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Die ausgebliebene Legitimationskrise | APuZ 24/1979 | bpb.de

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APuZ 24/1979 Artikel 1 Atheismus als politisches Problem Nicht Wissenschaft und Atheismus sind inhuman, sondern dogmatische Ansprüche. Eine Stellungnahme zu dem Beitrag von Hugo Staudinger Einige Anmerkungen zu der Stellungnahme von Felix v. Cube Die ausgebliebene Legitimationskrise

Die ausgebliebene Legitimationskrise

Stephan Ruß-Mohl

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Daß der Staat in hochentwickelten kapitalistischen Industriegesellschaften in eine „Legitimationskrise" hineinschliddern müßte, weil es ihm nicht mehr gelingen würde, gleichzeitig ökonomischen Imperativen gerecht zu werden und die Ansprüche der Bürger zu befriedigen — das war die Kernthese der politischen Krisentheorie, wie sie Claus Offe und andere zu Beginn der 70er Jahre entwarfen. Weil die prognostizierte Krise offenbar ausgeblieben ist, hat inzwischen auch in der politischen Theoriebildung ein Prozeß des Umdenkens eingesetzt: sie ist differenzierter geworden und interessiert sich zusehends für die Mechanismen, mit denen sich der Staat so erfolgreich im Krisenmanagement behauptet. Der vorliegende Beitrag bilanziert diese Diskussion; er greift Offes ursprüngliche Konzeptualisierung des politisch-administrativen Systems (PAS) auf, entwickelt sie weiter — und gelangt zu dem Ergebnis, daß sich mit geringfügigen Modifikationen am Offe-Modell recht schlüssig aufzeigen läßt, warum es gerade nicht zur politischen Krise

Zwischenbilanz einer Diskussion

Abbildung 1

Als Claus Offe 1973 in einem Beitrag für einen breitangelegten Reader seine politische Krisentheorie entwarf, fand er damit ein außergewöhnlich starkes Echo. Insbesondere seine Konzeptualisierung des politisch-administrativen Systems (PAS) wurde vielfach aufgegriffen — ihr ungewöhnliches Fassungsvermögen für Komplexität mag dazu ebenso beigetragen haben wie der Umstand, daß sie sich zu einem recht einfachen und einprägsamen Schaubild, dem „Offe-Schema", kondensieren ließ.

Abbildung 5

Dieses Modell wurde zum Ausgangspunkt zahlreicher politik-und verwaltungswissenschaftlicher Diskurse, es befruchtete den Seminarbetrieb und inspirierte Forschungsarbeiten. Nach nunmehr sechs Jahren, in denen es - wie es im Politologenjargon so schön heißt - reflektiert, modifiziert und kritisch gewendet wurde, scheint es an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen und Ergebnisse der Diskussion zu summieren. Dies bezweckt der folgende Beitrag, der zunächst - notgedrungen verkürzt - Offes ursprüngliches Konzept noch einmal umreißt und es dann unter Berücksichtigung des derzeitigen Diskussionsstandes weiterzuentwickeln sucht.

Offes Konzeptualisierung des politisch-administrativen Systems

Abbildung 2

Offe knüpft bekanntlich in seinen Arbeiten an die Traditionen materialistischer (Staats-) Analyse an, wahrt aber andererseits stets kritische Distanz zu verkrusteten, simplifizierenden Dogmen und Doktrinen. Seiner politischen Krisentheorie liegen zwei Thesen zugrunde, die der neueren staatstheoretischen Diskussion wichtige Impulse gegeben haben: 1. Der Staat läßt sich in kapitalistischen Industriegesellschaften nicht angemessen als „Instrument der Kapitalistenklasse''bzw. als „Handlanger des Kapitals" konzeptualisieren — auch nicht mit Engels Formel vom „ideellen Gesamtkapitalisten", wonach der Staat dem gemeinsamen Interesse aller Kapitalien gegenüber den „bornierten" Interessen der Einzelkapitale Geltung verschafft. Vielmehr ist der Staat durch Verfassungsund Organisationsstrukturen gekennzeichnet, die darauf angelegt sind, „den . privaten'Steuerungsmodus der kapitalistischen Ökonomie mit den von ihr ausgelösten Vergesellschaftungsprozessen zu vereinbaren und koexistenzfähig zu machen". Mithin charakterisiert den kapitalistischen Staat eine relative Autonomie. 2. In spätkapitalistischen Systemen werden neue politische Krisentendenzen („Krisen zweiter Ordnung") virulent, die sich mit herkömmlichen ökonomischen Krisentheorien nicht mehr hinlänglich analysieren lassen. Solche Krisen, die sich aus der „Inanspruchnahme kapital-und marktexterner Steuerungsprinzipien", also: aus staatlicher Intervention in den Prozeß wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung ergeben, hält Offe für „relevanter als diejenigen erster Ordnung, deren Folge sie allerdings sind“. Demnach ist eine Krisenverlagerung vom ökonomischen ins politisch-administrative System zu verzeichnen.

Abbildung 6

Beide Annahmen konkretisieren sich im Offe-Schema: Es sieht das PAS eingebettet in eine Umwelt, die in das ökonomische System und das legitimatorische (auch: normative bzw. soziokulturelle) System zerfällt. Das ökonomische System ist „durch die Entwicklungsprozesse der kapitalistischen Wirtschaft", das legitimatorische durch die Dynamik gesell-schaftlicher „Konflikt-Konsens-Prozesse" bestimmt. Aus der Umwelt richten sich Forderungen an das PAS; vereinfacht ausgedrückt, verlangt das ökonomische System nach Aufrechterhaltung der Kapitalverwertungsbedingungen, während vom soziokulturellen System Verbesserungen der Lebensqualität angemahnt werden.

Abbildung 7

Wie die Skizze veranschaulicht, erbringt das PAS Leistungen, mit denen es auf die — partiell einander widerstreitenden — Umweltanforderungen reagiert: einmal Steuerungsleistungen für das ökonomische System, das „zur Behebung seiner internen Funktionsstörungen auf hoheitliche Dauerintervention angewiesen" ist, zum anderen sozialstaatliche Leistungen für das legitimatorische System, mit denen Folgeerscheinungen kapitalistischer Produktion (wie etwa Existenzrisiken oder als sozial untragbar empfundene Verteilungsungerechtigkeiten) abgemildert werden sollen.

Die Funktionsfähigkeit des PAS ist abhängig von den Ressourcen, die es über den Mechanismus der fiskalischen Abschöpfung zu erschließen vermag, und von der Loyalität der Bürger; d. h., das PAS ist seinerseits auf Unterstützungsleistungen des ökonomischen und des legitimatorischen Systems angewiesen, und beide Seiten verfügen somit prinzipiell über das Sanktionsmittel, dem PAS den Rückhalt zu entziehen.

Sowohl die Überlastung mit Forderungen als auch die Sanktion des Rückhalt-Entzugs können das PAS unter „Streß" setzen, d. h., sie • bedrohen seine Autonomie, in letzter Konsequenz: seinen Bestand. Um solchen Gefahren der Destabilisierung vorzubeugen, muß das PAS einerseits — um des Rückhalts willen — zumindest partiell Forderungen des legitimatorischen Systems erfüllen, ohne dabei seine Ressourcenbasis zu überanspruchen; andererseits muß es — um die Ressourcenbasis zu schonen — Mechanismen entwickeln, mit deren Hilfe diese Forderungen auf ein erfüllbares Maß herabgeschraubt werden können, ohne dabei den Mechanismus des Rückhalt-Entzugs auszulösen.

Die Aufgabe scheint der Quadratur des Kreises zu ähneln: Das PAS muß widersprüchliche Imperiative balancieren, es steht vor dem Problem, „das ökonomische System politisch zu steuern, ohne es material zu politisieren, d. h. in seiner Identität als kapitalistisches, auf privater Produktion und Aneignung beruhendes, zu negieren", und gleichzeitig das gesellschaftliche Konfliktniveau so niedrig zu halten, daß die „Massenloyalität" nicht gefährdet wird.

Die Chancen des PAS, hier auch in Zukunft einen „relativ problemlosen Entwicklungspfad" einzuhalten, beurteilte Offe vor sechs Jahren eher skeptisch; er formulierte die Hypothese, daß die drei entscheidenden Steuerungsressourcen, über die der Staat verfügt, einem „Prozeß der kumulativen Selbstblockierung" unterliegen könnten. Im einzelnen pro-

gnostizierte er mittel-bis. langfristig — eine Verknappung fiskalischer Steuerungsmittel, zu der es u. a. auch deshalb kommen werde, weil eine über die öffentlichen Haushalte organisierte ökonomische Stabilisierungspolitik „einen Struktureffekt hat, der immer weitergehende Folgeansprüche erzeugt"; — eine Minderung administrativer Rationalität, d. h. eine abnehmende Fähigkeit des Staates, sich selbst und seine Politiken nach vernünftigen Kriterien zu organisieren: „mit der sachlichen, zeitlichen und sozialen Ausdehnung dessen, was zur Materie von administrativem Handeln wird, (muß) eine interne Irrationalisierung der organisatorischen Struktur der Verwaltung einhergehen"; — eine Erosion der Massenloyalität, weil integrative Normen und Symbole mehr und mehr an Wirksamkeit verlören. Als Stichworte wurden in diesem Zusammenhang u. a. ein gesteigertes Anspruchsniveau, die Auflösung vorindustrieller, primärgruppenbezogener Normen, Anomietendenzen kapitalistischer Gesellschaften sowie wachsende Inkonsistenzen im Normensystem („das Nebeneinander von protestantischer Ethik und Hedonismus, Individualismus und solidarischen Normen . . .") genannt. Zusammengenommen signalisierten diese drei Entwicklungslinien einen überaus prekären Trend, der nicht nur Offe dazu verleitet hat, das Steuerungsdilemma des Staates (zu-nächst) zu überschätzen. Ganz allgemein standen im linken Lager zu Beginn der siebziger Jahre Szenarios hoch im Kurs, die — gleichsam als modernisierte Varianten des al-ten, Marx zugeschriebenen Zusammenbruchstheorems — den hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften sich verschärfende politische Krisen prophezeiten.

Modifikationen

Abbildung 3

Mitbedingt durch das Ausbleiben einer derartigen Legitimationskrise des PAS während der Wirtschaftskrise 1974/75, hat inzwischen — nicht zuletzt von Offe selbst stimuliert — ein Prozeß des Umdenkens eingesetzt; die Theoriebildung ist differenzierter geworden und interessiert sich zunehmend für jene Mechanismen, mit denen der kapitalistische Staat sich so erfolgreich im Krisenmanagement behauptet

In diesem Kontext geben insbesondere folgende Einsichten Anlaß zu punktueller Revision bzw. Erweiterung des Offeschen Analyserasters:

1. Die Interessen der Bevölkerungsmehrheit sind, wie Scharpf überzeugend ausführt, unauflösbar mit den Interessen der Wirtschaft „verfilzt" — „und zwar in der Realität und nicht nur im falschen Bewußtsein" weil niemand gerne den Ast absägt, auf dem er sitzt, können wir unterstellen, daß das legitimatorische System zumindest bedingt zu einer Art „Selbstzensur" seiner an das PAS gerichteten Forderungen befähigt ist, soweit diese die Leistungsfähigkeit des PAS (bzw.des ökonomischen Systems) übersteigen Wir ergänzen damit unser Schema (Modifikation 1: Pfeil „Selbstzensur") und bringen so die oftmalige „freiwillige" Unterordnung soziokultureller Interessen unter die Imperative der Ökonomie zum Ausdruck.

Die Interessenverflechtung zwischen Bevölkerung und Wirtschaft läßt auch deutlich werden, daß — so sinnvoll im übrigen zu analytischen Zwecken die Differenzierung von ökonomischem und soziokulturellem System sein mag — der Frontverlauf konkreter Interessenkonflikte selten entlang der Systemgrenzen verläuft, sondern typischerweise alle drei Systeme „durchschneidet". In der Auseinandersetzung um eine Reduzierung der Luftverschmutzung stehen sich z. B. eben nicht allein Industrie als Problemerzeuger und Bürger als Problembetroffene gegenüber, sondern eher Autoindustrie und Autofahrer auf der einen sowie Straßenanlieger und Umweltschutzindustrie auf der anderen Seite Im Schema wollen wir dies durch die gestrichelte Diagonallinie (Modifikation 2: Interessen-Allianzen) kennzeichnen. 2. Der Interventionskorridor des PAS ist nur gegenüber dem ökonomischen System durch relativ klar definierte Schranken minimal erforderlicher bzw. maximal zulässiger Intervention abgegrenzt. Unterbzw. überschreitet das PAS diese Schranken, so höhlt es damit nicht nur seine eigene Ressourcenbasis aus, die ja über den Mechanismus der Gewinnbesteuerung an die Profitabilität privater Kapitalverwertung zurückgebunden ist vielmehr zwingt das PAS, sofern seine Interventionspraxis die Kapitalverwertungsbedingungen im Land relativ zu den Verwertungsbedingungen anderswo verschlechtert, die Investoren — um der Erhaltung ihres Kapitals willen — von ihrem „negativen Eigentumsrecht" Gebrauch zu machen, d. h. die Akkumulation zu reduzieren, zu desinvestieren, ihre „ExitOption" zu realisieren und auf andere, profitablere Verwertungschancen auszuweichen Die Verhandlungsmacht, mit der das ökonomische System bei wichtigen politischen Entscheidungen aufwarten kann, ist so-mit nicht primär auf hohen Organisationsgrad, einen gut funktionierenden Apparat oder die erfolgreiche Überbrückung systeminterner Interessengegensätze durch Ideologie zurückzuführen, sondern schlichtweg auf das „Drohpotential" der Exit-Option.

Sehr viel weicher definiert ist der Interventionskorridor des PAS gegenüber dem legiti-matorischen System Die obere Schranke maximal zulässiger Intervention mag noch bestimmt sein durch den Ressourcenrahmen, den der Staat für sozialstaatliche Leistungen und „Projekte unproduktiver Wohltätigkeit" bereitstellen kann, ohne die bereits beschriebenen ökonomischen Destabilisierungsprozesse auszulösen. Dieser Ressour-cenrahmen ist insoweit dehnbar, als es dem ökonomischen System gelingen kann, die unproduktiven Effekte sekundärer Einkommensverteilung durch Mechanismen „tertiärer Verteilung" aufzufangen Die untere Schranke notwendiger sozialstaatlicher Leistungsgewährung ist dagegen allein fixierbar mit Hilfe von Kategorien wie „Hinnahmebereitschaft" bzw. „Erwartungsniveau" der Bürger, von Variablen also, die in hohem Maße elastisch und beeinflußbar sind und die situationsabhängig und schichtspezifisch entlang einem Kontinuum variieren, dessen Extrempunkte „Schlaraffenland-Erwartungen" einerseits und „Null-Aspiration" andererseits bil-den. Die Elastizität des Erwartungsniveaus erlaubt es dem Staat zwar nicht, das Niveau sozialstaatlich garantierter Leistungen belie-big festzusetzen, läßt aber doch einen beträchtlichen Ermessensspielraum Die staatliche Gewährleistung von Lebensqualität läßt sich beugen — im Gegensatz zum unabdingbaren Imperativ staatlicher Gewährleistung von Kapitalverwertungsbedingungen. Wir bringen das zum Ausdruck, indem wir den Pfeil, der die Bereitstellung sozialstaatlicher Leistungen markiert, stricheln (Modifikation 3: Ermessensspielraum des PAS bei sozialstaatlichen Leistungen). 3. Ein weiterer Faktor, der für das PAS entlastend wirkt, kommt hinzu: Auch die Sanktionsmechanismen, mit denen das soziokulturelle System Druck auf das PAS ausüben kann, sind nur unter höherem „Kostenaufwand" mobilisierbar als die des ökonomischen Systems: — Während das PAS automatisch seine eigene Ressourcenbasis untergräbt, wenn seine Interventionspraxis zu einer Verschlechterung der Kapitalverwertungsbedingungen führt, wird bei einer Verminderung des sozialstaatlichen Leistungsangebots kein vergleichbarer „eingebauter Stabilisator" wirksam. Ob und inwieweit Leistungskürzungen in Legitimationsdruck umschlagen, scheint vielmehr von einer Vielzahl „intervenierender Variabler" abhängig zu sein. — Während die Exit-Option, also das „Vo-ting by feet" bei verschlechterten Verwertungsbedingungen für die Aktoren des ökonomischen Systems zusehends attraktiver wird, weil die Kosten für Standortverlagerungen bzw. -diversifizierung (infolge technologischen Fortschritts, insbesondere im Kommunikationsbereich) sinken verfügt das legi-timatorische System auch hier über kein Äquivalent. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein mag die Exit-Option für unzufriedene Bürger real existiert haben (wenn sie auch selten als Druckmittel gegen die Staatsmacht einsetzbar war); heute hingegen ist sie zumindest in hochentwickelten Gesellschaften für den einzelnen Bürger kaum noch verfügbar — Anders als für das ökonomische System, das sich der „Voice-Option" allenfalls flankierend zu bedienen braucht, ist dieses vergleichsweise aufwendige Mittel das einzige, mit dem Aktoren des legitimatorischen Systems ihren Wünschen Nachdruck verleihen können. Hier hat uns zu interessieren, weshalb auch die Voice-Option nur beschränkt wirksam wird, jedenfalls nicht die Legitimationskrise herbeizuführen scheint, aus der sich eine revolutionäre Situation entwik-keln könnte, sondern allenfalls viele kleine, separat „verarbeitbare" Krisenherde entstehen läßt.

Damit sind zwei Fragen aufgeworfen: zum einen die nach den „Mechanismen außerhalb des Staatsapparates, (die) gesellschaftliche Konflikte derart zurichten, daß die partialisierten staatlichen Mechanismen der Beschaffung von Massenloyalität greifen können"

Zum anderen die Frage nach den Instrumenten, die das PAS selbst zur Legitimationssicherung strategisch und taktisch einsetzen kann.

a) Mechanismen außerhalb des PAS:

aa) Ein fundamentales Merkmal spätkapitalistischer Gesellschaften ist deren Komplexitätszunahme infolge fortschreitender ökonomischer Difierenzierung und sozialer Stratifizierung.

Der ökonomische Differenzierungsprozeß hat zum einen dazu geführt, daß Krisen weniger in Form gesamtwirtschaftlicher Konjunktureinbrüche, sondern vielmehr als sektorale Strukturkrisen auftreten, mit der Konsequenz, daß Unternehmen ebenso wie die Bevölkerung höchst unterschiedlich von krisenhaften Entwicklungen betroffen werden — ein Umstand, der das politische Destabilisierungspotential ökonomischer Krisen entschärfen dürfte, nicht zuletzt deshalb, weil die prosperierenden Wirtschaftszweige jene fiskalische Ressourcenabschöpfung ermöglichen, die erforderlich ist, wenn das „soziale Fangnetz" für Krisenbetroffene nicht reißen soll.

Zum anderen hat der Prozeß sozialer Stratifizierung zur „Stillegung" der Klassengegensätze geführt; wo früher in der Tat eine gemeinsame Interessenbasis der Arbeitnehmerschaft angenommen werden konnte, gilt heute, daß es das „Proletariat, ... so mit bestimmtem Artikel, gar nicht mehr gibt" Hier wird eine Annäherung an die Positionen bürgerlicher soziologischer Schichtungstheorie erkennbar, die zumindest bezüglich des Ausbleibens der Legitimationskrise erheblich bessere Erklärungsmuster anzubieten hat als marxistische Klassenkonflikttheorien. Denn wenn die „Massenmobilisierung" nicht stattfindet, sondern allerorten allenfalls „Einpunkt" -Bewegungen entstehen, deren Effekte nicht nur begrenzt sind, sondern sich womöglich auch noch wechselseitig neutralisieren, so ist das nicht zuletzt ein Resultat eines Prozesses sozialer (und räumlicher „Interessenparzellierung", wie er sich typischerweise in ausdifferenzierten, hochkomplexen Gesellschaftsformationen ergibt.

Für unser revidiertes System/Umwelt-Schema bedeutet das, daß wir auch den Pfeil, der Massenloyalität bzw. Legitimationsdruck des soziokulturellen Systems signalisiert, stricheln müssen (Modifikation 4: Nur bedingt problematische Massenloyalität). Damit soll freilich nicht gesagt werden, daß Legitimationsdruck vollkommen unproblematisch für das PAS wäre, sondern nur, daß er in verarbeitbaren „Portionen" auf das PAS einwirkt und im allgemeinen weniger imperativen Charakter hat als gegengerichteter Druck des ökonomischen Systems. bb) Unterbelichtet ist ferner in Offes Krisentheorie die Rolle der Medien geblieben. Sie ist insoweit ambivalent, als Massenmedien ihrer Funktion nach Verstärker, ihrer Struktur zufolge jedoch eher Filter für legitimationskritische, an das PAS gerichtete Forderungen sind.

Ihr Verstärker-Potential erwächst den Medien aus ihrer Multiplikatorfunktion. Ohne Medien-Resonanz hätten der weltweite Studentenprotest der sechziger Jahre, aber auch der Marsch der Frauenrechtlerinnen auf Washington oder die Frankfurter Anti-Schah-Demonstration im Jahre 1978 keine Wirkungen zeitigen können. Ja, sie wären vermutlich als Ereignisse nicht einmal möglich gewesen.

Was indes wann und wie multipliziert bzw. ausgefiltert wird, liegt nicht zuletzt in der Medienstruktur begründet. Trotz verfassungsrechtlich garantierter Pressefreiheit entstehen durch die Einbindung der Medien ins marktwirtschaftliche System und die Internalisierung der dort gültigen Erfolgskriterien, durch Redaktionshierarchien, LoyalitätsVerpflichtungen ranghoher journalistischer „Würdenträger" und durch ungeschriebene Regeln journalistischer Problemperzeption und -Berichterstattung vielfältige und facettenreiche Filterwirkungen, die die Vermutung eines „durch Passivität der öffentlichen Meinung definierten Handlungsspielraums" für das PAS begründet erscheinen lassen wie er von den Verfechtern der Legitimationskrise nicht berücksichtigt worden ist.

Im Schema ist mithin zum Ausdruck zu bringen, daß die Transmission von Forderungen des legitimatorischen Systems an das PAS durch die Selektivitätsregeln der Medienindustrie partiell blockiert wird (Modifikation 5: Medienfilter). b) Mechanismen innerhalb des PAS:

Darüber hinaus verfügt das PAS selbst über eine Reihe von Mechanismen, um Legitimationsdruck abzupuffern, was Paul Noack jüngst in der Formel vom „immer stärker werdende(n) revolutionsverhindernde(n) Potential" des Staates eingefangen hat. Die bürokratischen Instanzen des PAS administrieren die Konfliktzonen; an ihnen führt, wenn Problemlösungen angestrebt werden, kein Weg vor-bei Legitimatorischer Druck wird dabei wie folgt reduziert:

aa) Die Trennung von Staat und Regierung und die Rückbindung der Regierung an das Wählermandat bewirken, daß im Falle einer manifesten Legitimationskrise das PAS nicht als ganzes, sondern lediglich die Regierung in ihrem Fortbestand gefährdet ist

bb) Das Prinzip parlamentarischer Repräsentation macht die Ausübung der Regierungsgeschäfte von der jeweils aktuellen Zustimmung der Wählermehrheit entbehrlich und verweist die Bevölkerung auf den Status von „Passivbürgern mit Recht auf Akklamationsverweigerung"

cc) Die horizontale und vertikale Fragmentierung des PAS ermöglicht es, konfliktträchtige Materien voneinander abzusondern und aus dem unmittelbaren Verantwortungsbereich der Regierung auszugliedern also auf untergeordnete, übergeordnete oder gleichrangig-eigenständige Organisationseinheiten abzuwälzen. Das PAS ist vorstellbar als ein gigantischer Verschiebebahnhof für gesellschaftspolitische Probleme in der der einzelne, der sich auf die Gleisanlagen begibt, leicht die Orientierung verliert. Das Verwirrspiel, das die Bürokratie mit Karl Valentins Buchbinder Wanninger oder auch mit Franz Kafkas Herrn K. betreibt, ist also nicht unbedingt „sinnlos", sondern erfüllt womöglich eine latente Funktion: Struktur und Procedere der Bürokratie zersplittern nicht nur Probleme in handhabbare Teilprobleme, sondern verhindern auch deren konflikthaft-politische Ballung

dd) Neben solchen „verfassungsstrukturellen Isolatoren", die zwar nicht Konsens herzustellen vermögen, „die Staatsgewalt aber ge-gen die Folgeprobleme von Dissens" sichern haben politische Aktoren selbst vielfältige Techniken des Lavierens entwikkelt, um Konflikte aufzufangen. Dazu gehören „gezielte Informationen, exkulpierende Argumente, Dementis, Vertröstungen, flexibles Zurückweichen gegenüber Forderungen (Verweis auf den Dienstweg), aber auch gezielte Exchange-Verhältnisse (Schadensausgleich)"

ee) Derartige Abwiegelungsmanöver reichen als Ersatzhandlungen für eine Problemlösung freilich nicht immer aus. Dort, wo sie nicht mehr greifen, wo sich Parteipräferenzen zu ändern drohen, wo die Loyalität und die Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung abnimmt und womöglich unkontrollierte Eigeninitiativen (Anwachsen nichtintegrierter „vierter" Parteien, Kontributionsverweigerungen, politische Streiks, gewaltloser Wider-stand und Protestbewegungen, gewaltsame Ausschreitungen etc.) entstehen ist das Arsenal der Problemverarbeitungsmittel des PAS noch nicht erschöpft; das PAS muß dann jedoch aufwendigere Mittel einsetzen, wenn die Umweltentwicklung nicht außer Kontrolle geraten soll. Prinzipiell drei Möglichkeiten bieten sich an: symbolische Gratifikation, Reform und Repression. Symbolische Gratifikationen sind nichts weiter als „problemversüßendes Zuckerbrot", Gesten, die seitens des PAS mehr Aufwand erfordern als bloße Hinhaltetaktiken, aber doch an bestehenden Mißständen nichts ändern (z. B. wenn Beteiligungsangebote belanglos bleiben, wenn Aktivitäten nur vorgetäuscht werden oder wenn mit „Schauobjekten" Problemlösungen suggeriert und die tatsächlichen Problemdimensionen kaschiert werden). Repression steht für den Einsatz staatlicher Gewaltmittel — die Knute, mit der notfalls (freilich: nicht immer) Ansprüche unterdrückt werden können. Und Reform bezeichnet — trotz der Entwertung des Begriffs, den seine zeitweise inflationäre Verwendung mit sich gebracht hat — noch immer die freilich mühselige, vielfachen Restriktionen unterworfene Option, gesellschaftspolitische Veränderungen zugunsten benachteiligter Gruppen schrittweise durchzusetzen. Mag sein, daß Probleme damit nicht endgültig „gelöst" werden können; sie lassen sich jedoch auf diese Weise allemal soweit entschärfen, daß sie nicht mehr legitimationskritisch sind. Häufig kommen, zeitlich abgestuft, alle drei Mittel zum Einsatz; die Problemverarbeitung erfolgt dann möglicherweise im Rahmen einer Reformkonjunktur: infolge unabweisbarer Krisensymptome gelangt ein Thema auf die Tagesordnung der Politik; Legitimationsdruck wird mit symbolischen Gratifikationen und „echten" Reformansätzen abgefangen, bis schließlich eine „Gegenmobilisierung" einsetzt und der Reformversuch wieder zurückgestutzt wird; Widerstand, der sich dann noch regt, läßt sich risikoloser repressiv beantworten als in der turbulenten „Aufschwungphase" eines solchen Zyklus. Im Grunde ist eine Reformkonjunktur so etwas wie die „domestizierte" Spielart der Legitimationskrise, in der Legitimationsprobleme nur sachlich, zeitlich, sozial und/oder regional begrenzt auftreten, also, anstelle den Gesamtbestand des PAS zu gefährden, nur noch temporär für vorgelagerte „problemnahe" Teilbereiche des PAS bedrohlich werden

Fassen wir zusammen: Das PAS verfügt über eine hohe Eigenkomplexität. Was sie bewirkt, hat Offe zwar bereits 1973 auf den Be-griff gebracht, als er feststellte, daß die „organisatorische Disjunktion" des PAS es wo-möglich erlaube, „die Probleme, die auf der rechten Seite des Schemas repräsentiert sind, gegen jene der linken Seite relativ zu isolieren" Es darf jedoch unterstellt werden, daß er die Leistungsfähigkeit hoher Eigen-komplexität als Sicherung gegen Legitimationskrisen, in seinem ursprünglichen Modell zu niedrig veranschlagt hat. Wir wollen dies durch Schraffur des PAS in unserem Schema veranschaulichen (Modifikation 6: Eigenkomplexität des PAS).

Schlußfolgerung

Abbildung 4

6 Die PAS-Konzeptualisierung von Offe hat sich in den vergangenen Jahren als fruchtbarer Diskussionsanstoß erwiesen. Ihren heuristischen Wert wird sie auch fürderhin behalten. Von Anbeginn spekulativ und analytisch nicht hinreichend fundiert war indes die Prognose einer manifesten Legitimationskrise, die Offe aus seinem Modell abgeleitet hat: sie ließ zum einen eine ganze Reihe von Steuerungsmedien außerhalb und innerhalb des PAS unberücksichtigt, die krisenvermeidend wirken und Legitimationsprobleme entschärfen; zum anderen baute sie auf die — m. E. falsche — Einschätzung, daß wachsende Irrationalismen im ökonomischen bzw. im politisch-administrativen System notwendig auch zu einer gesteigerten Bestandsgefährdung dieser Systeme führen

Was indes verwundern mag, ist, daß sich Offes PAS-Konzeptualisierung mit geringfügigen Modifikationen und Erweiterungen, die wir aus der jüngsten politikwissenschaftlichen Diskussion herzuleiten suchten, auch dazu eignet, schlüssig aufzuzeigen, warum es in hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaftsformationen gerade nicht zur politischen Krise kommen muß. „Minivokabular"

Exit-Option — die Möglichkeit, als unzumutbar empfundenen Verhältnissen durch Abwanderung auszuweichen; also: ein Kunde sucht sich einen neuen Lieferanten, ein Organisationsmitglied kündigt, ein Stadtbewohner zieht ins Umland, ein Unternehmer erschließt neue Märkte und verlagert seine Produktion ins Ausland — jeweils anstelle Unzufriendenheit zu artikulieren Fragmentierung — Zersplitterung — horizontale Fragmentierung Zersplitterung des politisch-administrativen Systems in mehrere Ebenen des PAS (Zentralstaat, Gliedstaaten, Kommunalbereich) auf der Grundlage föderalistischer Prinzipien — vertikale Fragmentierung Zergliederung des politisch-administrativen Systems nach funktionalen Gesichtspunkten des PAS in Legislative, Exekutive und Judikative (Prinzip der Gewaltenteilung); Aufsplitterung dieser drei „Säulen" in Fauchausschüssen, Fachressorts bzw. spezialisierte Stränge der Gerichtsbarkeit mit jeweils gegeneinander abgegrenzten Kompentenzbereichen Interventionskorridor — Bereich, innerhalb dessen lenkende Eingriffe des Staates möglich bzw. notwendig PAS sind Organisatorische — Trennung/Abschottung verschiedener Bereiche voneinander mit Hilfe organisatorischer Mittet Peer groups — gesellschaftliche Bezugsgruppen, meistens aus der gleichen bzw.der benachbarten sozialen Schicht Stratifizierung — Auffächerung, Schichtung Voice-Option — die Möglichkeit, gegen als unzumutbar empfundene Verhältnisse zu protestieren und Unzufriedenheit zu artikulieren; also; ein Kunde reklamiert beim Lieferanten, ein Organisationsmitglied beschwert sich beim Chef, ein Stadtbewohner schließt sich einer Bürgerinitiative an, ein Unternehmer fordert von der Regierung ein besseres Investitionsklima — jeweils anstelle abzuwandern Voting by feet — Abstimmung „mit den Füßen", also durch Abwanderung

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die weitere Darstellung folgt zunächst in Grundzügen Claus Offe, Krisen des Krisenm’ana-gements -— Elemente einer politischen Krisentheorie, in: M. Jaenicke (Hrsg.), Herrschaft und Krise, Opladen 1973, S. 197 ff.

  2. Werner Hofmann, Ideengeschichte der sozialen Bewegung, Berlin 1968, S. 143, erinnert daran, daß Marx selbst „keine Theorie eines mechanischen ökonomischen Zusammenbruchs" formuliert habe; diese sei vielmehr erst von seinen Kritikern „in das Marxsche System hineingedeutet und sodann . widerlegt'worden".

  3. Daß die Theoriebildung hier von (linkem) Wunschdenken bestimmt war, hat nicht nur Wilhelm Hennis, Legitimität — Zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, in: P. Graf Kielmannsegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme, Opladen 1976, S. 9 ff., hervorgehoben, sondern wird auch von empirischen Untersuchungen eindrucksvoll gestützt; vgl. etwa Ronald Inglehart, The Silent Revolution, Changing Values and Political Styles Among Western Publics, Princeton 1977, S. 462 ff., der politische Unzufriedenheit in westlichen Industrienationen komparativ untersucht und für die Bundesrepublik einen Abbau politischer Unzufriedenheit während der Krisenjahre 1974/75 feststellt; in diesem Kontext ebenfalls interessant Befragungsergebnisse von Lee Rainwater, What Money Buys, Inequality and the Social Meanings of Income, New York 1974, S. 167 ff., zum Problem der Ungleichheit in westlichen Industriegesellschaften, die belegen, daß gerade im amerikanischen Untenschichtmilieu Ungleichheit durchaus als „gerecht" und Unterprivilegierung als selbstverschuldet empfunden wird, also nicht notwendig in legitimationskritische Unzufriedenheit münden muß.

  4. Vgl. Fritz W. Scharpf, Politischer Immobilismus und ökonomische Krise, Kronberg 1977, S. 2; Claus Koch/Wolf Dieter Narr, Krise — oder das falsche Prinzip Hoffnung, in: Leviathan 3/1976, S. 291 ff.; Claus Offe, Berufsbildungsreform, Frankfurt 1975.

  5. Scharpf 1977, S. 37 ff.; vgl. auch Walter Siebel, Entwicklungstendenzen Kommunaler Planung, Schriftenreihe Städtebauliche Forschung, Bonn-Bad Godesberg 1974, S. 11; ferner Roger Friedland et al., Political Conflict, Urban Structure, and the Fiscal Crists, in: D. E. Ashford (Hrsg.), Comparing Public Policies, Beverly Hills 1978 S. 211, Fn. 3: „Much of the time; perhaps most of the time, a stable and prosperous economy is also a precondition of the legitimacy of the state, for the breakdown of the accumulation process leads to the loss of jobs, declining real income, and the series of dislocations which give rise to political discontent. We are not„prepared, therefore, to argue the inherent and continous contradiction between accumulation and legitimation functions, but ‘argue only that these functions become antagonistic at specific historical junctures."

  6. „... voters in local elections, threatened by the loss of jobs that Capital flight entails, offen Support business subsidies or tax favors and spurn proposals to increase business taxes or business costs. Sevenal state referenda increasing the Utility charges of large enterprises but reducing the charges paid by individual households were voted down in the 1976 election in the United States."

  7. Die gängige Einschätzung, wonach „ökonomische und soziokulturelle Interessen . .. nur in Ausnahmefällen gleichförmig verlaufen werden" (so Joachim Jens Hesse, Gemeinschaftsaufgaben, in: F. W. Scharpf u. a. (Hrsg.), Politikverflechtung II, Frankfurt 1977, S. 10) teilen wir also nicht.

  8. Wolf Dieter Narr u. a., SPD — Staatspartei oder Reformpartei?, München 1976, S. 160; vgl. hierzu die klassische Formulierung bei Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 19725, S. 210: „Jede Art von Belastung des Besitzes ... ist überall, auch wo die Besitzlosen den Einfluß in Händen haben, an gewisse Schranken gebunden, wenn den Besitzenden das Ausscheiden aus der Gemeinschaft möglich ist... Der . bewegliche' Besitz hat daher ... für weitgehende Verschonung mit ... abgabemäßiger Belastung überall da eine weitgehende Chance, wo eine Vielzahl von Gemeinschaften, zwischen denen er für seine Ansiedlung die Wahl hat, miteinander konkurrieren."

  9. Offe 1975, S. 208.

  10. Zu Begriffserklärungen siehe „Minivokabular" auf S. 38.

  11. Die strategische Konsequenz, die sich daraus für den Staat ergibt, wurde geradezu klassisch von dem Sozialdemokraten Richard Calwer im Jahre 1907 formuliert: „Wir müssen unserem Kapitalismus die nämliche Bewegungsfreiheit zu seiner weiteren Entfaltung zubilligen, wie sie der Kapitalismus des Auslandes hat ..." (zit. n. Hofmann 1968, S. 179 f.).

  12. Bernhard Blanke u. a., Zur neueren marxistischen Diskussion über die Analyse von Form und Funktion des bürgerlichen Staates, in; W. D. Narr (Hrsg.), Politik und Ökonomie: Autonome Handlungsmöglichkeiten des PAS, PVS-Sonderheft 6/1975, S. 45, sprechen in diesem Kontext von einer „Asymmetrie der Tätigkeitsgrenzen" des Staates, die sich in bezug auf Kapital und Arbeit ergebe.

  13. Offe 1975, S. 208; es bedarf wohl kaum noch des Hinweises, daß durchaus nicht alle sozialstaatlichen Leistungen „unproduktiv" sind; vielmehr tragen Sozialleistungen in aller Regel mittelbar produktiven Zwecken Rechnung (Nachfragebelebung, Reproduktion der Arbeitskraft etc.).

  14. Als primär bezeichnet die Nationalökonomie bekanntlich jene Einkommensverteilung, die vor Steuerabzug bzw. Transfergewährung zustande kommt; als sekundäre Einkommensverteilung gilt dann die Situation nach erfolgter staatlicher Redistribution; als tertiäre Einkommensverteilung wollen wir das Ergebnis von Marktreaktionen bezeichnen, durch die die Effekte sekundärer Verteilung — zumindest partiell — wieder rückgängig gemacht werden, also z. B. Mietpreiserhöhungen, die den Effekt einer Wohngelderhöhung aufheben.

  15. Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt 1972, S. 126.

  16. Erwartungen, so wissen wir aus der soziologischen Forschung, sind u. a. an der Vergangenheit und Gegenwart orientiert (damit also am tatsächlich realisierten Interventionsniveau). Ferner sind Erwartungen häufig eher am „Peer groups" als an in Geldeinheiten ausdrückbaren absoluten „Levels" ausgerichtet, d. h. die bestehende soziale Symmetrie wird zum Bezugspunkt von Erwartungen (vgl. Murray Edelman, The Symbolic Use of Politics, Urbana/Ill. 1967, S. 33 f.).

  17. Vgl. Friedland et al. 1978, S. 205.

  18. Einwandererländer wie Australien, Kanada und vor allem die USA verdanken bekanntlich ihr rasches Bevölkerungswachstum der verbreiteten Unzufriedenheit der Bevölkerung im spätfeudalen bzw.frühkapitalistischen Europa mit den hiesigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen. Seitdem diese Grenzen jedoch zunehmend dicht geworden sind und sich Lebensbedingungen diesseits und jenseits des Atlantiks angleichen, spielen solche Wanderungsbewegungen allenfalls innerhalb der EG (ausländische Arbeitnehmer) bzw. auf kommunaler Ebene (Flucht in die Vororte; Stadt-Umland-Problem) eine Rolle. Die Stabilität des PAS bedrohen sie jedenfalls nicht ernst-haft, wenngleich sie für die Kommunalpolitik in Kernstädten durchaus problematisch sein können.

  19. Vgl. Hirschman (1970, S. 33 f.), der klar herausarbeitet, daß die Voice-Option in der Regel erst dann an Bedeutung gewinnt, wenn die Exit-Option nicht verfügbar ist.

  20. Bodo Zeuner, Verbandsforschung und Pluralismus-Theorie, in: Leviathan 2/1976, S. 175.

  21. Ebenda.

  22. Koch/Narr 1976, S. 326.

  23. „Man erinnere allein sich daran, wie wichtig für die entstehende Arbeiterbewegung die Gleichörtlichkeit von Arbeiten und Wohnen gewesen ist." (Koch/Narr 1976, S. 317).

  24. „The occasions when protest is possible among the poor, the forms that it must take, and the im-pact it can have are all delimited by the social structure in ways which usually diminish its extent and diminish its force." (Francis Piven/R. A. Cloward, Poor Peoples'Movements, New York 1977, S. 3)

  25. Fritz W. Scharpf, Die politische Durchsetzbarkeit innerer Reformen, Göttingen 1974, S. 24.

  26. Paul Noack, Wie Revolutionen manipuliert werden, in: Süddeutsche Zeitung v. 16. /17. 9. 1978.

  27. Walter Euchner, Zur Dialektik von Mobilisierungsstrategien in gesellschaftsverändernder Absicht, in: W. D. Narr (Hrsg.), Politik und Ökonomie: Autonome Handlungsmöglichkeiten des PAS, PVS-Sonderheft 6/1975, S. 327.

  28. Offe 1975, S. 288; vgl. auch Schatz 1975, S. 316.

  29. Offe 1975, S. 288.

  30. Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt 1973, S. 55.

  31. Offe 1973, S. 213; Friedland et al. 1978, S. 199.

  32. Offe 1975, S. 288.

  33. Vgl. auch Narr u. a. 1976, S. 187 f.

  34. Koch/Narr 1976, S. 317.

  35. Offe 1975, S. 289.

  36. Dietrich Fürst, Kommunale Entscheidungsprozesse, Baden-Baden 1975, S. 276; vgl. auch David Easton, A Systems Analysis of Political Life, New York u. a. 1965, S. 225.

  37. Vgl. die Auflistungen bei Fürst 1975, S. 276; Scharpf 1977 S. 4.

  38. Bedingungen, Verlaufsmuster und Folgepro bleme solcher Reformzyklen untersucht der Verfasser derzeit im Rahmen eines Forschungsprojek tes; zur Einführung: Downs 1972; Luhmann 1971.

  39. Offe 1973, S. 213.

  40. Richtig (und zugleich trivial) wird diese Einschätzung nur dann, wenn man sich auf ein systemtheoretisches Rationalitätskalkül einläßt, danach wäre „ein System rational ... in dem Maße, als es seine Probleme bestandssicher formulieren und lösen kann" (vgl. Niklas Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaften, Köln—Berlin 1966, S. 92).

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Stephan Ruß-Mohl, Dipl. -Verwaltungswissenschaftler, geb. 1950; Studium der Politik-und Verwaltungswissenschaften in München, Konstanz und Princeton/USA; wiss. Assistent am Gesamthochschulbereich Dortmund (Fach: Journalistik); freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften.