Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Dynamik des japanischen Arbeitsmarkts | APuZ 19/1988 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 19/1988 Artikel 1 Politik und Wirtschaft in Japan Traditionelle Kooperationssysteme vor neuen Herausforderungen Der Technostaat plant seine Zukunft Technologiepolitik in Japan Die Dynamik des japanischen Arbeitsmarkts Zur Außen-und Sicherheitspolitik Japans

Die Dynamik des japanischen Arbeitsmarkts

Claudia Weber

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Lage auf dem japanischen Arbeitsmarkt ist von Widersprüchen gekennzeichnet. Nach dem Kriterium .des Vermeidens von Massenarbeitslosigkeit hat Japan bisher alle Herausforderungen gemeistert. Dennoch erreicht die japanische Arbeitslosenquote ihren höchsten Wert seit der Nachkriegszeit, weil sich derzeit Strukturwandel und Exportkrise überlagern. Jenseits akuter Krisenerscheinungen erweist sich die Ausweitung des Dienstleistungsbereichs als Generalnenner für eine Reihe unterschiedlicher Einzeltrends wie die Zunahme von . white collar, von Beschäftigung in Kleinbetrieben, von Frauenerwerbstätigkeit. Die Entwicklung im . dualen System'des japanischen Arbeitsmarkts ist dadurch charakterisiert, daß sich flexible, unregelmäßige Beschäftigungsformen wie die befristete, die Teilzeit-und Leiharbeit ausbreiten, während die reguläre Beschäftigung stagniert oder sogar schrumpft. Der vollständige Zusammenbruch der legendären . Anstellung auf Lebenszeit'ist jedoch noch nicht abzusehen. Die arbeitsrechtlichen Reformen der letzten Jahre, die umfangreichsten der Nachkriegszeit, zielen auf eine Regulierung flexibler Beschäftigung. Ihr Adressat sind die Problemgruppen des japanischen Arbeitsmarkts: Leiharbeitnehmer. Teilzeitbeschäftigte, ältere Arbeitnehmer, Frauen. Beabsichtigt ist eine Stabilisierung. in Grenzen sogar eine Verstetigung ihrer Erwerbssituation bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung ihrer Disponibilität. Dafür ist das Gesetz zur . chancengleichen Beschäftigung von Männern und Frauen'das beste Beispiel. Die Flexibilisierung des Einsatzes von Arbeitskräften ist in Japan mit einer Qualifikationsoffensive verbunden, die individuelle Bildungschancen stärken will. Ihr Leitbild ist die hochqualifizierte. multipel einsetzbare Arbeitskraft, dem unter Umständen auf Arbeitnehmerseite tatsächlich ein Bedürfnis nach mehr persönlicher Freiheit entspricht. Die sozialen Folgeprobleme der Flexibilisierung werden in Japan aber häufig zu unkritisch gesehen.

I. Einleitung

In einer Zeit, in der . Rheinhausen“ Schlagzeilen macht und die Gemüter der nicht nur unmittelbar Betroffenen bewegt, sollte die Behauptung, Japan sei beim „natürlichen Niedergang“ von Industrien „recht effizient“ gewesen, interessieren. Aufgestellt wurde sie von dem Briten Ronald Dore. Direktor eines Zentrums für japanische und vergleichende . Industrial Research“ -Forschung in London. in einer 1986 erschienenen Studie zur japanischen Industriepolitik. Dort geht es um die erstaunliche Flexibilität eines Wirtschaftssystems, das sich, wie Dore es formuliert, „seiner Rigiditäten fast als Prinzipien rühmt“

Die Rigiditäten des japanischen Systems sind oft beschrieben worden. Die auffallendste ist zweifellos die Dauerbeschäftigung, die mißverständlicherweise auch . Anstellung auf Lebenszeit* genannt wird. Aber auch in den neuerdings in den Brennpunkt industriesoziologischen Interesses gerückten zwischenbetrieblichen Beziehungen gelten in Japan keine rein kapitalistischen Marktgesetze, wie viele ausländische Anbieter zu ihrem Bedauern erfuhren. Gemeinsam ist diesen wie anderen Rigiditäten die Suspension von Markteffizienz zugunsten langfristiger, vertrauensvoller Zusammenarbeit, sei es innerhalb von Unternehmen, sei es in Untemehmensnetzwerken. Wie das japanische Wirtschaftssystem trotz dieser aus der Sicht der Anhänger von . Thatcherism* und . Reagonomics* unverzeihlichen Marktsünden, etwa dem Verzicht auf . hire and fire“, bis Anfang der siebziger Jahre auf dem Niveau zweistelliger Wachstumsraten funktionieren konnte, hat die sozialwissenschaftliche Japanforschung lange beschäftigt. In vielen Untersuchungen hat sie ein anschauliches Bild davon entworfen, wie Dauerbeschäftigung. Senioritätslohn, innerbetriebliche Ausbildung und Beförderung und betriebsgewerkschaftliche Organisationsform Zusammenwirken als interdependente Elemente eines spezifischen Systems industrieller Beziehungen, dem ökonomische Rationalität nicht abgesprochen werden kann, und das auch außerhalb Japans anzutreffen ist.

Nachdem die gewissermaßen statische Effizienz dieses Systems als geklärt gelten kann, stellt sich neuerdings wieder verstärkt die Frage nach seinem Anpassungspotential. Aktuell wurde sie im Kontext der großen Herausforderungen, mit denen Japan wie die anderen Industrieländer in den letzten 10— 15 Jahren konfrontiert war: mit den beiden Ölkrisen von 1974/75 und 1980/81, der Inflationsbekämpfung.dem Vordringen der Mikroelektronik und dem Aufstieg der NICs (Newly Industrialized Countries). Dazu kommen als hausgemachte Schwierigkeiten die demographische Entwicklung der japanischen Bevölkerung und die Yen-Krise, die durch exzessive Handelsüberschüsse mit den Vereinigten Staaten ausgelöst wurde.

Es steht außer Zweifel, daß Japan die meisten dieser Herausforderungen, insbesondere nach dem Kriterium des Vermeidens von Massenarbeitslosigkeit, erfolgreich bewältigt hat, auch wenn der Wandel der Industriestruktur noch anhält und durch die Yen-Krise verschärft wird. Im folgenden geht es nur um einen Ausschnitt aus der von Roland Dore in seiner jüngsten Veröffentlichung skizzierten Gesamtproblematik einer „konfuzianischen Perspektive in wichtigen Wirtschaftsfragen“ um die Dynamik des japanischen Arbeitsmarkts. Es ist sicher berechtigt anzunehmen, daß dort das vermeintliche Paradox . flexibler Rigiditäten“ für das Lebens-schicksal des einzelnen, etwa in der Frage seiner sozialen Absicherung, von größter Bedeutung ist.

II. Erscheinungsformen der Krise

Von Arbeitslosigkeit ist auch Japan keineswegs verschont geblieben. Die japanische Arbeitslosenquote hat ihren Höchststand seit 1953 im Mai 1987 mit 2 Prozent erreicht 3). An dem in Japan gebräuchlichen restriktiven Modus zur Berechnung der Arbeitslosenquote ist vielfach Kritik geübt worden. Aber auch nach Berücksichtigung der mehr oder weniger stichhaltigen Einwände gilt es anzuerkennen. „daß die . Kernarbeitslosigkeit’ vollkommen beschäftigungsloser Personen in Deutschland weitaus höher ausfällt als in Japan“ Japans Beschäftigungserfolge sind kein statistisches Artefakt, sondern spiegeln Besonderheiten seines Arbeitsmarkts. Dennoch sind die Zeichen wirtschaftlicher Krise unübersehbar. Die Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts hat mit nur 2, 6 Prozent ihren tiefsten Stand seit elf Jahren erreicht Dabei lassen sich die Ursachen der Stagnation nicht säuberlich auseinanderdividieren. Das wird insbesondere dann deutlich, wenn man die Beschäftigungsentwicklung nach Sektoren beziehungsweise Wirtschaftszweigen analysiert. Der Rückgang der Beschäftigung im sekundären Sektor ist sowohl Resultat der durch die Yen-Verteuerung ausgelösten Exportkrise der Automobil-und Elektroindustrie und des Maschinenbaus als auch Niederschlag eines tiefgreifenden Strukturwandels, des Niedergangs der Eisen-und Stahlindustrie sowie des Schiffsbaus. Dagegen er-weist sich der Beschäftigungszuwachs im tertiären Sektor, insbesondere im Dienstleistungsbereich, als langfristig stabil.

Tertiärisierung ist aus der Sicht japanischer Arbeitsmarktexperten der Generalnenner für eine Vielzahl von Einzeltrends wie etwa der Zunahme von . white collar’-Arbeit, von Beschäftigung in Kleinbetrieben, von Frauenerwerbstätigkeit. Manche dieser Tätigkeitsbereiche, wie die Ausweitung flexibler, instabiler Beschäftigungsverhältnisse, scheinen dem bisherigen . dualen System* zuwiderzulaufen. Bedeutet das, daß Japan dabei ist, Traditionen wie die Dauerbeschäftigung über Bord zu werfen? Ironischerweise gerade nach ihrer Rehabilitierung als ökonomisch rational? Noch sind keine Anzeichen für eine vollständige Substitution von Dauerbeschäftigung durch flexible Beschäftigungsformen zu erkennen, aber die vorhandenen Indikatoren weisen alle in die gleiche Richtung: Gegenüber dem internen Arbeitsmarkt gewinnt der externe an Gewicht. Das muß nicht zu einer Erosion des Systems der Dauerbeschäftigung führen. Es könnte auch darum gehen, das Verhältnis von Traditionalität und Flexibilität im Zeichen der Krise neu auszutarieren. Nach japanischem Verständnis lassen sich Traditionen wie die Dauerbeschäftigung nur aufrechterhalten, wenn flexible Anpassung möglich bleibt.

III. Entwicklungen im dualen Beschäftigungssystem Japans

Als Hauptcharakteristikum des japanischen Beschäftigungssystems gilt die Komplementarität zwischen einem stabilen . Zentrum'und einer fluktuierenden . Peripherie*. Gemeint ist. wie Angelika Ernst in ihrer grundlegenden Studie zum japanischen Arbeitsmarkt präzisiert hat. nicht die übliche Differenz zwischen groß-und kleinbetrieblichem Sektor, die es auch in anderen Industrieländern gibt, sondern die für Japan typische Größenordnung dieser Differenz, die. bezogen auf den Arbeitsmarkt. eine Spaltung in Stamm-und Randbelegschaften bedeutet, zwischen denen es so gut wie keine Mobilität, nichtsdestoweniger aber oft Kooperation im gleichen Unternehmen gibt

Nur circa ein Drittel aller abhängig Beschäftigten kommen in Japan bekanntlich in den Genuß der Dauerbeschäftigung Dazu gehören in der Privat-wirtschaft die männlichen Beschäftigten von Großunternehmen (zum Teil auch Mittelbetrieben), sofern sie direkt nach Schul-oder Studienabschluß eingestellt worden sind. Ihre . Anstellung auf Lebenszeit* bedeutet faktisch eine Selbstverpflichtung des Unternehmens auf Garantie des Arbeitsplatzes bis zur firmeneigenen Pensionierungsgrenze, die heute bei 55 oder 60 Jahren liegt.

Zu den unterprivilegierten Arbeitnehmern (in bezug auf Arbeitsplatzsicherheit. Lohnniveau, be-triebliche Sozialleistungen) gehören in Japan nicht nur die Beschäftigten von Klein-und Kleinstfirmen, sondern auch die in Großunternehmen tätigen temporären Arbeitnehmer, die dorthin von Subkontrakt-oder Leihfirmen entsandten Arbeitnehmer sowie die Teilzeitbeschäftigten. Es gehört zu den gängigen Modellannahmen der sozialwissenschaftlichen Japanforschung, daß die Beschäftigungssicherheit im . Zentrum* durch Fluktuation an der . Peripherie* aufrecht erhalten wird, die als Konjunkturpuffer dient.

Die Entwicklung des japanischen Arbeitsmarkts bestätigt diese Annahmen nicht. Es lassen sich vielmehr gegenläufige Trends beobachten:

— Statt etwa Beschäftigungsanpassungen durch flexiblen Rückgang an der . Peripherie* vorzunehmen, expandieren die Randbelegschaften, während die Zahl der Stammbeschäftigten stagniert oder sogar schrumpft.

-Die Ausweitung flexibler Beschäftigungsverhältnisse geht mit Anstrengungen zu ihrer Regulierung, in Grenzen sogar Verstetigung, einher.

Es ist sicher kein Zufall, daß Japan in den letzten Jahren die umfangreichsten arbeitsrechtlichen Reformen seit der Nachkriegszeit eingeleitet hat. Hauptadressat sind die Problemgruppen des japanischen Arbeitsmarkts: Leiharbeitnehmer, Teilzeitbeschäftigte. Frauen, ältere Arbeitnehmer. Diesen Reformanstrengungen liegen, wie eine japanische Expertin in bezug auf das sogenannte Chancengleichheitsgesetz schreibt, „Veränderungen zugrunde. die den Arbeitsmarkt erschüttern, beziehungsweise das Bemühen der Regierung und Arbeitgeber. diese Veränderungen durch eine umfassende Revision der Arbeitsgesetzgebung zu unterstützen und zu beschleunigen“. Als grundlegende Kräfte hinter der Transformation des Arbeitsmarkts bezeichnet sie den „Wandel der Industrie-struktur. die Einführung der Mikroelektronik und die demographische Entwicklung der japanischen Bevölkerung“

Für die beiden Trends der Ausweitung und Regulierung flexibler Beschäftigungsformen gibt es eine Vielzahl von Belegen. Die . Krise der lebenslänglichen Beschäftigung* läßt sich allerdings aus Statistiken nur indirekt erschließen. Analysiert man die Entwicklung der Beschäftigung nach dem jeweiligen Status, dann zeigt sich, daß die Zahl der regulär Beschäftigten schon seit geraumer Zeit langsamer wächst als die Zahl der abhängig Beschäftigten insgesamt, zu denen die temporären, die Teilzeit-und Leiharbeitnehmer zu rechnen sind Ein weiteres wichtiges Indiz ist. daß die Beschäftigung in Großunternehmen zurückgeht, während sie in Mittel-und Kleinbetrieben sogar in den Krisenjahren 1985/86 zugenommen hat Die negative Beschäftigungsentwicklung in den Großbetrieben spiegelt sich unter anderem auch in ihrer zurückhaltenden Rekrutierung männlicher Hochschulabsolventen wider, die traditionell deren Führungsnachwuchs bilden

Der Zuwachs der flexiblen Beschäftigung ist, gemessen an der allgemeinen Beschäftigungsentwicklung, überproportional ausgefallen. So liegt in einer Statistik aus dem Jahr 1986 der Prozentsatz der Unternehmen, die einen Zuwachs an Aushilfs-, Teilzeit-und Leiharbeitnehmern melden, quer durch die Wirtschaftszweige höher als der, der eine Ausweitung regulärer Beschäftigung angibt Besonders ausgeprägt ist dieser Trend bei den Dienstleistungen, und besonders betroffen davon sind die weiblichen Arbeitnehmer, deren Chancen auf flexible Beschäftigung, insbesondere Teilzeitarbeit, weit größer sind als auf ein reguläres Arbeitsverhältnis

Der Kreis der Stammbeschäftigten ist jedoch nicht nur indirekt von Schrumpfung bedroht. Seine Beschäftigungssicherheit ist auch direkt gefährdet, weil die Scheidelinie zwischen Rigidität und Flexibilität im japanischen dualen System nicht fein säuberlich zwischen Stamm-und Randbelegschaft verläuft. Auch in den stabilen . Kern* sind Flexibilitätspotentiale eingebaut, die unter Krisenbedingungen aktiviert werden können. Zwar halten sich japanische Unternehmen mit Entlassungen von Stamm-beschäftigten immer noch vergleichsweise stark zurück Zu ihren Krisenanpassungsmaßnahmen gehören aber Versetzungen in affilierte und Subkontraktunternehmen, die zum Teil mit Status-und Einkommenseinbußen verbunden sind.

Der japanische Arbeitsmarkt ist von konfligierenden Trends geprägt. Sowohl die Bestands-als auch die Strömungsgrößen haben, wie der Soziologe Ina gami gezeigt hat, zugenommen. So steigt etwa mit der Heraufsetzung des Firmenpensionsalters der Bestand an Arbeitskräften, während er durch Transfers in andere Unternehmen eingeschränkt wird Insgesamt werden die Unternehmensbelegschaften heterogener, und der Kreis der . Flexibilisierten'reicht über die traditionellen Problem-gruppen hinaus.

IV. Arbeitsrechtliche Reformansätze: Leiharbeit

Die oben genannten Tendenzen der Ausweitung der Flexibilisierung und ihrer Regulierung verdichten sich exemplarisch in der Leiharbeit. Zu den wichtigsten arbeitsrechtlichen Reformen gehört das am 1. Juli 1986 in Kraft getretene Leiharbeitsgesetz. Damit wurde ein Teilbereich der in Japan weitverbreiteten Formen der Arbeiterentsendung zum ersten Mal rechtlich eindeutig normiert.

Die Vermittlung von Arbeitskräften, insbesondere Tagelöhnern, hat in Japan Tradition, speziell im Bereich der Hafenarbeit und im Baugewerbe, wo sie oft halb-kriminellen Charakter besaß Nicht zuletzt deshalb war sie seit 1947 ausdrücklich untersagt. existiert aber stillschweigend geduldet fort. Nach der ersten Ölkrise (1974/75) entstanden im Büro-und Verwaltungsbereich moderne Formen der Leiharbeit, deren rechtlicher Status ungeklärt war. Die mit dem Entwurf für ein Leiharbeitsgesetz beauftragten Kommissionen verfolgten das Ziel, den Typ der modernen Leiharbeit von anderen Formen der Arbeitnehmerentsendung abzugrenzen, den Operationsbereich von Leihfirmen nach übergeordneten arbeitsmarktpolitischen Interessen einzuschränken und die Firmen selbst genehmigungspflichtig zu machen.

Der Begriff des Leiharbeitnehmers wurde folgendermaßen definiert: „Ein Arbeitnehmer, den der Unternehmer (die Leihfirma) einstellt und den er bei einem Dritten (der Aufnahmefirma) unter dessen Anweisungen arbeiten läßt.“ Zwischen Leih-firma und Arbeitnehmer besteht ein Arbeitsverhältnis; dagegen besteht zwischen Aufnahmefirma und Arbeitnehmer ein Weisungsverhältnis. Mit dieser begrifflichen Unterscheidung soll die Abgrenzung von anderen Entsendungsformen wie dem . shagaiko'-und . shukko'-Verhältnis gewährleistet sein.

Im . shagaiko'-Verhältnis arbeiten Beschäftigte von Subkontraktfirmen im Auftrag ihres Arbeitgebers in Großunternehmen. In der Eisen-und Stahlindustrie sind circa 40 Prozent aller Beschäftigten , shagaikos Rechtlich handelt es sich dabei um eine Art Werkvertrag, da die arbeitsvertragliche und Weisungsgebundenheit gegenüber dem ursprünglichen Arbeitgeber, wenigstens auf dem Papier, erhalten bleibt.

Schwieriger ist die rechtliche Abgrenzung zum . shukko'-Verhältnis. Darunter ist in der Regel ein befristeter Transfer von Stammbeschäftigten aus Großunternehmen in affilierte und Subkontraktfirmen zu verstehen, der Aus-und Weiterbildungszwecken (auch im Rahmen der Qualitätssicherung in Zulieferfirmen) dient. Er wird aber in Krisenzeiten auch häufiger als unbefristeter Transfer zum Zwecke der Beschäftigungsanpassung durchgeführt. Im Unterschied zur Leiharbeit besteht ein doppeltes Arbeitsverhältnis mit der Entsenderfirma und mit dem aufnehmenden Unternehmen.

Das Leiharbeitsgesetz unterscheidet zwischen allgemeiner und spezieller Arbeitnehmerentsendung. Erstere erlaubt, im Unterschied etwa zur bundesrepublikanischen Regelung, die befristete Einstellung von Leiharbeitnehmern. Dieser Typ des Arbeitnehmerverleihs ist registrierpflichtig. Der spezielle Typ beschäftigt dagegen die Leiharbeitnehmer unbefristet. Für ihn wird nur eine Anmeldung verlangt. Der Operationsradius der Leiharbeitsfirmen wurde zunächst auf 16 Geschäftsbereiche eingeengt. Im Bereich der Datenverarbeitungssystementwicklung ist die Entsendung auf ein Jahr befristet, im sonstigen Büro-und Verwaltungsbereich auf neun Monate; im Bereich der Gebäudereinigung und -Verwaltung ist keine Frist vorgesehen. Die Fristen gehen damit über die in der bundesrepublikanischen Regelung festgelegten sechs Monate hinaus. Zwischen Entsender und Aufnahmefirma wird die Verantwortlichkeit bezüglich der Einhaltung der Vor-Schriften des japanischen Arbeitsstandardgesetzes, insbesondere der Arbeitszeitnormen, geteilt.

Die auch in Japan weitverbreitete Kritik an diesem Gesetz betont die Unzulänglichkeit dieser Regelung: Dem Leiharbeitnehmer werde es schwer, ja unmöglich gemacht, gegen die in der Aufnahme-firma angetroffenen Arbeitsbedingungen Beschwerde einzulegen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, daß das Gesetz es zwar der Aufnahmefirma untersagt, Leiharbeitnehmer aus Gründen des Geschlechts, der Nationalität etc. zurückzuweisen. aber bei einem Verstoß gegen dieses Diskriminierungsverbot keine Sanktionen vorgesehen sind.

Acht Monate nach Inkrafttreten des Leiharbeitsgesetzes operieren nach den Angaben des Arbeitsrechtlers Kezuka bereits 964 Leihfirmen des allgemeinen Typs (mit befristet eingestellten Leiharbeitnehmern). Den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit haben sie im Büro-und Verwaltungsbereich, insbesondere in der Büromaschinensteuerung, Aktenordnung und Buchhaltung. Viel höher ist die Zahl der Leih-firmen des speziellen Typs (N = 6498), die mit unbefristet eingestellten Leiharbeitnehmem überwiegend im Bereich der Datenverarbeitungssystementwicklung operieren. Darin spiegelt sich der Nachfrageüberhang nach Software-Spezialisten, der in vielen japanischen Publikationen beklagt wird. Diesen Mangel kann die innerbetriebliche Aus-und Fortbildung offensichtlich nicht im notwendigen Ausmaß und Tempo beheben, insbesondere nicht in den Klein-und Mittelbetrieben.

Aber auch den Großunternehmen fiel es bisher schwer, Spezialisten dauerhaft zu integrieren. Offensichtlich ist dieser Engpaß eine der treibenden Kräfte bei der Normierung der Leiharbeit, wobei der Typus des spezialisierten, hochqualifizierten Leiharbeitnehmers ein Novum darstellt.

V. Teilzeitbeschäftigung

Verglichen mit der Normierung der Leiharbeit ist die der Teilzeitarbeit weniger weit fortgeschritten. Aber auch dafür gibt es seit dem 31. Oktober 1984 ein . Verwaltungsleitprogramm 1, das die Reformrichtunganzeigt. 1986 waren 11, 7 Prozent aller Arbeitnehmer Teilzeitbeschäftigte. Die überwältigende Mehrheit, circa 70 Prozent, sind Frauen. 22. 7 Prozent aller weiblichen Arbeitnehmer sind Teilzeitbeschäftigte Ihre jährlichen Zuwachsraten liegen seit über 20 Jahren weit über denen der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen. Darin spiegelt sich die gestiegene Erwerbsbeteiligung insbesondere verheirateter Frauen.

Als Teilzeitbeschäftigte ausgewiesen sind alle Arbeitnehmer. die weniger als 35 Stunden wöchentlich tätig sind. Diese Grenze erweist sich aber als wenig trennscharf, da circa zwölf Prozent aller Teilzeitbeschäftigten. speziell in Klein-und Mittelbetrieben, fast ebenso lange arbeiten wie Vollzeitarbeitnehmer. Dreiviertel aller Teilzeitbeschäftigten arbeiten nur 20 Prozent weniger als reguläre Vollzeitarbeitnehmer. Das . Verwaltungsleitprogramm* von 1984 empfiehlt den Arbeitgebern die schriftliche Fixierung des Arbeitsvertrags mit Teilzeitbeschäftigten sowie die Gewährung von bezahlten Urlaubstagen (wenn an mindestens vier Wochentagen gearbeitet wird), außerdem eine 30tägige Mindestkündigungsfrist nach einjähriger Betriebszugehörigkeit. Ein Evaluierungsbericht vom November 1987 stellt unter anderem fest, daß die durchschnittliche Beschäftigungsdauer der weiblichen Teilzeitbeschäftigten auf vier Jahre angestiegen ist. Der Bericht rät nachdrücklich dazu, den Status der sogenannten Pseudo-Teilzeitkräfte in einen regulären Beschäftigungsstatus umzuwandeln sowie Teilzeitbeschäftigte in die sozialen Sicherungssysteme miteinzubeziehen. Die Aus-und Fortbildungschancen von Teilzeitkräften seien durch eine Kombination von . on the job-* und . off the job’-Training zu verbessern. Ein Nachweis ihrer erworbenen Qualifikationen müsse auf überbetrieblicher Basis durch Zertifikate möglich sein. Die Ausarbeitung eines Teil-zeit-Gesetzes wird empfohlen.

VI. Beschäftigungsstabilisierung für ältere Arbeitnehmer

Stärker personen-und problemorientiert sind die Gesetze, die sich auf die Erwerbssituation älterer Arbeitnehmer und weiblicher Beschäftigter beziehen. Zu diesen Gesetzen gehört das Beschäftigungsstabilisierungsgesetz für ältere Arbeitnehmer, das zum 1. Oktober 1986 in wesentlichen Teilen revidiert wurde, und das am 1. April 1986 in Kraft getretene Chancengleichheitsgesetz.

Der Hintergrund der Revision des Beschäftigungsstabilisierungsgesetzes für ältere Arbeitnehmer ist die überproportionale Betroffenheit dieser Altersgruppe von Arbeitslosigkeit, die sich schon seit längerem abzeichnet. So betrug bereits 1985 bei einer Arbeitslosenquote von insgesamt 2. 6 Prozent die Arbeitslosenquote der über 55jährigen Männer 4. 2 Prozent -Sie sind von allen Altersgruppen am stärksten gefährdet, wenn man die „Sucharbeitslosigkeit“ der 15— 24jährigen Jugendlichen einmal außer acht läßt.

Traditionell gehört es zu den Eigenheiten des japanischen Systems, die . Anstellung auf Lebenszeit* zu einem relativ frühen Zeitpunkt, etwa um das 55. Lebensjahr, zu beenden. Aufgrund der Senioritätsgebundenheit der Entlohnung gehört die Gruppe der 40— 54jährigen zu den Spitzenverdienem. Da das staatliche Rentenversicherungssystem mit Pensionszahlungen nicht nahtlos an diese frühe Firmenpensionsgrenze anschließt, sind von Seiten des Unternehmens Abfindungszahlungen und gegebenenfalls auch eine Weiterbeschäftigung bei wesentlich reduziertem Einkommen vorgesehen. Zum Teil werden pensionierte Stammbeschäftigte auch an affilierte und Subkontraktunternehmen weiter-vermittelt, wo sie niedriger entlohnte Tätigkeiten übernehmen.

Der spezifisch japanische . Silber'-Arbeitsmarkt ist jedoch, wie die Arbeitslosenquote der über 55jährigen ausweist, in eine Krise geraten, weil sich der Kreis der Arbeitssuchenden enorm ausgeweitet hat. Das ist eine Folge der demographischen Strukturverschiebung der japanischen Gesellschaft, in der die Zunahme der Lebenserwartung später und drastischer einsetzte als in anderen Industrieländern. so daß sich Japan heute mit einem wohl einzigartig rapiden Anstieg des Altersdurchschnitts seiner Bevölkerung konfrontiert sieht.

Der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre hat sich im Zeitraum 1960— 1985 fast verdoppelt (von 5. 7 auf 10. 2 Prozent). Der Anteil der über 55jährigen Arbeitskräfte an der Gesamtzahl der Arbeitskräfte stieg in der Dekade 1975— 1985 von 15. 1 auf 18 Prozent Obwohl dieser Prozentsatz, verglichen mit den entsprechenden Anteilen dieser Altersgruppe in anderen Industrieländern, keineswegs dramatisch hoch ist. ergibt sich wegen der japanischen Beschäftigungspraktiken daraus — insbesondere in Krisenzeiten — ein schwer zu bewältigendes Problem.

Der Anteil der Hochlohnbeschäftigten im Alter von 45— 54 Jahren, der 1970 nur 27 Prozent aller Arbeitnehmer betrug, hat 1985 bereits die 40 Prozent-Marke überschritten Aber nicht nur die Lohn-kostenbelastung durch diese Altersgruppe bereitet den Unternehmen Kopfzerbrechen. Hinzu kommt, daß für diesen Personenkreis nicht genügend Aufstiegspositionen zur Verfügung stehen. So verstärkt sich der Wunsch, den Kreis der anscheinend Überzähligen durch Transfers zu reduzieren. Aber die Arbeitsplätze, die sich vielleicht für sie bei affilierten und Subkontraktunternehmen finden lassen, stehen dann den über 55jährigen nach ihrer Pensionierung nicht mehr zur Verfügung.

Staatlicherseits wurde versucht, die Unternehmen zu einer Heraufsetzung des Firmenpensionsalters auf 60 Jahre zu bewegen. Diese Bemühungen waren auch insofern erfolgreich, als die Unternehmen inzwischen mehrheitlich eine auf 60 Jahre angehobene Pensionsgrenze akzeptieren, allerdings meist verbunden mit einem frühen . Einfrieren* des Senioritätszuschlags.

Im Beschäftigungsstabilisierungsgesetz für ältere Arbeitnehmer wurden die staatlichen Empfehlungen zur Norm, ohne jedoch im Falle der Zuwiderhandlung Sanktionen vorzusehen In den Verwaltungsanleitungen zu diesem Gesetz wird von abweichenden Betrieben Rechenschaft gefordert, wobei . schlechte Geschäftslage* als Entschuldigung zugelassen ist. Die Unternehmen, die die Firmenpensionsgrenze noch nicht angehoben haben, werden verpflichtet, einen Zeitplan dafür aufzustellen.

Für die Weiterbeschäftigung oder auch befristete Neueinstellung der 60— 65jährigen sind finanzielle Anreize vorgesehen. Neben staatlichen Beratungsund Unterstützungsmaßnahmen zur Weiterbeschäftigung beziehungsweise Wiedereinstellung äl-terer Arbeitnehmer in Privatunternehmen ist auch an direkte öffentliche Beschäftigung in Form von Auftragsarbeiten gedacht, damit dieser Personenkreis wenigstens temporäre Erwerbschancen erhält.

Welche Bedeutung nicht nur unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten diesem Problem zukommt, zeigen Vorausschätzungen, nach denen der Anteil der über 65jährigen im Jahr 2010 zwischen 22— 23 Prozent der Gesamtbevölkerung betragen wird Traditionell war die Pflege der . Alten'in derjapanischen Gesellschaft Sache der Familie. Sie fiel in den Verantwortungsbereich des ältesten Sohns beziehungsweise in den seiner Ehefrau. Obwohl die Zahl der Dreigenerationenhaushalte auch in Japan zurückgeht, wird die jüngere Generation für die ältere schon wegen deren unzulänglicher finanzieller Absicherung auch in Zukunft Verantwortung tragen. In diesem Zusammenhang bereitet jedoch ein weiterer Trend Unbehagen. Gemeint ist die steigende Erwerbsbeteiligung japanischer Frauen nach der . Familienpause', die dann als . Pflegerinnen'nicht mehr so selbstverständlich zur Verfügung stehen.

1984 übertraf in Japan zum ersten Mal die Zahl der erwerbstätigen die der nichterwerbstätigen Frauen Selbst konservative Kritiker gehen nicht mehr davon aus, daß sich dieser Trend umkehren läßt. Zu offensichtlich ist die Verbindung von Frauenerwerbstätigkeit. Tertiärisierung und Ausweitung flexibler Beschäftigungsformen. Die in Hinblick darauf unternommenen Regulierungsanstrengungen nützen zweifellos insbesondere den japanischen Arbeitnehmerinnen. Um so bemerkenswerter ist es, daß das Chancengleichheitsgesetz vom 1. April 1986 darüber hinaus die Strukturprobleme der Frauenerwerbstätigkeit auf viel grundsätzlichere und umfassendere Weise aufgreift.

VII. Chancengleichheit für Frauen

Seit Mitte der siebziger Jahre nahm die Erwerbsbeteiligung japanischer Frauen speziell im mittleren Lebensalter wieder zu. Sie liegt in allen Altersgruppen über 35 Jahren weit über dem bundesrepublikanischen Äquivalent. Mehr als 60 Prozent aller japanischen Arbeitnehmerinnen gehören zu diesem Personenkreis Obwohl die Rückkehr ins Erwerbsleben nach der . Familienpause'in Japan anscheinend weniger Probleme aufwirft als bei uns. gelingt es den Rückkehrerinnen oft nicht, wieder in regulären Arbeitsverhältnissen Fuß zu fassen. Sie werden in ungesicherte, unterprivilegierte Beschäftigungsverhältnisse wie Teilzeit-oder Aushilfstätigkeit abgedrängt. Dort werden sie mit relativ unqualifizierter Arbeit in untergeordneter Position ohne längerfristige Qualifizierungs-und Aufstiegschancen beschäftigt und setzen damit fort, was bereits vor ihrer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit der Fall war und diese zum Teil mit motiviert haben mag.

Die Brisanz dieses Tatbestandes zeigt sich aber erst dann, wenn man berücksichtigt, daß in Japan ein weit höherer Prozentsatz von Frauen eine postsekundäre Ausbildung abschließt als in der Bundesrepublik (auch wenn die Bildungsabschlüsse sicher nicht in jeder Hinsicht vergleichbar sind Mei-nungsumfragen lassen erkennen, daß ein . harter Kem'dieser Frauen, circa ein Viertel aller Universitätsabsolventinnen. an einer kontinuierlichen Erwerbskarriere interessiert ist. Der vielversprechendste Weg dazu scheint ihnen, wie in der gleichen Umfrage deutlich wird, die fachliche Spezialisierung zu sein Die Übernahme der klassischen, geschlechtsstereotypen Rollen im japanischen Wirtschaftsleben wie . Office Lady'und . Sarariman'(Salaryman) lehnen sie mehrheitlich ab. Das am 1. April 1986 in Kraft getretene Chancengleichheitsgesetz geht auf eine United Nations Initiative zur Dekade der Frau (1975— 1985) zurück, der sich Japan angeschlossen hat Es unterscheidet zwischen verschiedenen Diskriminierungsbereichen, die es unterschiedlich gewichtet.

Verboten ist die Diskriminierung von Männern und Frauen bei Pensionierung und Entlassung. Bei Zuwiderhandeln können Frauen auf Wiedereinstellung und Gehaltsnachzahlung klagen. Verboten ist auch die Diskriminierung nach Geschlecht in der innerbetrieblichen Ausbildung sowohl in der Grundausbildung als auch in der Weiterbildung für Führungspositionen und in der fachlichen Fortbildung. Ferner ist die Diskriminierung nach Geschlecht verboten bei betrieblichen Sozialleistungen (wie Wohnungsbereitstellung, Darlehnsgewährung). Bei Verstößen sind Schadenersatzklagen möglich, aber es sind keine Strafbestimmungen vorgesehen.

In allen anderen möglichen Diskriminierungsbereichen wie Stellenausschreibung, Rekrutierung. Arbeitszuteilung oder Beförderung wird den Arbeitgebern in bezug auf die Chancengleichheit lediglich eine sogenannte Anstrebungspflicht auferlegt. Auch die Verwaltungsleitlinien zum Chancengleichheitsgesetz bieten nicht mehr als eine kenntnisreiche, detaillierte Auflistung frauendiskriminierender Praktiken, verbunden mit der dringlichen Empfehlung, davon doch Abstand zu nehmen.

Gesetze ohne Strafandrohungen stellen jedoch, wie bereits am Leiharbeits-und Beschäftigungsstabilisierungsgesetz für ältere Arbeitnehmer deutlich wurde, in Japan keine Ausnahme dar. Aus Bereichen wie dem Umweltschutz ist bekannt, daß damit durchaus auf effektive Weise Folgebereitschaft gesichert werden kann. Daß der Anstoß zu einer Reform von . außen* kam, ist in der japanischen Geschichte nichts Neues. Wer das Chancengleichheitsgesetz für eine reine Propagandamaßnahme hält, übersieht, daß es innerhalb Japans bei konservativen, auch weiblichen Intellektuellen, auf starke Ablehnung stieß, erstaunlicherweise aber nicht bei den einflußreichen Unternehmerverbänden.

Das hängt zum geringeren Teil sicher damit zusammen. daß quasi im Gegenzug frauenspezifische Schutzbestimmungen, insbesondere Überstundenbegrenzungen, gelockert wurden -(Der umstrittene Menstruationsurlaub blieb allerdings erhalten). Im wesentlichen wurde das Chancengleichheitsgesetz jedoch deshalb von den Unternehmern akzeptiert, weil es sich durchaus mit ihren langfristigen Interessen vereinbaren läßt. Angesichts schwer einzuschätzender Zukunftschancen und in Hinblick auf den Altersaufbau ihrer Belegschaften sind sie daran interessiert, den Kreis der männlichen Stammbeschäftigten nicht unnötig auszudehnen. Deshalb sind sie bereit, Universitätsabsolventinnen in größerer Zahl einzustellen und sie — in Grenzen — auch innerbetrieblich zu qualifizieren. Sie nehmen in Kauf, daß diese Frauen voraussichtlich mehrheitlich ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen werden. Aber ihre sogenannte natürliche Fluktuation wird als weniger belastend empfunden als die Erwartungshaltung männlicher Stammbe31) schäftigter auf . lebenslängliche* Arbeitsplatzsicherheit und Beförderung.

Paradoxerweise ist es gerade die Rigidität bisheriger geschlechtsspezifischer Arbeitsmarktsegmentation. die den japanischen Frauen jetzt Wettbewerbsvorteile verschafft. Daß für sie . Anstellung auf Lebenszeit* nicht vorgesehen war, verbessert unter Krisenbedingungen ihre Einstellungschancen. Aus der Sicht der Unternehmen und vieler japanischer Arbeitsmarktexperten sind die japanischen Arbeitnehmerinnen eine flexible und intelligente (sprich: qualifizierbare) Arbeitskraftreserve, die man problemlos aktivieren und deaktivieren kann. Bezeichnenderweise ist der Prozentsatz der Unternehmen, die weiblichen Beschäftigten Wiedereinstellungsgarantien nach der . Familienpause* bieten, gering, obwohl es sogar staatliche Finanzhilfen dafür gibt.

Was die Wirkungen des Chancengleichheitsgesetzes betrifft, zeichnen sich zwei Trends ab: zum einen ein Trend zu verbesserten Einstellungschancen für Universitätsabsolventinnen, zum anderen ein Trend zur Polarisierung der Beschäftigungsstruktur von Frauen. Bei den Universitätsabsolventinnen wurde mit einer Einstellungsquote von 73, 4 Prozent im Jahr 1986 der höchste Wert seit 1955 erreicht. Ihre diesbezügliche Benachteiligung gegenüber männlichen Absolventen hat kontinuierlich abgenommen Auch darin zeigt sich, daß das Chancengleichheitsgesetz offensichtlich nur eine langfristig angelegte Entwicklung ratifiziert.

Die Zahl der Unternehmen, die Universitätsabsolventinnen einstellen, nahm zum Einstellungstermin 1987 um circa zehn Prozent zu. Generell lassen Großbetriebe am ehesten eine gewisse Bereitschaft erkennen, Rekrutierungs-, Ausbildungs-und Aufstiegskriterien auf geschlechtsdiskriminierende Aspekte zu überdenken. Umfragen zeigen, daß das Management dabei ist, Qualifikationsanforderungen an Frauen neu festzusetzen. Danach sollen Erwartungen wie „Spezialkenntnisse“, „Planungsfähigkeit“, „Verhandlungsgeschick“ drastisch gestiegen sein. Dennoch wäre es völlig unrealistisch anzunehmen. daß Karrieren für japanische Frauen in greifbare Nähe gerückt sind. Günstigstenfalls dürfte die unterste Sprosse der Leiter für einige von ihnen erreichbar werden. Es ist noch unklar, ob es tatsächlich zu einer Polarisierung der weiblichen Beschäftigten je nach . Spezial*-oder „Allround’-Aufgaben kommen wird oder ob eine generelle Anhebung des Qualifikationsniveaus der Frauenarbeit wahrscheinlicher ist. Das hängt unter anderem damit zusammen, daß die Folgewirkungen der Büroautomatisierung, die in Japan bekanntlich später einsetzte als die Automatisierung der Fabriken, noch wenig transparent sind.

Eine spezifisch japanische Maßnahme der Frauen-förderung stellt die inzwischen populäre Etablierung sogenannter Frauenteams dar. Dabei verfolgt man die Absicht, die „besondere Sensibilität der Frauen“ für das Unternehmen in Form neuer Produkt-und Projektideen zu nutzen Die Ideologie vom besonderen weiblichen Geschlechtscharakter erleichtert es offensichtlich konservativen Managern, weiblichen Beschäftigten im Unternehmen mehr Spielraum zu gewähren. Wie häufig in Japan lassen sich Innovationen durch Rückgriff auf traditionelles Gedankengut besser legitimieren.

VIII. Der Arbeitnehmer der Zukunft?

Die japanische Wirtschaft steht am Anfang eines tiefgreifenden Strukturwandels. Die von Massen-produktionsgütern geprägte Ära und ihre Organisationsformen geht zu Ende; das Zeitalter der Informationstechnologien, der intelligenten Produkte, hat begonnen. Die menschliche Arbeitskraft rückt auf neue Weise in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Der japanische Arbeitsmarkttheoretiker Shimada stellt in einem programmatischen Aufsatz zur Diskussion, ob damit nicht auch japanische Managementmethoden wie . Total Quality Control* obsolet werden, denn im Kern seien sie Maßnahmen der Kostensenkung im Rahmen von Massenproduktion: Die Produktivität von , white collar.der Arbeit des Planens und Entwickelns, lasse sich jedoch nicht durch Kostensenkung steigern, sondern beruhe auf dem kreativen Erfassen von Marktchancen.

In japanischen Publikationen ist viel die Rede von sogenannten , flow-type-corporations‘, die die rigiden Organisationsformen des alten Typs ablösen sollen Sie begrenzen Fixkosten auf ein Minimum und . leasen* Arbeitskräfte und Kapital nach Bedarf. Typischerweise beschäftigen sie nur wenige hochqualifizierte Mitarbeiter auf Dauer. Ihre Geschäfte wickeln sie mit Hilfe kooperierender oder abhängiger Unternehmen ab. für die sie quasi nur noch die Software bereitstellen. Das Profil dieses angeblich neuen Unternehmenstyps bleibt aber noch ziemlich verschwommen. Er ist Teil jener futuristischen Spekulationen über die postindustrielle Gesellschaft, die in Japan mit dem Schlagwort . softnomics* belegt sind. Dabei ist der Arbeitsmarkt nur eine Arena der Spekulation. Generell wird angenommen, daß sich in der postindustriellen japanischen Gesellschaft „Geld. Menschen und Güter schneller und ungebundener auf Märkten bewegen werden als je zuvor“

Erstaunlich unproblematisch erscheint es dabei den japanischen Arbeitsmarktexperten, ob diese Flexibilisierung auch den betroffenen Arbeitnehmern zusagt. Sie stützen sich auf Meinungsumfragen bei männlichen Stammbeschäftigten, nach denen ein hoher Prozentsatz Wünsche nach mehr (freiwilliger) zwischenbetrieblicher Mobilität anmeldet (aber, wie die insgesamt sehr niedrigen Jobwechselraten zeigen, in der Realität kaum Gebrauch davon macht). Verstärkt sich das Bedürfnis, der quasi-totalitären, . lebenslänglichen* Bindung an ein Unternehmen zu entgehen? Damit vereinbar wäre im übrigen auch das scheinbar entgegengesetzte Motiv nach Einschränkung von Mobilität. Gemeint sind jene größtenteils unfreiwilligen Versetzungen, die japanischen Stammbeschäftigten in ihrer Erwerbs-karriere zugemutet werden und die oft mit zeitweiliger oder dauerhafter Trennung von der Familie verbunden sind. Da weibliche Beschäftigte diese Versetzungspraktiken immer noch mehrheitlich kategorisch ablehnen, sind japanische Unternehmen dazu übergegangen, das Karrieremuster des „Area Restricted Employment* einzurichten. Wie Umfragen zeigen, findet es auch bei männlichen Arbeitnehmern Anklang, obwohl es reduzierte Aufstiegschancen impliziert

Flexible Beschäftigungsformen werden in Japan sehr viel unkritischer betrachtet als etwa in der Bundesrepublik. Aus regierungsnahen Publikationen kann man den Eindruck gewinnen, daß damit ein Zuwachs an individueller Wahlfreiheit suggeriert wird. Nur wenige flexible Arbeitskräfte werden jedoch dem propagierten Image des raren und deshalb wählerischen Spezialisten entsprechen können. Die japanischen Flexibilisierungsbestrebungen werden unter anderem danach beurteilt werden müssen, ob sie von einer Anhebung des Qualifikationsniveaus der flexiblen Arbeitskräfte begleitet sind, denn nur ein qualifzierter Arbeitnehmer kann unter Umständen . Wahlfreiheit* in Anspruch nehmen. Eine . Qualifikationsoffensive* ist in Japan aber schwerer in Gang zu bringen als etwa in der Bundesrepublik, weil fachliche Aus-und Fortbildung bisher fast ausschließlich untemehmensintern angeboten wurden. Es wären zunächst sowohl beim einzelnen Arbeitnehmer fachliche Bildungsmotivationen zu wecken als auch unternehmensexterne Institutionen dafür bereitzustellen.

Es ist unverkennbar, daß man in Japan von Regierungsseite aus tatsächlich Anstrengungen dieser Art unternimmt. Der Arbeitsmarktexperte Shimada schlug ein System von Steuererleichterungen vor. das dem einzelnen Arbeitnehmer auch finanziell einen Weiterbildungsanreiz bieten soll. Eine der wichtigsten von Shimada benannten Voraussetzungen ist allerdings noch unerfüllt: die drastische Kürzung der Arbeitszeit beziehungsweise die Einführung eines bezahlten Bildungsurlaubs. Arbeitszeit-verkürzungen hält er aber in diesem Zusammenhang auch aus einem anderen Grund für notwendig: Ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz könne man den einzelnen Arbeitnehmer nicht zum Einsatz von Zeit und Geld für Fortbildungszwecke motivieren.

Prognostiziert wird, daß auch der Bereich der fachlichen Aus-und Weiterbildung in Japan zum Operationsfeld kleiner, kreativer Unternehmen werden wird, die sich auf die gewinnbringende Vermittlung von . know how* spezialisieren. Aber auch die Regierung plant, das Land flächendeckend mit öffentlichen Weiterbildungseinrichtungen zu überziehen Die Zukunft wird zeigen, ob damit mehr individuelle Entwicklungschancen verbunden sind als in der untemehmensintern organisierten Qualifizierung, von der flexible Arbeitskräfte größtenteils ausgeschlossen waren. Ein arbeitsmarkt-und sozialpolitisches Problem ersten Rangs bleibt ihre langfristige soziale Absicherung. Trends wie Individualisierung und Spezialisierung scheinen dem japanischen System industrieller Beziehungen zuwiderzulaufen. Wenn sich eine stärkere . Individualisierung* bei Aufrechterhaltung kooperativer Strukturen durchsetzen sollte, dann hätte Japan jedoch damit wieder einmal eine flexible Antwort aufwestliche Herausforderungen erteilt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ronald Dore. Flexible Rigidities. Industrial Policy and Structural Adjustment in the Japanese Economy 1970— 80, London 1986, S. 6.

  2. Ronald Dore, Taking Japan Seriously. A Confucian Perspective on Leading Economic Issues, London 1987.

  3. August 1987: 2. 8 Prozent; vgl. Japan Labor Bulletin vom 26. November 1987, S. 9.

  4. Uwe Vollmer, Arbeitsmarktinstitutionen. Lohnflexibilität und Arbeitslosigkeit in Japan, in: List Forum. Bd. 14. (1988) 4, S. 191.

  5. Zitiert nach: Journal of Japanese Trade & Industry. (1987) 5, S. 11; die Angaben sind bezogen auf das Fiskaljahr 1986/87.

  6. Vgl. zur Beschäftigungsentwicklung in Japan die tabellarische Übersicht in: Arbeitsmarktchronik. (1987) 29. S. 11.

  7. Angelika Emst, Japans unvollkommene Vollbeschäftigung. Beschäftigungsprobleme und Beschäftigungspolitik, in: Mitteilungen des Instituts für Asienkunde. Hamburg 1980. S. 12.

  8. Ebda.. S. 21.

  9. Michiko Nakajima, Women at Work, in: Japan Echo, XII (1985) 4, S. 60.

  10. Vgl. zur Entwicklung der Beschäftigung nach Status in Japan die tabellarische Übersicht in: Arbeitsmarktchronik (Anm. 6), S. 10.

  11. Vgl. die in Anm. 6 angegebene tabellarische Über-sicht.

  12. Vgl. die Bemerkungen zur Entwicklung der Einstellungsquoten männlicher und weiblicher Universitätsabsolventen in Anm. 32.

  13. Vgl. die tabellarische Übersicht bei: Takeshi Inagami. The Rapid Rise in the Value of the Yen, Deindustrialization and Employment Adjustment, in: Japan Labor Bulletin vom 26. Juli 1987, S. 6.

  14. Vgl. Trends in Number and Increase Rate of Female Part-time Workers, in: Japan Labor Bulletin vom 26. November 1987, S. 8.

  15. Vgl. T. Inagami (Anm. 13), S. 7.

  16. Vgl. das Modell der Strukturveränderungen des unternehmensinternen Arbeitsmarkts von Takeshi Inagami. in: Japan Labor Bulletin vom 24. März 1985. S. 6.

  17. Vgl. A. Emst (Anm. 7). S. 210.

  18. Zitiert nach: Katsutoshi Kezuka. Neue Entwicklung des Arbeitsrechts in Japan, in: WSI Mitteilungen. (1987) 4. S. 223. Meine Darstellung des Leiharbeitsgesetzes basiert auf Kezuka und auf: Outline of Government and Ministerial Ordinances for Implementing the Employee Dispatching Business Law, in: Japan Labor Bulletin vom 25. Juli 1986. S. 6-8.

  19. Vgl. A. Emst (Anm. 7). S. 200.

  20. Zitiert nach: Yasuo Suwa. Policy For Part-Time Workers: A Recent Study Group Report, in: Japan Labor Bulletin vom 26. November 1987. S. 5. Meine Darstellung der Reformbestrebungen der Teilzeitarbeit basiert auf diesem Bericht sowie auf K. Kezuka (Anm. 18), S. 221.

  21. Vgl. die Tabelle . Arbeitslose nach Geschlecht und Alter* in Japan, in: Arbeitsmarktchronik (Anm. 6). S. 13.

  22. K. Kezuka (Anm. 18). S. 222.

  23. A. Emst (Anm. 7). S. 224.

  24. Akira Watanabe. Mandatory Retirement Age System and Enactement of New Law for Securing Employment for Elderly People, in: Japan Labor Bulletin vom 25. Dezember 1986. S. 6. Meine Darstellung des Beschäftigungsstabilisierungsgesetzes basiert auf diesem Bericht sowie auf K. Kezuka (Anm. 18), S. 222.

  25. A. Watanabe (Anm. 24), S. 6.

  26. Japan Times vom 7. September 1985,

  27. K. Kezuka (Anm. 18), S. 219.

  28. Japan: 32. 3 Prozent. Bundesrepublik: 17. 4 Prozent (1981). siehe A. Emst. A Comparison of the Position of W omen in the Labor Markets of Japan and West Germany, in: Bergmann/Tokunaga, Economic and Social Aspects of Industrial Relations, Frankfurt-New York 1987. S. 112.

  29. Meinungsumfrage der Taiyo-Bank. März 1987, zitiert nach: Eiko Shinozuka. Koyo Kintoho no Eikyo to Kigyo no Taio (Der Einfluß des Chancengleichheitsgesetzes und die Reaktion der Betriebe), Nihon Keizai Center. 1987, S. 37 und 159.

  30. Meine Darstellung des Chancengleichheitsgesetzes basiert auf: The Equal Employment Opportunity Law in: Japan Labor Bulletin 24. Juli 1985. S. 5— 8; Ordinance and Guidelines for Implementing the Equal Employment Opportunity Law vom 25. April 1986, S. 5— 8; The Impact of the Equal Employment Opportunity Law at its First Stage of Enforcement, in: Japan Labor Bulletin vom 26. Oktober 1987, S. 58. und K. Kezuka (Anm. 18), S. 219— 221.

  31. Vgl. K. Kezuka (Anm. 18), S. 221.

  32. Die Einstellungsquote der männlichen Universitätsabsolventen ist von 1960 (86, 3 Prozent) bis 1986 (78, 9 Prozent) nahezu kontinuierlich gesunken, während die Einstellungsquote der Universitätsabsolventinnen ab den siebziger Jahren kontinuierlich anstieg, vgl. E. Shinozuka (Anm. 29). S. 31.

  33. Vgl. Look Japan, December 1986; E. Shinozuka (Anm. 29). S. 145.

  34. Haruo Shimada. Human Resource Strategies for a Creative Society, in: Japan Echo, Special Issue, (1986) XIII,

  35. Vgl. H. Shimada, ebda.. S. 43, und Angelika Ernst, Japans Arbeitsmarkt im Umbruch, in: ifo-Schnelldienst 12 (1987).

  36. Katsuto Uchihashi. Corporations Encounter the Information Revolution, in: Japan Echo, Special Issue. (1986) XIII. S. 38.

  37. Vgl. Michio Nitta, Will Employment Practices and Industrial Relations Change?, in: Japan Labor Bulletin vom 26. Juni 1987, S. 6.

  38. Vgl. Look Japan. December 1987 (. Learn, Baby, leam*).

Weitere Inhalte