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Rückkehr in die Hegemonie. Zur Weltpolitik der USA unter Präsident Clinton | APuZ 43/1996 | bpb.de

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APuZ 43/1996 Befindlichkeit amerikanischer Politik im Präsidentschaftswahljahr 1996 Regieren als permanente Kampagne Stil, Strategien und Inhalte der amerikanischen Innenpolitik unter Präsident Clinton Rückkehr in die Hegemonie. Zur Weltpolitik der USA unter Präsident Clinton Die amerikanische Wirtschaft unter Bill Clinton Die amerikanische konservative Revolution. Radikale Rechte und Republikanische Partei am Ende des Jahrhunderts

Rückkehr in die Hegemonie. Zur Weltpolitik der USA unter Präsident Clinton

Ernst-Otto Czempiel

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Präsident Bill Clinton, der sich in den ersten beiden Jahren seiner Administration, wie er es als Kandidat versprochen hatte, der Innen-und Wirtschaftspolitik zugewandt hatte, warf im Sommer 1994 das Ruder seiner Politik herum. Bedrängt von der energischen Opposition der Republikaner und geleitet von der Tradition seiner Vorgänger und der Struktur der Ministerialbürokratie, nahm Clinton die Zügel der Weltführungspolitik wieder auf. Er entschied sich für die Osterweiterung der NATO, intervenierte in Haiti und veranlaßte die kriegführenden Parteien in Bosnien-Herzegowina zum Frieden von Dayton. Fortschritte beim Friedensprozeß im Nahen Osten fielen ihm, wenn auch nicht unverdientermaßen, in den Schoß. In Asien und im Pazifik ist Clinton ebenfalls von dem von ihm zu Anfang propagierten Multilateralismus abgerückt und zu den bilateralen Verabredungen zurückgekehrt. Die mit Japan und Australien stehen dabei im Vordergrund, weil sich die sicherheitspolitischen Besorgnisse zunehmend auf China richten. Die Taiwan-Krise im Frühjahr 1996 haben die USA kooperativ entschärft, ebenso die Krise um die nuklearen Ambitionen Nordkoreas. Clinton hat auch seine China-Politik, jedenfalls im Sommer 1996, auf Kooperation umgestellt, behält aber das Aufrüstungspotential der Volksrepublik im Auge. Die derzeitige Rüstungspolitik der USA kann nicht durch das Ziel der Verteidigungsvorsorge, sondern nur durch das der globalen Hegemonie erklärt werden. Weil die USA verhindern wollen, daß regionale Vor-mächte als Rivalen entstehen, müssen sie erneut die Rolle des Weltpolizisten übernehmen, der die Sicherheit aller Regionen gewährleistet. Clinton ist daher zu einer Regionalpolitik zurückgekehrt, die er als unzeitgemäß eigentlich hatte aufgeben wollen.

Über einen Mangel an Führungsbereitschaft der USA können sich die Europäer nicht mehr beklagen. Die Amerikaner haben sich seit 1994 in einer derartigen Weise profiliert, daß sie zur Führungsmacht der Welt geworden sind. Sie haben mit ihrem Entschluß, die NATO doch nach Osten zu erweitern, den Rahmen für die politische Neuordnung Europas abgesteckt. Die USA haben die Bürgerkriegsparteien in Bosnien-Herzegowina zum Friedensschluß von Dayton bewogen, haben anschließend die NATO zu dessen Durchsetzung in Marsch gesetzt. Sie haben mit dem Neuen Welt-handelsabkommen der Weltwirtschaft die Richtung gewiesen und Beschlüsse ihrer Partner, die sie als Umwege ansehen, durch einsame, alleinige Beschlüsse wieder korrigiert. Sie sind so weit gegangen, zugunsten der Bekämpfung des Terrorismus von ihren Alliierten unbedingte Gefolgschaft zu verlangen und jeder Verweigerung wirtschaftliche Sanktionen anzudrohen. Wenn es Kriterien für hegemoniale Führung gibt, dann haben die USA sie in den vergangenen beiden Jahren mehr als erfüllt.

An den verärgerten Trotzreaktionen ihrer europäischen Verbündeten gegen die ihnen angedrohten Sekundärboykotte kann man ablesen, daß sie diese Art von Führung nicht im Sinne hatten, als sie immer wieder in Washington darum baten. Sie wollten den großherzigen und gutmütigen Schutzpatron des Kalten Krieges wiederhaben, nicht den Hegemon, der Protektion nur gegen Gehorsam gewährt. Sie haben übersehen, daß das Ende des Ost-West-Konflikts auch die Interessenlage und Position der USA verändert hat. Der Wandel zeichnete sich nicht unmittelbar nach 1990, noch nicht einmal unter der Bush-Administration ab. Es war die einer anderen Generation angehörende Clinton-Administration, die den Wandel reflektierte, allerdings auf doppelte Weise.

I. Clintons Richtungswechsel

Bill Clinton und sein Vizepräsident Albert Gore hatten ihre Kandidatur bestritten und ihre Amtszeit begonnen mit der festen Absicht, nach den vier Jahrzehnten des Konflikts mit der Sowjetunion das politische Augenmerk nach innen zu richten, die Schäden zu heilen, die der Konflikt auch in den USA hinterlassen hatte, und den Lebensstandard der Amerikaner zu heben. Das Haushaltsdefizit mußte abgebaut, die Arbeitslosigkeit vermindert, Drogenhandel und Verbrechen mußten bekämpft werden. Vierzig Millionen Amerikaner haben keine Krankenversicherung, das Verhältnis von Leistung zu Aufwand bei der Sozialpolitik ist miserabel. Auf der anderen Seite war das Verteidigungsbudget viel zu hoch: Eine Umverteilung von der Außenpolitik zur Innen-und Sozialpolitik war also erforderlich

Mit diesem Programm konnte sich die Clinton-Administration im Kongreß nicht durchsetzen, es gab selbst Widerstand bei der Fraktion der Demokraten. Ein Konjunkturprogramm wurde praktisch abgelehnt, das Sanierungskonzept für den Haushalt kam nur mühsam und beschädigt über die Runden. Die Opposition der Republikaner nutzte jede Gelegenheit, um dem Präsidenten die Initiative aus der Hand zu nehmen und die „soziale Revolution“ fortzusetzen, die Präsident Ronald Reagan begonnen, aber nur halb vollendet hinterlassen hatte

In dieser Situation warf Präsident Clinton im Sommer 1994 das Ruder in Richtung einer energischen außenpolitischen Führungspolitik herum. Er erinnerte sich daran, daß alle seine Vorgänger ihr politisches Heil in einer aktiven Außenpolitik gesucht hatten, weil sie es in der von den „vested interests" festgezurrten Innenpolitik nicht finden konnten, Er entdeckte, daß er in der Außenpolitik einen Handlungsspielraum besaß, der ihm in der Innen-politik fehlte. Dieser war um so größer, als die Reduzierung des amerikanischen Führungsaufwandes sowohl in Asien als auch in Europa bedauert und sogar kritisiert worden war. Die Rückkehr in die weltpolitische Führungsposition wurde Bill Clinton also geradezu aufgenötigt.

Freilich widersprach sie dem politischen Programm, mit dem er gewählt worden und angetreten war. Da aber zu dessen Ausführung eine Machtposition gehörte, die ihm innenpolitisch streitig gemacht wurde, blieb Bill Clinton keine andere Wahl, als mit Hilfe einer aktiven Außenpolitik zu versuchen, seinen innenpolitischen Zielen zum Erfolg zu verhelfen.

Die veränderte Politik machte sich im zweiten Halbjahr 1994 bereits deutlich bemerkbar. Die Osterweiterung der NATO, der die Clinton-Administration bislang äußerst reserviert gegenübergestanden hatte, avancierte jetzt zum Hauptinstrument ihrer Europa-Politik. Daß sie eine erneute politische Teilung Europas herbeiführen konnte, wog in Washington inzwischen weniger stark als die Perspektive, daß sich mit der Militärallianz der amerikanische Führungseinfluß in Europa wieder erweitern würde. Er war immer über die NATO instrumentiert worden, deren Ausweitung kommt ihm unmittelbar zugute.

Gleichzeitig nahm Clinton mit diesem Positionswechsel den Republikanern ein Argument aus der Hand. Die Irritationen mit Rußland, das nun im Dezember 1994 zögerte, seine Unterschrift unter den von ihm eigentlich schon akzeptierten Vertrag über die Partnerschaft für den Frieden zu setzen, wogen jetzt weniger schwer. Freilich legte die Clinton-Administration die konkreten Pläne zur NATO-Osterweiterung politisch auf Eis, jedenfalls bis zur Präsidentschaftswahl in Rußland im Juni 1996 und bis zu den Präsidentschaftswahlen in den USA im November

Clinton aktivierte aber auch die Weltpolitik der USA. Er verstärkte im Juli 1994 die Militärpräsenz vor der Küste Haitis und entschloß sich im September zu dem heiklen Schritt, amerikanische Truppen auf die Insel zu entsenden. Vorausgegangen waren Vermittlungsversuche des früheren Präsidenten Jimmy Carter und eine entsprechende Resolution des Sicherheitsrates. Am 15. Oktober 1994 konnte Clinton Erfolg melden: Der frühere Präsident Aristide kehrte nach Haiti zurück. Der Truppeneinsatz hatte sich gelohnt. Nur wenig später, im September 1994, einigten sich die USA mit Fidel Castro über die Eindämmung des Flüchtlingsstroms von Kuba nach Florida. Ein weiteres soziales und politisches Problem, das unkontrollierbar zu werden drohte, war damit aus der Welt geschafft.

Im Spätsommer 1994 gelang es Clinton, Nordkorea zum Abbau seiner Kernenergieanlagen und zur Einhaltung des Nichtweiterverbreitungsvertrages der Atomwaffen zu überreden; am 21. Oktober 1994 wurde der entsprechende Vertrag geschlossen. Als Saddam Hussein im Oktober 1994 wieder mit dem Säbel zu rasseln begann, verlegte er amerikanische Kampftruppen in die Region und beseitigte damit auch diese Krise.

In der zweiten Jahreshälfte 1994 hatte also Präsident Clinton schon ein sehr viel deutlicheres außenpolitisches Profil gezeigt. Sein Ansehen in der amerikanischen Öffentlichkeit verbesserte sich zunehmend. Freilich hatte er auch Konzessionen an den politischen Zeitgeist gemacht. Er schwächte den „assertive multilateralism" seiner Anfangszeit, mit dem er die Vereinten Nationen zum Kernstück einer liberal-internationalistischen Außenpolitik gemacht hatte, merklich ab. Im Mai 1994 stellte er siebzehn Bedingungen auf, die die amerikanische Beteiligung an UN-Friedenssicherungsaktionen anleiten sollten. Das war sicher eine Erfahrung aus dem Einsatz in Somalia, der in einer Katastrophe geendet hatte. Es war aber auch eine Konzession an die republikanische Position, für die jede Einschränkung amerikanischer Souveränität zugunsten der Autorität der Vereinten Nationen ein Greuel war

II. Der Befreiungsschlag

Die Kurskorrektur Clintons im Sommer 1994 hatte nicht ausgereicht, um im November den Wahlsieg der Republikaner in beiden Häusern des Kongresses zu verhindern. Das „gridlock“, die wechselseitige Behinderung von Exekutive und Legislative, kehrte nach Washington zurück. Clinton hatte es jetzt nicht mehr mit einem eher passiven, in der Routine der Herrschaftsausübung fast schon erstarrten Kongreß zu tun, sondern mit einer überaus lebendigen, aktivistischen, aber eben antagonistischen Legislative, die ihm sogar die Regierungsgeschäfte aus der Hand zu nehmen drohte. Ihr außenpolitisches Programm war klar. Sie wollte das Rüstungsbudget, das unter Clinton verringert worden war, wieder erhöhen und das Raketenabwehrprogramm im Weltraum nicht nur weiterentwickeln, sondern auch stationieren. Sie wollte die Muslime in Bosnien-Herzegowina bewaffnen, das von den Vereinten Nationen verhängte Waffenembargo also einseitig aufkündigen.

Auf diesem Gebiet drohte die größte Gefahr. Einerseits verbot der Kongreß dem Präsidenten, amerikanische Soldaten nach Bosnien-Herzegowina zu entsenden. Andererseits warf er ihm angesichts des Bürgerkriegs und der Massaker Tatenlosigkeit vor. Präsident Clinton sah sich in eine Zange genommen, der kaum zu entrinnen war. Wie sollte er in Bosnien-Herzegowina eingreifen, wenn ihm das einzige Mittel dazu, der Einsatz des amerikanischen Militärs, versagt wurde?

Bill Clinton gelang eine Meisterleistung. Er ordnete im Juni 1995 an, den Konflikt in Bosnien-Herzegowina vor den Präsidentschaftswahlen 1996 zu Ende zu bringen, sozusagen um jeden Preis Die Aufgabe wurde dem im Jahr zuvor neu ernannten Assistant Secretary of State for Europe Richard C. Holbrooke aufgetragen, der schon die Wende in der NATO-Ost-Erweiterung zustande gebracht hatte. Nachdem die NATO mit ihrer Luftoperation „deliberate force“ den Kroaten und Muslimen Gelegenheit verschafft hatte, die Serben aus vielen der von ihnen eroberten Gebiete wieder zurückzudrängen, kam es zu einem Waffenstillstand und zu den langwierigen Verhandlungen von Dayton, Ohio, die am 21. November 1995 mit einem Friedensabkommen beendet wurden

Der Friedensschluß war dem energischen Willen der Clinton-Administration und dem Verhandlungsgeschick Holbrookes zu verdanken, nicht zuletzt aber auch einem substantiellen Entgegenkommen gegenüber den Serben. Sie behielten zwar nicht die 73 Prozent des Landes, die sie einst erobert, dann aber wieder verloren hatten, bekamen aber mit 49 Prozent immerhin die Hälfte von Bosnien und sogar das Recht, sich an Restjugoslawien anzuschließen. Was die Vermittler der Europäischen Union und der UN immer vermieden hatten, die Perspektive einer Teilung Bosnien-Herzegowinas zwischen den Serben einerseits, den Muslimen und Kroaten andererseits, wurde von den USA in Dayton offen angeboten. Hatten sie einen früheren Einigungsvorschlag der europäischen Vermittler zurückgewiesen, weil sie den Muslimen mehr entgegenkommen wollten, so nahmen sie jetzt auf deren Interessen keinerlei Rücksicht mehr. Der Befreiungsschlag gegenüber dem Kongreß war Clinton wichtiger, als das Konzept eines Staates aufrechtzuerhalten, den es in der Geschichte noch nicht gegeben hatte.

Im Abkommen von Dayton wurde auch beschlossen, daß die UN-Friedenssicherungstruppe UN-PROFOR abgelöst und durch eine von der NATO geleitete und bestimmte Militäraktion, an der neben den Bündnismitgliedern noch andere europäische Staaten, inklusive Rußland, teilnehmen konnten, ersetzt wurde. Das stärkte die NATO, schwächte aber zusätzlich die Vereinten Nationen. Ihnen hatte man die undankbare, weil unlösbare Aufgabe zugewiesen, einen Krieg mit den beschränkten Mitteln der Friedenssicherung einzudämmen, wenn möglich sogar zu beenden. Die sehr viel leichtere Aufgabe, einen von den Konfliktpartnern beschlossenen Frieden'nur noch abzusichern, wurde hingegen der schwerbewaffneten NATO anvertraut, deren politische und instrumentelle Bedeutung dadurch eine erneute Aufwertung erfuhr.

Diese günstige Ausgangslage nutzte der Präsident, um den Spieß, den ihm die Republikaner entgegengehalten hatten, umzudrehen. Hatten sie ihm verboten, amerikanische Kampftruppen nach Bosnien-Herzegowina zu schicken, so mußten sie ihm zähneknirschend zngestehen, für die Interventionstruppe IFOR 20 000 amerikanische Soldaten zu stellen. Die Republikaner versuchten zwar, ihre Niederlage zu bemänteln, indem sie in den Zustimmungsentschließungen der beiden Kammern nur die amerikanischen Soldaten priesen und den Präsidenten kritisierten Sie konnten aber dadurch den bedeutenden innenpolitischen Sieg des Präsidenten nicht schmälern. Er hatte sich aus einer als aussichtslos geltenden Zwangslage befreit, mit dem Frieden von Dayton einen als unlösbar geltenden Konflikt beendet und mit der Entsendung amerikanischer Soldaten zur IFOR dafür gesorgt, daß die USA auch bei der Ausführung des Dayton-Abkommens den entscheidenden Einfluß behielten.

Mehr konnten selbst die konservativsten Republikaner nicht verlangen. Clinton nahm ihnen den letzten Windhauch aus den Segeln, als er im Abkommen von Dayton auch die Wiederaufrüstung der Muslime vorsah. Präsident Clinton hatte mehr erreicht, als die Opposition erwartet hatte, und zwar zu Bedingungen, die sehr viel besser waren, als die Opposition es sich je hätte wünschen können.

Damit war ihre Stärke gebrochen. Ihre Versuche, mit der Verweigerung eines Haushaltsgesetzes den Präsidenten zu sozial-und fiskalpolitischen Kürzungen zu zwingen, mißlangen. Die zweimalige Schließung von Teilen der amerikanischen Bundesbehörden im Winter 1995/96 wurde von der amerikanischen Öffentlichkeit den Republikanern zur Last gelegt, nicht dem Präsidenten Vom „Contract with America“ war fortan nicht mehr die Rede; auf dem Parteitag der Republikaner im August 1996 in San Diego, wurde er nicht einmal erwähnt. Sein Autor, der Speaker des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, wohl der radikalste Gegner der Demokraten und Präsident Clintons im Kongreß, fand sich im politischen Hintergrund wieder. Mit dem Griff nach der Führungspolitik in der Welt hatte Präsident Clinton auch die Führung in der amerikanischen Innenpolitik zurückgewonnen und seine Ausgangsposition für die Wiederbewerbung um das Weiße Haus erheblich verbessert.

III. Erfolg in Nahost

Der Friedensschluß von Dayton, Ohio, war gewiß der spektakulärste Ausdruck der neuen Weltführungspolitik der Clinton-Administration, vielleicht auch der größte. Als weltpolitisch wichtiger aber sollte sich die Nahost-Politik Clintons erweisen, auch wenn deren Erfolge nicht nur amerikanischen Initiativen zu verdanken waren. Die wechselseitige Anerkennung zwischen Israel und der PLO, die am 13. September 1993 im Beisein Präsident Clintons vor dem Weißen Haus mit der Unterzeichnung des Ersten Teilautonomie-Abkommens feierlich vollzogen wurde war nicht von Washington, sondern von Oslo herbeigeführt worden. Dennoch war es nicht unverdient, daß das Abkommen im Rosengarten des Weißen Hauses unterschrieben wurde. Alle amerikanischen Außenminister hatten eine rege „shuttle diplomacy“ im Nahen Osten unterhalten Clintons Vorgänger hatte mit der Friedenskonferenz von Madrid zum ersten Mal die Multilateralisierung des Friedensprozesses erreicht Dessen Fortsetzung betrieb Clinton äußerst aktiv. Die „Washingtoner Erklärung“ vom 25. Juli 1994, die am 26. Oktober 1994 in den Friedensvertrag zwischen Jordanien und Israel mündete, war von Clinton mitvorbereitet worden.

Danach bemühte sich der Präsident verstärkt darum, den Libanon und vor allem Syrien in den Friedensprozeß miteinzubeziehen. Im Dezember 1995 nahmen Israel und Syrien ihre bilateralen Verhandlungen wieder auf, ein Rückzug der israelischen Truppen von den Golan-Höhen rückte in die Reichweite des Möglichen. Sie wurde allerdings im Frühjahr und im Sommer 1996 rapide zunichte gemacht. Den Selbstmordanschlägen des militärischen Flügels der Hamas, Ende Februar/Anfang März, folgte die Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Rabin durch einen jüdischen Rechtsextremisten. Seinem Nachfolger Peres gelang es nicht mehr, die Wogen zu glätten. Die Wahlen in Israel vom 29. Mai 1996 brachten, wenn auch mit kleinster Marge, Benjamin Netanyahu an die Regierung, mit ihm die politischen Vorstellungen des Likud. Er zögerte den israelischen Truppenrückzug hinaus und nahm die verstärkte Siedlungspolitik im Westjordanland und im Gaza-Streifen wieder auf. Infolgedessen war es im Spätsommer 1996 völlig offen, welche weitere Entwicklung der Friedensprozeß nehmen würde.

Amerikas Politik im Nahen Osten wurde durch die sich vermehrenden Attentate gegen amerikanische Soldaten in Saudi-Arabien weiter erschwert. Am 13. November 1995 waren fünf, am 25. Juni 1996 neunzehn Amerikaner bei solchen Attentaten getötet worden. Die USA mußten sich daraufhin entschließen, ihre in Saudi-Arabien stationierten 5 000 Soldaten in die in der Wüste gelegene Prince Sultan-Luftwaffenbasis zu verlegen. Amerikas Hoffnung, der Schutz Saudi-Arabiens gegen den Irak und gegen den Iran im Golfkrieg würde die Präsenz amerikanischer Truppen in den arabischen Staaten akzeptabel machen, ist nicht in Erfüllung gegangen. Es sind nicht allein, wie sich zeigt, arabische Extremisten, die ihre -meist in Afghanistan gewonnenen -militärischen Erfahrungen dazu benutzen, Attentate gegen amerikanische Soldaten zu verüben. Es sind auch Geschäftsleute in Saudi-Arabien und in den Emiraten, die den antiwestlichen Terrorismus finanzieren und dadurch dokumentieren, daß die Regierungspolitik dieser Staaten keinen soliden Rückhalt in der arabischen Gesellschaft mehr hat.

Damit fällt auch ein neues Licht auf den internationalen Terrorismus insgesamt und die Möglichkeiten seiner Bekämpfung. Die Clinton-Administration hatte ihr eine besondere Priorität zugemessen. Sie hatte eine Hauptquelle des internationalen Terrorismus im Iran gesehen, deswegen der amerikanischen Wirtschaft den Handel mit diesem Lande untersagt und die Alliierten, insbesondere die Bundesrepublik, aufgefordert, den gleichen Schritt zu tun. Im Sommer 1996 haben Repräsentantenhaus und Senat dieser Politik Gesetzeskraft verliehen. Ausländische Firmen, die im Iran oder in Libyen investieren, müssen mit amerikanischen Boykottmaßnahmen rechnen Der Kampf gegen den Terrorismus wiegt in Washington so schwer, daß ihm auch die Solidarität und Freundschaft mit den europäischen Partnern untergeordnet werden. Stellt sich jetzt aber heraus, daß der Terrorismus im Nahen Osten kein internationales, etwa dem Gegensatz zwischen Israel und dem Iran entspringendes Phänomen, sondern das Resultat innerarabischer, gegen die Politik der arabischen Regierungen gerichteter Verwerfungen ist, müßte die gesamte gegen den Terrorismus gerichtete Strategie neu überdacht werden. Schon der Anti-Terrorismusgipfel, den die USA und Israel am März 1996 in Sharm ashSheikh am Roten Meer einberufen hatten, wurde von den arabischen Regierungen umfunktioniert in ein Gipfelgespräch über die politischen Ursachen der Gewaltanwendung im Nahen Osten. Die internen Spannungen in den arabischen Ländern werden in Washington inzwischen höher veranschlagt als die vom Iran oder selbst vom Irak ausgehenden Gefahren 13. Der Iran erscheint dann nicht notwendigerweise in einem freundlicheren, aber doch politisch in einem anderen Licht Die offene Desavouierung der amerikanischen Boykottdrohung durch die Türkei, die unter Führung des islamischen Ministerpräsidenten Erbakan im August 1996 ein Ölgeschäft mit dem Iran vereinbarte, müßte dann anders bewertet werden. Der Clinton-Administration stellt sich eine ebenso schwierige wie heikle Aufgabe.

IV. Probleme in Asien und im Pazifik

Im asiatisch-pazifischen Raum war die Clinton-Politik mit einer ebenso flexiblen wie entschiedenen Politik erfolgreich. Ihr Zentrum wird nach wie vor von den Verteidigungs-und Freundschaftsverträgen mit Japan, Thailand, Südkorea, den Philippinen und vor allem Australien gebildet; darüber erhebt sich das Netz der politischen Beziehungen zu den Staaten der Region. Clinton hat auch die Abneigung seiner Vorgänger gegen den regionalen Multilateralismus übernommen. Zwar haben die USA inzwischen das Protokoll des Vertrages von Rarotonga unterschrieben; aber dem am Dezember 1995 unterzeichneten Vertrag, mit dem Burma, Kambodscha und Laos zusammen mit den ASEAN-Staaten Südostasien zur nuklearwaffenfreien Zone erklärten, stimmte die Clinton-Administration nur sehr bedingt zu. Sie bewertete die darin liegenden möglichen Beschränkungen ihrer militärischen Bewegungsfreiheit höher als die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen, der dieser Vertrag zweifellos dient. Auch die Einrichtung des Asian Regional Forum (ARF), mit dem die ASEAN-Staaten ihren Zusammenschluß zum Kern einer 1996 einundzwanzig Mitglieder -darunter auch die Europäische Union -umfassenden Organisation erweitert haben, wurde von den USA nur sehr zögerlich begrüßt. Ihre Reserve verstärkte sich noch, als die Außenminister auf dem dritten Treffen dieser 1994 gegründeten Organisation, im Juli 1996 in Jakarta, die Zulassung Burmas als Beobachter -und damit perspektivisch als Vollmitglied -beschlossen hatten und sich dabei über amerikanische Einwände hinwegsetzten. Washington wollte die Isolierung des Landes wegen seiner Menschenrechtsverletzungen fortgesetzt sehen.

In der Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) arbeitet die Clinton-Administration weiterhin aktiv mit. Über ihrem zunehmenden Interesse an den wirtschaftlichen Möglichkeiten dieser Region mit ihren Big Emerging Markets (BEM) vernachlässigte sie dabei nicht die sicherheitspolitische Bedeutung der Region. Grundlage dafür bildet das im Februar 1995 vom Pentagon veröffentlichte Dokument über die „United States Security Strategy for the East Asia-Pacific Region“ 15. Es betonte die Kontinuität der militärischen Präsenz der USA im Pazifik, schrieb die Anzahl der dort stationierten amerikanischen Soldaten mit 100 000 erneut fest. Damit sollten die Furcht vor einem möglichen amerikanischen Rückzug und die darauf basierende enorme Aufrüstung der Region eingedämmt werden.

V. Die Japan-Politik

Als Präsident Clinton im April 1996 seinen eigentlich für den November 1995 vorgesehenen, dann abrupt verschobenen Staatsbesuch in Tokio absolvierte, beschlossen die USA und Japan, die Richtlinien für die Verteidigungskooperation von 1978 zu revidieren. Japan sagte zu, künftig eine aktivere Rolle über die Verteidigung hinaus zu spielen, nicht nur die Logistik der amerikanischen Truppen in Friedenszeiten zu sichern, sondern auch mit ihnen zu kooperieren, sollte es in der Region zum Krieg kommen.

Die gemeinsame Erklärung von Präsident Clinton und Ministerpräsident Hashimoto sprach offen, wenn auch in allgemeinen Wendungen, von der erweiterten Rolle, die Japan innerhalb des amerikanisch-japanischen Bündnisvertrages spielen sollte Diese neue Verabredung wird nur sehr langsam und in einem großen Zeitraum umgesetzt werden, um die anderen asiatischen Staaten nicht zu beunruhigen. Japans Imperialismus ist dort noch in unguter Erinnerung. In Japan aber hat diese Erklärung offensichtlich das politische Tabu durchbrochen, das eine Diskussion über eine größere sicherheitspolitische Rolle Japans bisher verhindert hat.

Erleichtert wurde der Durchbruch vom unruhigen Verhalten Nordkoreas, das im April 1996 sogar das Waffenstillstandsabkommen mit Südkorea aufkündigen wollte und offen von militärischen Aktionen sprach. Von größerem Einfluß auf die innerjapanische Entwicklung war zweifellos der Blick nach China sowie dessen zunehmende wirtschaftliche Stärke und Aufrüstung.

Für die USA kam hinzu, daß ihre militärische Präsenz auf Okinawa, ihrem bedeutendsten Stützpunkt in der Region, nicht mehr unangefochten ist. Australien bereitet sich schon darauf vor, bestimmte Funktionen von Okinawa zu übernehmen. Um so wichtiger muß es Washington erscheinen, daß Japans eigene sicherheitspolitische Leistung zunimmt.

Washington bemühte sich, sowohl die Lage auf der koreanischen Halbinsel als auch die zwischen China und Taiwan zu entschärfen. Als Nordkorea im Frühjahr 1993 angekündigt hatte, den Nichtverbreitungsvertrag für Nuklearwaffen zu verlassen, reagierte Washington sehr geschmeidig mit einer Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie und nicht mit der von den „Falken“ immer wieder geforderten gewaltsamen Counterproliferation. So konnte am 21. Oktober 1994 in Genf das „Agreed Framework“ zwischen den USA und der Demokratischen Volksrepublik Korea abgeschlossen werden Darin erklärte sich Nordkorea bereit, seine Verpflichtungen aus dem Atomsperrvertrag zu erfüllen. Um zu verhindern, daß das von Armut geschüttelte Land -dessen langjähriger Staatspräsident Kim Il-Sung am 8. Juli 1994 gestorben war, woraufhin die innenpolitische Lage sich zusätzlich destabilisierte -sich aus lauter Verzweiflung in einen Krieg gegen Südkorea stürzte, wandte Washington eine assoziative Strategie an. Es offerierte im Juni 1996 eine Lebensmittelhilfe in Höhe von 6, 2 Mio. US-Dollar und eröffnete den politischen Dialog mit Nordkorea, um das Land aus seiner Isolation und damit auch aus seiner feindseligen Haltung zu locken.

VI. China und Taiwan

Eine ähnlich geschmeidige Politik verfolgte die Clinton-Administration gegenüber China. Zwar sieht sie im Aufstieg dieses Landes zu einer wirtschaftlichen und militärischen Vormacht in Asien die eigentliche Gefährdung der Region; China gilt mittel-und langfristig als der entscheidende Bezugspunkt der amerikanischen Asien-Politik. Die dahinter stehenden Sorgen Washingtons werden von vielen asiatischen Staaten geteilt, zumal Beijing in der Auseinandersetzung um die Spratly-Inseln die Oberhoheit über die gesamte Südchinesische See zu reklamieren versucht. Nicht zuletzt um diesen Anspruch zu konterkarieren, hat Indonesien im September 1996 Militärmanöver in diesem Gebiet abgehalten.

Ebenso besorgniserregend entwickeln sich die chinesisch-taiwanesischen Beziehungen. 1995 und 1996 eskalierten die wechselseitigen Provokationen und Drohgebärden zwischen den beiden Ländern derart, daß ein Krieg nicht mehr ausgeschlossen werden konnte. Im Zusammenhang mit den taiwanesischen Präsidentschaftswahlen zog China im Januar 1996 Truppen an der Gegenküste Taiwans zusammen und veranstaltete bedrohliche Marinemanöver. Die USA reagierten darauf angemessen und traditionell mit der Entsendung der siebenten amerikanischen Flotte. Sie fuhr zwar nicht in die Straße von Taiwan ein, kam ihr aber nahe genug, um auf Beijing abschreckend und auf Taipeh beruhigend zu wirken.

Obwohl sich das amerikanisch-chinesische Verhältnis im Sommer 1996 wieder zu verschlechtern begann, weil die USA erneut einem hochrangigen taiwanesischen Politiker ein Visum für die USA erteilt und Taiwan die Lieferung von Flugabwehrraketen in Aussicht gestellt hatten, bemühte sich die Clinton-Administration um gute und kooperative Beziehungen zur Volksrepublik. Sie gab die lange verfolgte Strategie auf, die Menschenrechte in China dadurch zu fördern, daß von ihrer Einhaltung die Meistbegünstigung abhängig gemacht wurde. Clinton trat für eine Trennung der beiden Bereiche ein und setzte sie gegenüber dem republikanisch beherrschten Kongreß, der jetzt die früher von den Demokraten vertretenen Positionen verfocht, auch durch. Am 27. Juni 1996 scheiterte der diesjährige Versuch der Republikaner, die vom Weißen Haus beschlossene Verlängerung der Meistbegünstigung zu Fall zu bringen Zuvor hatte China mit dem erneuten Versprechen, gegen die illegale Produktion von CDs und den Diebstahl geistigen Eigentums der Amerikaner nunmehr endgültig und erfolgreich vorzugehen die unendlich scheinende Abfolge amerikanischer Sanktionsandrohungen und ihrer Zurücknahme in letzter Minute beendet.

Clintons Sicherheitsberater, W. Anthony Lake, reiste im Juli 1996 nach Beijing; es war, wie man dort befriedigt feststellte, der erste Besuch eines so hochrangigen Politikers seit 1989. Die Clinton-Administration entschloß sich zur assoziativen Strategie eines „konstruktiven Dialogs“, weil das dissoziative Gegenstück, die Erzwingung, sein Ziel ganz offensichtlich verfehlt hatte. Mit diesem Strategiewandel erkannte Washington nicht nur die bedeutende politische Rolle an, die China in Asien gegenüber Nordkorea, in der Welt im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, bei der Nichtverbreitung der Nuklearwaffen durch seine Zustimmung zum umfassenden Teststoppvertrag in Genf gespielt hatte. Washington reagierte auch auf die Kritik, die seine indirekte Unterstützung der Ansprüche Taiwans und Tibets auf Selbständigkeit bei den asiatischen Verbündeten erfahren hatte. Selbst Australien, die Philippinen und Singapur machten deutlich, daß diese Einmischungsversuche in die inneren Angelegenheiten Chinas von ihnen nicht unterstützt werden würden.

Vor allem aber reflektierte der Wandel der amerikanischen Politik die Einsicht, daß Kooperation und kritischer Dialog sehr viel besser als äußerer Zwang geeignet sein könnten, die Lage der Menschenrechte in China zu verbessern. Diese Aufgabe wird von den Vereinigten Staaten außerordentlich ernst genommen. Sie setzten aber im Sommer 1996 auf eine langfristige Zusammenarbeit als einzig erfolgversprechende Strategie. Mit der wirtschaftlichen Entwicklung, so lautete die These, wird sich auch das Niveau der politischen Freiheit heben.

Die Richtigkeit dieser Annahme konnten die USA im Sommer 1996 in Indonesien überprüfen. Dort hatte die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Demokratisierungsbestrebungen ausgelöst, deren Erfüllung entwicklungspolitisch notwendig war, aber auf den Widerstand des herrschenden Präsidenten Sukarno stieß. In. Südkorea, Taiwan und Singapur zeigte sich ebenfalls, daß der Zusammenhang zwar richtig, seine Umsetzung in politische Evolution jedoch schwierig ist.

Der konzeptuell richtige Wandel der amerikanischen China-Politik ist um so höher zu bewerten, als er im Jahr eines Präsidentschaftswahlkampfes stattfand. In der Regel haben die Präsidenten ihre Wiederwahlchancen durch Verschärfung der außenpolitischen Konfliktlagen zu fördern versucht. Präsident Clinton tat das Gegenteil, sorgte sich um die Beruhigung auswärtiger Konfliktlagen, verwandte assoziative, nicht konfrontative Strategien. Ihr Stellenwert in der amerikanischen Asien-Politik wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen.

In den Augen Beijings hat sie schon jetzt eine Kehrseite, nämlich die neuerlichen Verabredungen zu verstärkter militärischer Zusammenarbeit mit Australien und Japan. Canberra hat sich nach dem Wahlsieg einer konservativen Koalition im März 1996 einer stärkeren militärischen Zusammenarbeit mit den USA bereitwillig geöffnet und damit die Konfiguration der Macht im Pazifik verändert. Die lange Jahre herrschende Labour-Regierung, vor allem ihr Außenminister Evans, hatte sich dagegen eher für Kooperation und Entspannung, für wirtschaftliche Zusammenarbeit eingesetzt. Premierminister John Howard hingegen schickte einen australischen Minister zu einem „inoffiziellen“ Besuch nach Taiwan. In China wird jedenfalls offen von einer Einkreisungspolitik, von einer Politik des Containment durch Washington gesprochen.

Die Frage, welche langfristigen Ziele die amerikanische Weltpolitik verfolgt, kann nicht durch eine Addition ihrer konkreten Politiken in den Regionen und gegenüber den einzelnen Staaten beantwortet werden. Aufschluß darüber ergeben auch nicht unbedingt die programmatischen Äußerungen der politischen Führung, weil sie unverkennbar der Selbstdarstellung dienen, Bilder erzeugen, deren Verbreitung erwünscht ist. Verläßlicher ist der Blick auf die'Mittel und Instrumente, die sich ein Land zur Ausführung seiner Außenpolitik verschafft. Wie die amerikanische Weltpolitik aussieht, welche Ziele sie verfolgt, muß daher auch -wenn nicht sogar vor allem -am Rüstungshaushalt abgelesen werden.

VII. Rüstung zwecks Weltführung?

Wenn es auch immer mit den Notwendigkeiten der Verteidigung begründet wird, so geht es doch unverkennbar weit über deren Größenordnungen hinaus. Wenn das Verteidigungsbudget der USA auf einer Höhe gehalten wird, die sogar die übersteigt, die während der Hochzeit des Kalten Krieges eingehalten wurde, dann dient dies nicht der Verteidigung, sondern soll die Politik einer Weltführungsmacht instrumentieren. Die USA bestreiten fast 40 Prozent der Verteidigungsausgaben der ganzen Welt, sie geben dafür mehr aus als alle Staaten außerhalb der NATO. Obwohl keine militärische Bedrohung ihrer Sicherheit erkennbar ist, orientierte sich die Überprüfung ihrer militärischen Kapazitäten in der „bottom-up review“ von 1993 an der Fähigkeit, zwei große regionale Kriege gleichzeitig führen zu können. Daß die Eintritts-wahrscheinlichkeit einer solchen Notwendigkeit sehr gering ist, deutet erneut darauf hin, daß mit der überstarken militärischen Potenz der USA auch andere Ziele verfolgt werden als die der Landesverteidigung, auch der Verteidigung ihrer Interessen.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde das Verteidigungsbudget natürlich gekürzt. Es sank, in konstanten US-Dollar berechnet, von 1985 bis 1995 um 35 Prozent Der Anteil'des Verteidigungsbudgets am Bruttoinlandsprodukt lag 1996 bei vier Prozent. Die Zahl der aktiven Soldaten wurde ebenfalls um ein Drittel verringert, von 2, 2 Millionen auf 1, 45 Millionen 1996. Die Ausgaben für die Erforschung und Entwicklung sowie für die Beschaffung neuer Waffen wurden noch drastischer gekürzt, nämlich um rund 57 Prozent.

Die von Präsident Clinton für das Haushaltsjahr 1996 verlangten 235 Mrd. US-Dollar -die das Repräsentantenhaus noch um elf Mrd. US-Dollar erhöhen wollte -sind aber selbst für die genannten Zwecke zu hoch. Der Verteidigungshaushaltsexperte Lawrence Korb hielt sogar 220 Mrd. US-Dollar für übertrieben Für das Haushaltsjahr 1997 hat Präsident Clinton 256, 3 Mrd. US-Dollar angefordert, die vom Senat nochmals um 11, 3 Mrd. aufgestockt werden sollen. Es müssen also andere Gründe gesucht werden, die die exorbitante Höhe der Verteidigungsaufwendungen auch der Clinton-Administration rechtfertigen.

Neben der Bereitstellung der notwendigen Verteidigungspotentiale dient das Verteidigungsbudget auch der Arbeitsbeschaffung. In den Augen der Republikaner hat es seit Ronald Reagans Zeiten die Aufgabe, verstärkt Budgetmittel zu absorbieren, die der Sozialpolitik gedient haben und jetzt der Weltführungspolitik der USA zugeführt werden sollen. Statt das Verteidigungsbudget bei den rund 173 Mrd. US-Dollar (in konstanten US-Dollar von 1987) zu belassen, die es 1976 umfaßt hatte, war es unter Ronald Reagan fast verdoppelt worden. 1, 84 Bill. US-Dollar haben die amerikanischen Steuerzahler umsonst bezahlen müssen, wie ein Kritiker berechnet hat Sie dienten jedenfalls nicht in erster Linie der Abwehr der sowjetischen Bedrohung, sondern der Instrumentierung amerikanischer Macht und ihrer globalen Einsetzbarkeit. Nachdem sich die USA 1945 entschlossen hatten, die bis 1939 geltende Isolation umzuwandeln in eine Weltführungsposition, hatten die Streitkräfte auch immer die Funktion, diesen Anspruch auszudrücken und notfalls umzusetzen.

So wird man, ohne die Funktion der Arbeitsbeschaffung allzu gering achten zu wollen, die Beibehaltung eines übergroßen Rüstungshaushalts deuten müssen. Er dient der Verwirklichung eines Weltführungsanspruches, der es auch gebietet, das Aufkommen einer rivalisierenden Großmacht global zu verhindern. Unter den fünf vitalen nationalen Interessen der USA, die eine überparteiliche „Kommission für die nationalen Interessen Ameri-kas“ im Sommer 1996 festlegte, rangiert gleich nach der Verhinderung und Abschreckung eines Angriffs auf die USA die Verhinderung des Aufstiegs einer rivalisierenden Hegemonialmacht in Europa und Asien

Jede Hegemonialmacht muß naturgemäß feindlich sein, weil sie den amerikanischen Führungsanspruch schmälert, nach klassischer realpolitischer Anschauung einen Hegemonialkonflikt beginnen wird. In Washington wird dabei natürlich in erster Linie an China, in zweiter an Rußland gedacht; im Pentagon wurden in einer früheren Studie auch Deutschland und Japan erwähnt. Der Historiker Melvyn Leffler nannte als Leitbegriff der amerikanischen Weltpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, daß es weder einem integrierten Europa noch einem vereinigten Deutschland, noch einem unabhängigen Japan erlaubt sein dürfte, sich zur dritten Kraft zu entwickeln

In diesen, aus einer vordemokratischen Epoche stammenden, mit dem außenpolitischen Selbstverständnis einer entwickelten Demokratie kaum zu vereinbarenden Auffassungen von der Notwendigkeit globaler Hegemonie ist der dritte Grund zu finden, der den Wandel in der Außenpolitik Clintons erklärt. Er ergab sich aus der innenpolitischen Konstellation heraus und wurde von den europäischen Alliierten eingefordert. Er wurde aber ganz offensichtlich auch von den in der politischen Klasse und der politischen Bürokratie der USA inkorporierten, in vierzigjähriger Praxis erprobten Anschauungen erzwungen, denen sich zwar noch der Kandidat, aber nicht mehr der Präsident Bill Clinton entziehen konnte.

Sein Amt lehrte ihn, daß eine Großmacht sich durch die Macht nach außen definiert und nicht durch gesellschaftliche Stärke im Inneren. Das war das Gegenteil dessen, was der Präsidentschaftskandidat Bill Clinton -zu Recht -als die eigentliche politische Herausforderung einer großen Demokratie angesehen hatte: die Existenzentfaltung ihrer Bürger und die Ausstrahlung solcher Leistungen in die internationale Umwelt. Residuale Reste davon sind in der Weltpolitik Clintons noch immer zu erkennen. Im Kontrast zu den außenpolitischen Programmen der Republikanischen Partei, wie sie sowohl im Kongreß wie auf dem Wahlparteitag in San Diego im August 1996 verkündet worden sind, erscheinen diese Reste größer und glanzvoller, als sie es wahrscheinlich noch sind.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu den Anfängen der Clinton-Administration vgl. Ernst-Otto Czempiel/Kerstin Dahmer/Mathias Dembinski/Kinka Gehrke, Die Weltpolitik der USA unter Clinton. Eine Bilanz des ersten Jahres. HSFK-Report 1 — 2/1994, Frankfurt 1994. Eine ausführliche Darstellung der folgenden beiden Jahre, bis Anfang 1996, habe ich unter dem Titel: „Rückkehr in die Führung: Amerikas Weltpolitik im Zeichen der konservativen Revolution" als HSFK-Report 4/1996, Frankfurt 1996, veröffentlicht.

  2. Zur Außen-und Innenpolitik der Reagan-Administration vgl. Ernst-Otto Czempiel, Machtprobe. Die USA und die Sowjetunion, München 1989.

  3. Vgl. Berthold Meyer/Harald Müller/Hans-Joachim Schmidt, NATO ’ 96: Bündnis im Widerspruch, HSFK-Report 3/1996, Frankfurt 1996.

  4. Vgl. Richard N. Haass, Paradigm Lost, in: Foreign Affairs, 74 (1995) 1, S. 53.

  5. Siehe dazu die ausführliche Darstellung von Thomas W. Lippman/Ann Devroy, How Clinton Decided That U. S. Had to Lead in the Balkans, in: International Herald Tribune vom 12. September 1995.

  6. Vgl. Marie-Janine Calic, Das Abkommen von Dayton. Chancen und Risiken des Friedensprozesses im ehemaligen Jugoslawien, SWP-AP 2948, Ebenhausen 1996.

  7. Vgl. Congress Report, 12/1995, S. 1.

  8. Vgl. ebd., S. 6.

  9. Vgl. die Dokumentation in: U. S. Information and Texts, Nr. 93 vom 14. September 1993, S. 3-20.

  10. Vgl. Helmut Hubel, Das Ende des Kalten Krieges im Orient, München 1995.

  11. Vgl. die Analyse von Kerstin Dahmer, Der Friedensprozeß im Nahen Osten. Ein historischer Anfang, HSFK-StandPunkt, 1 (1994).

  12. Vgl. Congress Report, 6/1996, S. 2; Congress Report. 7/1996, S. 1 ff.

  13. Vgl. International Herald Tribune vom 15. August 1996.

  14. Vgl. Johannes Reissner, Der Iran auf dem Weg zu einer Regionalmacht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/96, S. 32 ff.

  15. Chalmers Johnson/E. B. Keehn, The Pentagon’s Ossified Strategy, in: Foreign Affairs, 74 (1995) 4, S. 103 ff.

  16. Vgl. International Herald Tribune vom 18. April 1996 und 14. Mai 1996.

  17. Text in: U. S. Information and Texts, Nr. 102 vom 24. Oktober 1994, S. 9f.

  18. Vgl. Congress Report, 7/1996, S. 6.

  19. Vgl.den Inhalt des amerikanisch-chinesischen Abkommens in: International Herald Tribune vom 19. Juni 1996.

  20. Vgl. Stephan Daggett, Appropriations for Fiscal Year 1996; Defense, Washington, Congressional Research Service, Oktober 1995, S. 4 ff.

  21. Vgl. Lawrence J. Korb, Our Overstuffed Armed Forces, in: Foreign Affairs, 74 (1995) 6, S. 23.

  22. Vgl. Sell Mead, The Two Trillion Dollar Mistakc, in: Worth, Februar 1996, S. 78-83, 128 f.

  23. Zitiert nach Klaus-Dieter Frankenberger, Was sind die nationalen Interessen? Ein Versuch, die amerikanische Außenpolitik neu zu formulieren, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. August 1996, S. 10.

  24. Zitiert nach Benjamin Schwarz, Why America Thinks It Has to Run the World, in: The Atlantic Monthly, Juni 1996, S. 101.

Weitere Inhalte

Ernst-Otto Czempiel, Dr. phil., geb. 1927; Vorstandsmitglied der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung (HSFK), Frankfurt a. M.; Professor emeritus für Auswärtige und Internationale Politik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt a. M. Zahlreiche Veröffentlichungen zu außenpolitischen Fragen. Zuletzt erschien: Die Reform der UNO. Möglichkeiten und Mißverständnisse, München 1994.