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Rechtsextremismus und Wahlen in der Bundesrepublik | APuZ 11/1993 | bpb.de

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APuZ 11/1993 Krise oder Wandel? Zur Zukunft der Politik in der postindustriellen Moderne Ist die Kritik an den politischen Parteien berechtigt? Abkehr von den Parteien? Dimensionen der Parteiverdrossenheit Nichtwahl und Protestwahl: Zwei Seiten einer Medaille Rechtsextremismus und Wahlen in der Bundesrepublik

Rechtsextremismus und Wahlen in der Bundesrepublik

Richard Stöss

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Erfolg des organisierten Rechtsextremismus wird durch gesellschaftlich-politische Krisenerscheinungen und Umbruchsituationen begünstigt. Derartige Krisen und Umbrüche betreffen das System insgesamt, finden ihren Niederschlag also auch und vor allem im politischen System selbst. Wenn seine Institutionen und Führungsgruppen nicht imstande sind, die notwendigen Steuerungs-, Legitimations-und Integrationsleistungen zu erbringen und bei Teilen der Bevölkerung dadurch Unzufriedenheit entsteht, wachsen die Erfolgsaussichten des Rechtsextremismus. Rechtsextreme Parteien stellen hinsichtlich ihrer sozialen Basis heterogene Sammlungsparteien dar, deren Ausbreitung anfänglich durch regionale, konfessionelle und soziale Barrieren begrenzt war. Derartige Schranken bestehen gegenwärtig kaum noch. Die Anhänger des neuen Rechtsextremismus lassen sich nicht mehr durch sozialstrukturelle Kriterien von denen anderer Parteien abgrenzen. Maßgeblich sind heute neben den extrem rechten Grundorientierungen tiefgreifende politische Entfremdung und ökonomisch-soziale Deprivationsgefühle. Dies entspricht dem veränderten Charakter der gesellschaftlich-politischen Krisenerscheinungen und Umbruchsituationen, die den Erfolg des Rechtsextremismus begünstigen. Rechtsextreme Einstellungen ziehen nur im Ausnahmefall die Wahl rechtsextremer Parteien nach sich. Der parteipolitische Bezugspunkt des rechtsextremen Einstellungspotentials ist zuallererst die Union und im weiteren dann die Sozialdemokratie. Anders ausgedrückt: Der Rechtsextremismus ist überwiegend in das demokratische Spektrum des Parteiensystems integriert. Die Parteien des neuen Rechtsextremismus repräsentieren nur einen kleinen Teil des rechtsextremen Einstellungspotentials. Ihre Anhänger stehen ideologisch vergleichsweise weit rechts und sind mit den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnissen besonders unzufrieden.

I. Problemstellun

Mitglieder 3) (Höchststand) Wähler (Höchststand) Parlamentarische Mandate (insgesamt) 0) 1945-1965 76000 (1954) 1, 4 Mio. (B 1949) 87 1966-1982 39000 (1967) 1, 4 Mio. (B 1969) 61 seit 1983 55000 (1991) b) 2, 5 Mio. (E 1989) 45 B = Bundestagswahl E = Europawahl a) Alle Organisationen, b) Für 1992 liegen noch keine Angaben vor.

c) Nur Landesparlamente, Bundestag und Europaparlament.

Legt man den Legalbegriff des Parteiengesetzes von 1967 zugrunde, dann wurden in der Bundesrepublik bzw. in den drei Westzonen seit 1945 rund 40 rechtsextreme Parteien gegründet. Dabei handelt es sich zumeist um kurzlebige Zwerge am rechten Rand des Parteiensystems. Nur zehn Parteien ist es gelungen, parlamentarische Mandate auf Landes-oder Bundesebene zu erobern, und nur fünf davon brachten es auf eine nennenswerte Existenzdauer Die Erfolge rechtsextremer Parteien verteilen sich nicht gleichmäßig über die Jahre des Bestehens der Bundesrepublik, sondern konzentrieren sich auf drei eng begrenzte Zeiträume (1949-1952, 1966-1969, 1989ff.), die durch spezifische, den Rechtsextremismus begünstigende Entwicklungen gekennzeichnet waren

Abbildung 5: Rechtsextremisten unter den Parteianhängern (i. v. H.)

Daten: FUB ZISOWIFO -Berlin-BUS 1990

Der Konjunkturverlauf rechtsextremer Wahlergebnisse wird zunächst durch globale gesellschaftlich-politische Faktoren beeinflußt. Dabei wird die Bedeutung ökonomischer und sozialer Aspekte oft überschätzt. Wichtig ist nämlich, ob und wie sich derartige Probleme im politischen System auswirken. Autoritäre, nationalistische, antiegalitäre und völkische Rezepte gewinnen in der Regel erst dann massenhaften Zuspruch, wenn demokratische Methoden der Integration, Repräsentation und Konsensbildung versagen.

Diese gesamtgesellschaftlichen Faktoren bilden aber nur die klimatischen Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Rechtsextremismus. Entscheidend ist, ob sich die subjektiv empfundene Unzufriedenheit auch im individuellen Verhalten zugunsten des Rechtsextremismus niederschlägt (z. B. durch entsprechendes Wahlverhalten, Mitgliedschaft oder Unterstützung einer rechtsextremen Organisation). Dies ist nicht notwendigerweise der Fall. Mehr noch: Rechtsextreme Einstellungen müssen überhaupt nicht in rechtsextreme Aktivitäten münden, wie umgekehrt rechtsextreme Verhaltensweisen keineswegs entsprechende Einstellungen voraussetzen. Ein Befürworter des Nationalsozialismus könnte beispielsweise die CDU wählen (um einen Wahlerfolg der SPD zu verhindern), und ebensowenig läßt sich ausschließen, daß ein gestandener Sozialdemokrat aus Ärger über die Politik seiner Partei für die Republikaner votiert („Protestwähler“). Wir haben es also mit zwei Fragen zu tun: Was wählt der Rechtsextremist? Und: Wer wählt rechtsextreme Parteien?

Selbst wenn die gesamtgesellschaftlichen und die individuellen Voraussetzungen für rechtsextreme Wahlerfolge gegeben sind, bedeutet das noch nicht, daß diese oder jene rechtsextreme Partei viele Stimmen erhält. Auch hier gilt, daß Parteien interne Bedingungen erfüllen müssen, um externe Chancen zu nutzen. Sie können ihr Potential dauerhaft nur ausschöpfen, wenn sie -politische Kompetenz und Glaubwürdigkeit ausstrahlen;

-attraktive programmatische Alternativen und identifikationsfähige Ziele präsentieren;

-innere Geschlossenheit zeigen und organisatorische Zersplitterung vermeiden;

-populäre und respektable Personen in die Führungsgremien entsenden und -hinreichende Publizität in den Medien erhalten.

Das Thema „Rechtsextremismus und Wahlen“ erweist sich bei genauerer Betrachtung als vielschichtig. Ich kann hier aus Platzgründen nur einige Aspekte behandeln. Überdies mangelt es noch weithin an empirisch gesicherten Erkenntnissen. Zunächst betrachte ich die Wahlgeschichte des Rechtsextremismus vor dem Hintergrund seiner Erfolgsbedingungen in der Bundesrepublik. Sodann wird die Wählerschaft untersucht (wer wählt rechtsexteme Parteien?), und abschließend wende ich mich dem Verhältnis von rechtsextremen Einstellungen und Wahlverhalten zu (was wählt der Rechtsextremist?).

II. Wahlgeschichte des Rechtsextremismus

Abbildung 1: (Zweit-) Stimmenanteile der rechtsextremen Parteien bei Bundestags-und Europawahlen

Die Entwicklung des organisierten Rechtsextremismus in der Bundesrepublik läßt sich mit Blick auf die Wahlergebnisse und Mitgliederzahlen in drei Phasen (mit jeweils einem Erfolgsboom) einteilen:

Die erste Phase (1945-1965) bezeichne ich als Nachkriegsextremismus Nach Niethammer prägten in dieser Zeit Personen das Geschehen, die ihre politische Sozialisation während des Nationalsozialismus erhalten hatten und untereinander durch Kameraderie und Erinnerungen an das „Dritte Reich“ verbunden waren. Die parteiförmige Organisation dieses Potentials erfolgte hauptsächlich im preußisch-protestantischen Norden der Bundesrepublik, wo die niedersächsische Deutsche Rechtspartei (DR[e]P) zunächst eine ausschlaggebende Rolle spielte Sie gewann bei der ersten Bundestagswahl rund 500 000 Stimmen und damit fünf Mandate. Mit dem Auslaufen der alliierten Lizenzierungsbestimmungen trennten sich die Neofaschisten von der DReP und gründeten im Oktober 1949 die Sozialistische Reichspartei (SRP), die 1952 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und daraufhin aufgelöst wurde In der kurzen Zeit ihres Bestehens konnte die Partei zwei beachtliche Wahlerfolge verbuchen: 1951 brachte sie es in Bremen auf 7, 7 Prozent und 8 Mandate, in Niedersachsen auf 11, 0 Prozent und 16 Mandate. Die nicht an der SRP beteiligten Reste der niedersächsischen DReP schlossen sich mit anderen kleinen Gruppierungen im Januar 1950 zur Deutschen Reichspartei ( 0 Prozent und 16 Mandate. Die nicht an der SRP beteiligten Reste der niedersächsischen DReP schlossen sich mit anderen kleinen Gruppierungen im Januar 1950 zur Deutschen Reichspartei (DRP) zusammen, die zunächst im Schatten der SRP stand, sich nach deren Verbot jedoch zur größten rechtsextremen Partei in der Bundesrepublik entwikkelte 10. Bis 1953 trat ihr in Süddeutschland als ernstzunehmende Konkurrentin die 1949 gegründete Deutsche Gemeinschaft (DG) entgegen, die 1950 in Bayern und Württemberg-Baden insgesamt 22 Landtagsmandate erobern konnte, danach aber in der Bedeutungslosigkeit versank 11.Stellte die DRP auch in den fünfziger Jahren insgesamt zehn Landtagsabgeordnete (Niedersachsen 1951, 1955; Rheinland-Pfalz 1959), so darf doch nicht übersehen werden, daß selbst die größte rechtsextreme Partei zwischen 1953 und 1965 bis auf wenige spektakuläre Ausnahmen eine unbedeutende Randexistenz fristete. Denn die in den Entstehungsjahren der Bundesrepublik als Folge des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und der Teilung Deutschlands sichtbar gewordene nationalistische und pronazistische Welle war bis spätestens 1953 abgeflaut. Die Festigung der innen-und außenpolitischen Grundlagen der Bundesrepublik sowie der wirtschaftliche Aufschwung stärkten die Macht und die Integrationskraft der Unionsparteien, sorgten für wachsende Stabilität der politischen Ordnung und bildeten so eine Barriere für den Erfolg extremer Parteien.

Der Niedergang des Nachkriegsrechtsextremismus* war nicht nur durch externe Faktoren bedingt. Er selbst hatte auch keine attraktive und realistische Alternative zur Politik der Bürgerblock-Koalition unter Adenauer vorzuweisen. Glaubwürdigkeit und Kompetenz wurden überdies durch starke organisatorische Zersplitterung und andauernde Kämpfe zwischen den Kleinparteienführern beeinträchtigt. Seit Mitte der sechziger Jahre traten zunehmend rechtsextreme Aktivisten in den Vordergrund, die nicht durch den Nationalsozialismus belastet, sondern in der Ära des „Kalten Krieges“ aufgewachsen und politisch durch den „CDU-Staat“ geprägt waren. Damals (am „Ende der Nachkriegszeit“) begann die zweite Phase des Rechtsextremismus. Der Bruch der CDU/CSU-FDP-Regierung 1966, der Reformkurs der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD, die Entstehung der linken, antiautoritären Außerparlamentarischen Opposition (APO) sowie die erste größere Wirtschaftskrise der Bundesrepublik begünstigten den Aufstieg der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) Sie war Ende 1964 nach langwierigen Bündnisgesprächen innerhalb des rechtsextremen Lagers unter maßgeblicher Beteiligung der DRP entstanden, zog zwischen 1966 und 1968 mit 61 Mandaten in sieben Landesparlamente ein und verfehlte 1969 mit 1, 4 Millionen Wählern (4, 3 Prozent) nur knapp den Sprung in den Bundestag. Mit der Bildung der sozialliberalen Koalition vollzog die CDU/CSU einen deutlichen Rechtsschwenk und betrieb eine harte konservative Opposition. Konfrontation und Polarisierung zwischen den Unionsparteien und dem sozialliberalen Bündnis trockneten die Wählerbasis der NPD aus, die gleichzeitig durch interne Fraktionskämpfe geschwächt wurde und sich 1971 spaltete. Die organisatorisch ausgezehrte Rest-NPD fristete bis Mitte der achtziger Jahre ein desolates und inaktives Dasein. Sie war vor allem mit sich selbst beschäftigt und nicht einmal imstande, von der 1974/75 einsetzenden Wirtschaftskrise zu profitieren.

Die dritte Entwicklungsphase des Rechtsextremismus setzte Anfang/Mitte der achtziger Jahre ein, und wieder waren es Momente eines gesellschaftlich-politischen Umbruchs, die seinen Auftrieb beförderten. Anders als früher handelte es sich nun aber um Faktoren, die mehr oder weniger in allen westeuropäischen Staaten wirksam sind, womit dieser „neue“ Rechtsextremismus zu einem europäischen Phänomen wird: Sozialer Wandel, technologische Modernisierung, geringes Wirtschaftswachstum, hohe Massenarbeitslosigkeit, Beschneidung der Sozialausgaben, Wertewandel, massive Partizipationsansprüche, politische und soziale Umwälzungen in Osteuropa, Abschmelzen des Ost-West-Gegensatzes, Migrationsbewegungen und Asylproblematik sind nur einige Stichworte, die den Problemhaushalt aller EG-Staaten prägen.

Die etablierten Parteien (nicht nur) der Bundesrepublik geraten zudem unter den Druck der Folgen des sozialen Wandels. Er bewirkt eine wachsende Flexibilität im Wahlverhalten (Abnahme der Stammwähler, Zunahme der Wechselwähler), weil sich die klassischen Milieubindungen abschwächen und die Wahlnormen vermittelnden Großorganisationen (Gewerkschaften, Kirchen) an Bedeutung verlieren. Gerade die quantitativ anwachsenden „neuen Mittelschichten“ als hauptsächliche Träger des Modernisierungsprozesses sind dem Einfluß dieser Organisationen weithin entzogen und erweisen sich als besonders flexibel und selbstbewußt. Die Erosion alter politischer Bindungen erfaßt zunehmend aber auch die traditionellen sozialen Segmente der Industriegesellschaft. Die Lockerung der Parteibindungen geht einher mit sinkender Organisationskapazität, hoher Wahlabstinenz und Verdrossenheit über die Großparteien in Regierung und Opposition, die den widersprüchlichen Anforderungen nach Modernisierung einerseits und Befriedigung traditionsverhafteter Ziele und Klientele andererseits ausgesetzt sind.

Mit den Erfolgen der Grünen/Alternativen erweiterte sich das bundesdeutsche Drei-Parteien-System zu einem Vier-Parteien-System. Wenn nicht alles täuscht, befinden wir uns seit den Wahlerfolgen der Rechtsextremisten auf dem Weg zum Fünf-Parteien-System. Der neue Aufwärtstrend deutete sich bereits bei der Europawahl 1984 an, als die NPD mit 0, 8 Prozent (knapp 200000 Stimmen) ein vergleichsweise beachtliches Resultat verbuchen konnte. 1986 verabredeten die NPD und die 1971 von dem finanz-starken rechtsextremen „Pressezaren“ Gerhard Frey gegründete Deutsche Volksunion (DVU) eine Zusammenarbeit beider Organisationen, die weitere Wahlerfolge zeitigte. Bei der Bundestagswahl 1987 mobilisierte die NPD über 225 000 Wähler (0, 6 Prozent), und noch im selben Jahr konnte der Rechtsextremismus erstmalig seit 1968 wieder ein parlamentarisches Mandat auf Landesebene erzielen: In Bremen gelang es der DVU, die Sperrklausel zu überwinden. 1988 brachte es die NPD in Baden-Württemberg auf 2, 1 und in Schleswig-Holstein auf 1, 2 Prozent der Stimmen. 1989 zogen die hessischen Nationaldemokraten in einige Kommunalparlamente ein, in Frankfurt beispielsweise mit sieben Abgeordneten.

Den eigentlichen Durchbruch schafften . jedoch nicht die alteingesessenen Parteien, sondern die 1983 gegründeten Republikaner Hauptsächlieher Gründungsanlaß war der Unmut rechtskonservativer Kreise über die ausgebliebene „geistigmoralische Wende“ nach dem Machtwechsel in Bonn. Die Republikaner nahmen die Fünf-Prozent-Hürde 1989 gleich zweimal mit Leichtigkeit: In Berlin fielen ihnen elf und bei der Europawahl mit über zwei Millionen Stimmen sechs Mandate zu. Der deutsche Einigungsprozeß und die internen Grabenkämpfe der Schönhuber-Partei (die mit der Abspaltung der Deutschen Liga [DL] im Oktober 1991 ihr vorläufiges Ende fanden) bremsten diesen Trend nur vorübergehend. Bei der bayerischen Landtagswahl 1990 verfehlten die Republikaner den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde äußerst knapp. Die DVU eroberte 1991 in Bremen und 1992 in Schleswig-Holstein jeweils sechs Mandate, und die Republikaner übertrafen 1992 in Baden-Württemberg mit 10, 9 Prozent und 15 Landtagssitzen sogar das NPD-Resultat von 1968 (9, 8 Prozent, 12 Sitze), das beste Landes-ergebnis der NPD überhaupt. Schon bei den Landtagswahlen 1990 in der DDR und bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl hat sich gezeigt, was auch heute noch gilt: Der Rechtsextremismus im Osten ist hinsichtlich seiner Fähigkeit, Mitglieder und Wähler zu mobilisieren, vergleichsweise schwach entwickelt. Während der Rechtsextremismus im Westen über ein vielfältiges Organisationswesen (Parteien, Jugendorganisationen, Presse, Verlage) verfügt, tritt er in den neuen Bundesländern eher protestförmig und subkulturell auf.

Fazit: Der Erfolg des organisierten Rechtsextremismus wird durch gesellschaftlich-politische Krisenerscheinungen und Umbruchsituationen begünstigt. Derartige Krisen und Umbrüche betreffen das System insgesamt, finden ihren Niederschlag also auch und vor allem im politischen System. Wenn seine Institutionen und Führungsgruppen nicht imstande sind, die notwendigen Steuerungs-, Legitimations-und Integrationsleistungen zu erbringen und bei Teilen der Bevölkerung dadurch Unzufriedenheit entsteht, wachsen die Erfolgsaussichten des Rechtsextremismus.

III. Soziale Basis und Einstellungen

Tabelle 2: Wahlergebnisse von Republikanern und NPD bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 (Zweitstimmen)

Für die erste Entwicklungsphase des Rechtsextremismus stehen zur Analyse von Wahlergebnissen fast nur Aggregatdaten zur Verfügung, die generell keine Aussagen (sondern allenfalls Vermutungen) über individuelles Verhalten zulassen. Denn repräsentative Bevölkerungsumfragen zählten damals noch nicht zum Standard der Wahlforschung.

Falter vergleicht die Wahlergebnisse der Reichstagswahl vom Juli 1932 und der ersten beiden Bundestagswahlen auf Kreisebene und gelangt zu dem Ergebnis, daß die DReP-Anteile von 1949 mit denen der DNVP und NSDAP, aber auch der SPD von 1932 positiv korrelieren. Ein negativer Zusammenhang besteht mit den Anteilen des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei sowie mit den NSDAP-Ergebnissen in katholischen und in gemischt konfessionellen Gebieten. Rechtsextreme Parteien waren 1949 (und 1953) vor allem in protestantischen Regionen erfolgreich und standen dort in der Tradition des Weimarer Rechtsextremismus Kaltefleiter schätzt, daß rund die Hälfte der DReP-Wähler 1949 aus.dem Lager der Vertriebenen stammte und charakterisiert die Hochburgen der Partei als vorwiegend evangelische Gebiete mit hohem Urbanisierungsgrad und hoher Arbeitslosigkeit Taubers Analysen zeigen für die DReP kaum einen Zusammenhang von Stimmenanteilen und Vertriebenenanteilen. Die Rechtspartei sei besonders in ehemaligen NSDAP-Hochburgen und dort, wo die Zahl der Wahlberechtigten im Vergleich zur Vorwahl zugenommen habe, erfolgreich gewesen. Dies lasse darauf schließen, daß sie auch bei ehemaligen Kriegsgefangenen, Internierten und von Entnazifizierungsmaßnahmen Betroffenen Anklang gefunden habe

Die SRP war (in protestantischen Regionen) zumeist dort stark, wo die NSDAP gute Wahlergebnisse erzielt hatte. Ihre Hochburgen waren weithin mit denen der DReP identisch; sie vermochte es aber zusätzlich, in Gegenden mit geringem Urbanisierungsgrad Fuß zu fassen Nach Schmollinger erklären sich die SRP-Hochburgen im ländlich-agrarischen Bereich dadurch, daß die Partei in erheblichem Umfang Wähler der welfisch-bäuer-lieh geprägten DP gewinnen konnte. Die süddeutsche DG rekrutierte ihre Wählerschaft 1950 vermutlich vorwiegend aus Vertriebenen und Kriegsfolgegeschädigten in protestantischen Regionen, wobei unterschiedliche Berufsgruppen beteiligt waren. Den DRP-Erfolg in Rheinland-Pfalz 1959 führt Kaltefleiter auf die damaligen wirtschaftlichen Probleme im heimischen Weinbau zurück. Jedenfalls schnitt die Partei dort gut ab, wo ein geringer Urbanisierungsgrad und niedrige Wahlbeteiligung herrschten. Ihre Wähler waren zudem durch eine besonders pessimistische Beurteilung der eigenen wirtschaftlichen Lage gekennzeichnet

Was Büsch über die SRP schreibt, gilt wohl grosso modo für die Parteien des Nachkriegsrechtsextremismus insgesamt: Ihre Wähler stammten „keinesfalls aus einer bestimmten sozialen Schicht“. „Die Partei vereinigte vielmehr Angehörige der verschiedensten Bevölkerungsschichten, die vor allem ein deprimierendes soziales Schicksal (wie Vertreibung, Arbeitslosigkeit usw.) gemeinsam hatten und durch eine gemeinsame politische Haltung... verbunden waren.“ Man kann in sozialstruktureller Hinsicht durchaus von weithin norddeutschen und überwiegend protestantischen „Sammlungsparteien“ mit „Mittelstandsbauch“ sprechen, da sie in der Industriearbeiterschaft offenbar vergleichsweise geringe Resonanz hatten. Daß ihre Wähler insgesamt durch eine „gemeinsame politische Haltung“ verbunden waren, läßt sich meines Erachtens nicht nachweisen und scheint mir auch zweifelhaft.

Für die zweite Entwicklungsphase des Rechtsextremismus ist die Datenlage besser Seit Mitte der sechziger Jahre verfügen wir über Individualdaten bezüglich der Sozialstruktur, der politischen Einstellungen, Wertorientierungen und Verhaltensdispositionen. Daher läßt sich die soziale Basis der NPD zufriedenstellend beschreiben. Sie war, was ihre Wählerschaft zwischen 1966 und 1969 angeht, nur teilweise eine Nachfolgeorganisation der DRP

Neben den traditionellen Hochburgen des Rechtsextremismus eroberte sie sich neue regionale Schwerpunkte und Wählerschichten auch in Süddeutschland. Stammten 1961 nur 23 Prozent der DRP-Wähler aus Bayern und Baden-Württemberg, so rekrutierte die NPD dort 1965 und 1969 37 bzw. 36 Prozent und 1972, 1976 und 1980 sogar über 40 Prozent ihrer Wähler. In diesen beiden Bundesländern lebten 1966 und 1972 37 Prozent der Parteimitglieder.

Die NPD-Anhänger kamen aus allen Bevölkerungsschichten Die Männer waren mit einem Anteil von rund zwei Dritteln deutlich überrepräsentiert. Unter den Altersgruppen dominierten die mittleren Jahrgänge. Vergleichsweise stark waren Landwirte, Selbständige und Arbeiter vertreten. Detaillierte Analysen von Liepelt zeigen, daß nicht der Berufsstatus sondern die Bindung an Wahlnormen vermittelnde Großorganisationen entscheidend für die Erfolge der NPD waren. Praktizierende Christen (vor allem Katholiken) und Gewerkschaftsmitglieder präferierten die Unionsparteien bzw. die SPD und bildeten kaum ein Reservoir für die Rechtsextremisten. In Gebieten mit hohemKatholikenanteil und in Industrierevieren mit langer Arbeitertradition war die NPD chancenlos. Dagegen neigten 14 Prozent der bindungslosen Arbeitnehmer in Großbetrieben, 19 Prozent der bindungslosen Selbständigen und sogar 25 Prozent der bindungslosen Arbeitnehmer in Kleinbetrieben zur NPD. Letztere dürften sich durch die damalige Rezession besonders bedroht gefühlt haben. Die Vertriebenen stellten im Bundesdurchschnitt keine besondere Wählerbank für die NPD dar, regional ließen sich teilweise jedoch (vor allem in Bayern und Baden-Württemberg) deutliche Zusammenhänge erkennen

Die überwiegende Mehrheit der NPD-Anhänger kam aus den Lagern der beiden großen Volksparteien, wobei ehemalige SPD-Wähler deutlich stärker vertreten waren als CDU/CSU-Wähler. Von den Unionswählern tendierten 9 Prozent zur NPD, bei den SPD-Wählern waren es 12, bei den FDP-Wählern 21 und bei den Wählern von Kleinparteien 87 Prozent. Daraus schließt Liepelt, daß es sich bei den NPD-Anhängern weithin um politisch heimatlose'Randwähler gehandelt habe.

Ein herausragendes Merkmal der NPD-Sympathisanten stellten pessimistische Wirtschaftserwartungen dar. Knapp die Hälfte des nationaldemokratischen Potentials bewertete die wirtschaftliche Entwicklung und die eigene Situation angesichts von Rezession und staatlicher Finanzkrise negativ. Die NPD profitierte schließlich auch von der Unzufriedenheit mit der Großen Koalition. Nicht ihr politisches Programm war für die Wahlerfolge verantwortlich, sondern der Unmut über die politischen Verhältnisse. „Man wählt nicht NPD, weil man für etwas, sondern weil man gegen etwas ist.“ Kaltefleiter verallgemeinert auch mit Blick auf die APO: „Die von einer gewissen Stagnation der deutschen Wirtschaft im Jahre 1966/67 ausgehende Protestwahl führte zum Entstehen von Opposition zum System, weil die Alternative im System fehlte... Protestauslösende Faktoren bei fehlenden Alternativen im System führen zu Protest zum System.“ Die NPD-Anhänger zeigten zudem überdurchschnittliche Sympathien für den Nationalsozialismus. Aber erst durch das Hinzutreten von empfundener sozialer Unsicherheit entwikkelte sich daraus eine Disposition zugunsten der NPD. 32 Prozent der NPD-Anhänger waren durch die Faktorenkombination von Wirtschaftspess Prozent der NPD-Anhänger waren durch die Faktorenkombination von Wirtschaftspessimismus und NS-Sympathien geprägt.

Die zweite Entwicklungsphase des Rechtsextremismus ist zusammenfassend dadurch gekennzeichnet, daß die rechtsextreme Sammlungspartei 31 ihre regionale und soziale Basis in Richtung auf bundesdurchschnittliche Verhältnisse erweiterte. Der „Mittelstandsbauch“ wurde kleiner, ohne allerdings ganz zu verschwinden. Immer noch bestanden Barrieren, die die Ausbreitung rechtsextremer Parteien behinderten. Dabei handelte es sich vor allem um Kirchen-und Gewerkschaftsbindungen sowie um Industrieregionen mit Arbeiter-tradition 32.

Da über die dritte Phase des Rechtsextremismus mit den Wahlerfolgen von Republikanern, DVU und NPD viele Analysen vorliegen beschränke ich mich hier auf eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. Die Anhängerschaft der Republikaner ist in sozialstruktureller Hinsicht sehr heterogen und läßt sich mit den herkömmlichen sozialstatistischen Kategorien insgesamt nur unzureichend abgrenzen. Überdies stellen sich die Verhältnisse von Bundesland zu Bundesland, von Region zu Region sehr unterschiedlich dar.

Generell gilt: Bundesweit stammen rund die Hälfte der NPD-und REP-Wähler aus Bayern und Baden-Württemberg. 40 bis 50 Prozent der Partei-anhänger gehörten früher dem Lager der Unionsparteien und 20 bis 25 Prozent dem der SPD an. Zwei Drittel der durch einen sehr niedrigen Bildungsstatus gekennzeichneten REP-Sympathisanten sind Männer. Hinsichtlich der beruflichen Zusammensetzung überwiegen einfache Arbeiter, Facharbeiter und Selbständige bzw. Landwirte. Die neuen Mittelschichten sind unterrepräsentiert. Keine gravierenden Unterschiede zur Wahlbevölkerung insgesamt zeigen sich bei der Altersstruktur, der konfessionellen Zusammensetzung und der Einkommensverhältnisse. Allerdings erweisen sich praktizierende Katholiken in der Mitte und im Norden der Bundesrepublik als unterdurchschnittlich anfällig für rechtsextreme Propaganda. Die Herkunft nach städtischen und ländlichen Regionen zeigt keine signifikanten Besonderheiten, wenn auch die kleinen Gemeinden etwas stärker beteiligt sind als die Ballungsgebiete. Schließlich unterscheiden sich auch die Gewerkschaftsmitglieder hinsichtlich ihrer Sympathie für rechtsextreme Parteien nicht vom Bevölkerungsdurchschnitt. Es ist dem neuen Rechtsextremismus also weithin gelungen, die regionalen und sozialstrukturellen Barrieren der Sammlungsparteien der ersten und zweiten Entwicklungsphase zu überwinden. Wenn gegenwärtig überhaupt ein diesbezügliches Merkmal Erwähnung verdient, dann ist es der „Arbeiterbauch“.

Die Anhänger des neuen Rechtextremismus sind durch spezifische politische Einstellungen und Wertorientierungen geprägt. Schon das Auf und Ab in der Wählergunst (siehe Abbildung 2) deutet darauf hin, daß die Sympathien für die Republikaner auch von tagespolitischen Einflüssen abhängen. Umfragen über das politische Bewußtsein der REP-Anhänger im Bundesgebiet ergaben, daß diese das politische System der Bundesrepublik, die Parteien, die Regierung und die Opposition besonders negativ beurteilen und besonders häufig den Vorwurf des Politikversagens erheben. Die eigene wirtschaftliche Lage wird überdurchschnittlich oft als schlecht bezeichnet. Während im Schnitt bei den REP-Sympathisanten dennoch Zukunftsoptimismus herrscht, zeigt sich bei den aus dem SPD-Umfeld stammenden Schönhuber-Anhängern auch hier Pessimismus.

Die Gesellschaftsordnung wird generell als extrem ungerecht empfunden, und es besteht eine starke Neigung, politische Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Autoritäre Orientierungen mischen sich mit nationalistischen und fremdenfeindlichen Haltungen. Die REP-Anhänger lehnen überwiegend die Oder-Neiße-Grenze als deutsche Ostgrenze ab und äußern erhebliche Skepsis gegenüber der EG. Stark verbreitet sind feindliche Einstellungen gegenüber Ausländern, Flüchtlingen und Übersiedlern. Unter weltanschaulichen Gesichtspunkten ist das Potential der Republikaner mithin am äußersten rechten Rand des Meinungsspektrums angesiedelt. Die Anhänger der Parteien des neuen Rechtsextremismus lassen sich grob durch drei Merkmale kennzeichnen: extrem rechte Grundorientierungen, starke politische Entfremdung und das Gefühl sozioökonomischer Bedrohung. Das Konglomerat „heterogener, wenn nicht gar einander widersprechender Forderungen“ und Erwartungen wird in der Literatur häufig als Ausdruck von „Protest“ interpretiert. So gesehen gelten die Republikaner hinsichtlich ihrer Anhänger als „Protestpartei“ und nicht als rechtsextreme Partei Andere Autoren unterscheiden zwischen dem Protestmotiv und der weltanschaulichen Komponente und charakterisie-ren die Republikaner als ein Gemisch aus beiden Merkmalen

Fazit: Rechtsextreme Parteien stellen hinsichtlich ihrersozialen Basis heterogene Sammlungsparteien dar, deren Ausbreitung anfänglich durch regionale, konfessionelle und soziale Barrieren begrenzt war. Derartige Schranken bestehen gegenwärtig kaum noch. Die Anhänger des neuen Rechtsextremismus lassen sich nicht mehr durch sozialstrukturelle Kriterien von denen anderer Parteien abgrenzen. Maßgeblich sind heute tief-greifende politische Entfremdung und ökonomisch-soziale Deprivationsgefühle. Dies entspricht dem veränderten Charakter der gesellschaftlich-politischen Krisenerscheinungen und Umbruchsituationen, die den Erfolg des Rechtsextremismus begünstigen. Inwieweit die Anhänger rechtsextremer Parteien auch durch politische Grundüberzeugungen geprägt sind, ist nicht hinreichend empirisch erforscht. Für die zweite und dritte Entwicklungsphase kann vermutet werden, daß dies zu einem erheblichen Teil der Fall war.

IV. Rechtsextremismus und Parteipräferenzen

Abbildung 2: REP-Anhänger Februar 1989 bis November 1992 Bundesrepublik (vor 1990 nur Westdeutschland)

EMNID: Sonntagsfrage (Prozent); Quelle: DER SPIEGEL

Um die Frage zu beantworten, in welchem Umfang rechtsextrem eingestellte Personen rechtsextreme Parteien wählen bzw. wie groß der Anteil von Rechtsextremisten an den Wählerschaften der einzelnen Parteien ist, müßten sich Wählerbefragungen auch auf rechtsextreme Einstellungsmuster beziehen. Dies ist grundsätzlich nicht der Fall und daher basieren alle Aussagen darüber, ob die Republikaner eine Protestpartei oder eine Weltanschauungspartei sind, auf reiner Spekulation.

Die Messung rechtsextremer Einstellungen ist ein empirisch (und finanziell) aufwendiges Unternehmen. Sie kann nur mittels einer Skala erfolgen, die die unterschiedlichen Dimensionen des Einstellungsmusters (z. B. Anomie, Autoritarismus, Nationalismus, Ethnozentrismus, Antisemitismus, Sympathien für den Nationalsozialismus) umfaßt. Sie muß auf einer großen Stichprobe basieren, damit die vorgefundene Anzahl von Rechtsextremisten in der Umfrage differenzierte statistische Analysen zuläßt. Bisher liegen nur zwei für das Bundesgebiet repräsentative Untersuchungen vor: die bekannte SINUS-Studie von 1979/1980 (siehe Abbildung 3) und die weniger bekannte Arbeit des Instituts für Demoskopie in Allensbach von 1984, die sich nur auf junge Leute im Alter von 16-25 Jahren bezieht

Da die Daten beider Studien für Sekundärauswertungen nicht zur Verfügung stehen, greife ich ersatzweise auf eine eigene Untersuchung zurück, die sich zwar nur auf Berlin bezieht, aber doch interessante Einsichten vermittelt. Zum besseren Verständnis der Befragungsergebnisse ist eine methodische Anmerkung unumgänglich. Die Annahme, daß sich die Menschheit in Rechtsextremisten und Nicht-Rechtsextremisten einteilen läßt, ist realitätsfern. Das menschliche Bewußtsein ist zumeist nicht so strukturiert, daß bestimmte Einstellungsmuster vorhanden sind und andere völlig fehlen. Vielmehr ist es mehr oder weniger stark (schwach) durch diese oder jene Einstellungsmuster geprägt. Einstellungsskalen sind konstruierte Meßinstrumente, die wie ein Thermometer funktionieren sollen. Die hier benutzte Rechtsextremismus-Skala reicht von 1 (schwach) bis 7 (stark). Die Personen, die auf der Skala den Wert 6 oder 7 erreicht haben, werden als rechtsextremes Einstellungspotential (Rechtsextremisten) zusammengefaßt

So gemessen ergibt sich für West-Berlin folgendes Bild: Knapp 60 Prozent des rechtsextremen Einstellungspotentials präferierte die CDU und 25 Prozent die SPD. Nur 6 Prozent nannten die Republikaner (siehe Abbildung 4). Diese Verteilung entspricht den Ergebnissen der (auf einer anderen Skala basierenden) SINUS-Studie und stellt mithin keinen berlinspezifischen Sonderfall dar. Das rechtsextreme Lager wählt mehrheitlich die Unionsparteien und an zweiter Stelle die SPD. Rechtsextreme Parteien mobilisieren dagegen nur einen winzigen Teil des Kuchens. Ich gehe davon aus, daß dies in der ersten und zweiten Entwicklungsphase des bundesdeutschen Rechtsextremismus nicht grundsätzlich anders war. Betrachten wir die Anteile von Rechtsextremisten an den Parteianhängern, dann stehen die Republikaner mit 40 Prozent an erster Stelle, gefolgt von CDU, FDP und SPD (siehe Abbildung 5). Das (kleine) REP-Potential weist die größte Dichte an stark rechtsextrem eingestellten Personen auf. Zwar ist über die Hälfte davon nicht dem rechtsextremen Einstellungspotential zuzurechnen, wie es hier definiert wird. Daher wäre es auch unangemessen, die Wählerschaft der Schönhuber-Partei in Bausch und Bogen als Gegner der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik zu verteufeln; Aber die verbleibenden 60 Prozent sind im Vergleich zur Gesamtbevölkerung immer noch überdurchschnittlich stark rechtsextrem eingestellt. Charakteristisch für die REP-Anhänger ist mithin ihre extrem rechte Position auf dem Wählermarkt. Diese verbindet sich mit starker politischer Entfremdung und dem Gefühl wirtschaftlicher und sozialer Bedrohung. Ich vermute wiederum, daß dies früher nicht prinzipiell anders war. Das Elektorat rechtsextremer Parteien stellte, so meine These, zu keiner Zeit ein reines ultrarechtes „Einstellungsmilieu“ dar, sondern war stets auch durch Unsicherheit und Unzufriedenheit angesichts gesellschaftlich-politischer Krisen und Umbrüche geprägt. Aber der daraus resümierende Protest bildet (wenigstens heute) nicht das entscheidende Wählermotiv. Daher halte ich den Begriff „Protestpartei“ zur Charakterisierung von rechtsextremen Parteien nicht nur für unzutreffend sondern auch für irreführend.

Fazit: Rechtsextreme Einstellungen ziehen nur im Ausnahmefall die Wahl rechtsextremer Parteien nach sich. Der parteipolitische Bezugspunkt des rechtsextremen Einstellungspotentials ist zuallererst die Union und im weiteren dann die Sozialdemokratie. Anders ausgedrückt: Der Rechtsextremismus ist überwiegend in das demokratische Spektrum des Parteiensystems integriert. Die Parteien des neuen Rechtsextremismus repräsentieren nur einen kleinen Teil des rechtsextremen Einstellungspotentials. Ihre Anhänger stehen ideologisch vergleichsweise weit rechts und sind mit den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnissen besonders unzufrieden.

V.

Abbildung 4: Parteipräferenzen im rechtsextremen Lager Berlin 1990

Daten: FUB ZISOWIFO - Berlin-BUS 1990

Ausblick

Abbildung 3: Parteipräferenzen im rechtsextremen Lager Bundesrepublik 1979/80 Daten: SINus 1981

Die Zukunftsaussichten des Rechtsextremismus hängen, wie dargelegt, von externen und internen Faktoren ab. Das rechtsextreme Einstellungspotential in der Bundesrepublik wurde bislang von den Volksparteien gebunden. Selbst in den kurzen Boomphasen dürfte es den rechtsextremen Parteien nicht gelungen sein, mehr als ein Drittel davon zu mobilisieren. Das bundesdeutsche Parteien-system erwies sich bisher als stabil und integrationsfähig. Nun deuten wichtige Indikatoren darauf hin, daß die Integrationskapazität der Volksparteien sinkt und weiter sinken wird und daß die Faktoren, die den Auftrieb des neuen Rechtsextremismus begünstigten, auch weiterhin wirksam sein werden. Die externen Erfolgsbedingungen sind mithin gut. Dies gilt nicht für die internen Erfolgsbedingungen. Nach wie vor ist das rechtsextreme Lager organisatorisch zersplittert und durch Rivalitäten zwischen den Parteiführern gelähmt. Von attraktiven programmatischen Alternativen, geschweige denn von Kompetenz und Glaubwürdigkeit, kann nicht die Rede sein. Eine Kooperation oder gar Fusion von Republikanern, DL, DVU und NPD zeichnet sich gegenwärtig nicht ab, und auch ein deutscher Le Pen ist nicht in Sicht. Entscheidend dürfte daher die Politik der Volksparteien sein. Diese verfügen jedoch über kein klares Konzept, wie das Wählerpotential der lästigen Konkurrenz reintegriert werden kann. Grundsätzlich stehen sie vor der Alternative, entweder die ideologischen Bedürfnisse zu bedienen oder die existentiellen Sorgen und Nöte zu beseitigen oder wenigstens doch zu lindern -zumindest sie aber überhaupt wahrzunehmen. Ersteres hat sich bislang kaum bewährt (sondern eher dem Rechtsextremismus genutzt) und macht auch im Licht der hier vorgetragenen Daten und Thesen wenig Sinn. Denn das rechtsextreme Einstellungspotential orientiert sich überwiegend und dauerhaft an den etablierten Parteien. Die periodisch zu verzeichnenden Desintegrationstendenzen sind daher nicht (oder nicht primär) auf plötzlich wahrgenommene ideologische Unstimmigkeiten, sondern auf Unzufriedenheit mit der Lösung von politischen Sachfragen zurückzuführen. So gesehen hilft nur eine „neue“ Politik, die sich glaubhaft bemüht, die Existenzbedingungen der Bevölkerung konzeptionell zu gestalten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ich verzichte hier auf eine Definition des Begriffs „rechtsextremistische Partei“ und verweise auf die Einleitung zu: Richard Stöss (Hrsg.), Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, 2 Bde., Opladen 1983/84, S. 239ff. Die dort entfaltete Begriffsbestimmung deckt sich zwar nicht in der Sache, aber doch zumeist im Ergebnis mit der Beurteilung der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder. Nach wie vor ist umstritten, ob die Partei Die Republikaner (REP) als rechtsextrem einzustufen ist. Ich vertrete seit längerem die Auffassung, daß dies der Fall ist (Richard Stöss, Die Republikaner, Köln 1990, S. 81 ff.), und mich sehe darin durch die Tatsache bestätigt, daß mittlerweile auch einige Verfassungsschutzämter (auch das des Bundes) die Partei beobachten, wenn auch zumeist nicht mit geheimdienstlichen Mitteln.

  2. Deutsche Gemeinschaft (1949-1965), Deutsche Reichspartei (1950-1965), Nationaldemokratische Partei Deutschlands (seit 1964), Deutsche Volksunion (seit 1971; die politische Partei DVU-Liste D[eutschland] besteht seit 1987), Republikaner (seit 1983).

  3. Folgende Überblicksdarstellungen liegen vor: Uwe Backes/Eckhard Jesse, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik, 3 Bde., Köln 1989; Peter Dudek/Hans-Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, 2 Bde., Opladen 1984; Richard Stöss, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Entwicklung -Ursachen -Gegenmaßnahmen, Opladen 1989.

  4. Berücksichtigt werden hier nur die Landes-und die Bundesebene (einschl.der Europawahlen).

  5. Angaben liegen für das Jahr 1954 und seit 1959 vor.

  6. Das Standardwerk für diese Phase ist: Kurt P. Tauber, Beyond Eagle and Swastika. German Nationalism Since 1945, 2 Bde., Middletown 1967.

  7. Vgl. Lutz Niethammer, Angepaßter Faschismus. Politische Praxis der NPD, Frankfurt 1969.

  8. Vgl. Horst W. Schmollinger, Die Deutsche Konservative Partei -Deutsche Rechtspartei, in: R. Stöss, Parteien-Handbuch (Anm. 1), Bd. 1, S. 982ff.

  9. Vgl. Horst W. Schmollinger, Die Sozialistische Reichspartei, in: R. Stöss, Parteien-Handbuch (Anm. 1), Bd. 2, S. 2274ff. Die Lizenzierungspraxis der Alliierten machte bis dahin die Gründung von extrem rechten Parteien unmöglich.

  10. Vgl. Richard Stöss, Die Deutsche Gemeinschaft, in: ders., Parteien-Handbuch (Anm. 1), Bd. 1, S. 877ff.

  11. Vgl. P. Dudek/H. -G. Jaschke (Anm. 3), Bd. 1, S. 280ff.; Horst W. Schmollinger, Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, in: R. Stöss, Parteien-Handbuch (Anm. 1), Bd. 2, S. 1922ff.

  12. Vgl. Leo A. Müller, Republikaner, NPD, DVU, Liste D..., Göttingen 1989; R. Stöss (Anm. 3), S. 184ff.; Heinrich Sippel, NPD und DVU -Bilanz einer schwierigen Beziehung, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, 1. Jg., Bonn 1989, S. 174ff.

  13. Vgl. Eike Hennig, Die Republikaner im Schatten

  14. Vgl. Jürgen W. Falter, Kontinuität und Neubeginn. Die Bundestagswahl 1949 zwischen Weimar und Bonn, in: Politische Vierteljahresschrift, 22 (1981) 3, S. 236ff.

  15. Vgl. Werner Kaltefleiter, Wirtschaft und Politik in Deutschland. Konjunktur als Bestimmungsfaktor des Parteiensystems, Köln 1966. S. 131 ff.

  16. Vgl. K. P. Tauber (Anm. 6), Bd. 1, S. 90ff.

  17. Vgl. W. Kaltefleiter (Anm. 16), S. 134f.

  18. Vgl. H. W. Schmollinger (Anm. 9), S. 2309ff.

  19. Zur Deutschen Partei vgl. Hermann Meyn, Die Deutsche Partei. Entwicklung und Problematik einer national-konservativen Rechtspartei nach 1945, Düsseldorf 1965, sowie Horst W. Schmollinger, Die Deutsche Partei, in: R. Stöss, Parteien-Handbuch (Anm. 1), Bd. 1, S. 1025 ff.

  20. Vgl. W. Kaltefleiter (Anm. 16), S. 136.

  21. Otto Büsch/Peter Furth, Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Studien über die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP), Berlin 1957, S. 103.

  22. S. 104. Ebda,

  23. Falter bezeichnet in seiner bahnbrechenden Arbeit über „Hitlers Wähler“ die NSDAP als „Volkspartei mit Mittelstandsbauch“. Er weist überzeugend nach, daß die Wähler der NSDAP keineswegs nur aus den bürgerlichen Mittel-schichten, aus allen sozialen Großgruppen stammten, wobei der protestantische Mittelstand allerdings überdurchschnittlich vertreten war (Jürgen W. Falter, Hitlers Wähler, München 1991, S. 13). Dennoch scheint mir der Begriff „Volkspartei“ (mit dem die Parteienforschung die Groß-parteien in demokratischen Systemen belegt hat) zur Charakterisierung einer faschistischen Partei unglücklich (zur Volkspartei s. Alf Mintzel, Die Volkspartei. Typus und Wirklichkeit. Ein Lehrbuch, Opladen 1984). Dies gilt entsprechend für die Bezeichnung der NPD als „Minivolkspartei“: Erwin K. Scheuch, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik, in: Richard Löwenthal/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1974, S. 433ff., 443.

  24. Vgl. die entsprechenden Literaturangaben bei E. K. Scheuch (Anm. 24). Eine Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse findet sich bei Reinhard Kühnl/Rainer Rilling/Christine Sager, Die NPD. Struktur, Ideologie und Funktion einer neofaschistischen Partei, Frankfurt 1969, S. 232 ff.

  25. Vgl. H. W. Schmollinger (Anm. 12), S. 1955ff.; W. Kaltefleiter (Anm. 16), S. 137.

  26. Vgl. Klaus Liepelt, Anhänger der neuen Rechtspartei. Ein Beitrag zur Diskussion über das Wählerreservoir der NPD, in: Politische Vierteljahresschrift, 8 (1967) 2, S. 237ff.

  27. Vgl. H. W. Schmollinger (Anm. 12), S. 1956 f.; Willibald Fink, Die NPD bei der bayerischen Landtagswahl 1966. Eine ökologische Wahlstudie, München 1969, S. 44.

  28. K. Liepelt (Anm. 27), S. 262.

  29. Werner Kaltefleiter, Wandlungen des deutschen Parteiensystems 1949-1974, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15/75, S. 6 (Hervorhebung im Orig.).

  30. E. K. Scheuch (Anm. 24) bestreitet, daß sich die Anhänger der NPD nach sozialstrukturellen Kriterien abgrenzen lassen und experimentiert mit Variablen wie „politische Grundorientierungen“, „politische Mentalität“, „politische Philosophie“ und Statusinkonsistenz, freilich ohne überzeugende Resultate.

  31. Vgl. Ursula Feist, Rechtsparteien im Vormarsch: Gründe für ihre Wahlerfolge -Strategien zu ihrer Eindämmung, in: Gegenwartskunde, 38 (1989) 3, S. 321 ff.; Joachim Hofmann-Göttig, Die neue Rechte: die Männerparteien, Bonn 1989 (Die Wähler der extremen Rechten II); Franz Urban Pappi, Die Republikaner im Parteiensystem der Bundesrepublik. Protesterscheinung oder politische Alternative?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21/90, S. 37ff.; Dieter Roth, Die Republikaner. Schneller Aufstieg und tiefer Fall einer Protestpartei am rechten Rand, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 37-38/90, S. 27ff.; Sozialstruktur und Einstellungen von Wählern rechtsextremer Parteien. Studien von SINUS und Infratest, Bonn 1989 (Die Wähler der extremen Rechten III); Weder verharmlosen noch dämonisieren. Bonn 1989 (Die Wähler der extremen Rechten I); H. -J. Veen/N. Lepszy/P. Mnich (Anm. 14).

  32. Die folgenden Ausführungen gelten weithin auch für das DVU-und NPD-Potential.

  33. H. -J. Veen/N. Lepszy/P. Mnich (Anm. 14), S. 64.

  34. So z. B. F. U. Pappi (Anm. 33).

  35. So z. B. U. Feist (Anm. 33).

  36. Gelegentlich werden einzelne Statements zur Fremden-feindlichkeit, zum Nationalismus etc. abgefragt und daraus Schlußfolgerungen auf das rechtsextreme Einstellungspotential gezogen.

  37. Vgl. „Wir sollten wieder einen Führer haben...“. Die SINUS-Studie über rechtsextremistische Einstellungen bei den Deutschen, Reinbek 1981.

  38. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann/Erp Ring, Das Extremismus-Potential unter jungen Leuten in der Bundesrepublik Deutschland 1984, Allensbach 1984.

  39. Vgl. Richard Stöss, Bestimmungsfaktoren des Rechtsextremismus, in: Hans-Dieter Klingemann/Lutz Erbring/Nils Diederich (Hrsg.), Zwischen Wende und Wiedervereinigung. Vergleichende Analysen zur politischen Kultur in West-und Ost-Berlin 1990, Opladen 1993 (i. E.).

  40. Ca. 3000 Fälle, repräsentativ jeweils für Berlin-West und Berlin-Ost, Befragungszeitpunkt: Sommer 1990.

  41. Im Sommer 1990 betrug das rechtsextreme Einstellungspotential in Berlin-West 8 Prozent und in Berlin-Ost 17 Prozent der Befragten.

Weitere Inhalte

Richard Stöss, Dr. phil., geb. 1944; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung und Privatdozent am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, 2Bde., Opladen 1983/84; Die extreme Rechte in der Bundesrepublik, Opladen 1989; Die Republikaner, Köln 1990; Politics Against Democracy, New York-Oxford 1991; (Hrsg, mit H. -D. Klingemann und B. Weßels) Politische Klasse und politische Institutionen, Opladen 1991; (Hrsg, mit O. Niedermayer) Stand und Perspektiven der Parteienforschung in der Bundesrepublik, Opladen 1993.