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„Innere Pressefreiheit" in den Händen der Juristen. Rückblick auf die Gutachtenszene | APuZ 49/1975 | bpb.de

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APuZ 49/1975 Medienpolitik zwischen Theorie und Praxis Plädoyer für ein Gesetz Warum ein Presserechtsrahmengesetz? Die Meinung der Opposition Am Grundgesetz vorbei Rechtliche Schranken einer gesetzlichen Regelung der „Inneren Pressefreiheit" „Innere Pressefreiheit" in den Händen der Juristen. Rückblick auf die Gutachtenszene Tendenzschutz in gewerkschaftlicher Sicht Publizistische Mitbestimmung durch Redaktionsvertretungen Die Rolle von Wissenschaftlern im Streit um Medienpolitik. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes Der Fall Hannover Ein Redaktionsstatut -hat es sich bewährt? Götter oder Knechte? Zum SelbstVerständnis der Journalisten

„Innere Pressefreiheit" in den Händen der Juristen. Rückblick auf die Gutachtenszene

Hansvolker Ziegler

/ 9 Minuten zu lesen

Verzicht auf Tendenzschutz nicht erzwingbar Streiks mit dem Ziel, einen tariflichen Verzicht der Verleger auf den gesetzlichen Tendenzschutz zu erzwingen, sind — wie Rüthers weiter nachweist — unter allen denkbaren Gesichtspunkten rechtswidrig, weil die Zielsetzung gegen geltendes Arbeitskampfrecht verstößt. Nach geltendem Arbeitskampfrecht sind nämlich nur solche Arbeitskämpfe rechtlich zulässig, mit denen tariflich regelbare Ziele verfolgt werden. Somit seien Streiks um eine Weiterung der Mitbestimmung in Presseunternehmen ebenso unzulässig wie Arbeitskämpfe, mit denen der Verzicht auf den Tendenzschutz erzwungen werden soll.

I.

In den letzten Jahren dürfte es keinen öffentlichen Streit gegeben haben, der so ausschließlich — allerdings recht einseitig — mittels juristischer Argumente geführt wurde wie der zur „inneren Pressefreiheit". Solange die Gefahr gesetzgeberischer Aktivität zu drohen schien und tabuschleudernde gelehrte Autoritäten folglich Einsatzwert im „Kriegstheater um die Interpretation des Grundgesetzes" (Zacher) besaßen, vernahm man die vereinfachten Verdikte zahlreicher Gutachten in Pressemitteilungen des BDZV oder bekam sie frei Haus. Bald wird nunmehr in stattlichen Buchreihen nahezu alles vereint sein, was die etablierte Verfassungsjurisprudenz zum Thema zu sagen hatte Damit scheint die Problematik in der nötigen wissenschaftlichen Dicke „bewältigt" zu sein.

Besonders derjenige, der zweifelt, ob die Zeit für abschließende Regelungen reif war und ist, wird bedauern, daß — wie es Auftragsarbeiten nun einmal mit sich bringen — eine zu frühe Polarisierung an falschen Fragen stattfand. Praxis und Wissenschaft hätten noch eine Zeit der kontroversen Suche und der Experimente nötig gehabt — eventuell mit Hilfe eines gesetzgeberischen Anstoßes —, damit soziale Erfahrung die wissenschaftliche Phantasie beflügelt, bevor geurteilt wird.

Die Entwicklung der Kommunikationsstrukturen war nämlich kein aufgearbeitetes Thema der etablierten Rechtswissenschaft, erst recht nicht die Wirkungsweise ihrer Infrastrukturen. Wie das Thema Mitbestimmung passen sie nicht in das Grundmuster juristischen Denkens von der Trennung in Staat und Gesellschaft. Auch die gewohnten Folgerungen aus der verfassungsgerichtlich eingesegneten Einteilung der Medien in den privat-rechtlichen und den öffentlich-rechtlichen Bereich waren offenbar den in den Blick geratenen Problemen der inneren Strukturen der Medien nicht adäquat. Wenn die Vielfalt der Kommunikationsträger für den Meinungsbildungsprozeß in der Demokratie schlechthin konstituierend ist, lag in der neuen Situation der Gedanke doch nahe, die Vielfalt nach innen zu verlagern, wenn der Markt keine Vielzahl mehr garantieren kann.

II.

Vielleicht kann wirklich nur die offenbare Ratlosigkeit angesichts dieser Medienent Wicklung eine Erklärung dafür bieten, warum plötzlich wieder Verfassungsinterpretationen von erschreckender Naivität und zugleich Brutalität die Szene betraten. Denn gewiß war auch den Interessen der Verleger allenfalls kurzfristig damit gedient, daß W. Weber, E. Forsthoff, H. Schneider, H. H. Klein u. a. neben den Justitiaren der Verlage eine so rigorose individualistische Identität von Pressefreiheit und Eigentümerfreiheit verfochten wie sie in folgenden Sätzen zum Ausdruck kommt: „Jeder gerate in den Schutz von so viel Pressefreiheit ... wie er sich nach seiner konkreten Lebenslage zunutze machen kann" oder: „Der Spielraum eigenständiger Entscheidung sei Sache ...des Vertrauens, das der Verleger dem Redakteur entgegenbringt" Sie leugnen die jahrzehntelange Diskussion um die soziale Problematik der Freiheitsrechte und der unausweichlichen Verantwortung des Leistungsstaates für die soziale ambiance, in der sich Freiheitsrechte entfalten — um dem Erstaunen nur mit den Worten eines gewiß konservativen Rechtslehrers Ausdruck zu geben

Ein solcher Ansatz wie der Webers kann nicht in sich konsistent bleiben: So weicht er der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts im Spiegelurteil aus, dem Staat könne auch die Pflicht zukommen, „Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen könnten" obwohl er die Position grundsätzlich bestreiten müßte, und unterstellt, das Gericht habe damit nicht die subjektiv-individuellen Positionen der Pressefreiheit der Verleger tangiert Wie Monopole anders als durch Beschneidung der Monopolisten oder staatlich geöffnete Konkurrenz, also Eingriff in den Markt, bekämpft werden können, bleibt Webers Geheimnis. Entgegen seiner Interpretation von Art. 5 Abs. 2 GG als absolutem Verbot pressespezifischen staatlichen Handelns nennt er selbst das alte Rechtsinstitut des verantwortlichen Redakteurs zutreffend eine Begrenzung der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers mittels öffentlich-rechtlicher In-pflichtnahme, also eine pressespezifische Beschränkung der Eigentümerfreiheit des Verlegers sogar gegenüber dem angestellten Journalisten

Letztlich bleibt ihm nur mehr eine polemische Kategorie in der Hand: „Ein mit Normierungen manipulierendes Zugreifen auf die Pressefreiheit" sei verfassungswidrig Angesichts der Gefährdung für den freiheitlich funktionierenden Kommunikationsprozeß aus Konzentration und Proporz wäre es aber die Aufgabe der Verfassungsrechtswissenschaft, vorausschauend nachvollziehbare Markierungen der Verfassung für Handlungspfade aufzuzeigen.

III.

P. Lerche, einer der sensibelsten und vielleicht deshalb in der Aussage vorsichtigen Staatsrechtler, setzt sich von den anhand W. Weber gezeigten Fehlschlüssen schon in der theoretischen Grundlegung deutlich ab Ihm geht es darum, die vielen Bedingtheiten und Wirkungen eines Eingriffs mit dem groben Instrument staatlicher Normierung in die „feinfühlige Materie" innerer Strukturen ins Blickfeld zu rücken, bevor am Profil des geschichtlich gewordenen und deshalb vom GG vorausgesetzten Grundtyps der Presse verändert wird. Letztlich ist diese zurückhaltende common sense-Einschätzung sowohl der Rolle der Verfassung als auch der Strukturentwicklung der Presse und der „Geeignetheit" bisheriger Gesetzesvorschläge der Leitfaden von Lerches „Eintreten für ausreichende Stabilität" die er als Essenz des Verfassungsrechts sieht. Tiefgehende Strukturveränderungen im Pressebereich würden allerdings auch für Lerche nicht ohne Wirkung auf die Interpretation der Pressefreiheit bleiben können Der Verfassungstext halte hierfür keine eindeutige Antwort parat

Wegen der Strukturveränderungen, die „schon die Gegenwart enthalten mag" umschließt Lerches Grundtyp freier Presse notwendig auch Gegensätzliches, dessen Vereinbarkeit allerdings beim Streit um die „innere Pressefreiheit" gerade umkämpft ist. Die Grundzüge jenes Typus sind: Die unternehmerische Komponente, der gewisse Mindestbereich von Eigenständigkeit, ohne den sinnvolles geistiges Schaffen, auch und gerade in der kooperativen Form, nicht möglich ist sowie pressespezifische Effizienzmaßstäbe

Die beiden letzteren Merkmale sind gegenüber dem mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers versehenen Unternehmer einschränkende Bedingungen. Wenn Lerche auch bei der Nennung der Effizienz mehr vom Selbstverwaltungstrauma der Universität her denkt, so ist es doch Gemeingut der Organisationswissenschaften, daß kollegiale Organisation und funktionale Autorität ein kreatives Klima und dessen typische Effizienz fördern und das soziale System Redaktion mit einem „Regime solidarischer Spezialisten" besser funktioniert als unter hierarchischer Unterordnung. Gerade wenn man Lerche darin folgt, daß die Verfassung die Einheit der potentiellen Gegensätze akzeptiert hat, ist dann nicht die Redaktionsstatutenbewegung ein untrügliches Anzeichen dafür, daß Strukturveränderungen diese Einheit zerbrochen haben und folglich neue Antworten erfragt sind? Ist nicht außerdem je nach Beurteilung der Lage ein legitimierter Eingriff zugunsten von Mindestgarantien immer zugleich ein Schritt hin zur Optimierung auf ein bestimm-tes Pressebild, so daß sich die Scheidelinie zwischen verfassungsgebotenem und verfassungswidrigem Eingriff verwischt?

Eigentlich wichtig an Lerches Beitrag scheint mir ein fast beiläufig mitgeteiltes Bündel erklärungsbedürftiger Fragen besonders jene Frage nach der „Geeignetheit" der Mittel, die grundsätzlicher formuliert lautet, ob es gelingen kann, innere Strukturen mit gesetzgeberischen Formen zu umhegen Ein ungeeignetes juristisches Instrument dürfte die Dreiteilung der „Kompetenzen“ zwischen Verlag und Redaktion sein, die auch in die bisherigen Gesetzesentwürfe eingegangen ist. Nicht die nach den allgemeinen Relativierungen etwas situationsbedingte Begründung Lerches, die ihn im öffentlichen Streit für die eine Richtung „verwertbar" gemacht hat, sondern die Zerlegung von Prozessen gemeinsamer geistiger Produktion in angeblich aufteilbare inhaltliche Bereiche, zu deren Wahrung man Juristen und Gerichte hereinrufen kann, läßt mich an der Geeignetheit und an der Glaubwürdigkeit solcher Regelungen zweifeln.

Wenn auch insgesamt Lerches differenzierte Position ein legitimes Beharren angesichts unklarer Lagen scheint, so sind doch Zweifel erlaubt, ob Verfassungsinterpretation an entscheidenden Stellen ausweichen darf, weil es an der „juristisch relevanten empirischen Grundlage" oder an „plausiblen Formulierungsvorschlägen" bisher mangele

IV.

Die wichtigere Aufgabe der Verfassungsinterpretation liegt darin, normative Leitlinien für die Strukturen der Medien zu geben oder zumindest die Offenheit der Verfassung für Entwicklungen zu konkretisieren. Die Gutachtenszene wird hierzu freilich kaum etwas beitragen, denn ihrer Genesis nach sichert sie ab oder verschiebt die Beweislast.

Hindernisse für die „offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten" sind in der dicho-tomischen Denkfigur von Staat und Gesellschaft aufgebaut, welche die gesamte juristische Begriffsbildung prägt. Die Eigengesetzlichkeit einer meinungsbildungsorientierten „öffentlichen Sphäre", welche nicht auf Repräsentation und Entscheidung, sondern auf Vermittlung der Diskussion angelegt ist und insbesondere die Institutionen von Information und Bildung umfaßt, kann sich unter der traditionellen Einteilung in Staat und Privat und der grundsätzlichen Ablehnung von Homogenitätsgeboten zwischen ihnen nicht entfalten. Die Unterschiede zwischen entscheidungsorientierter staatlicher Sphäre und meinungsbildungsorientierter Öffentlichkeitssphäre sowie der „Sphäre der Willkür" gehen dabei unter. Ist es aber wirklich so unmöglich, Transparenz als durchgängiges inneres Strukturprinzip der Medien zu konkretisieren? Um Erstarrung und Manipulation in den Mediän zu verhindern, könnte es dabei wichtiger sein, Me-chanismen zu finden, welche die jeweiligen internen Machtverhältnisse ans Licht der Öffentlichkeit zwingen als sie direkt zu ändern.

Auf längere Sicht dürfte es z. B. weniger wichtig sein, ob der Verleger bei neu auftauchenden Grundsatzfragen eine rechtliche Entscheidungsposition behält als ob interne Auseinandersetzungen Vertraulichkeitsgeboten unterliegen.

Der jetzige Stillstand der Medienpolitik könnte dazu genutzt werden, bisherige Festlegungen zu überdenken und neue Fragen aus der Gesamtsicht der Medien zu entwickeln, auch wenn sie zunächst wieder als Durchbrechung alter Tabus erscheinen. Zum Abschluß möchte ich einige davon aufführen: — Was ist eigentlich für Öffentlichkeit und Presse Negatives zu befürchten, wenn der berühmte Streit mit den Druckern, die sich weigern, einen gewerkschaftsfeindlichen Artikel zu drucken, so gelöst wird, wie es einmal beim „Observer" geschah: Der Artikel erschien, die Drucker konnten aber dazu einen Gegenartikel veröffentlichen. Wenn die nun einmal vorhandenen Konflikte unter den hauptberuflichen Produzenten der Medien auf solche Weise ausgetragen werden, stärkt dies nicht die herrschaftsfreie Kontrolle und entspricht deshalb den Zielen der Verfassung für eine freie Presse? Sogar die aus der Gesellschaftsform folgenden Zufälle tendenzfreier oder tendenzgeschützter Druckereien würden übrigens hiermit abgeschafft. — Liegt es nicht auf der Hand, daß wirtschaftliche Hilfen für die Medien, die den Konzentrationsprozeß objektiv fördern — wie es die mangels Gezieltheit angeblich „verfassungsneutrale" Gießkannenpolitik ökonomisch tut — verfassungswidrig sind? — Ergibt nicht eine langfristige Sicht, daß es verfassungsgeboten werden kann, die wegen der teuren technischen Einrichtungen voranschreitende wirtschaftliche Konzentration zu verhindern, indem man das technisch ohnehin bevorstehende Zusammenwachsen von Druckerei und elektronischem Netz zum Anlaß nimmt, die „dienenden" Funktionen für die Medien als einen „common carrier" zu begründen? Die Kostendegression aus der technischen Entwicklung könnte dann vielleicht sogar dazu verhelfen, daß wir von der Freiheit zur Gründung neuer Medien nicht mehr nur als von einer Utopie sprechen müssen.

Freilich hat auch die Freiheit zu solchen Fragen nur dann einen Sinn, wenn sie von den Betroffenen aufgenommen werden und damit in sozial verantwortete Positionen eingehen. Zu dem hierfür nötigen vorurteilslosen öffentlichen Klima gehört auch, daß die Juristen mit ihren Verdikten nicht schneller zur Hand sind als soziale Erfahrung sie vertiefen und erproben kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In dieser Beilage gibt Dr. Gertraude Steindl aus der Sicht der Auftraggeber einen Überblick über vier wichtige Gutachten. Mit W. Weber und P. Lerche will ich mich hier exemplarisch befassen.

  2. W. Weber, Innere Pressefreiheit als Verfassungs-Problem, Berlin 1973 (Berliner Abhandlungen zum Presserecht Heft 16), S. 71 1.

  3. H. F. Zacher, Rezension von H. H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, in: Der Staat 1/1975 S. 127, S. 130.

  4. BVerfGE 20/162, 176.

  5. Weber, a. a. O., S. 64.

  6. Weber, a. a. O., S. 71, Anm. 53; S. 46 ff.

  7. Weber, a. a. O., S. 50; vgl. Lerche (Anm. 8) S. 17 f., bes; S. 20.

  8. P. Lerche, Verfassungsrechtliche Aspekte der „inneren Pressefreiheit", Rechtsgutachten, Berlin 1974 (Berliner Abhandlungen zum Presserecht Heft 19), bes. S. 15 ff., 112 („maßvoll institutioneile Deutung der Pressefreiheit").

  9. Lerche, a. a. O., S. 89.

  10. Lerche, a. a. O., S. 42.

  11. Lerche, a. a. O., S. 43.

  12. Lerche, a. a. O., S. 41, vgl. S. 33.

  13. Lerche, a. a. O., S. 43.

  14. Lerche, a. a. O„ S. 53 ff., S. 70 ff., S. 77 ff.

  15. V. A. Thompson, Hierarchie, Spezialisierung und organisationsinterner Konflikt (1961), in: Mayntz (Hrsg.), Bürokratische Organisation, Köln-Berlin 1868, S. 217, S. 225; zum ganzen Problemkreis vgl. F. Kübler, Kommunikation und Verantwortung, Konstanz 1973, Ziegler, DOV 1971/654 ff.

  16. Lerche, a. a. O., S. 89 ff., 41 f.

  17. Lerche, a. a. O., S. 75.

  18. Lerche, a. a. O„ S. 89, S. 77.

  19. Häberle, JZ 1975/297.

  20. Lerche, a. a. O., S. 88, Anm. 254.

Weitere Inhalte

Hansvolker Ziegler, Jurist, geb. 1938, seit 1971 im Ministerium für Bildung und Wissenschaft.