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Am Grundgesetz vorbei | APuZ 49/1975 | bpb.de

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Am Grundgesetz vorbei

Johannes Binkowski

/ 8 Minuten zu lesen

Die Zusammenarbeit von Verleger und Redakteuren bedarf nach Auffassung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger keiner gesetzlichen Regelung. Seines Erachtens gehört es zu den elementaren Prinzipien eines freien Pressewesens, daß es auch über seine internen Verfahren in Freiheit selbst bestimmt. Legislatorische Vorschriften über die Binnen-struktur der Presse, wie sie der „Gesetzentwurf über die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse" (Stand: 25. Juli 1974) vorsieht, hält der BDZV aus verfassungsrechtlichen und praktischen Erwägungen für überaus problematisch. Jedes Tätigwerden des Gesetzgebers auf diesem Gebiet birgt nämlich die Gefahr in sich, daß der Freiheitsraum der Beteiligten eingeengt und die praktische Pressearbeit durch perfektionistische Vorschriften erschwert wird.

Trotz dieser grundsätzlichen Bedenken, die hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlichen Aspekte in einer Vielzahl gutachtlicher Stellungnahmen bestätigt worden sind, hat der BDZV zu einzelnen Bestimmungen des Entwurfs Stellung genommen und sich bemüht, konstruktiv an einer Verbesserung des bisherigen Konzepts mitzuwirken.

Eine vollständige Wiedergabe der umfangreichen Stellungnahme des Verbandes, die 31 Paragraphen des Gesetzentwurfes einer kritischen Prüfung unterzog, würde den Rahmen dieser Publikation sprengen. Der folgende Auszug muß sich daher auf Teile des II. Abschnittes des Entwurfs beschränken, in dem die Aufgabenabgrenzung zwischen Verlegern und Redakteuren festgeschrieben wird. Dennoch kann an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß auch die Begriffsbestimmungen (§ 2 d. E.) sowie der erste Abschnitt (rechtliche Stellung der Presse) Unverträglichkeiten und Fehlinterpretationen aufweisen und insbesondere die in § 5, Abs. 4 geforderte „Sicherstellung von Ausgewogenheit" schlechterdings eine verfassungswidrige Vorschrift darstellt.

Nach § 10 des Entwurfs muß der Verleger die Grundsätze für die publizistische Haltung der Zeitung schriftlich festlegen, diese Grundsätze werden Bestandteil der Arbeitsverhältnisse aller Redakteure. Sie sind in der ersten Ausgabe jedes Kalendervierteljahres an hervorragender Stelle in der Zeitung zu veröffentlichen. Diese Grundsätze lassen sich freilich nur in sehr allgemeinen Wendungen fixieren. Je genauer sie beschrieben würden, desto größer wäre die Gefahr, daß sich die Zeitung selbst ein „geistiges Korsett" anlegt.

Die in dem Entwurf geforderte kalendervierteljährliche Veröffentlichung „an hervorragender Stelle" der Zeitung unterstellt, daß die lesende Bevölkerung nicht in der Lage ist, die publizistische Grundhaltung einer Zeitung selbst zu erkennen. Es wäre ebenso geradezu absurd, wenn sich eine Partei die Pflicht auferlegte, der Bevölkerung ihre Grundsatzprogramme in. ihren ersten Äußerungen jedes Kalendervierteljahres an „hervorragender Stelle" bekanntzugeben. Gegen die Vorschriften über eine Änderung der allgemeinen publizistischen Haltung der Zeitung (§ 11) hat der BDZV folgende schwerwiegende Bedenken:

Eine „Änderung" kann schon in einer bloßen, der bisherigen Linie der Zeitung durchaus entsprechenden Ergänzung der Grundsätze bestehen, die beispielsweise wegen einer sehr schwerwiegenden neuen politischen Entwicklung notwendig erscheint. Es ist nicht einzusehen, warum eine solche Ergänzung, die unter Umständen auch der Auffassung der meisten Redakteure entspricht, erst nach drei oder sechs Monaten wirksam werden soll.

Wenn ein Verleger die grundsätzliche Haltung seiner Zeitung aber tatsächlich einmal substantiell ändern sollte, so werden hierfür in der Regel geänderte Leserbedürfnisse maßgebend sein. In diesem Fall ist weder dem Verleger noch den Lesern zumutbar, drei oder sechs Monate mit den notwendigen Korrekturen zu warten. Auch andere Unternehmer, die qualifizierte und dem Produkt geistig verbundene Arbeitnehmer beschäftigen, haben das selbstverständliche Recht, auf Marktreflexe prompt zu reagieren.

Wenn man schon glaubt, den Lesern jedes Quartal die Lektüre der Grundsätze verordB nen zu müssen, die Publikation der Grundsätze also für wichtig hält, warum werden die Redakteure drei oder sechs Monate vor der Änderung unterrichtet, die Leser aber erst hinterher? Eine „presserechtliche" Regelung, um die es sich hier angeblich handelt, müßte die frühzeitige Information der Leser für mindestens ebenso bedeutsam halten, wie die Unterrichtung der Redakteure. Bei einer arbeitsrechtlichen Regelung ist dagegen legitim, in erster Linie die Rechte der betroffenen Arbeitnehmer zu sichern. Dies ist hier geschehen. Dennoch gibt der Entwurf vor, nicht Arbeitsrecht, sondern Presserecht zu statuieren.

Im Gegensatz zum geltenden Manteltarifvertrag soll der Redakteur nach einer vom Verleger vorgenommenen Änderung der Grundsätze für die publizistische Haltung auch dann unter qualifizierten Bedingungen ausscheiden können, wenn die Änderung für ihn durchaus zumutbar ist. Dies bleibt unverständlich. überhaupt wurde der Unterschied zwischen einer Änderung (im Sinne von Umstülpung) und einer konformen Ergänzung der Grundsätze nicht berücksichtigt.

Aus den Vertragsverhandlungen zwischen dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger einerseits und den Journalistenorganisationen andererseits wurde eine mittlere Entscheidungsebene, die sogenannte „Richtlinienkompetenz", in den Referentenentwurf übernommen. Die vorgesehene Ausgestaltung dieser „Richtlinienkompetenz" muß allerdings von den Verlegern entschieden abgelehnt werden. Die Entscheidungen „über neu auftretende Fragen von grundsätzlicher Bedeutung" prägen das publizistische Profil einer Zeitung weit nachhaltiger, als dies durch die Fixierung allgemeiner Grundsätze (§ 10) möglich ist. Selbstverständlich wird die sogenannte Richtlinienkompetenz im Zweifel vom Chefredakteur ausgeübt, allerdings geschieht dies kraft Delegation; originärer Träger des Rechts bleibt der Verleger. Diese -— der Risikohaftung des Verlegers entsprechende — Rechtslage will der Entwurf verändern. Das erscheint verfassungsrechtlich bedenklich, zumal nach § 15 Abs. 1 auch noch ein gekündigter Chefredakteur Richtlinien erlassen kann.

Wenn der Chefredakteur unter Wahrung der Grundsätze Richtlinien erläßt, gibt es zumeist keine Möglichkeit, diese wegen Verstoßes gegen die Grundsätze aufzuheben. Sich widersprechende Richtlinien liegen im Regelfall sämtlich im Rahmen der Grundsätze. Beispielsweise läge das Eintreten einer Zeitung für eine CDU-Regierung und zu einem späteren Zeitpunkt für eine SPD-Regierung durchaus im Rahmen der „Grundsätze", wenn diese mit „der parlamentarischen Demokratie verpflichtet" umschrieben wären.

Unerträglich ist auch die Nachprüfbarkeit aller wichtigen publizistischen Entscheidungen des Chefredakteurs durch die Redakteurvertretung. Autoritätsverlust und Anpassungszwänge für den Chefredakteur wären unvermeidbar. Ohne Zweifel würde der Mehrheit der Redakteurvertretung — insbesondere bei ressortspezifischen Richtlinien — die Sachkompetenz fehlen.

Außerdem wird die höchstpersönliche Gewissensentscheidung des einzelnen Redakteurs nur honoriert, wenn er sich in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Redakteurvertretung befindet. Mehr als ein Drittel der Mitglieder der Redakteurvertretung nimmt dem unzumutbar betroffenen Redakteur den Gesinnungsschutz, d. h. die Kollektiv-Meinung rangiert vor der Individual-Gesinnung. Alles in allem stellt sich die Frage, welche Rolle der Redakteurvertretung zugedacht ist. Durch ihr Recht, einer vom Chefredakteur erlassenen Richtlinie widersprechen zu können, wird die Redakteurvertretung zum Kontrollorgan des Chefredakteurs. Konsequenz dieser ihr zugedachten Rolle: es wird künftig weniger Richtlinien geben — das Engagement der Zeitung wird gedämpft.

Die in dem Entwurf vorgesehene Regelung für die Berufung des Chefredakteurs dürfte die Grenze der Verfassungswidrigkeit überschritten haben. Denn die Zweidrittel-Mehrheit der Redakteurvertretung, die sich gegen die Berufung eines bestimmten Chefredakteurs ausspricht, kann ohne weiteres unsachliche Gründe haben. Dann soll der Verleger gleichwohl verpflichtet sein, jeden Redakteur, der das will, gegen nicht geringe Abfindung ausscheiden zu lassen. Hierdurch wird ein Druck auf den Verleger ausgeübt, der ihn in der Freiheit ganz ähnlich einengt wie ein Vetorecht. Die Konstruktion des Entwurfs ist deshalb brüchig. Ein Ausscheiden unter qualifizierten Bedingungen läßt sich nur rechtfertigen, wenn es tatsächlich zu einer unzumutbaren Änderung der Grundsätze für die publizistische Haltung kommt. Die Berufung eines Chefredakteurs bietet hierfür nicht den mindesten Anhaltspunkt. Aber selbst wenn die Autoren des Entwurfs die verfassungsrechtliche Lage anders einschätzen, bleibt die Frage, warum nicht wenigstens eine Unzumutbarkeitsklausel vorgesehen wurde. Muß ein Redakteur eine eventuell „unzumutbare" Richtlinie eher hinnehmen als einen neuen Chefredakteur?

Ein weiterer Einwand gegen die Bestimmung resultiert aus ihrer Unvereinbarkeit mit der grundsätzlichen Wertentscheidung, die der Gesetzgeber in § 105 des Betriebsverfassungsgesetzes getroffen hat. Wenn die Parallele zum Betriebsverfassungsrecht schon gesucht wird, wie dies in § 16 Abs. 2 geschieht, so sollte sie auch dort durchgehalten werden, wo die Interessen des Arbeitgebers und seiner leitenden Angestellten auf dem Spiel stehen.

Auch die für die Abberufung des Chefredakteurs vorgesehenen Regelungen widersprechen dem für alle anderen Unternehmen geltenden § 105 des Betriebsverfassungsgesetzes und erscheinen verfassungsrechtlich höchst problematisch. Hier wird zwar auf ein Vetorecht der Redakteurvertretung verzichtet, doch ist ein Verfahren vorgesehen, das dazu führen kann, daß der Verleger einen Chefredakteur noch über Jahre im Amt dulden müßte, der publizistisch nicht mehr sein Vertrauen genießt. Wie wäre es wohl mit der Autorität dieses Chefredakteurs bestellt? Die Konsequenzen für den Verlag und die Zeitung wären — wenn das Gericht nicht durch Einstweilige Verfügung die vorläufige Weiterbeschäftigung storniert — um so weniger erträglich, als der Verleger ja nicht durch Einzelweisung auf den Inhalt der Zeitung Einfluß nehmen können soll und im Zweifel nicht einmal Richtlinien geben kann.

Wenn dem Chefredakteur nun aus „arbeits-rechtlichen" und publizistischen Gründen gekündigt wird, muß er sowohl vor dem Arbeitsgericht, als auch vor dem ordentlichen Gericht klagen. Denn die Rechtskraft des einen Urteils vermag den Streitstoff ja nicht zu erledigen. Wie sollen aber erst Kündigungsschutzprozesse geführt werden, in denen der Beklagte die Entlassung nur rechtfertigen kann, wenn er eine Summe von publizistischen und nicht-publizistischen Kündigungsgründen vorträgt?

Die in § 16 enthaltene Vorschrift über personelle Veränderungen der Redaktion, derzufolge Redakteure nur im Einvernehmen mit dem Chefredakteur und nach Anhörung der Redakteurvertretung eingestellt oder versetzt werden können, ist nicht praktikabel. Da in großen Redaktionen ständig personelle Veränderungen stattfinden, müßten dort die Mitglieder der Redakteurvertretung, die ja automatisch mit jedem Fall zu befassen sind, von ihrer täglichen Redaktionsarbeit freigestellt werden. Man sollte die Anhörung daher auf Fälle beschränken, in denen der Betroffene die Redakteurvertretung einschaltet.

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger ist in seiner Stellungnahme, die in einem Anhörungsverfahren des Bundesinnenministeriums ausgiebig diskutiert wurde, detailliert auf jeden einzelnen Absatz des Gesetzentwurfes eingegangen, was in der vorliegenden Kurzfassung nicht möglich ist. In seiner Kritik konnte sich der BDZV auf eine beträchtliche Zahl von Leitartikeln und Kommentaren deutscher Zeitungen stützen, denn fast ausnahmslos waren die im vorläufigen Entwurf vorgesehenen Bestimmungen aufs schärfste abgelehnt worden. Öffentliche Aufgabe oder öffentliche Funktion der Presse? „Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe." So steht es in den Landespressegesetzen. Und weiter heißt es — mehr oder weniger wörtlich übereinstimmend in den jeweiligen Paragraphen 3 — die Presse nehme diese Aufgabe wahr, „wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt”. Diese definitorische Ergänzung ist in der medienpolitischen Debatte der letzten Jahre häufig übersehen worden. Aus der „öffentlichen Aufgabe" wurden unterschiedliche qualitative Ansprüche an die Presse abgeleitet: „ausgewogene Berichterstattung", „gesellschaftliche Bezogenheit" des Presseinhalts.

Verbindliche Vorschriften für die Erfüllung der „öffentlichen Aufgabe" der Presse zu erlassen, käme indes zwangsläufig staatlicher Reglementierung gleich. Das widerspräche eindeutig der verfassungsmäßig garantierten Pressefreiheit.

Vor einer derartig mißverständlichen Deutung des Begriffs „öffentliche Aufgabe" hat der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Franz Ronneberger gewarnt. „So hilfreich dieser Begriff für die politische Emanzipation der Presse gewesen ist und noch heute sein mag, so verheerend kann er als Waffe gegen die Freiheit angesetzt werden. Das haben wir in der Rechtsetzung und -praxis des Nationalsozia-

Fussnoten

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Johannes Binkowski, Dr. phil., geb. 1908, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV).