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Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in der Europäischen Union | APuZ 52/1997 | bpb.de

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APuZ 52/1997 Zwischen Macht und Ohnmacht: Politische Repräsentation von Frauen in den Staaten der Europäischen Union Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in der Europäischen Union Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Frauen im Sozialstaat. Ein Ländervergleich zwischen Frankreich, Schweden und Deutschand

Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in der Europäischen Union

Friederike Maier

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten der Länder der Europäischen Union ist die seit vielen Jahren steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen. Die Mehrheit der in den vergangenen Jahren neu geschaffenen Arbeitsplätze wurde von Frauen besetzt, die Beschäftigungsquote der Frauen, aber auch die Arbeitslosenquot. e der Frauen, stiegen kontinuierlich an. Dieser Trend war auch in den Jahren mit starken Wirtschaftskrisen, auch in der letzten Rezession Anfang bis Mitte der neunziger Jahre, ungebrochen. Die stärkere Integration der Frauen der EU-Mitgliedsländer in die Erwerbsarbeit bedeutet jedoch nicht, daß Frauen heute auf den Arbeitsmärkten den Männern gleichgestellt wären -im Gegenteil: Ein Großteil der Beschäftigungsgewinne der Frauen beruht darauf, daß sie diskriminiert sind und zu anderen Bedingungen beschäftigt werden als Männer. Der doppelte Strukturwandel, den wir auf den Arbeitsmärkten beobachten können -einerseits ein sektoraler Wandel hin zu Dienstleistungsarbeit, andererseits ein Wandel in den Arbeitsverhältnissen und -bedingungen weg vom Normalarbeitsverhältnis des unbefristeten Vollzeitbeschäftigten hin zu flexiblen und deregulierten Arbeitsverhältnissen -, hat die steigende Frauenerwerbstätigkeit begünstigt. Die veränderte Erwerbsorientierung der Frauen selbst, ihre gestiegene Qualifikation, aber auch ihre frühere Außenseiterposition auf den Arbeitsmärkten und die strukturellen Veränderungen in der Nachfrage nach Arbeitskräften haben sich ergänzt -mit dem Ergebnis, daß wir heute in allen EU-Ländern mehr Frauen in bezahlter Erwerbsarbeit haben, ohne daß sich größere Gleichheit zwischen den Geschlechtern eingestellt hätte.

I. Einleitung

Graphik: Altersspezifische Erwerbsquoten in den EU-Mitgliedsländern, 1987 und 1995 Quelle: EUROSTAT (europäisches Statistikamt), Erhebung über Arbeitskräfte, 1987 und 1995.

Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten der Länder der Europäischen Union ist die seit vielen Jahren steigende Erwerbs-beteiligung der Frauen. Die Mehrheit der in den vergangenen Jahren neu geschaffenen Arbeitsplätze wurde von Frauen besetzt, die Beschäftigungsquote der Frauen -aber auch deren Arbeitslosenquote -stieg kontinuierlich an. Dieser Trend war auch in den Jahren mit starken Wirtschaftskrisen, auch in der letzten Rezession Anfang bis Mitte der neunziger Jahre, ungebrochen. Die stärkere Integration der Frauen in die Erwerbs-arbeit der EU-Mitgliedsländer bedeutet jedoch nicht, daß Frauen heute auf den Arbeitsmärkten den Männern gleichgestellt wären -im Gegenteil: Ein Großteil der Beschäftigungsgewinne der Frauen beruht darauf, daß sie diskriminiert und zu anderen Bedingungen beschäftigt werden als Männer. Der doppelte Strukturwandel, den wir auf den Arbeitsmärkten beobachten können -einerseits ein sektoraler Wandel hin zu Dienstleistungsarbeit, andererseits ein Wandel in den Arbeitsverhältnissen und -bedingungen weg vom Normalarbeitsverhältnis des unbefristet Vollzeitbeschäftigten hin zu flexiblen und deregulierten Arbeitsverhältnissen -, hat die steigende Frauenerwerbstätigkeit begünstigt. Die veränderte Erwerbsorientierung der Frauen selbst, ihre gestiegene Qualifikation wie auch ihre frühere Außenseiterposition auf den Arbeitsmärkten und die strukturellen Veränderungen in der Nachfrage nach Arbeitskräften haben sich ergänzt -mit dem Ergebnis, daß wir heute in allen EU-Ländern mehr Frauen in bezahlter Erwerbsarbeit haben, ohne daß sich zum Beispiel die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede reduziert hätten

In den folgenden Abschnitten wird ein Überblick gegeben über die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in den EU-Mitgliedsländern. Dabei soll dargestellt werden, welche generellen Trends sich in allen Ländern herausgebildet haben, aber auch welche zum Teil gravierenden Unterschiede zwischen den Ländern bestehen. Mit dieser doppelten Perspektive, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, soll auf die Dimension der politischen Gestaltbarkeit der Verhältnisse, auch der Geschlechterverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, hingewiesen werden, denn politische Prozesse strukturieren auch die jeweils konkreten Bedingungen der Frauenarbeit. Gestützt wird die Analyse im wesentlichen durch Daten des europäischen Statistikamtes „Eurostat“, da diese weitgehend standardisiert sind, und sie baut auf den Arbeiten des Netzwerkes „Frauen und Arbeitsmarkt“ auf -des Expertinnennetzwerkes des Büros für Chancen-gleichheit der Europäischen Kommission. In die Analyse einbezogen werden, soweit Daten vorliegen, alle 15 Mitgliedsländer, in einigen Fällen liegen jedoch für die „neuen“ Mitglieder Schweden, Finnland und Österreich noch keine harmonisierten Daten vor.

II. Steigende Erwerbsbeteiligung bei großen nationalen Unterschieden

Abbildung 10

Als gemeinsamer Trend kann für alle europäischen Länder für die letzten zwanzig Jahre eine ständig steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen und eine leicht rückläufige Erwerbsbeteiligung der Männer festgehalten werden. Dieser allgemeine Trend ist über alle konjunkturellen und strukturellen Krisen hinweg stabil und hat in allen Ländern zu einem Anstieg des Frauenanteils unter den Beschäftigten beigetragen. Waren in den heutigen 15 EU-Mitgliedsländern 1975 34, 6 Prozent aller Beschäftigten Frauen, so stieg ihr Anteil inzwischen auf 41, 5 Prozent (1995) In einzelnen Ländern ist diese Entwicklung -die auch als Femini-sierung des Beschäftigungssystems bezeichnet wird -sehr deutlich ausgeprägt: In den Niederlanden stieg der Frauenanteil zwischen 1975 und 1995 von 27, 6 auf 40, 1 Prozent, in Belgien von 31 auf 40 Prozent, in Großbritannien von 37, 7 auf 44, 6 Prozent. Dagegen nahm der Frauenanteil in Spanien „nur“ von 25, 5 auf 34, 5 Prozent zu, stieg in Griechenland von 30, 1 auf 35, 9 Prozent und blieb auch in Italien mit 35, 5 Prozent unter dem EU-Durchschnitt. Andere Mitgliedsländer, insbesondere Dänemark, Schweden und Finnland, hatten schon Mitte der siebziger Jahre einen höheren Frauenanteil unter den Beschäftigten. Dieser betrug 41 Prozent in Dänemark, 43, 4 Prozent in Schweden und 46, 7 Prozent in Finnland; in diesen Ländern war die Entwicklung in den folgenden Jahren weniger stürmisch als in den anderen Mitgliedsländern. Die Beschäftigt Prozent in Schweden und 46, 7 Prozent in Finnland; in diesen Ländern war die Entwicklung in den folgenden Jahren weniger stürmisch als in den anderen Mitgliedsländern. Die Beschäftigtenzahlen der Frauen sind hier genauso wie in den neuen Bundesländern entgegen dem Trend aller anderen Länder während der letzten Krise zurückgegangen. Dennoch stellen Frauen in den skandinavischen Ländern immer noch knapp 48 Prozent aller Arbeitskräfte. In der heutigen Bundesrepublik Deutschland sind diese unterschiedlichen Entwicklungen, die wir auf EU-Ebene sehen, in West-und Ostdeutschland repräsentiert: Während die westdeutsche Entwicklung dem Durchschnitt der EU weitgehend entspricht, haben die Bürgerinnen und Bürger der DDR nach 1989 einen dramatischen Einbruch der Beschäftigung erlebt, der mit einem Verlust von ca. drei Millionen Arbeitsplätzen verbunden war, der zum Teil zu Lasten der Frauenbeschäftigung ging. Doch trotz des Rückgangs der Frauenbeschäftigung in Ostdeutschland seit 1989 war 1995 der Beschäftigtenanteil der Frauen in Ostdeutschland immer noch höher als in Westdeutschland 3.

Die Feminisierung des Beschäftigungssystems konzentriert sich auf spezifische Altersgruppen: In allen EU-Ländern ging die Erwerbsbeteiligung junger Frauen und Männer zugunsten einer Ausweitung der Bildungsbeteiligung zurück, die Erwerbsbeteiligung Älterer, und dabei insbesondere älterer Männer, nahm als Ergebnis einer Politik der Frühverrentung, die in fast allen Ländern verfolgt wurde, deutlich ab. Die Zunahme der Frauenbeschäftigung stützt sich also im wesentlichen auf die Altersgruppen zwischen 25 und 49 Jahren. Genauere Analysen zeigen, daß es in allen Ländern vor allem Frauen mit Kindern sind, bei denen die Erwerbsbeteiligung stark gestiegen ist, und daß es Frauen mit mittleren und höheren

Qualifikationen sind, die überdurchschnittlich hohe Beschäftigungsanteile aufzuweisen 4.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten zeigt ein genauerer Blick auf die altersspezifischen Erwerbsquoten von Männern und Frauen immer noch erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern. Die Graphik (s. Seite 16/17) gibt dazu die Erwerbsquoten (das heißt den Anteil der Erwerbstätigen und Arbeitslosen an der Wohnbevölkerung des jeweiligen Alters) für Männer im Jahr 1995 und für Frauen für die beiden Jahre 1987 und 1995 an.

Ein Blick auf die altersspezifischen Erwerbsquoten der Männer zeigt wenig nationale Abweichungen vom dominierenden Muster einer umgedrehten U-Kurve. Ein solches Muster zeigt an, daß ein großer Teil der männlichen Wohnbevölkerung in den Arbeitsmarkt integriert ist und daß diese Integration nicht systematisch in bestimmten Altersgruppen sinkt oder steigt. Allerdings: der Erwerbs-verlauf der Männer variiert im internationalen Vergleich am Beginn oder Ende des Erwerbslebens. So sind in Belgien und Frankreich deutlich weniger Männer über 60 Jahren noch in den Arbeitsmarkt integriert als in Dänemark oder Griechenland, gleichzeitig sind in Frankreich und Belgien auch Männer unter 24 Jahren weniger häufig erwerbstätig als ihre Altersgenossen in den anderen Ländern. In den Altersgruppen zwischen 25 und 49 Jahren zeigt sich dann jedoch fast keine nationale Varianz mehr, und die Erwerbsquoten der Männer überschreiten die 90-Prozent-Marke in allen Ländern. Im Zeitverlauf hat sich daran nur wenig geändert -wenn es Veränderungen gab, dann nur für die jüngeren und die älteren Männer.

Ganz anders stellt sich das Bild für die Frauen dar: Zunächst einmal fällt für alle Länder ein teilweise erheblicher Unterschied in der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern ins Auge. Generell liegen die altersspezifischen Erwerbsquoten auch im Jahre 1995 in allen Ländern unter denen der Männer. Dies gilt selbst für Dänemark -obwohl dort der Unterschied am geringsten ist und die dänische Frauenerwerbsquote in ihrem Verlauf am ehesten der umgedrehten U-Kurve der Männer entspricht. Jedoch nur in einer Altersgruppe, bei den 40-bis 44jährigen, haben dänische Frauen und Männer eine gleich hohe Erwerbsquote -die der Frauen liegt in allen anderen Altersgruppen immer niedriger. Die Erwerbsquote ist im Vergleich zu 1987 bei den Frauen unter 40 Jahren sogar gesunken. Eine ähnliche Entwicklung konnte auch in Schweden und Finnland beobachtet werden, so daß die Vermutung formuliert wurde, daß die Frauenerwerbsbeteiligung in den skandinavischen Ländern zukünftig vielleicht nicht weiter in Richtung vollständiger Angleichung an die Erwerbsbiographien der Männer erfolgen, sondern nun für jüngere Frauen wieder rückläufig sein könnte Die umgedrehte U-Kurve, die sich auch in Frankreich herausbildet, repräsentiert einen Erwerbsverlauf, der auf einer kontinuierlichen Integration in den Arbeitsmarkt beruht -in vielen skandinavischen Ländern kombinieren Frauen Erwerbstätigkeit und Kinder auf Basis von Teilzeitstellen und großzügigen Elternurlaubsregelungen, das heißt, sie schränken ihre Erwerbsbeteiligung ein, ohne aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden Würde man diesen Effekt berücksichtigen und die Erwerbsquoten in Vollzeitäquivalenten berechnen, so würde sich zeigen, daß auch in diesen Ländern geschlechtsspezifische Unterschiede trotz kontinuierlicher Erwerbsbeteiligung der Frauen fortbestehen

Dennoch unterscheidet sich das skandinavische Muster der Frauenerwerbsarbeit immer noch von dem anderer Länder. Wir können die anderen Länder grob in zwei Kategorien einteilen: Länder, in denen eine M-Kurve den Erwerbsverlauf charakterisiert, und Länder, in denen die Erwerbs-quote zunächst ansteigt, dann aber kontinuierlich absinkt (linksgipfelige Kurve). Für das Modell der M-Kurve mit unterbrochener Erwerbstätigkeit stehen im wesentlichen das Vereinigte Königreich und Westdeutschland (die Graphik gibt eine für West-und Ostdeutschland integrierte Kurve wieder, aus der der M-förmige Verlauf für Westdeutschland nicht mehr so deutlich wird). Dieser Verlauf signalisiert, daß ein Teil der Frauen, vor allem junge Mütter, aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet und später, als sogenannte Berufsrückkehrerinnen, nach der Erwerbsunterbrechung wieder erwerbstätig wird. Dieses Muster -manchmal auch als „Drei-Phasen-Modell“ bezeichnet -ist in den EU-Mitgliedsländern nicht sehr weit verbreitet; größere Relevanz hat bisher noch das „ZweiPhasen-Modell", das heißt, junge Frauen sind -bis zu Heirat oder Geburt des ersten Kindes -zunächst erwerbstätig und steigen dann in nicht unerheblicher Zahl ganz aus dem Erwerbssystem aus. In einigen Ländern wie Belgien, Irland, Portugal oder den Niederlanden sind die Erwerbsquoten der jungen Frauen inzwischen relativ hoch, und der Rückgang in den älteren Altersgruppen ist sehr deutlich, in Italien oder Griechenland ist dagegen auch die Erwerbsquote der jungen Frauen mit unter 60 Prozent noch relativ gering Dennoch -auch in diesen Ländern ist die Erwerbsquote der Frauen angestiegen, und das Gesamtniveau der Frauenbeschäftigung liegt deutlich höher als noch vor 10 oder 20 Jahren.

Diese aggregierten Daten machen Unterschiede zwischen den Ländern einerseits sichtbar, andererseits verwischen sie die Unterschiede in der tatsächlichen Situation der Frauen. Aus detaillierten Studien, die individuelle Erwerbsverläufe verfolgt haben, wissen wir, daß sich auch in den Ländern mit „Drei-Phasen-Modell“ der Erwerbsverlauf vieler Frauen verändert hat, auch wenn er immer noch verschiedene Phasen aufweist. Heute sind die Erwerbsunterbrechungen kürzer geworden, Frauen pendeln zwischen verschiedenen Tätigkeiten im Arbeitsmarkt, in der Hausarbeit, im Ehrenamt, in prekärer, informeller Beschäftigung hin und her, so daß die Phasen weniger klar abgegrenzt sind als früher Es zeigt sich auch, daß Frauen unterschiedliche Chancen haben, Beruf und Familie kombinieren zu können bzw. kontinuierlich erwerbstätig zu sein, das heißt, die Differenzierung zwischen den Frauen nimmt zum Beispiel in Westdeutschland und dem Vereinigten Königreich bei insgesamt steigender Erwerbsbeteiligung eher zu. Und in den südlichen Ländern verbirgt sich hinter der gestiegenen Erwerbsbeteiligung jüngerer Frauen und der relativ geringen Erwerbsquote älterer Frauen ein sehr ungleicher Zugang zu arbeitsrechtlich geschützter und regulärer Beschäftigung. Nur wenn eine stabile Beschäftigung in jungen Jahren gelingt, ist eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit realisierbar. Ein Teil der Frauen, vor allem die gut qualifizierten, hat Zugang zu solchen Arbeitsplätzen, sie bleiben erwerbstätig und kombinieren Familie und Beruf parallel, während ein anderer Teil mangels Beschäftigungschancen und angesichts hoher Arbeitslosigkeit aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet und keine Wiedereintrittschance bekommt

Die Erwerbsmuster der Frauen sind in allen EU-Mitgliedsländern Teil eines komplexeren Zusammenspiels von Familienpolitik, Sozialpolitik, Steuer-und Fiskalpolitik sowie den gesellschaftlichen Leitbildern oder Arrangements bezüglich der Rolle der Frauen in der Erwerbs-und Hausarbeitssphäre. Wie Frauen Erwerbsarbeit und Familie vereinbaren (können und wollen), ist verknüpft mit diesen gesellschaftlichen Arrangements -diese haben sich in den vergangenen Jahren verändert, aber nicht so radikal, daß wir eine Angleichung der Erwerbssituation von Männern und Frauen beobachten könnten Unverändert ist in allen Ländern die kontinuierliche Integration der Männer in das Erwerbssystem, unabhängig von Familienstand und Kinderzahl, die Integration der Frauen in das Erwerbssystem ist -in den meisten Ländern -begrenzt geblieben.

III. Anhaltende Ungleichheit im Beschäftigungssystem

Tabelle 1: Schlüsselindikatoren für die Beschäftigung in der EU: Struktur der Frauenerwerbstätigkeit 1995 (EU-15 und Mitgliedsländer) Quelle: Europäische Kommission (1996), Beschäftigung in Europa 1996, KOM (96) 485, Brüssel 1996, S. 147-162.

Steigende Erwerbsbeteiligung und anhaltende Ungleichheit der Geschlechter sind kein Widerspruch -im Gegenteil: Ein Erklärungsansatz für die steigende Beschäftigung der Frauen könnte darin liegen, daß Frauen auf dem Arbeitsmarkt anders, und meistens schlechter, behandelt werden (können) als Männer. Anhand der wichtigsten Arbeitsmarktindikatoren für das Jahr 1995 soll nun für die 15 Mitgliedsländer der EU ein Schlag-licht auf die Situation der Frauen geworfen werden. Tabelle 1 stellt einige Daten für alle 15 Länder und für Männer und Frauen zwischen 15 und 64 Jahren im Jahr 1995 dar: zunächst die Erwerbsquote, das heißt den Anteil der Erwerbstätigen und der Arbeitslosen an der Wohnbevölkerung. Von dieser Quote ist zu unterscheiden die Beschäftigungsquote (oder manchmal auch als Erwerbstätigen-quote bezeichnet), die angibt, wie viele Menschen tatsächlich in Beschäftigung waren (das heißt gegen Entgelt erwerbstätig waren). Diese zweite Quote ist -solange es Arbeitslosigkeit gibt -immer niedriger als die Erwerbsquote. Diese beiden Indikatoren liefern also zunächst einmal ein grobes Bild darüber, wie viele Männer und Frauen jeweils in den Arbeitsmarkt integriert sind. Die folgenden beiden Indikatoren, nämlich Anteil der Teilzeitbeschäftigten und der befristet Beschäftigten sollen Aufschluß darüber geben, wie viele der Beschäftigten Arbeitsverhältnisse abweichend vom Vollzeitarbeitsverhältnis mit unbefristeter Dauer haben.

Die Erwerbsquote für 1995 zeigt die, auch schon aus der Graphik ersichtlichen, großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen einerseits und zwischen den Frauen der verschiedenen Länder andererseits. Für die 15-bis 64jährigen unterscheiden sich die Erwerbsquoten der Männer und Frauen am wenigsten in Schweden (80, 8 Prozent für die Männer und 78 Prozent für die Frauen, das heißt ein Unterschied von knapp 3 Prozentpunkten) und am deutlichsten in Griechenland mit einem Unterschied von fast 35 Prozentpunkten. Insgesamt liegt die Erwerbsquote von Männer und Frauen innerhalb der EU bei 67, 7 Prozent und damit unter den entsprechenden Werten der USA oder Japans (jeweils 77 Prozent, wobei dieser hohe Wert in den USA auf hohen Erwerbsquoten von Männern und Frauen beruht, während in Japan die Erwerbsbeteiligung der Frauen deutlich niedriger ist als in den 15 EU-Ländern). Relativ niedrige Frauen-Erwerbsquoten haben Italien, Griechenland und Spanien mit weniger als 46 Prozent (das heißt, mehr als die Hälfte der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren ist nicht erwerbstätig und auch nicht arbeitslos, sondern befindet sich entweder in Ausbildung, in Rente oder in sonstiger „Nichterwerbstätigkeit“). Die höchsten Quoten finden wir in den skandinavischen Ländern Schweden, Dänemark und Finnland, wobei zu erwähnen ist, daß in allen drei Ländern die Erwerbsquoten für beide Geschlechter seit Anfang der neunziger Jahre zurückgegangen sind. Die Bundesrepublik nimmt, trotz hoher Erwerbsquoten in Ostdeutschland, nur einen mittleren Platz im europäischen Vergleich ein.

Die Beschäftigungsquote aller EU-Länder lag 1995 bei insgesamt 60 Prozent, knapp 71 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen in den EU-Ländern waren erwerbstätig, das heißt, sie hatten eine bezahlte Tätigkeit. Dies entsprach in absoluten Werten 148 Millionen Menschen. Zwanzig Jahre früher, 1975, hatten die gleichen 15 Länder (allerdings ohne Ostdeutschland) eine Beschäftigungsquote von 64, 2 Prozent (in absoluten Zahlen 132 Millionen Beschäftigte), dabei waren 85, 7 Prozent der Männer und 43, 6 Prozent der Frauen beschäftig. Das heißt, in den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Beschäftigungsquote insgesamt verringert, wobei die der Männer um 15 Prozentpunkte abgenommen hat, die der Frauen dagegen um 6 Prozentpunkte gestiegen ist. Die durchschnittliche Beschäftigungsquote in der EU mit knapp über 60 Prozent liegt deutlich unter den Werten in den USA und Japan, und sie lag selbst im Hochkonjunkturjahr 1991 mit 62, 7 Prozent deutlich unter den US-amerikanischen und japanischen Werten mit über 70 Prozent

Angesichts dieser Zahlen und der gegenläufigen Entwicklung für Männer und Frauen drängt sich die Frage auf, ob Frauen als Arbeitskräfte Männer verdrängt haben, das heißt, ob die steigende Frauenerwerbsbeteiligung auf Kosten eines hohen Beschäftigungstandes der Männer realisiert wurde. Diese Vermutung ist falsch, denn ein Blick auf die länder-und geschlechtsspezifischen Unterschiede zeigt, daß Länder’mit hoher Frauenbeschäftigung auch eine hohe Männerbeschäftigung haben und Länder mit niedriger Beschäftigungsquote der Frauen auch relativ niedrige Quoten für Männer aufweisen. In den geschlechtsspezifischen Beschäftigungsquoten spiegelt sich also nicht eine Substitution von Männern durch Frauen, sondern die jeweils unterschiedliche Beschäftigungssituation im jeweiligen Land wider. Die Beschäftigungsquote der Männer liegt in allen Ländern über der der Frauen, weist aber länderspezifisch große Unterschiede auf. 1995 lag sie zwischen knapp 83 Prozent (in Dänemark) und unter 62 Prozent (in Spanien). Die länderspezifischen Unterschiede sind für die Frauen noch gravierender: Den niedrigsten Wert hat auch hier Spanien, wo nur knapp 32 Prozent aller Frauen zwischen 15 und 64 Jahren entlohnte Beschäftigung haben, während der höchste Anteil beschäftigter Frauen in Schweden mit 71, 6 Prozent lag. Allerdings haben Länder mit ähnlich hoher Beschäftigungsquote doch auch geschlechtsspezifisch unterschiedliche Werte: Vergleichen wir Frankreich und Finnland, dann sind die Arbeitsplätze in Finnland „gleicher“ auf Männer und Frauen verteilt als in Frankreich. Beim Vergleich Portugals mit den Niederlanden schneidet Portugal besser ab, was die geschlechtsspezifischen Unterschied in der Beschäftigungsquote angeht. Das bedeutet: Nicht nur die Schaffung von Beschäftigung generell ist eine wirtschaftspolitische Herausforderung für die meisten EU-Mitgliedsländer, sondern auch die Verteilung auf Männer und Frauen ist weiterhin problematisch. Die Zunahme der Beschäftigung in den vergangenen Jahren hat sich zwar überall als Zunahme der Frauenbeschäftigung niedergeschlagen, jedoch ist eine quantitative Gleichverteilung der Beschäftigung in der Mehrheit der Länder längst nicht erreicht.

Geht man noch einen Schritt weiter und betrachtet die Beschäftigtenquote nicht per Beschäftigten-zahl, sondern stellt in Rechnung, daß Beschäftigte ja mit unterschiedlichen Arbeitszeiten erwerbstätig sind, dann wird deutlicher, daß sich hinter einer Frauenbeschäftigungsquote von zum Beispiel 53, 3 Prozent in den Niederlanden nur wenige Vollzeitbeschäftigte verbergen. Mehr als zwei Drittel aller beschäftigten Frauen sind in den Niederlanden nur in Teilzeit beschäftigt. Der Anteil der Frauen an den bezahlten Arbeitsstunden dürfte deswegen in den Niederlanden weit niedriger liegen, als in der Beschäftigungsquote und den Beschäftigungsanteilen zum Ausdruck kommt. Bleiben wir beim Vergleich Niederlande-Portugal: Stellt man die niedrige Teilzeitquote portugiesischer Frauen in Rechnung, dann ist zu vermuten, daß die geschlechtsspezifische Verteilung des Erwerbsarbeitsvolumens in Portugal deutlich „gleicher“ ist als in den Niederlanden Generell haben Beschäftigungsverhältnisse mit geringerer als der regulären Arbeitszeit in allen EU-Ländern zugenommen: 1985 waren noch 12 Prozent der Beschäftigten in Teilzeitarbeit, 1995 schon 16 Prozent. Teilzeitarbeit ist -Ausnahmen sind die Niederlande, Dänemark Prozent. Teilzeitarbeit ist -Ausnahmen sind die Niederlande, Dänemark und Schweden, in denen Teilzeitarbeit für Männer wichtiger geworden ist -nach wie vor eine Angelegenheit fast ausschließlich der Frauen. Die Teilzeitquoten der Männer liegen in der Regel unter 10, in vielen Ländern sogar unter 5 Prozent. In allen Ländern spielt Teilzeitbeschäftigung bei Männern ausschließlich in den jüngsten und den ältesten Altersgruppen eine Rolle: Teilzeitjobs sind verbreitet bei Schülern und Studierenden, bei Berufsanfängern und als zusätzliche „Altersversorgung“, in der Altersgruppe 24 bis 49 Jahre findet man auch in den Niederlanden nur sehr wenige männliche Teilzeitbeschäftigte 15.

Für die Frauenerwerbstätigkeit ist die Bedeutung von Teilzeitbeschäftigung sehr unterschiedlich: In den südlichen Mitgliedsländern und Finnland ist diese Beschäftigungsform wenig verbreitet, während in den Niederlanden, aber auch in Schweden und dem Vereinigten Königreich überdurchschnittlich viele Frauen Teilzeit beschäftigt sind. Obwohl man allgemein einen Zusammenhang zwischen hoher Teilzeitquote und hoher Frauenbeschäftigungsquote vermutet, trifft dies nicht für alle Länder zu. Österreich oder Finnland haben zum Beispiel eine höhere Beschäftigungsquote der Frauen und eine niedrigere Teilzeitquote als die Niederlande oder die Bundesrepublik Deutschland. Und auch in Dänemark liegt die Teilzeitquote nicht so hoch wie in Schweden -die Beschäftigungsquote ist allerdings fast genauso hoch.

Diese Daten weisen erneut darauf hin, daß die Zusammenhänge zwischen Frauenerwerbstätigkeit und Teilzeitbeschäftigung nicht eindimensional sind, sondern viele Facetten haben: In den Niederlanden, Großbritannien und in der BRD ist Teilzeitarbeit für viele Frauen mit Kindern oft die einzige Möglichkeit, Erwerbstätigkeit und Familie zeitlich parallel zu vereinbaren. Der qualitative und quantitative Mangel an außerhäuslicher (Klein-) Kinderbetreuung läßt vielen Frauen keine andere Wahl. In Schweden basiert die hohe Teilzeitquote dagegen auf einem anderen Arrangement: Vollzeitbeschäftigte Eltern haben die Möglichkeit, vorübergehend Teilzeit zu arbeiten, ihre Teilzeitstellen werden dabei dann von jüngeren Beschäftigten mit (befristeten) Teilzeitverträgen besetzt. In den südlichen Ländern stehen Mütter in der Regel nicht vor der Wahl, Vollzeit oder Teil-zeit zu arbeiten -ihre „Wahl“ besteht eher zwischen kontinuierlicher Vollzeit oder dem Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit.

In fast allen Ländern konnte in den vergangenen Jahren ein Anstieg der Teilzeitbeschäftigung registriert werden -und in vielen Ländern haben Regierungen und Arbeitgeber Teilzeitbeschäftigung als ein Mittel zur Arbeitsplatzschaffung unterstützt und propagiert. In den meisten europäischen Ländern geht die Expansion der Teilzeitarbeit weniger auf die Wünsche und Bedürfnisse der Beschäftigten zurück als vielmehr auf die veränderte Personalpolitik der 'Unternehmen. Die Zahl derjenigen, die unfreiwillig Teilzeit beschäftigt sind, steigt in allen Ländern an 16. Die Einstellung von Teilzeitkräften ist in den meisten Fällen ein Mittel zur Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse, zur besseren Auslastung des Produktionskapitals und zur Anpassung der Beschäftigungszeiten an die zeitlichen Nachfrage-schwankungen. Teilzeitarbeit wird oft nur in bestimmten Branchen angeboten (vor allem im Handel, in Hotels, Gaststätten; personenbezogene Dienstleistungen), und die Arbeit wird in der Regel als gering qualifiziert eingestuft und dementsprechend niedrig entlohnt.

Trotz dieser negativen Begleiterscheinungen heben Frauenforscherinnen auch die positiven Seiten von Teilzeitarbeit hervor: Erst dadurch können in einigen Ländern Frauen Erwerbsarbeit und Familie vereinbaren, entstehen Möglichkeiten der kontinuierlichen Integration in Beschäftigung. Gefordert werden deswegen mehr Teilzeitangebote in qualifizierten Jobs, mehr Wahlmöglichkeiten der Beschäftigten und eine bessere Integration der Teilzeitbeschäftigung in die rechtlichen und sozialpolitischen Regelungen. Die Kehrseite der Medaille sind die Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung mit vollzeitbeschäftigten Männern und teilzeitbeschäftigten Frauen, die Fortsetzung einer Sozial-und Familienpolitik, die die Verantwortung für die Kinder-betreuung bei den Frauen beläßt, eine Integration der Frauen in die Erwerbssphäre, ohne daß damit existenzsichernde Einkommen erreicht werden können. Das bedeutet, daß Teilzeitbeschäftigte immer auch noch andere Einkommensquellen benötigen, entweder einen verdienenden Partner, andere Haushalts-oder Familienangehörige mit Einkommen, staatliche Unterstützungsleistungen (wie Rente, Sozialhilfe) oder sie sind gezwungen, mehrere Teilzeitjobs gleichzeitig anzunehmen. Statt des weiteren Ausbaus von Teilzeitarbeit wird eine Arbeitszeitpolitik gefordert, die eine Gleichverteilung der Arbeitszeit zwischen den Geschlechtern anstrebt. Die „richtige“ frauenpolitische Strategie in der Arbeitszeitpolitik bleibt auf europäischer Ebene sicherlich weiterhin umstritten

Ein weiteres Mittel der Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen ist die befristete Beschäftigung. Diese Beschäftigungsform hat in allen europäischen Ländern zugenommen und machte 1995 11, 5 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse mit abhängig Beschäftigten aus. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind nicht ganz so gravierend wie bei Teilzeitarbeit, sind aber dennoch auffällig: Sowohl im Durchschnitt aller Länder als auch in jedem einzelnen Mitgliedsland sind relativ mehr Frauen befristet beschäftigt als Männer. Gravierender als die geschlechtsspezifischen Unterschiede sind jedoch die Länderunterschiede. Dabei fällt vor allem die Situation in Spanien ins Auge, wo über 33 Prozent aller Männer und 38 Prozent aller Frauen mit befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Am anderen Ende der Skala befinden sich Österreich und Belgien, in diesen beiden Ländern ist die Befristung von Beschäftigung noch nicht sehr verbreitet, weniger als 6 Prozent der Arbeitsverträge sind befristet. Die Bundesrepublik befindet sich hier -ähnlich wie bei der Teilzeitbeschäftigung -im Mittelfeld der europäischen Länder.

Die Lockerung des Kündigungsschutzes und die Zulassung befristeter Arbeitsverhältnisse ist in allen Ländern als eine Strategie zur Lockerung der Verkrustungen der europäischen Arbeitsmärkte verfolgt worden -ob die Möglichkeit der befristeten Beschäftigung tatsächlich zu einer Zunahme der Arbeitsplätze beigetragen hat oder ob sie nur einfach die Verhältnisse zu Lasten der Sicherheit der Beschäftigten verschlechtert hat, ist umstritten. Für Frauen sind vor allem zwei Aspekte befristeter Beschäftigungen negativ: In vielen Ländern fallen Teilzeitbeschäftigung und Befristung zusammen, das heißt, viele Teilzeitarbeitsverhältnisse werden nur befristet abgeschlossen. Außerdem hebeln die Befristungsregeln oftmals die Schutzrechte der Mütter aus: Läuft der Arbeitsvertrag während der Mutterschutzfrist oder des Erziehungsurlaubs aus, dann ist das Arbeitsverhältnis beendet. Genauere Analysen zeigen auch hier, daß befristete Beschäftigung zunächst noch auf die Arbeitsplätze begrenzt ist, auf denen jüngere Menschen, insbesondere Berufsanfängerinnen, beschäftigt sind. Genau wie bei der Teilzeitarbeit ist der Kern männlicher Erwerbstätigkeit, in den Altersgruppen von 25 bis 49 Jahren, noch nicht von dieser Deregulierung und Flexibilisierung betroffen. Aber die Analysen zeigen, daß solche Beschäftigungsformen auch in den Gruppen im „Haupterwerbsalter“ zunehmen: „Wie bei der Teilzeitarbeit vollzieht sich die Zunahme der befristeten Beschäftigung aber vornehmlich im Haupterwerbsalter.“

IV. Frauenarbeitslosigkeit überproportional hoch

Tabelle 2: Schlüsselindikatoren für die Beschäftigung in der EU: Struktur der Frauenarbeitslosigkeit 1995 (EU-15 und Mitgliedsländer) Quelle: Europäische Kommission (1996), Beschäftigung in Europa 1996, KOM (96) 485, Brüssel 1996, S. 147-162.

1995 wurden in den 15 Mitgliedsländern der EU 17, 8 Millionen Arbeitslose ermittelt, 8, 8 Millionen Frauen und 9 Millionen Männer. Mit einem Anteil von über 49 Prozent sind Frauen unter den Arbeitslosen stärker vertreten als unter den Beschäftigten. Dies spiegelt sich auch in den Arbeitslosenquoten für 1995 wider. Die hohe Arbeitslosigkeit, die in manchen Ländern wie Finnland oder Schweden erst Anfang der neunziger Jahre auftrat, ist in den meisten EU-Ländern ein relativ dauerhaftes Phänomen, und auch die konjunkturellen Aufschwünge, die verbunden waren mit zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissen, führten immer nur zu bescheidenen Rückgängen bei der Arbeitslosigkeit.

In allen 15 EU-Ländern (vgl. Tabelle 2) reicht die Zahl der Arbeitsplätze nicht aus -allerdings liegen die Arbeitslosenquoten der Länder weit auseinander: 1995 hatte Österreich die niedrigste Quote mit 3, 8 Prozent, Spanien mit 22, 9 Prozent die höchste. Und obwohl die Erwerbsbeteiligung der Frauen längst nicht so hoch ist wie die der Männer, sind in allen Ländern, mit Ausnahme Finnlands, Schwedens und Großbritanniens, die Arbeitslosenquoten der Frauen zum Teil erheblich höher als die der Männer. In Spanien oder Italien zum Beispiel liegen die Quoten der Frauen fast doppelt so hoch wie die der Männer. Die Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland verbergen die großen Differenzen zwischen Ost-und Westdeutschland: Vor allem in Ostdeutschland ist die Arbeitslosigkeit der Frauen überproportional hoch. Erschreckend auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit: Die Jugendarbeitslosenquote liegt in allen Ländern über der allgemeinen Arbeitslosenquote, und junge Frauen haben in allen Ländern erheblich größere Probleme als junge Männer. In Spanien sind von allen jungen Frauen zwischen 15 und 24 Jahren, die wir in der Erwerbsquote erfaßt haben, fast die Hälfte arbeitslos. Das heißt, würden wir in die Erwerbsquoten die Arbeitslosenzahlen gesondert eintragen, so würde deutlich werden, daß ein erheblicher Teil der weiblichen jüngeren Erwerbsbevölkerung in Spanien arbeitslos ist.

Auch die Langzeitarbeitslosigkeit, hier gemessen als der Anteil derjenigen an den Arbeitslosen, die länger als ein Jahr ohne Unterbrechung arbeitslos waren, ist in vielen Ländern gestiegen und in einigen Ländern erschreckend hoch. Hier sind Frauen nicht in allen Ländern überproportional vertreten, in Dänemark, Irland, Luxemburg, den Niederlanden, Finnland, Schweden und Großbritannien gab es unter den arbeitslosen Männern mehr Langzeit-arbeitslose als unter den arbeitslosen Frauen. Dies läßt sich vermutlich durch zwei Effekte erklären: Einerseits beobachten wir in diesen Ländern einen rapiden Strukturwandel des Arbeitsmarktes, weg von Industriearbeit hin zu Dienstleistungsarbeit, und erhebliche Entlassungen von Industriearbeitern, insbesondere von geringer qualifizierten. Dies waren vor allem Männer, deren Wiederbeschäftigungschancen relativ gering waren. Andererseits ist zu vermuten, daß bei lang andauernder Arbeitslosigkeit die Entmutigung bei Frauen höher ist als bei Männern.

Obwohl die Daten der europäischen Arbeitskräfteerhebung nicht auf registrierten Arbeitslosen-meldungen beruhen und somit auch diejenigen erfassen, die nicht beim Arbeitsamt gemeldet sind, aber dennoch Arbeit suchen und Arbeit annehmen möchten, dürfte dennoch die Dunkelziffer derjenigen hoch sein, die zwar Arbeit suchen, sich selbst aber nicht als arbeitslos einstufen. Diese Zahl -oftmals als „Stille Reserve“ bezeichnet -ist für Frauen höher als für Männer und ist in den Ländern höher, in denen komplizierte oder restriktive Registrierungsverfahren bei den Arbeitsämtern praktiziert werden. Würde man diese Frauen hinzuzählen, so wäre das Arbeitsplatzdefizit deutlich höher als aus den Tabellen ersichtlich. 1995 ging die Arbeitslosenquote in einigen europäischen Ländern leicht zurück -die konjunkturelle Krise ist in einigen Ländern überwunden. Allerdings -wie schon in der Anfangsphase des letzten wirtschaftlichen Aufschwungs Mitte der achtziger Jahre wirkte sich das Beschäftigungswachstum kaum auf die Arbeitslosigkeit bei den Frauen aus. „Obwohl die Beschäftigung bei den Frauen stärker zunahm als bei den Männern, lag die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bei den Frauen in der Europäischen Union bei der letzten Erhebung nur um 0, 4 Prozentpunkte unter dem in den ersten Monaten des Jahres 1994 erreichten Höchststand. Demgegenüber lag die männliche Arbeitslosenquote über 0, 7 Prozentpunkte unter dem damals verzeichneten Spitzenwert. Dies gilt für die meisten Mitgliedstaaten.“

Dies unterstreicht die Vermutung, daß die Erwerbsneigung der Frauen, das heißt der Wunsch oder der Zwang, erwerbstätig zu sein, deutlich höher ist als die ausgewiesene Arbeitslosigkeit: Wenn sich Beschäftigungschancen bieten, dann werden auch Frauen erwerbstätig, die nicht als Arbeitslose gemeldet sind oder sich als solche definieren. Gleichzeitig machen die Entwicklungen in einigen Ländern -unter anderem auch in Ostdeutschland -deutlich, daß massive Beschäftigungsprobleme von Männern auch auf Kosten der Frauen gelöst werden, indem Arbeitsplätze, die früher vor allem mit Frauen besetzt waren, nun auch für Männer attraktiv werden. Ein Beispiel stellen Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor dar, wie zum Beispiel im Bereich Büro-und Verwaltungsberufe oder Gesundheitsdienste, in denen die Beschäftigungsanteile der Männer teilweise erheblich zugenommen haben

V. Ausblick

Wie dieser knappe Überblick gezeigt hat, haben sich die Arbeitsmarktverhältnisse in den meisten europäischen Ländern keineswegs zugunsten von mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern entwickelt. Trotz zunehmender Beschäftigungsanteile der Frauen sind die offene und versteckte Arbeits-losigkeit hoch und die Beschäftigungsverhältnisse der Frauen oftmals nicht mit einem existenzsichernden Einkommen verbunden. Das bedeutet, daß die Frauen zur Existenzsicherung auf weitere Einkommen angewiesen sind. Bei diesen allgemeinen Trends darf aber nicht unterschlagen werden, daß die soziale und ökonomische Lage der Frauen gleichzeitig zwischen den Ländern erheblich variiert. Hier ist bisher kaum ein Trend zur Annäherung zu erkennen, allenfalls eine Fortsetzung der jeweiligen länderspezifischen Muster auf einem insgesamt höheren Niveau von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Durch die ökonomische Integration Europas hat sich diese Entwicklung -steigende Erwerbsbeteiligung bei starker Dominanz länderspezifischer Muster -kaum modifiziert, und die positiven Beschäftigungseffekte des europäischen Binnenmarktes sind geringer ausgefallen als vorher prognostiziert Die weiteren Integrationsschritte (einheitliche Währung) werden die ökonomischen und sozialen Probleme nicht kleiner werden lassen, eher ist mit einer Verschärfung der Widersprüche zu rechnen. Während mit dem Ziel der Einhaltung der Maastricht-Kriterien in den meisten Ländern eine radikale Umsteuerung der Wirtschaftspolitik erfolgt, ist eine konsequente Beschäftigungspolitik zur Schaffung eines hohen Beschäftigungsstandes für Frauen und Männer weitgehend unterblieben. Obwohl sich die Regierungen in den „Essener Prioritäten“ verpflichtet hatten, solche beschäftigungspolitischen Strategien zu entwickeln, die einer Verbesserung der Lage der Frauen dienen sollten, hat kaum eine Regierung diese Ankündigungen in Maßnahmen umgesetzt

Im Fazit soll deswegen auf verschiedene Widersprüche hingewiesen werden: Die ökonomische Integration Europas hat die Erwerbsbeteiligung der Frauen nicht negativ beeinflußt, aber die stärkere Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen bedeutet nicht notwendigerweise eine Verbesserung ihrer ökonomischen und sozialen Situation. Denn einerseits wurden solche Prozesse des Strukturwandels beschleunigt, die zur Zunahme der Frauenbeschäftigung beitragen, andererseits bieten die „gewandelten“ Arbeitsplätze schlechtere Arbeits-und Entlohnungsbedingungen. Und letztendlich sind die durch die europäische Integration ausgelösten Wachstumsimpulse geringer ausgefallen als erwartet und werden konterkariert durch die aktuelle Wirtschafts-und Finanzpolitik der meisten europäischen Länder.

In den kommenden Jahren werden die Integrationsprozesse an Tempo gewinnen. Dabei wird es Gewinner und Gewinnerinnen und Verlierer und Verliererinnen geben. Die bisherige Entwicklung deutet darauf hin, daß Frauen vermutlich als gesellschaftliche Gruppe insgesamt zu den Verliererinnen gehören könnten; zugleich werden sich weitere Differenzierungen zwischen den Frauen verschiedener gesellschaftlicher Schichten, Qualifikationsniveaus und Regionen ergeben. Die Formulierung gemeinsamer frauenpolitischer Forderungen im Bereich Wirtschafts-und Sozialpolitik, Regionalpolitik, Strukturpolitik, Familien-und Steuerpolitik wird vermutlich eher schwieriger als einfacher, wenn die Widersprüche zwischen den Frauen deutlicher sichtbar werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine knappe Darstellung der Lohnunterschiede findet sich in: Europäische Kommission, Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Europäischen Union 1996 Jahresbericht, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg 1997, S. 40 f.

  2. Alle Angaben sind dem jährlich erscheinenden Beschäftigungsbericht der Europäischen Kommission entnommen: Europäische Kommission, Beschäftigung in Europa 1996, KOM (96) 485, Brüssel 1996, S. 147-162.

  3. Vgl. Jill Rubery/Mark Smith/Colette Fagan, Trends and prospects for women’s employment in the 1990s, European Commission, General Direction V, Equal Opportunities for Women and Men, Report V/2002/96 — EN, Brüssel 1996.

  4. Vgl. J. Rubery/M. Smith/C. Fagan, ebd., S. 67. In der DDR waren die Erwerbsquoten von Frauen und Männern dagegen weitgehend identisch, so daß die Erwerbskurven für beide Geschlechter einem umgekehrten U entsprachen. Vgl. dazu Stefan Lüken/Hans-Jürgen Heidenreich, Erwerbsquote und Erwerbsverhalten. Ergebnisse des Mikrozensus, in: Wirtschaft und Statistik, (1991) 12, S. 787-800.

  5. In den europäischen Statistiken werden Mütter (oder Väter) im Mutterschafts-und/oder Erziehungsurlaub als erwerbstätig gezählt, da ihr Beschäftigungsverhältnis ja weiterhin besteht. Eine Übersicht über diese Regelungen findet sich in: Europäische Kommission (Anm. 1), S. 64. Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch den Beitrag von Mechthild Veil in diesem Heft.

  6. Vgl. Christina Jonung/Inga Persson, Women and market work; the misleading tale of participation rates in international comparisons, in: Work, Employment and Society, 7 (1993) 2, S. 259-274.

  7. Vor allem in diesen beiden Ländern spielt die statistisch nicht erfaßte Erwerbsarbeit in der Landwirtschaft, im informellen Sektor oder in Familien und Nachbarschaften eine große Rolle, so daß die offiziellen Erwerbsquoten die tatsächliche Integration der Frauen in die ökonomischen Prozesse nicht erfassen. Vgl. Dina Vaiou, Women’s work and everyday life in Southern Europe in the context of European Integration, in: Maria Dolores Garcia-Ramon/Janice Monk (Hrsg.), Women of the European Union -The politics of work and daily life. London 1996, S. 61-73.

  8. Ob und in welcher Weise das „Drei-Phasen-Modell“ für Frauen in Westdeutschland noch relevant ist, ist Gegenstand einer kontroversen Diskussion. Vgl. Ellen Kirner/Erika Schulz, Das „Drei-Phasen-Modell“ der Erwerbsbeteiligung von Frauen. Begründung, Norm und empirische Relevanz, in: Notburga Ott/Gerd Wagner (Hrsg.), Familie und Erwerbstätigkeit im Umbruch, Berlin 1992, S. 17 ff., und Karin Prinz, Lebens-und Erwerbsverläufe von Frauen zwischen Kindererziehung, Beruf und eigener Existenzsicherung, in: Mechthild Veil/Karin Prinz/Ute Gerhard (Hrsg.), Am modernen Frauenleben vorbei. Verliererinnen und Gewinnerinnen der Rentenreform 1992, Berlin 1992, S. 165 -251.

  9. Vgl. J. Rubery/M. Smith/C. Fagan (Anm. 4), S. 68.

  10. Für eine ausführliche Diskussion über die Faktoren, die die Erwerbsbeteiligung beeinflussen, vgl. Birgit Pfau-Effinger, Analyse internationaler Differenzen in der Erwerbs-beteiligung von Frauen -Theoretischer Rahmen und empirische Ergebnisse, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 48 (1996) 3, S. 462-492.

  11. Die Zahl der Arbeitslosen wird nicht nach der Registrierung beim Arbeitsamt ermittelt, sondern in der Arbeitskräftebefragung erhoben. Sie ist damit indirekt durch unterschiedliche Registrierungspraktiken beeinflußt, da die amtliche Registrierungspraxis natürlich die Selbsteinschätzung der Befragten mit prägt.

  12. Alle Angaben sind entnommen: Europäische Kommission (Anm. 2), S. 30 ff.

  13. Leider liegen mir keine harmonisierten Daten über die Verteilung des Erwerbsarbeitsvolumens auf die Beschäftigten nach Geschlecht vor -es wäre jedoch eine lohnende Aufgabe, diesem Aspekt genauer nachzugehen, da die Pro-Kopf-Daten, mit denen Erwerbsquote und Beschäftigungsquote zur Zeit berechnet werden, ein verzerrtes Bild vermitteln. Die Verteilung des Arbeitsvolumens auf bezahlte und unbezahlte Arbeit und auf Männer und Frauen stellt aber m. E. einen wichtigen Indikator zur Messung der Gleichheit der Geschlechter dar.

  14. Vgl. ebd., S. 202.

  15. Zu den verschiedenen Positionen zur Teilzeitarbeit vgl. Colette Fagan/Janneke Plantenga/Jill Rubery, Does parttime work promote sex equality? A comparative analysis of the Netherlands and the UK, discussion paper des Wissenschaftszentrurns Berlin, FS 1, 95-203, WZB, Berlin 1995; Abigail Gregory/Jacqueline O'Reilly, Checking out and Cashing up -The prospects and paradoxes of regulating part-time work in Europe, in: Rosemary Crompton/Duncan Gallie/Kate Purcell (Hrsg.), Changing forms of employment, Routledge-London 1996, S. 207-234; Daniele Meulders/Olivier Plasman/Robert Plasman, Atypical employment in the EC, Dartmouth -Aldershot 1994.

  16. Europäische Kommission (Anm. 2), S. 56.

  17. Ebd„ S. 36.

  18. Vgl. J. Rubery/M. Smith/C. Fagan (Anm. 4), S. 138.

  19. Vgl, Angela Fiedler/Friederike Maier, Europäische Integration -eine Chance für Frauen, in WSI-Mitteilungen, (1997) 9, S. 623 f. In diesem Aufsatz haben wir knapp die Ergebnisse einer detaillierten Studie zu den Effekten des europäischen Binnenmarktes dargestellt: Angela Fiedler/Friederike Maier/Andrea Martschink/Zora Rapp, The impact of the Single European Market on the development of women’s employment, European Commission, Equal Oppurtunities Unit, Brüssel 1996, document V/1734/86 -EN.

  20. Vgl. Europäische Kommission (Anm. 1), S. 46.

Weitere Inhalte

Friederike Maier, Dr. rer. pol., geb. 1954; Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin; seit 1992 deutsche Expertin im Netzwerk Frauen und Arbeitsmarkt der Europäischen Kommission. Veröffentlichungen u. a.: Frauenbeschäftigung und Geschlechterverhältnisse -ein europäischer Vergleich, in: Ulla Knapp (Hrsg.), Beschäftigungspolitik für Frauen in der Region, Opladen 1996; (zus. mit Angela Fiedler, Andrea Martschink und Zora Rapp) The Impact of the Single European Market on the Developments of Women’s Employment, European Commission, Directorate General V, Employment, Industrial Relations and Social Affairs, Equal Opportunities Unit, Brüssel 1996; Geschlechterverhältnisse und Arbeitsmarkttheorien, in: Diskussionskreis „Frau und Wissenschaft“ (Hrsg.), Ökonomie weiterdenken! Beiträge von Frauen zu einer Erweiterung von Gegenstand und Methode, Frankfurt am Main-New York 1997.