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Alternde Gesellschaft in Deutschland. Eine bevölkerungsstatistische Analyse | APuZ 35/1996 | bpb.de

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APuZ 35/1996 Alternde Gesellschaft in Deutschland. Eine bevölkerungsstatistische Analyse Alternde Bevölkerung -veraltender Sozialstaat? Demographischer Wandel als „Politik“ Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Stand und Perspektiven Situation und Perspektiven der Alterserwerbsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland

Alternde Gesellschaft in Deutschland. Eine bevölkerungsstatistische Analyse

Juliane Roloff

/ 14 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit Jahren steigt in Deutschland stetig die Zahl der alten und sehr alten Menschen sowie deren Anteil an der Gesamtbevölkerung. Die Ursachen für diesen demographischen Alterungsprozeß sind in der Entwicklung der drei Hauptdeterminanten der Bevölkerungsentwicklung -Geburtenniveau, Sterblichkeit, Wanderung -zu sehen. Das demographische Altern der Bevölkerung wird sich auch in Zukunft verstärken. Innerhalb der nächsten 30 bis 40 Jahre wird der Anteil der Menschen, die 60 Jahre alt und älter sind, an der Gesamtbevölkerung auf etwa über ein Drittel steigen. Es ist zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß sich die zukünftigen Alten von den heutigen unterscheiden werden. Unter der Voraussetzung einer weiter sinkenden Heiratsneigung und wachsenden Zahl an Ehescheidungen werden zukünftig mehr ältere Menschen Alleinstehende sein. Damit verbunden wird sich der Trend zu Einpersonenhaushalten verstärken, wobei alleinstehend nicht unbedingt alleinlebend bedeutet. Die Alten der Zukunft werden eine vergleichsweise höhere Schul-und berufliche Bildung aufweisen und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit bessere Chancen zur Bewältigung ihres Lebens im Alter haben. Dies zu gewährleisten ist nicht zuletzt auch Aufgabe einer zukunftsorientierten Alten-und Rentenpolitik.

I. Die demographische Alterung -gestern und heute

Tabelle: 60jährige und ältere Frauen und Männer in Deutschland -gestern und heute Quelle: Daten des Statistischen Bundesamtes; eigene Berechnungen.

Die Problematik der demographischen Alterung ist in Deutschland -nicht zuletzt infolge der gegenwärtigen Rentendiskussion -zunehmend in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses gerückt. Was heißt dies überhaupt: „Unsere Gesellschaft altert“? Welches sind hierfür die Ursachen? Der vorliegende Beitrag soll hierüber Aufschluß und zudem einen kurzen Überblick über mögliche Veränderungen in den Haushalts-und Familienstandsstrukturen sowie Bildungsstrukturen der alternden Gesellschaft geben.

Abbildung 6: Der Alterungsprozeß in der Welt (Anteil der 60jährigen und älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung in Prozent) Quelle: UN World Prospects 1995 (mittlere Variante); eigene Darstellung.

Der Prozeß des demographischen Alterns ist schon seit vielen Jahrzehnten in unserer Bevölkerungsentwicklung angelegt. Das heißt, daß seit Jahrzehnten die Zahl älterer und alter Menschen stetig wächst und somit eine Strukturverschiebung im Altersaufbau der Bevölkerung zugunsten der höheren Altersgruppen stattfindet. Lebten zu Beginn unseres Jahrhunderts rd. 4 Millionen Menschen in Deutschland, die 60 Jahre alt und älter waren, hat sich deren Zahl bis heute auf 16, 6 Millionen erhöht. Betrug ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung im Jahr 1900 nur knapp 8 Prozent, war 1993 bereits jeder fünfte der Bevölkerung 60 Jahre alt und älter. Allerdings verlief dieser Prozeß zwischen Frauen und Männern unterschiedlich. Während seit der Jahrhundertwende die Zahl der Männer ab 60 Jahren um das Dreifache stieg, machte dieser Zuwachs bei den gleichaltrigen Frauen das Vierfache aus. Über den gesamten betrachteten Zeitraum hinweg lag der weibliche Altenanteil höher als der männliche (vgl. Tabelle).

Abbildung 7: Ältere Menschen in Einpersonenhaushalten. Deutschland in den Jahren 1993 und 2040 Quelle: 8. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Variante 1); eigene Darstellung.

Als Ursachen für dieses zwischen Frauen und Männern unterschiedliche demographische Altern sind zum einen die gegenüber den Männern allgemein höhere Lebenserwartung der Frauen und zum anderen die Dezimierung der -vornehmlich jüngeren -Männerjahrgänge während der beiden Weltkriege 1914-1918 und 1939-1945 zu nennen.

II. Die Ursachen der demographischen Alterung/Geburtenentwicklung

Abbildung 1: Zusammengefaßte Geburtenziffern in West-und Ostdeutschland Quelle: Daten des Statistischen Bundesamtes; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung; eigene Darstellung.

Eine der entscheidenden Ursachen des demographischen Alterungsprozesses ist der säkulare Geburtenrückgang, der in Deutschland etwa im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts einsetzte. Er ist das Ergebnis veränderter Kinder-zahlen je Frau. Wurden in den Jahren 1871-1880 von einer Frau, die ihre gebärfähige Phase voll erlebt hat, demnach 45 bis 50 Jahre alt wurde, im Schnitt fünf Kinder lebend geboren, waren es 1935 nur noch zwei Kinder je Frau Als einer der Hauptgründe hierfür muß der infolge der Industrialisierung gesunkene „ökonomische Wert“ von Kindern für ihre Eltern angesehen werden. Die wirtschaftlichen Motive für die Geburt von Kindern -wie etwa die familiale Absicherung im Alter oder bei Krankheit der Eltern -entfielen mit der Herausbildung von wohlfahrtsstaatlichen Systemen.

Betrachtet man nunmehr die Entwicklung der zusammengefaßten Geburtenziffern je Frau, das heißt die durchschnittliche Zahl der Lebendgeborenen je Frau, in den Jahren ab 1950, kann man feststellen, daß sowohl im früheren Bundesgebiet als auch in der DDR seit Anfang der siebziger Jahre das Niveau der zusammengefaßten Geburtenziffern insgesamt weiter gesunken ist (vgl. Abbildung 1). War in beiden deutschen Staaten bis Anfang der siebziger Jahre die Zahl der Geburten je Frau ausreichend genug, um den einfachen Generationenersatz zu gewährleisten -das heißt die durchschnittliche Geburtenzahl lag über 2, 10 so war dies in den Jahren danach nicht mehr der Fall. So sank die durchschnittliche Geburtenzahl je Frau von 2, 02 im früheren Bundesgebiet bzw. von 2, 19 in der DDR (1970) auf 1, 39 bzw. 1, 56 (1989).

Während in den alten Bundesländern das Niveau der zusammengefaßten Geburtenziffern in den darauffolgenden Jahren fast konstant blieb, sank es in den neuen Bundesländern seit dem Jahr der Wende 1989 um ein Vielfaches: bis 1993 auf 0, 77 Geburten je Frau, daß heißt auf den bis dato niedrigsten Wert.

Die Gesamtzahl der Lebendgeborenen sank in den neuen Bundesländern innerhalb von vier Jahren (1989 bis 1993) von 198 922 auf 80 532, das heißt um 60 Prozent. Vorläufige Ergebnisse des Jahres 1994 belegen einen weiteren Rückgang der Zahl der Lebendgeborenen -auf 78 698 bzw. um 2, 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auf die Ursachen für diesen starken Geburtenrückgang hier näher einzugehen, möchte ich an dieser Stelle verzichten. Zahlreiche soziologische Untersuchungen deuten darauf hin, daß es sich bei den jungen ostdeutschen Frauen und Männern weniger um einen generellen Verzicht auf Kinder als vielmehr um einen zeitlichen Aufschub der Geburt des ersten bzw. weiterer Kinder handelt, der zweifelsohne auf die infolge des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandels in den neuen Bundesländern bestehende Unsicherheit bei vielen Menschen zurückzuführen ist. Es ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß sich -allein schon bedingt durch die nunmehr auch für die neuen Bundesländer geltenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf -das Verhalten zwischen den west-und ostdeutschen Frauen annähern wird. Zudem ist stark anzunehmen, daß sich der Trend zu durchschnittlich höchstens zwei Kindern auch in Zukunft weiter fortsetzen wird. Doch selbst ein Anstieg der Geburtenhäufigkeit auf ein Niveau, das den Generationenersatz wieder gewährleisten würde, ändert nichts an der Tatsache des demographischen Alterns Hierfür sind noch weitere Ursachen ausschlaggebend.

III. Lebenserwartung und Sterblichkeit

Abbildung 2: Lebenserwartung Neugeborener in Deutschland * DDR = 1952, 1961, 1971, 1981 Quelle: Daten des Statistischen Bundesamtes; eigene Darstellung.

Eine weitere wichtige Ursache für den demographischen Alterungsprozeß ist die stetige Zunahme der Lebenserwartung. Hatten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Neugeborene die Aussicht, durchschnittlich 37 Jahre alt zu werden, haben sie heute eine Lebenserwartung von 70 Jahren oder mehr (vgl. Abbildung 2). Auf das dort dargestellte unterschiedliche Niveau in der Lebenserwartung zwischen den früheren beiden deutschen Staaten soll hier nicht näher eingegangen werden

Die gestiegene Lebenserwartung ist hauptsächlich der stetigen Senkung der Säuglingssterblichkeit zu verdanken. Erreichten in den Jahren 1871-1880 von 1 000 Lebendgeborenen 765 ihr erstes Lebensjahr, waren es 1993 mit rd. 994 fast alle.

Der demographische Alterungsprozeß ist jedoch letztendlich davon abhängig, wie viele Menschen alt, das heißt in unserem Sinne 60 Jahre alt und älter werden. Erreichten z. B. Anfang dieses Jahrhunderts von 100 der neugeborenen Jungen 44 das Alter von 60 Jahren und 9 das Alter von 80 Jahren, waren es 90 Jahre später 84 von 100 neugeborenen Jungen, die das Alter von 60 Jahren vollenden konnten, und etwas über ein Drittel von ihnen wurde 80 Jahre alt. Bei den neugeborenen Mädchen liegen diese Werte höher: Von ihnen werden heute die meisten (92 Prozent) 60 Jahre alt und fast 60 Prozent vollenden ihr 80. Lebensjahr; zu Beginn des Jahrhunderts waren es nur etwas über die Hälfte bzw. 12 Prozent, die das 60. bzw. 80. Lebensjahr erreichten (vgl. Abbildung 3).

Daß die Wahrscheinlichkeit, alt zu werden, für Mädchen generell größer ist als für Jungen, wird auch anhand der altersspezifischen Lebenserwar tung deutlich. Werden die Jungen, die ihr erstes Lebensjahr vollendet haben, im Schnitt 72, 25 Jahre alt, können die gleichaltrigen Mädchen 78, 71 Jahre alt werden. Eine wissenschaftlich fundierte Erklärung für dieses Phänomen „höhere Überlebenschancen für Frauen als für Männer“ steht allerdings noch aus.

Die im Vergleich zu den Männern höhere Lebenserwartung und somit auch die höhere Zahl der Frauen, die das Alter von 60 Jahren und darüber erreichen, erklärt die eingangs getroffene Feststellung, daß das demographische Altern stärker für den weiblichen als für den männlichen Bevölkerungsteil zutrifft.

IV. Wanderungen

Abbildung 3: Sterblichkeit in Deutschland -gestern und heute Von 100 der Neugeborenen erreichten ein Alter von 60, 70, 80 oder 90 Jahren: Quelle: Daten des Statistischen Bundesamtes; eigene Darstellung.

Der dritte Einflußfaktor der demographischen Alterung ist die Wanderung. Abwanderungen können die demographische Alterung verstärken, Zuwanderungen dagegen abschwächen. In welchem Ausmaß dies geschieht, hängt von den Dimensionen der Wanderungen, in besonderem Maße aber von der Altersstruktur der Zu-bzw. Abwandernden ab. Abgesehen von einigen Ausnahmen wie in der DDR, aus der in den sechziger und siebziger Jahren vornehmlich Senioren abwanderten sind die Migranten in der Regel jüngere Menschen. So betrug zum Beispiel in Deutschland 1993 der Anteil der zwischen 18-und 40jährigen am gesamten Außenwanderungsgewinn rd. 54 Prozent.

Auch wenn Deutschland allein im Jahre 1993 rd. 404 000 Menschen, die nicht älter als 40 Jahre alt waren, über Wanderungen gewonnen hat (dies waren 86 Prozent des gesamten Wanderungsgewinnes in diesem Jahr), ändert dies nichts an der Tatsache, daß der demographische Alterungsprozeß weiter fortschreitet. Zuwanderungen können ihn bestenfalls aufhalten, aber nicht stoppen. Modellrechnungen von Reiner Dinkel und Uwe Lebok zeigen, „daß selbst bei jährlich 250 000 Zuwanderern mit dieser eher , günstigen 4 Alters-Struktur (15 bis 19 Jahre -die Verf.) die Alterung der gesamten Wohnbevölkerung erkennbar fortschreiten würde“

Eine Erklärung hierfür ist, daß die Zugewanderten mit der Zeit ihr Geburtenverhalten weitestgehend anpassen und zudem selbst alt werden.

V. Das Altern der Bevölkerung -ein prognostischer Ausblick

Abbildung 4: Entwicklung der Bevölkerungszahl in Deutschland 1990 bis 2040 Quelle: 8 koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Variante 1); eigene Darstellung.

Folgt man der 8. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes, wobei hier und im folgenden von der Variante mit dem geringsten angenommenen Wanderungssaldo von 100 000 ausgegangen wird werden im Pro-gnosejahr 2040 im Vergleich zu 1993 in Deutschland rd. 14 Millionen Menschen weniger leben. Zugleich werden es aber rd. 7 Millionen mehr Menschen sein, die dann 60 Jahre alt oder älter sind (Abbildung 4). Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Bevölkerung wird 35 Prozent betragen.

Würde man vergleichsweise von der Variante mit dem höchsten angenommenen Wanderungsgewinn von jährlich 300 000 Migranten ausgehen, würde dieser Altenanteil nur unwesentlich -zwei Prozentpunkte -niedriger liegen. Bei einer „Null-Wanderung“, wie sie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer seiner Modellrechnungen zugrunde legt, würde hier der Anteil der 60jährigen und älteren mit 39 Prozent höher liegen. An diesem Beispiel wird deutlich, daß Züwanderungen durchaus den Alterungsprozeß verlangsamen können.

Der voraussichtliche Bevölkerungsrückgang betrifft -zumindest bis zum Jahre 2030 -ausschließlich die Kinder, Jugendlichen und Menschen im erwerbsfähigen Alter. Als Folge davon ist mit einer Verdoppelung des Altenquotienten, der Relation zwischen Senioren und der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, zu rechnen. Kamen 1993 auf 100 der zwischen 20 und 60 Jahre alten Mensehen 35, die 60 Jahre alt und älter waren, werden es im Jahr 2040 voraussichtlich 71 sein.

Für die Absicherung der gegenwärtigen und zukünftigen Renten hat jedoch die Relation der Zahl der Senioren zu der der Erwerbstätigen einen höheren Aussagewert. In Anbetracht dessen, daß sich die zukünftige wirtschaftliche Situation, darunter die auf dem Arbeitsmarkt, über einen langen Zeitraum hinweg nur schwerlich einschätzen läßt, kann allerdings diese Kennziffer nicht zuverlässig ermittelt werden. Bei dem Erwerbsniveau des Jahres 1993 (rd. 42 Prozent der Bevölkerung waren zu diesem Zeitpunkt erwerbstätig) würden im Jahre 2040 100 Erwerbstätige für 83 Senioren aufkommen müssen (1993 waren es 48). Bei Berücksichtigung der derzeitig beabsichtigten Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch die Erhöhung des Rentenzugangs-bzw. Pensionsalters auf 65 Jahre wären 68 Senioren pro 100 Erwerbstätige zu erwarten, was jedoch die hohe Brisanz der wirtschaftlichen Folgen des demographischen Alterns nur unwesentlich mindert.

Das demographische Altern wird auch in den nächsten Jahrzehnten mehr die weibliche als die männliche Bevölkerung betreffen, worauf hier nicht näher eingegangen werden soll. An dieser Stelle sei nur ein Beispiel genannt: Werden im Jahr 2040 von 100 Frauen rd. 38 Frauen 60 Jahre alt und älter sein, wird der entsprechende Anteil älterer und alter Männer mit voraussichtlich rd. 32 Prozent nicht ganz so hoch liegen. Abbildung 5 zeigt die Auswirkung des demographischen Alterungsprozesses auf den Altersaufbau der Bevölkerung. Ähnelt der Altersaufbau der Bevölkerung im Basisjahr 1993 noch einem „ausgefransten“ Tannenbaum, weist er im Prognosejahr 2040 eher die Form einer Spindel auf, die durch die Kopflastigkeit der 70 Jahre alten und älteren Menschen bedingt ist. Geht man davon aus, daß sich das gegenwärtige Fertilitätsniveau auch in den kommenden Jahren/Jahrzehnten nicht wesentlich erhöhen wird, kann man erst ab etwa dem Jahre 2060 wieder mit einem ausgewogenen Altersaufbau der Bevölkerung rechnen. Dieser wird jedoch sehr „eingeschrumpft“ sein, wie es sich bereits bei den 0-bis 20jährigen Menschen im Jahre 2040 abzeichnet.

Der Prozeß des demographischen Alterns der Bevölkerung ist nicht nur auf Deutschland allein begrenzt. Er ist für alle Industrieländer charakteristisch und wird in Zukunft auch in den weniger entwickelten Ländern zu verzeichnen sein. Entsprechend den Modellrechnungen der UN-Demo-graphen wird der Altenanteil in den nächsten vier Jahrzehnten in den mehr entwickelten Ländern von 17, 6 Prozent (1990) auf 27, 7 Prozent, in den weniger entwickelten Ländern von 6, 9 Prozent auf 13, 7 Prozent steigen (siehe Abbildung 6).

VI. Haushalts-und Familienstands-struktur

Abbildung 5: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland Quelle: 8. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Variante 1); eigene Darstellung.

Wenn man sich ein Bild über den künftigen Verlauf des Alterungsprozesses machen möchte, ist es auch von Interesse zu fragen, wie sich die zukünftigen Alten von den heutigen unterscheiden werden. Denn es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß die Gesellschaft im 21. Jahrhundert nur noch bedingt mit der Gesellschaft von heute vergleichbar sein wird.

Im folgenden soll dies anhand der Darstellung der Haushalts-und Familienstands-sowie der Bildungsstrukturen der Alten von heute und morgen verdeutlicht werden. Für eine an den Bedürfnissen älterer Menschen ausgerichtete, vorausschauende Altenpolitik sind Informationen über die Haushalts-und Familienstandsstrukturen der zukünftigen älteren Generationen als Basis-bzw. Rahmen-daten von besonderer Bedeutung.

Für die älteren Menschen ist der Ein-bzw.der Zweipersonenhaushalt die wichtigste Haushalts-form. Mit rd. 87 Prozent lebte die überwiegende Mehrheit von ihnen 1993 in solchen Haushalten; davon war ein Drittel in Einpersonenhaushalten anzutreffen. Mit zunehmendem Alter leben jedoch immer mehr in Einpersonenhaushalten. Führten von den zwischen 60 und 65 Jahre alten Menschen 1993 16, 4 Prozent ihren Haushalt allein, war es von den 75jährigen oder älteren über die Hälfte (vgl. Abbildung 7). Daran wird sich auch in Zukunft nichts gravierend ändern.

Geht man von der Annahme aus, daß sich der seit Jahren bestehende Trend einer sinkenden Heiratsneigung und einer wachsenden Zahl von Eheschei düngen auch in Zukunft weiter fortsetzt, wird in Deutschland die Zahl der alleinstehenden älteren Menschen steigen. Da bekanntermaßen der Einpersonenhaushalt die dominante Lebensform der alleinstehenden Frauen und Männer im Alter ist, bedeutet dies, daß sich der Trend zu Einpersonenhaushalten verstärken wird. Dabei ist zu vermerken, und Abbildung 7 zeigt dies sehr deutlich, daß Einpersonenhaushalte, in denen ältere Menschen leben, vornehmlich Frauenhaushalte sind. Dies wird auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall sein, wobei allerdings auch mit einem prozentualen Anstieg des Anteils der älteren Männer, die allein einen Haushalt führen, zu rechnen ist. Meiner Vorausschätzung nach werden im Prognosejahr 2040 von allen Einpersonenhaushalten der Menschen, die dann 60 Jahre alt und älter sind, rd. 79 Prozent Frauenhaushalte sein. Und der überwiegende Teil von diesen werden Witwen-haushalte sein -rd. 72 Prozent.

Daß mehr ältere Frauen in Einpersonenhaushalten, dagegen mehr ältere Männer in Mehrpersonenhaushalten anzutreffen sind, ist durch die zwischen Frau und Mann unterschiedlichen Familienstände erklärbar. Wesentlich mehr Männer als Frauen sind im Alter noch verheiratet -1993 waren es fast 80 Prozent der 60jährigen und älteren Männer. Bei den gleichaltrigen Frauen dominiert dagegen der Witwenstand -fast die Hälfte von ihnen war verwitwet. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede setzen sich bis in die hohen Altersgruppen fort. Von den zwischen 70 und 80 Jahre alten Männern waren beispielsweise noch 80 Prozent verheiratet, von den Frauen dieses Alters nur ein Drittel, hingegen waren von ihnen über die Hälfte bereits Witwen.

Daß Frauen im allgemeinen älter werden als Männer und somit für sie die größere Wahrscheinlichkeit besteht, ihren Ehemann zu „überleben“, ist eine wesentliche Ursache für die geschlechtsspezifischen Familienstände. Zudem bleiben Frauen nach ihrer Verwitwung, aber auch Scheidung häufiger ohne einen neuen Lebensgefährten. Dagegen heiraten die Männer vielfach wieder bzw. gehen eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein. Von allen Verwitweten und Geschiedenen im Alter ab 60 Jahren, die 1993 wieder eine Ehe schlossen, waren rd. 72 Prozent Männer.

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Familienständen werden auch für die Alten der Zukunft relevant sein. Das heißt, daß entsprechend meiner Vorausschätzung ca. zwei Drittel der 60jährigen und älteren Frauen im Jahr 2040 allein-stehend sein werden. Dagegen werden wesentlich mehr Männer dieses Alters weiterhin verheiratet sein -ca. 74 Prozent. Und dies wird hier ebenso bis in das hohe Alter hinein gelten. Werden im Jahr 2040 zum Beispiel von den dann 75 Jahre alten und älteren Männern noch schätzungsweise 60 Prozent verheiratet sein, werden es von den gleichaltrigen Frauen mit ca. 4 Prozent verschwindend wenig sein. Es ist folglich davon auszugehen, daß der Status „alleinstehend“ auch in Zukunft vornehmlich die älteren, insbesondere die hochbetagten Frauen betreffen wird.

Man muß aber auch damit rechnen, daß nicht nur die Zahl der alleinstehenden Frauen, sondern auch die der alleinstehenden Männer in den nächsten Jahrzehnten steigen wird. Insgesamt wird entsprechend meiner Schätzung im Jahr 2040 fast die Hälfte der Menschen, die dann 60 Jahre alt und älter sein werden, alleinstehend sein. Alleinstehend sein muß nicht bedeuten, einsam zu sein. Entscheidend ist hier die Pflege und Aufrechterhaltung sozialer Kontakte. Von Interesse wäre in diesem Zusammenhang, die Entwicklung nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften von älteren Frauen und Männern näher zu durchleuchten. 1993 lebten von 100 der 60 Jahre alten und älteren nichtverheirateten Männer 10 nichtehelich mit einer Partnerin zusammen; bei den Frauen war dieser Anteil mit 2, 1 Prozent auffällig gering.

Es ist zu vermuten, daß das Leben in solchen Partnerschaftsformen auch für die Alten der Zukunft von Bedeutung sein dürfte -und dies wahrscheinlich in noch stärkerem Maße als bei den heutigen alten Menschen. Unterstützt wird diese These meines Erachtens dadurch, daß im Jahre 1993 zum Beispiel von den nichtverheirateten 40-bis 50jährigen Männern, die im Jahre 2020 zwischen 67 und 77 Jahre alt sein werden, 19, 4 Prozent in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebten. Mit 17 Prozent der nichtverheirateten Frauen dieses Alters war der Anteil derer, die nichtehelich mit einem Partner zusammenlebten, fast ebenso hoch. Unter diesem Aspekt sollte die bisher eher stiefmütterlich behandelte Thematik nichtehelicher Lebensgemeinschaften im Alter stärker in weitere Untersuchungen der ökonomischen und sozialen Wirkungen des demographischen Alterungsprozesses mit einbezogen werden.

Nicht nur hinsichtlich ihrer Haushalts-und Familienstandsstruktur werden sich die Alten der Zukunft von den heute lebenden älteren Menschen unterscheiden. Sie werden zudem eine vergleichsweise höhere Schul-und berufliche Bildung aufweisen. Dabei betrifft dieser Wandel vornehmlich die Frauen, die ja hinsichtlich ihrer Bildung sozusagen einen „Nachholbedarf“ hatten. Darauf soll im folgenden kurz eingegangen werden.

Gerade die heute 60 Jahre alten und älteren Frauen hatten in ihrer Kindheit und Jugendzeit im Vergleich zu den Männern wesentlich schlechtere Bildungschancen, was im damaligen traditionellen Geschlechterrollenverständnis begründet war. So haben nur 3 von 100 der heute lebenden älteren Frauen das Abitur. Dieser Anteil wird bei den älteren Frauen von morgen schätzungsweise um das Dreifache höher sein (gemeint ist hier und im folgenden das Prognosejahr 2030, da bei einer Hochrechnung bis zum Jahr 2040 bereits die jetzt unter 15jährigen mit berücksichtigt werden müßten, demzufolge mit einem hohen Unsicherheitsfaktor zu rechnen wäre).

Hinsichtlich ihrer beruflichen Bildungsabschlüsse werden die 60 Jahre alten und älteren Frauen in Zukunft ebenfalls eine positive Entwicklung aufweisen. Hat heute noch die Hälfte der älteren Frauen keinen beruflichen Abschluß, wird es -meiner Hochrechnung zufolge -in Zukunft nur etwa ein Viertel sein. Der Anteil der Frauen mit einem Hochschulabschluß wird von 2 Prozent auf ca. 10 Prozent steigen. Auch bei den Männern wird sich -bei ansonsten nicht so gravierenden Veränderungen ihres Bildungsniveaus -dieser Anteil von 10 Prozent auf ca. 17 Prozent erhöhen.

Man kann durchaus die These aufstellen, daß die zukünftigen Alten aufgrund ihrer gegenüber den Alten der Gegenwart günstigeren Lebens-und Bildungsbiographien bessere Chancen für die Bewältigung ihres Lebens im Alter haben werden. Es liegt jedoch nicht bei den Menschen allein, inwieweit sie diese Chance nutzen. Wichtig sind hier auch die Möglichkeiten, die ihnen die Gesellschaft bietet. Gefordert sind hier vor allem die Medien und nicht zuletzt die Politik. Und dies heißt, daß eine der gesellschaftlichen Konsequenzen des demographischen Alterungsprozesses die Abkehr von der gängigen Vorstellung „Alter = arm, krank und einsam“ sein muß.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Karl Schwarz, Kinderzahl der Frauen der Geburtsjahrgänge 1865-1955, in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 17(1991) 2.

  2. Vgl. Charlotte Höhn, Aktuelle Bevölkerungsfragen in Europa und in den anderen Industrieländern, in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 18 (1993) 4.

  3. Näheres hierzu siehe bei Juliane Roloff, Die Alten der Zukunft -Bevölkerungsstatistische Datenanalyse, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie und Senioren, Band 32, Bonn 1994, S. 14 ff.

  4. Vgl. ebd., S. 35 ff.

  5. H. Reiner Dinkel/Uwe Lebok, Könnten durch Zuwanderung die Alterung der Bevölkerung und die daraus resultierenden Zusatzlasten der Sozialen Sicherung aufgehalten oder gemindert werden?, in: Deutsche Rentenversicherung, (1993) 6, S. 388-400.

  6. Zu den Annahmen der Geburten-und Sterblichkeitsentwicklung und den übrigen Varianten siehe Bettina Sommer, Entwicklung der Bevölkerung bis 2040 -Ergebnis der achten koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, in: Wirtschaft und Statistik, (1994) 7, S. 497-503.

  7. Näheres hierzu bei J. Roloff (Anm. 3), S. 76 ff.

Weitere Inhalte

Juliane Roloff, Dr. oec., geb. 1945; Studium der Finanzwirtschaft in Berlin; freie wissenschaftliche Mitarbeiterin, Berlin. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Charlotte Höhn) Ausgewählte Aspekte der Lebenssituation älterer Frauen und Männer in West-und Ostdeutschland, in: Zeitschrift für Gerontologie, 27 (1994); Die Alten der Zukunft -Bevölkerungsstatistische Datenanalyse, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie und Senioren, Band 32, Bonn 1994.