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Die Kirche des Moskauer Patriarchats | APuZ 30/1962 | bpb.de

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APuZ 30/1962 Ideologie und Politik Die Kirche des Moskauer Patriarchats

Die Kirche des Moskauer Patriarchats

—----------Abdruck aus der März-Veröffentlichung 1962 des Forschungsdienstes Osteuropa, Düsseldorf.

Die Religionspolitik der Sowjets hat der Russischen orthodoxen Kirche seit 1939 wieder einige Freiheiten eingeräumt, welche in den letzten Jahren dazu führten, daß das Moskauer Patriarchat heute zu einem sehr wichtigen Element auf der Ebene der Ost-West-Bewegung geworden ist. Es steht außer Zweifel, daß der Kreml diese Entwicklung gewollt hat und sie auch bis ins letzte lenkt und kontrolliert. Ebensowenig ist aber zu bezweifeln, daß die vom Moskauer Patriarchat repräsentierte Kirche Millionen echter Gläubiger erfaßt, deren Bekenntnis in einem unausgesprochenen inneren Widerspruch zum Kommunismus steht.

Die Frage, ob das Moskauer Patriarchat als Partner am gemeinsamen Werk christlicher Nächstenliebe anzuerkennen ist, kann daher in einen echten Gewissenskonflikt führen. Die protestantischen und anglikanischen Kirchen haben sich zugunsten des Patriarchats entschieden: die Russische orthodoxe Kirche wurde (zusammen mit der Bulgarischen orthodoxen Kirche, der Orthodoxen Kirche in Polen und 19 weiteren, jedoch kleinen religiösen Gemeinschaften) auf der ökumenischen Tagung in Neu Delhi (19. 11. — 6. 12. 61) mit großer Mehrheit gegen nur drei Nein-Stimmen (bei vier Enthaltungen) in den Weltkirchenrat ausgenommen. Die Problematik der hierdurch für die ökumenische Bewegung entstandenen Situation dürfte auch in protestantischen Kreisen nicht über sehen werden. Die Besorgnisse, welche die Gemüter beunruhigen, sind sowohl bei Theologen wie Laien weit größer als diese in Neu Delhi deutlich wurde.

Der Einzug der Moskauer Kirche in eine interkonfessionelle Gemeinschaft, deren religiöse Bekenntnisse zu den wesentlichsten geistigen Werten der freien Welt gehören, ist in der Tat von einer eminenten politischen Bedeutung, die über der Rahmen der Ökumene weit hinausgeht. Das scheinbar paradoxe Phänomen, daß ein notorisch gottloses und religionsfeindliches Regime ausgerechnet die Kirche für politische Ziele einspannt, an deren Ende nicht nur diese Kirche selbst, sondern jeder Gottglaube in der Welt ausgelöscht werden soll, rückt die Beziehung des Moskauer Patriarchats zur Sowjetregierung in ein sehr eigentümliches Licht und läßt nach den Besonderheiten im Verhältnis der Russischen orthodoxen Kirche zum Staat fragen.

I. Russische orthodoxe Kirche und Staat

Abbildung 2

Richtungweisend für die Russische orthodoxe Kirche bis in die Gegenwart hinein ist ihre Entwicklung zur Staatskirche. „An keinem Punkt tritt der strukturelle Unterschied zwischen der römisch-katholischen Kirche und der östlichen Orthodoxie so deutlich in Erscheinung wie in dem Grundverständnis von Kirche und Staat" — und: „Die erste Gefahrenquelle ist das Staatskirchentum; sie besteht in einer Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Staat und Kirche zugunsten des Staates ... Innerhalb der Orthodoxie ist die Kirche stets in Gefahr, auch ihre innere Freiheit an den Staat zu verlieren. Besonders charakteristisch hierfür ist die Entwicklung in Rußland. Die Tradition des dortigen Staatskirchentums wirkt sogar noch in der heutigen Patriarchatskirche weiter.“

Die Kirche im Zarenreich Das entscheidende historische Ereignis war die Eroberung von Konstantinopel durch die Türken (1453), welches der Abhängigkeit der mosko-witischen Kirche von Byzanz — dem „zweiten Rom" — ein Ende setzte und 1589 zur Erhebung dieser Kirche in den Rang eines Patriar-chats führte. Die imperiale russische Staatsidee und das russisch-orthodoxe Sendungsbewußtsein haben sich seitdem aus dem Gedanken entwik-kelt, daß Moskau die Nachfolgerin von Byzanz und somit „das Dritte Rom“ ist, von Gott dazu ausersehen, dereinst über die Welt zu triumphieren und der Häresie des ersten — katholischen — Rom ein Ende zu setzen. Führung und Wahrung der Orthodoxie fiel dem russischen Zaren tu -dem „neuen Konstantin", gottgesalbten Stellvertreter Gottes, Herrn über Staat und Kirche. Es ist bezeichnend, daß die ganze rus-sische Geschichte nur einen ernstzunehmenden Versuch von kirchlicher Seite aufzuweisen hat, die Unabhängigkeit vom Staat herzustellen: die sogenannte Reform des Patriarchen Nikon (1652— 1667) — einen Versuch, der restlos scheiterte.

Der Absolutismus Peters des Großen beseitigte auch den äußeren Schein einer kirchlichen Selbständigkeit. Der Zar schaffte 1721 das Patriarchat ab und setzte an dessen Stelle ein geistliches Kollegium unter dem Namen „Heilige Dirigierende Synode“ mit dem Sitz in Petersburg ein. Der Synode wurde ein „Oberprokureur" als weltlicher Aufsichtsbeamter beigeordnet, der dafür sorgte, daß „die geistlichen Glieder dieser Behörde zu Werkzeugen der Staatsdisziplin und entsprechend ihrem Eide zu . treuen und gehor-samen Knechten und Untertanen der kaiserlichen Majestät'“ wurden Die synodale Verfassung war bis zum Ende des Zarenreiches 1917 in Kraft. In diesen zweihundert Jahren blieb die Staat und Kirche gemeinsame Idee vom „dritten Rom" geistige Ausgangsbasis des russischen Imperiums. Die orthodoxe Kirche war insbesondere auch in die Russifizierungspolitik innerhalb der eroberten nichtrussischen Teile des Zaren-reiches stets aktiv eingeschaltet. Die Zeit der Verfolgung (1917— 1939)

Erst im Jahre 1917 trat die Russische orthodoxe Kirche in einen neuen Abschnitt ihrer Geschichte ein. Die Abdankung des Zaren beraubte sie ihres Schirmherrn und Gebieters, und die sogenannte „Provisorische Regierung" (Kerenski) schaffte auch das Amt eines „Oberprokureurs" der Synode ab. Angesichts dieser Situation trat am 15. 8. 1917 in Moskau ein „Allrussisches Konzil“ zusammen, das über eine neue Rechtsordnung der Kirche beriet, die Unabhängigkeit von der Staatsgewalt anstrebte und die Wiederherstellung des Patriarchats gegegen eine starke innerkirchliche Opposition beschloß. Am 5. 11. 1917 wurde der Metropolit Tichon von Moskau zum Patriarchen gewählt.

Die bolschewistische Oktoberrevolution setzte allen Hoffnungen der Russischen orthodoxen Kirche, „im 1917 in Moskau ein „Allrussisches Konzil“ zusammen, das über eine neue Rechtsordnung der Kirche beriet, die Unabhängigkeit von der Staatsgewalt anstrebte und die Wiederherstellung des Patriarchats gegegen eine starke innerkirchliche Opposition beschloß. Am 5. 11. 1917 wurde der Metropolit Tichon von Moskau zum Patriarchen gewählt.

Die bolschewistische Oktoberrevolution setzte allen Hoffnungen der Russischen orthodoxen Kirche, „im Russischen Reiche eine soziale und rechtliche Vorrangstellung zu genießen“ (Resolution des vorbereitenden Konzils von 1917), ein jähes Ende. Bereits wenige Wochen nach der Machtergreifung durch Lenin begann für die orthodoxe Kirche eine Zeit des Leidens und der Verfolgung, die erst nach mehr als einundzwanzig Jahren von einer neuen sowjetischen Kirchenpolitik abgelöst wurde.

Die Trennung von Kirche und Staat vollzog die Sowjetregierung durch ein Dekret vom 23. 1. 1918. Diese Trennung ist jedoch „nicht wie in Amerika eine friedliche Scheidung zwischen beiden Gewalten, sondern richtet sich gegen die Kirche, sie bedeutet die Versklavung an den Staat. Die gesamte Organisation der Kirche wurde zerschlagen und die Gemeinden wurden völlig der staatlichen Kontrolle unterworfen. Artikel 11 des Gesetzes vom 23. Januar 1918 vebietet die Auferlegung von Kirchensteuern und die Androhung von kirchlichen Strafmaßnahmen" 3).

Das Dekret von 1918 wurde 1928 durch ein neues Gesetz über die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat ergänzt. Dieses bis heute offiziell nicht außer Kraft gesetzte Dekret gestattet den Geistlichen nur noch die Abhaltung von Gottesdiensten ausschließlich an ihrem Wohnort — wodurch die Bischöfe von ihren Eparchien praktisch isoliert, jede zentrale kirchliche Verwaltung unmöglich gemacht und die Gemeinden voneinander getrennt wurden.

Einzelheiten über die ungeheuerliche Leidenszeit der Kirche in der Sowjetunion sind auch außerhalb des kommunistischen Machtbereiches in ausreichendem Maße bekannt geworden, so daß sie an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden sollen. Der Kampf gegen Religion und Kirche vollzog sich in vollständiger Übereinstimmung mit der kommunistischen Ideologie. Hierzu gehörten die Verweigerung jeglicher staatlicher Unterstützung zugunsten der Kirche, die Enteignung kirchlichen Grundbesitzes, der Ent-zug des passiven und aktiven Wahlrechts Geistlicher, die Unterdrückung der Klöster, die Ausmerzung des Religionsunterrichts in der Schule, das Verbot karitativer Tätigkeit, das Verbot der Seelsorge, die totale Staatskontrolle — ebenso die Verhaftungen, Deportationen, Schauprozesse, Hinrichtungen und Ermordungen. Die Zahl der Kirchen sank von 40407 auf 4 255; im Jahre 1941 gab es nach offiziellen Angaben nur noch 28 Bischöfe und 5 665 Priester gegenüber 130 Bischöfen und 50 960 Priestern vor der Revolution 4). In äußerlicher Unabhängigkeit vom Terror der Exekutive inszenierten die Machthaber eine Gottlosenbewegung („Bund kämpfender Gottloser“, gegr. 1925), der zur Aufgabe gestellt wurde, eine Hetzpropaganda gegen die Religion zu führen. Außerdem wurde schon in jenem Zeitabschnitt ein Kampfmittel erprobt und praktiziert, das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Anwendung fand, nunmehr allerdings in den Satellitenländern und dort vor allem gegen die katholische Kirche: die Bildung von Spaltungsgruppen innerhalb der Kirche selbst. Eine 1922 unter dem Vorwand notwendiger kirchlicher Reformen entstandene „Lebende Kirche", die das Patriarchat auf das schärfste bekämpfte und angeblich 15 Millionen Gläubiger erfaßte, erfreute sich eine Zeitlang des Beistandes von Partei und Staat — bis auch sie fallengelassen wurde, weil sie nicht imstande war, ein echtes Schisma herbeizuführen.

In das Jahr 1921 fällt ein Ereignis, das bis in die Gegenwart fortwirkt und den Kontakt mit dem Moskauer Patriarchat mit einem Problem besonderer Art belastet. In Sremske Karlovice (Karlowitz) in Jugoslawien versammelten sich ins Ausland geflüchtete russisch-ordhodoxe Kirchenobere zu einem Konzil, das als Anfang einer von Moskau unabhängigen Exilkirche gilt, obwohl die förmliche Lösung von der Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats erst 1927 erfolgte. Zu dieser Exilkirche bekennt sich zur Zeit noch die überwältigende Mehrheit (mindestens 95 Prozent) der in der Bundesrepublik Deutschland als Emigranten lebenden Gläubigen. Der Moskauer Patriarch Tichon distanzierte sich zwar von dem in Karlowitz in Freiheit zusammengetretenen Konzil und ordnete sogar dessen Auflösung an, wurde aber trotzdem im Mai 1922 verhaftet und wegen „konterrevolutionärer Tätigkeit" — u. a. wegen seiner angeblichen Kontakte mit den emigrierten Bischöfen — unter Anklage gestellt. Im Gefängnis unterzeichnete Tichon eine Erklärung, in welcher er seine „konterrevolutionäre" Tätigkeit bedauerte und das Versprechen abgab, künftig jede Beziehung zu den Feinden des bolschewistischen Regimes abzubrechen. „Die Kirche gab nunmehr den Kampf gegen die antireligiösen Prinzipien der Bolschewisten auf, sie zog sich auf das , rein religiöse'Gebiet zurück und verzichtete darauf, die öffentlichen Verhältnisse im Geiste des Christentums umzugestalten. Sie gab somit ihre Niederlage in dem öffentlichen Kampf mit den atheistischen Prinzipien des neuen Staates zu 5). Tichon wurde ohne Prozeß aus der Haft entlassen (1923), konnte aber sein Amt als Patriarch praktisch nicht mehr ausüben, weil der Staat jede Anerkennung verweigerte.

Daß die Sowjets die kirchliche Entfaltung im Exil ernst nahmen, zeigte sich erneut nach Tischons Tode (1925). Zunächst wurde die Wahl eines neuen Patriarchen verwehrt, und als der stellvertretend amtierende Metropolit Sergius nicht der Forderung des Kreml folgte, alle russischen Geistlichen im Auslande, welche die Sowjetunion nicht anerkannten (durch Annahme der Staatsangehörigkeit der UdSSR), zu exkommunizieren, wurde auch er ins Gefängins geworfen. Nach seiner Entlassung entsprach er allen Wünschen und proklamierte am 29. 7. 1927 jenen Sowjet-Patriotismus, der auch heute die Russische orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats kennzeichnet.

Es heißt in seinem Erlaß: " Wir wollen orthodoxe Christen sein und uns gleichzeitig zur Sowjetunion als zu unserer staatsbürgerlichen Heimat bekennen. Ihre Freuden und Erfolge sind unsere Freuden und Erfolge, ihre Mißerfolge sind unsere Mißerfolge. Jeder gegen die Sowjetunion geführte Schlag wird von uns empfunden als ein Schlag, der uns getroffen hat." 6)

Der Kotau vor dem kommunistischen Regime rettete die Russische orthodoxe Kirche nicht vor der Verfolgungswelle in der Stalin-Ära, die sich zeitweise bis zum Blutrausch steigerte. Es hat den Anschein, als ob das Regime tabula rasa machen und sämtliche Religionsgemeinschaften auch in der Substanz vernichten wollte. „Moskau hatte 1914 400 Kirchen (andere Schätzung: 675), 1942 nur noch 17 (Aufzählung in: Truth on Religion in Russia, 1942, durch die Moskauer Patriarchie hrsg.), 1927 wurden allein 134, 1928 fast 600, 1929 1 450 Kirchen geschlossen.“ 7) — und: „Allein im ersten Halbjahr 1937 wurden in der gesamten UdSSR 612 Kirchen zerstört und der Befehl zur Schließung weiterer 2 900 Kirchen und 63 Klöster erteilt. Laut Angaben . . . wurden im Gesamtjahr 1937 1 100 orthodoxe, 240 katholische, 61 protestantische Kirchen und 110 Moscheen geschlossen. 8)

Im Jahre 1939 aber änderte sich die Situation fast schlagartig. Aussöhnung und Koexistenz mit dem Sowjetregime Die weitverbreitete Meinung, Stalin habe sich erst 1941 aus Not dazu entschlossen, die Kirche wieder zu dulden und ihr auch einige Freiheiten zu gewähren, ist irrig. Der Terror gegen die Russische orthodoxe Kirche ließ bereits Anfang des Jahres 1939 nach, die Verfolgung des hohen Klerus hörte praktisch auf und die atheistische Propaganda schraubte ihren aggressiven Ton zurück.

Von kirchlicher, vor allem natürlich von orthodoxer Seite wird dieser Umschwung als Eingeständnis der Niederlage des kommunistischen Regimes erklärt. Es dürfte leider nur die halbe Wahrheit sein. Im Jahre 1939 gab es zwar trotz zweiundzwanzig Jahren Religionsverfolgung noch Millionen Gläubiger, aber der Widerstands-wille des hohen Klerus der Russischen orthodoxen Kirche gegen das Regime war gebrochen. Die Kirche war für den Staat keine Gefahr mehr. Eine solche konnte höchstens entstehen, wenn der Terror fortgesetzt wurde und dadurch die Elite eines Katakomben-Christentums entstand.

Es ist bemerkenswert, daß der Umschwung in der Religionspolitik der Sowjets vorzugsweise der Russischen ortodoxen Kirche zugute kam. Als die Rote Armee im September 1939 Ostpolen besetzte, begann in der Westukraine sofort eine Unterdrückung der Katholiken, vor allem der Ukrainischen unierten Kirche. „Die orthodoxe Geistlichkeit hatte in der Zeit der Herrschaft der örtlichen . Sowjets'nicht gelitten, obgleich sie, mit seltenen Ausnahmen, in ihren Gemeinden verblieben war. Keiner der sechs in ihren Eparchien verbliebenen Bischöfe war Repressalien ausgesetzt worden".

Für die Russische orthodoxe Kirche bot sich mit Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges Gelegenheit, auch ihrerseits den Willen zur Koexistenz unter Beweis zu stellen. Bereits am 22. 6. 1941, dem ersten Kriegstage, erließ der Moskauer Metropolit Sergius ein Sendschreiben »An die Hirten und die Gläubigen der Orthodoxen Kirche Christi", das einen flammenden Aufruf zum Kampf gegen die „faschistischen Räuber" zum Inhalt hatte. Es heißt u. a.: „Unsere rechtgläubige Kirche hat stets das Los des Volkes geteilt. Mit ihm gemeinsam erdultete sie Prüfungen und fand Trost in dessen Erfolgen. Sie wird ihr Volk auch jetzt nicht im Stich lassen. Sie fleht für das Heldentum des Volkes den himmlischen Segen herab... Die Kirche Christi segnet alle Recht-gläubigen, die die heiligen Grenzen unserer Heimat verteidigen. Gott schenkt uns den Sieg!“

Das Kriegsgeschehen führte tatsächlich viele Menschen in die Kirche, dfe ihr längst ferngestanden hatten. Am Abend des 26. 6. 1941 fand in der Moskauer Epiphanien-Kathedrale ein feierlicher Bittgottesdienst „für den Sieg der russischen Krieger" statt, bei dem Sergius in aller Öffentlichkeit zum Kampf aufrief. Während dieses Gottesdienstes sollen innen und außen um die Kirche herum 12 OOO Menschen zugegen gewesen sein. Bittgottesdienste für den Sieg der sowjetischen Waffen fanden danach in sämtlichen Eparchien statt. In eine OOO Menschen zugegen gewesen sein. Bittgottesdienste für den Sieg der sowjetischen Waffen fanden danach in sämtlichen Eparchien statt. In einem neuen Sendschreiben des Metropoliten Sergius vom 11. 11. 1941 hieß es bereits im Stile Jlja Ehrenburgs: „Die Hand eines echten Patrioten wird von der Ausrottung der faschistischen Eindringlinge nicht zurückzucken. Das Herz des Christen ist den faschistischen Bestien gegenüber verschlossen, es empfindet nur einen vernichtenden, tödlichen Haß gegen den Feind." 11)

Diese moralische Unterstützung des sowjetischen Regimes fand ihren Lohn. Am 4. 9. 1943 wurde Metropolit Sergius mit seinen engsten Mitarbeitern von Stalin in Audienz empfangen. Die Versöhnung zwischen Staat und Kirche wurde damit besiegelt; die Sowjetregierung erteilte die achtzehn Jahre lang verweigerte Genehmigung zur Wahl eines Patriarchen. Sie fand bereits am 8. 9. 1943 statt: Sergius wurde von einer Synode von 19 Bischöfen gewählt. Auch der Bildung einer ordnungsgemäßen Kirchen-leitung stand nichts mehr im Wege.

Die Russische orthodoxe Kirche hat sich freilich nicht nur mit einer moralischen Unterstützung des Regimes begnügt. Sowjetischen Quellen zufolge hat diese Kirche „während des gesamten Krieges über 300 Millionen Rubel, ohne die Spenden für andere Zwecke zu rechnen, für den Verteidigungsfond gesammelt und an ihn ausgeliefert. Dank der Initiative des Metropoliten Sergij wurden ,. . . außer goldenen und silbernen Wertgegenständen über acht Millionen Rubel'zur Aufstellung einer Panzerkolonne namens Dimitrij Donskoi gesammelt, die vom Metropoliten Nikolai im März 1944 feierlich der Armee übergeben wurde“. 12)

Die Sowjets wußten damals ihre westlichen Bundesgenossen mit einer Reihe Scheinliberaler Maßnahmen zu beeindrucken. In den angelsächsischen Ländern wurde u. a. mit Befriedigung vermerkt, daß das Organ der Gottlosenbewegung „Besboschnik" (Der Gottlose) sein Erscheinen bereits im Juni 1941 eingestellt hatte. Übersehen wurde jedoch, daß der „Bund kämpfender Gottloser", zuletzt eine Millionenbewegung, bis 1947 fortbestand, um dann — mit gleichen Zielen — von der neugegründeten „Gesellschaft zur Verbreitung politischer und wissenschaftlicher Kenntnisse" abgelöst zu werden

Dem Regime konnte von Seiten der Kirche nicht die geringste Gefahr drohen. Bereits am 8. 10.

1943, einen Monat nach der Wahl des Patriarchen, war beim Ministerrat ein „Sowjet für Angelegenheiten der russischen orthodoxen Kirche“ (und 1944 auch ein „Sowjet für Angelegenheiten der religiösen Kulte“, d. h. für die anderen Glaubensgemeinschaften) unter Vorsitz von G. G. Karpow gebildet worden. Die diesen Sowjets eingeräumten Befugnisse machten sie zu absoluten Kontrollund Lenkungsorganen des Regimes, wobei — bezeichnenderweise — die Aufnahme von Vertretern der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften in den Sowjet ausgeschlossen blieb. Karpows Apparat wurde zu einem Netz von Funktionären bei den Vollzugskomitees der Gebiete und Gaue, sowie bei den Ministerräten der Unionsund Autonomen Sowjetrepubliken ausgebaut. Dieses Kontroll-und Lenkungsorgan besteht auch heute noch unter Karpows bewährter Führung.

Die Erinnerung an den „Oberprokureur" der Zarenzeit drängt sich auf, der dafür zu sorgen hatte, daß die Mitglieder der Synode zu „treuen und gehorsamen Knechten und Untertanen der kaiserlichen Majestät" wurden . . . „Im Januar 1944 schrieb der Metropolit Nikolaus von Krutizy" — aus Anlaß des 64. Geburtstages von Stalin — „in der Patriarchatzeitschrift von dem . geliebten Führer unseres Volkes, dem genialen, höchsten Kommandanten unseres Heeres, von Gott gesetzt . . .'Sergius drückte die Gefühle aller orthodoxen Russen aus, als er sagte: , Von Herzen grüße ich in Ihrer Person den von Gott erwählten Führer . . . Nikolaus fährt fort: , Die gläubigen Russen sehen in der Person des obersten Führers unseres Volkes den Vater ihres Volkes, ihm von Gott gegeben, und richten heiße Gebete zu Gott dem Herrn um seine Gesundheit für viele Jahre. In unserem Führer erkennen die Gläubigen zusammen mit dem ganzen Lande den größten aller Menschen, den unser Land je hervorgebracht hat ..., sie sehen in ihm die Fleischwerdung alles dessen, was an Gutem und Schönem das heilige geistige Erbe des russischen Volkes ausmacht . . .“

Patriarch Sergius starb 1944. Nachfolger wurde der Metropolit von Leningrad, Alexius, welcher seine Ergebenheit gegenüber dem Sowjetregime zu wiederholten Malen noch weit mehr als Sergius bekundet hatte. Seine Wahl erfolgte durch ein „Allrussisches Konzil“ (31. 1. — 3. 2. 1945), welches im Einvernehmen mit den Sowjets auch ein neues Kirchenstatut beschloß. Dem Patriarchen wurde als beratendes Gremium eine Synode zur Seite gestellt, der als ständige Mitglieder die Metropoliten von Kiew, Leningrad und Krutizy angehören, während die anderen Eparchien turnusmäßig drei weitere Bischöfe in die Synode schickten. Einige Freiheiten wurden den Kirchengemeinden eingeräumt. Der vom Bischof eingesetzte Kirchenvorsteher wurde befugt, dieweltlichen und geistlichen Gemeindeangelegenheiten zu führen. „Als Vorsitzender des Kirchenrats leitete und überwachte er — den Behörden für die Unversehrtheit des Kirchengebäudes (das Staatseigentum ist und vertraglich einer Gruppe von mindestens 20 Gläubigen über-geben wird) und des Kirchenvermögens gemeinsam mit den Vertragsträgern verantwortlich — den gesamten Haushalt der Gemeinde. Diese Stellung kam darin zum Ausdrude, daß er das Recht hatte, Siegel und Stempel zu führen, die bei der Behörde registriert waren."

Gilt Religion nicht mehr als „Opium für das Volk"?

Es wäre selbstverständlich völlig als absurd anzunehmen, die Kirchenpolitik der Sowjets seit 1939 sei ein Zeichen dafür, daß der Marxismus-Leninismus seine Einstellung gegenüber der Religion geändert habe. Davon kann überhaupt keine Rede sein.

Die „Große Sowjetische Enzyklopädie" von 1948 (Band UdSSR, S. 1781/82) erklärt den scheinbaren Widerspruch zwischen der kommunistischen These, daß Religion Opium für das Volk sei, und der Duldung der Kirche wie folgt: „Die Kommunistische Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) — Schöpferin und Leiterin des sozialistischen Staates — hat ihre ablehnende Haltung zur Religion niemals verheimlicht und tut es auch heute nicht . . . Die tief-greifende Wandlung in den gegenseitigen Beziehungen der Menschen auf der Basis des eingeführten Sozialismus . . ., die lichten Perspektiven des Kommunismus selbst befreien das Bewußtsein vom Drude religiöser Vorstellungen. Ohne sich damit zu begnügen, führen Partei, Komsomol, wissenschaftliche Organisationen und die ganze sowjetische Öffentlichkeit eine geduldige Arbeit zur Beschleunigung der Ausrottung religiöser Vorurteile. Diese Arbeit soll und wird so durchgeführt werden, daß die Gefühle der Gläubigen durch nichts verletzt werden, d. h.

auf der Grundlage der Popularisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ..., verbunden mit der Propaganda des dialektischen Materialismus, der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus . . 1952 heißt es in „Molodaja Gwardija" (Die junge Garde), einer Schrift des kommunistischen Jugendverbandes der UdSSR („Komsomol“) u. a.: „Mitunter wird die Frage aufgeworfen, ob die Behauptung, die Religion sei schädlich, heute veraltert sei. Ist doch die Kirche dem Sowjet-regime gegenüber loyal eingestellt, sind doch sämtliche bekannte Führer der orthodoxen Kirche aktive Kämpfer für den Frieden — ist es da nicht an der Zeit, die Einstellung zur Religion zu ändern und sie nicht mehr für eine reaktionäre Ideologie zu halten?" Die Antwort ist unmißverständlich: „Der Wandel im Verhalten der Diener der Kirche zum Sowjetstaat hat sich unabhängig von der Religion ergeben. Die Religion selbst war und ist auch heute noch etwas Schädliches.

Soweit sie den Gluaben an Gott predigen, sind die Diener der Kirche Schädlinge ..."

Am 22. 9. 195 5 erklärte Chruschtschow in einem Interview, das er einer französischen Delegation gewährte, über die Toleranz der Regierung für die Kirche: „Das bedeutet aber nicht, daß die Kommunisten ihre Haltung gegenüber der Religion geändert hätten. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß die Religion Opium für das Volk ist. Je mehr Menschen von diesem Opium befreit werden, um so besser für den Fortschritt. Nur sind wir der Meinung, daß diese Befreiung nicht gewaltsam erfolgen darf. Man muß mit der Überzeugung arbeiten und mit dem Appell an die Vernunft.“

Das KP-Organ „Partijnaja Ziznj" (Das Partei-leben) befaßte sich 1958 (Nr. 22) ausführlich mit dem Verhältnis der Kommunistischen Partei zur Religion und stellte u. a. fest: „Die Kommunistische Partei hat ihr Verhältnis zur Religon als einer tief reaktionären, den Interessen der Werktätigen fremden Ideologie längst festgelegt . . . Wie in der Zeit vor der Revolution so hat die Partei auch danach keinerlei tolerante Einstellung zur religiösen Ideologie zugelassen und stets eine kämpferische atheistische Position bezogen . . . Die Religion war und bleibt auch weiterhin eine reaktionäre Ideologie, die das Bewußtsein der Werktätigen nur vernebelt.

Gerade deshalb ist die Aufgabe des ideologischen Kampfes gegen die Religion die konstante Aufgabe der Kommunistischen Partei, eine Aufgabe, die so lange gültig bleiben wird, wie es religiöse Überbleibsel gibt."

Die vorstehend aufgeführten Aussagen, aus denen hervorgeht, daß die Sowjets um kein Jota weniger religionsfeindlich geworden sind, ließen sich ohne Mühe ergänzen und erweitern.

Die von gewissen protestantischen Kreisen in Übereinstimmung mit der heimatlosen Linken in Deutschland verbreitete Meinung, mit Chruschtschow habe in der Sowjetunion ein Tauwetter begonnen, das auch der Religionsausübung zunehmend Freiheiten ermögliche, wird durch die sowjetische Kirchenpolitik der jüngsten Zeit widerlegt. Am 18. 7. 1961 fand in Moskau wieder ein Bischofskonzil statt, welches auf Wunsch der Sowjets wesentliche Änderungen des Kirchenstatuts von 1945 beschloß. Das neue Statut steht unter dem zentralistischen Motto: Stärkung in der Spitze, Schwächung in der Gemeinde. Als ständige Mitglieder traten zur Synode (neben die drei Metropoliten von Kiew, Leningrad und Krutizy) der Leiter der Patriarchatsverwaltung und der Vorsitzende des Außenamts des Patriarchats, wodurch das Moskauer Patriarchat — die Kontaktstelle zur Sowjetregierung! — nicht nur vermehrte administrative und außenpolitische Befugnisse erlangt, sondern auch gegenüber der Kirche selbst autoritärer und schneller handeln kann. Im Sinne dieses Zentralismus werden — woran dem Regime besonders gelegen zu sein scheint — die Befugnisse der Gemeindegeistlichen beträchtlich gemindert. Diese werden auf Grund des neuen Reglements nicht mehr vom Bischof eindesetzt, sondern von den Gemeinden gewählt (der Bischof erteilt nachher Segen und Vollmacht), sie gehören auch nicht mehr zum Kirchenrat und haben keinerlei administrative Kompetenzen mehr, sondern sind praktisch weiter nichts als Zelebranten des religiösen Ritus — wie dies auch im Dekret der Sowjetregierung von 1929 vorgesehen war. „Die früher von einigen Beobachtern getroffene Feststellung, das Kirchenstatut 1945 setze entsprechende Paragraphen des Dekrets von 1929 außer Kraft, weil .seit der neuen Verständigung zwischen Kirche und Staat vom Januar 1945 das innere kirchliche Leben offiziell nunmehr der kirchlichen Verfügungsgewalt unterliege'(Hildegard Schäder in , Die Zeichen der Zeit', 1954, S. 464), beginnt sich als überholt zu erweisen. Die Praxis hat solche Beurteilungen der kirchlichen Lage in der Sowjetunion schon früher Lügen gestraft."

Auffallend ist auch das Kesseltreiben gegen die Geistlichkeit, das etwa seit 1960 wieder deutlich geworden ist. Die Kommunisten „bezwecken mit den öffentlichen Anprangerungen und Gerichtsverfahren gegen Geistliche eine Schwächung der Kirche, wobei sie sich weitgehend wieder politischer Argumente bedienen und mehr und mehr zu den Methoden der früheren Verfolgungen zurückkehren. Es ist heute erwiesen, daß die Schließung des Seminars von Stawropol und die Verhaftung des Erzbischofs Hiob von Kasan politischen Motiven entsprang . . . Die verantwortlichen Leiter des Seminars Stawropol sowie Erzbischof Hiob gehörten jener Geistlichkeit an, die sich in der Emigration, in Polen oder unter deutscher Besetzung im Kriege frei entfalten konnte und nach Rückkehr in die Heimat bzw. Wiederherstellung der Sowjetherrschaft in den besetzten Gebieten beträchtlich zur Auffrischung des russischen Klerus beitrug, als die Kirchenorganisation seit dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut werden konnte. Diesem Personenkreis lassen sich leicht frühere antisowjetische Äußerungen und Handlungen nachweisen, die nun als Grundlage für seine Terrorisierung dienen.“

II. Das Moskauer Patriarchat im Dienste der Sowjets

Die in letzter Zeit erkennbar gewordene Verschärfung des Kampfes gegen die Religion im Innern der Sowjetunion ändert noch nicht das geringste an der fortdauernden Ausnutzung des Moskauer Patriarchats durch das Regime.

Was die Sowjets damit bezwecken, daß sie die Russische orthodoxe Kirche gegen den billigen Entgelt bescheidener Privilegien in ihre Dienste genommen haben, wird aus der Rolle ersichtlich, die das Moskauer Patriarchat seit dem Zweiten Weltkriege spielt.

Ohne weiteres begreiflich ist, daß die Kirche während des Krieges den Widerstandswillen der Bevölkerung zu stärken hatte und auch gegenwärtig den Gläubigen Treue zum Sowjetregime predigen soll.

Was der Staat von der Kirche will, ist damit allerdings ebensowenig erklärt, wie die Erwartung der Kirche von der ihr übertragenen Mission. Die Zusammenhänge werden verständlicher, wenn das universale Sendungsbewußtsein der Russischen orthodoxen Kirche als des „Dritten Rom“ ebenso in Betracht gezogen wird wie die staatskirchliche, nationalrussische und panslawistische Tradition, die zum Wesen dieser Kirche gehören. Zur Idee des „Dritten Rom" bekennt sich das Moskauer Patriarchat in aller Offenheit. Erzbischof Antonius schrieb in der Zeitschrift des Patriarchats (1946, Nr. 9): „Moskau ist das Dritte Rom, es ist das Symbol der weltweiten Idee der Sammlung als Gegengewicht gegen das Papsttum mit seinem Streben nach geistiger Autokratie und seinen wahnsinnigen Träumen der Weltherrschaft". Im selben Geiste erklärte Metropolit Nikolaus von Krutizy am Jahrestag der Inthronisierung des Patriarchen am 4. 2. 1946: „Die orthodoxen slawischen Kirchen betrachten heute den Patriarchen von Moskau und ganz Rußland als das Haupt der ganzen orthodoxen slawischen Kirche

Bekundungen dieser Art könnten in beliebiger Menge angeführt werden. Aus ihnen wird mit unmißverständlicher Deutlichkeit erkennbar, wonach die Moskauer Kirche strebt:

1) Hegemonie über alle orthodoxen slawischen Kirchen;

2) Moskau als Zentrale einer die Welt umspannenden ökumenischen Bewegung:

3) Bekämpfung der römisch-katholischen Kirche als des historischen Hauptfeindes der Orthodoxie. Es bedarf kaum einer ausführlichen Begründung, weshalb diese Zielsetzung vorzüglich in das Konzept der sowjetischen Außenpolitik hineinpaßt, und zwar sowohl im Bereich des Ostblocks wie gegenüber der nichtkommunistischen Welt.

Während die Religion im Inneren der Sowjetunion nach wie vor unterdrückt wird, erhält die Aktivität des Moskauer Patriarchats außerhalb der Grenzen des bolschewistischen Imperiums in Übereinstimmung mit den Plänen des Kreml jede erforderlich scheinende technische und materielle Unterstützung. Ins Ausland reisende Beauftragte des Patriarchats werden von den diplo-matischen Missionen der UdSSR betreut, beraten und selbstverständlich auch angewiesen und kontrolliert.

Die wichtigsten Aktionsbereiche des Moskauer Patriarchats werden im folgenden aufgeführt:

Instrument der kommunistischen Unterdrückung Nachdem die Russische orthodoxe Kirche auf ihre Weise den Sowjets behilflich gewesen war, den Krieg zu gewinnen, leistete sie auch in den neu annektierten Gebieten sowie in den Landern, die in den kommunistischen Machtbereich geraten waren, wertvolle Dienste zur Festigung der sowjetischen Herrschaft.

Die als unierte Kirchen bestehenden katholischen Gemeinschaften des orientalischen Ritus hatten die härteste Verfolgung bis zur Vernichtung zu erdulden. Hierbei waren sich Sowjetregime und Russische orthodoxe Kirche im Endziel völlig einig. Den Sowjets ging es darum, die unierte Kirche als geistige Widerstandsbasis des ukrainischen Nationalismus aus dem Wege zu schaffen, währen die Russische orthodoxe Kirche Gelegenheit bekam, die von ihr als Häretiker angesehenen Unierten nach jahrhundertelangem Kampf mit Gewalt zur „Rechtgläubigkeit" zurückzuführen.

Alexius forderte bereits bald nach seiner Wahl zum Patriarchen die katholischen Westu k r a i n er auf, sich von Rom zu lösen und der Russischen orthodoxen Kirche anzuschließen. Er erklärte in seinem Appell, die Wiedervereinigung der Gesamtukraine mit Rußland erfordere auch die Erneuerung der religiösen Einheit wie sie einst bestanden habe.

Sein Zusammenspiel mit den Sowjets wurde noch vor Kriegsende unter Beweis gestellt. Im April 1945 wurden in der Westukraine die unierten Bischöfe und unzählige andere unierte Geistliche (allein in der Diözese Lemberg etwa 500) verhaftet und die unierte Kirche damit praktisch gelähmt. Nach einer Welle von Terror und Propaganda ließen die Sowjets vom 8-— 9. 3. 1946 in Lemberg eine „Synode der greichisch-katholischen Kirche" tagen, welche die Union von Brest-Litowsk (mit Rom, 1596) kündigte und den Anschluß an die Russische orthodoxe Kirche beschloß.

In der Karpato-Ukraine, dem ehemaligen Südostzipfel der Tschechoslowakei, seit 1945 der UdSSR einverleibt, vollzog sich die Liquidierung der griechisch-katholischen Kirche unter ähnlichen Umständen. Der Terror setzte 1944 mit dem Einmarsch der sowjetischen Armee ein und führte am 28. 8. 1949 zur „Rüdekehr“ der Unierten in die Orthodoxie des Moskauer Patriarchats.

Einige Monate später griff das Moskauer Patriarchat bereits über die Landesgrenzen. Nach einer vorbereitenden Reise des Metropoliten Nikolaus von Krutizy, Anfang 1950, in die Tschechoslowakei wurde am 28. 4. 1950 von einer nach bewährtem Muster arrangierten „Synode" der unierten Diözese Preschow (Slowakei) die „Rückkehr in den Schoß der Moskauer Mutterkirche“ beschlossen.

Das Beispiel des Moskauer Patriarchats, die Kirche dem Staat zu unterwerfen und sich weitgehend mit dem kommunistischen Regime zu identifizieren, machte in Rumänien Schule. Dort setzte 1948 eine brutale Verfolgung der unierten Kirche ein. Der „Übertritt“ der Unierten zur Orthodoxie fand am 3. 10. 1948 statt.

Moskau, Orthodoxie und kommunistische Friedensbewegung Auch das Streben der Russischen orthodoxen Kirche, Moskau zum Mittelpunkt der gesamten Orthodoxie zu machen, kann den Sowjets nur willkommen sein.

Am „Allrussischen Konzil" in Moskau vom 31. 1. — 3. 2. 1945 nahmen die Patriarchen von Alexandrien, Antiochien und der Katholikos (Patriarch) von Georgien teil, sowie Vertreter aller übrigen Patriarchen, was im Kreml mit der gebührenden Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen wurde. Die Patriarchatszeitschrift („Schurnal Moskowskoi Patriarchii". 1945, Nr. 2) schrieb: „Dieses Konzil sprengt den Rahmen eines Lokalkonzils. Durch seine Zusammensetzung nähert es sich dem Typ der ökumenischen Konzilen der orthodoxen Kirche.“

Nach diesem verheißungsvollen Ereignis setzte bereits einige Monate nach Kriegsende eine auffallend lebhafte Reisetätigkeit russisch-orthodoxer Kirchenoberer Im Ausland ein und wurde dort von den sowjetischen diplomatischen Missionen oder den Repräsentanten der sowjetischen Besatzungsmacht intensiv unterstützt. Der Metropolit Gregor von Leningrad begab sich nach Helsinki, der Erzbischof Photius von Orel und Brjansk nach Wien und Prag, Bischof Sergius von Kirowograd nach Belgrad, Patriarch Alexius nach Sofia — es folgten Reisen des Metropoliten Gregor nach Syrien, Palästina, Ägypten und schließlich nach Nordamerika, es fanden Gegenbesuche von Vertretern der anderen orthodoxen Kirchen in Moskau statt. Die russisch-orthodoxen Dele-gationen „verfolgten drei deutlich wahrnehmbare Ziele: 1. Sicherung der führenden Stellung der Moskauer Patriarchie unter den orthodoxen Landeskirchen, d. h. in Osteuropa und auf dem Balkan, 2. Herstellung freundschaftlicher Beziehungen zu andersgläubigen Kirchen in Europa und den USA, 3. Beseitigung von . Kirchenspaltungen', d. h.

verschiedener Jurisdiktionen der von der Moskauer Patriarchie abgefallenen russischen ausländischen Kirchen.

Diese Ziele wichen natürlich in nichts von den Zielen der Sowjetpolitik in der Beziehung ab, daß sie praktische Möglichkeiten der Infiltrierung und der Einflußnahme im Rücken fremder, befreundeter und feindlicher Staaten eröffneten" Als neue Gelegenheit, die gesamte Orthodoxie in Moskau zu versammeln, brachte das Patriarchat außerdem die Abhaltung einer panorthodoxen Kirchenkonferenz für das lahr 1947 in Vorschlag.

Es scheint, daß das Moskauer Patriarchat überall dort, wo es nicht von der Sowjetmacht exekutiv unterstützt werden konnte, nur zu Teilerfolgen seiner Bestrebungen kam. Die wenig bedeutenden orthodoxen Kirchen von Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn unterordneten sich dem Moskauer Patriarchat, die orthodoxen Patriarchate von Bulgarien und Rumänien und die Kirche von Albanien stellten engste Beziehungen zu Moskau her, aber die serbische Kirche zeigte Widerstand und sogar die kleine orthodoxe Kirche in Finnland entzog sich geschickt den russischen Bemühungen und blieb in der Jurisdiktion des Patriarchen von Konstantinopel.

Der panorthodoxe Kongreß mußte, obwohl die Einladungen bereits hinausgeschickt waren, für 1947 wegen Widerstandes der bedeutendsten orthodoxen Kirchen, vor allem der Patriarchen von Konstantinopel und Alexandrien, wieder abgesagt werden und kam erst 1948, anläßlich der 500-Jahrfeier der * ‘bständigkeit des Moskauer Patriarchats, zustande. Am Kongreß nahmen Delegationen fast aller orthodoxen Kirchen teil, wobei die Russen sich sehr bemühten, durch massive Angriffe gegen das Papsttum eine einmütige Stimmung zu erzielen. In der Sondernummer der Zeitschrift des Patriarchats, die anläßlich des Kongresses herausgegeben wurde, heißt es, die römische Kurie habe zu den beiden Weltkriegen gehetzt und bereite jetzt aktiv den dritten vor. Von den Protestanten Amerikas wird gesagt, daß sie den Gebrauch der Atombomben billigen (die UdSSR war 1948 noch keine Atommacht!), und die ökumenische Bewegung sei abzulehnen, weil sie aus der Kirche — im Widerspruch zur Absicht Christi — ein politisches Werkzeug mache

Die Einbeziehung des Moskauer Patriarchats in die kommunistisch gelenkte . Weltfriedensbewegung" wurde bereits damals deutlich. Der Patriarch nahm im Juli 1948 den panorthodoxen Kongreß zum Anlaß, im sowjetischen Sinne an die Friedensliebe der Gläubigen zu appellieren, sandte im August desselben Jahres eine Delegation zum „Weltkongreß der 'ulturschaffenden zum Schutze des Friedens" nach Breslau und ließ im April 1949 den Metropoliten Pikolaus von Krutizy auf dem „Ersten Weltkongreß der Friedensfreude" in Paris auftreten. Die Russische orthodoxe Kirche fehlt seitdem auf keiner nennenswerten Vernstaltung derselben politischen ichtung und ist mit Erfolg bemüht, die pazifistischen Intellektuellen diesseits des Eisernen Vorhangs durch eine geschickt vorgetäuschte moralische Autorität zu beeindrucken.

Das „Schurnal Moskowskoi Patriarchii“ schreibt hierüber 1954 (Nr. 11) in aller Offenheit:

„Damals betrachteten sehr viele aktive Mitglieder der westlichen christlichen Kirchen die Bewegung der Friedensfreunde als ein nur für die Sowjetunion günstiges politi-sches Moment. Doch als Metropolit Nikolaus von der Tribüne des Kongresses herab die Friedensliebe des russischen Volkes bestätigte und an die Schrecken und Folgen des letzten Krieges erinnerte, wandten sich viele Gläubige des Westens den Friedens-freunden zu und erkannten ihre christliche Pflicht — den wahnsinnigen Anstiftern einer neuen Massenvernichtung unentwegt zu trotzen. “

Aber noch in einer anderen Hinsicht gibt es eine Kongruenz der Ziele des Moskauer Patriarchats und des Kreml. In der freien Welt bestehen russisch-orthodoxe Exilkirchen, die die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats nicht anerkennen und damit zum stärksten, vielfach sogar einzigen seelischen Rückhalt der antikommunistischen Emigration geworden sind. Die Gewinnung der Emigranten für die Kirche des Moskauer Patriarchats — und damit über kurz oder lang für die Sowjetunion selbst — ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges ein gemeinsames Bemühen von Kirche und Staat. Hierauf wird später näher eingegangen werden.

Moskauer Patriarchat und Protestantismus Ein Kapitel besonderer Art ist die Beziehung der Kirche des Moskauer Patriarchats zu den protestantischen Kirchen.

Die bestehenden konfessionellen Gegensätze hatten — wenn von der Russifizierungsperiode in Finnland und im Baltikum (Ende des 19. Jahrhunderts) abgesehen wird — niemals die Schärfe angenommen wie in der Auseinandersetzung zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche. Im Gegenteil: „Die Mitarbeit der orthodoxen Kirche an der ökumenischen Bewegung und am Weltkirchenrat hat eine lange Vorgeschichte, die auf die Zeit der Reformation zurüdereicht und die eine wichtige Phase der Entwicklung der Orthodoxie selbst widerspiegelt. Bereits in der Reformationszeit erfolgte die Aufnahme von direkten Beziehungen zwischen deutschen reformatorischen Theologen und dem Patriarchen von Konstantinopel ... Besonders stark war die Annäherung der russischen und auch der griechischen orthodoxen Kirche an den deutschen Protestantismus in der Zeit des Pietismus. Die Hauptinitiative ging von Peter dem Großen aus ..." Ebenso geht die Annäherung der Russischen orthodoxen Kirche an die anglikanische Kirche bereits auf das 18. Jahrhundert zurück.

Für die Russische orthodoxe Kirche ist ein Motiv dieser Annäherung ohne Frage die gegen Rom bezogene Kampfstellung, die nach Bundesgenossen suchen läßt. Der andere, wesentliche Grund ist der Wille der Orthodoxie, ökumenisch zu sein. Richtungweisend für das Moskauer Patriarchat sind überdies die politischen Wünsche der Sowjets.

In der Beziehung des Patriarchats zum Protestantismus wird daher die allgemeine weltpolitische Entwicklung deutlich erkennbar. Während des Zweiten Weltkrieges bestanden freundschaftliche Kontakte zwischen der anglikanischen und der russischen Kirche. Sie verschlechterten sich radikal während des Korea-Krieges. Die Protestanten blieben zwar weiterhin um gute Beziehungen bemüht, aber das Moskauer Patriarchat zeigte den Kirchen der am Korea-Konflikt beteiligten Westmächte die kalte Schulter. Auf einer Sitzung des Weltfriedensrates in Berlin im Februar 1951 sagte Metropolit Nikolaus von den Amerikanern: „Es ist eine wahre Gotteslästerung vom christlichen Standpunkt aus, daß diese Leute sich selbst Christen nennen“ Der Umschwung trat erst 195 3 nach dem Tode Stalins ein, als die Sowjets außenpolitisch zur Offensive des Lächelns übergingen und auch die Kirche wieder vorschickten. In Deutschland hatte bereits im Jahre 1947 Kirchenpräsident Martin Niemöller den Kontakt mit dem Moskauer Patriarchat empfohlen, aber auch er mußte sich noch einige Jahre gedulden, bis er Anfang 1952 seine Reise in die Sowjetunion antreten konnte.

Der Kreml-Taktik bzw.der allgemeinen politischen Lage entsprechend hatte das Moskauer Patriarchat 1948 eine Einladung zur ökumenischen Konferenz in Amsterdam zurückgewiesen. Das Moskauer Patriarchat bediente sich der Sprache des Kalten Krieges: „Aus dem Nest des Protestantismus, Amerika, hören wir Segens-sprüche für einen neuen Krieg, Hymnen zur Verherrlichung der Atombombe und ähnlicher Erfindungen zur Zerstörung des menschlichen Lebens.“ Audi eine Einladung des Erz-bischofs von Canterbury wurde 1950 schn" de abgelehnt. 1953 aber wurde alles anders. Der Fahrplan der Ost-West-Beziehungen im kirchlichen Bereich sieht jetzt folgendermaßen aus 1953, Oktober: Der anglikanische Kanonikus Stockwood fährt nach Moskau und stellt die freundschaftliche Beziehung des Erz-bischofs von Canterbury mit dem Patriarchen wieder her. 1954, Frühjahr: Der Metropolit Nikolaus von Krutizy fährt nach Ost-Berlin und lädt die Evangelische Kirche Deutschlands ein, eine Delegation nach Moskau zu senden. 1954, Juni: Die Delegation der EKD, geführt von Dr. Gustav Heinemann, fährt — inoffiziell — nach Moskau. 1954, November: Eine Delegation der anglikanischen Kirche besucht das Moskauer Patriarchat. 1955, März/April: Der Metropolit Nikolaus von Krutizy besucht zusammen mit zwei orthodoxen Theologen auf Einladung der Brüdergemeinde der rheinischen Pastoren die Bundesrepublik. Vorträge.

Empfang durch Bundespräsident Heuss. 1955, Juni: Eine weitere Gruppe anglikanischer Geistlicher in Moskau. Positive Eindrücke. 1955, Juni: Abordnung des niederländischen Ökumenischen Kirchenrates in Moskau.

Kritische Beurteilung. 1955, Juli: Eine russische Delegation, geführt vom Metropoliten Pitirim von Minsk, in London. Empfänge repräsentativer Art und theologische Gespräche. 1955, August: Eine neue deutsche Delegation, geführt von Präses Heinrich Held und Präses Ernst Wilm, fährt nach Moskau. 1955, August: Auch die dänische lutherische Kirche schickt unter Führung von Primas Dr. Fuglsang-Damgaard eine Delegation nach Moskau. Damit erste Kontaktaufnahme mit den protestantischen Kirchen der skandinavischen Länder. 1956, Februar: Der Metropolit Nikolaus von Krutizy in Oslo. Versuch einer Kontakt-herstellung mit der norwegischen Kirchenleitung wird ein Fehlschlag. 1956, März: Eine Delegation des Nationalrates der amerikanischen protestantischen Kirchen, geführt von ihrem Präsidenten Dr.

Eugen C. Blake, in Moskau. 1956, April: Eine Delegation der schwedischen Baptisten in Moskau.

1956, Juni: Gegenbesuch einer Delegation des Moskauer Patriarchats in den USA. Kontakt in sachlich-nüchterner Atmosphäre. 1956, Juni: Russische Theologie-Professoren halten auf Einladung von Präses Dr.

Held Vorträge in der Bundesrepublik, u. a. im Auditorium Maximum der Bonner Universität, über die Freiheit der Kirche in der UdSSR. 1956, Juli: Eine anglikanische Abordnung, geführt vom Erzbischof von York, Dr.

A. M. Ramsey, in Moskau. Fortsetzung der vor einem Jahr in London aufgenommenen theologischen Gespräche. 1956, August: Eine Delegation der Vereinigten (protestantischen) Kirchen Kanadas in Moskau. 1956, September: Der lutherische Bischof von Island, Asmundur Gudmundsson, in Moskau.

Hier tritt ein neuer Umschwung ein: in Ungarn kommt es zum Volksaufstand gegen die kommunistischen Unterdrücker. „Der Nationalrat der amerikanischen protestantischen Kirchen, die deutschen Präsides Held und Wilm und die dänischen lutherischen Bischöfe Fuglsang-Damgaard und Jensen richten an den Patriarchen Alexius die Bitte, bei der Sowjetregierung für die Ungarn zu intervenieren. Die Antwort muß für sie eine schwere Enttäuschung gewesen sein. Es mögen ihnen die Augen aufgegangen sein über die Bedeutungslosigkeit der Moskauer Hierarchen. Alexius antwortete, er könne die merkwürdige Bitte seiner . lieben Brüder in Christus’ nur in der Annahme begreifen, daß sie sich durch falsche Nachrichten hätten täuschen lassen. Gemäß der Erklärung der Sowjetregierung vor der 11. Vollversammlung der Vereinten Nationen . entbehre die Nachricht, daß die Sowjetunion jemanden unmenschlich behandelt habe, jeder Grundlage. ’"

Es kam zu einer merklichen Abkühlung der Beziehungen. Im Jahre 1957 ging lediglich eine christliche Jugendabordnung aus dem Westen nach Moskau, um dort am kommunistischen Jugendfestival teilzunehmen und bei dieser Gelegenheit auch einen Empfang beim Patriarchen zu erleben. 1958 aber scheint alles wieder vergeben und vergessen zu sein. Die Besuche und Gegenbesuche beginnen von neuem.

Das Patriarchat hatte inzwischen auch seine ablehnende Haltung gegenüber der ökumenischen Bewegung — in Abstimmung mit der „weichen" Taktik der sowjetischen Außenpolitik — geändert. Die Initiative ging von den Protestanten aus, vom hessischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller mit besonderem Eifer geschürt. Als der Weltkirchenrat nach dem Kongreß in Evanston 1954 an den Moskauer Patriarchen herantrat, kam bereits ein sehr freundliches Antwort-schreiben. Der Weltkirchenrat äußerte daraufhin am 5. 8. 1955 den Wunsch, die Russische orthodoxe Kirche möge sich an der ökumenischen Bewegung beteiligen, was Metropolit Nikolaus als Chef des Außenamtes dieser Kirche am 30. 12. 195 5 mit noch unverbindlicher Konzi-lianz zur Kenntnis nahm. 1956 aber wurde die Werbung des Weltkirchenrates vom Patriarchat erhört. Er entschloß sich zur Entsendung einer Delegation, um über die Aufnahme in den Weltkirchenrat zu verhandeln. Hierzu kam es allerdings — wegen der Ereignisse in Ungarn — erst im August 1958 in Utrecht, wobei eine Übereinstimmung in grundsätzlichen Fragen erzielt werden konnte. Praktisch nahm die Zusammenarbeit damit bereits ihren Anfang, wobei das Moskauer Patriarchat bemüht war, einesteils antikatholische Tendenzen in die ökumenische Bewegung hineinzutragen, andererseits Thesen der sowjetischen Außenpolitik in die Beschlüsse des Welt-kirchenrates zu infiltrieren.

Die Krönung der Kontaktbemühungen fand auf der ökumenischen Tagung in Neu Delhi (3. Vollversammlung des Weltrates der Kirchen, 19. 11. -6. 12. 1961) statt: die Aufnahme der Russischen orthodoxen Kirche in den Weltkirchenrat wurde mit großer Mehrheit beschlossen. Der Weltrat hörte damit auf, seinem Wesen nach eine Vereinigung des Welt-protestantismus zu sein.

Das Geschehnis kann von Martin Niemöller als ein bedeutender persönlicher Erfolg verbucht werden. Sein Werk fand in Neu Delhi entsprechende Würdigung: er wurde an Stelle von Bischof Dibelius zum Vertreter der kontinentaleuropäischen Kirchen ins Präsidium des Welt-kirchenrates gewählt, nachdem er seit 1946 dem Exekutivausschuß angehört hatte. Über Verlauf und Ergebnis der Konferenz von Neu Delhi ist in der Tagespresse ausführlich berichtet worden. Als bemerkenswert, allerdings kaum überraschend, muß die deutliche Tendenz zum Neutralismus — und damit auch zu den politischen Ideen Niemöllers — hervorgehoben werden, die auch im offiziellen Bericht des Weltkirchenrates Ausdruck findet. Es steht dort u. a.: „Die Kirchen haben die Pflicht, in diesem gefährlichen Augenblick die Nationen vor weiteren provokativen Handlungen in der Berliner Situation zu warnen. Beispiele, die erwähnt werden könnten, sind: jeder Versuch, West-Berlin vom Osten oder vom Westen zu isolieren; oder die Ausrüstung der Bundeswehr mit Kernwaffen.“ Es heißt, daß die russische Delegation diesem Passus erst nach vorheriger Anfrage bei der Botschaft der UdSSR zugestimmt habe. Die Vertreter des Patriarchats zeigten überhaupt sehr viel diplomatisches Geschick und machten es ihren Freunden im protestantischen Lager leicht, die gemeinsam angestrebten Entscheidungen vorzubereiten.

Unter den Protestanten gibt es nicht wenige, denen der mit Moskau geschlossene Pakt ernste Sorgen macht. Bischof Lilje hat sich sowohl bereits in Neu Delhi wie auch später („Sonntagsblatt“. 31. 12. 1961) kritisch geäußert, Propst Asmussen warnte schon immer vor der Kollaboration mit Moskau und auch Bischof Dibelius zeigt Skepsis. Wieweit die Gruppe um Niemöller und Held, die theologisch Karl Barth nahesteht, tatsächlich im Auftrage ihrer Landeskirchen handelt, gilt als umstritten. Ein Gefühl des Mißbehagens und der Unsicherheit erfaßt alle Menschen, die sich nicht der elementaren politischen Erkenntnis verschließen, daß es zum Wesen des Kommunismus gehört, sämtliche Lebensbereiche zu durchdringen und jede Regung der marxistisch-leninistischen Ideologie nutzbar zu machen. Die Kirche ist hiervon nicht ausgenommen. Sie wird von den Sowjets als Werkzeug ihrer Außenpolitik gebraucht, um die öffentliche Meinung in der freien Welt zu beeinflussen und im Sinne der kommunistischen „Friedensbewegung“ von der Unterdrückung der Menschenrechte und der Religion in der Sowjetunion abzulenken.

Exilkirchen und Emigration Nachdem die Sowjets in der Zeitspanne zwischen Oktoberrevolution und Ende des Zweiten Weltkrieges die Emigration in ihrer Gesamtheit erbittert bekämpft und allenfalls einzelne Exilrussen zu Agentendiensten angeworben hatten, änderte sich das Bild mit dem Jahre 1945. Sowjetische Emissäre, unter ihnen auch Vertreter des Moskauer Patriarchats, erschienen in den damals noch mit der UdSSR verbündeten oder befreundeten Ländern und offerierten dem Exil einen Sowjet-Patriotismus, der sowohl die Möglichkeit einer straffreien Rückkehr in die Heimat erschloß wie den weiteren Verbleib im Auslande — als sowjetische Patrioten. Die in jenen Jahren im Westen weitverbreitete Ansicht, die Sowjetunion habe sich inzwischen zu einem Rechtsstaat entwickelt, ließ tatsächlich auch in der Emigration eine sowjetpatriotische Bewegung entstehen, die allerdings schon bald an Bedeutung verlor und heute nur noch in einigen Ländern, wie z. B. in Belgien, mit einem beträchtlichen materiellen Aufwand von sowjetischer Seite am Leben erhalten wird.

Zweifellos haben die politischen Ereignisse (Berlin, Korea usw.) wesentlich dazu beigetragen, die Vorstellung von der Sowjetunion zu korrigieren. Stärkster seelischer Rückhalt der politisch zerrissenen und auch in der Herkunft sehr differenzierten (drei verschiedene Emigrationswellen) russischen Flüchtlinge war und blieb jedoch die E x i 1 k i r c h e.

Das Vorhaben des Moskauer Patriarchats, die Exilkirchen wieder in die eigene Jurisdiktion zu bringen, deckte sich daher von Anfang an mit den Wünschen und Plänen der Sowjets. Metropolit Nikolaus von Krutizy wurde bereits im Spätsommer 1945 nach Frankreich geschickt, wohnte in der Botschaft der UdSSR in Paris und trat gegenüber den Oberen der Exilkirche in einer Weise auf, die in ihm sowohl den Repräsentanten des Patriarchats wie den Politfunktionär erkennen ließ. Es machte Eindrude und brachte auch Erfolg.

Die Bedeutung der orthodoxen Diaspo i zeigt sich bereits an der Tatsache, daß sie mit 3 bis 4 Millionen Gläubigen rechnen kann, davon etwa 2, 6 Millionen in den USA. Die russisch-orthodoxe Kirche des Exils ist allerdings sehr aufgespalten. Ihre Existenz begann — abgesehen von verschiedenen orthodoxen Religionsgemeinschaften, die bereits im 19. Jahrhundert in Amerika entstanden waren — 1921 mit der Bischofssynode in Karlowitz in Jugoslawien (daher auch die vielfach gebrauchte Bezeichnung „Karlowitzer Kirche“), obwohl das von Metropolit Anastasius geleitete Gremium sich erst 1927 auch förmlich von der Moskauer Jurisdiktion löste. Es war allerdings schon 1926 zu einer Spaltung gekommen: der Metropolit der Exil-kirche in Frankreich, Eulogit , hatte sich von der Bischofssynode gelöst Er unterstellte sich 1931 der Jurisdiktion des Patriarchen von Konstantinopel.

Sitz der synodalen Exilkirche blieb bis zum Zweiten Weltkrieg Karlowitz. Er wurde dann nach München und von dort 1950 nach New York verlegt. Ihr Oberhaupt ist nach wie vor Metropolit Anastasius. Neben dieser synodalen Exil-kirche besteht die sogenannte Nordamerikanische Russische Metropolie unter Metropolit Leontius. die seit 1950 ebenfalls unabhängig ist und gegenwärtig die meisten Anhänger zählen dürfte.

Der erste Einbruch gelang dem Moskauer Patriarchat in Frankreich, wo Nikolaus von Krutizy 1945 den Metropoliten Eulogius sowie den Vertreter der synodalen Kirche, Metropolit Seraphim, zur Rückkehr in die Moskauer Jurisdiktion überreden konnte. Als Eulogius 1946 starb, kam es zu einer Spaltung In seinem noch vor der Wiedervereinigung mit Moskau verfaßten Testament war der Bischof Wladimir von Nizza zum Nachfolger bestimmt worden, wogegen das Moskauer Patriarchat Seraphim beauftragte. Wladimir erklärte die Unterordnung unter Moskau für ungültig, da der Patriarch von Konstantinopel hierzu keine Zustimmung gegeben habe, stellte die Beziehungen zu ihm wieder her und wurde 1947 zu dessen Exarchen und zum Metropoliten ernannt. Moskau verurteilte dieses Vorgehen als ungesetzlich, die Spaltung blieb.

Auch in Amerika konnte das Moskauer Patriarchat Zwistigkeiten stiften. Ein Konzil der orthodoxen Russen, das im November 1946 in Cleveland tagte, erkannte den Patriarchen von Moskau als geistliches (nicht als administratives) Oberhaupt an und brach die Beziehungen zur synodalen Exilkirche ab. Der Kontakt der Nordamerikanischen Russischen Metropolie mit Moskau verschlechterte sich jedoch in den folgenden Jahren derart, daß es 1950 zum völligen Bruch kam. Die Metropolie ist seitdem selbständig.

In Westdeutschland, wo die russisch-orthodoxen Gemeinden mit wenigen Ausnahmen zur synodalen Exilkirche gehören (für die Bundesrepublik ist russisch-orthodoxer Ober-hirte Erzbischof Alexander; er amtiert in München), kam das Moskauer Patriarchat während der ersten Nachkriegsjahre noch nirgends zum Zuge. Eirz in München vom 26. 4. — 9. 5. 1946 durchgeführte Bischofskonferenz rückte von Moskau ab. Das Patriarchat konnte sich zunächst nur in der sowjetischen Besatzungszone festsetzen.

Als mit dem Übergang zum „Kalten Krieg" die erste Etappe der Bemühungen des Moskauer Patriarchats um Exilkirche und Emigration abgeschlossen war, mußte auch der Kreml die Aktion trotz einiger Teilerfolge als im großen und ganzen mißlungen ansehen.

Nach dem Tode Stalins kamen neue Methoden zur Anwendung. Während die Sowjets eine Zeitlang die Rückkehr möglichst vieler Emigranten in die Heimat anstrebten, um danach zur Taktik der Gewinnung von Sowjetpatrioten im Ausland überzugehen, begann das Moskauer Patriarchat mit dem gezielten Einsatz eigener Geistlicher diesseits des Eisernen Vorhanges.

Hierbei wurde im allgemeinen darauf verzichtet, Staatsangehörige der UdSSR in das westliche Ausland zu senden und dadurch den Möglichkeiten des Entzuges der Aufenthaltsbewilligung oder gar eines Abschubes vorgebeugt. Das Patriarchat verwendet vorzugsweise solche Priester, die selbst als Emigranten ins Ausland gegangen sind und dort Asylrecht haben, inzwischen aber für Moskau gewonnen werden konnten. Der zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland (München) amtierende Priester des Patriarchats, Susemil, ist sogar australischer Staatsangehöriger.

Der Erfolg des Einsatzes eigener Priester (die Bildung von Kirchengemeinden der Moskauer Jurisdiktion in den westlichen Asylländern) stellt sich tatsächlich dort ein, wo die Geistlichen des Patriarchats als Persönlichkeiten den Priestern der Exilkirche überlegen sind. Für den zur Zeit in München amtierenden Priester des Patriarchats trifft dies nicht zu, aber seine Ersetzung durch einen geeigneteren Mann steht bevor und außerdem der Einsatz von mehreren weiteren Priestern im Bundesgebiet.

Das Moskauer Patriarchat betrachtet Gesamt-deutschland als ein Bistum und strebt — Informationen aus orthodoxen Kreisen zufolge — zur Aufteilung der Bundesrepublik in fünf Kirchen-sprengel. Sitz des Bistums ist Ost-Berlin; der gegenwärtig dort amtierende Bischof heißt Johann.

Als Beispiel für die skrupellose Verschlagenheit der Sowjets sei in diesem Zusammenhang erwähnt, daß sie im westlichen Auslande die Priester des Moskauer Patriarchats sogar Gedenkgottesdienste für die von den Kommunisten ermorderte Zarenfamilie abhalten ließen, u. a. auch in München.

Die russisch-orthodoxe Exilkirche in der Bundesrepublik Deutschland glaubt Anlaß zu ernster Sorge zu haben. Sie existiert von Zuschüssen des Bundes, der EKD und des Weltkirchenrates. Der letztgenannten Institution gehört seit kurzem auch die Kirche des Moskauer Patriarchats an, die EKD arbeitet mit dieser Kirche ebenfalls zusammen. Noch hat das Moskauer Patriarchat keinen Druck ausgeübt, um der Exilkirche die Unterstützung von protestantischer Seite zu entziehen. Die Frage lautet trotzdem: wie lange noch? Die Exilkirche in die Moskauer Jurisdiktion zu bringen, bleibt unabdingbares Ziel des Patriarchats und die damit zwangsläufig verbundene Zielsetzung der russischen politischen Emigration Ziel der Sowjets. Audi die jüngste Aktivität des Moskauer Patriarchats innerhalb der Orthodoxie ist mit dieser Zielsetzung verbunden. Im Rahmen einer panorthodoxen Kirchenkonferenz auf Rhodos (23. 9. — 1. 10. 1961) bemühte sich Patriarch Alexius, dem „ökumenischen Patriarchen" von Konstantinopel, Athenagoras L, zu überreden, die in Frankreich befindliche Metropolie unter Wladimir aus seiner Jurisdiktion zu entlassen, d. h.der Moskauer Jurisdiktion zu überantworten. Es heißt, daß Athenagoras, bisher ein Hort des antikommunistischen Exils, nachgiebiger gestimmt werden konnte.

Erweiterte außenpolitische Aufgaben Der Metropolit Nikolaus von Krutizy hat anscheinend trotz 17jähriger eifriger Arbeit im Sinne der außenpolitischen Forderungen des Kreml den in ihn gesetzten Erwartungen nicht entsprochen. Er wurde im Sommer 1960 aus unbekannten Gründen von dem heute 3 3jährigen Bischof Nikodim ersetzt. Nikodim hat inzwischen durch seine Linientreue zu erkennen gegeben, daß er innerhalb des Moskauer Patriarchats der Mann des Kreml ist.

Von Nikodim vorbereitet, bereiste der Moskauer Patriarch vom 25. 11 — 30. 12. 1960 den Nahen und den Mittleren Osten. Ihm und seiner Delegation stand hierfür ein Sonderflug-zeug der Sowjetregierung zur Verfügung. Die Aufmerksamkeit, die die sowjetische Presse dieser Reise widmete, beweist bereits das unmittelbare außenpolitische Interesse des Kreml.

Patriarch Alexius besuchte Ägypten, Syrien, den Libanon, Jordanien, die Türkei und Griechenland. Er traf sich mit den Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem, dem Erzbischof von Griechenland, dem Patriarchen der Koptischen Kirche — und mit offiziellen Vertretern der genannten Staaten, vor allem mit Repräsentanten der VAR. Das größte politische Entgegenkommen fanden die Russen in Damaskus beim Patriarchen von Antiochien Theodosios VI. (einem gebürtigen Araber), während der Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras L, der in der Orthodoxie als „der älteste der Verehrung nach“ gilt, noch Zurückhaltung zeigte.

Die Reise diente zugleich der Vorbereitung einer panorthodoxen Konferenz auf Rhodos (23. 9. bis 1. 10. 1961), welche wiederum die Abhaltung eines panorthodoxen Konzils vorbereiten sollte. An der Konferenz auf Rhodos nahmen 70 geistliche Würdenträger von 16 autokephalen bzw. autonomen orthodoxen Kirchen teil. Jede Erörterung der Frage der Gläubigen im kommunistischen Machtbereich unterblieb, der Moskauer Vorschlag einer — kommunistischen — „Friedens" -Deklaration“ fand allerdings ebenfalls keine Annahme. Nikodim soll von Athenagoras verlangt haben, daß die synodale Exilkirche entweder in die Moskauer Jurisdiktion zurückkehre oder zu einer Sekte erklärt werde. Eine Entscheidung kam anscheinend noch nicht zustande.

Wieviel Gläubige?

Abschließend wäre noch ein Problem zu erwähnen, über das im Westen Unklarheit herrscht. Wieviele Gläubige hat die Russische orthodoxe Kirche?

Diese Frage kann exakt nicht beantwortet werden, weil in der UdSSR hierüber keine Statistiken geführt werden. Würdenträger des Moskauer Patriarchats, denen die Sowjets genehmigt haben, im Auslande aufzutreten oder Ausländern Interviews zu geben, behaupten, es gäbe 50 Millionen Gläubige. Gelegentlich hört man sogar von 100 Millionen Orthodoxen in der Sowjetunion. Behauptungen dieser Art sind jedoch völlig aus der Luft gegriffen und durch nichts zu belegen. Soweit sie von sowjetischer — staatlicher oder kirchlicher — Seite kommen, verraten die Zahlen ganz unverkennbar die Absicht, die westlichen Verhandlungspartner zu beeindrucken — und hinsichtlich der Religionsausübung in der UdSSR zu täuschen. Die 100-Millionen-Zahl nähert sich der Bevölkerungsziffer des gesamten russischen Volkes — und widerlegt sich damit selbst!

Deutschen Protestanten wurde im Juni 1954 in Moskau gesagt, es gäbe 70 Diözesen, 20 000 Kirchen und 40 000 Priester Diese Zahlen sind ebenfalls nicht nachkontrollierbar und kaum glaubwürdiger als die oben genannten, denn 1941 hatte es nach offiziellen Angaben nur noch 5 665 Priester gegeben Woher soll der Priesternachwuchs gekommen sein — über 34 000 in nur 13 Jahren! —, da es 1941 noch keine theologischen Seminare gab?

Richtig ist nur, daß es in der Sowjetunion noch Millionen Menschen gibt, die eine echte Frömmigkeit in die Kirche führt — und das ist für die Sowjets der Grund, sich die Russische orthodoxe Kirche botmäßig zu machen. Der Pakt zwischen Kreml und Patriarchat konnte besiegelt werden, weil diese Kirche der Wahrheit aus dem Wege geht ...

Anlage

Die führenden Persönlichkeiten des Moskauer Patriarchats Patriarch Alexius Bürgerlicher Name: Sergej Wladimirowitsch Simanskij. Geboren 1877. Entstammt einer aristokratischen russischen Familie. Absolvierte das Gymnasium in Moskau, studierte danach Rechtswissenschaft und promovierte mit einer Arbeit über Internationales Recht. Begann 1899 das Theologiestudium an der Moskauer Geistlichen Akademie, wurde 1902 Mönch und erhielt 1903 die Priesterweihe. Lehrtätigkeit in Priesterseminaren, zuletzt Rektor des Priesterseminars in Nowgorod. 1913 Weihe zum Bischof. 1926 Erzbischof von Nowgorod. Nach der Oktoberrevolution Gegner der von den Sowjets inszenierten sog. „Lebendigen Kirche". 1933 Metropolit von Leningrad. Gesinnungsumschwung zugunsten der Sowjets spätestens mit Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges 1941. Predigte der Bevölkerung von Leningrad während der Belagerung durch die Deutschen Durchhalteparolen; erhielt dafür einen hohen Sowjetorden. Nach dem Tod des Patriarchen Sergius ab Mai 1944 Patriarchatsleiter, seit Februar 1945 „Patriarch von Moskau und ganz Rußland". Die Wahl zum Patriarchen erfolgte durch Akklamation und war somit nicht frei; Alexius galt als der Kandidat Stalins. Nannte Stalin den Weisen, von Gott gesandten Führer und Lehrer der Völker der Sowjetunion, der Rußland auf dem alten heiligen Weg der Macht, der Größe und des Ruhmes führt; „sein Name sei gepriesen!" 1952 (75. Geburtstag von Alexius) Verleihung des „Ordens der Roten Fahne der Arbeit*

Metropolit Nikolaus Bürgerlicher Name: Boris Dorosejewitsch Juraschewitsch. 1892 in Litauen geboren, vermutlich weißruthenischer Herkunft. Besuchte das Gymnasium in Kaunas, studierte Mathematik und Naturwissenschaften in Petersburg, danach Theologie an der Petersburger Geistlichen Akademie. Wurde 1914 Mönch, empfing 1922 die Bischofsweihe und wurde 1935 Erzbischof von Nowgorod und Pskow. Nach der Besetzung Ostpolens 1939 durch die Sowjets Ernennung zum Exarchen der West-Ukraine und nach Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges zum Metropoliten von Kiew und Halitsch. Flüchtete vor den Deutschen nach Moskau, predigte der Bevölkerung Durchhalteparolen und erhielt hierfür von den Sowjets die „Medaille für die Verteidigung Moskaus“. Wurde Mitglied der vom Ministerrat der UdSSR eingesetzten Kommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen“ im besetzten Rußland Veröffentlichte im November 1942 eine Erklärung in der Sowjetpresse, in welcher er die Deutschen „leibhaftige Mißgeburten mit menschlichem Antlitz, geschworene Feinde des Christentums“ nannte. Nach Rückeroberung von Kiew durch die Sowjets wurde Nikolaus Metropolit von Krutizy (ein Kloster bei Moskau) und damit der orthodoxen Kirchentradition zufolge der wichtigste Würdenträger nach dem Patriarchen. Ernennung zum Leiter des Außenamts der Russischen orthodoxen Kirche erfolgte bereits 1943. In dieser Eigenschaft nach 1945 zahlreiche Auslands-reisen, wobei die Beauftragung durch die Sowjets stets im Hintergrund erkennbar war. Im Juni 1960 mußte Nikolaus aus unbekannten Gründen sein Amt als Leiter des Außenamts der Kirche niederlegen.

Bischof Nikodin Bürgerlicher Name: Boris Rotow. Geboren 1928 oder 1929. Studierte am Pädagogischen Institut von Rjasan, wurde Mönch und absolvierte 1955 die Leningrader theologische Akademie. Von 1957 bis 1959 zuerst Mitglied, danach Leiter der Geistlichen Mission der russischen orthodoxen Kirche in Jerusalem. 1960 — damals noch im Rang eines Erzpriesters — Ernennung zum Leiter des Außen-amts des Moskauer Patriarchats an Stelle des Metropoliten Nikolaus. Kurz danach Weihe zum Bischof von Podolien (unter Beibehaltung des soeben erwähnten Amtes). Gilt seit der Zurückstellung des Metropoliten Nikolaus als der Mann des Kremls innerhalb des Moskauer Patriarchats und als dem Sowjetregime absolut ergeben.

Russisch-orthodoxe Kirchen in den Großstädten der UdSSR Die nachstehende Zusammenstellung zeigt am Verhältnis der Einwohnerzahlen sowjetischer Großstädte zu der Anzahl der dort vorhandenen Kirchen wie geringfügig die Möglichkeiten religiösen Lebens tatsächlich sind. In Leningrad gab es 1954 auf 100 000 Einwohner nur 1 Kirche, in Magnitogorsk — einer sowjetischen Neugründung — auf je 135 000 Einwohner nur eine Kapelle! Ort Einwohnerzahl Kirchen Moskau 4 137 000 55 (bis 1917: 675) Leningrad 3 191 300 10 (1929 noch 155) Kiew 840 300 26 und 5 Klöster Charkow 833 400 3, darunter 1 Kathedrale für 8 000 Personen Ort Einwohnerzahl Kirchen Odessa 605 000 23 Swerdlowsk 425 544 2 Kasan 402 000 2 Woronesch 327 000 2 Tula 272 000 2 Magnitogorsk 270 000 2 Kapellen Astrachan 254 000 4 Irtutsk 243 000 4 Mariupol 222 000 4 Krasnojarsk 190 000 3 177 000 1 Kapelle Murmansk Ischewsk 175 740 2 Tambow 121 285 2, davon 1 Wald kapelle Orel 111 000 3 2 Kostroma 104 000 Ulianowsk 102 106 2

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ernst Benz: Geist und Leben der Ostkirche, Hamburg 1957, S. 136.

  2. Hans von Rimscha: Geschichte Rußlands, Wiesbaden o. J., S. 296.

  3. Alexander Kischkowsky: Die sowjetische, Re gionspolitik und die Russische Orthodoxe Kir München 1960, S. 65.

  4. Ebenda, S. 72.

  5. . Pravda o religii v. Rossii*, Verlag des Moskauer Patriarchats 1942, s 15— 17.

  6. Alexander Kischowsky: Die sowjetische Religionspolitik und die Russische Orthodoxe Kirche, München 1960, S. 79.

  7. . Große Sowjetische Enzyklopädie”, 1957, Bd. 40, S. 214.

  8. Zeitschrift des Moskauer Patriarchats, Jhrg. 1944, Nr. 1, aus W.de Vries: . Kirche und Staat ...'S. 28.

  9. Herder-Korrespondenz, Freiburg, Februar 1962.

  10. Zitiert nach A. Kischowsky: . Sowjetische Religionspolitik . . , *

  11. . Russkije Nowosti*, Paris 30. 9. 1955.

  12. Herder-Korrespondenz, Freiburg, Februar 1962.

  13. Ebenda.

  14. Wilhelm de Vries: Kirche und Staat in der Sowjetunion, München 1958, S. 53

  15. Alexander Kischowsky: Die sowjetische Religionspolitik und die Russische Orthodoxe Kirche. München 1960, S 97

  16. Wilhelm de Vries, Kirche und Staat in der Sowjetunion, München 1959, S. 83

  17. Ernst Benz: Geist und Leben der Ostkirche, Hamburg 1957, S. 163.

  18. Zeitschrift des Moskauer Patriarchats, 1951, Nr. 3.

  19. Sondernummer der Patriarchatszeitschrift zum Kongreß 1948.

  20. nach W.de Vries: Kirche und Staat in der Sowjetunion, München 1959, S. 180 ff.

  21. Wilhelm de Vries: Kirche und Staat in der Sowjetunion, München 1959, S. 184.

  22. Hildegard Schäder in: Kirche in der Zeit, August 1954, S 157.

  23. Wilhelm de Vries: Kirche und Staat in der Sowjetunion, München 1959, S. 16.

  24. Zeitschrift des Moskauer Patriarchats, 1948, Nr. 8.

  25. W. Haugg: Die politische Situation der orthodoxen Kirche in Sowjetrußland, in: Die Wandlung I (1945/46) S 911.

  26. Aus „Le Probleme religleux en URSS“ in „La Documentation Francaise“, Paris 9. 10. 1954.

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