote der Akademie auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen, strebten die Initiatorinnen als erstes eine Bestandsaufnahme über den Bedarf an Fortbildungs-, Trainings-und professionellen Qualifikationsangeboten bei Politikerinnen an. In Anerkennung des grundlegenden Zusammenhanges zwischen politischer Bildung und politischer Gleichstellung von Frauen hat das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie im Dezember 1995 die Förderung für das Forschungsprojekt Zur Situation und Zukunft von Frauen in der Politik als Aufgabe politischer Bildungsarbeit übernommen, das unter der Leitung von Barbara Schaeffer-Hegel an der Technischen Universität Berlin angesiedelt wurde. Im Zuge des qualitativen Teiles dieser Untersuchung wurden im Sommer 1996 insgesamt 1 200 Fragebögen an alle 744 Volksvertreterinnen derBundesrepublik (177 Abgeordnete des 13. Deutschen Bundestages, insgesamt 533 Volksvertreterinnen der Landtage und 34 deutsche Abgeordnete im Europaparlament), sowie an 456 Politikerinnen städtischer/kommunaler Parlamente, die nach demographischen Merkmalen ermittelt worden waren, verschickt. Damit sind erstmals in der Bundesrepublik alle weiblichen Abgeordneten in einer repräsentativen Untersuchung erfaßt worden. Darüber hinaus wurden in einer qualitativen Erhebung insgesamt 31 Frauen aus politischen und gesellschaftlichen Führungspositionen in jeweils zirka eineinhalbstündigen Tiefeninterviews zu ihrem politischen und professionellen Werdegang befragt. Die befragten Politikerinnen gehörten verschiedenen politischen Parteien, unterschiedlichen Politikbereichen und verschiedenen Altersgruppen an. Eine Gesamterhebung bei allen weiblichen Abgeordneten der Bundesrepublik (Länder-, Bundes-und Europaebene und eine gleiche Anzahl von kommunalen Politikerinnen) sowie die Intensivbefragung einer Gruppe von Spitzenpolitikerinnen sollte unter anderem klären: -welche Bildungs-und Berufserfahrungen Politikerinnen für die Ausübung ihrer politischen Tätigkeit nutzen konnten; -welche gezielten Angebote zur Qualifizierung für die Politik sie wahrgenommen haben; und -welche diesbezüglichen Angebote sie sich für die Unterstützung der eigenen Karriere gewünscht hätten bzw. welche sie für die zukünftige Qualifizierung und Professionalisierung von Frauen für die Politik als notwendig und sinnvoll erachten.

Mit der vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) geförderten Untersuchung ist erstmals in der Bundesrepublik eine Gesamterhebung bei allen Parlamentarierinnen Deutschlands durchgeführt worden; erstmalig sind außerdem wichtige Rahmenbedingungen und Zielsetzungen für die professionelle Qualifizierung von Politikerinnen ermittelt worden. Im folgenden sollen einige der wichtigsten Ergebnisse unseres Forschungsprojektes vorgestellt werden.

II. Politische Motivation und Einstieg von Frauen in die Politik

Schaubild 1: Schulungswünsche für den Einstieg in die Politik*. Quelle: Eigene Untersuchung.

Das politische Engagement der interviewten Politikerinnen deutete sich früh an und wuchs kontinuierlich. Nach Aussage der Spitzenpolitikerinnen unter diesen wurde das Interesse an gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen bei den meisten von ihnen bereits im Elternhaus geweckt und gefördert. Das geschah in erster Linie durch -Gespräche und Diskussionen über tagespolitische Themen, bei denen die Kinder als Gesprächspartner bereits sehr früh ernst genommen wurden; -Zugang zu qualifizierter medialer Berichterstattung (zum Beispiel zu mehreren Tageszeitungen, Radiosendern mit hohem Wortanteil); -das Vorbild der Eltern, die mehrheitlich gesellschaftlich engagiert waren.

Unsere Interviewpartnerinnen standen -auch was ihre ersten Schritte in die aktive politische Arbeit anbelangt -nicht in Opposition zum Elternhaus und den dort vermittelten Werten. Selbst bei unterschiedlicher Parteizugehörigkeit gab es zumindest ideelle Gemeinsamkeiten mit den Eltern. Das politische Engagement wurde außerdem in erster Linie durch allgemeine, übergreifende politische und soziale Fragestellungen motiviert, parteispezifische Überlegungen fanden kaum Erwähnung (vgl. Tabelle 1). Über die Hälfte der Befragten engagierte sich bereits in der Schule, in studentischen Gremien oder in der Jugendorganisation einer Partei. Von knapp einem Viertel der Befragten wird auch die Mitarbeit im Rahmen kirchlicher Aktivitäten erwähnt. Die Mehrzahl der interviewten Spitzen-politikerinnen und Führungskräfte sammelte somit bereits im Jugendalter Erfahrung mit demokratischen Strukturen, etwa durch die Mitarbeit in Bürgerinitiativen und das Engagement in lokalen Initiativen sowie ehrenamtliche politische Arbeit auf kommunaler Ebene.Die ersten politischen Themenfelder der interviewten Politikerinnen zeigten dann auch bereits sehr früh ein breitgefächertes Interesse, allerdings mit deutlicher Schwerpunktsetzung in der Frauen-politik. Es folgten die Bereiche Soziales, Kinder-und Jugendpolitik. Im weiteren Verlauf der Karriere wurden zunehmend andere Politikressorts erschlossen, in erster Linie Wirtschaft und Finanzen. Die hohe Motivation, in frauentypischen Ressorts konkret an der Lösung von Alltagsproblemen mitzuarbeiten, erschloß somit vielen der Befragten das Handwerkszeug für eine politische Tätigkeit.

Die geschlechtsspezifischen Sozialisationserfahrungen der Interviewpartnerinnen der Geburtsjahrgänge 922 bis 1970 1 stellen sich aus verständlichen Gründen sehr unterschiedlich dar. Gemessen an den Standards der jeweiligen Zeit hatten die befragten Spitzenpolitikerinnen im familiären Kontext jedoch insgesamt verhältnismäßig wenig unter geschlechtsspezifischen Benachteiligungen zu leiden. Die jüngeren Politikerinnen wurden damit nicht selten erstmals zu Beginn ihrer politischen Karriere durch entsprechende Reaktionen und Anforderungen (zum Beispiel von Kollegen und von Medienvertretern) im politischen Umfeld konfrontiert. Unabhängig von der Generationszugehörigkeit stellten jedoch alle Befragten fest, daß im Bereich der Politik nach wie vor vielfältige Barrieren gegen eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen bestehen. Sozialisationsbedingte Schwierigkeiten, über die auch die schon als Mädchen starken Führungsfrauen berichten, machen sich überwiegend erst nach der Pubertät bemerkbar und betreffen insbesondere die Verhaltensbereiche -offenes Konkurrenzverhalten, -öffentlichkeitswirksame Selbstdarstellung, -zielgerichteter persönlicher Ehrgeiz sowie -frontale Konfliktbewältigung.

Für die Bereitschaft zur Übernahme von politischer Führungsverantwortung spielt offenbar eine frühe Prägung die entscheidende Rolle. Das führt zu der Frage, wie die Fördermöglichkeiten für Mädchen und junge Frauen aus Gründen der chancengleichen Beteiligung an politischen Gestaltungsmöglichkeiten verbessert werden können. Generell sollte der frühen Förderung von kommunikativen Talenten und sozial verantwortlichen Charakteren mehr Gewicht beigemessen werden, wenn -wie unsere Untersuchung bestätigt -die Motivation zum politischen Engagement speziell bei Mädchen bereits lange vor Erreichen der Volljährigkeit erworben wird.

III. Anforderungen und Kompetenzen für Frauen in der Politik

Tabelle 2: Unterstützung durch Mentorin/Mentor nach politischem Amt (in Prozent) . Quelle: Eigene Untersuchung.

Nach Ansicht unserer Interviewpartnerinnen ist vor allem hohe ressortspezifische Fachkompetenz eine wichtige Voraussetzung für die Ausübung eines politischen Amtes. Außerdem benötigt eine Politikerin ein vom jeweiligen Fachgebiet unabhängiges politisches Fachwissen. Hierzu gehören betriebswirtschaftliche, haushalts-und finanz-sowie verfahrenstechnische und juristische Grundkenntnisse sowie die Kenntnis der offiziellen und der informellen Strukturen und Hierarchien des politischen Apparats.

Als ausschlaggebend für den politischen Erfolg beurteilten die Interviewpartnerinnen jedoch eine hohe strategische Qualifikation. Eine Politikerin muß sowohl über eine Vielzahl von Durchsetzungsstrategien und -techniken (zum Beispiel Bündnispolitik, Öffentlichkeitsarbeit, Kompromißfähigkeit, Standfestigkeit, Konflikt-und Konkurrenzfähigkeit) als auch über strategische Qualifikationen im Bereich der Arbeitsorganisation und des Zeitmanagements verfügen (sie muß beispielsweise Prioritäten setzen können und Techniken der effektiven Aneignung von Fachwissen beherrschen), um sich in ihren verschiedenen politischen Tätigkeitsfeldern behaupten zu können. Hohe Fachkompetenz ist vor allem für Politikerinnen auf den unteren parlamentarischen Ebenen von entscheidender Wichtigkeit. Im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen haben Politikerinnen -darauf verweisen unsere Befragungsergebnisse -Probleme damit, ohne umfassende Hintergrundinformationen spontan über bestimmte Sachverhalte zu urteilen oder gar Entscheidungen zu fällen.

Eine Belastung war für die meisten der Interviewpartnerinnen -vor allem im Rückblick auf den Beginn ihrer Laufbahn -das Erfordernis, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und zu positionieren. Als Frauen waren sie gewohnt, eher bescheidener und im Hintergrund zu arbeiten.

Unsere Interviewpartnerinnen berichteten, daß die Anforderungen, die an eine Politikerin gestellt werden, widersprüchlich sind. Auf der einen Seite wird von Politikerinnen verlangt, sich Durchsetzung versprechender Techniken zu bedienen. Auf der anderen Seite gelten ebendiese Verhaltensweisen in unserer Gesellschaft als „unweiblich“. Hierzu gehören zum Beispiel Hartnäckigkeit, Sturheit, Standfestigkeit und ein adäquates Maß an Skrupellosigkeit.

Die meisten der Interviewpartnerinnen berichteten, daß ihre Vorstellungen von solider politischer Entscheidungsfindung, guter Zusammenarbeit, angenehmen Umgangsformen und vernünftiger Personalführung nicht mit den im politischen Alltag gängigen Praxen und Formen vereinbar sind. Die Aneignung vieler in der Politik üblichen Verhaltensweisen kostete die Politikerinnen nicht nur Anstrengung, sondern auch Überwindung, da sie sie nicht nur nicht beherrschten, sondern zum Teil auch persönlich ablehnten. Zum Beispiel traf ihr Wunsch nach einem kooperativen Umgang mit Kollegen und Mitarbeiterinnen oftmals auf bürokratische, hierarchische und konkurrenzhafte Strukturen.

Um Beschädigungen der eigenen Persönlichkeit zu vermeiden und der Gefahr einer „professionellen Deformierung“ zu begegnen, ist es, wie eine Interviewpartnerin berichtet, notwendig, deutlich zwischen der eigenen Person und deren politischer Funktion, etwa durch die „Konstruktion einer öffentlichen Person“, zu unterscheiden: Die Politikerin präsentiert ihre Rolle auf der politischen Bühne wie eine Schauspielerin. „Wenn man in die Politik geht, muß man wissen, daß man einen Sprung macht von der Privatperson zur öffentlichen Person. Die öffentliche Person kann man so beschädigen, wie man will, wenn die private Person dahinter völlig unerkannt und integer bleiben kann. Man muß dieses Bild in der Öffentlichkeit gezielt konstruieren, wenn man Erfolg haben will.

Die Berichte unserer Interviewpartnerinnen zeigen, daß die Politikerinnen an vielen Punkten an einer Veränderung des politischen Apparats interessiert sind. Die Umsetzung ihrer Vorstellungen über andere Formen der Personalführung, der Öffentlichkeitsarbeit, der politischen Auseinandersetzung etc. scheitert nicht daran, daß den Politikerinnen neue Konzepte für die verschiedenen Bereiche fehlen würden. Vielmehr fehlen ihnen die Strategien, diese Konzepte erfolgreich zu etablieren. Die wenigsten der Interviewpartnerinnen konnten sich im Laufe der Zeit Formen der Kooperation oder Zusammenarbeit mit anderen Politikerinnen schaffen, um ihre Ziele gemeinsam durchzusetzen.

IV. Trainingsbedarf von Frauen für die Politik

Schaubild 2: Inanspruchnahme von persönlicher Beratung/Coaching nach politischer Ebene (in Prozent) Quelle: Eigene Untersuchung.

Obwohl die von uns befragten Politikerinnen über ein überdurchschnittlich hohes Ausbildungsniveau verfügen, fühlten sie sich auf die Anforderungen ihrer politischen Tätigkeit nicht hinreichend vorbereitet. Zwar betonten die interviewten Führungsfrauen, daß die Wissenschaft . . . eine hervorragende Vorbereitung auf die Politik“ sei. Durch die Fähigkeit, in übergreifenden Zusammenhängen zu denken, die ein Hochschulstudium vermittelt, hatten sie ein für die politische Tätigkeit unentbehrliches Analysevermögen erworben. Auch das im Studium angeeignete spezifische Fachwissen -vor allem das der Juristinnen -sei für ihre Laufbahn außerordentlich hilfreich gewesen. Dennoch fühlten sich die Frauen weder durch ihr Studium noch durch ihre politischen Vorerfahrungen ausreichend darauf vorbereitet, sich im fremden politischen Alltag zurechtzufinden. Zwar hatte das politische Engagement bei der Mehrzahl der Befragten schon früh begonnen und war kontinuierlich gewachsen, doch sahen sie sich zu Beginn ihrer Laufbahn sowohl durch die Parteien als auch durch ihre Kolleginnen und Kollegen allein gelassen. In der Fragebogenerhebung geben nur rund ein Fünftel der Befragten an, durch einen Mentor bzw. eine Mentorin gefördert worden zu sein (vgl. Tabelle 2). Daß Spitzenpolitikerinnen in der Regel einen Mentor oder eine Mentorin gehabt haben, unterstreicht die Bedeutung solcher Vorbild-und Förderbeziehungen. Der Ausschluß aus informellen Förderbeziehungen ist von der feministischen Partizipationsforschung als eine wesentliche strukturelle Aufstiegsbarriere für Frauen identifiziert worden.

Weiterbildungsangebote ihrer Parteien oder von deren Stiftungen, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten gewesen wären und die ihnen das für die Politik notwendige institutionenkundliche und verfahrenstechnische Wissen sowie Kenntnisse über die formellen und vor allem über die informellen Kommunikationsformen und Strukturen des politischen Apparats vermittelt hätten, fanden die Politikerinnen kaum vor. Hierbei muß allerdings berücksichtigt werden, daß die Politischen Stiftungen, wie auch die Bundeszentrale und die Landes-zentralen für politische Bildung, auf Grund ihrer öffentlichen Finanzierung zu gezielter parteigebundener Förderung nicht berechtigt sind.

Rückblickend hat die fehlende Unterstützung die Politikerinnen viel Zeit und Energie gekostet, die sie sinnvoller hätten einsetzen können. Nach Ansicht der Führungsfrauen hätten durch eine gezielte Vorbereitung und Förderung vor allem zu Anfang ihrer politischen Tätigkeit manche politische Mißerfolge und Rückfälle vermieden werden können (vgl. Schaubild 2).

Die weitgehende Unterrepräsentanz von Frauen, insbesondere von jungen Frauen in den Parteien -dies ist eines der Ergebnisse unserer Untersuchung -, macht es dringend erforderlich, bei der Rekrutierung und Entwicklung des politischen Personals den unterschiedlichen Ausgangs-und Zugangsbedingungen sowie den spezifischen Erschwernissen für Frauen in der Politik stärker Rechnung zu tragen. Durch gezielte Qualifizierung und Professionalisierung für die Politik könnten weitaus mehr junge Frauen ermutigt werden, politische Führungspositionen anzustreben.

Ein Punkt, an dem die Politikerinnen gerade zu Beginn ihrer Laufbahn unbedingt Unterstützung gewünscht hätten, ist die systematische Aufstiegs-und Karriereplanung, in die sie nach ihren Berichten viel zu wenig Zeit und Beachtung investiert haben. So berichtet eine unserer Gesprächspartnerinnen: „Ich war hoffnungslos desinteressiert an meiner beruflichen, politischen Entwicklung. Ich habe immer nur von Hölzchen auf Stöckchen gedacht. Als ich die Kreistagsarbeit begonnen habe, bin ich im Traum nicht auf die Idee gekommen, daß ich eines Tages im Bundestag sitzen würde, geschweige denn eine noch höhere Funktion haben könnte. Eine systematische Karriereberatung zu Beginn meiner Laufbahn hätte mir viel geholfen. Ich hätte bestimmt Fehler vermeiden können, die mich so viele Jahre gekostet haben. “

Eine wichtige Voraussetzung dafür, die eigene Karriere zu planen und den Plan dann auch konse7 quent zu verfolgen, ist die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, „Nebensächliches nebensächlich zu behandeln“. Gerade für Frauen handelt es sich dabei um eine wesentliche Voraussetzung, da noch heute die familiären Pflichten überwiegend in der Zuständigkeit von Frauen liegen. Somit hängt die Vereinbarkeit von Beruf und/oder Politik mit der Familie vor allem von ihrem persönlichen Organisationstalent und von ihrer Fähigkeit zum Management von Mehrfachbelastung ab. Dementsprechend artikulierten die von uns befragten Politikerinnen gerade im Bereich Arbeitsorganisation und Zeit-management großen Trainingsbedarf.

Dem Bedürfnis an Bildungsangeboten, die Frauen gezielt auf die Übernahme politischer Ämter vorbereiten und eine kontinuierliche Weiterqualifizierung im Amt erlauben, steht eine politische Wirklichkeit gegenüber, in der sich die politische Nachwuchssozialisation in erster Linie durch ein „learning by doing“ auf dem Weg langwieriger „Ochsentouren“ und organisationsinterner Aufstiegsprozesse in den Parteien vollzieht. Bis heute zählt es zu den Besonderheiten der politischen Profession, daß sich -anders als in anderen gesellschaftlichen Funktionsbereichen -„der Ausübung politischer Macht bisher kein regulärer Erziehungsprozeß (hat) affixieren lassen“ Ein differenziertes, an den spezifischen Anforderungsprofilen der Tätigkeiten in Parteien, Parlamenten, Gewerkschaften und Verbänden ausgerichtetes und den unterschiedlichen Karrierestufen und Hierarchieebenen Rechnung tragendes Bildungsund Qualifizierungsangebot -wie es etwa in der Wirtschaft üblich ist -ist im Bereich der Politik derzeitig nicht erkennbar.

Bis heute zielt auch die schulische und außerschulische politische Bildungsarbeit in Deutschland insgesamt eher auf eine breitenwirksame Erziehung zur demokratienotwendigen politischen Mündigkeit bzw. auf die Stabilisierung demokratieförderlicher Grundhaltungen und nicht so sehr auf eine berufsrollenorientierte Professionalisierung des politischen Personals. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung der nationalsozialistischen Diktatur schien diese Akzentuierung der politischen Bildungsarbeit im Nachkriegsdeutschland ebenso verständlich wie sinnvoll. Diese spezifischen historischen Ausgangsbedingungen können unseres Erachtens aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die politische Bildung heute nicht nur durch den wachsenden Professionalisierungsdruck in der politischen Arbeit, sondern auch durch die zunehmende Politikverdrossenheit in weiten Kreisen der Bevölkerung vor neue Herausforderungen gestellt ist. Insbesondere gegenüber jungen Menschen und hier vor allem gegenüber jungen Frauen verlieren die konventionellen politischen Institutionen mehr und mehr an Integrationsfähigkeit. Über Erfahrungen mit Diskriminierungen, die auch heute noch die Karrierewege von Politikerinnen beeinträchtigen und erschweren, wird von unseren Interviewpartnerinnen detailliert und kenntnisreich berichtet. Die Politikerinnen unserer Untersuchung besitzen ein hohes Bewußtsein über frauenausgrenzende und benachteiligende Strukturen und dementsprechende Umgangsformen in der Politik.

Sie stehen unter besonders hohem Erwartungsdruck, insbesondere wenn sie Interesse an „harten“

bzw. prestigeträchtigen Ressorts zeigen. Sie fühlen sich mehr auf dem Prüfstand als ihre männlichen Kollegen und reagieren darauf mit „Perfektionismus“, der unter Umständen situationsunangemessen und behindernd wirken kann. Vielfach machten unsere Interviewpartnerinnen die Erfahrung, weniger ernst genommen und lächerlich gemacht zu werden; eine der Strategien der Abwertung und Destabilisierung von Frauen in der Politik besteht darin, ihre „Weiblichkeit“ in Frage zu stellen, insbesondere wenn Politikerinnen „männliche“ Karrierewünsche zeigen.

Der Umgang mit den Medien wird von ihnen überwiegend als schwierig eingeschätzt. Sie beklagen, daß sich die Medienberichterstattung an geschlechterstereotypen Wertungen orientiere. Die Medien werden in der Tendenz als „feindliches“ Gegenüber wahrgenommen.

Ostdeutsche Politikerinnen fühlen sich unter besonders hohem Erwartungsdruck. Sie haben nicht nur den Beweis für die Politikfähigkeit von Frauen zu erbringen, sondern auch den für die Politik-und Demokratiefähigkeit der ostdeutschen Bevölkerung.

Der sozialisationsbedingt stärker auf die Intim-kommunikation im privaten Raum ausgerichtete, personenbezogenere weibliche Kommunikationsstil erleichtert es Frauen nicht gerade, im Rahmen ihrer politischen Arbeit innere Distanz gegenüber ihrer professionellen Rolle zu wahren. Er erschwert es nicht nur, öffentlichen Anfeindungen und Verletzungen standzuhalten, sondern auch, unabhängig von persönlichen und politischen Sympathien Bündnisse zu schließen. Der personen-und persönlichkeitsorientierte Kommunikationsstil ist Quelle auch von Konflikten in der Zusammenarbeit unter Frauen: „Es fällt Männern viel leichter, Kritik ausznsprechen und hinterher wieder auf eine normale Ebene zurückzukommen. Bei Frauen kommt es schnell zu abgrundtiefen Verletzungen, und dann folgt die Rache und Intrigen usw. Männer können Kritik auch leichter abwehren, finden sie ungerecht und kontern. Das ist leichter mit Männern. Aber wenn eine verletzt ist und höflich den Raum verläßt und dann heimlich hinterher von irgendwoher zurück-schlägt, das sind Kämpfe, die man nicht gut austragen kann. “

Gegenüber den Belastungen, Unwägbarkeiten und Ambivalenzen des politischen Alltags entwickeln Politikerinnen unter anderem folgende Strategien: -Realistische Erfolgswahrnehmung und Einschätzung: Vor allem die ostdeutschen Politikerinnen unserer Untersuchung betonen, wie überlebenswichtig die realistische Einschätzung der eigenen Handlungsspielräume ist, um sich vor überzogenen Erwartungen und demotivierender Enttäuschung zu bewahren. -Rückkehr in den bürgerlichen Beruf: Diese Möglichkeit wird vielfach erwähnt und übernimmt eine wichtige, entlastende Funktion. Da jedoch kaum eine der Interviewpartnerinnen entsprechende Vorbereitungen auf ein Leben nach der Politik trifft, handelt es sich hierbei in erster Linie um eine mentale Strategie, die „innere Freiheit“ zu bewahren. -„Weibliches“ Politikverständnis: Ein „weibliches“ Politikverständnis, das eine ganze Reihe von Politikerinnen zu haben glaubt, hat zwar entlastende Wirkungen, da es kränkungsfreie Erklärungen für nicht erreichte politische Durchsetzungsstandards bietet, aber es hat durchaus widersprüchliche Folgen und ist nicht immer eine befriedigende Verarbeitungsform für das Unbehagen, das Frauen im politischen Alltag empfinden. Der Bezug auf „Weiblichkeit“ markiert in dem männerdominierten politischen Apparat eine Außenseiterposition, aus der heraus schwer eine machtvolle Position erreicht werden kann. Und solange Frauen auf den höheren politischen Ebenen eine Minderheit darstellen, gewinnen Politikerinnen als Einzelne nur selten Definitionsmacht über die Normen und Werte, die im politischen Alltag gelten.

Unter anderem deshalb fordern die Interviewpartnerinnen mehr und bessere Möglichkeiten des Austausches und der gegenseitigen Unterstützung von Frauen in der Politik. Trotz Belastungen und Anpassungsdruck wollen sich die Interviewpartnerinnen den Anspruch auf Veränderungen von Formen und Inhalten der Politik nicht nehmen lassen.

Parteiübergreifende Kooperation zwischen Politikerinnen wird von der Mehrzahl der Interviewpartnerinnen begrüßt. Sehr viele von ihnen haben gute Erfahrungen damit gemacht. Allerdings besteht angesichts der Parteiendominanz im bundesrepublikanischen politischen System auch Skepsis gegenüber der Tragfähigkeit und Reichweite derartiger Bündnisse. Parteiräson rangiert nach übereinstimmender Einschätzung der Interviewpartnerinnen noch immer vor „Frauensolidarität“. Gerade deswegen ist Bündnisfähigkeit unter Frauen noch immer eine hohe Kunst, die aber unter anderem nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners gelernt werden kann.

Als Vorteile parteiübergreifender Kooperation unter Frauen sehen die Interviewpartnerinnen -die Erhöhung der Durchsetzungschancen für frauenpolitische Themen und Forderungen sowie -positive Impulse für die politische Kultur.

Große Bedeutung messen sie daher informellen Netzwerken von Frauen aus der Politik und aus anderen gesellschaftlichen Funktionsbereichen bei, die helfen, den Informationsaustausch zu verbessern und ein besseres Klima für Frauen in Führungspositionen zu schaffen. Erfolgreiche Kooperationen unter Frauen und die Entstehung einer gemeinsamen Machtbasis ist jedoch nur möglich, wenn Frauen auf die Loyalität anderer Frauen bauen können und an der Tragfähigkeit und Durchsetzungskraft ihrer Zusammenschlüsse nicht zweifeln müssen. Wie die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen, liegen hier entscheidende Probleme. Über die Hälfte der Interviewpartnerinnen berichtet über Störfaktoren in der Zusammen-arbeit von Frauen. Dazu gehören nach ihrer Erfahrung die -mangelnde Unterstützung von Führungsfrauen durch ihre „Basis“, überzogene Erwartungen und zum Teil destruktive, distanzlose Umgangsformen;

-Tabuisierung von Konkurrenz und Rivalität sowie -Personalisierung von Konflikten und mangelnde Konfliktfähigkeit.

Die zu beobachtende Tendenz in der frauenspezifischen Bildungsarbeit, sich vor allem an den lebens-weltlichen Bezügen und an den Alltagserfahrungen von Frauen auszurichten und damit möglicherweise die Beziehungs-und Personenorientiertheit von Frauen zu reproduzieren, wirkt dann kontraproduktiv, wenn es darum geht, Frauen realistisch auf die Anforderungen der Politik vorzubereiten.

Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchung ist daher, daß die Mehrzahl der befragten Politikerinnen die Kooperation mit anderen Frauen wünscht und sucht, obwohl sich die Befragten der besonderen Schwierigkeiten bei der Kooperation unter Frauen bewußt sind.

VI. Resümee und Perspektive

Schaubild 3: Wunsch nach speziellen Schulungsangeboten für Frauen nach parlamentarischer Ebene (in Prozent) Quelle: Eigene Untersuchung.

Unsere Untersuchungsergebnisse weisen nachdrücklich auf den Bedarf an persönlichkeitsstärkenden Bildungsangeboten und an handlungsorientiertem Training zur Stärkung der Durchsetzungskompetenz von Frauen in der Politik hin. Sozialisationsbedingte weibliche Verhaltensschwächen wie die vorschnelle Bereitschaft zurückzustecken, die Verdrängung von Konkurrenzmechanismen, die Vermeidung offener Konflikte sowie die damit einhergehenden Schwierigkeiten, die eigenen Ziele und die eigene Person öffentlichkeitswirksam zu inszenieren, müssen gezielt abgebaut werden. Frauenspezifische Trainingsprogramme könnten das Experimentier-und Erfahrungsdefizit von Frauen im Umgang mit institutionellen Machtressourcen kompensieren.

Die große Mehrheit der deutschen Parlamentarierinnen -zwei Drittel der befragten Politikerinnen aller politischen Ebenen -bekundet ein großes Interesse an Trainingsangeboten, die ausschließlich für Frauen bestimmt sind und die parteiübergreifend angeboten werden.

Dies zeigt den Bedarf nach Orten der Begegnung und Verständigung zwischen politisch aktiven Frauen, nach Zentren der Macht und der Stärkung für Frauen, die, wie die in Berlin im Aufbau befindliche Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft, u. a. darum bemüht sind, im männlich dominierten Berufsfeld Politik den Erfahrungsaustausch unter Frauen zu fördern und gemeinsame Handlungsstrategien zu entwickeln. Überparteiliche Trainingsangebote für Frauen können deren Kooperationsbereitschaft und Bündnis-fähigkeit unter anderem dadurch stärken, daß sie zur Entwicklung einer offenen Streitkultur und einer Kultur produktiver Rivalität unter Frauen beitragen.

Weil Frauen -kulturgeschichtlich gesehen -in der Politik nicht nur „Newcomerinnen“ sind, sondern in den konventionellen Organisationen auch eine Minderheit darstellen, ist eine verstärkte Kooperation von politisch tätigen Frauen eine notwendige Voraussetzung, wenn es darum geht, in der männerdominierten modernen Verhandlungsdemokratie die Interessen von Frauen in allen Politikfelder einzubringen und umzusetzen.

Tatsächlich tut sich die Politik im Rahmen ihrer kurzfristigen Beobachtungshorizonte von Wahl-perioden und ihrer fragmentierten Arbeitsstrukturder Einzelressortpolitik mit der Behandlung grundlegender gesellschaftsstruktureller Probleme, wie sie mit der Erosion des traditionellen Geschlechterverhältnisses angesprochen sind, schwer. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird weiterhin als Problem minderer Bedeutung und vor allem als ein Problem nur von Frauen aufgefaßt und in den Zuständigkeitsbereich der Frauen-und Familienpolitik abgedrängt.

Der Marginalisierung der gesellschaftspolitischen Anliegen von Frauen kann nach den Ergebnissen unserer Untersuchung mittels fachlicher Schulungsangebote für Politikerinnen entgegengewirkt werden. Diese sind ein wichtiges Instrument, um die fragmentierte Arbeitsstruktur in der Politik zu kompensieren und Raum zu lassen für eine grundsätzlichere Erörterung von gesellschaftspolitischen Fragen.

Die Perspektive der Chancen-und Geschlechter-gleichheit bei der Entwicklung politischer Maßnahmen zu verfolgen und im Interesse eines gleichstellungspolitischen Mainstreaming’ „sämtliche politischen Konzepte und Maßnahmen zur Verwirklichung der Gleichberechtigung“ umfassend einzuspannen verlangt ein hohes Maß an Fachwissen. Das hohe Interesse der von uns befragten Politikerinnen an fachlichen Schulungsangeboten zeigt nachdrücklich, daß sich der Bedarf an fachlicher Information und wissenschaftlicher Beratung in der Politik beständig ausweitet. Fachliche Schulungsangebote können hier wesentlich zu einer Verbesserung der Transferleistungen von Wissenschaft in Richtung Politik beitragen, um das Wissen über die Interessen, Bedürfnisse, Meinungen und Lebensrealitäten von Männern und Frauen zu vermehren und Politiken bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Geschlechter zu bewerten.

Zu einer geschlechtergerechten Umgestaltung der Gesellschaft beizutragen verlangt aber nicht nur die fachlich versierte gleichstellungspolitische Interessenformulierung. Interessendurchsetzung heißt auch, zu einer entsprechenden Bewußtseinsbildung und Mobilisierung der Wählerschaft beizutragen. Entsprechend wird eine konsequente, an die Strukturbedingungen der Medien angepaßte politische Öffentlichkeitsarbeit eine wesentliche Erfolgsbedingung für ein gleichstellungspolitisches Mainstreaming sein. Angesichts der zurückgehenden Aufmerksamkeit gegenüber der Politik nehmen die Ansprüche und Probleme einer öffentlichkeitswirksamen Politikvermittlung für die politischen Handlungsträger und -trägerinnen insgesamt zu. So gewinnen auch im Bereich der Gleichstellungspolitik über die traditionelle Pressearbeit hinaus die bewußte Inszenierung -Newsmanagement -und ein gezieltes „Campaigning“ zur gleichstellungspolitischen Bewußtseinsbildung und zur Mobilisierung der weiblichen Wählerschaft an Bedeutung

Gerade weil Frauen sich im Umgang mit den Medien außerordentlich schwer tun, muß ein spezielles Medientraining die Bereitschaft und die Fähigkeit von Frauen erhöhen, die Medien in ihrem Interesse zu nutzen und sich strategischer Varianten politischer Kommunikation zu bedienen

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Alterszusammensetzung der von uns befragen Politkerinnen ergab folgendes Bild: Nur 4 Prozent der erfaßten Politikerinnen ist unter 31 Jahre alt, die 41-bis 60jährigen machen zusammen 70 Prozent aus; Politikerinnen aus den neuen Bundesländern sind um zirka 10 Jahre jünger als ihre Kolleginnen aus den alten Ländern; die jüngste Politikerin, die sich an unserer Untersuchung beteiligt hat, war 20 Jahre alt -die älteste 76.

  2. Wenn nicht anders angegeben sind die Zitate unseren Interviews mit den Politikerinnen entnommen.

  3. Niklas Luhmann/Karl Eberhard Schorr, Reflexionsprobleme im Erziehungssystem, Frankfurt am Main 1988, S. 57.

  4. Statt eine allumfassende schwesterliche Frauensolidarität zu unterstellen, ist es für eine wirksame Kooperation unter Frauen unerläßlich, von der. Unterschiedlichkeit der Positionen auszugehen und sich auf die Punkte zu konzentrieren, in denen es gemeinsame Interessen gibt und für die ein Aktionsbündnis möglich ist.

  5. Vgl. Europäische Kommission (KOM [96]) 67.

  6. Vgl. hierzu den Report des Europäischen Seminars: „Strategies for a gender balance in political decision-making“, und hier vor allem des Workshops: The Use of Awareness-Raising Campaigns, European Commission, Genraldirektion V, Dublin 1995, S. 208-235.

  7. Vgl. Barbara Pfetsch, Strategische Kommunikation als Antwort auf die Probleme der Politikvermittlung, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1996) 5, S. 280-287.

Weitere Inhalte

Ulla Weber, geb. 1964; Diplom-Medienberaterin; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Berlin. Barbara Schaeffer-Hegel, Dr. phil., Professorin am Institut für Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Berlin; Gastprofessuren in Wien, San Diego, Graz und Innsbruck; Mitbegründerin der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft -Berlin e. V.: verheiratet, 4 Kinder. Veröffentlichungen u. a.: Vater Staat und seine Frauen, Pfaffenweiler 1990; Frauen mit Macht, Pfaffenweiler 1995; Säulen des Patriarchats. Zur Kritik patriarchaler Konzepte von Wissenschaft, Weiblichkeit, Sexualität und Macht, Pfaffenweiler 1996; Herausgeberin der Reihe „Feministische Theorie und Politik“. Marion Esch, geb. 1964; Diplom-Medienberaterin; Dozentin im Bereich der Erwachsenenbildung.