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Mediale Gewaltdarstellung und ihre Effekte | APuZ 21/1984 | bpb.de

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APuZ 21/1984 Artikel 1 Stimmungskanonen für die Kämpfe der Zeit Die Unterhaltungskunst der DDR 1984 zwischen Resignation und Reorganisation Mediale Gewaltdarstellung und ihre Effekte Graffiti — Sprachliche Wirkungsmuster und Aktionsziele einer Kontrakultur . beschmieren Tisch und Tuch, besprühen Haus und Wände" Jugendliche Fußballfans als gesellschaftliches Phänomen

Mediale Gewaltdarstellung und ihre Effekte

Henning Haase

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Einflüsse medialer Darstellung von Gewalt auf Erleben und Verhalten ihrer Rezipienten werden schon seit der Antike diskutiert. In der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts hat sich die empirische Sozialforschung dieser Thematik intensiv angenommen. Trotzdem ist die Frage, ob Betrachtung gewalttätiger Inhalte tatsächlich die Aggressionsneigung der Zuschauer, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, steigert, bis heute nicht beantwortet. In dem Beitrag werden die sozialpsychologischen Thesen, Hypothesen und Theorien über den denkbaren Zusammenhang von medialem Gewaltkonsum und realer Gewaltaktion referiert und an repräsentativen Forschungsarbeiten erläutert. Es zeigt sich, daß die Forschungsfrage nicht so leicht zu beantworten ist, wie es den Anschein haben mag. Kaum eine Arbeit liegt vor, die wissenschaftlichen Kriterien eines bündigen Beweises genügt. Wenn heute überhaupt etwas Vertretbares zum Thema gesagt werden kann, dann dies: a) die These, der Anblick gewalttätiger Inhalte helfe, ein sozial schädliches Aggressionspotential auf der Phantasieebene abzureagieren, läßt sich nicht aufrecht erhalten, b) unter sehr spezifischen Bedingungen ist eine Steigerung der Aggressionsneigung von Zuschauern über den Anblick violenter Vorbilder möglich. Kontrovers wird allerdings die Wahrscheinlichkeit dieser Steigerung in der Realsituation diskutiert. Die Möglichkeit einer Forcierung von aggressiven Tendenzen und Verhaltensweisen läßt sich in Laborexperimenten oft nachweisen. Unter realistischen Sehsituationen ist der Effekt gering, wenn überhaupt vorhanden. So wird die prinzipielle Wirkungskapazität violenter Medieninhalte von kaum jemandem bezweifelt, doch neigt eine nicht unerhebliche Zahl von Forschern dazu, Ausmaß und Wahrscheinlichkeit medieninduzierter Gewalt als vernachlässigbar einzuschätzen.

I.

Die Frage nach psychischen und sozialen Effekten des bloßen Betrachtens (in Gedanken des tätigen Mitvollzugs) gewalttätiger Szenen für den Zuschauer hat eine lange Tradition. Schon Aristoteles erwägt die potentiellen Wirkungen furcht-und schreckenerregender Passagen griechischer Tragödien und gelangt zu der Ansicht, sie könnten geeignet sein, den miterlebenden Zuschauer seelisch zu „reinigen“ (Katharsishypothese). Dagegen warnt Seneca in seinen Briefen an Lucilius vor dem charakterverderbenden Einfluß des Anblicks grausamer und mörderischer Gladiatorenspiele. Gewiß, Seneca bezieht sich auf durchaus reale Gewalttätigkeit, Aristoteles auf fiktive. Gemeinsam ist beiden die Vermutung oder gar die Gewißheit, der Anblick allein reiche hin, bedeutsam psychische Effekte anzuregen oder auszulösen. Die unterstellte Richtung dieser Effekte wird von beiden unterschiedlich gesehen. Auch scheint Aristoteles bei allem Optimismus in der angenommenen Wirkungsrichtung vorsichtig die zeitliche Befristung der denkbaren Effekte einzuschätzen. Es findet gewissermaßen eine Katharsis ad hqc statt; Seneca hingegen befürchtet überdauernde Veränderungen der Zuschauerpersönlichkeit. Damit sind Positionen benannt, die auch heute noch die Diskussion um die Wirkung gewalttätiger Darstellungen bestimmen. Die Tradition der Fragestellung ist lang, die Geschichte ihrer wissenschaftlich-empirischen Untersuchung allerdings kurz. Pädagogen, Psychologen, Philosophen und Theologen haben immer schon, wenn sie sich mit Problemen der Erziehung beschäftigt haben, auf die Gefahren des „bösen" Vorbildes hingewiesen. Dies um so deutlicher in Epochen, in denen Kindheit und Jugend als soziologische Kategorie vom Erwachsenenalter abgehoben gesehen wurden, wie erst jüngst Postmann (1983) in seinem Buch „Verlust der Kindheit" überzeugend nachweist. Empirische Forschung über den Gegenstand wird indes in größerem Stil erst seit etwa 1950 betrieben.

Sicherlich haben die beiden Weltkriege mit ihren schrecklichen Begleit-und Folgeerscheinungen einen mentalen Grund gelegt, sich über destruktive Antriebe des Menschen, deren Ursachen und Steuerungsmöglichkeiten Gedanken zu machen. Pädagogischer Optimismus im Verein mit einem ungeheuren

Aufschwung psychologischer und soziologischer Forschungsmethoden haben die Hoffnung beflügelt, das Phänomen der Aggression erklären und in sozial annehmbare Formen lenken zu können. Aggressionsforschung lag sozusagen „in der Luft", als. durch die weltweite Einführung des Fernsehens der Blick auf eine denkbare Erziehungsinstanz gerichtet wurde, die neben den klassischen Erziehungsinstitutionen, -personen und -mitteln (Elternhaus, Schule, Arbeitsumwelt, Bücher usw.) sogleich nach ihrem positiven und negativen Einfluß auf Kinder und Jugendliche kritisch diskutiert wurde.

Schon um die Jahrhundertwende deuten sich jene Stimmen an, damals bezogen auf Druck-medien (Kriminalstories, Comic-strips — seltsamerweise haben Shakespeares mörderische Königsdramen oder einige nicht weniger gewalttätige Märchen der Gebrüder Grimm niemals unter dem Verdacht kriminogener Wirkungen bei ihren Lesern gestanden) und Filme die schließlich bei Aufkommen des Fernsehens nahezu monomanisch allein diesem Medium Schuld an vielerlei Verbrechen, Kriminalität, Gewalt und Aggression in unserer Gesellschaft zuweisen. Erst in den jüngsten Jahren scheint die Erregung soweit abgeflacht zu sein, daß man wieder sine ira et Studio auch über positive Einflüsse des Fernsehens auf Kinder und Jugendliche nachzudenken in der Lage ist.

Es liegt wohl in der Natur des Menschen, auf kulturelle und vor allem technische Neuerungen zunächst skeptisch, kritisch und zumeist auch ablehnend zu reagieren. Man vergleiche dazu die öffentlichen Reaktionen auf die Einführung der Dampfmaschine, der Eisenbahn, der Comics, der Rock-Musik. Gegenwärtig sind es Computer, Mikroprozessoren und die sogenannten „Neuen Medien“, über die sich mehr oder minder intelligente Kassandrarufe ergießen.

Allerdings ist zuzugestehen, daß das Fernsehen ein Medium ist, das, allenfalls vergleichbar mit der Einführung des Buchdrucks, einen epochalen Wandel in der medialen Beeinflussungsmöglichkeit des Menschen zu-* Stande gebracht hat. Fernsehen ist ubiquitär. In Ton und Bild werden täglich nahezu alle Haushalte in den industrialisierten Ländern der Welt angesprochen.

Insofern kann es niemanden gleichgültig lassen, wie die „Ware“ gestaltet ist, die offensichtlich von so vielen mit einer erheblichen Intensität konsumiert wird und die, das ist eine „neue" Qualität dieses Mediums, fast allen, Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern zugänglich ist. Programmangebote des Fernsehens sind im Hinblick auf ihre potentiell schädlichen Wirkungen auf Kinder und Jugendliche prinzipiell nicht kritischer zu sehen als manche Angebote der Druckmedien, des

Kinofilms und neuerdings auch der Videocassetten. Wenn sich trotzdem die öffentliche Diskussion und die wissenschaftliche Forschung beinahe ausschließlich mit dem Fernsehen auseinandergesetzt hat, dann ist das zwar eine höchst einseitige Voreingenommenheit in der Definition des Gegenstands, und Problembereichs medieninduzierter Aggression. Sie ist aber immerhin verständlich, denn kein anderes Medium erfüllt in so hohem Maße die Voraussetzungen möglicher Einflußnahme. Nahezu alles, was wir über medienvermittelte Aggression wissen — nicht meinen —, wissen wir daher aus der Fernsehwirkungsforschuno.

II.

Von der unstreitigen „Reichweite" des Fernsehens bis hinein in die private Sphäre eines jeden einmal abgesehen, haben sich die historisch frühen Untersuchungen der potentiell schädlichen Wirkung an mindestens zwei Sachverhalten entzündet.

Zum einen zeichnet das Programm eine Realität, die nicht dem Lebens-und Erfahrungsraum der Mehrheit der Rezipienten entspricht So sind das Maß und die Qualität berichteter (z. B. in den Nachrichten) und fiktiver Gewalt (Kriminalfilme, Western etc.), wie später von Gerbner für die amerikanischen Verhältnisse über fortlaufende Inhalts-analysen des TV-Programms nachgewiesen worden ist, um einige Größenordnungen höher, als sie in der Realität vorkommen. Das Fernsehen „verzeichnet” die Realität (das gilt nicht allein für violente Darstellungen, von denen hier zu sprechen ist!). Diese so verzeichnete Realität trifft nun — das ist der zweite Sachverhalt — nicht nur auf Erwachsene, denen man ggf. ein abgewogenes Urteil und hinrichend gefestigte Wertstrukturen zubilligen mag, sondern auch auf Kinder und Jugendliche, die teils freiwillig, teils unfreiwillig als passive Mitseher im Kreise der Familie Programmen ausgesetzt sind, deren Inhalt sozial wenig wünschenswertes Geschehen und Verhalten abbildet.

Die ungefestigten psychischen Strukturen von Kindern und Jugendlichen (über eine Aggressionsstimulierung von Erwachsenen durch Medieninhalte liegen empirische Untersuchungen kaum vor, wenn man einmal von juristisch relevanten Fallstudien absieht) verbunden mit unzureichendem Erfahrungswissen könnten, das war und ist die These, eine bildsame Folie sein, in derrGewaltdar. Stellungen ihren unauslöschlichen Abdruck hinterlassen. Mord und Totschlag, Gewalt und Verbrechen, Frechheit und Zynismus würden zu Kategorien einer Lebenstechnik, die man „draußen" zu erwarten hätte und derer man sich bediene, um sich durchzusetzen. Schon die erste und in der Fernsehwirkungsforschung einzigartig dastehende Untersuchung von Himmelweit, Oppenheim und Vince (1958— 1976) an über 1 800 britischen Kindern zeigte sehr bald, daß zu solchen Befürchtungen kaum Anlaß besteht Kriminalfilme und Sendungen ähnlichen Genres hatten keinerlei Einfluß auf die Aggression der Kinder und später Jugendlichen bis Erwachsenen in den Nachfolgeuntersuchungen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch die renommierten Kommunikationspsychologen Klapper (1960) und Schramm, Lyle und Parker (1961) In Forschungsarbeiten über jugendliche Delinquenz konnten sie allenfalls Anhaltspunkte dafür finden, daß vorhandene aggressive Neigungen durch violente Medienangebote verfestigt und verstärkt, nicht aber hervorgerufen werden. Vielmehr, meinten sie, gestörte Familienverhältnisse seien eher Ursache von Kriminalität als exzessiver Konsum von Mediengewalt.

Der eigentliche Aufschwung der Forschung um die medienvermittelte Gewalt in den frühen sechziger Jahren, ein Aufschwung, der in der Folgezeit in einigen Tausend Literaturtiteln dokumentiert ist geht auf bestimmte Ereignisse in den Vereinigten Staaten und auf Forschungsarbeiten zurück, die ursprünglich keineswegs im Kontext der medienvermittelten Gewalt gestanden haben. Es sind, im foljenden wird noch darauf eingegangen werden, die Forschungsarbeiten von Bandura und dessen Mitarbeitern (1963, 1963 a) die sich filmischer Vorführungen von aggressiven Akten bedient haben, um das sogenannte „Lernen am Modell“ (Lernen durch Nachahmung) genauer zu untersuchen. Jene Ereignisse waten die Attentate auf den US-Präsidenten J. F. Kennedy, seinen Bruder Robert Kennedy und den Exponenten der schwarzen Bürgerrechtsbewegung Martin Luther King.

1968 setzte Präsident Johnson die erste regierungsamtliche Kommission (Eisenhower Commission) zur Untersuchung des Einflusses der Medien auf Gewaltphänomene in der amerikanischen Gesellschaft ein. In diesem Zusammenhang wurde von George Gerbner ein „violence-Index" des amerikanischen Fernsehprogramms erarbeitet. Fast gleichzeitig wurde das Surgeon Generals Programm ins Leben gerufen, das sich von der Eisenhower Commission in seiner Zielsetzung durch seine stärkere Akzentuierung der Primärforschung (im Gegensatz zu Literaturrecherchen und sekundärstatistischen Erhebungen) unterscheidet. Ende 1972, nach Abschluß des Programms, wurden mehr als 50 neue Forschungsarbeiten dokumentiert (Surgeon Generals Report, 1972). Die Kommission kam zu dem Ergebnis, es gäbe tatsächlich eine „kausale" Beziehung zwischen TV-Gewalt und Aggressionsniveau der Rezipienten. Ihre Schlußfolgerungen sind allerdings in nachfolgenden Sammelreferaten angezweifelt worden.

Dennoch war die Kommissionsarbeit damals ein bedeutender Motor einer inner-amerikanisch und weltweit steigenden Forschungsaktivität zur Klärung der Effekte medialer Gewaltdarstellungen. Eine der wenigen längerfristig angelegten Studien im Rahmen des Surgeon Generals Programm von Lefkowitz et al. sowie eine von der Gesellschaft CBS finanzierte und in England durchgeführte retrospektive Studie von Belson haben die Autoren veranlaßt, nicht nur die bloße Möglichkeit aggressionsstimulierender Einflüsse der Medien zu behaupten, sondern auch deren Wahrscheinlichkeit in realen Kontexten zu unterstellen. Dagegen kamen Milgram und Shotland (ebenfalls CBS-finanziert) in einer Reihe von bemerkenswert einfallsreichen und methodisch sehr sorgfältigen Experimenten und Heller und Polski (ABS-finanziert) zu dem Schluß, TV-Gewaltdarstellungen hätten keinen oder allenfalls einen vernachlässigbaren Einfluß auf das Aggressionsverhalten der Zuschauer.

Inzwischen liegen ca. 3 000 Forschungsarbeiten im Gegenstandsbereich vor. Indes ist die Antwort auf die scheinbar schlichte Frage nach der Wirkung von Gewaltdarstellungen in den Medien keinesfalls klarer und eindeutiger geworden. Im Gegenteil, sie ist schillernder als jemals zuvor. Howitt und Cumberbatch und Kaplan und Singer gelangen in ihren Ubersichtsreferaten zu dem Schluß, der fragliche Zusammenhang sei aus mancherlei methodischen und inhaltlichen Unzulänglichkeiten angeblich beweiskräftiger Studien zumindest nicht nachgewiesen. Comstock hält eine Beziehung zwischen dem Konsum von Gewalt und aggressivem Verhalten für fraglos gesichert, während J. L. Singer noch 1971 die „Null-Annahme“ (kein Einfluß) favorisiert seit 1979 aber dazu neigt, negative Wirkungen medialer Gewalt unterstellen zu sollen

III.

Mittlerweile ist die Zahl einschlägiger Untersuchungen zum Gegenstand so umfangreich, daß Meta-Analysen (Analysen, die nicht unmittelbar auf die Daten zurückgehen, sondern unter bestimmten Kriterien die Forschungsarbeiten als Analyseeinheit betrachten) lohnenswert erscheinen. Andison hat 1977 insgesamt 67 Untersuchungen in diesem Sinne ausgewertet allerdings eine jede hinsichtlich ihres wissenschaftlichen „Formats" gleich gewichtet. % der Arbeiten zeigten keinen Zusammenhang von violenter TV-Thematik und Aggression der Zuschauer, 37 % einen schwachen, 34 % einen mäßigen und 6 % einen starken Zusammenhang in dieser Richtung. Die übrigen 4 % nahmen einen der Hypothese entgegengesetzten Ausgang, stützen mithin die Katharsisannahme. Von diesen Zahlen einmal abgesehen sind die Ergebnisse von Andison insofern interessant, als sich herausstellte, daß positive Ergebnisse in Laborexperimenten wesentlich wahrscheinlicher sind als in mehr oder weniger realistischen Feld-untersuchungen. Die Antwort auf die kritische Frage könnte nach Andison daher sein, negative Einflüsse filmischer Gewaltdarstellungen seien zwar prinzipiell möglich, in realistischen Kontexten aber wenig wahrscheinlich. In diesem Sinne beurteilen auch Kaplan und Singer 20) die Summe der von ihnen rezensierten Arbeiten. Hearold hat eine Meta-Analyse über 230 einschlägige Arbeiten zum pro-bzw. antisozialen Effekt von pro/antisozialen Medieninhalten vorgelegt Ihre ungewöhnlich detaillierten Recherchen bringen sie zu der Schlußfolgerung, daß antisoziale Darstellungen einen etwas geringeren Effekt für antisoziales Verhalten hätten als prosoziale Darstellungen für prosoziales Verhalten. Im übrigen legen ihre Ergebnisse die Vermutung nahe, daß nicht nur sehr junge Kinder solchen Effekten unterliegen, sondern auch Jugendliche und Heranwachsende.

Meta-Analysen, die gewissermaßen positive und/oder negative Befunde auszählen und bi-lanzieren sind sicherlich wertvoll, um einen Trend in publizierten Ergebnissen, Interpretationen oder gar tendenziöse Ansichten in Forschungsrichtungen zu erkennen. Sie sind hinsichtlich ihres wissenschaftlichen Erkenntniswertes jedoch abhängig von der sorgfältigen Abwägung der Qualität der Untersuchungen, die letztlich die statistische Basis der Auszählungen bilden. Sowohl bei Andison wie bei Hearold mag man Zweifel daran haben, ob diese Voraussetzung erfüllt ist denn was nützt es, wenn man in dieser oder jener Untersuchung rubriziert, sie hätte ein „signifikantes“ Ergebnis erbracht, wenn die Umstände, unter denen man zu diesem Ergebnis gekommen ist, nicht gerade beweiskräftig für die Bestätigung der Hypothese sind. Vorerst führt wohl kein Weg an der Notwendigkeit vorbei, angeblich beweiskräftige Studien je einzeln zu betrachten, die inhaltliche und methodische Spreu vom Weizen zu trennen und die dann übrigbleibende Summe des Wissens zu einem abgewogenen Urteil zusammenzuführen. Angesichts einiger Tausend wissenschaftlicher Arbeiten zum Gegenstand ist dies ein Unterfangen, das in diesem Aufsatz selbstverständlich nicht geleistet werden kann. An repräsentativen Beispielen prominenter Arbeiten soll aber zumindest versucht werden, einen Eindruck von den Problemen und Schwierigkeiten zu geben, die nach wie vor ein verläßliches Urteil erheblich behindern. Zum Thema , Meta-Analysen'sei abschließend angemerkt, daß der relative Anteil der Arbeiten, die im Sinne der Vermutung, gewalttätige Inhalte der Medien regten zur Aggression bei den Betrachtern an, bereits publiziert worden sind, das Bild des Pro und Contra verzerren. Es ist eine bekannte Gewohnheit von Wissenschaftlern, nur solche Arbeiten einzureichen, die „signifikante" Ergebnisse erbracht haben, als auch eine Präferenz von Zeitschriftenredaktionen, nur solche Arbeiten zur Veröffentlichung anzunehmen.

IV.

In der Literatur werden nebeneinander folgende Thesen vertreten:

1. die Betrachtung gewalttätiger Medieninhalte steigert die Aggression bzw. Aggressionsneigung der Betrachter dieser Inhalte (Stimulationshypothese);

2. die Betrachtung gewalttätiger Medieninhalte senkt die Aggression bzw. Aggressionsneigung der Betrachter dieser Inhalte (Katharsishypothese); 3. die Betrachtung von gewalttätigen Inhalten ist ohne jeglichen Einfluß auf die Aggression bzw. Aggressionsneigung der Betrachter dieser Inhalte („Null-Hypothese“). Innerhalb der Stimulationsthese, die von der Mehrheit der Autoren (z. B. Bandura, Berkowitz, Comstock, Gerbner), die im Problembereich selbst geforscht haben, angenommen wird, gibt es einige Varianten.

Die allgemeinste ist das sogenannte Erregungs-Modell. Medieninhalte versetzen den Rezipienten unter bestimmten Umständen in einen psycho-physiologischen Erregungszustand, der sämtliche Funktionen aktiviert und generell die Bereitschaft erhöht, auf Umwelt-reize intensiv zu reagieren. Sind diese Reize geeignet, aggressives Verhalten zu zeitigen, dann wird man intensiv diesen Reaktionsmodus auch praktizieren. Der Medieninhalt erscheint unter dieser Sichtweise zunächst nebensächlich. Entscheidend ist, daß er erregt. Selbst formale Stilistiken können in diesem Sinne zu emotionaler Erregung führen Das aggressive Verhaltensrepertoire mag anderswo erworben worden sein. Medien stimulieren nur Tendenzen und Verhaltensweisen, die man gelernt hat. Tatsächlich sind jedoch in unserer Kultur vor allem gewalttätige und erotische Inhalte mit Erregungsvorgängen konditioniert, so daß sie, sicherlich spezifisch für das einzelne Individuum, in höherem Maße zur allgemeinen Intensivierung von Handlungsbereitschaften beitragen als etwa humoristische Sendungen.

Das Lern-Modell innerhalb der Stimulationsthese besagt dagegen, daß es die gewalttätigen Inhalte als solche sind, die medienvermittelt gelernt und unter geeigneten Umständen auch evoziert werden. In den Medien am aggressiven Vorbild gelernte Aggression (Imitationslernen) erhöht die Wahrscheinlichkeit, sich entsprechend zu verhalten, wenn die äußere Situation danach ist. Dabei wird der aggressive Akt, aber auch die vorweggenommene Sanktion gelernt. Aggression, die in der Darstellung erfolgreich ist und belohnt wird, kann in diesem Zusammenhang als Vorbild für den instrumentellen Einsatz des gewaltsamen Durchsetzens von Wünschen gelten. Ob aber in der Darstellung erfolgreich oder nicht erfolgreich, sanktioniert oder nicht sanktioniert, die aggressive „Methode“, in der Welt zurecht zu kommen, werde allemal erworben. In konkreten Situationen erinnert man sich ihrer und setzt sie ein.

Im Habituations-Modell wird angenommen, der Rezipient gewöhne sich an Gewalt, stumpfe gegenüber Gewalt ab, werde durch Veränderung seines Wertesystems eher gleichgültig gegenüber aggressivem Aushandeln von Konflikten und mache sich, wenn nicht durch aktive Gewaltanwendung, so durch Unterlassung, Gewalt abzuwenden, schuldig.

Die der Wirkungsrichtung nach entgegengesetzte These, die Katharsishypothese, formuliert, Beobachtung von Gewaltszenen erlaubten dem Rezipienten ein Ausleben seines (angeborenen) Aggressionspotentials auf der Vorstellungs-und Phantasieebene — eine These im übrigen, die häufig als ein Argument für sportliche und zuweilen auch äußerst aggressionsgeladene sportliche Massen-spektakel herangezogen wird. Wie aber jedermann weiß, sprechen regelmäßige Krawalle vor, während und nach solchen Veranstaltungen (z. B. anläßlich von Fußballspielen) nicht gerade für die Richtigkeit der Katharsisannahme. Die „Null-Hypothese“ schließlich (keinerlei Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellungen und Aggression) wird mehr oder weniger apodiktisch von einzelnen Autoren behauptet. Einige Autoren meinen, es bestünde im Sinne unmittelbarer kausaler Wirkung keine Beziehung zwischen Rezeption von Gewalt-darstellung und nachfolgender Aggression auf der Verhaltensebene, andere wieder meinen, zwar werde das Verhalten nicht beeinflußt, jedoch die Einstellung zur Gewalt. Und die Mehrheit in dieser Position sagt schlicht und einfach, bisher sei ein solcher Zusammenhang noch nicht nachgewiesen.

Ein weniger mit Forschungsfragen der Sozial-Wissenschaften vertrauter Leser wird vermutlich höchst erstaunt sein, weshalb es noch nicht gelungen ist, die auf den ersten Blick so . harmlos" anmutende Frage nach der Aggressionsstimulation durch mediale Gewalt zu ei-ner klaren und auch einhelligen Beantwortung zu bringen. Den selbstkritischen Forscher wiederum muß es verwundern, mit welcher Leichtfertigkeit in der Öffentlichkeit Untersuchungsergebnisse aufgenommen und als Beweis für den vermuteten Zusammenhang kolportiert werden (zuzugestehen ist allerdings, daß auch ab und an einige Wissenschaftler nicht wenig dazu beitragen, ihre Ergebnisse zu politisieren). Grundsätzlich sollte sich der kritische Konsument der Fernsehwirkungsliteratur bewußt sein, daß die Frage nach der Wirkung von Gewaltdarstellungen in den Medien nicht so leicht zu beantworten ist, wie es den Anschein haben mag. Ohne dies hier bis ins Detail erläutern zu können, müßten schon einige wenige Überlegungen die immensen methodischen Schwierigkeiten erkennen lassen, vor die ein Wissenschaftler gestellt ist, der sich mit diesem Thema empirisch beschäftigt

Der Königsweg, auf induktive Weise zu eindeutigen kausalen Aussagen zu gelangen, ist das Experiment. Man bildet zwei strukturgleiche Gruppen. Der einen bietet man einen gewalttätigen Film an, der anderen nicht oder ggf. auch einen nicht gewalttätigen Film. Anschließend mißt man das Aggressionsniveau in beiden Gruppen. Wenn sich nach sorgfältiger Kontrolle aller Randbedingungen — das ist letztlich nur in Laboruntersuchungen möglich —, die ggf. in der einen oder anderen Gruppe das Ergebnis hätten beeinflussen können, herausstellt, daß die Rezipienten des gewalttätigen Films aggressiver reagieren als die Personen der anderen Gruppe, dann ist es offensichtlich erlaubt zu schlußfolgern, gewalttätige Filme steigerten die Aggression. Wie die oben zitierten Meta-Analysen gezeigt haben, ist es in einer Vielzahl von Experimenten tatsächlich gelungen, einen solchen Nachweis zu führen (wir sehen zunächst einmal davon ab, daß in nicht wenigen dieser Experimente Probleme zutage getreten sind, die solche Nachweise wieder in Frage stellen

Was ist aber damit nun wirklich nachgewiesen? Letztlich nichts anderes als die Möglichkeit einer solchen Wirkung. Ob diese Möglichkeit auch die Wahrscheinlichkeit dieser Wirkung in realen Sehsituationen mit aussagt, ist die wesentliche Frage, die allein interessiert. Diese kann in Experimenten unter kontrollierten Laborbedingungen nur unter idealen Bedingungen annähernd abgeschätzt werden. Allein die Tatsache, daß Personen „zwangsweise" einen Film sehen müssen, läßt schon Zweifel an dieser Methode aufkommen, da man sich in der Realsituation sein Programm selbst wählen kann. So kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Aggressionssteigerung gar nicht mit den Inhalten des Filmes zusammenhängt, sondern mit einer Verärgerung darüber, daß man sich einen ungeliebten Film ansehen muß. Der Zwang, das experimentelle Spiel mitzuspielen, könnte z. B. die Zuwendungsreaktion relativ zur Real. Situation steigern. Potentiell gegenregulatorische Kräfte der Realsituation — auf einen brutalen Film folgt vielleicht im Fernsehprogramm ein sozial-integrativer — sind im Labor möglicherweise nicht richtig abgebildet Man könnte einige Dutzend Bedingungen aufzählen, die im Labor wegen der notwendigen Kontrolle der experimentellen Stringenz die Realsituation nicht mehr richtig einfangen. Zum Schluß bleibt dann allein die Feststellung, daß unter den höchst spezifischen Bedingungen des Experiments gewalttätige Filme die Aggression steigern können, jedoch unter üblichen* Sehumständen nicht müssen. Ein Beispiel mag den Unterschied zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Wirkung verdeutlichen.

Wenn man sich unter eine Dusche stellt, wird man bei Einschalten naß; die Möglichkeit besteht. Ob diese „Wirkung“ von Duschen aber in der Realität wahrscheinlich ist, bleibt abzuwarten. Sie läßt sich nur zutreffend beurteilen, wenn man weiß, ob jemand, wie zwangsweise im Labor verordnet, in der Realität die Dusche einschalten würde, ob er ggf. einen Schirm aufspannt usw. Analog wäre zu fragen, welche „Schirme“ den Betrachter von Gewalt-filmen vor den möglichen Wirkungen schützen, ob die Laborfilme in der Realität überhaupt gewählt würden, ob Gegenregulation stattfindet etwa in Form von sozial positiv zu wertenden Einflußgrößen aus anderen Medien, durch andere Personen etc. Kurzum: bei Laborexperimenten ist immer zu prüfen, ob sie die Wirklichkeit hinreichend abbilden. Nicht von ungefähr haben die Metaanalysen gezeigt, daß Untersuchungen im Feld die Wahrscheinlichkeit einer Stimulierung der Aggression deutlich geringer anzeigen als die bloße Möglichkeit im Labor.

Felduntersuchungen sind daher als Alternative zu reinen Laboruntersuchungen angeregt und durchgeführt worden. Die Untersuchungspersonen werden dabei in der Regel in ihren natürlichen, selbstgewählten Umwelten aufgesucht. Prinzipiell sind Felduntersuchungen auch experimentell anlegbar (z. B.sendet man für abgegrenzte Gebiete gesonderte Programme und mißt die Reaktion der Zuschauer); ihrer praktischen Verwirklichung stehen aber zumeist erhebliche Hindernisse 'entgegen. Nicht allein finanzielle und organisatorische Probleme machen ihre Realisation schwierig, es sind vor allem unzulängliche Kontrollmöglichkeiten, die die Interpretation der Ergebnisse beeinträchtigen. So lassen die umfangreichen Feldexperimente von Eron et al. und Lefkowitz et al. Alternativauslegungen ihrer Ergebnisse zu (s. u.). Die Hypothese ist damit nicht eindeutig bestätigt.

Der sich schließlich anbietende dritte Weg, gewissermaßen Experimente im nachhinein durchzuführen, ist vielfach beschritten worden. Die differenzierteste Untersuchung dazu wurde von Belson beigetragen. Man beobachtet die Korrelation zwischen dem Ausmaß des Konsums gewalttätiger Darstellungen und dem aggressiven Verhalten bzw.der aggressiven Einstellung der Rezipienten. Zumeist kontrastiert man die Gruppe der Viel-seher mit der Gruppe der Wenigseher (Hörer, Leser von Medieninhalten violenter Natur).

Fast ohne Ausnahme haben derartige Ansätze erbracht, daß die Vielseher von gewalttätigen Filmen aggessiver sind als die Wenig-seher. Aber was besagt das schon? Korrelationen lassen sich nicht kausal interpretieren. Alternativ könnte man z. B. annehmen, der Zusammenhang ergebe sich aus dem Sachverhalt, daß ohnehin schon aggressive Menschen eher dazu neigen, sich entsprechend Dar-Stellungen anzuschauen. Wenn in der gegenwärtigen Diskussion etwa festgestellt würde, daß Konsumenten von Horror-Videofilmen eher zu Aggression neigen als Nicht-Konsumenten dieser Produkte, dann besagt das selbstverständlich nicht, sie seien durch eben diesen Konsum aggressiv geworden. Wie Belson meint, dieses prinzipielle Problem korrelativer Funktionszusammenhänge im Sinne einer kausalen „Wirkungsinterpretation" gelöst zu haben, wird im folgenden noch erläutert werden.

Man muß sich mithin bewußt bleiben, daß schon auf methodologischer Ebene der Erforschung des fraglichen Zusammenhangs von Gewaltdarstellung und Aggression erhebliche Probleme entgegen stehen.

Am Beispiel einiger repräsentativer Arbeiten wird auf eine große Zahl versuchstechnischer, theoretischer und statistischer Fragwürdigkeiten hinzuweisen sein, die geeignet sind, die blauäugige Sicherheit des Urteils bzw.des Verurteilens problematischer Medienprogramme ein wenig zu erschüttern.

VI.

Unter den Laborexperimenten zur Bestätigung der Stimulationshypothese wird immer wieder eine Untersuchung von Bandura et al. zitiert.

Die Autoren bildeten vier strukturgleiche Gruppen von Kindergartenkindern: Gruppe A beobachtete einen Erwachsenen, der eine Gummipuppe (Bobo-doll) aggressiv attackierte; Gruppe B sah die gleiche Szene filmisch dargeboten; Gruppe C sah eine Zeichentrickfigur, die ebenfalls mit der Puppe rabiat umging und Gruppe D beobachtete einen nicht-aggressiven Filminhalt. Daneben gab es noch eine Kontrollgruppe, die in den Versuch nicht einbezogen war. Im Anschluß an die Vorführung wurden die Kinder in einen Raum geführt, in dem attraktives Spielzeug lag. Das wurde ihnen aber Weggenommen (Frustration zur Erhöhung der Aggressionsbereitschaft), angeboten wurde dagegen u. a. eine Bobo-Puppe. Im Ergebnis attackierten die Kinder, die aggressive Vorführungen gesehen hatten, signifikant häufiger die Puppe, als diejenigen aus den beiden übrigen Gruppen. In späteren Experimenten zeigte sich, daß die Aggression dann am deutlichsten war, wenn die dargestellten Vorbilder für ihr Verhalten noch belohnt wurden.

Die Möglichkeit der Aggressionsstimulierung durch gewalttätige Szenen scheint damit „bewiesen". Was aber ist tatsächlich bewiesen? Das ganze Arrangement ist realitätsfern. Im einzelnen haben Kelmer und Stein Kritikpunkte aufgezählt, die eine vorschnelle Verallgemeinerung der Ergebnisse verbieten. Die für Kinder und Jugendliche schlechthin nicht repräsentative Stichprobe und die für das Gesamt der Erscheinungsweisen medialer Gewalt gewiß ebenso nicht repräsentative Auswahl der Szenen und Filme sind nur ein Kritikpunkt und nicht einmal ein wesentlicher. Aber personelle und inhaltliche Restriktionen erschweren selbstverständlich die Verallgemeinerung ins Grundsätzliche, die immer wieder mit der Beweisführung nach solcher Art von Medienkritikern versucht wird. Viel problematischer ist die Künstlichkeit des gesamten Arrangements. Wann wird man schon im Anschluß an eine Fernsehsendung frustriert? Wann findet man schon einen Aggressionsgegenstand unmittelbar nach einer Sendung, der genau dem entspricht, der im Film gezeigt wurde. Und wenn der Mechanismus von der Beobachtung aggressiver Bobo-Puppen auf anschließende Attacken auf eben solche Puppen beliebig zu generalisieren wäre (Betrachtung von Inhalt X führt zur Aggression gegen beliebige Aggressionsobjekte Y), bliebe immer noch zu klären, wie lange Aggressionstendenzen nach Betrachtung violenter Inhalte überdauern. In den Bandura-Experimenten ist die Aggression der Kinder unmittelbar nach der Vorführungsphase erhoben worden. Ob man aber Aggressionen unmittelbar nach einer Betrachtung violenter Darstellungen umsetzt, ist gar nicht das zentrale Problem. Problematisch ist vielmehr der denkbare kumulative Effekt dieser Inhalte auf langfristige, stabile Persönlichkeitsveränderungen. Das aber ist aus den Bandura-Experimenten nicht ableitbar.

Im Detail lassen sich weitere Einwände gegen die Bandura-Untersuchungen erheben. Auf einen sei hingewiesen, weil er zentral für die gesamte Aggressionsforschung ist. Aggressives Verhalten wird in der zitierten Untersuchung mit . Angriffen einer Gummipuppe“ definiert. In anderen Untersuchungen sind Kriterien der Aggression: Schimpfen, Schreien, Umstürzen von Bauklötzen, Austeilen von Elektroschocks usw. In der Literatur nehmen sich Forscher die Freiheit, Aggression ziemlich beliebig zu definieren, aber eindeutig mit Aggression zu benennen. So entsteht in der sekundären Zitation häufig der Eindruck, Aggression im landläufigen Sinne sei Gegenstand einer Untersuchung gewesen, obwohl in der Bezugsliteratur möglicherweise völlig harmlose Verhaltensweisen beobachtet worden sind. So könnte man auch Attacken auf eine Bobo-Puppe als kindliche Spielereien mit einem leblosen Gegenstand auffassen. Die für die Zuordnung des Merkmals Aggression" notwendige Implikation einer bewußten und intendierten Schädigung eines anderen ist aus den Bandura-Untersuchungen ohne weiteres nicht herleitbar. Im übrigen mag man sich auch fragen, ob der Anblick eines Erwachsenen, der mit einer Bobo-Puppe sozusagen Punching-ball spielt, den Eindruck erweckt, es handele sich um Aggression. Sanktionen der Aggression werden zumindest nicht gezeigt. Den Kindern mag die Vorführung eher als lustiges und nachzuahmendes Spiel denn als Aggression erschienen sein. Kurzum, die gezeigten Ergebnisse sind vermutlich sehr situationsspezifisch zu sehen und keinesfalls ein Beleg für die Stimulationsthese.

Nicht viel anders sind die Arbeiten von Berkowitz, einem nicht minder viel zitierten und prominenten Autor einzuschätzen. Nach seiner Ansicht erweitern mediale Gewaltdarstel. lungen das Repertoire von Stimuli, die aggressive Handlungen auszulösen vermögen. Gelernt wird aus den Gewaltdarstellungen ein spezifisches (aggressives) Verhalten. Generalisiert wird dann über die Reaktionen auslösenden Stimuli in dem Maße, wie die aus den Darstellungen entnommenen Stimulus-Reak. tionsverbindungen einer realen Situation ähneln. Dieser Mechanismus wird u. a. in zwei Arbeiten von Berkowitz und Berkowitz und Geen demonstiert.

In die Versuchssituation wurden Personen eingeführt, die eine gewisse Ähnlichkeit mit den Aggressionsopfern der Filmpersonen hatten. Eine nähere Analyse der Experimente zeigt daß der besagte nur aber, Mechanismus dann eintritt, wenn die Rezipienten vor der Darbietung aktiviert (frustriert) worden sind. Es ist daher nicht ganz klar, ob gewalttätige Filme das Aggressionspotential steigern oder ob neutrale Filme den natürlichen Abfall dieses Potentials weniger behindern als gewalttätige Weiterhin fand die Forschergruppe um Berkowitz, daß der vermutete Effekt nur dann eintritt, wenn in gewalttätigen Filmen die Aggression als legitimiert erscheint Das aber ist eine subjektive Kategorie, die in den meisten einschlägigen Experimenten nicht geprüft worden ist. Aggressionsstimulierung ist nach Berkowitz nur unter sehr spezifischen Umständen, die in der Realität in der Regel nicht gegeben sind, möglich. Der Rezipient muß aggressiv aktiviert sein, die Darbietung muß als gerechtfertigtes Verhalten aufgefaßt werden und Stimulusähnlichkeit der filmisch dargebotenen Opfer mit potentiellen Aggressionsobjekten gegeben sein. Die Möglichkeit einer Aggressionssteigerung durch dargestellte Gewalt ist mithin an eine Reihe von Bedingungen geknüpft, die allesamt vorliegen müssen, damit der befürchtete Effekt eintritt. Das Zusammentreffen dieser und mancher anderer Bedingungen in der Realität ist zwar möglich, aber eben wenig wahrscheinlich, weshalb dann auch die Vertreter der Null-Annahme meinen, der Effekt von Gewaltdarstellungen sei in einem doppelten Sinne wenig wahrscheinlich. Sind die Bedingungen nur partiell gegeben, dann ist die evozierte Aggression in ihrem Maß vernachläs-sigbar gering; treffen sie in einer Person und einer Situation einmal zusammen, dann ist das auf die gesamte Population bezogen ein höchst seltenes Ereignis, das zwar individuell bedauerlich, aber gesamtgesellschaftlich allenfalls ein Randproblem sei. Ein Verbot oder eine Reduktion gewalttätiger Darstellungen würde in diesem letzteren Sinne die Summe aggressiver Akte in unserer Gesellschaft kaum berühren.

Tannenbaum und Zillmann sowie in einigen Reanalysen bekannter Feld-und Laboruntersuchungen auch Watt und Krull meinen, es sei nicht der aggressive Inhalt von Gewaltdarstellungen, der unter bestimmten Bedingungen antisoziales Verhalten provoziere, sondern vornehmlich die Stilistik eines Programms steigere das Erregungsniveau. Die Inhalte sind kontingent, wesentlich sei die erregungssteigernde Kapazität von Darbietungen. In einer Reihe von Experimenten aus diesem Forscherkreis ist dann auch gezeigt worden, daß Sportsendungen, Kabaretts oder auch nur körperliche Anstrengung Aggressionen auslösen können. Wenn dem tatsächlich so ist, dann müßte die Diskussion um Veränderungen im Medienangebot nahezu alle Programme einschließen, die geeignet sind, das Aktivationsniveau der Zuschauer merklich zu heben. Eine Empfehlung wäre es dann, Sendungen so zu gestalten, daß am Schluß ein „happy end" eintritt, das die zuvor aufgebaute Spannung wieder löst. Im übrigen implizieren die Ergebnisse dieser Erregungstheorie auch, die zeitliche Befristung des Erregungsanstiegs in Betracht zu ziehen. Die in Laboruntersuchungen so oft beobachtete Aggressionssteigerung ist eine Funktion der zeitlichen Nähe zwischen Gewaltdarbietung und Prüfung des Aggressionsniveaus. In der Realität wird man selten unmittelbar nach Anschauen eines gewalttätigen Inhalts Gelegenheit haben, sich aggressiv zu gebärden, weshalb auch aus diesem Grunde die Wahrscheinlichkeit medieninduzierter Gewalt gering ist.

Längsschnittlich angelegte Feldstudien müßten zu dieser Frage eine Antwort geben können. Die schon zitierte Studie von Himmelweit und Mitarbeitern erbrachte allerdings keine bemerkenswerte Beziehung zwischen Gewaltkonsum und Aggression. Lefkowitz et al. und Eron et al. behaupten dagegen einen solchen Zusammenhang. Sie untersuchten Schüler des dritten Schuljahres nach ihren Sehgewohnheiten. Aktuell und später retrospektiv wurden mehrere Aggressionsmaße erhoben (Selbst-und Fremdbeurteilungen). Im Alter von 13 bzw. 19 Jahren ist die Untersuchungsgruppe noch einmal hinsichtlich ihrer Sehgewohnheiten und ihrer Aggressivität überprüft worden. Die Autoren gelangen dabei zu der Ansicht, der kumulative Effekt fortdauernden Konsums violenter Inhalte sei ursächlich für die Aggressivität in späteren Jahren. Die beiden Arbeiten sind, vermutlich weil sie die prominentesten unter den wenigen Längsschnittuntersuchungen zum Thema sind, sorgfältigen Kritiken unterzogen worden. Von inhaltlichen Problemen der Erhebung der Aggressionsmaße einmal abgesehen (Mütterbefragungen, Einschätzung durch Klassenkameraden) erfüllt die statistische Auswertungstechnik in beiden Untersuchungen nicht die Voraussetzung ihrer sinnvollen Anwendung. Armor meint sogar, daß bei sorgfältiger Analyse der Daten eher das diametrale Gegenteil dessen anzunehmen sei, was die Autoren glauben machen wollen. Joy et al. haben über einen Zeitraum von zwei Jahren die Effekte des Fernsehens in drei kanadischen Gemeinden verfolgt, die Armors Vermutungen stützen. In einer dieser Gemeinden war das gewaltverdächtige amerikanische Fernsehen nicht zu empfangen. Es zeigte sich, daß in dieser Gemeinde das Aggressionsniveau der Kinder höher war als in den beiden anderen Gemeinden, die schon seit längerem problematische Sendungen empfangen konnten.

Die bereits erwähnte Untersuchung von Belson die an ca. 1 600 Londoner Jugendlichen im Alter zwischen 12 bis 17 Jahren durchgeführt wurde, ist insofern methodisch interessant, als der Autor versucht hat, aus Korrelationen auf kausale Wirkungszusammenhänge zurückzuschließen. Die Logik dieses Schlusses beruht auf folgenden Überlegungen. Kontrastiert man, wie Belson das getan hat, die Gruppe der Wenigseher mit der Gruppe der Vielseher (die häufig violente In-36) halte aufnimmt), dann kann die tatsächlich gefundene Beziehung zwischen hohem Medienkonsum und Aggressivität prinzipiell auf drei „Ursachen" zurückgeführt werden:

1. Vielsehen ist Ursache für Gewalttendenzen im Erleben und Verhalten.

2. Vielseher unterscheiden sich von Wenigsehern in einer Reihe von Persönlichkeitsvariablen und sonstigen sozialgraphischen Merkmalen, die ihrerseits Ursache von Aggression sind (Drittvariabien-Erklärung).

3. Der Wirkungsmechanismus wird gewissermaßen umgekehrt, indem man annimmt, ohnehin schon aggressive Personen setzten sich häufiger als andere violenten Medieninhalten aus.

Offensichtlich kann die erste Hypothese nur dann bestätigt werden, wenn die zweite ausgeschaltet ist Das nun unternimmt Belson, indem er eine Fülle denkbarer Personvariablen statistisch ausschaltet und schließlich nur noch solche Gruppen vergleicht die sich in fast nichts mehr unterscheiden als in ihrem unterschiedlich intensiven Medienkonsum. Im Ergebnis dieser aufwendigen Prozedur stellt sich in seinen Untersuchungen schließlich heraus, daß immer noch die Vielseher aggressiver sind als die Wenigseher. Über die Richtung des Wirkungszusammenhangs ist damit aber noch nichts gesagt Die dritte Deutungsmöglichkeit muß mithin noch ausgeschaltet werden. Zu diesem Zwecke bildet Belson nun Kontrastgruppen zwischen extrem aggressiven und extrem nicht-aggressiven Personen und wendet wieder die Angleichungsprozedur auf diese Kontrastgruppen an. Nach diesem , Matching, das hier im Detail nicht dargestellt werden kann, ergibt sich, daß das Ausmaß des gewalttätigen Fernsehkonsums zwar mit dem Maß der Aggression verbunden ist, nicht aber das Maß der Aggression mit dem Maß des Fernsehkonsums. Damit ist es wahrscheinlicher, daß Medien-konsum die Aggressivität steigert, und weniger wahrscheinlich, daß aggressive Personen häufiger Gewaltdarstellungen im Fernsehen aufsuchen als weniger aggressive Personen. Die Wirkungsrichtung ist nach Belson eindeutig vom Medienkonsum zur Aggression zu sehen.

Die Vorgehensweise ist in ihrer Logik auf den ersten Blick überzeugend. Indes birgt die vielfältige Angleichungsprozedur der Kontrast-gruppen erhebliche Risiken in der Produktion von statistischen Artefakten, was hier nicht näher begründet werden kann. Vorläufig wird man jedoch festhalten dürfen, daß die Interpretationen von Belson einen gewissen Bestätigungsgrad für die kritische Hypothese liefern, Konsum von Mediengewalt erhöhe die Aggressivität. Einen Beweis im Sinne eines Experimentes liefert Belson indes nicht Im übrigen hat der Autor seine Aggressivitätsindizes über Befragungen gebildet, was nicht gerade Anlaß zu der Annahme gibt, die angeprangerte schädliche Wirkung von Gewalt-darstellungen sei nunmehr „bewiesen“.

Im einzelnen findet man in der Arbeit jedoch eine Reihe von interessanten Hinweisen. Auf breiter Front wird bestätigt, daß Jungen, die oft Mediengewalt konsumieren, häufiger in aggressives Verhalten verwickelt sind, als Jungen, die weniger solche Inhalte betrachten. Am negativsten wirken Filme, in denen personale Gewalt ausgeübt wird und realistisch dargestellt ist. Cartoons, Slapstick-Filme, Science-Fiktion-Filme und aggressive Sportsendungen (außer Boxen und Ringen) zeigen keinerlei negative Effekte. Vielleicht ist dies ein Hinweis, wie man violente Videofilme zu bewerten hat. Es wäre denkbar, daß hinsichtlich ihrer Wirkung gerade solche Darstellungen nicht sonderlich problematisch sind, in denen man unmittelbar den irrealen Charakter und die Fiktion der Thematik erkennt Wichtig erscheint es Belson, auf die kumulative Wirkung von Gewaltdarstellungen aufmerksam zu machen. Im Vorfeld offenen aggressiven Verhaltens verändert sich zunächst die Einstellung zur Gewalt Erst wenn eine kritische Schwelle überschritten ist, wird gewaltsame Aktion wahrscheinlich. Im Lichte der gängigen Theorien hat Belson keine Hinweise auf die Richtigkeit der Katharsistheorie gefunden. Auch für die Überzeugungen von Bandura (Imitationslernen) gibt es kaum Belege. Belson meint vielmehr, gewalttätige Filme entfalteten ihre potentielle Wirksamkeit auf dem Wege der Enthemmung jener Schwellen, die in unserer Kultur gegen eine unkontrollierte Entladung von Aggressionen aufgebaut werden. Violente Filme fördern nach Belson die Erosion angeborener und/oder erworbener Hemm-Mechanismen der bewußten Schädigung anderer Personen oder Sachen.

Im Rahmen dieses kurzen Überblicks verbleibt schließlich noch die Erwähnung repräsentativer Studien zur Katharsishypothese. Die bekannteste dieser Studien wurde von Feshbach und Singer durchgeführt 400 Jungen wurden gebeten, über sechs Wochen hin teils brutale Action-Filme, teils nicht-aggressive Unterhaltungssendungen zu sehen. Unter anderem zeigte sich nach Abschluß des Versuchs, daß Jungen, die nicht-aggressive Filme gesehen hatten, bedeutend aggressiver waren als die übrigen. Im einzelnen wurde dieser Effekt jedoch nur bei Heimkindern, nicht aber bei Jungen, die Privatschulen besuchten, nachgewiesen. Die Untersuchung hat aus vielen meßtechnischen und statistischen Gründen herbe Kritik gefunden. Inhaltlich ist eingewendet worden, daß sie nicht viel mehr beweise, als daß Jungen, zumal Heimkinder in schwierigen sozialen Verhältnissen, aggressiv reagieren, wenn sie gezwungenermaßen sich über Wochen hin Programme ansehen müssen, die sie nicht mögen. Nachfolgende Untersuchungen haben selten einmal die Katharsishypothese bestätigen können. Heute wird von kaum einem Forscher ernsthaft angenommen, der Konsum violenter Medieninhalte senke die Aggressionsbereitschaft.

VII.

Mit Beginn der achtziger Jahre hat die Beschäftigung mit den potentiellen Effekten von Gewaltdarstellungen in den Medien merklich nachgelassen. Andere Themen sind in den Vordergrund des Forschungsinteresses gerückt. So hat man sich beispielsweise gefragt, ob Gewaltdarstellungen die Angst der Rezipienten steigern können, selbst einmal Opfer einer aggressiven Attacke zu werden. Eine Wiederbelebung der Fragestellung scheint sich jedoch anzudeuten. Während sich im Fernsehen die relative Rate brutaler Darstellungen kaum wesentlich verändert hat — trotz mancher Empfehlungen im Gefolge der exemplarisch referierten Forschung —, ist mit der Verfügung über Videoanlagen im privaten Haushalt und dem Leihen oder Kauf von Videofilmen die Diskussion neu entfacht worden. Eine Reihe der für jedermann zugänglichen Filme zeigen Szenen von beispielloser Brutalität, Grausamkeit, sadistischen Handlungen, ekelerregenden Bildern usw. in einem Maße, wie es niemals in frei zugänglichen Medien der Fall gewesen ist. Die Forschung, über die berichtet wurde, hat gegenüber diesen neuen Produktionen wahrlich nur harmlose Materialien als „Stimuli" in ihre Experimente eingeführt. Vielleicht sind aus diesem Grunde die bisherigen Ergebnisse so uneindeutig und widersprüchlich ausgefallen. Nach Schätzungen des Handels verfügt zur Zeit jeder 5. bis 6. Haushalt über ein Video-Abspielgerät. Die Zuwachsraten weisen nach oben. Videobänder werden z. Zt überwiegend in Videotheken geliehen. Ca. 5 000 bis 8 000 Filme stehen zur Verfügung, darunter ein erheblicher Anteil sogenannter Horror-und Pornostreifen. In der politischen Diskussion werden Gesetzesvorlagen erwogen, durch bestimmte Auflagen für Produzenten und Verleiher den offensichtlichen Boom, dessen Dunkelziffern kaum bekannt sind, zu stoppen. In immer dichteren Abständen meldet die Presse Gewalttaten, in denen die Akteure eif-rige Konsumenten von Grusel-Videos gewesen seien. Implizit wird ein Zusammenhang zwischen Konsum solcher Video-Produkte und sadistischen Greueltaten hergestellt. Nach mehr oder weniger informellen Umfragen in der Bundesrepublik und in England sollen mindestens vier von zehn Kindern und Jugendlichen schon einmal einen Horror/Porno-Videofilm gesehen haben. Die Verkaufs-bzw. Entleihstatistiken des Deutschen Video Instituts weisen Umsatzanteile von ca. 50 % über Action/Horror und Kriegsfilme aus; ca. 10% entfallen auf Sex-Streifen. Gesetzliche Entleihverbote erschweren es zu beurteilen, in welchem Maße Jugendliche zu jenen Umsatzziffern beitragen. Weder Händler noch Konsumenten werden freimütig zugeben, etwas getan zu haben, was verboten und/oder moralisch nicht akzeptiert ist Insgesamt weisen aber manche informellen Umfragen an Schulen darauf hin, daß inkriminierte Videos in einem erheblichen Umfang auf Kinder und Jugendliche treffen. Systematische Forschung gibt es über die Effekte des Sachverhalts noch nicht — weder in der Bundesrepublik, noch in England oder den Vereinigten Staaten.

Vorerst bleibt daher nichts anderes übrig, als aus den Untersuchungen zur Fernsehgewalt analog auf die Video-Gewalt rückzuschließen. Der Schluß ist jedoch mit vielerlei Unwägbarkeiten belastet. Nach der Intensität der Video-Darstellungen wird man vielleicht geneigt sein anzunehmen, die bisher gefundenen schwachen negativen Effekte medial vermittelter Gewalt müßten sich bei Betrachtung von Videos verstärken. Dagegen wird man einwenden, daß eben die groteske Übersteigerung einzelner Video-Streifen zu einer Distanzierung in der Sehsituation führen. Das Vorbild findet in den üblichen Lebensvollzügen kein Pendant und ist insofern irreal und damit nicht sonderlich vorbildhaft nachahmenswert bzw. -fähig. Auch bedeutet im Unterschied zum TV-Konsum die Nutzung von Video-Bändern einen gewissen Aufwand ihB rer Beschaffung. So mag man denken, daß diejenigen, die sich diesem Aufwand unterziehen, ohnehin schon prädisponiert seien, an den gezeigten Inhalten Spaß zu finden. Der Konsum der Bänder würde entsprechend nicht in eine Richtung verführen, die noch nicht dagewesen ist, sondern nur Wünsche erfüllen, die, aus welchen Gründen auch immer, in der individuellen Entwicklungsgeschichte entstanden sind.

VIII.

Die Wirkung violenter Medieninhalte ist nach wie vor noch ungeklärt. Angeblich beweiskräftige Untersuchungen halten nahezu ausnahmslos einer kritischen methodischen und inhaltlichen Würdigung nicht Stand. Keine der bisher entwickelten Modellvorstellungen und Theorien der Medienwirkung sind hinreichend empirisch bestätigt. Daraus zu schließen, gewalttätige Inhalte von Medien, insbesondere solche, die gegenwärtig in Video-Filmen angeboten und konsumiert werden, hätten keinerlei Einfluß auf die psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wäre allerdings voreilig. Es gibt Umstände, unter denen Medien eine sozial negative Entwicklung von jungen Menschen forcieren können, doch ist das offensichtlich nicht der Regelfall. Allerdings wissen wir noch viel zu wenig, unter welchen spezifischen Umständen und in welcher Häufigkeit ein negativer Einfluß anzunehmen ist.

Vielleicht ist aber auch die Frage falsch gestellt, denn die meisten der vorgelegten Studien berühren den potentiellen und unmittelbaren Einfluß eines Inhaltes auf ein Individuum. Dieses aber ist nach den Forschungsergebnissen als verhältnismäßig geringfügig anzusehen. Selbst die mehr oder weniger gesicherten Ergebnisse von Belson haben letztlich nur ein quantitativ fast vernachlässigbares Maß einer Aggressionssteigerung durch Medien ausgewiesen.

Völlig anders würde sich die Frage stellen, wenn man einmal annimmt, Medien gaukelten dem Zuschauer eine Welt vor, an der er nicht teilhat und teilhaben kann. Er könnte dann auf den Gedanken kommen, sich mit Gewalt einen Zugang zu dieser Welt zu verschaffen, wobei er das Repertoire der Methoden aus unterschiedlichen Quellen beziehen mag; entscheidend ist, daß die verzerrte Medienwelt ihn animiert, sich dieser Methoden zu bedienen. Vielleicht ist die vermittelte Konsumumwelt, die Idylle des saturierten Lebens, die Begehrlichkteit stiftende Vorführung von Prominenten viel eher ein Quell von Aggression als Nachahmungstendenzen von platten, fiktiven Western, Grusicals und Kriminalfilmen. Wie immer man nach sorgfältigem Studium der Literatur den direkten Einfluß von Medien auf aggressive Akte auch sehen mag: wenn er überhaupt gegeben ist, ist er gering. Die weltweite Schelte der Medien könnte darüber den Blick von Phänomenen sozialer Probleme und familialer Erziehungsmethoden ablenken, die wahrscheinlich eher als Ursachen der individuellen Aggression in unserer Gesellschaft wirken als antisoziale Western-, Kriminal-und Horrorfilme in ihrer Summation.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zusammenfassend: W. W. Charters, Motion pictures and youth: summary, New York 1933; F. C. Wertham, Seduction of the innocent, New York 1954.

  2. G. Gerbner et al, TV violence profile Nr. 8, in: Journal of communication, (1977) 27, S. 171— 180.

  3. H. T. Himmelweit/A N. Oppenheim/P. Vince, Television and the child, London 1976.

  4. J. T. Klapper, The effects of mass communication, New York 1960.

  5. L. Schramm/J. Lyle/E. B. Parker, Television in the lives of our children, Stanford (Cal.) 1961.

  6. Zusammenfassend: R. Bergler/U. Six, Psychologie des Fernsehens, Bern 1979; H. Haase, Jugendliche und Medien, Frankfurt 1982; M. Kunczik, GeWalt im Fernsehen, Köln 1975.

  7. A. Bandura/D. Ross/S. A. Ross, Imitation of filmmediated aggressive models, in: Journal of Abnor-mal and Social Psychology, (1963) 66, S. 3— 11; dies, icarious reinforcement and imitative learning, in: Journal of Abnormal and Social Psychology, (1963) 67, 8. 601— 607.

  8. Vgl. Anm. 2.

  9. Z. B. R. Bergler/U. Six, (Anm. 6).

  10. M. M. Lefkowitz/L D. Eron/L O. Walder/L. R. Huesmann, Television violence and child aggression. A Follow up study, in: G. A. Comstock/E. A. Rubinstein (Eds.), Television and social behavior (Vol. 3), Washington D. C. 1972.

  11. W. A. Belson, Television violence and the adolescent boy, Westmead-Farnborough-Hampshire 1978.

  12. S. Milgram/R. L. Shotland, Television and antisocial behavior: Field experiments, New York 1973.

  13. M. S. Heller/S. Polski, Studies in violence and television, New York o. J.

  14. D. Howitt/G. Cumberbatch, Mass media violence and society, New York 1975.

  15. R. M. Kaplan/R. D. Singer, Television violence and viewer aggression: A Reexamination of the evidence, in: Journal of Social Issues, 32 (1976) 4, S. 35— 70.

  16. G. Comstock, Violence in television content: An OverView, Syracuse-New York 1980.

  17. J. L Singer, The influence of violence portrayed in television or motion pictures upon overt aggressive behavior, in: J. L Singer (Ed.), The control of aggression and violence: Cognitive and physiological factors, New York 1971.

  18. J. L Singer, The powers and limitations of televisions, in: P. Tannenbaum (Ed.), The entertainment function of television, Hillsdale (N. J.) 1979.

  19. F. S. Andison, TV violence and viewer aggression: A cumulation of study results 1956— 1976, in: Public Opinion Quarterly, (1977) 41, S. 314— 331.

  20. Vgl. Anm. 15.

  21. S. L. Hearold, Meta-analysis of the effects of television on social behavior. Unpublished Doctoral Dissertation, University of Colorado 1979.

  22. J. H. Watt/R. Krull, An examination of three models of television viewing and aggression, in: Human Communication Research, (1977) 3, S. 99 bis 112.

  23. Siehe dazu: R. Bergler/U. Six, (Anm. 6); R. M. Kaplan/R. D. Singer, (Anm. 15).

  24. L D. Eron/L. R. Huesmann/M. M. Lefkowitz/-0. Walder, Does television violence cause aggression?, in: American Psychologist, (1972) 27, b. 253— 263.

  25. Vgl. Anm. 10.

  26. W. A. Belson, (Anm. 11).

  27. A. Bandura et aL (Anm. 7).

  28. O. Kelmer/A. Stein, Fernsehen: Aggressionsschule der Nation?, Bochum 1975.

  29. L. Berkowitz, Some aspects of observed aggression, in: Journal of Personality and Social Psycholoey, (1965) 2, S. 359— 369.

  30. L Berkowitz/R. Geen, Film violence and the coue properties of available targets, in: Journal of Personality and Social Psychology, (1966) 3, S. 525— 530.

  31. Siehe R. M. Kaplan/R. D. Singer, (Anm. 15).

  32. P. H. Tannenbaum, Studies in film and television-mediated arousal and aggression: A progress report, in: G. A Comstock/E. A Rubinstein/J. P. Murray (Eds.), Television and social behavior (Vol. 5), Washington D. C. 1972.

  33. D. Zillmann, Excitation transfern in communication-mediated aggressive behavior, in: Journal of Experimental Social Psychology, (1971) 7, S. 412— 434.

  34. J. H. Watt/R. Krull, (Anm. 22), S. 99— 112.

  35. Vgl. Anm. 3.

  36. Vgl. Anm. 10.

  37. Vgl. Anm. 24.

  38. D. J. Armor, Measuring the effects of television on aggressive behavior, Santa Monica (Cal.) 1976.

  39. L. A Joy/M. M. Kimball/M. L. Zabrack, Television exposure and childrens aggressive behavior. Paper presented at the meeting of the Canadian Association, Vancouver (June) 1977.

  40. Vgl. Anm. 11.

  41. S. Feshbach/R. D. Singer, Television and aggression, San Francisco 1971.

Weitere Inhalte

Henning Haase, Dr. phil., Dipl. Psychol., geb. 1939-, Professor für Psychologie, Arbeitsgebiete Markt-und Kommunikationspsychologie, Psychologische Diagnostik und Sportpsychologie an der Universität Frankfurt; 1. Vorsitzender der Sektion „Markt-und Kommunikationspsychologie" des Berufsverbandes Deutscher Psychologen. Veröffentlichungen: zahlreiche Publikationen zur Gewaltthematik in den Medien, sowie Untersuchungen zur Wirkung des Werbefernsehens auf Kinder.