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Globalisierung -Begriff und grundlegende Annahmen | APuZ 33-34/1997 | bpb.de

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APuZ 33-34/1997 Globalisierung -Begriff und grundlegende Annahmen Wirtschaft und Staat im Zeitalter der Globalisierung. Von nationalen Volkswirtschaften zur globalisierten Weltwirtschaft Zu den Folgen der Globalisierung für die nationalen Güter-, Finanz-und Arbeitsmärkte Globalisierung und wohlfahrtsstaatliche Aufgaben

Globalisierung -Begriff und grundlegende Annahmen

Jürgen Friedrichs

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Mit dem -nicht einheitlich definierten -Begriff der Globalisierung werden einige grundlegende Annahmen verbunden: erstens die Annahme einer Rückwirkung des Prozesses auf Nationen, trans-nationale Unternehmen, Städte, Stadtteile und Haushalte; zweitens die Annahme der Verlagerung von Stätten der Produktion und Dienstleistungen in Niedriglohnländer, zumeist in solche der Dritten Welt. Drittens werden es nur wenige Städte sein, in denen sich produktionsbezogene Dienstleistungen, Finanzwesen und die Koordination weltweiter ökonomischer Aktivitäten konzentrieren: die global cities, zum Beispiel London, New York und Tokio. Ferner weiten große Unternehmen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten durch Neugründungen von Produktionsstätten in zahlreichen Ländern aus; sie werden zu transnationalen Unternehmen. Die Bedeutung der Globalisierungsthese liegt in den Folgen dieses Prozesses. Es wird unter anderem unterstellt, die Verhandlungsmacht transnationaler Unternehmen gegenüber nationalen Regierungen und Städten werde zunehmen, wohlfahrtsstaatliche Sicherungen würden abgebaut, die Einkommensverteilung werde ungleicher und die Beschäftigungsstrukturen in den Städten würde sich polarisieren bis hin zu einer stärkeren räumlichen Trennung sozialer Gruppen nach Wohnvierteln.

L Vorbemerkungen

Tabelle 1: Wandel des globalen Wettbewerbs Quelle: John M. Stopford/Susan Strange, Rival States, Rival Firms: Competition for World Market Shares, Cambridge 1991, S. 36.

Anfang Mai 1997 eröffnete die Daimler-Benz AG ein neues Forschungszentrum in der südindischen Stadt Bangalore. Es soll von gegenwärtig zehn auf 50 Mitarbeiter im Jahre 1998 wachsen Nicht die Zahl der Mitarbeiter, sondern die Tatsache, daß ein solches Forschungszentrum in Indien -und nicht in Deutschland -eröffnet wird, ist bedeutsam. Für das Unternehmen Daimler-Benz ist das Forschungszentrum ein Brückenkopf auf dem indischen Markt, dabei haben die geringeren Lohnkosten „eine untergeordnete Rolle“ gespielt Es ist ein Beispiel für Globalisierung: Forschungskapazitäten werden nicht mehr am Hauptsitz oder im Land des Unternehmens geschaffen, vielmehr stellen sie einen (weiteren) wirtschaftlichen Impuls für die Veränderung der Beschäftigungsstruktur in einer Region der Dritten Welt dar.

Der Begriff der Globalisierung ist, wie die vorliegende Literatur zeigt, mehrdeutig. Er ist inzwischen fast zu einem Schlagwort geworden, um jegliche Art internationaler Beziehungen und Internationalisierung der Märkte zu bezeichnen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur werden hierunter unterschiedliche Sachverhalte verstanden; es gibt keine einheitliche Definition.

Die Schwierigkeit beginnt damit, daß der Terminus sowohl einen Zustand als auch einen Prozeß bezeichnen soll. Nicht genug damit, oft werden die Folgen der Globalisierung zu Bestandteilen der Definition gemacht, obgleich das ein wissenschaftlich unfruchtbares Vorgehen ist.

II. Definition und zentrale Annahmen

Abbildung: Traditionelle internationale Handels-verflechtung in „Armlänge“ und neue Verflechtung durch transnationale Unternehmen (TNC) 16

Ich wende mich zunächst der Definition zu. Unter Globalisierung sei die weltweite Vernetzung ökonomischer Aktivitäten verstanden. Hierunter lassen sich sehr unterschiedliche Sachverhalte fassen, wie beispielhaft das folgende Zitat zeigt: „ Unter globaler Ökonomie verstehen wir eine Ökonomie, die einheitlich in Echtzeit in planetarischem Umfang arbeitet. Es ist eine Wirtschaft, in der Kapitalströme, Arbeitsmärkte, Informationen, Rohmaterial, Management und Organisation internationalisiert und vollständig interdependent sind. “

Nigel Thrift gibt indirekt eine Definition, indem er den Begriff in fünf Prozesse zerlegt: 1. zunehmende Zentralisierung, wodurch Kredit-mittel geschaffen, vergeben und genutzt werden, und -daraus folgend -ein Zuwachs der Herrschaft von Finanzen über die Produktion; 2. wachsende Bedeutung der „Wissensstruktur“ und der „Expertensysteme“; 3. kontinuierliche Zunahme globaler Oligopole; 4. Wachstum einer Schicht von transnationalen Geschäftsleuten; 5. das Entstehen einer transnationalen ökonomischen Diplomatie und die Globalisierung nationaler staatlicher Macht Zu dieser Vernetzung gehören so unterschiedliche Sachverhalte wie die Verlagerung von Produktionsstätten aus hochindustrialisierten Ländern in Länder der Dritten Welt, die Neugründung von Produktions-und Dienstleistungsunternehmen in solchen Ländern (vgl. das Beispiel Daimler-Benz), aber auch die internationale Vermarktung von Kultur. Wenn neue Action-Filme in Hollywood mit einem Budget von 100 Millionen Dollar gedreht werden, kommen nochmals 50 Millionen Dollar für die Werbung und Vermarktung hinzu -auch das ist ein Beispiel für Globalisierung. Gäbe es keine sprachlichen Barrieren, so könnten sich achtjährige Jungen aus Marokko, Japan, Deutschland und den USA über dieselben japanischen Zeichentrickfilme unterhalten, die sie am Sonntag früh im Fernsehen gesehen haben.

Der Prozeß der Globalisierung ist zunächst nichts anderes als die Zunahme dieser Vernetzung. Entscheidend sind die Annahmen, die über den Prozeß gemacht werden. Sie lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: 1. Die Abhängigkeits-Annahme: Die erste und wichtigste Annahme lautet, die Vernetzung wirtschaftlicher Aktivitäten hat Rückwirkungen auf alle hieran Beteiligten. Globale wirtschaftliche Entwicklungen steuerten nicht allein die Entwicklung von Nationen, sondern auch von Städten und Stadtteilen, diese wiederum die der Haushalte und Individuen. Diese lokalen Auswirkungen werden von einigen Autoren sogar als der Kern (und damit ein Definitionsmerkmal) der Globalisierung angesehen Entwicklungen in einem Land, zum Beispiel Deutschland, werden damit stärker als je zuvor von den Entwicklungen in anderen Ländern der Welt abhängig.

So führt die Tatsache, daß internationale Finanzmärkte entstanden sind, dazu, daß den Börsen in New York, Tokio und London eine Art Leitfunktion für die Börsen in anderen Ländern zukommt. 2. Die Verlagerungs-Annahme: Die Verlagerung von Dienstleistungen und Kontrollfunktionen wird dann rentabel, wenn die Übermittlungskosten niedriger sind als die Lohndifferenz. Das gilt ebenso für die Transportkosten; sind sie niedriger als die Lohndifferenz, wird es rentabel, Teile der Produktion zu verlagern. Diese Verlagerung ist in steigendem Maße zu beobachten, sie reicht von Autoteilen über den Buchsatz bis hin zu Programmierarbeiten und dem Rechnungswesen. Je weiter sich die Informations-, aber auch die Transport-technologien entwickeln, desto größer wird die internationale Verflechtung. 3. Die Konzentrations-Annahme: Je stärker die Globalisierung ist, desto stärker sind Teile von Unternehmen an vielen Standorten der Welt angesiedelt, desto stärker wird der Bedarf an Kontrolle und Koordination und desto stärker werden sich derartige Koordinierungsaufgaben in den Großstädten weniger Länder konzentrieren -den global cities. Diese Städte entwickeln sich zu extrem spezialisierten Dienstleistungszentren.

Es ist unschwer zu erkennen, daß die Globalisierungsthese sich auf unterschiedliche Räume oder geographische Einheiten richtet: Welt -Nation -Stadt (darunter als spezielle Gruppe die global cities) -Stadtteile -Haushalte/Individuen. In diesen räumlichen Einheiten zu denken ist erforderlich, um die Annahmen über die Folgen der Globalisierung zu verstehen.

Wie oft bei solchen Prozessen, ist es schwierig, zu entscheiden, ob es sich überhaupt um einen neuen Sachverhalt handelt. Bei genauerer Betrachtung stellt man auch in diesem Falle fest, daß eine Reihe quantitativer Veränderungen -wie etwa die Verlagerung von Produktion und Dienstleistungen, die Bedeutung von Auslandsinvestitionen, die internationalen Verflechtungen des Handels -eingetreten sind und daß diese quantitativen Veränderungen nun als etwas qualitativ Neues interpretiert werden, so daß man hierfür einen neuen Begriff benötigt.

In der Tat sind aber einige der Sachverhalte, die unter dem Begriff der Globalisierung gefaßt werden, keineswegs neu. Weltweite Handelsbeziehungen gibt es schon lange, ein Beispiel hierfür ist das britische Commonwealth. Das Gefälle in den Lohnkosten zwischen hoch-und wenig industrialisierten Ländern besteht seit Jahrzehnten, und bereits in den Arbeiten zur Produkt-Zyklus-Theorie wird darauf hingeweisen, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Produkt sein Reifestadium erreicht hat, weniger qualifizierte Arbeiter erforderlich sind, weil die Produktion standardisiert ist und somit an Orte ausgelagert werden kann, in denen die Lohnkosten niedriger sind. Eben dieses Argument wird in noch schärferer Form von Ann Markusen in ihrer weiterführenden Theorie des Profitzyklus benutzt.

III. Ursachen

Da es sich bei der Globalisierung um einen komplexen Prozeß handelt, sind auch die Ursachen, genauer: die Bedingungen, unter denen er auftritt und die ihn fördern, vielfältig. Es entsteht das Problem, zu bestimmen, welche Ursache(n) für welche Sachverhalte als Erklärung dienen kann bzw. können. Davon, dieses Problem gelöst zu haben, ist die wissenschaftliche Forschung noch weit entfernt. Dennoch lassen sich einige Ursachen und deren Wirkungen anführen.

Die Globalisierung ist durch den technischen Fortschritt in hohem Maße begünstigt worden. Mit den modernen Informationssystemen -angefangen bei der Satellitenübertragung von Nachrichten bis hin zum Internet und Intranet -können heute Informationen an jeden Ort übertragen werden. Zwischen Unternehmen und innerhalb von Unternehmen ist eine Kommunikation möglich geworden, die unter anderem Kontrollen gestattet, physischen Transport -etwa von Papier -überflüssig macht, rasche Reaktionen auf Börsenkurse erlaubt, es vereinfacht, Dienstleistungen zu verlagern und zudem Zeitunterschiede überwindet.

Die Vernetzung der Märkte setzte aber auch eine politische Deregulierung nationaler Märkte voraus. Für die zunehmende internationale Verflechtung der Güter-und Finanzmärkte gelten zwei politische Vereinbarungen als grundlegend: das Abkommen von Bretton Woods im Jahre 1944 und das GATT-Abkommen von 1947 mit den dann folgenden Runden. Sie ermöglichten eine zunehmend höhere Mobilität des Kapitals

Sinkende Transportkosten und Lohngefälle haben zu einer Verlagerung der Produktion aus hochindustriellen Ländern in solche der Dritten Welt geführt. Diese Verlagerung hatte eine Deindustrialisierung zur Folge; hiervon sind alle Städte, insbesondere solche in altindustrialisierten Regionen, betroffen. Wichtigster Indikator ist die Abnahme der Beschäftigten im Produzierenden Gewerbe (manufacturing). Dieser Prozeß hat nach und nach alle Branchen erfaßt, beginnend mit Uhren, Texti-lien und Fotoapparaten, dann den Schiffsbau, dann die Automobilindustrie und die Computerindustrie (vgl. Tabelle 1). Inzwischen gilt dies in steigendem Maße auch für Dienstleistungen.

Eine weitere Ursache der Globalisierung ist die mit der Ausdehnung der Märkte verbundene Notwendigkeit, auch in den Ländern der neuen Märkte zu produzieren. Der neue Standort wird als ein Brückenkopf gesehen, um marktnäher zu sein, aber auch seine Interessen an dem Markt bzw. an den Konsumenten durch einen Standort in ihrem Land zu dokumentieren. Das wurde auch an dem eingangs gegebenen Beispiel von Daimler-Benz deutlich.

In dem Maße, in dem sich die Produktions-, Service-und Dienstleistungsstandorte eines Unternehmens über zahlreiche Länder verteilen, wird es schwieriger, diese Aktivitäten zu koordinieren und zu kontrollieren. Ferner steigt der Bedarf an unternehmensbezogenen Dienstleistungen; sie können immer weniger von dem Unternehmen selbst erbracht werden. Sie werden entweder ausgelagert (outsourcing) oder direkt von externen Firmen eingekauft. Schließlich zwingen die Diversifizierung der Produkte und der Standorte die transnationalen Unternehmen (transnational corporations, TNC) dazu, ihre Organisationsstruktur zugunsten dezentraler Entscheidungen zu verändern, wie Jörg Flecker und Gerd Schienstock zeigen

Diesen finanz-und unternehmensbezogenen Dienstleistungen -und nicht der Produktion -kommt nach Saskia Sassen die entscheidende Bedeutung für den Prozeß der Globalisierung zu.Sie sind zu einer „sort of new basic industry“ geworden Im Kern handelt es sich um Finanzwesen, Versicherung und Immobilien: „Die zentralen Bestandteile der Kategorie , produktbezogene Dienstleistungen sind eine Reihe von Branchen mit gemischten Geschäfts-und Konsummärkten. Dieses sind Versicherung, Banken, Finanz-Dienstleistungen, Immobilien, Rechtsberatung, Wirtschaftsprüfung und professionelle Vereinigungen.“

Sassen hält die Analyse internationaler Finanzströme und der Unternehmens-und produktionsbezogenen Dienstleistungen für den Kern der Globalisierung. Die internationalen Finanzströme, die auch Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf für zentral halten, werden vor allem über die Direktinvestitionen gemessen. Wendet man dieses Kriterium auf Deutschland an, so hat sich dessen Position verschlechtert: Die deutschen Netto-Direktinvestitionen im Ausland überstiegen 1995 insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe die inländischen Anlageinvestitionen; daher stellt der Sachverständigenrat fest: „Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Anbieter wird immer stärker durch Investitionen im Ausland geprägt und nicht mehr durch Export aus Deutschland.“ Allerdings ist dieses Kriterium als Indikator der Globalisierung unter Ökonomen umstritten. Das gilt auch für das zweite Kriterium: die Beschäftigten in unternehmensbezogenen Branchen. Sassen sieht diesen Einwand, versucht ihm jedoch mit dem Argument zu begegnen, daß zwar 1985 in Tokio nur 4, 2 Prozent und in New York 9 Prozent aller Beschäftigten in diesen Branchen beschäftigt gewesen seien, aber diese Branchen das stärkste Wachstum und einen überproportionalen Beitrag zum nationalen Bruttosozialprodukt aufwiesen 13.

Im Unterschied dazu betont Peter Dicken die Bedeutung der transnationalen Unternehmen für den Prozeß der Globalisierung. Ihre Investitionen sind es vor allem, die weltweit unterschiedliche Märkte zusammenführen. Das geschieht durch die Verlagerung der Produktion, die Diversifizierung der Produkte und Dienstleistungen und durch Direktinvestitionen in zahlreichen Ländern Die Bedeutung der TNCs veranschaulicht Dicken anhand eines Diagramms das den politischen Einfluß auf die Beziehungsbedingungen zwischen den Ländern zeigt (vgl. die Abbildung). Ein deutsches Beispiel für diesen Unternehmenstyp ist die Siemens AG, die 1996 weltweit 379 000 Mitarbeiter, davon 176 000 im Ausland, und 300 Fertigungsstätten in über 50 Ländern hatte. Von dem Gesamtumsatz von 94, 2 Milliarden DM entfielen 61 Prozent auf das Ausland.

Die Annahme von Dicken erscheint aus mehreren Gründen fruchtbarer als die von Sassen. Die Akteure des Prozesses werden präziser bezeichnet -transnationale Unternehmen. Anhand der Unternehmenstätigkeit lassen sich damit auch die globalen Verflechtungen besser untersuchen. Außerdem ist es empirisch plausibler, zunächst von den TNCs auszugehen und diese auch als ursächlich für die hohe Bedeutung der unternehmensbezogenen Dienstleistungen anzusehen.

Beide Autoren, Saskia Sassen wie Peter Dicken, stimmen jedoch in einer Hypothese überein: Die Kontrolle der Produktion -der locus of control -und die produktionsbezogenen Dienstleistungen verbleiben in einer Großstadt des hochindustrialisierten Landes.

IV. „Global Cities“

Eng verbunden mit dem Begriff der Globalisierung ist der Begriff der global city. Es ist insbesondere Sassen, die in mehreren Veröffentlichungen die These vertritt, mit einer steigenden Globalisierung werde die Kontrolle und die Koordination der weltweiten Märkte erforderlich. Die Institutionen, die diese Kontrolle wahrnehmen, konzentrieren sich ihrer Ansicht nach in wenigen großen Städten, nämlich New York, London und Tokio In einer späteren Publikation hat sie weitere Städte hinzugefügt, darunter Amsterdam, Frankfurt am Main, Hongkong, Mexico City, Paris, Sao Paulo, Sidney und Zürich. Diese wechselnde Aufzählung zeigt, wie unklar bislang die Indikatoren sind, mit deren Hilfe man messen kann, welche Stadt denn eine global city sei. Stellvertretend sei eine Definition von Shachar zitiert: „ Die Weltstädte sind eine räumliche Konzentration unterschiedlicher globaler Kontrollaktivitäten -die Hauptsitze von großen Unternehmen und multinationalen Konzernen, der Börsen und der wichtigsten Finanz-Einrichtungen, der Datenverarbeitung und Kommunikationszentren sowie aller sie unterstützenden Aktivitäten, wie fortgeschrittene unternehmensbezogene Dienstleistungen, darunter Rechtsberatung, Wirtschaftsprüfung, Immobilien-firmen, Werbung und Marketing. Wir können daher die Triebkraft einer Weltstadt bestimmen als Kontroll-, Befehls-und Managementzentrum für die globale Ökonomie. “

Ebenso wie der Begriff der Globalisierung ist auch der der global cities nicht neu. Die Frage, welches die globalen Städte seien, wurde bereits in älteren Publikationen gestellt, nur wurde damals von „Weltstädten“ gesprochen. (Dieser Ausdruck findet sich im übrigen bis heute auch in der Literatur zur Globalisierung.) Für Peter Hall zählten London, Paris, Randstad Holland, Rhein-Ruhr, Moskau, New York und Tokio zu den Weltstädten. In dem Band von Matthei Dogan und John D. Kasarda wurden als megacities New York, Los Angeles, London, Tokio, Shanghai, Delhi, Lagos, Kairo, Mexico City und Sao Paulo behandelt. Offenkundig ist die Auswahl der Städte sowohl von historischen Bedingungen als auch von den -mehr oder minder klar genannten -Kriterien der jeweiligen Autoren abhängig. Auf dieses Problem, wie globale Städte zu definieren seien, weisen auch andere Autoren hin Die Definitionen sind unterschiedlich; zwei seien beispielhaft aufgeführt: „Die Annahme lautet, die fundamentale Dynamik bestünde darin, daß je mehr sich die Wirtschaft globalisiert, sich die zentralen Funktionen desto stärker an vergleichsweise wenigen Orten versammeln: den globalen Städten. “ „Die geographisch verstreuten Produktionsstätten, Büros und Service-Stellen sowie die Reorganisation der Finanzbranche im letzten Jahrzehnt haben dazu beigetragen, neue Formen der Zentralisierung des Managements und der Verwaltung eines globalen Netzwerkes von Produktionsstätten und Finanzmärkten zu schaffen.“

Es ist daher fraglich, ob wir es tatsächlich, wie Sassen meint, mit einem „new type of city“ zu tun haben. Eben weil sie keine Hypothesen darüber formuliert, unter welchen Bedingungen eine Stadt zu einer globalen Stadt wird, kann sie auch nicht entscheiden, wann welche Städte dazugehören. Dennoch sind zwei ihrer Annahmen über globale Städte wichtig: Es kommt zu einer räumlichen Konzentration der Hauptsitze großer Unternehmen in wenigen Städten -den global cities. Je stärker die internationale Verflechtung des Handels und der Finanzströme, desto stärker konzentrieren sich die unternehmensbezogenen Dienstleistungen in den global cities. Da der „Ort der Kontrolle“ (locus of control) in den globalen Städten verbleibt, kontrollieren diese die internationalen ökonomischen Aktivitäten, haben demnach Einfluß auf den Welthandel

Die globalen Städte sind demnach eine Folge der Veränderungen auf der räumlichen Ebene „Welt“, ihnen werden erhebliche Einflüsse auf die Veränderungen in ihnen (Ebenen „Stadt“ und „Stadtteil“) und auf die anderer Städte zugeschrieben: Deren ökonomische Chancen verringern sich.

Die Annahmen von Sassen leiden darunter, daß sie der globalen Stadt eine Funktion zuschreibt, die sie als Stadt gar nicht haben kann, denn Städte handeln nicht. Es ist daher präziser und für die Forschung fruchtbarer, die Akteure zu bestimmen, die in diesen Städten handeln. Naheliegend ist es wiederum, hierfür die TNCs heranzuziehen: Die Kontrolle wird durch internationale Konzerne ausgeübt, und der Sitz der Unternehmensleitung (headquarter) ist in den global cities. Die Aussage bezieht sich daher nicht auf die Stadt, sondern auf das Handeln korporativer Akteure. Für diese Präzisierung spricht auch der Interessenkonflikt zwischen städtischen Regierungen und Verwaltungen einerseits und großen Unternehmen andererseits; ihn verdeckt die Formulierung „die Stadt“. Dieser Konflikt muß aber Bestandteil der Analyse städtischer Entwicklungen -insbesondere in globalen Städten -sein, denn es gibt hinreichend empirische Belege dafür, daß Unternehmen ihre Interessen gegenüber der Stadt durchsetzen wollen und können, zum Beispiel bei der Ansiedlung, über Expansions-und altindustrielle Flächen oder bei Steuervergünstigungen.

V. Folgen der Globalisierung

Wie so häufig, wenn wir über soziale Prozesse sprechen -sei es soziale Ungleichheit, Individualisierung oder Segregation -, sind es die Auswirkungen der Prozesse, die die Bedeutung und die Brisanz des Themas ausmachen. So ist es auch hier: Es sind die Folgen der Globalisierung, die die Diskussion bestimmen. Da es sich zudem um einen Prozeß handelt, der als irreversibel und sich verstärkend angesehen wird, kommt den Folgen eine noch größere Bedeutung zu -nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen Befürchtungen. Die Annahmen über die Folgen der Globalisierung sind zahlreich und vielfältig. Sie richten sich auf alle räumlichen Ebenen und verknüpfen sie. An dieser Abfolge orientiert sich auch meine Darstellung der wichtigsten Annahmen. Transnationale Unternehmen: Die Unternehmen oder TNCs werden weiterhin unter einem steigenden Druck der Internationalisierung und räumlichen Ausdehnung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten stehen. Damit wird auch die Übernahme lokaler Unternehmen verbunden sein, so daß das wirtschaftliche (und politische) Gewicht dieser Unternehmen weiter zunimmt.

Die mit der Globalisierung emhergehende größere Übersichtlichkeit des „Marktes der Unternehmen“ und der Finanzmärkte macht die Unternehmen stärker von den Schwankungen des Aktienmarktes und den Interessen der Anleger abhängig. Kapital kann weltweit investiert werden. Es ist ein internationaler Finanzmarkt entstanden, der von den Interessen der Produktion weitgehend abgehoben ist und in dem es darum geht, mit Geld Geld zu machen. Auch Altvater und Mahnkopf sprechen davon, die Finanzmärkte seien weitgehend autonom und zugleich überaus mächtig; als Beleg hierfür führen sie an, nur ein Prozent aller Kapitalbewegungen in der Welt seien für den Welthandel erforderlich

Hierdurch geraten die Unternehmen unter den Druck, sich weniger an dem Erhalt von Arbeitsplätzen, der lokalen Bindung (wie beispielsweise Bayer an die Stadt Leverkusen) und an langfristiger Stabilität zu orientieren, sondern mehr an kurzfristiger Rentabilität, an Börsennotierungen und dem Nutzen (u. a. Dividenden) der Anleger, kurz: an Quartalsbilanzen und dem Shareholder value, dem Vermögenswert der Anleger.

Nationale Regierungen: Der weltweite Wettbewerb hat Rückwirkungen auf die nationalen Regierungen, ebenso die TNCs, was in der Abbildung dargestellt ist. „Wir sind in eine Ära eingetreten, in der Unternehmen und Regierungen miteinander und unter sich auf einer Weltbühne verhandeln.“ Die Folgen werden allgemein mit dem Ausdruck „Deregulierung“ bezeichnet. Darunter sind zum einen Bestrebungen zu verstehen, Handelsbarrieren abzubauen und die Handelsbedingungen zu vereinheitlichen, z. B. durch den Abbau von Schutzzöllen oder Importquoten. Beispiele hierfür sind die Klagen zwischen Ländern, die der Welthandelsorganisation (WTO) zur Schlichtung vorliegen: So klagten 1996 die USA gegen Japan wegen der Importbeschränkungen für Foto-und Filmprodukte, die EU gegen Südkorea wegen der Regulierung des Telekommunikationssektors. Zum anderen geraten die nationalen Regierungen, Unternehmerverbände (als Organisation von TNCs) und Gewerkschaften unter Druck, die Beschäftigungsbedingungen an den Wettbewerb anzupassen. Die Arbeitsbedingungen werden flexibilisiert, was in Deutschland zu den anhaltenden Diskussionen über Arbeitszeiten, Löhne und Gehälter, Kündigungsfristen und Lohnfortzahlungen geführt hat.

Zugleich werden aber auch die wohlfahrtsstaatlichen Regelungen der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre zur Disposition gestellt. Das Ergebnis in allen europäischen Ländern ist, Leistungen und soziale Sicherheit zurückzunehmen bzw. zurücknehmen zu müssen

Das führt zu sehr widersprüchlichen Anforderungen der TNCs an den Staat. Er soll einerseits durch Handelsabkommen noch bestehende Handelsbarrieren abbauen, andererseits notleidenden nationalen Industrien oder Unternehmen (z. B. Bergbau, Maxhütte in Bayern) Subventionen gewähren und auf die Tarifpartner einwirken, Mindestlöhne einzuführen (wie 1996 in der Bauindustrie).

Beschäftigungs-und Einkommensstruktur: Als eine weitere schwerwiegende Folge der Globalisierung wird eine Veränderung der Beschäftigungsstruktur angesehen, die ihrerseits zu einer Veränderung der Einkommensstruktur führt. „Die vorliegenden Befunde zeigen, daß das Ergebnis eine Zunahme der Arbeitsplätze mit sehr hohen Einkommen in den Professionen und der Technik, eine Abnahme der Arbeitsplätze von Arbeitern und Angestellten mit mittleren Einkommen sowie eine ganz erhebliche Zunahme der Arbeitsplätze mit niedrigen Löhnen ist. Die Zunahme der Arbeitsplätze mit niedrigen Löhnen ist zum großen Teil eine Funktion des Wachstumssektors und nur zweitrangig der niedergehenden Industrien, die billige Arbeitskräfte benötigen, um zu überleben.“

Die Folge wäre demnach, um es mit dem dafür gebräuchlichen Begriff zu bezeichnen, eine „Polarisierung“ Es werden immer mehr Personen entweder mit sehr hoher Qualifikation (Universitätsabschlüssen) oder solche mit sehr geringer Qualifikation nachgefragt. Der Lebensstil der ersteren erfordert, wie Sassen annimmt, die Arbeitsleistungen der letzteren Gruppe: „. . . die Zubereitung von Spezialitäten und Delikatessen, die Herstellung dekorativer Gegenstände, von Luxuskleidungsstücken und anderen Konsumgütern, verschiedene Dienstleistungen wie Reinigung, Reparatur und Botendienste“

Diese Leistungen werden zum Teil durch eine Schattenwirtschaft erbracht, an der ausländische Arbeitsimmigranten in starkem Maße beteiligt sind. Gleichzeitig läßt sich aber in Deutschland beobachten, daß Teile der Schattenwirtschaft und der Arbeit im informalen Sektor in den offiziellen Arbeitsmarkt eingehen: Es entstehen wie in den USA ein ethnisches Unternehmertum und ethnische Arbeitsmärkte.

Mit diesen Entwicklungen ist eine steigende Arbeitslosigkeit (Erhöhung der Arbeitslosenquote) verbunden. Eine differenziertere Betrachtung zeigt, daß sich auch die Quote der Jugendarbeitslosigkeit und die der Langzeitarbeitslosen (länger als zwölf Monate) erhöhen. Hierunter sind Arbeitslose, deren Qualifikationen (ehemals für das Produzierende Gewerbe) nicht mehr nachgefragt werden. Diese strukturelle Arbeitslosigkeit verringert sich, wie man im Vergleich von Städten feststellen kann, auch dann nur geringfügig, wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen verbessern. Es scheint, als bestünde unter den Bedingungen einer Globalisierung kaum noch ein Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Senkung der Arbeitslosenquoten. Die Auswirkungen dieser polarisierenden Tendenz lassen sich an einzelnen Städten wie zum Beispiel Frankfurt am Main und München beobachten, sie gelten aber tendenziell auch für die Ruhrgebietsstädte. Obgleich neue Arbeitsplätze geschaffen werden, sinkt in diesen Städten weder die Arbeitslosenquote noch die Zahl der Sozialhilfeempfänger.

Die veränderten Beschäftigungsbedingungen, so eine weitere Annahme, führten zu einer Polarisierung der Einkommen. Strenggenommen heißt das, es käme zu einer U-förmigen Verteilung der Einkommen, da sich die Gruppe der mittleren Einkommensbezieher ständig verringert. Im Gegensatz dazu gelangt Chris Hamnett bei seinem strengen Test dieser Annahmen zu dem Ergebnis, daß eine solche Polarisierung weder in London noch in der Randstad Holland eingetreten sei. Vielmehr habe eine Professionalisierung stattgefunden; ferner müsse man Berufs-und Einkommenspolarisierung trennen Sehr wahrscheinlich haben wir es eher mit einer Polarisierung der Einkommen zu tun.

Städte: Zahlreiche Annahmen richten sich auf die Auswirkungen der Globalisierung auf die Städte. Es sind genauer die weiter oben beschriebenen Verlagerungen von Arbeitsplätzen sowie die eben beschriebenen Veränderungen in der Beschäfti-gungsstruktur, die vor allem die Städte in eine Krise geführt haben. Waren in den siebziger und achtziger Jahren zunächst nur die Städte in den altindustrialisierten Regionen -zum Beispiel die Städte des Ruhrgebietes, Saarbrücken, aber auch Bremen und Hamburg -hiervon betroffen, so befinden sich inzwischen alle deutschen Städte unter einem starken Anpassungsdruck. Sinkende Steuereinnahmen, steigende Belastungen durch Sozialhilfe und Ausgaben von oft über zehn Prozent des Haushaltes für den Schuldendienst, Des-investitionen in der städtischen Infrastruktur, die Privatisierung von städtischen Dienstleistungen und der Verkauf städtischen Eigentums sind Anzeichen dieser Probleme.

Auf die privaten Haushalte hat die Polarisierung der Einkommen den Effekt, die ohnehin ungleichen Möglichkeiten, Wohnraum zu erhalten, zu verstärken. (Gleichzeitig führt die Konzentration von unternehmensbezogenen Dienstleistungen in wenigen globalen Städten zu einem Anstieg der Bodenpreise in diesen Städten. In globalen Städten sind daher überdurchschnittlich steigende Bodenpreise und Mieten für Wohnraum und gewerblichen Raum zu beobachten.)

Folgende Effekte einer steigenden Arbeitslosigkeit, stärkerer Ungleichheit der Einkommen (oder gar deren Polarisierung) und zunehmender Armut werden in der Fachliteratur unterstellt: 1. eine Verdrängung von niedrigen Einkommens-gruppen aus innenstadtnahen Wohngebieten (Gentrification); 2. eine Zunahme sozialer und ethnischer Segregation, d. h. ungleiche Verteilung über die Wohnviertel der Stadt; 3. eine ansteigende Zahl von Armutsvierteln.

Die empirischen Befunde der deutschen und internationalen Studien zeigen, daß diese Prozesse in der Tat nicht nur in New York und London, sondern auch in zahlreichen anderen Großstädten eingetreten sind

VI. Zusammenfassung und Folgerungen

Das Konzept der Globalisierung und die damit verbundenen Annahmen stellen einen fruchtbaren wissenschaftlichen Ansatz dar, der ökonomische, soziologische, politikwissenschaftliche und wirtschaftsgeographische Analysen vereinigt -zumindest zu einer Synthese zwingt. Diesem Anspruch werden die vorliegenden Studien bislang nur teilweise gerecht; ebensowenig handelt es sich bereits um eine systematisch entwickelte Theorie.

Es ist vor allem ungeklärt, welche Sachverhalte wirklich neu sind und demnach zu ihrer Erklärung anderer Theorien als die bislang etwa zur Deindustrialisierung oder dem Niedergang von Städten vorliegenden bedürfen. Unklar ist ferner, unter welchen Bedingungen eine Großstadt zu einer globalen Stadt wird. Ist es die Erreichbarkeit, die doch durch die Telekommunikationsnetze fast überall gegeben ist? Sind es die Agglomerationsvorteile, nämlich das Vorhandensein einer definierbaren Menge von unternehmensbezogenen Dienstleistungsbetrieben und einer Börse? Ist es eine bereits vorhandene Zahl von Hauptsitzen großer -oder großer und transnationaler -Unternehmen? Auch ist näher zu bestimmen, welcher Art die Kontrolle ist, die von den Unternehmen und unternehmensbezogenen Dienstleistungen (z. B.den Analysten von Unternehmen) in den globalen Städten ausgehen soll und wie sie sich messen läßt. Haben Veränderungen von Aktienkursen an der Börse von New York oder London eine entsprechende Veränderung der Börsenkurse an den Börsen nicht-globaler Städte wie Frankfurt am Main oder Zürich bewirkt? Ferner steht die Antwort auf die Frage aus, ob Entwicklungen (welche?) in New York oder Tokio einen Einfluß auf die Entwicklung der Stadt Duisburg, Lille oder Mailand haben und welcher Art sie sind.

Schließlich ist in der Literatur umstritten, ob die Finanzmärkte ein so großes Gewicht und die TNCs sich so weit von nationalen Bedingungen befreit haben, daß sie das Handeln der nationalen Regierungen stark beeinflussen, ihrerseits aber der staatlichen Regulation entzogen sind Gegen diese These ist eingewandt worden, daß der Einfluß globaler Prozesse auf die Städte eines Landes von den wohlfahrtsstaatlichen Bedingungen des jeweiligen Staates abhingen. Hierunter sind u. a. Eingriffe in den Arbeits-und Wohnungsmarkt sowie in das Steuer-und Erziehungssystem zu rechnen. Das Ausmaß staatlicher Eingriffe würde demnach die polarisierenden Wirkungen des „Globalisierungsprozesses“ mildern können, wie sich am Beispiel der Niederlande belegen läßt

Unumstritten ist hingegen, daß der Prozeß der Globalisierung sich fortsetzen wird. Unter dieser Bedingung ist es sehr wahrscheinlich, daß Arbeitsplätze in steigendem Maße verlagert werden. Die Globalisierung bewirkt hier, daß die jeweils niedrigsten Lohnkosten eine Auswirkung auf die Arbeitsmärkte aller anderen Länder haben. Von diesem Aspekt der Globalisierung ist Deutschland in besonderem Maße betroffen, da hier die Wochenarbeitszeit verkürzt und gleichzeitig die Löhne erhöht werden, während in anderen Teilen Europas und vor allem den asiatischen Ländern die Löhne niedriger und die Arbeitszeiten länger sind. Unter einem steigenden internationalen Wettbewerbsdruck werden Unternehmen wohl kaum soziale und politische Rücksichten nehmen (können), mithin Arbeitsplätze verlagern, sofern die Qualität der Produktion gesichert ist. Daher ist auch zu erwarten, daß sich der Prozeß -Arbeitsplätze aus Deutschland zu verlagern -auf abseh­ bare Zeit fortsetzen wird. Zugleich ist allerdings festzustellen, daß aufgrund dieser Maßnahmen die Geschäftsberichte großer Unternehmen steigende Gewinne, eine steigende Produktivität, aber sinkende Beschäftigungszahlen aufweisen.

Nur wenn Personen bereit sind, unter ihrer Qualifikation, für niedrigere Löhne und oft mit begrenzten Arbeitsverträgen zu arbeiten, wie dies in den USA der Fall ist, lassen sich Wachstum und verringerte Arbeitslosigkeit wieder in einen Zusammenhang bringen. Das allerdings stellt die betroffenen Individuen vor die Wahl zwischen zwei schlechten, weil gleichermaßen kostenträchtigen Alternativen: Arbeitslosigkeit oder Arbeit zu einem -verglichen mit dem letzten Beschäftigungsverhältnis -niedrigeren Lohn.

Die Verteilung der betrieblichen Ressourcen in unterschiedliche Länder mag unter den Bedingungen der Globalisierung gerechtfertigt (genauer: effizient) sein, aber sie erlegt anderen Kosten auf (negative Externalitäten). Diese müssen von der Gesellschaft in Form von Arbeitslosengeld, Umschulungs-und ABM-Programmen, von den Kommunen in Form erhöhter Ausgaben für Sozialhilfe und von den Individuen in Form drastisch verringerter Handlungsoptionen und psychischen Leids getragen bzw. wettgemacht werden. Wirtschafts-und Sozialpolitik geraten zunehmend in einen Widerspruch, wie sich seit Anfang der neunziger Jahre in allen hochindustrialisierten Ländern beobachten läßt. Zudem stehen den transnationalen Wirtschaftsinteressen jeweils nur nationale soziale Sicherungssysteme gegenüber.

Unter dieser Belastung -einer Verteilungskonkurrenz -wird sich sehr wahrscheinlich die Solidarität der Bevölkerungsgruppen verringern. Es scheint gegenwärtig so, als gäbe es aus diesem Dilemma keinen Ausweg.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Teile des Aufsatzes gehen auf einen Vortrag zurück, den der Verfasser aufdem 28. Kongreß der Deutschen Gesellschaß fiir Soziologie in Dresden, 7. -11. 10. 1996, gehalten hat. Eine gekürzte Fassung erschien als: „Die These von der Globalisierung“: Eine Explikation der Annahmen für unterschiedliche räumliche Ebenen“, in: Stefan Hradil (Hrsg.), Differenz und Integration. Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaß für Soziologie, Frankfurt am Main -New York 1997 S. 769-782. Vgl. C. H., Daimler-Benz eröffnet Forschungszentrum in Indien, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Mai 1997.

  2. Vgl. ebd. Anzumerken ist, daß ein junger indischer Informatiker nur rund 100 000 Rupien (etwa DM 6 000) im Jahr verdient.

  3. Manuel Castells, European Cities, the Informational Society, and the Global Economy, in: Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie, 84 (1993), S. 249.

  4. Nigel Thrift, Globalisation, Regulation, Urbanisation: The Case of the Netherlands, Urban Studies, 31 (1994), S. 336-368.

  5. Vgl. Elmar Altvater/Birgit Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Welt-gesellschaft, Münster 19972; Jens S. Dangschat, Lokale Probleme globaler Herausforderungen in deutschen Städten, in: Bernhard Schäfers/Göttrik Wewer (Hrsg.), Die Stadt in Deutschland, Opladen 1996, S. 39 ff.

  6. Ann Markusen, Profit Cycles, Oligolopoly, and Regional Development, Cambridge, Mass. -London 1985. Vgl. zum Produktzyklus und dessen Auswirkungen: Jürgen Friedrichs, Stadtsoziologie, Opladen 1995, S. 51-53.

  7. Vgl. Peter Dicken, Global Shift. The Internationalization of Economic Activity, New York -London 19922; OECD, Globalisation of Industrial Activities. Four Case Studies: Auto Parts, Chemicals, Construction and Semiconductors, Paris 1992, S. 15; Saskia Sassen, The Global City, Princeton, NJ 1991, S. 3 (gekürzte dt. Ausgabe: Metropolen des Weltmarkts, Frankfurt am Main 1996); N. Thrift (Anm. 4), S. 366. GA TT: General Agreement on Tariffs and Trade, jetzt WTO: World Trade Organization.

  8. Jörg Flecker/Gerd Schienstock, Globalisierung: Konzemstrukturen und Konvergenz der Arbeitsorganisation, in: Niels Beckenbach/Werner van Treeck (Hrsg.), Umbrüche gesellschaftlicher Arbeit, Göttingen 1994 (Sonderband 9 der Zeitschrift Soziale Welt), S. 628, 634 ff.

  9. Saskia Sassen, The Mobility of Labor and Capital. A Study of International Investment and Labor Flow, Cambridge, Mass. 1988, S. 135.

  10. Ebd, S. 90.

  11. Vgl. E. Altvater/B. Mahnkopf (Anm. 5), S. 159 ff.

  12. Vgl. Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1996/97, Bonn 1997, S. 68.

  13. Vgl. S. Sassen (Anm. 9), S. 12 und S. 131.

  14. Vgl. P. Dicken (Anm. 7), S. 49.

  15. Vgl. die fünf Fallbeispiele von Globalisierungsstrategien deutscher Unternehmen in: Pamela Meil (Hrsg.), Globalisierung industrieller Produktion. Strategien und Strukturen. Ergebnisse des Expertenkreises „Zukunftsstrategien“. Band 2, Frankfurt am Main 1996.

  16. Vgl. P. Dicken (Anm. 7), S. 49; das Diagramm stammt von G. K. Helleiner/R. Lavergne, Intra-firm Trade and Industrial Exports to the United States, in: Oxford Bulletin of Economics and Statistics, 41 (1979), S. 30t.

  17. Vgl. S. Sassen (Anm. 9).

  18. Vgl. Saskia Sassen, Cities in a World Economy, Thousand Oaks 1994.

  19. Arie Shachar, Randstad Holland: A „World City“?, in: Urban Studies, 31 (1994), S. 385; ähnlich S. Sassen (Anm. 18), S. 4.

  20. Peter Hall, The World Cities, London 19772.

  21. Mattei Dogan/John D. Kasarda (Hrsg.), The Metropolis Era, Vol. 2: Mega-Cities, Newbury Park 1988.

  22. Allgemein z. B. Rüdiger Korff, The World City Hypothesis: a Critique, in: Development and Change, 18 (1987), S. 483-495; am Beispiel europäischer Städte: John Friedmann, The World City Hypothesis, in: Development and Change, 17 (1986), S. 69-84.

  23. S. Sassen (Anm. 9), S. 5.

  24. Ebd., S. 126.

  25. Ebd., S. 4.

  26. Vgl. S. Sassen (Anm. 18), S. 130 ff.

  27. Vgl. E. Altvater/B. Mahnkopf (Anm. 5)., S. 159.

  28. N. Thrift (Anm. 4), S. 368.

  29. Vgl. E. Altvater/B. Mahnkopf (Anm. 5), S. 50 ff., S. 549 ff.

  30. Ebd., S. 22.

  31. Vgl. hierzu auch M. Castells (Anm. 3), S. 254, sowie die ausführliche Diskussion in: John O’Loughlin/Jürgen Friedrichs (Hrsg.), Social Polarization in Post-Industrial Metropolises, Berlin -New York 1966; Anmerkung der Redaktion: Zur Beschäftigungs-und Einkommensstruktur siehe auch den Beitrag von Rudolf Welzmüller in diesem Heft, Kapitel V, S. 25 ff., insbes. S. 27.

  32. S. Sassen (Anm. 9), S. 158.

  33. Vgl. Chris Hamnett, Socio-economic Change in London: Professionalization not Polarization, in: Built Environment, 20 (1994), S. 192-203; ders., Social Polarization in Global Cities; Theory and Evidence, in: Urban Studies 31, (1994), S. 401-424.

  34. Vgl. u. a. Susan Fainstein/Michael Harloe (Hrsg.), Divided Cities, Oxford-Cambridge 1992; Hartmut Häußermann/Walter Siebei, Neue Urbanität, Frankfurt am Main 1987, S. 53 ff.; Edward Soja, Postmodern Geographies, London -New York 1990.

  35. Zu New York und London vgl. John H. Mollenkopf/Manuel Castells (Hrsg.), Dual City, Restructuring New York, New York 1992; zu weiteren Städten, darunter denen des Ruhrgebietes, vgl. J. O’Loughlin/J. Friedrichs (Anm. 31); zur Gentrification vgl. Jens S. Dangschat/Jörg Blasius (Hrsg.), Gentrification. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel, Frankfurt am Main -New York 1990; Jürgen Friedrichs/Robert Kecskes (Hrsg.), Gentrification. Theorie und Forschungsergebnisse, Opladen 1996.

  36. Vgl. Jürgen Friedrichs, Eine Typologie westdeutscher Großstädte und Muster ihrer Entwicklung 1970-1990; in: ders. (Hrsg.), Die Städte in den 90er Jahren, Opladen 1997.

  37. Vgl. Paul Hirst/Grahame Thompson, Globalization in Question. The International Economy and the Possibility of Govemance, Cambridge 1996, S. 7.

  38. Vgl. Frans Dieleman/Chris Hamnett, Globalisation, Regulation and the Urban System: Editor’s Introduction to the Special Issue, in: Urban Studies, 31 (1994), S. 359 f.; Andreas Faludi, Coalition Building and Flanning for Dutch Growth Management: The Role of the Randstad Concept, in: Urban Studies, 31 (1994), S. 485-508; N. Thrift (Anm. 4), S. 368 ff.

Weitere Inhalte

Jürgen Friedrichs, Dr. phil., geh. 1938; Lehrstuhl für Soziologie an der Universität zu Köln und Direktor des Forschungsinstituts für Soziologie. Veröffentlichungen u. a.: Methoden empirischer Sozialforschung, Opladen 199414; Soziologische Stadtforschung, Opladen 1988; Stadtsoziologie, Opladen 1995; (Hrsg. zus. mit John O’Loughlin) Social Polarization in Post-Industrial Metropolises, Berlin -New York 1996; (Hrsg.) Die Städte in den 90er Jahren, Opladen 1997.