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Nichtregierungsorganisationen und ihre Legitimität | APuZ 43/1997 | bpb.de

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APuZ 43/1997 Legitimität und Kompatibilität in der entwicklungspolitischen Praxis Demokratischer und besser?. Der Beitrag von Nichtregierungsorganisationen zur Demokratisierung internationaler Politik und zur Lösung globaler Probleme Nichtregierungsorganisationen und ihre Legitimität Internationale Demokratisierungshilfe Von den besten Nichtregierungsorganisationen im Süden lernen

Nichtregierungsorganisationen und ihre Legitimität

Marianne Beisheim

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Legitimität des Einflusses und der Aktionen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), wie z. B. Greenpeace, ist umstritten. Erstens steht die fehlende Legitimation der NGOs durch den Souverän -das Volk -im Mittelpunkt der Kritik. Zweitens werden im Falle einiger NGOs mangelnde interne Mitbestimmungsmöglichkeiten kritisiert. Und drittens halten einige Kritiker die von NGOs durchgeführten Aktionen zivilen Ungehorsams für illegitim. Der Beitrag geht der Frage nach, ob im Umweltbereich tätige NGOs tatsächlich ein aktuelles Legitimitätsdefizit aufweisen und welche Argumente für die Legitimität von NGOs in der Diskussion sind. Besonderer Legitimation bedarf in einer pluralistischen Demokratie nur ein Akteur, der kollektiv bindende Entscheidungen trifft und autoritativ Herrschaft ausübt. Solange sich eine NGO als eine von vielen Interessengruppen im Rahmen des Gesetzes bewegt, muß sie ihre Existenz oder ihre Aktionen nicht gesamtgesellschaftlich legitimieren. Darüber hinaus gibt es gute Argumente für die Legitimität von NGOs in der nationalen wie internationalen Politik. So erbringen Umwelt-NGOs bei der Vorbereitung der Politikfindung und während der Politikumsetzung Leistungen, die sowohl die Legitimität der NGOs selbst als auch die Legitimität nationaler wie internationaler Politik stärken können.

Im Umfeld der Greenpeace-Kampagne um die Versenkung der „Brent Spar“ -Bohrinsel wurde in Presse und Öffentlichkeit diskutiert, inwiefern die Aktionen und der Einfluß von Nichtregierungsorganisationen (NROs bzw. englisch NGOs) Legitimitätsprobleme aufwerfen Aufgrund der nach wie vor großen Bedeutung von NGOs gerade im Umweltbereich ist diese Diskussion immer noch aktuell. Daher soll hier der Frage nachgegangen werden, ob im Umweltbereich tätige NGOs tatsächlich ein aktuelles Legitimitätsdefizit aufweisen und welche Argumente zur Stärkung ihrer Legitimität in die Diskussion geführt werden könnten.

I. Legitimität von NGOs: Was sind die diskutierten Fragen?

Die in der Öffentlichkeit und in den Medien geäußerte Kritik an der Legitimität von NGOs ist vielfältig. Die wichtigsten drei Kritikpunkte sollen zunächst kurz resümiert und dann diskutiert werden: Erstens steht das vermeintliche Defizit gesamtgesellschaftlicher Legitimation der NGOs im demokratischen Staatswesen im Mittelpunkt der Kritik, also das Fehlen einer Ermächtigung und Kontrolle der NGOs durch den Souverän -das Volk. Besorgt wird gefragt Sind durch die Aktivitäten von NGOs rechtsstaatlich geregelte demokratische Entscheidungsprozesse in Gefahr? Zwingen NGOs demokratisch gewählten Regierungen ihren politischen Willen auf? Bewirkt der Einfluß der NGOs daher eine Erosion der staatlichen Ordnung? Welches gesellschaftliche Mandat besitzen NGO-Aktivisten eigentlich? In diesem Zusammenhang wird zweitens das innere Legitimationsdefizit einiger NGOs kritisiert, also die mangelnden internen Mitbestimmungsmöglichkeiten für deren Mitglieder. Und drittens verstärken die von NGOs wie etwa Greenpeace durchgeführten Aktionen zivilen Ungehorsams diese kritischen Fragen: „Nicht nur Konservative warnen vor zuviel Einfluß einer Organisation, die zwar sehr populär, aber niemanden als sich selbst verpflichtet ist -abgesehen von den Gesetzen, die zu brechen sie im Einzelfall aber für legitim hält.“ Und so heißt es dann etwa, auch die globale Ökokrise gebe „Greenpeace nicht das Recht zum Rechtsbruch“

1. Ist der Einfluß von NGOs illegitim?

Der Begriff „Legitimität“ bezieht sich eigentlich auf die Staatsgewalt, denn legitimieren muß sich und seine Aktivitäten in offenen, pluralistischen Gesellschaften nur ein Akteur, der kollektiv bindende Entscheidungen trifft und autoritativ Herrschaft ausübt. Die Frage nach Legitimität ist in diesem Sinne also vor allem die Frage nach den Bedingungen, unter denen kollektiv bindende Entscheidungen legitim sind. Die Legitimität einer politischen Ordnung -allgemein definiert als deren „soziale Geltung als rechtens“ -stützt sich nach mehrheitlichem Verständnis zugleich auf Grundnormen (also gesellschaftlich geteilte Werte), auf konstitutive Verfahren (wie Wahlen) und auch auf die empirische Anerkennung der Bürger (den sog. „Legitimitätsglauben“, als das auf Erfahrung gegründete Vertrauen, daß diese Verfahren zur Verwirklichung der als unverbrüchlich geltenden Normen geeignet sind und entsprechend angewandt werden) Damit eine Staatsgewalt als legitim gelten kann, ist also ein „Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Erwartungen und Anschauungen der Bürger einerseits und der Ausübung der Staatsgewalt andererseits“ notwendig. Damit sind die drei wesentlichen Elemente des westlichen Legitimitätsverständnisses benannt: Grundnormen, Verfahren der Entscheidungsbildung und die Anerkennung durch die Bürger. Diese gelten als einander ergänzende komplementäre Quellen politischer Legitimität. Inwiefern müssen nun also auch NGOs diesen Kriterien genügen?

Während für die einen das Legitimationsproblem ganz zentrale Bedeutung hat, ist es für andere gelöst: Für sie sind Umweltverbände „entsprechend ihren Zielen, Aktivitäten oder auch Mitgliederzahlen ausreichend legitimiert, Umweltinteressen zu vertreten“ Vor dem Hintergrund des oben Gesagten verfehlt diese Aussage jedoch das eigentliche Problem und trifft gleichzeitig den zentralen Punkt: Ganz allgemein ist festzustellen, daß NGOs, solange sie sich als eine von vielen Interessengruppen im Rahmen des Gesetzes bewegen, ihre Existenz oder ihre Aktionen nicht gesamtgesellschaftlich legitimieren müssen, da sie keine kollektiv bindenden Entscheidungen treffen dürfen und können, sondern lediglich ihre Interessen gegenüber der legitimen Staatsgewalt oder anderen Organisationen vertreten.

Betrachten wir zunächst den rein nationalstaatlichen Fall, d. h. national organisierte NGOs und ihre Aktionen gegenüber ihrer nationalen Regierung. Rechtlich und politisch verbindliche Gemeinwohlentscheidungen sind generell den gewählten und damit legitimierten Repräsentativ-organen Vorbehalten. Die politische Betätigung von NGOs im Sinne der Interessenvertretung, also der Interessenartikulation, -aggregation und -repräsentation gegenüber den verfassungsgemäß berufenen Trägern der politischen Willensbildung im Vorfeld der verbindlichen Gemeinwohlentscheidung, ist mit dem Prinzip der Volksstaatlichkeit voll vereinbar und muß nicht extra legitimiert werden Vertreter pluralistischer Demokratie-theorien halten miteinander konkurrierende gesellschaftliche Interessengruppen sogar für ein geradezu unverzichtbares Element einer funktionierenden Demokratie. Als Grenze politischen Pluralismus gilt in demokratischen Systemen die Gefahr einer Selbstaufhebung oder einer System-transformation, wobei die Bestimmung dieser Grenze gerade in Zeiten gesellschaftlichen Wandels ein Problem bleibt Aber auch dann obliegt die Lösung dieses Problems nicht den sich im Rahmen der Verfassung bewegenden Interessengruppen. Vielmehr liegt es dann bei den Verantwortlichen des politischen Systems, ihr Verhältnis zu den Interessengruppen neu zu bestimmen.

Dennoch, wenn bestimmte Interessengruppen angeblich zu großen Einfluß gewinnen, regt sich meist Kritik in der Öffentlichkeit. Bereits in den siebziger Jahren wurde anläßlich der steigenden Anzahl von Bürgerinitiativen von konservativen Kritikern eine Legitimitätskrise diagnostiziert Diese betraf allerdings nicht die Interessengruppen, sondern eben vielmehr das bundesrepublikanische System, mit dem Argument, der Staat werde zum „Beuteobjekt“ von Sonderinteressen, was im Extremfall in „Unregierbarkeit“ enden könne. Und tatsächlich stößt die Legitimität des NGO-Einflusses hier an Grenzen. Diese Grenze ist dort erreicht, wo sich das Vorfeld der unverbindlichen Entscheidungsvorbereitung vom eigentlichen Forum der verbindlichen Entscheidungsfindung nicht mehr genau unterscheiden läßt Leider ist in der Realität diese Grenze zumeist fließend, so daß strittig ist, ab wann man im Sinne der o. g. Kritiker von nicht legitimierter und daher auch nicht legitimer „Mitregierung“ sprechen muß

Zentral ist dabei die Frage, ob eine NGO als Interessengruppe gegenüber anderen Interessengruppen einfach nur ihre Position durchgesetzt oder ob sie eine kollektiv bindende Entscheidung getroffen hat. Am Beispiel des „Brent Spar“ -Falles läßt sich dieser Unterschied gut verdeutlichen: Zwar hat Greenpeace gegenüber Shell das Ziel der Nicht-Versenkung erreicht, aber die entsprechende, von der Regierung von Großbritannien beschlossene Erlaubnis (also nicht das Gebot) für die Versenkung ist immer noch gültig, und Greenpeace kann auch keine äquivalente gegenteilige Entscheidung herbeiführen. Hier von einer „Deklassierung der Staatsgewalt“ zu sprechen, weil die „Dinge“ an den gewählten und beauftragten Vertretern vorbeiliefen, läuft am realen Geschehen vorbei. Zwar hatten diese Vertreter beschlossen, daß „Brent Spar“ versenkt werden dürfe, aber nicht, daß dies auf alle Fälle so geschehen müsse. Und schon gar nicht hat Greenpeace ein Verbot der Versenkung verbindlich „entschieden“. Und in diesem Sinne ist der Name der NGOs als NON-Governmental Organizations in der Tat nicht „verniedlichend“ sondern bezeichnet ein Faktum -wie auch die Haltung der französischen Regierung in der Frage der Atomtests belegt hat. Solange ihre Arbeit reine Interessenartikulation im Rahmen geltender Gesetze bleibt und solange sie keine gesamtgesellschaftlich verbindlichen Entscheidungen treffen (können), haben NGOs kein Legitimitätsproblem.

Hier soll noch ein weiterer Fall angesprochen werden, bei dem die Legitimität des NGO-Einflusses tatsächlich problematisch werden könnte: transnational organisierte, direkte NGO-Einflußnahme auf internationale Entscheidungen. Die Umgehung nationalstaatlicher Instanzen durch NGOs ist heikel, da durch internationale Vereinbarungen die nationale Souveränität in bezug auf politische Entscheidungen ohnehin stark geschwächt wird. So müssen z. B. international vereinbarte Beschlüsse oder Protokolle teilweise nicht einmal mehr nationalstaatlich ratifiziert werden, sondern gehen direkt in nationales Recht über. Auch sind keine nachträglichen nationalen Entscheidungen im Sinne eines Mehr-oder-Weniger möglich, vielmehr steht den nationalen Entscheidungsträgern nur noch die grundsätzliche Zustimmung oder Ablehnung des international Vereinbarten offen

Die NGOs sind mit ihren hohen Einflußchancen im Vorfeld von und während internationaler Konferenzen schon heute nahe daran, so etwas wie nichtgewählte „Mitregierer von oben“ zu sein. Viel stärker würde dies noch der Fall sein, wenn sie tatsächlich so etwas wie einen internationalen Konferenzstatus erhalten sollten. Die direkte Einflußnahme von NGOs auf internationale politische Prozesse ist brisant, da an eine institutionalisierte gesellschaftliche Einflußnahme bisher nur im Rahmen des Nationalstaats gedacht ist. Nach dem bisherigen Modell sollen die nationalen Gesellschaften auf der internationalen Ebene durch ihre gewählten nationalstaatlichen Regierungen bzw.deren Vertreter repräsentiert werden. Daher sind internationale politische Entscheidungsprozesse bisher nicht so beschaffen, daß gesellschaftliche Anteilnahme durch entsprechende Institutionen vermittelt und demokratisch kontrolliert realisierbar wäre.

Darüber hinaus ist die Gewährleistung eines in etwa gleichberechtigten Zugangs von Interessengruppen international noch schwieriger zu organisieren. Dieser gleichberechtigte Zugang ist vor allem deshalb von zentraler Bedeutung, weil der freie, plurale Informationsfluß von der Basis zu den Entscheidungsträgern und umgekehrt wegen der hohen Komplexität der zu verhandelnden Konflikte und wegen des noch größeren Abstandes der Verhandelnden zum Verhandelten auf der internationalen Ebene besonders wichtig wird. Andererseits tragen NGOs angesichts der noch weitgehend fehlenden Strukturen internationalen Regierens als Gegengewalt gegenüber wirtschaftlichen Machtträgern, die relativ ungebunden weltweit operieren, zur internationalen Gewaltenteilung bei

2. Ist die undemokratische Konstitution einer NGO illegitim?

Einige NGOs sehen sich in der Öffentlichkeit öfters dem Vorwurf ausgesetzt, ein innerorganisatorisches Defizit an demokratischer Mitbestimmung aufzuweisen. Insbesondere Greenpeace wurde dies mehrfach vorgeworfen: „Kann sich eine Umweltorganisation wirklich derart undemokratische Entscheidungsstrukturen leisten, ohne ihr Selbstverständnis und ihre Tradition zu verletzen?“ Demgegenüber argumentierte Thilo Bode als Geschäftsführer von Greenpeace, daß NGOs einerseits nachgesagt würde, daß sie eine wesentliche Rolle in den Demokratien spielen müßten, da offizielle Institutionen bei der Lösung langfristiger Probleme offensichtlich versagten, ihnen andererseits aber negativ angekreidet würde, wenn sie sich so organisierten, daß sie diese Ziele auch erreichen. Um im pluralistischen Kampf der Interessen erfolgreich sein zu können, dürfe die Effektivität der Arbeit nicht durch demokratische Organisationsformen wie Mehrheitsentscheidungen oder die uneingeschränkte Zulassung von Vereinsmitgliedern gehemmt werden. Eine klare, hierarchische Entscheidungsstruktur mache Greenpeace nicht undemokratisch -ebensowenig wie das bei Presse, Fernsehen oder privaten Unternehmen der Fall sei. Gleich diesen müßten NGOs nicht wie im Falle einer Partei notwendigerweise demokratisch organisiert sein Wie auch immer man diese Frage moralisch bewertet, rein rechtlich ist der Argumentation zuzustimmen. NGOs haben keine Möglichkeit, ihre programmatischen Vorstellungen in autoritative Entscheidungen umzusetzen. Das unterscheidet sie von politischen Parteien, die ja durch Wah-len diese Möglichkeit erlangen können und sich daher über dieselben Wahlen auch legitimieren müssen. Eine NGO dagegen kann dies nicht und muß sich daher auch keiner gesonderten, demokratisch legitimierten Kontrolle unterwerfen Wenn eine private Interessenorganisation im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen bleibt, kann sie darüber hinaus so organisiert sein, wie sie will. Für die Legitimität der NGOs als Interessengruppe im politischen System macht dies keinen Unterschied, auch dann nicht, wenn sie den Anspruch hat, sich für das Allgemeinwohl zu engagieren. Andererseits ist das Problem bekannt, daß immanente Oligarchisierungstendenzen in Interessengruppen dazu führen könnten, daß zwischen dem Vorstand der Interessengruppe und ihrer Basis eine Interessendivergenz entsteht. Unter anderem auch dadurch wird die Grundannahme des Pluralismus, daß die Vielfalt der Interessengruppen insgesamt die gesamtgesellschaftlichen Interessenlagen widerspiegeln, problematisch. Nur im Sonderfall, wenn eine Organisation eine Art „Monopol“ auf die Vertretung gesellschaftlicher Interessen in einem Bereich hat, wäre eine demokratische Struktur, die eine breite Mitwirkung an den Entscheidungen ermöglicht, ein Muß Jedoch kann angesichts der Vielfalt der NGO-Landschaft von einem Monopol nicht gesprochen werden. So bestätigt auch das Vorhandensein von soge-nannten „grauen NGOs“, d. h. von der Industrie finanzierter, nur scheinbar unabhängiger „Öko“ -Verbände, die pluralistische Annahme der Konkurrenz diverser Interessen in diesem Bereich Andererseits zeigt sich gerade am Beispiel solcher NGOs, wie problematisch die Annahme wäre, daß alle NGOs immer die Interessen der Allgemeinheit vertreten und daher automatisch „irgendwie besser“ als andere Interessengruppen seien.

3. Ist der von NGOs praktizierte zivile Ungehorsam illegitim?

In der Diskussion um die Legitimität von NGOs wird von Kritikern auch auf die Fragwürdigkeit von gesetzesbrecherischen NGO-Aktionen verwiesen. Gerade Greenpeace bedient sich oft einer Strategie sogenannter „demonstrativer Regelverletzungen“ in der Tradition des zivilen Ungehorsams. Wenn unter Legitimität die Rechtmäßigkeit einer Herrschaftsordnung verstanden wird, dann kommt das dem Begriff der Legalität sehr nah:

Legalität meint ganz allgemein die Gesetzmäßigkeit eines Handelns oder eines Zustandes. Andererseits werden gerade umgangssprachlich Legalität und Legitimität als Gegensätze einander gegenübergestellt. Da prinzipiell nicht auszuschließen ist, daß eine bloß äußerliche Befolgung des Gesetzeswortlautes eventuell gegen den Sinn der Rechtsordnung oder gegen allgemeinverbindliche Prinzipien verstoßen könnte, kann diese Gegenüberstellung sinnvoll sein. Gälten die beiden Begriffe als deckungsgleich, läge also die Legitimität des Gesetzgebungsstaates ausschließlich in seiner Legalität, dann würde damit ein Widerstandsrecht zwingend beseitigt: Wenn das existierende Gesetz höchster Ausdruck des Volkswillens ist, kann es unter den genannten Bedingungen kein „höheres“ oder „legitimeres“ Recht des einzelnen geben, das kraft einer behaupteten überlegenen inhaltlichen Qualität gegenüber dem Gesetz zum Ungehorsam oder Widerstand berechtigt Gerade so verteidigen aber NGOs ihre Aktionen zivilen Ungehorsams: Durch gezielte Regelverstöße im Namen eines „höheren Rechts“ könnten am Ende Rechtsschutz und Rechtssicherheit erhöht werden. Wie die Geschichte zeige, sei z. B. das Streikrecht durch Regelverletzungen erkämpft worden Statt um den Arbeitsschutz geht es eben jetzt um Umweltschutz.

Generell können die Aktivitäten von NGOs „nicht weiter aus rechtlichen Rahmenbedingungen ausscheren, als dies ... für Fälle zivilen Ungehorsams gemeinhin anerkannt und gebilligt wird“ Die Grundrechte verletzen Aktivitäten von NGOs normalerweise ohnehin nicht -wenn sie dies täten, würden sie zu Recht verboten. Ulrich Preuß ordnet den zivilen Ungehorsam zwischen legitimer Opposition und verfassungsrechtlich nicht mehr legitimierbarer Rebellion ein: Während die Opposition ein Geschöpf der Legalität sei und an deren Legitimität teilnehme, ziele die Rebellion auf eben jene Legitimität, indem sie die Legitimität der politischen Ordnung bekämpfe und sich folgerichtig an deren Legalität -an Gesetze -nicht gebunden fühle Auch Jürgen Habermas sieht den zivilen Ungehorsam in der Schwebe zwischen Legalität und Legitimität Dies müsse so sein, denn nur dann signalisiere er, daß der demokratische Rechtsstaat mit seinen legitimierenden Verfassungsprinzipien über alle Gestalten ihrer positiv-rechtlichen Verkörperungen hinausweise.

Schutzgut der Rechtsprechung, die Aktionen zivilen Ungehorsams verurteilt, ist neben der Freiheit der Willensentschließung vor allem die Integrität des staatlichen Gewaltmonopols. Die Grenze der Legalität trennt den tolerierten von dem nicht zu tolerierenden Ungehorsam; der Normbruch ist illegal und kann „von einer Rechtsordnung, die sich nicht selbst aufgebe, nicht hingenommen werden ... Aus gutem Grund verlegen diese Lehren den neuen sozialen Bewegungen jeden Durchgriff auf höhere, jenseits des Grundgesetzes liegende Rechtfertigungen. Und ersparen sich und uns die Öko-oder biokratische Diktatur, die Schreckensherrschaft des Guten (K. Lorenz)“ Auch Gesine Schwan warnt vor einem solchen „Zurück zum Krieg aller gegen alle“, Politik ohne Legitimation führe „ins Nichts“, Widerstand bedeute die Auf-kündigung des Gesellschaftsvertrages und damit nach Hobbes die Rückkehr eben zum „Naturzustand“ Daher appelliert sie an ein „durchdachtes Verständnis von zivilem Ungehorsam, der die rechtliche Sanktion nach dem Rechtsbruch ausdrücklich akzeptiert“. Letzteres, damit klar sei, daß die Rechtlichkeit als Grundlage des Zusammenlebens nicht in Frage gestellt werde. Ziviler Ungehorsam als eine bewußte Regelverletzung muß also bestimmte Bedingungen erfüllen, damit er als noch legitim wahrgenommen werden kann Erstens sollte er ethisch-normativ begründet und auf die Vertretung allgemeiner und existentieller Interessen ausgerichtet sein. Verstärkt werden könnte diese Begründung durch die eventuelle Irreversibilität der diese Interessen berührenden und daher durch die Aktion kritisierten Entscheidungen. Die Möglichkeiten aussichtsreicher legaler Einflußnahme müssen erschöpft sein. Zweitens sollte die Aktion einen auf die Öffentlichkeit ausgerichteten symbolischen Charakter haben und daher gewaltfrei und zeitlich befristet sein, um nicht die Aktion per se, sondern die politische Symbolwirkung in den Mittelpunkt zu stellen. Und drittens sollten aus den genannten Gründen die Konsequenzen des vorsätzlich begangenen Rechtsbruchs bewußt getragen werden.

II. Legitimität von NGOs: Was sind weitere Argumente dafür?

Die bisherige Diskussion hat geklärt, daß NGOs hinsichtlich ihrer klassischen Tätigkeiten der Interessenartikulation keine legitimatorischen Defizite haben. Es gibt meines Erachtens jedoch gute Gründe, dennoch über die Frage nachzudenken, wie NGOs ihre Arbeit stärker als bisher legitimieren könnten. Spätestens wenn NGOs national oder international stärker in die verbindliche Entscheidungsfindung miteingebunden würden, stellt sich diese Frage. Welche weiteren Argumente gibt es also, die die Legitimität von NGOs stützen, welche Argumente werden z. T. schon jetzt von NGOs verwendet, und wo könnte weitergedacht werden?

1. Legitimation durch Leistung

Aufgrund der Rationalisierung der Politik und des Verlustes transzendenter Begründungen hat der moderne Staat versucht, das Problem seiner Anerkennung auch in eine Frage der Effektivität umzudefinieren, d. h., er versucht sich über seine Leistungen zu legitimieren Dieses Argument könnte man auch mit Blick auf die Umwelt-NGOs aufgreifen. Gerade im Umweltbereich kommt es durch Marktversagen zu externen Effekten wirtschaftlicher Tätigkeit, die oft nicht oder nur unzureichend durch staatliche Maßnahmen geregelt sind. NGOs erbringen hier als Interessengruppen besondere Leistungen, indem sie auf diese Probleme aufmerksam machen und auf deren Regelung drängen oder auch Druck auf die Industrie ausüben, selbst Lösungen zu erarbeiten. Sie bringen neue Themen auf die politische Agenda, sie stellen alternative Informationen für Politiker und Bürger zur Verfügung oder unterstützen lokale Projekte, um Politiken zu implementieren Gerade diese Leistungen und das spezifische Potential der NGOs an Unabhängigkeit, Flexibilität und Bürgernähe werden in der Diskussion oft als unverzichtbar dargestellt. Es sollen zunächst grob zwei Phasen unterschieden werden, bei denen Umwelt-NGOs derartige Leistun-gen erbringen können: zum einen bei der Vorbereitung der Politikfindung und zum anderen während der Politikumsetzung, also zu Anfang und gegen Ende des politischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozesses.

Leistung bei der Vorbereitung der Politikfindung Während „Legitimität“ einen Zustand oder eine Eigenschaft beschreibt, hat „Legitimation“ einen prozeßhaften Charakter. Kielmansegg versteht Legitimation als einen Prozeß, der sich ununterbrochen vollzieht, da eine Herrschaftsordnung in komplexen Systemen nicht mehr darauf vertrauen dürfe, von einer unangefochtenen Geltungsüberzeugung in der Gesellschaft getragen zu sein: „Eine Herrschaftsordnung ist nicht legitim, sie wird es ständig.“ Ein demokratischer Staat muß also „seine Legitimität quasi täglich durch konsensfähige Konfliktlösung neu produzieren“ Das Prinzip der Volkssouveränität legt dabei allerdings fest, daß der demokratische Staat „seine Legitimation aus den Anschauungen des Volkes [erfährt], er schafft sie sich nicht selbst“ Daher ist die öffentliche Meinung ein dem Staat „vorausliegendes Phänomen“, was bedeutet, daß sich die Staats-willensbildung am Volk zu orientieren hat und nicht umgekehrt. Da die Bildung der öffentlichen Meinung der legitimen Staatswillensbildung notwendigerweise vorausgeht, darf der Staat die Volkswillensbildung nicht beeinflussen, vielmehr muß sie unter Akzeptanz der Anschauungspluralität frei erfolgen: „Freiheit der Meinungsbildung vom und im Staat ist die notwendige Basis demokratischer Legitimation.“

Dem Bürger muß also im demokratischen Staat notwendig das Recht eingeräumt werden, eigene politische Präferenzen zu bilden, in den Prozeß der öffentlichen Meinung über die dazu notwendigen Medien, Versammlungen und Vereinigungen hin-einzutragen und in Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck zu bringen. NGOs spielen in diesen Prozessen der öffentlichen Meinungsbildung eine wichtige Rolle und tragen mit ihrem Vorhandensein und ihren Aktionen mehr oder weniger direkt zum Legitimationsprozeß der politischen Ordnung bei. Umgekehrt steigern NGOs ihre Legitimität über das Recht der Bürger, sich ihrer als Mittel zu bedienen, in der Öffentlichkeit und gegenüber der Regierung auf ihre Präferenzen aufmerksam zu machen.

Wie eingangs angesprochen, hat legitime Politik immer auch eine normative Dimension: Aufgabe des legitimen Staates ist es, gesellschaftlich geteilte Werte in Politik umzusetzen. Bettina Westle bestimmt verschiedene „inhaltliche Festlegungen“, auf die sich Legitimitätsglaube zu beziehen habe: Neben der Friedenssicherung oder den Freiheitsrechten nennt sie auch die „Forderung nach Garantie lebensweltlicher Unversehrtheit angesichts der als bedrohlich wahrgenommenen ökologischen Probleme des industriellen Wachstums sowie der sozialen und militärischen Sicherheitsprobleme“ Und genau auf diese normative Dimension beziehen sich NGOs, wenn sie ihre politischen Ziele begründen: Thilo Bode verwies in einem Interview darauf, daß auch Menschenrechte „nur wahrgenommen werden können, wenn das Recht auf Erhaltung der Lebensgrundlagen gewahrt bleibt“ Ulrich Beck spricht mit Blick auf die NGOs von einem Bündnis, das sich „für eine im höheren Sinne legitime Sache [einsetzt]: die Rettung der (Um-) Welt“ Das Überlebensinteresse mache den hochlegitimen Allgemeinheitsanspruch geltend, alle bedrohenden Gefahren abzuwenden. Beck kritisiert nicht etwa die Legitimationsprobleme von Greenpeace, sondern behauptet, daß Greenpeace vielmehr „das längst entstandene Legitimations-und Machtvakuum des politischen Systems zum Vorschein“ bringe Kritiker dieser Position jedoch stellen die berechtigte Frage, ob es ratsam ist, „zu einer transzendenten Legitimation von Politik zurück[zu]kehren, das heißt zu einer Politik, die sich nicht mehr durch ausgewiesene und diskutierte Verfahren rechtfertigt, eben weil sie die demokratisch legitimierten Institutionen nicht mehr durchlaufen muß? Wer entscheidet denn über die höhere Legitimation?“

Andererseits können die bestehenden Verfahren der legitimen Entscheidungsfindung Defizite aufweisen, und auch an diesen Lücken könnten NGOs ansetzen, um ihre Daseinsberechtigung argumentativ zu verteidigen. Eine solche Legitimationsstrategie könnte auf eine mutmaßliche Mehrheitsposition der Betroffenen zurückgreifen. Zwar hat eine Volksmehrheit eine bestimmte Politik durch die Wahl von -diese Politik vertretenden -Politikern oder Parteien indirekt gebilligt, aber angesichts der Komplexität heutiger Politik und Parteiprogramme darf bezweifelt werden, daß jede Einzelentscheidung -obwohl sie die im Rahmen der repräsentativen Demokratie erforderlichen Mehrheitsfindungsprozeduren der formallegalen Willensbildung durchlaufen hat -tatsächlich die empirische Mehrheitsmeinung der Bevölkerung widerspiegelt. Gegen die repräsentative Vermittlung des Volkswillens wird also mit dieser Legitimationsstrategie auf den empirischen Mehrheitskonsens verwiesen

Wolfgang Sternstein betont mit Blick auf die neuen sozialen Bewegungen: „Wenn Bürger in Existenzfragen ihre an die Repräsentanten delegierten Rechte widerrufen, um sie entweder selbst auszuüben oder sie an Bürger ihres Vertrauens zu übertragen, dann entziehen sie damit dem bestehenden politischen System -zumindest teilweise -die Legitimation. Sie fordern Mitsprache und Mitbestimmung bei politischen Entscheidungen, die sie unmittelbar betreffen. Mit anderen Worten, sie fordern, wenn nicht die Ersetzung, so doch die Ergänzung des repräsentativen Demokratiemodells durch das plebiszitäre. Sie machen den Parteien das Politikmonopol, das sie nach der Verfassung ohnehin nicht besitzen, streitig.“ Und so stellt auch Kösters fest, daß das „konservativ-altliberale Zweistufenmodell“ der Organisation von Interessen nicht mehr tauge. Statt dessen richteten jetzt gesellschaftliche Anspruchsgruppen vermehrt ihre Wünsche und Forderungen direkt an die Adresse der Unternehmen: „Umweltverbände übernehmen dabei eine wichtige Mittlerfunktion zwischen allgemeiner Öffentlichkeit und Wirtschaft. Hier ist die private Interventionsebene in Konkurrenz mit den staatlichen Umweltschutz-regelungen getreten.“

Matthias Kettner bestätigt diese Unzufriedenheit mit erfahrenen Unzulänglichkeiten bestehender Verfahren und die daraus folgende „ergänzende Betonung von demokratischer Partizipation, also Mitbestimmung durch Teilnahme“. Die Geschichte der NGOs sei eine „Geschichte der Lernprozesse von Bürgern, die erfahren, wie die Handlungsmacht staatlicher und wirtschaftlicher Akteure in vitalen Belangen hinter ihren normativen Ansprüchen und Versprechen zurückbleibt -also hinter jenen Versprechen, die die politische Idee der Demokratie in der Moderne einmal so attraktiv gemacht haben“

Die gesellschaftliche Unterstützung für Umwelt-NGOs wird in der Diskussion als der zentrale legitimierende Faktor bezeichnet. Diese kann sich z. B. ganz direkt in der Mitgliedschaft in Umweltschutzinitiativen ausdrücken: Das Bundesumweltministerium registrierte 1992 mehr als vier Millionen Menschen als Mitglieder von lokalen, regionalen und bundesweiten Umwelt-und Naturschutzverbänden. Die großen Parteien dagegen hatten zu diesem Zeitpunkt nur rund zwei Millionen Mitglieder. Und auch Umfragen zeigen hohe gesellschaftliche Unterstützung etwa für Greenpeace NGOs werden von der Gesellschaft auch mit Machtmitteln ausgestattet, so zum Beispiel mit Spenden, mit der Unterstützung von Aktionen wie Briefkampagnen, Boykottaktionen, aber auch mit Glaubwürdigkeitskredit und Definitionsmacht. Diese ständige gesellschaftliche Kontrolle durch die Öffentlichkeit hat auch eine legitimierende Wirkung. Matthias Kettner faßt die Tatsache, daß NGOs „der Wahrnehmung der politisch relevanten Öffentlichkeit ausgesetzt sind, um deren Gunst sie konkurrieren und deren kollektive Meinungsund Willensbildung sie ebenso anregen, wie sie ihr standhalten müssen“ unter dem Begriff der „kontextuellen Legitimation“

Auch bei den Prozessen der Politikfindung im Rahmen der Vereinten Nationen (VN) wird die Arbeit der NGOs hochgeschätzt. Aufgrund des über sie erfolgenden Inputs gesellschaftlicher Interessen gelten sie als ein potentieller Legitimationsfaktor für internationale Institutionen. Eine verstärkte Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungsprozessen der internationalen Organisationen scheint unbedingt wünschenswert. Die VN sind in der bisherigen Praxis weniger eine Vereinigung von Völkern als eine Gemeinschaft von Staaten und Regierungen mit z. T.fragwürdiger demokratischer Legitimität. Die Demokratisierung der VN könnte auch durch die stärkere Einbeziehung einer gesellschaftlichen Komponente vorangebracht werden. Dabei sind die Vorteile der Arbeit der NGOs gegen die Risiken abzuwägen, wie z. B. Bürgernähe, Sächkompetenz, unbürokratisches, innovatives Denken gegen even­ tuell ungenügende Repräsentanz in der Gesamtgesellschaft oder gegen die Gefahr der Instrumentalisierung von NGOs durch wirtschaftliche oder politische Lobbies. Boutros-Ghali sah die NGOs als zusätzliches Pluralitätselement in der internationalen Politik; NGOs würden sowohl gegenüber den eigenen Regierungsvertretern als auch für die Tätigkeit der internationalen Apparate als korrektives Element wirken.

Auch die Agenda 21 beurteilt das Engagement nichtstaatlicher Organisationen als förderungswürdig So wird vorgeschlagen, daß der Verband der Vereinten Nationen und die Regierungen in Konsultationen mit den NGOs einen Prozeß in Gang setzen sollten, um die förmlichen Verfahren und Mechanismen zur Einbeziehung der NGOs auf allen Ebenen von der politischen Entscheidungsfindung bis zur Umsetzung -gerade auch der Agenda 21 -zu überprüfen. Damit wird die Agenda 21 zu einem „Aktionsprogramm für eine stärkere NRO-Partizipation“ das auch ein Plus an formaler Legitimation für NGOs auf der internationalen Ebene mit sich bringen kann

Leistung bei der Politikumsetzung Gerade auch auf der internationalen Ebene kann man davon sprechen, daß NGOs einen positiven Beitrag leisten, indem sie politische Entscheidungen auf die Ebene der Bevölkerung weitertransportieren und zu deren Akzeptanz und Umsetzung beitragen. Globalisierungsprozesse, die die Grenzen nationaler Systeme immer stärker transzendieren, können zu einem Verlust an staatlicher Effektivität bei der Bearbeitung politischer Probleme führen Dies gilt gerade im Bereich des globalen Umweltschutzes, also für grenzüberschreitende Umweltprobleme: Kein Staat kann z. B. das Ozon­ loch alleine stopfen oder den Klimawandel alleine aufhalten. Bei der Verhandlung derartiger Konflikte wird vor allem das Prinzip staatlicher Souveränität zum Problem. Selbst wenn sich Staaten in langwierigen Verhandlungen -und schon hier oft nur auf Druck von NGOs -auf eine internationale Konvention geeinigt haben, werden die Vereinbarungen im nationalen Rahmen oft nicht wirksam umgesetzt. Es fehlt eine supranationale Exekutive, die mit Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet machtvoll auf nationale Implementation drängt. Daher können die Staaten auf ihre Souveränität pochen, falls ihnen Entscheidungen nicht passen. Die entsprechenden internationalen Konventionen und Vereinbarungen stellen somit sozusagen ein „Legitimationspodest“ dar, auf das sich die NGOs „stellen“ können, wenn sie gesellschaftlichen Druck in Form von Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit oder „Monitoring“ ausüben und damit einen Beitrag zur Umsetzung staatlich legalisierter Politik leisten.

Betrachtet man den Fall, daß eine Entscheidung national getroffen wird, deren Umsetzung grenzüberschreitende Auswirkungen oder aber Auswirkungen auf globale Gemeinschaftsgüter hat, können transnational organisierte Aktionen von NGOs sogar einen positiven Beitrag zur De-/Legitimierung derartiger Politiken leisten. Im Gegensatz zum binnenstaatlichen Fall sind bisher kaum institutionalisierte „Kanäle“ für derartige Betroffeneninteressen vorhanden.

Auch im nationalen Rahmen wird gesellschaftlicher Druck über NGOs offenbar eine Art Leistung gesehen, etwa wenn Marlies Flemming als österreichische Umweltministerin sagte: „Ich bedanke mich bei Greenpeace, daß wir so beschimpft werden. Nur so können wir ordentlich Druck auf unsere Regierungen machen, nur, wenn wir merken, daß engagierte Bürger hinter uns stehen.“ Oder aber wenn Monika Griefahn als damalige Greenpeace-Vorsitzende aus ihrer eigenen Erfahrung behauptet, die Behörden seien „froh über unsere Arbeit. Wir machen über die Öffentlichkeit Druck gegen die Umweltverschmutzer. Und die Behörden können so ihrerseits Druck machen, die Firmen an den Verhandlungstisch zu zwingen.“

Thilo Bode formuliert dieses Selbstverständnis wie folgt: „Unsere Berechtigung ergibt sich daraus, daß es neben den legitimierten Trägern der Macht -den Parteien, den Parlamenten, den Regierungen -Interessengruppen geben muß, damit es im offenen Meinungsstreit zu vernünftigen Entscheidungen kommt .. . Wir wollen als Pressure-group ja nie selber legitimierte Organe ersetzen, sondern wir wollen durch unser Handeln immer darauf aufmerksam machen, daß diese ihre Aufgaben nicht erfüllen.“

2. Fazit

All diesen Argumenten gemeinsam ist die Erkenntnis, daß NGOs Leistungen erbringen, die Staaten allein offenbar nicht erzielen. Eine viel-zitierte Formulierung bezüglich der Legitimität von politischen Systemen besagt: „Legitimität ist vorhanden, wenn es dem System gelingt, im Volke die Überzeugung zu schaffen und zu erhalten, daß die bestehenden Institutionen für die betreffende Gesellschaft die bestmöglichen sind.“ Wenn man mit Ulrich Beck davon ausgeht, daß die Popularität von NGOs auf eine Institutionenkrise hinweist, also genau der obige Satz nicht mehr voll gültig ist, dann könnte man in bezug auf die NGOs formulieren: Legitimität von Umwelt-NGOs ist vorhanden, solange es ihnen gelingt, die Gesellschaft zu überzeugen, daß ihr Bestehen und ihre Arbeit notwendig und die bestmögliche ist, um eine effektive Umweltpolitik zu gewährleisten. Wie oben erörtert, können die von den NGOs erbrachten Leistungen dabei sowohl ihre eigene Legitimität als auch die Legitimität nationaler oder internationaler Politik stärken. Die drei eingangs genannten „Sockel“ demokratischer Legitimität gehen dabei nicht verloren, denn wie die obige Diskussion zeigt, bezieht sich die Rechtfertigung der NGOs und ihrer erbrachten Leistungen immer auch auf die Umsetzung von Werten, auf die Ergänzung (nicht den Ersatz) bestehender legitimer Verfahren und die gesellschaftliche Anerkennung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. z. B. Konrad Adam, Kampf der Multis. Die „Brent Spar“ oder: Wie man den Staat überspielt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. 6. 1995; Matthias Geis, Die Stunde der Ruhestörer. Organisationen wie Greenpeace gewinnen Einfluß auf die Politik -eine Chance?, in: Die Zeit vom 28. 7. 1995, S. 1; Michael Hanfeid, Wer sich selbst erhöht. Greenpeace handelt wie eine politische Partei, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. 10. 1995; Ansgar Klein, Offenheit gibt Kraft. Je erfolgreicher Greenpeace wird, desto dringlicher stellt sich die Frage: Wieviel Demokratie braucht eine effektive Umweltorganisation?, in: Die TAZ vom 5. 1. 1996, S. 12.

  2. Vgl. die in Anm. 1 genannten Artikel, insbes. M. Geis, S. 1.

  3. M. Geis (Anm. 1), S. 1.

  4. Gesine Schwan, Zurück zum Krieg aller gegen alle? Die globale Ökokrise gibt Greenpeace nicht das Recht zum Rechtsbruch. Politik ohne Legitimation führt ins Nichts -eine Antwort auf Ulrich Beck, in: Die Zeit vom 22. 9. 1995, S. 12.

  5. Peter Graf Kielmansegg, Legitimität als analytische Kategorie, in: Politische Vierteljahresschrift, 12 (1971) 3, S. 367.

  6. Vgl. Hella Mandt, Legitimität, in: Dieter Nohlen/Rainer Olaf Schultze (Hrsg.), Pipers Wörterbuch zur Politik, Bd. 1: Politikwissenschaft. Theorien -Methoden -Begriffe, München -Zürich 1985, S. 503.

  7. Christoph Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, Wiesbaden 1987, S. 150.

  8. Winfried Kösters, Umwelt, Verbände, Management: Nach dem Shell-Desaster: Dialog statt Konfrontation, in: Liberal, 37 (1995) 3, S. 41.

  9. Vgl. Peter Cornelius Mayer-Tasch, Die Bürgerinitiativbewegung. Der aktive Bürger als rechts-und sozialwissenschaftliches Problem, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 99.

  10. Vgl. Bettina Westle, Politische Legitimität -Theorien, Konzepte, empirische Befunde, Baden-Baden 1989, S. 23.

  11. Vgl. Wilhelm Hennis/Peter Graf Kielmansegg/Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problematisierung, Stuttgart 1977.

  12. Vgl. P. C. Mayer-Tasch (Anm. 9), S. 100.

  13. Wie dies z. B. K. Adam (Anm. 1) bereits jetzt tut.

  14. K. Adam (Anm. 1).

  15. Ebd.

  16. Vgl. Fritz W. Scharpf, Legitimationsprobleme der Globalisierung. Regieren in Verhandlungssystemen, in: Carl Böhret/Göttrik Wewer (Hrsg.), Regieren im 21. Jahrhundert. Zwischen Globalisierung und Regionalisierung, Opladen 1993, S. 169.

  17. Vgl. G. Schwan (Anm. 4), S. 12.

  18. Christian Altmann/Marc Fritzler, Greenpeace. Ist die Welt noch zu retten?, Düsseldorf 1995, S. 156.

  19. Vgl. Thilo Bode, Igittigitt, Qualitätskontrolle. Ein ÖkoVerband muß wie ein Konzern geführt werden -meint Thilo Bode, in: Spiegel-Special „Die Macht der Mutigen. Politik von unten. Greenpeace, Amnesty & Co.“, (1995) 11, S. 122. Gegen diese Argumentation wandte sich M. Hanfeid (Anm. 1), der Greenpeace als politische Partei sieht.

  20. Wie dies z. B. M. Hanfeid fordert (Anm. 1).

  21. Zum Beispiel verpflichtet das Vereinsrecht jeden gemeinnützigen Verein auf ein Minimum demokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten für seine Mitglieder.

  22. Wie dies etwa im Fall der Gewerkschaften gilt.

  23. Vgl. Carl Deal, The Greenpeace Guide to Anti-environmental Organizations, Berkeley, Cal. 1993.

  24. Vgl. Ulrich K. Preuß, Politische Verantwortung und Bürgerloyalität: Von den Grenzen der Verfassung und des Gehorsams in der Demokratie, Frankfurt a. M. 1984, S. 217.

  25. Vgl. T. Bode, zit. nach Spiegel-Special (Anm. 19), S. 138.

  26. Matthias Kettner, Die Angst des Staates vor dem Einspruch der Bürger. Die Legitimität von „Nichtregierungsorganisationen“ und die Medien der öffentlichen Gesellschaft, in: Frankfurter Rundschau vom 17. 10. 1995.

  27. Vgl. U. K. Preuß (Anm. 24), S. 28.

  28. Vgl. Jürgen Habermas, Ziviler Ungehorsam -Testfall für den demokratischen Rechtsstaat, in: Peter Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt a. M. 1983, S. 43.

  29. Ulrich Rödel/Günther Frankenberg/Helmut Dubiel, Die demokratische Frage, Frankfurt a. M. 1989, S. 34.

  30. G. Schwan (Anm. 4), S. 12.

  31. Für eine ausführliche Diskussion der einzelnen Merkmale vgl. U. Rödel u. a. (Anm. 29); Heinz Kleger, Der neue Ungehorsam: Widerstände und politische Verpflichtung in einer lernfähigen Demokratie, Frankfurt a. M. 1993, S. 197 ff.; Thomas Laker, Ziviler Ungehorsam: Geschichte -Begriff -Rechtfertigung, Baden-Baden 1986, S. 161 ff.

  32. Gewaltfrei heißt dabei, daß die physische und psychische Integrität des Protestgegners und unbeteiligter Dritter gewahrt wird und daß die Regelverletzung nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Protestzweck steht.

  33. Vgl. Thomas Mirbach, Überholte Legitimität? Oder: auf dem Weg zu einem neuen Politik-Begriff, Darmstadt 1990, S. 41.

  34. Für eine ausführlichere Diskussion vgl. auch Marianne Beisheim, Nicht-Regierungsorganisationen in der internationalen Umweltpolitik. Mechanismen ihres Einflusses auf Interessenprofile und Interaktionsverhalten von Akteuren. Tübingen 1995 (Magisterarbeit).

  35. P. Graf Kielmansegg (Anm. 5), S. 373.

  36. Thomas Würtenberger, Legitimität, Legalität, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 738.

  37. C. Gusy (Anm. 7), S. 155.

  38. Ebd., S. 156.

  39. B. Westle (Anm. 10), S. 24.

  40. Thilo Bode, „Wir machen politische Kunst“. Wer kontrolliert die Macht des Ökomultis?, in: Die Zeit vom 1. 9. 1995, S. 7.

  41. Ulrich Beck, Der grüne Spaltpilz. Warum Kohl Greenpeace unterstützt, in: Süddeutsche Zeitung vom 8. 7. 1995, Hervorheb.der Autorin.

  42. Ders., Was Chirac mit Shell verbindet. In der Weltrisikogesellschaft wird der Konsumentenboykott zum demokratischen Machtinstrument, in: Die Zeit vom 8. 9. 1995, S. 9.

  43. G. Schwan (Anm. 4).

  44. Andere stellen die Mehrheitsregel eher in Frage, um Bürgerbewegungen zu legitimieren, vgl. z. B. die Diskussion bei Bernd Guggenberger, Krise der repräsentativen Demokratie? Die Legitimität der Bürgerinitiativen und das Prinzip der Mehrheitsentscheidung, in: ders. /Odo Kempf (Hrsg.), Bürgerinitiativen und repräsentatives System, Opladen 1984.

  45. Wolfgang Sternstein, in: Heinrich Oberreuter (Hrsg.), Wahrheit statt Mehrheit? An den Grenzen der parlamentarischen Demokratie, München 1986, S. 144.

  46. W. Kösters (Anm. 8), S. 43 f.

  47. Matthias Kettner, Die Angst des Staates vorm Einspruch der Bürger. Die Legitimität von „Nichtregierungsorganisationen“ und die Medien der öffentlichen Gesellschaft, in: Frankfurter Rundschau vom 17. 10. 1995.

  48. So antworteten auf die Frage „Würden Sie Greenpeace wählen, wenn Greenpeace eine Partei wäre?“ 28 Prozent der Befragten mit „Ja“, 33 Prozent mit „Vielleicht“ und 37 Prozent mit „Nein“, vgl. T. Bode (Anm. 19), S. 8.

  49. M. Kettner (Anm. 47).

  50. Unter Ziffer 27. 1 der Agenda 21 heißt es: „Nicht-staatliche Organisationen spielen eine entscheidende Rolle bei der Ausformung und Umsetzung einer teilhabenden Demokratie ... Die unabhängige Rolle, die den nichtstaatlichen Organisationen innerhalb der Gesellschaft zukommt, verlangt nach einer echten Mitwirkung.“ Die Frage nach der demokratischen Legitimität der NGOs wird dabei ansatzweise behandelt, indem man postuliert: „Ihre Glaubwürdigkeit ist durch die verantwortliche und konstruktive Rolle begründet, die sie in der Gesellschaft spielen.“

  51. Jens Martens, Nichtregierungsorganisationen im UN-CED-Prozeß: Testfall für mehr Partizipation im UN-System?, in: Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Nach dem Erdgipfel. Global verantwortliches Handeln für das 21. Jahrhundert, Bonn 1992, S. 153.

  52. Vgl. auch die Diskussion von Reformvorschlägen in Peter M. Schulze, Nicht-Regierungsorganisationen und die Demokratisierung der Vereinten Nationen, in: Klaus Hüfner (Hrsg.), Die Reform der Vereinten Nationen, Opladen 1994, S. 119-140.

  53. Vgl. Marianne Beisheim/Gregor Walter, „Globalisierung“ -Kinderkrankheiten eines Konzepts, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 4 (1997) 1, S. 154-180.

  54. Zit. nach Jochen Reiss, Greenpeace. Der Umweltmulti -sein Apparat, seine Aktionen, Rheda-Wiedenbrück 1988, S. 140 f.

  55. Zit. nach J. Reiss, ebd., S. 143.

  56. T. Bode (Anm. 40), S. 7.

  57. Seymour Martin Lipset, Soziologie der Demokratie, Neuwied am Rhein 1962, zit. nach T. Mirbach (Anm. 33), S. 9.

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Marianne Beisheim, M. A., geb. 1968; Studium der Politikwissenschaft, Germanistik und Empirischen Kultur-wissenschaft an der Universität Tübingen und der State University of New York in Stony Brook; wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Globalisierung“ am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InllS) an der Universität Bremen. Veröffentlichungen: (zus. mit Gregor Walter) „Globalisierung“ -Kinderkrankheiten eines Konzepts, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 4 (1997) 1; (zus. mit Sabine Dreher, Gregor Walter und Michael Zürn) Globalisierung -Rhetorik oder Realität? Zum Stand der Denationalisierung in der G 7 und in der Bundesrepublik, in: Werner Fricke (Hrsg.), Jahrbuch Arbeit und Technik, Bonn 1997.