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Politik und Wirtschaft in Japan Traditionelle Kooperationssysteme vor neuen Herausforderungen | APuZ 19/1988 | bpb.de

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APuZ 19/1988 Artikel 1 Politik und Wirtschaft in Japan Traditionelle Kooperationssysteme vor neuen Herausforderungen Der Technostaat plant seine Zukunft Technologiepolitik in Japan Die Dynamik des japanischen Arbeitsmarkts Zur Außen-und Sicherheitspolitik Japans

Politik und Wirtschaft in Japan Traditionelle Kooperationssysteme vor neuen Herausforderungen

Manfred Pohl

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Führungswechsel an der Spitze in Regierungspartei und Kabinett vom November 1987.der an die Stelle des offensiven „Außenpolitikers“ Nakasone Yasuhiro den eher zurückhaltenden, nach Innen orientierten Takeshita Noboru setzte, fiel in eine Periode tiefgreifender innen-und außenpolitischer Umbrüche. Unter massivem Druck seiner Handelspartner, allen voran der USA, und unter der weiter andauernden Belastung durch den hohen Yen, muß die neue RegierungTakeshita die Binnennachfrage stärken, weitere Marktöffnungen ermöglichen und eine ganze Serie sozial-und steuerpolitischer Probleme (Überalterung. Haushaltsdefizite) anpacken. Alle Lösungsmodelle für diese Probleme belasten die traditionellen Kooperationsformen zwischen Wirtschaft und Politik. Der früher selbstverständliche Konsens zwischen den einzelnen Interessengruppen (vor allem von Industrie und Landwirtschaft) ist zunehmend Belastungen ausgesetzt, die sich bis in die japanische Regierungspartei LDP erstrecken. Die Konservativen Japans sehen sich einer Zerreißprobe ausgesetzt: Auf der einen Seite die Zielvorstellungen der Interessenverbände in der verarbeitenden Industrie, die mit ihren Spenden die relativ mitgliederschwache Regierungspartei finanzieren, auf der anderen Seite die harten Forderungen der Bauernverbände, deren Mitglieder die Wählerbasis der Regierungspartei stellen. Dabei werden die traditionellen innerparteilichen Willensbildungsprozesse und das sorgsam austarierte Einflußgleichgewicht bedroht. An zwei Beispielen — der Einfuhrliberalisierung bei Agrargütem (Zitrusfrüchten) sowie der Öffnung des japanischen Baumarktes — wird dieses Dilemma des neuen japanischen Regierungschefs und seiner Partei verdeutlicht.

I. Das Ende der Ära Nakasone

Tabelle: Japans Importe nach Warengruppen (in Mrd. US-Dollar) Nahrungsmittel Textilmaterial Textilien Rohstoffe Metalle Eisenerz Min. Brennstoffe Maschinen/Ausrüstung Industrielle Fertigwaren (gesamt) 1985 15, 547 2. 155 3, 886 9. 567 6. 232 3, 045 55, 790 12, 372 36, 414 1986 19, 186 1, 863 5. 027 9, 910 5, 763 2, 759 36, 904 14, 699 44, 039 Quelle: Japan 1988 — An International Comparison. ed. by Keizai Koho Center, Tokyo 1988. p. 43.

Im November 1987 fand ein Wechsel an der Spitze der japanischen Regierungspartei LDP (Liberal-demokratische Partei) und damit automatisch auch im höchsten Regierungsamt statt: Von Nakasone Yasuhiro übernahm Takeshita Noboru, der „Erbe“ der größten innerparteilichen Machtgruppe, der ehemaligen Tanaka-Fraktion. Nakasone hatte seit 1982 die Regierungspartei geführt und als Ministerpräsident fünf Jahre lang der japanischen Politik, nach innen wie nach außen, einen unverwechselbaren Charakter verliehen. Geprägt war seine Amtszeit von dem höchsten Triumph der LDP, dem Sieg in den Doppelwahlen vom Juli 1986, und der schlimmsten Niederlage, der breiten Ablehnung einer grundlegenden Steuerreform Anfang 1987, die sich in schweren Verlusten der LDP bei Kommunalwahlen äußerte Die Ablehnung erstreckte sich teilweise bis in die Reihen der Regierungspartei hinein. Nakasone hatte versucht, einerseits eine Steuersenkung großen Maßstabs durchzusetzen, andererseits aber auch kleine Sparguthaben verstärkt zu besteuern und zusätzlich eine Art Mehrwertsteuereinzuführen. Der breit angelegte Widerstand gegen diese Steuerreform erinnerte in seiner Heftigkeit an den Widerstand gegen die Verlängerung des amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrages von 1960.

Begleitet war das Ende der Nakasone-Ära durch einen drastischen Popularitätsverlust des Partei-und Regierungschefs, dessen Beliebtheitskurve von einer Zustimmungsrate von über 53 Prozent (Mai 1986) auf 24 Prozent (März 1987) abgesunken war; dieser Popularitätsverlust des Regierungschefs war an sich nichts Ungewöhnliches, aber er erstreckte sich auch auf die Partei insgesamt, und das bedeutete einen deutlichen Unterschied zur bisherigen Tradition in Japan: Typischerweise entwickelte sich am Ende der Amtszeit eines Ministerpräsidenten die Zustimmungskurve für seine Person nach unten, während die Unterstützungsrate für die Partei an sich entweder nach oben ging oder aber zumindestens auf demselben Niveau blieb. Der breite Popularitätsverlust für Nakasone und seine Partei hatte unmittelbare politische Konsequenzen: In den Regional-und Kommunalwahlen von Anfang 1987 mußte die LDP drastische Rückschläge hinnehmen, in ihrem verzweifelten Kampf um Mandate distanzierten sich sogar LDP-Abgeordnete nachdrücklich von den Steuerreformplänen des Regierungschefs

Nakasones Regierungsstil war geprägt von der Bereitschaft, auch hochsensible Tabu-Themen anzupacken und Lösungen zu versuchen. So überstiegen die Verteidigungsausgaben im Haushaltsansatz 1987 erstmals mit ausdrücklicher Billigung des Regierungschefs die früher sakrosankte Grenze von ein Prozent des Bruttosozialprodukts; 1976 hatte sich das japanische Parlament informell auf diese Obergrenze geeinigt, und seither hatte jeder japanische Regierungschef peinlich auf die Einhaltung dieser Selbstbeschränkung geachtet. Nakasone war ein Regierungschef, der für Japan gezielt ein deutlicheres außenpolitisches Profil suchte und nachdrücklich für Japan eine verantwortliche Rolle im exklusiven Club der großen Mächte beanspruchte.

Die deutlichsten Erfolge Nakasones:

— Von 1982 bis 1987 wandelte sich die japanische Außenpolitik von einem bloß reaktiven Stil zu offensiven Vorstößen; Vermittlungsangebote im Nahostkonflikt zwischen Iran und Irak, das offene Bekenntnis zur Verantwortung für wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklungen in Südostasien, größeres Selbstbewußtsein gegenüber dem traditionellen Partner und Verbündeten USA und ein weiteres Heranrücken an den Nachbarn China, Vorstöße in Richtung Sowjetunion und ein nachdrückliches Engagement auf der koreanischen Halbinsel, verbunden mit dem Bekenntnis zur Verantwortung Japans für die Stabilisierung der Situation zwischen beiden Koreas.

— Im Inneren setzte Nakasone die Privatisierung der großen Staatsuntemehmen, der Telefon-und Telegraphenbehörden sowie der japanischen Staatsbahnen, durch; bei diesen Vorhaben erwies sich der Regierungschef als kämpferischer Vertreter eigener Interessen, indem er den Konflikt mit den militanten Gewerkschaften des öffentlichen Sektors suchte und gegen ihren massiven Widerstand die Privatisierungspläne verwirklichte.

— Trotz solcher drastischen Abweichungen vom traditionellen politischen Stil Japans, der offene Konflikte gern von dem Vordergrund der politischen Bühne in den Hintergrund ausgewählter Zirkel verlagert, gelang es Nakasone, das Machtmonopol seiner Partei weiter zu festigen. Die starken Popularitätsverluste des Regierungschefs 1987 bildeten keine echte Bedrohung für die Kontinuität konservativer Herrschaft in Japan, weil gegen die starke Persönlichkeit des Ministerpräsidenten und die unbestreitbaren Erfolge der LDP die Opposition keine glaubwürdige Alternative darstellte.

II. Die wichtigsten Ziele der neuen Regierung Takeshita

Mit Takeshita übernahm 1987 ein Politiker das höchste Partei-und Staatsamt, der zu den vier soge-nannten „New Leaders“ gehört, jenen vier Politikern, die seit 1980 unentwegt als „ewige Kandidaten“ auf ihre Chance zur Machtübernahme gewartet hatten. Takeshita konnte an seinen beiden schärfsten Konkurrenten Miyazawa Kiichi und Abe Shintaro vorbeiziehen, weil er die Unterstützung des größten Teiles der Tanaka-Fraktion genoß. Hatte man die Nakasone-Kabinette scherzhaft als „Tanakasone-Regierungen“ bezeichnet, so erhielt das neue Kabinett Takeshitas sogleich den Spitznamen „Takenaka-Kabinett“, um die enge Verbundenheit des neuen Partei-und Regierungschefs mit der ehemaligen Tanaka-Fraktion herauszustreichen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der einen fast aggressiven politischen Stil pflegte, repräsentiert Takeshita einen Politiker-Typus, der wieder japanischer politischer Tradition verpflichtet ist: Er entstammt nicht einer der Elitebürokratien, die jahrelang Japans Ministerpräsidenten gestellt haben, sondern gelangte in sein Amt über eine Karriere als ein Regionalpolitiker, dessen Haupteigenschaft eine fast unbegrenzte Kompromißfähigkeit ist. Damit dürfte Takeshita ironischerweise ein Wunschkandidat eben dieser Elitebürokratien sein, die unter Nakasone — „einem der ihren aus dem Innenministerium“ — mit ansehen mußten, wie ihr direkter politischer Einfluß zurückgedrängt wurde.

Wie alle seine Vorgänger hat auch Takeshita auf einen sorgfältigen Fraktionen-Proporz geachtet: Er selbst und seine Machtgruppe (die ehemalige Tanaka-Fraktion) besetzten sechs Kabinettsposten, Miyazawas Gruppe erhielt vier, sein Vorgänger Nakasone ebenfalls vier und sein zweiter schärfster Konkurrent Abe die gleiche Zahl von Minister-posten; die Komoto-Fraktion als „innerparteiliche Opposition“ erhielt zwei Kabinettsämter. Auf der ersten Pressekonferenz nach seinem Amtsantritt nannte Takeshita die wichtigsten Aufgaben seiner Administration: Im Inneren sind es fünf Hauptziele, die Takeshita erreichen will, nämlich — Strukturwandel der Industrie mit dem Ziel weiterer Stärkung der Klein-und Mittelbetriebe;

— Stabilisierung des Arbeitsmarktes, hier waren Probleme durch zunehmende Abwanderung von japanischen Unternehmen in das benachbarte Ausland entstanden;

— Abbau der Defizitfinanzierung des Staatshaushaltes durch Konsolidierung der Staatseinnahmen (Steuerreform);

— Verstärkung der Binnennachfrage, also die Abkehr von der exportinduzierten Wirtschaftsentwicklung und — verstärkter Wohnungsbau und deutliche Anhebung des durchschnittlichen Lebensstandards.

In den Außenbeziehungen Japans stellen sich nach Auffassung des neuen Regierungschefs die folgenden Probleme, die sämtlich eng mit inneren Problemen verknüpft sind und extrem schwer zu lösen sein dürften:

— Liberalisierung der Agrarimporte, — verstärkte Verteidigungsausgaben bei Betonung der defensiven Rüstung, — Bekräftigung der Ansprüche auf Rückgabe der Kurilen-Inseln bei gleichzeitiger Annäherung an die Sowjetunion, — aktive Außenpolitik in Südostasien (Kambodscha-Problem, Wirtschafts-und Sozialentwicklung der ASEAN-Staaten); Takeshita unterstrich diesen Anspruch durch eine symbolische Geste: Seine erste Auslandsreise führte in nicht in die USA, wie es früher Tradition gewesen war, sondern in die ASEAN-Staaten.

Die internationalen Rahmenbedingungen, unter denen Takeshita die genannten Aufgaben bewältigen muß, sind Anfang 1988 nicht vorteilhaft:

— Der weiter fallende US-Dollar hat zwar nur vorübergehend Exportprobleme für Japans Wirtschaft gebracht, hat aber doch zur Verlagerung ganzer Fertigungsbereiche in das benachbarte Ausland geführt. — Bei Amtsantritt Takeshitas hatte Japan die bis dahin höchste Arbeitslosenrate von gut über drei Prozent zu verzeichnen, die zwar inzwischen wieder deutlich gesunken ist, aber 1987 vorübergehend das besorgniserregende Merkmal struktureller Arbeitslosigkeit (Werften, Stahl, Bergbau) aufwies.

— Trotz Yen-Aufwertung und Importförderungsmaßnahmen (sogenannte „Marktöffnungspakete“) wuchs der japanische Handelsbilanzüberschuß zu immer neuen Rekordhöhen und verschärfte damit die Kritik aus den USA. Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen 1988 dürften die amerikanische Kritik noch verschärfen.

Es bleibt die Befürchtung, daß der Machtwechsel von Nakasone zu Takeshita mit seinem Grundcharakteristika an den Wechsel von Kiichi zu Ikeda 1960 erinnert: Auch damals machte ein aggressiver Außenpolitiker, der konfliktbereit zentrale außen-politische Zielsetzungen (Sicherheitsvertrag, Bündnis mit den USA) durchsetzte, um dann einem Nachfolger zu weichen, der auf eine aktive außen-politische Rolle Japans verzichtete und statt dessen unter dem Slogan „Verdoppelung des Volkseinkommens“ die wirtschaftliche Entwicklung Japans vorantrieb.

Takeshitas Vorgänger Nakasone hat Japan in eine internationale Rolle geführt, von der das Land unter Takeshita nicht mehr zurücktreten kann. Gerade in den internationalen Beziehungen hat Nakasone Maßstäbe gesetzt, an denen sich auch sein Nachfolger Takeshita orientieren muß. Wie alle anderen Industrieländer hat auch Japan Probleme mit seinen Schuldnerländern, sogar noch im stärkeren Maße als diese, weil Japan bisher vor allem Kredite in Yen vergeben hat. Durch die Wechselkursentwicklung der japanischen Währung gegenüber dem US-Dollar haben sich die Hilfsleistungen Japans in Belastungen für die Empfängerländer verwandelt; auch solide Schuldner wie z. B. Malaysia mußten erkennen, daß bei der Rückzahlung von Yen-Krediten größte Schwierigkeiten auftraten. Takeshita wird versuchen müssen, durch neue Formen der Schuldenerleichterung (Erwerb von Anteilen an Industrien der Schuldnerländer) und weitere Umschuldungsvereinbarungen einen Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung der Entwicklungsländer zu leisten, wobei insbesondere Japans Verantwortung für die ASEAN-Staaten Rechnung zu tragen sein wird.

Unter Takeshita wird die japanische Entwicklungshilfe neue Formen annehmen müssen; auch hier hat Nakasone bereits Maßstäbe gesetzt, indem er besonders in Singapur, Thailand und Malaysia japanische Entwicklungshilfe zum Ausbau der Exportindustrien dieser Länder einsetzte. Ein weiteres Signal setzte Nakasone, als er im Zusammenwirken mit der japanischen Wirtschaft ein „Recycling“ von 30 Mrd. US-Dollar verfügbaren Investitionskapitals in die Entwicklungsländer — hier wieder mit Schwerpunkt Südostasien — in Aussicht stellte. Bisher gingen bis zu 70 Prozent der japanischen öffentlichen Entwicklungshilfe nach Südostasien, in Zukunft erwarten auch Entwicklungsländer anderer Weltregionen (Afrika, Ibero-Amerika) ein verstärktes Engagement Japans. Wirkungsvolle Entwicklungshilfe kann Japan jedoch nur leisten, wenn zukünftige Importfördermaßnahmen nicht mehr ausschließlich auf Produkte aus Industrieländern zielen, die auf Japan Druck ausüben können (USA, EG), sondern verstärkt auch den japanischen Markt für industrielle Fertigwaren aus Ländern der Dritten Welt öffnen.

Der Abbau unvernünftiger Überkapazitäten in der japanischen Industrie, die zu einem Bedrohungsfaktor der Weltwirtschaft geworden sind, sowie eine Vereinfachung des japanischen Vertriebssystems sind zentrale Aufgaben im Innern. Dabei dürfte eine „Modernisierung“ des japanischen Vertriebssystems das Hauptproblem darstellen, weil dieses System mit seinen zahlreichen Arbeitsplätzen integraler Bestandteil der sozialen Sicherungsstrukturen in Japan ist.

Mit Takeshita ist ein Mann des Kompromisses an die Spitze der japanischen Regierung getreten, völlig anders in seinem politischen Stil als sein Vorgänger. Es bleiben jedoch unverändert dieselben „politischen Spielregeln“, denen auch Takeshita unterworfen ist, vor allem die Herausforderung durch gut organisierte Partikularinteressen.

III. Die Herausforderung durch organisierte Interessen

Im Spannungsfeld des Widerspruches zwischen den Interessen der mächtigsten organisierten Minderheit — der Bauernverbände — einerseits und den kaum weniger einflußreichen Wirtschaftsverbän-den andererseits scheinen insbesondere die wirtschaftspolitischen Entscheidungen ausschließlich im Wettbewerb konkurrierender Partikularinteressen getroffen zu werden („Parteifinanzen“ und „Machtgruppen“) — und das auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit. Der neue Ministerpräsident wird auf mittlere Sicht nicht umhin können, die Konfrontation mit einem der mächtigen Verbände zu suchen; als technologisch hochentwickelte Nation, die sich noch immer das vormoderne Relikt einseitiger Privilegien für die agrarische Bevölkerung leistet, obwohl es kaum noch landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe gibt, wird die entscheidende Auseinandersetzung fraglos mit den Bauernverbänden stattfinden. Die ersten Gefechte laufen gegenwärtig über „Stellvertreter“, d. h. es sind die industriellen Wirtschaftsverbände, die die Konfrontation mit den Bauern suchen. Ihr Motiv ist die Sicherung der amerikanischen und europäischen Exportmärkte, nachdem insbesondere die USA ungehinderte Agrarexporte (Rindfleisch, Orangen, Reis) nach Japan zum Kriterium für den weiter ungehinderten Marktzugang japanischer Industriegüter in die USA gemacht haben. Die Forderung der Wirtschaftsverbände in der verarbeitenden Industrie lautet: Liberalisierung des japanischen Agrarmarktes, einerseits zur Kostensenkung, andererseits zur Verhinderung von protektionistischen Gegenschlägen der wichtigsten Handelspartner Japans — nicht nur der EG und der USA, sondern auch der ASEAN-Staaten und anderer wichtiger Rohstoff-und Absatzländer; Japan sieht sich gern als „postindustrielle Gesellschaft“, aber noch immer kennzeichnen Rohstoffe als Haupteinfuhrgüter und Exporte von industriellen Fertigwaren die japanischen Außenhandelsstruktur.

Wer sind nun die Akteure in diesem Spiel um den entscheidenden politischen Einfluß, und wie artikulieren sie ihre Ansprüche im politischen Entscheidungsprozeß? Die Rolle der Elitebürokratien im politischen Entscheidungsprozeß geht allmählich zurück, dagegen wächst die Bedeutung der großen Wirtschaftsverbände: Keidanren (Zentralverband der japanischen Industrie). Nikkeiren (Japanischer Untemehmensverband), Nissho (Japanische Industrie-und Handelskammer) und Keizai Doyukai (Spitzenverband japanischer Unternehmer und Topmanager) auf der Seite der verarbeitenden Industrie, die Spitzenverbände japanischer Bauern und Fischer im Primärsektor. Beiden Verbandsbereichen gemeinsam ist ihr direkter Einfluß auf die innerparteilichen Entscheidungsprozesse in der Regierungspartei Liberal-Demokratische Partei (LDP) über großzügige Spenden und direkten Einfluß auf einzelne Abgeordnete der LDP. die nahtlose Verbindung von innerer und äußerer Lobby. Im folgenden soll zuerst der „Mechanismus“ politischer Einflußnahme in Japan, letztlich also das Verhältnis von Politik und Wirtschaft, geschildert werden. Daran anschließend soll an zwei ausgewählten Bereichen beispielhaft (Landwirtschafts/Agrarmarkt-Liberalisierung und Bauwirtschaft/ausländische Teilnahme an öffentlichen Bauvorhaben) die ganze Problematik aufgezeigt werden, der sich Japans neuer Regierungschef Takeshita gegenübersieht.

IV. Die Parteifinanzen der japanischen Regierungspartei: „Druckpunkt“ der organisierten Interessen

Schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg, hatten die großen Finanzkonglomerate, die „zaibatsu“, erheblichen Einfluß auf die japanische Politik ausgeübt. In den zwanziger Jahren, als auch Japan erste Experimente in Demokratie unternahm, standen die beiden größten bürgerlichen Parteien unter dem direk-ten Einfluß der zwei größten „zaibatsu“. nämlich Mitsui und Mitsubishi. Nach den Putschversuchen ultranationalistischer Offiziere von 1932 und 1936. die stark antikapitalistische Tendenzen im jüngeren Offizierskorps offenbarten, hatten sich die „zaibatsu“ ein wenig von dem Vordergrund der politischen Bühne zurückgezogen, und die beiden größten politischen Parteien der Vorkriegszeit erhielten größeren Spielraum. In der folgenden ultranationalistischen Phase derjapanischen Geschichte, die mit der Auflösung aller politischen Parteien ihren Höhepunkt erreichte, schwand der direkte politische Einfluß japanischer Großunternehmen.

Nach dem Krieg versuchte die amerikanische Besatzungsmacht. die Großkonglomerate zu zerschlagen, aber de facto entstanden sie in neuer Form wieder. Als 1955 die heutige Regierungspartei, die Liberal-Demokratische Partei (LDP) gegründet wurde, hatten diese Unternehmensgruppen längst wieder direkten politischen Einfluß, schließlich finanzierten sie die Regierungspartei über Spenden. Dieser Einfluß setzt sich seither ungebrochen fort: So können einzelne Unternehmen, Untemehmensgruppen und vor allem Wirtschaftsverbände auch heute noch über ihre Finanzkraft Einfluß auf die innerparteiliche Willensbildung in der LDP nehmen.

Die LDP war bis 1978 keineswegs eine Volkspartei im bundesdeutschen Sinne, sondern eine mitgliederschwache Partei; die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen bildeten also zwangsläufig nur einen geringen Anteil der Parteifinanzen. Die notwendige „Massenbasis“ zur Mittelbeschaffung wurde deshalb neben der Partei aufgebaut. Sie bildete sich 1961 als Vereinigung mit privatrechtlichem Charakter unter der Bezeichnung Kokumin kyokai, „Volksvereinigung“. Hinter der Gründung dieser Spenden-Sammelorganisation standen einflußreiche Wirtschaftskreise, die versuchten, auf diese Weise alle LDP-Spender organisatorisch zusammenzufassen, ohne daß sie selbst Parteimitglieder werden mußten. Allein die Gründung einer solchen „Spenden-Sammelorganisation“ verdeutlicht, daß auch die japanische Regierungspartei nicht von Mitgliedsbeiträgen allein existieren kann, sondern wie alle anderen politischen Organisationen des Landes auf Spenden aus der Wirtschaft angewiesen ist Die Kokumin kyokai sammelt im wesentlichen Wirtschaftsspenden für die zentrale Kasse der LDP ein, Geldgeber sind vor allem Wirtschaftsverbände; daneben aber geben Mitgliedsuntemehmen der großen japanischen Verbände auch Spenden in beträchtlicher Höhe an die verschiedenen Fraktion in der LDP. Neben der Kokumin kyokai gibt es eine weitere Spenden-Organisation, die für die LDP Mittel aufbringt, die „Volksvereinigung zur Verteidigung der freien Gesellschaft“ (Jiyu shakai wo mamoru-kai), die über Einzelmitgliedschaften weitere erhebliche Spendensummen aufbringt.

Japanische Großunternehmen und Wirtschaftsverbände sind davon abgerückt, die direkte Finanzierung z. B. einzelner LDP-Abgeordneter zu übernehmen; bei den Oberhauswahlen 1974 hattenjapanische Großunternehmen noch die gesamte Finanzierung der Wahlkämpfe verschiedener konservativer Abgeordneter übernommen — diese „Sponsorenschaft“ hatte selbst die japanische Toleranz gegenüber Verbindungen zwischen Politik und Groß-wirtschaft überfordert und in der Öffentlichkeit heftige Kritik ausgelöst. Die Kritik hatte sich besonders an der begründeten Vermutung entzündet, daß die Großunternehmen, die einzelne Kandidaten förderten, auf ihre Belegschaften Druck ausgeübt hätten, eben diese Kandidaten zu wählen.

Eine weitere traditionelle Finanzierungsquelle für die LDP wie auch für einzelne konservative Politiker sind Dunkelmänner aus der Schattenzone zwischen großem Geschäft und Kriminalität. Japans'organisiertes Verbrechertum, die „yakuza“, hat seit den dreißiger Jahren enge Beziehungen zu einzelnen konservativen politischen Kreisen unterhalten: Nicht nur Geldmittel, sondern auch Wählerstimmen und Schlägertrupps (etwa bei den Kämpfen um die Erneuerung des amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrages 1960) stellten die yakuza den Konservativen zur Verfügung. Altkonservative wie Kishi Nobusuke unterhielten enge Kontakte zu Gangsterbossen, z. B. zur Großbande Yamaguchigumi; auch hartgesottene japanische Wähler waren bestürzt, als Kishi 1971 für den wegen Mordes angeklagten Yamaguchi-„Paten“ Kaution stellte Zu der gleichen Grauzone gehören auch Einnahmen aus dem Glücksspiel, die zumindest in den siebziger Jahren auf Umwegen in die Truhen der LDP flossen. Echtes Glücksspiel ist in Japan verboten, an seine Stelle trat und tritt eine ganze Reihe von Sportveranstaltungen, auf denen Wetten abgeschlossen werden dürfen, z. B. Motorbootrennen, Pferderennen und ähnliches. Strengere Vorschriften zur Veröffentlichung der Namen von Spendern für politische Organisationen oder einzelne Politiker von einer bestimmten Höhe an haben Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre dazu geführt. daß verstärkt Spenden an die Parteizentrale der LDP geflossen sind, daneben aber stiegen unverändert auch die Zuwendungen an einzelne Fraktionsführer weiter an. Der Grund für diese unverändert hohen Spenden an einzelne Parteipolitiker liegt in der besonderen Organisationsstruktur der japanischen Regierungspartei, d. h. in der Bedeutung der Fraktionen und der besonderen Beziehungen des einzelnen Politikers zu seinem Wahlkreis. Fehlende rechtlich abgesicherte Parteienfinanzie-rung, unzureichendes Aufkommen aus Mitgliedsbeiträgen und exorbitant hohe Wahlkosten zwingen Japans konservative Politiker — aber auch die Opposition —, zur Finanzierung ihrer politischen Arbeit auf Spenden aus der japanischen Großindustrie, dem Dienstleistungsbereich und den verschiedenen Interessenverbänden zurückzugreifen. Eine direkte Einflußmöglichkeit der Spendengeber auf den politischen Willensbildungsprozeß in der LDP darf daraus jedoch nicht unmittelbar gefolgert werden. Es genügt die Feststellung, daß Japans Wirtschaft daran interessiert ist. die finanzielle Basis der regierenden Konservativen sicherzustellen. Dennoch wird nicht selten in diesem sensiblen Bereich der schmale Grad zur direkten Bestechung überschritten; nicht nur der „Lockheed-Bestechungsskandal“, in dem bewiesen wurde, daß ein amtierender japanischer Regierungschef mehr als drei Mio. US-Dollar angenommen hatte, um einen bestimmten amerikanischen Flugzeugtyp für die innerjapanische Luftfahrtgesellschaft zu beschaffen, sondern auch eine Vielzahl anderer, kleinerer Bestechungsskandale beweisen das.

Obwohl die offiziell von der Regierungspartei anerkannten Kandidaten in Unter-bzw. Oberhauswahlen aus der Parteikasse Zuschüsse erhalten und auch ihre Fraktionsbosse sich mit Hilfsgeldern nicht lumpen lassen, müssen auch japanische konservative Politiker unentwegt um weitere Spenden werben; Japans Demokratie leidet unter chronischer Kapitalknappheit.

V. Die Fraktionen in der LDP: Tränsmissionsriemen externer Einflußnahme und innerer Willensbildung

Das Fraktionssystem in der LDP ist durch die Entstehungsgeschichte der Partei festgelegt, weil 1955 eine Reihe von „Altpolitikern“ mit ihren Parteien sich zu einer „Fraktionen-, bzw. Parteienkoalition“ zusammengeschlossen haben, jenem Bündnis konservativer Parteibarone, die noch heute die LDP repräsentieren. Folgende Determinanten bestimmten das herkömmliche Fraktionssystem in der konservativen Regierungspartei Japans: 1. Die konservative LDP besteht aus einem Bündnis von Fraktionen mit unterschiedlich starkem Einfluß; dabei dominiert stets eine Fraktion über die anderen, um diese Führung wird gekämpft — Machtwechsel ist häufig. Zur Unterscheidung zwischen dominierenden Fraktion mit ihren innerparteilichen „Hilfstruppen“ und beherrschten Fraktionen wird im allgemeinen von „Hauptstrom“ (= Führung) und „Nebenstrom“ gesprochen. Das Fraktionenbündnis basiert auf Konsens und äußert sich in proportionaler Teilhabe an der Parteiorganisation, d. h. an der formalen Organisationsstruktur der Partei. 2. Die Fraktionsangehörigen sind Abgeordnete, die ihre Entsendung in das Unter-oder Oberhaus dem traditionellen „Regionalismus" (Chihoshugi) in Japan verdanken, d. h. ohne Rücksicht auf ihre grundsätzliche politische Einstellung werden sie in ihren Hochburgen, die zumeist ihre Heimatpräfektur sind, stets wiedergewählt. Ihre sichere Wiederwahl ist jedoch gebunden an finanzielle Freigebigkeit gegenüber den Meinungsführern im eigenen Wahlkreis. Im klassischen Fraktionssystem stellte der Fraktionsführer seiner Abgeordnetengefolgsschaft die dafür nötigen Finanzmittel zur Verfügung, die er wiederum aus Fraktionsspenden bezog. Seit der Reform des Parteienfinanzierungsgesetzes von 1976 müssen auch Fraktionsspenden mit Namen und Adresse des Spenders offengelegt werden, was jedoch die Spendenflut keineswegs eingeschränkt hat.

Neben den alten Fraktionen in der LDP sind schon seit einigen Jahren neue Gruppierungen entstanden, die zwar auch als Fraktionen zu bezeichnen wären, die aber mit den genannten Definitionsmitteln nicht mehr zu erfassen sind. Was sich seit 1976 in der LDP vollzogen hat. ist eine Neuformierung des Fraktionssystems, in deren Verlauf sich neben die traditionellen Fraktionen neue Gruppierungen geschoben haben.

Der wichtigste Grund für den Fortbestand der Fraktionen, ist also ihre Finanzkraft und die damit verbundene Verteilerfunktion. Nur in seltenen Fällen ergeben sich echte politisch-taktische Differenzen zwischen diesen Machtgruppen; wenn wirklich einmal gegensätzliche Auffassungen in bestimmten Einzelproblemen bestehen, so lassen diese sich fast immer auf persönliche Meinungsverschiedenheiten der Fraktionsführer zurückführen Die Durchset-zung bestimmter politischer Zielsetzungen innerhalb der Partei, d. h. in der Machtzentrale Tokyo, obliegt anderen Parteigruppierungen, den „Stämmen“ (zoku) verschiedener LDP-Abgeordneter in beiden Häusern des Parlaments. Diese Stämme sind fraktionsübergreifend und vereinigen Abgeordnete mit demselben politischen „Anliegen“ und/oder aus derselben Region. Während die Fraktionen straff organisiert sind, halten die „zoku" über die typisch japanische Informalität persönlicher Beziehungen zwischen den Abgeordneten zusammen. Die einzige „Formalität“ sind die meist terminlich festgelegten Treffen der Stämme. Als „innerparteiliche Interessengruppen“ suchen die „zoku“ den Entscheidungsprozeß in der LDP und folglich in den Parlamentsfraktionen (die also nicht mit den Parteifraktionen identisch sind!) in Richtung auf bestimmte politische Ziele zu beeinflussen: Über diese Stämme leisten z. B. Japans Bauernverbände hartnäckigen Widerstand gegen eine Liberalisierung der Agrarimporte Die zunehmende Bedeutung dieser Stämme für den politischen Willensbildungsprozeß in Japan geht einher mit dem sinkenden direkten Einfluß der Ministerialbürokratie, deren enges Zusammenwirken mit der Regierungspartei und den Wirtschaftskreisen (zaikai) in den sechziger Jahren zur Bezeichnung „Japan, Inc.“ führte. Nicht erst seit Ministerpräsident Nakasone dem kollektiven Fachwissen der Apparate in den Ministerien die Informationssammlung und -Verarbeitung über Fachausschüsse parteinaher Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter entgegengesetzt hat, konnten Regierungspartei und Abgeordnete zunehmend stärker den gesamten Gesetzgebungsprozeß beeinflussen; der Anteil der Gesetzesvorlagen, die von einzelnen Abgeordneten initiiert worden waren, stieg von 38 Prozent zwischen 1960— 1965 über 40 Prozent zwischen 1965— 1970 auf 56 Prozent zwischen 1975— 1980 Ohne Mitwirkung der Fachbürokratien können aber auch Abgeordnete mit größerem Einblick in komplizierte Zusammenhänge bei der Gesetzgebung nicht wirkungsvoll arbeiten; deshalb haben die Stämme mit ihren besonderen politischen Anliegen auch intensiv die Kontakte zu „ihren“ Ministerien und Behörden ausgebaut. Der traditionell enge Draht zwischen Ministerialbürokratie und Parteipolitikern ist durch die „Aufwertung“ der Rolle der Abgeordneten keineswegs abgerissen, sondern fester geworden, aber Kontakte, die über ihn laufen, gehen heute häufig in umgekehrte Richtung, d. h. die Initiative geht von Politikern aus.

VI. Auf Konfrontationskurs mit den Bauern? Die LDP bangt um ihre Wählerbasis

Japans Wahlrecht in Unterhauswahlen, also jenen Wahlgängen, welche die Zusammensetzung des entscheidenden politischen Gremiums bestimmen, bevorteilen einseitig die weniger dicht besiedelten Regionen mit vorwiegend agrarischer Struktur gegenüber den großstädtischen Ballungszentren: In manchen ländlichen Wahlkreisen ist eine Wähler-Stimme mehr als das Doppelte einer „großstädtischen Stimme“ wert Hier liegen die Hochburgen der konservativen Regierungspartei.

Ende 1987 führten die USA Klage vor dem GATT gegen Einfuhrbeschränkungen und Marktregulierungen bei Agrargütem; das GATT empfahl daraufhin die vollständige Liberalisierung des Marktes für zehn Agrarprodukte, vor allem für Trocken-milchpulver, Schmelzkäse, Stärkemehl, Rindfleisch-und Schweinefleischerzeugnisse, Tomaten-saft, Ananas, Fruchtpulpe und -pürees. Nach anfänglicher Weigerung akzeptierte die japanische Regierung vor dem Washington-Gipfel die GATT-Vorschläge — und löste einen Proteststurm bei den Japans Bauern aus Im März 1988 lief die Quotenregelung für Rindfleisch und Orangen zwischen den USA und Japan aus; unter massiven amerikanischen Drohungen (Anwendung des Artikels 301 des US-Handelsgesetzes, der Vergeltungsmaßnahmen bei unfairen Handelspraktiken vorsieht) kam es außenpolitisch zu einer Konfrontation der neuen Regierung Takeshita mit den USA und innenpolitisch zu schweren Zusammenstößen der Regierungspartei mit ihren bisher treuesten Wählern.

Die US-Beschwerde vor dem GATT hat letztlich dazu geführt, daß die Einfuhr wichtiger Agrarprodukte liberalisiert werden soll; die USA haben da-bei Rindfleisch, Orangen und Reis in den Vordergrund gerückt. Alle drei Produkte sind Existenzgrundlage der politisch sehr einflußreichen Bauern: Die japanischen Rindfleischerzeuger werden über die Verbraucherpreise subventioniert (japanisches Rindfleisch aller Güteklassen ist horrend teuer), bei den Erzeugerpreisen für Reis garantiert der Staat ein überhöhtes Preisniveau im internationalen Vergleich. und den Orangen (= Mandarinen) -Bauern werden direkte Subventionen gezahlt, um den Existenzerhalt ganzer Regionen (z. B. SW-Japan, Kagoshima) sicherzustellen. Allen drei Erzeugergruppen ist gemeinsam, daß es sich um Kleinbetriebe handelt, verglichen mit den Produktionsbedingungen in den USA.

Der politische Einfluß japanischer Bauern ist in der Tat erheblich: Zwar stützen sich die weitaus meisten LDP-Abgeordneten auf Spenden aus der Großindustrie, gewählt aber werden die meisten von ihnen in ländlichen oder halb-ländlichen Wahlkreisen. Eine bäuerliche Stimme wiegt drei oder vier städtische Stimmen auf; 80 Prozent aller LDP-Abgeordneten verdanken ihre Wahl mehr oder weniger ländlichen Wählern. Dabei ist die landwirtschaftliche Erwerbsbevölkerung seit Jahren rückläufig. Gegenwärtig gibt es nach Schätzungen des Landwirtschaftsministeriums circa 4. 3 Mio. landwirtschaftliche Haushalte mit acht Mio. Landwirten; die meisten dieser Betriebe sind Zuerwerbsoder Nebenerwerbsbetriebe von geringer Größe (circa 1, 2 ha). Die Schaffung größerer Betriebseinheiten mit höherer Produktivität hätte einen Rückgang der bäuerlichen Bevölkerung und damit der konservativen Wähler zur Folge, das aber liegt natürlich nicht im Interesse der LDP. Bereits jetzt hat der Sprecher des „Parteiausschusses zur Förderung der Landwirtschaft“, dem fast alle konservativen Abgeordneten angehören, auf den stetigen Rückgang von Unterstützungen für die Landwirtschaft hingewiesen und vor einem der LDP drohenden Machtverlust gewarnt -Die Bauern ihrerseits werten die Agrarmarkt-Liberalisierung schlicht als Verrat, und führende LDP-Politiker haben Widerstand geschworen, um ihre Wähler zu schützen

Die bilaterale Quotenregelung über Zitrusfrüchte und Rindfleisch lief am 31. März aus, ohne daß es vorher zu einer Einigung zwischen den Handels-partnern gekommen war; am 8. April erhob die USA Klage vor dem GATT, eine Anhörung ist für den Mai 1988 geplant. Zwei Lager haben sich in der japanischen Regierung gebildet: Eine Gruppe möchte die GATT-Entscheidung abwarten, die andere Gruppe drängt aufjapanische Maßnahmen zur Marktöffnung vor der GATT-Verhandlung. Das zweite Lager argumentiert wie die amerikanische Seite: Statt die einheimischen Erzeuger über den Verbraucherpreis zu subventionieren, sollten direkte Subventionen gezahlt werden das aber erscheint angesichts des knappen Staatshaushalts fast ausgeschlossen, es wird mit zusätzlichen Ausgaben von jährlich 100 Mrd. Yen gerechnet. Die Befürchtungen, daß es zu einer Entscheidung des GATT zugunsten der USA kommen könnte, sind groß: Japan müßte dann innerhalb von zwei Jahren seine Marktbeschränkungen bei Zitrusfrüchten und Rindfleisch abbauen, und zudem würden dann auch Staaten wie Australien ähnliche Forderungen erheben. Deshalb sei eine bilaterale Kompromißlösung vor der GATT-Sitzung entschieden besser.

Noch heikler ist die Öffnung des japanischen Reis-marktes, schließlich besitzt Reis geradezu symbolischen Wert in Japan, und noch kein japanischer Regierungschef hat es gewagt, entschlossen die hohen Reispreissubventionen anzugehen. Die japanischen Bauernverbände befürchten nun, daß eine Liberalisierung der zehn vom GATT genannten Produkte letztlich auch zu einer erzwungenen Liberalisierung der Reisimporte führt. Japans Bauern haben energischen Widerstand angekündigt. Dabei erhalten sie aus den USA Beistand: Kürzlich sind sogarjapanische Erzeuger aus den USA ihren japanischen Kollegen zu Hilfe gekommen — was von einem engen Zusammenhalt dieser Auslandsjapaner mit ihren japanischen „Landsleuten“ zeugt: Japanische Reiserzeuger aus Kalifornien haben vor einer Öffnung des japanischen Reismarktes gewarnt. weil angeblich die Lieferbedingungen amerikanischer Erzeuger „unstabil“ seien (Wassermangel. geschmackliche Unterschiede. Preisschwankungen) 13

VII. Sturm auf eine wohlzementierte Festung? Das Monopol der japanischen Bauwirtschaft gerät in Gefahr

Im industriellen Bereich läßt sich der politische Einfluß der japanischen Bauern und ihrer Verbände am ehesten mit der Rolle der Bauwirtschaft vergleichen. Nicht zuletzt der legendäre Tanaka hatte seinen politischen Einfluß als Ministerpräsident und später — nach seinem „Sturz“ 1976 — als Königs-macher aller folgenden Kabinette auf seine Beziehungen zur Bauwirtschaft und zum Bauministerium gestützt. So geschützt wie der japanische Agrarmarkt ist auch der japanische Baumarkt: Kein ausländisches Bauunternehmen konnte bisher in nennenswertem Umfang an öffentlichen Bauvorhaben Japans mitwirken, ausländische Bewerber haben hier bisher keine Chance. Bei privaten Bauvorhaben ist der Markt ohnehin so stark reguliert, daß man von einer Aufhebung des freien Wettbewerbs der Anbieter sprechen kann.

Umgekehrt haben japanische Bauunternehmen in großem Umfange Aufträge im Ausland erhalten; extrem günstige Finanzierungsbedingungen, meist aus Entwicklungshilfefonds, sicherten japanischen Bewerbern besonders in Südostasien fast jede Ausschreibung, man denke z. B. an den Bau der singapurischen Schnellbahn oder die Errichtung großangelegter Infrastrukturanlagen in Thailand Gleiches galt bisher auch für japanische Beteiligungen an amerikanischen Bauvorhaben; jetzt hat die US-Regierung mit massivem Druck auf die japanische Regierung begonnen, den Baumarkt Japans zu öffnen. Unerwarteter Warnschuß war die amerikanische Entscheidung, einen Zuschlag zum Bau eines U-Bahntunnels und einer Station in Washington an ein japanisches Konsortium, geführt von der riesigen Kajima Corp., zu widerrufen. Mit diesem Signal will die US-Regierung die Beteiligung amerikanischer Unternehmen an sechs Großprojekten der öffentlichen Hände Japans erreichen: dem neuen Kansai International Airport (Osaka), dem neuen Flugplatz von Hiroshima, dem Ausbau des alten Tokyoter Flughafens Haneda (hier geht es um das Terminal-Gebäude, ein Sektor, auf dem US-Firmen mehr Erfahrung als japanische Unternehmen haben), einer neuen Großbrücke zwischen der Insel Shikoku und Honshu, der Hafenrand-Bebauung in Yokohama, an Bauvorhaben in der Bucht von Tokyo und schließlich an einem Straßenbau-

Projekt in der Ise-Bucht Die Spitzenverbände der japanischen Bauwirtschaft, alle mit besten Beziehungen zurjapanischen Regierungspartei, haben bereits heftige Kritik an der amerikanischen Entscheidung geübt und die Befürchtung geäußert, daß bald auch japanische Firmen bei privaten Bauvorhaben in den USA ausgeschlossen werden könnten Die japanische Bauwirtschaft sieht sich als „Sündenbock“ und fragt anklagend, warum „allein Japan seine Ausschreibungsregeln ändern soll, um amerikanischen Interessen zu entsprechen“

In einer Zeit wachsender Bedeutung der Gebiets-körperschaften gegenüber der Tokyoter Zentralregierung könnten Entscheidungen wie die Yokohamas. ausländische Unternehmen an städtischen Projekten (u. a.der Ausbau des Hafenrandgebietes sowie der Bau eines Kongreßzentrums) zu beteiligen. zu einer Entspannung der Lage beitragen — die japanische Regierung aber steht unter dem Druck der Baulobby.

Die bilateralen Gespräche brachen im März 1988 zusammen; die gegensätzlichen Positionen beleuchten den ganzen Einfluß der japanischen Baulobby: Während die japanische Seite betont, die Ausschreibungsverfahren seien grundsätzlich offen, verweisen die US-Unternehmen auf die üblichen Absprachen. Solche Absprachen ermöglichen extrem kurze Fristen zwischen Ausschreibung und Vergabe — und schließlich damit faktisch ausländische Mitbieter aus. Die japanische Argumentation ist wenig überzeugend. So werden amerikanische Firmen grundsätzlich von Beteiligung an den Arbeiten am Hanerda-Flughafen ausgeschlossen, weil dieser angeblich von privater Seite errichtet werde. Hier sieht die US-Regierung einen Grundsatzstreit. Regierungschef Takeshita kommt in größte Schwierigkeiten, weil er sich die Konfrontation mit der Bauwirtschaft des Landes nicht leisten kann: Zum einen hängen an Großprojekten zahllose Kleinunternehmen als Subkontraktoren, die traditionell von Konsortialführern großer Bauvorhaben stets einbezogen werden, weil sie Arbeitsplätze für unterqualifizierte Arbeiter sichern (und damit die Privilegien der „Großen“ schützen); zum anderen sind nach Schätzungen von Journalisten mehr als 80 Prozent der 425 LDP-Parlamentsabgeordneten in beiden Häusern auf Spenden aus der Bauwirtschaft angewiesen. Im vergangenen Jahr war dieser Wirtschaftszweig mit 340. 5 Mrd. Yen für die Kassen der Regierungspartei hinter den banken größter Spender der LDP. Japans Regierungschef steht vor einer fast unlösbaren Aufgabe Andererseits könnte gerade Takeshita eine Lösung herbeiführen, da er ausgezeichnete Beziehungen zu dem Präsidenten der „Japan Federation of Construction Contractors Inc.“ (Verband der japanischen Bauunternehmen, GmbH) unterhält Eine vorläu19) fige Lösung wurde schließlich auf der Ebene von Gesprächen zwischen diesem Spitzenverband und seinem amerikanischen Gegenstück ausgearbeitet. Die japanische Seite hatte wieder einmal ein politisches Problem durch „Unternehmer-Diplomatie“ gelöst. Es bleibt offen, ob sich US-Unternehmen wirklich dauerhaft auf dem lukrativen japanischen Baumarkt (Volumen: 50 Billionen Yen!) einrichten können. Jedenfalls wurde ein heikles bilaterales Problem entschärft während der Streit um die Agrareinfuhren noch weitergeht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. M. Pohl (Hrsg.), Japan 1986/87 — Politik und Wirtschaft, Hamburg 1987.

  2. Ebda.. S. 9 ff.

  3. Vgl. B. M. Richardson/S. C. Flanagan, Politics in Japan, Boston-Toronto 1984; M. Pohl, Die Politik und das Geld, in: A. Emst u. a. (Hrsg.), Geld in Japan, Berlin 1981, S. 241268.

  4. Ebda.

  5. D. E. Kaplan/Alec Dubro, Yakuza — The Exposive Account of Japan’s Criminal Underworld, Redang 1986, S. 116f.; M. Pohl, Japans Rechtsextremismus: Zwischen etablierter Politik und Kriminalität, in: ders. (Hrsg.). Japan 1982/83 — Politik und Wirtschaft, Hamburg 1983, S. 4857.

  6. Zur Rolle der politisch orientierter Machtgruppen in der LDP z. B. bei der Normalisierung der Beziehungen zu China vgl. F. Haruhiro. Tanaka goes to Peking: A case study in foreign policy making. in: T. J. Pempel (ed. j. Policymaking in Contemporary japan, Ithaca-London 1977, S. 60— 102.

  7. Vgl. M. Pohl, Interessenverbände und politische Entscheidungsprozesse — Beispiel der Bauernverbände (nokyo). in: Zeitschrift für Kulturaustausch, 32 (1982) 2, S. 98103; P. Kevenhörster, Wirtschaft und Politik in Japan — Interessengruppen, politische Meinungsbildung und wirtschaftspolitische Entscheidungen, Wiesbaden 1973; T. 1. Pempel, The Unbundling of the . Japan, Inc.': The Changing Dynamics of Japanese Policy Formation, in: Journal of Japanese Studies. 13 (1987) 2, S. 271-306.

  8. Vgl. Pempel (Anm. 7), S. 286.

  9. M. Pohl, Die politische Kultur Japans, in: C. v. Barloe-wen/K. Wehrhahn-Mees (Hrsg.), Japan und der Westen, M. 3, Frankfurt/M. 1986. S. 19-37.

  10. The Japan Economic Journal vom 23. Januar 1988.

  11. The Japan Economic Journal vom 19. März 1988.

  12. Vgl. Pohl (Anm. 7), S. 99.

  13. The Japan Economic Journal vom 16. April 1988.

  14. The Japan Economic Journal vom 5. März 1988.

  15. M. Pohl. Japanische Wirtschaftsstrategien in der Asiatisch-pazifischen Region, in: W. Draguhn (Hrsg.), Die wirtschaftliche Position der Bundesrepublik Deutschland in ausgewählten Asiatisch-pazifischen Ländern, Hamburg 1987,

  16. The Japan Economic Journal vom 19. März 1988.

  17. 95 Prozent aller Aufträge an jap. Unternehmen im Gesamtwert 350 Mrd. Yen entfielen auf diesen Sektor; The Japan Economic Journal vom 12. März 1988.

  18. The Japan Economic Journal vom 26. März 1988.

  19. The Japan Economic Journal vom 19. März 1988.

  20. The Japan Economic Journal vom 26. März 1988.

  21. The Japan Economic Journal vom 2. April 1988.

  22. The Japan Economic Journal vom 9. April 1988.

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