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Erziehung, Wissen, Bildung | APuZ 39/1959 | bpb.de

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APuZ 39/1959 Europas Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern Erziehung, Wissen, Bildung

Erziehung, Wissen, Bildung

Walther Liese

Ist das Erziehungswesen schon jemals so unentwegt wie in diesem zweiten Drittel unseres Jahrhunderts Gegenstand von Veröffentlichungen, Aussprachen und Tagungen gewesen und hat sich irgendwann die breite Öffentlichkeit daran so interessiert gezeigt wie heute?

Eltern und Pädagogen erörtern unentwegt Schultypen und Unterrichtspläne, einesteils aus Sorge, daß die Kinder überfordert werden, und dann wieder, ob der Unterricht modern und umfassend genug ist. Die berufsbildenden Schulen sehen sich reformerischer Kritik gegenüber, die auf eine völlige Neuordnung hinausläuft und bei den Hochschulen die Aufrechterhaltung des Auftrages berührt, der Lehre und Forschung zu dienen. Die Erwachsenenbildung, die sich relativ spät als öffentlich förderungswürdige Angelegenheit durchgesetzt hat, krankt noch immer am Zweifel über das anzustrebende Ziel, zumal bei den Hörern der Volkshochschulen offenbar die Tendenz stärker hervortritt, Gebiete zu bevorzugen, die beruflichen Nutzen versprechen, weniger einer Verbreiterung des allgemeinen Wissens kommen.

Die Tradition

Erziehungsfragen gingen zwar eine jede Zeit an, mit stärkerer influenzierender Wirkung blieb das aber auf Kreise beschränkt, die sie von Berufs wegen interessieren mußten. Erst wenn es um Grundsatz-regelungen ging, von denen die Gesellschaftsstruktur berührt werden konnte, pflegte größere Breitenwirkung zu entstehen, wie beispielsweise um 1900 bei der Gleichstellung der Oberrealschule mit dem Gymnasium oder bei der um ungefähr dieselbe Zeit erfolgten Verleihung des Promotionsrechtes an die Technischen Hochschulen.

Die Bildungsstätten für die große Masse blieben weitgehend unberührt. Sie waren die vertrauten, öffentlichen, pflichtmäßigen Volksschulen auf der Grundlage der Muttersprache und ohne Gliederung nach Berufszielen. Sie schienen ihre Aufgaben im großen und ganzen gut zu erfüllen, so daß Reformgedanken wie die Kerschensteiner’schen Arbeitschulen auf wenig fruchtbaren Boden sieln, die bekanntlich die durch die Naturwissenschaften, die Technik und die industrielle Entwicklung sich anbahnenden Veränderungen der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse für das pädagogische Denken und Handeln nutzbar machen wollte.

Noch kürzlich sind Äußerungen gefallen, wonach diesen Schulen nur das bescheidene Ziel zuzugestehen wäre, jedem Rechnen und Schreiben beizubringen. Es ist der Ausdruck des alten Wunsches, genügend Hände für untergeordnete Arbeit zu behalten. Bildung durch Wissen war das Exzeptionelle; es galt mit Geburtsprivilegien verknüpft mit Ausnahme der Talentbegnadeten, die zum Erfolg jedoch meist des Glückes mäzenatenhafter Förderung bedurften.

Die eigentliche Ursache für die Unruhe, die unser Erziehungswesen erfaßt hat, kommt aus dem für eine innerlich nicht bewältigte Zeit symptomatischen Zweifel, ob die überkommenen Leitmotive überhaupt richtig gewesen sind. Ist es nicht vielleicht aber auch so, daß zwischendurch unsere Hoffnung auf Bewährung des einzelnen und sogar der Gesellschaft allzu lange an ein möglichst umfassendes Wissen geknüpft worden war, so daß die beklagte Zersplitterung der heutigen Lebensformen und der menschlichen Verhaltungsweisen im ganzen nichts anderes als die Folge der mit der Zeit erfolgten Verschiebung des Schwergewichtes aller Erziehung nach der Wissensseite ist?

Die Menschen mit Wissen sind dabei fraglos zahlreicher geworden, wofür die gesellschaftliche Aufwärtsentwicklung der Maßstab ist. Sind anfänglich dabei überwiegend ideelle Motive im Spiel gewesen, so tritt jetzt wieder eher das Bestreben hervor, sich möglichst nur anzueignen, was für ein späteres materiell günstiges Leben notwendig erscheint. Die Freude an der Leistung, an der eigenen Entwicklung, am Wirken an sich, tritt zurück gegenüber dem mit der Arbeit zu erzielenden Entgelt und der angestrebten wirtschaftlichen Sicherung. Die Studenten sogar haben bis dahin unbekannte, fast so etwas wie eine Verbeamtung bedeutende Wünsche zur Studienfinanzierung vorgebracht. Man will keine Risiken eingehen und hat genug zu tun, die Unsicherheit der lebensbeherrschenden Technik gegenüber zu zügeln, deren Ergebnisse zwar gern benutzt, deren Wesen aber als so sphinxhaft empfunden wird, daß die dadurch ausgelösten emotionellen Störungen des Menschen berechtigen, im Antlitz unseres Jahrhunderts alle Zeichen der Verängstigung zu erblicken.

II. Veränderte Welt

Was so als mehr oder weniger klare, subjektive Empfindung jeden ergriffen hat, ist letztlich das Ergebnis einer langen Entwicklung, in deren Verlauf sich allenthalben die Erkenntnis durchsetzt, was es seit der Ablösung des Handwerks durch die industrielle Fertigung mit dem damit zusammenhängenden, wachsenden Auseinanderklaffen von Hand-und Kopfarbeit wirklich auf sich hatte. Hier ist der Ursprung des mit zunehmender Besorgnis konstatierten Zustandes der immer größeren Beziehungslosigkeit zwischen naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Denkorientierung. Von einem Führungsanspruch des Geistigen ist keine Rede mehr, dessen förderungswürdige Existenzberechtigung geradezu in Frage gestellt wird. Lind mehr: Infolge der in unserem Jahrhundert erfolgten und vorher niemals gekannten Überwindung von Zeit und Raum rückten die Völker einander sehr nahe. Ihre unterschiedliche Art zu leben, wurde deutlich; Bewunderung, Kritik, auch Ablehnung der fremden Lebensstile fordern Vergleiche heraus, führen zum • Nachdenken über die Ursachen und drängen nach Einsichten, was anderswo und wie es geschieht, um diese Menschen so geformt zu haben, wie sie uns als Bürger, Fachleute, Konkurrenten, Freunde und Feinde begegnen.

Dabei treten Motive von polarer Gegensätzlichkeit ins Bewußtsein. Selbst wenn vom Glauben an eine immerwährende wirtschaftliche Prosperität eine betont materialistische Grundauffassung herrscht, ist es ein gewaltiger LInterschied, ob sie aus freiwilliger Bejahung, so zu leben, oder durch obrigkeitlichen Zwang zustande kommt. Beidemal aber entsteht jenes unpersönliche Leben, das Gesellschaftsordnungen mit ihrem Hang zur Konzentration zur Kollektivierung der Interessen und zum Abtreten der persönlichen Interessenwahrnehmung an Organisationen und Fachverbände entspricht. Das Kollektiv mit eigenem Interessenegoismus übernimmt Aufgaben, die eigentlich und besser in Einzelentscheidungen gelöst werden sollten. Immer häufiger steht am Ende der Ruf nach der Regelung von Staats wegen. Es gerät in Vergessenheit, daß der Staat nur einspringen soll, wo der einzelne seine Bedürfnisse nicht durch Selbsthilfe oder freiwilligen Zusammenschluß befriedigen kann. Schließlich wird sogar alles, was zur Reifung der Individualität mit ihrer Neigung zur Abstraktion von der Gesellschaft beitragen könnte, verdächtig; es wird beargwöhnt und bekämpft. Nicht las Individuum soll zur Vollendung und Erfüllung kommen; das Gattungshafte wird als wegleitendes und Vorrang besitzendes Prinzip angesehen:

Dieses Leben im Kollektivdenken hat das Bewußtsein der sittlichen Verantwortung für das Gemeinwohl keineswegs geschärft. Es existiert zwar ein betonteres Gemeinschaftsdenken im öffentlichen, vor allem vielleicht im politischen Leben, vornehmlich freilich der Nivellierung dienend, wo ein aus der Freiheit des Geistes hervorgegangener Bürger-stolz und die daraus entspringende Initiative zur persönlichen Verantwortung nichts gilt. Wo noch freier Geist die Öffentlichkeit aufhorchen läßt, bedrückt er durch seinen Zynismus, seine Unbändigkeit und Sittenlosigkeit. Für den ausweisenden Anspruch als Intellektueller wird gern eine gewisse dialektische Fähigkeit hingenommen, Begriffe mit einer Elastizität bis zur Identität der Gegensätze handhaben zu können. Echte sittlich gezügelte Freiheit des Geistes, in der sich das verantwortungsbewußte Interesse zeigt, das der einzelne den öffentlichen Angelegenheiten schenkt, macht seltener von sich reden und ist dennoch die unerläßliche Voraussetzung für die Entstehung neuer Gedanken, denen eine nicht formalistisch erstarrende Gesellschaft nicht entraten kann. Alles, was der Idee der Individualität zugute kommt, ist gesund und alles, gefährlich, was der Gattung eine eigene Existenz gibt und den Begriff der Gesamtheit erhöht (A. v. Tocqueville um 1840), weil hier am Ende der Verlust der Fähigkeit steht, überhaupt noch eine Entscheidung zu treffen.

Erziehungsprinzipien

Erziehung war ursprünglich identisch mit dem Zwang zur Aneignung gewisser Kenntnisse und Fähigkeiten fürs praktische Leben. Später mußte nicht etwas, es mußte mehr, schließlich Spezielles gewußt werden. Zur Bildung im Sinne eines selbstträchtigen Organismus führte das nicht und wurde auch nicht angestrebt.

Erziehung zum guten Menschen kann fehlendes Wissen nicht ersetzen, Wissen andererseits ist kein Ersatz für sie. Ein kenntnisreicher und hervorragender Fachmann kann unerzogen sein. Das verrät sich, wenn Bewährung nötig ist, die mehr als bloße Anwendung von Wissen für bestimmtes materielles Gelingen verlangt. Wo allein Wissen die Ursache für ein rasches Durchlaufen der sozialen Stufenleiter ist und nicht durch Erziehung die Fähigkeit zur geistigen Akklimatisierung, also zur seelischen Bewältigung der neuen Stellung vorgebildet worden ist, kommen von übersteigertem Selbstbewußtsein getriebene Menschen heraus, die keine harmonischen Kontakte mit ihren Mitarbeitern und Untergebenen unterhalten können. Die Ausbreitung und Aneignung von Wissen könnte also durchaus geringer eingeschätzt werden als die Vermittlung von Fähigkeiten, sich der menschlichen Gesellschaft anpassen zu können, ohne anzustoßen, ohne sich und andere in Konflikte zu bringen. Die Kehrseite einer überbetonten Heranzüchtung von Kontakt-fähigen sind die Halbwissenden, diese typischen Erscheinungen unserer Zeit, die dank der durch Presse, Rundfunk und Fernsehen so überaus erleichterten Informationsmöglichkeit eine wachsende dominierende Rolle spielen. Das kann sich unheilvoll auswirken; diese Art von Wissen wird nicht mit Unrecht als Erzgefahr jeder Persönlichkeitsentstehung beargwöhnt.

Wurde zeitweise die für die Wissensaneignung aufzuwendende geistige Arbeit überbewertet, so droht heute ihre Unterbewertung. Wenn die Kommunisten den Adel des Menschen einzig in der Meisterung körperlicher Arbeit erblicken, so hat das machtpolitische Gründe. Ihre Gesellschaftsstruktur benötigt ein Heer vielseitig verwendbarer Arbeiter, die von jung auf so polytechnisch dressiert sind, daß sie als Industriearbeiter in den verschiedensten Produktionszweigen genutzt werden können. In der nichtkommunistischen Welt adelt sich das Ansehen des Menschen, der aus seinen geistigen oder körperlichen Fähigkeiten seinen Lebensunterhalt zieht, durch den Lebensstil, den der aus der Arbeit gezogene Nutzen erlaubt. Ein vermehrter Drang zur körperlichen Arbeit, etwa zur Werkstätte, ist festzustellen, weil hier mehr bezahlt wird als für eine geistige: Tätigkeit im Büro. Schmutzarbeit ist im Wert gestiegen, weil sich für sie weniger Hände finden. Der Dünkel als Wertmaßstab für die Arbeit ist in Tat und Wahrheit also nur so lange gültig, als ein sehr kleiner Teil der Gesellschaft mit sehr hohem Einkommen der großen Masse mit völlig unzureichendem Einkommen gegenübersteht. Sobald sich die Durchschnittseinkommen auf eine Höhe erheben, die an den lebensverschönernden Dingen der Produktion wunschgemäß teilnehmen lassen, wird es allenthalben uninteressanter, ob es Leute gibt, die noch, mehr vom Leben ergattern. Mit der Abkehr von der Klassenkampfideologie wird jede von der Art der Arbeit her begründete gesellschaftliche Klassifizierung hinfällig.

Wenn die Menschen aber sich der Menschen des einen Zieles wegen bedienen, so rasch und weitgehend wie möglich die Unterjochung der Natur unter ihren Willen zu erzwingen, so wünschen sie sich die dazu Benötigten Wissenschaftler, Lehrer, Techniker, Advokaten, Kaufleute, Klempner usw. im Zuchtergebnis des Berufskrüppels, wo der Wissenschaftler nur noch Probleme, der Techniker nur Konstruktionselement, der Lehrer nur Schüler, der Klempner nur Wasserleitungen und der Beamte einzig und allein Paragraphen sieht. Dabei ist eine Unzahl das einzelne Leben verlängernder und angenehmer gestaltender Zivilisationsinstrumentationen herausgekommen, die unbegrenzt ausweitbar erscheinen. LInter einem solchen Zwang kommen die Menschen dazu, mehr und mehr sich nur noch die nützlichen Eindrücke von den Dingen anzueignen, um in folgerichtigster Weise darauf zu reagieren. Wir leben im Jahrhundert der zweck-und leistungsbetonten menschlichen Tätigkeiten mit der Alleingültigkeit des eigenen Willens, größtmöglichen Nutzeffekt anzustreben, was zum imponierenden und dominierenden Daseinsinhalt geworden, ist und sicher solange widerspruchslos gelten, wird, als auf die dabei entstehenden großen materiellen Vorteile hingewiesen werden kann. Es muß geradezu vom Jahrhundert der Leistungsbesessenheit gesprochen werden. Sind wir dann berechtigt, die daraus sich ergebende standardisierte Begriffs-und Gefühlswelt als etwas Abnormes und Ungewolltes zu beklagen?

Verzweiflung durch Arbeit?

Für eine Erhöhung des Begriffes der Gesamtheit auf Kosten der Individualität sind Gesellschaftsstrukturen prädestiniert, die ihre Glieder zuerst und zuletzt aus dem Wesen der Arbeit begreifen. Hier gibt es Unterschiede, wenn aus idealistischer Grundhaltung auf eine mit der Arbeit bezweckte Vergeistigung abgezielt wird oder kraß materialistisch darauf ausgegangen wird, in der Arbeit allein Mittel und Wege zu sehen, die Natur und ihre Kräfte zum Nutzen der Gesellschaft botmäßig zu machen.

Wird darauf verzichtet, den Nutzen der Arbeit restlos der Bedürfnis-befriedigung zugute kommen zu lassen, so liegt ein sittlich höheres Prinzip zugrunde. Geschieht das nicht, so kommt die Kongruenz von Lebens-und Arbeitsordnung wie beim Bienen-und Ameisenstaat heraus, wobei es gleichgültig ist, ob sich das bloß auf den einzelnen Menschen bezieht oder die Gesellschaft wegen Ausweitung ihrer ehrgeizigen politischen oder wirtschaftlichen Ziele die Früchte aller Arbeit ihrer ausschließlichen Verwertung vorbehält. Im konsequenten Wohlfahrtsstaat ist die Situation keine andere, nur daß mit dieser Zielsetzung sittliche Ambitionen angemeldet sind, die nicht ohne weiteres abzutun sind. Das hierzu notwendige Vertrauen in eine Zukunft, die immer besser und vollkommener als die Gegenwart ist, setzt den Glauben an ununterbrochene wirtschaftliche Prosperität voraus. Unsicherheit und Angst entstehen, sobald Ereignisse registriert werden, die daran Zweifel aufkommen lassen. Der Zweifel schlägt in Verzweiflung um. Verzweiflung als Ergebnis eines Begreifens des Menschdaseins in der Arbeit? Wird die Fragwürdigkeit dieses Glaubenssatzes heute nicht eindrucksvoll vor Augen geführt und als zu dürftige Deutung des menschlichen Seins entlarvt?

Philosophie und Naturwissenschaften vermögen mit dieser Lebenshilfe nicht zu befriedigen, weil sie den Menschen in die Sackgasse des permanenten Widerspruchs zwischen Vergeistigung und Verungeistigung, von Gesittung und Verrohung, eben durch die Arbeit, geführt haben. Allein dem eigenen Willen entspringende Selbstverständlichkeit eines hybriden Rausches am technischen Fortschritt hat ihren Höhepunkt in selbstzerstörerischer Bedürfniserweckungen gefunden. Arbeit schlechthin macht den Menschen nicht gut; Tolstoi spricht vom Gegenteil, daß die Arbeit und der Stolz auf sie nämlich nicht nur die Ameisen, sondern auch die Menschen grausam mache.

Utopische menschliche Selbstgewißheit

Wie wenig vom Menschen Zuverlässiges zu wissen, man auch immer meinen kann, allgemein gültig und unverrückbar ist die Tatsache, daß seine weltliche /Existenz unabänderlich begrenzt ist. Zu was anderem kann es aber führen als zu dem immer neuen Staunen und Nachdenken über den Sinn seiner weltlichen Existenz? Deutung des irdischen Mensch-seins vermöchte dann allein der Glaube an seine „Gott-Ständigkeit" zu bieten, was seine „Selb-Ständigkeit" unvermeidbar ausschließt und die Selbstverständlichkeit des menschlichen Willens negieren heißt. Damit verbleibt ihm nur eine relative Freiheit bei den sich unentwegt stellenden Entscheidungen, wie er als Mensch leben und was er tun, also auch, ob und wie er seine Erfüllung in der Arbeit sehen will. Absolute Freiheit ist nur das Wesen Gottes (Brunner), und es hat in der Menschheitsgeschichte lange Perioden gegeben, in denen die Vorstellung von seiner Gott-Ständigkeit die Seinsdeutung und Daseinsgestaltung in glücklichster Weise beherrscht hat.

Ein für jedermann ergreifbares Leitseil, daß die menschliche Selbstgewißheit in der Lebensbewältigung befriedigt, muß eine Synthese der philosophisch-naturwissenschaftlichen Denkweise und des theologischen Motivs sein. Wie schwer es ist, zeigt ein Bekenntnis, das auf dem Philosophenkongreß 19 57 mit einer Gegenüberstellung der in Betracht kommenden Standpunkte abgelegt worden ist, nämlich daß der Mensch als Ebenbild Gottes tatsächlich das Ziel der gesamten Schöpfung sei, ebensogut aber eine Krankheit der Erde, ja ein bloßer unwahrscheinlicher Zufall sein könnte oder vielleicht ein einzigartiges Dasein darstelle, in welchem sich alles von Natur aus Seiende lichte, er womöglich nichts anderes als ein Rätsel sei, weil er weder bruchlos in der Welt aufgeht, noch einen überweltlichen Ursprung hat (Löwith).

Macht man sich die Auffassung zu eigen, daß der Mensch ein geistiges Wesen ist, daß der Natur als nicht welthaftes Sein gegenübersteht, so kann die Arbeit eben nur ein, wenn auch bedeutsamer Teil seines Wesens sein. In seinem „Doktor Schiwago“ läßt Pasternak aussprechen, daß der Mensch aus zwei Teilen bestehe: aus Gott und der Arbeit. Dann wäre also ein auf Kosten der Gesellschaft allein der Meditation gewidmetes Leben genau so unberechtigt und wertlos wie eines, das ausschließlich auf die Schaffung materieller Werte gerichtet ist. Es bedeutet kein unbedingt höherer sittlicher Grad einer Gesellschaft, welche die Menschen, die den Lebenszweck mit einem geringeren Aufwand von Arbeit erfüllbar meinen, gesteigerter Genußsucht und überspitzter Bedürfnisbefriedigung wegen zu vermehrter Arbeitsleistung zwingt, Das ist letztlich der Fluch der Kolonialären, in der die betroffenen Völker das Unglück hatten, auf Bodenschätzen zu sitzen, deren Ausbeutung am besten unter Verwendung der einheimischen Arbeitskräfte erfolgte. Für höheres sittliches Empfinden kann im Gegenteil sprechen, wenn eine Entwicklung der Technik abgelehnt wird, die, obwohl als Erfolg zielstrebiger wissenschaftlicher Arbeit der Aufrechterhaltung oder Verbesserung des allgemeinen Zivilisationsniveaus dienend, mit einer auf der Überzeugung vom nichtwelthaften Sein des Menschen gegründeten Auffassung unvereinbar ist.

Weltlicher Zwang

Immer bleibt der Mensch Teil der Welt und hängt in ihr von den durch ihn selbst geschaffenen LImständen und Bedingungen ab. Welt-hafte Korrekturen einer nichtwelthaften Lebensidee und umgekehrt sind in jedem Fall unerläßlich.

Art und Weise dieser Korrekturen sind für die europäische Welt andere als für die amerikanische oder asiatische. Folgt der Europäer als innerem Anruf dem Gesetz und der Pflicht, so sind beim Asiaten die Impulse weit mehr Willkür und Laune, beim Amerikaner eine utilitaristische Grundhaltung mit dem größtmöglichen Glück durch die größtmögliche Zahl.

In asiatischen Ländern mit oft lebensfeindlichem Klima gibt es hohe Bevölkerungsdichten. Eine Abwertung des einzelnen Lebens ist die Folge und höchstes religiöses Glaubensziel ist hier der Wunsch, im anonymen Allgemeinen aufzugehen.

Die Erschließung Nordamerikas beginnt mit der Einwanderung der Europäer zu einer Zeit, in der die Technik für die bei der Bezwingung des Landes zu leistenden Pionierarbeiten schon in großem Ausmaß nutzbar war. Die Größe der zu . bewältigenden Aufgaben führte zwangsläufig zu gesteigerter Anwendung stürmisch verbesserter Techniken. Diese stand also am Anfang und der Zwang zur materiellen Sicherung und Verbesserung des Lebens beherrschte die Menschen so sehr, daß sie kaum Muße und Neigung zu Reflexionen über die geistige Standort-besinnung hatten. Im Wesen aller Pionierarbeit liegt heute wie gestern der Anreiz, sich fürs Denken und Handeln zum Kollektiv, zum Team zusammenzuschließen. Die Entwicklung zur Individualität kommt hinterher, wobei ein Zusammenprall „konformistischer" und „nonkonformistischer“ Lebenspraxis unausbleiblich ist, wie wir es heute in der Tat beobachten.

Anders wieder in Europa. Hier sind in jahrhundertelangem Bes treben alle Voraussetzungen entstanden, die ein von den Naturgewalten unabhängigeres Leben erfordert. Schon früh konnte drängenden Bedürfnissen entsprochen werden,, zu einem vom Magischen, Mystischen, Symbolischen befreiten und auf objektives Erkennen gerichteten Denken zu gelangen, was mit der Pflege der Individualität so unausweichlich verknüpft war, daß schließlich in ihr die formenden und kulturellen Kräfte Europas wurzelten. Viel später, erst in neuester Zeit, kam es zur industriellen Revolution und zu der mit Hilfe fortschreitender Technik . ermöglichten Massenproduktion und deren sozialen Begleiterscheiseheinungen. Die Welt ist inzwischen zu klein geworden, um in Zukunft noch eine auf nationalpolitischen oder gesellschaftsideologischen Maximen beruhende Erziehung des Menschen betreiben zu können. Das ist leider keineswegs neu, und es ist beklemmend, an die Versäumnisse unseres Jahrhunderts zu denken, weshalb hier daran erinnert sei, was 1893 gelegentlich der Eröffnung der Tagung der „Deutschen Naturforscher und Ärzte“ von W. His ausgesprochen worden ist: „Fort und fort häuft die Menschheit ihren Schatz an Kenntnissen und Fertigkeiten jeglicfter Art, dabei wächst, wenn auch mit stossweiser Unterbredtung, die Tiefe menschlicher Einsicht in den Lauf der Nc. tur, in das eigene Wesen und in den Gang der Geschichte. Im Anwachsen begriffen ist aber auch, allen Störungen zum Trotz, die Macht der Überzeugung, daß das geistige Leben der Menschheit zu seiner stetigen Fortbildung eines harmonischen Ineinandergreifens der wirksamen Kräfte bedarf, daß es mit anderen Worten auf allgemeinen sittlichen Grundlagen sich aufzubauen hat, und daß einem jeden Einzelnen au seiner Stelle bestimmte Aufgaben der Gesamtheit gegenüber gesetzt sind. Von der Steigerung oder vom Niedergang dieser Überzeugung einer notwendigen Solidarität menschlichen Strebens hängt es ab, ob die W elt unserer geistigen Bewegung stetig fortzusdireiten vermag oder ob sie dem Gesetz der Periodität verfallen, und ob die im sdiweren Kampf der Vorfahren errungene menschliche Gesittung wiederum der Barbarei Platz madren muß.“

III.

Als Worte werden Erziehung, Wissen und Bildung nach wie vor für-und durcheinander gebraucht, und sie haben als Begriffe Gemeinsames. Das Gemeinsame liegt im Ergebnis, in dem, was sich zuletzt im Menschen beschlossen dartut, nicht darin, wie es dazu kommt. Zur Einheit in praktisch bedeutsamem Sinn werden sie, wenn es als Ausdruck des personalen Geistes zur überindividuellen Wirkung gelangt. Es gibt hier keine Rangordnung, weil jeder Begriff einen eigenen absoluten Rang besitzt. Auf den individuell-menschlichen Bezirk übertragen, ergibt sich eine Ähnlichkeit mit der Vorstellung von der Zivilisationsentwicklung, wo zuerst die Bewußtseinsaufhellung ist, dann die Entwicklung der Denkformen und der geistigen Objektwelt und schließlich der Niederschlag der denkerischen Bewältigung des Daseins in der äußeren Zivilisation und den Zivilisationsinstrumentationen (A. Weber).

Erziehung überwindet den triebhaften Zustand; als Ergebnis führt sie zur Charakterbildung, dem Schutzschild vor sich selbst. Mit dem Charakter bildet sich das Gefühl für Sittlichkeit, was Bereitschaft zur Unterordnung und zum Dienen bedeutet und schließlich zur fortschreitenden Verfeinerung des Pflichtbewußtseins führt.

Wissen läßt unterscheiden zwischen irrationalen Wertungen oder emotionalen Intuitionen und objektiv richtigen Erkenntnissen und Handlungen. Der durch Wissen geschärfte Verstand gewährt einen besseren Überblick über die Möglichkeiten zum Handeln, so daß Folgen und Fehler richtiger eingeschätzt werden können und mehr Sinn für die Proportionen der Dinge und Ereignisse besteht.

Bildung verschafft die Einsicht und die Kraft, zum Verstand die Vernunft hinzuzufügen, um die Harmonie der Schöpfung respektieren und ermöglichen zu können, mit der Unterwerfung der Natur moralisch Schritt zu halten. Bildung bedarf als ihrer Fundamente der Erziehung “ und des Wissens.

Familien-und Heimerziehung

Formal bildet jede Erziehung zur gesellschaftlichen Normalität heran, was aber nicht Erziehung zur Norm bedeutet, weil normativ nur ihr Leitbild ist als Funktion der wirksamen Gesellschaftsordnung. So genommen, ist das Leben eine einzige Erziehung, weil jeder zeitlebens veranlaßt ist, auf Zwang von außen in einer seiner Selbstgewißheit keineswegs immer entsprechenden Weise zu reagieren. Es ist schon sehr viel, wenn es auf Gewöhnung an Rücksichtnahme auf Grundlage der Gegenseitigkeit heraus kommt. In der Regel besteht nur eine relative Freiheit zum Entschluß. Mit der notwendigen Einpflanzung dieser Erkenntnis entsteht die Problematik der Erziehung.

Erziehung im engeren und üblichen Sinn ist Erzwingung der Unterwerfung unter einen fremden Willen, wie es in der Kindheit und in den Lehrjahren etwa bis um 18. Lebensjahr geschieht. Es ist die Lebensepoche, wo die Familie am wirkungsvollsten ist, und zwar dann besonders ausgeprägt, wenn Gehorsamkeit als Ausfluß einer differenzierten und selbstverständlich empfundenen Respektstellung den Eltern oder Erziehungsberechtigten gegenüber existiert und solange die Familie zugleich Lebens-und Arbeitsgemeinschaft ist. Die moderne Trennung vom Wohn-und Arbeitsplatz bei den Industriearbeitern, den Angestellten und auch bei den Intellektuellen hat die Familie zur bloßen Wohngemeinschaft werden lassen. Die Kinder haben zwar Eltern, aber kein zu Hause, weil das Familienleben in so gelockerter, ja unverbindlicher Form vor sich geht, daß zu viele von ihnen, ein Erwachsenendasein zu leben, gezwungen sind.

Jede Erziehung gibt unlösbare Probleme auf, wenn die Umwelt als anormal empfunden wird. Das ist der Fall, sobald das Kind, dessen früheste Umwelt die ihn umgebenden Menschen bilden, merkt, daß das Leben der Eltern und Erzieher keine harmonische Sein-Umwelt-Beziehung wiederspiegelt. Es empfindet, daß es der elterlichen Lebensführung an Sicherheit fehlt, die nur zustande kommt, wenn das Leben als erfüllt tätiges Dasein gemeistert wird. Statt dessen fühlen sie, wie der Tag mit seiner Lust und seiner Angst hingenommen wird, meist in stetem Wettlauf mit der Kapitulation vor immer neuen Bedürfnis-erweckungen, die schließlich die eigene Substanz und Kraft weit übersteigen. Die Hinwendung zur egoistischen, nach außen gerichteten Lebenstendenz läßt in der Familie nicht die für die Erziehung notwendige Kontaktwärme entstehen, was das Kind als anormal empfindet. Ob sich das aus staatlicher Regelung ergibt, wo der Zwang zur außer-häuslichen Arbeit für die Mütter aus der Gleichberechtigung der Geschlechter hergeleitet wird, oder eigenem Erwerbstrieb zur Sicherung eines materiell besseren Lebens entspringt, bleibt sich im Effekt gleich. Etwa jedes vierte bis fünfte Kind dürfte heute eine Mutter haben, die vollberuflich außerhalb des Hauses beschäftigt ist. Die normalisierende Lenkung des kindlichen Trieblebens, die sonst im Schoße der Familie in einer für das Kind stetigen Unbewußtheit vor sich gehen würde, muß so zufällig und unstetig werden.

Wo die Eltern das selbst empfinden, wird der Ausweg die Heimerziehung erwogen. Jede Art von Heimerziehung, auch die in den Kindergärten, erzielt gut eingedrillte Triebkorrekturen, entbehrt aber der innerlich überzeugenden Fundamentierung, so daß sie ignoriert werden, sobald es später unbequem ist. In den früheren Militärwaisenhäusern, LInteroffiziersschulen, Kadettenanstalten u. ä. Institutionen, auch heute noch in den Internaten, wird das kindliche Triebleben zweifellos gut gezügelt, wird — richtiger ausgedrückt — zielstrebig manipuliert. Nicht selten werden die für ein solches kollektives Erziehungsmilieu eigentümlichen, aus menschlichen Niederträchtigkeiten herrührenden Regungen zu den letztlich charakterbildenden Einflüssen. Ein solches Kind hat seine Jugend nicht gelebt; die Jugend ist vom Kollektiv gelebt worden. Dies ist allemal eine erfolgsträchtige Vorbereitung für das Leben in einer Gesellschaftsform, die eine möglichst willenlose Ein-und Unterordnung ihrer Glieder erwartet.

Anderer Erzieher wiederum meinen, nicht das Recht zu haben, gegen den Willen der Kinder in deren Leben durch Erziehung einzudringen, weil sonst seelische Traumen zu einer Verbiegung des menschlichen Charakters mit unheilvollen Folgen für den einzelnen und die Gesellschaft führen könnten. Schwerwiegend ist bei einer solchen Einstellung, daß versäumt wird, den Sinn für sittliches Verhalten im Kinde zu wecken, was unabdingbar ist, um später Selbstdisziplin und Gemeinschaftssinn, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit und als letztes und höchstes Respekt vor der Menschenwürde beweisen zu können.

Würde die Empfindung für sittliches Verhalten im Kinde nicht gelegt, so ist ihm ein Leitseil vorenthalten worden, das die gesamte Lebensorientierung von Anfang an erleichtert. Daraus erwächst allmählich die Widerstandskraft gegen die Versuchung, ein Spielball von Zeitgeistströmungen zu werden, für demagogische Verführung anfällig zu sein und das Leben auf Genuß und Verbrauch abzustellen. Fehlt diese Immunität, so ist der Rückfall in geistige Unmündigkeit unvermeidlich.

Die Familie ist immer, mit freilich zeitabhängiger, unterschiedlicher Hochschätzung, als natürliche Zelle aller Gesellschaftsformen der Menschen gewertet worden. Mitunter sieht sie als Ursprung möglichst zahlreicher Untertanen sich besonders umsorgt, wenn etwa aus politischem oder wirtschaftlichem Machtstreben an wachsender Bevölkerungszahl, also mehr an der Quantität als der Qualität, Interesse besteht. Stets wird sie als Faktor im Wirtschaftsleben, und zwar sowohl als Produktions-als auch als Konsumationselement in Rechnung gestellt. Die Selbstsicherheit der Familie kann sich im Einklang mit der jeweiligen gesellschaftlichen Ideologie befinden, zu ihr aber auch im betonten Gegensatz stehen und somit in der Gestaltung ihres Lebens sich weitgehend frei oder als Objekt konsequenter Eingriffe von außen fühlen. Je stärker die Familie nach Subsidien durch die Gesellschaft ruft, um so eher und mehr muß sie sich deren Wünschen fügen.

Kindergeld oder Mütterlohn?

Die „Union Internationale des Organismes Familiaux" hatte 195 8 ihren Kongreß unter das Generalthema „Wiederentdeckung der Familie durch die heutige Welt — Familie und Gesellschaft in wechselseitiger Verantwortung" gestellt. Hier sind einmal mehr alle Äußerlichkeiten zur Sprache gekommen, die in Ordnung sein müssen, wenn die Familie eine gesunde Sozialwelt darstellen soll. So muß der Ort gesichert sein, an dem sie sich etablieren kann, was Bereitstellung ausreichender Wohnungen heißt. Das aktuelle Freizeitproblem ist wesentlich ein Wohnungsproblem. Die Gesellschaft ist sich dieser Pflicht bewußt geworden; ihrer Erfolge beim sozialen Wohnungsbau kann sie sich rühmen. Dann geht es um gesicherte Einkommensverhältnisse, die nur bei geordneten Arbeitsverhältnissen erreichbar sind. Die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates macht deutlich, welche Anstrengungen in dieser Richtung gemacht werden. Alles das und manches andere fördert die Familienexistenz und begünstigt den Familiensinn, was aber erst tragfähig bleibt, wenn die seelische Verwurzelung stark genug ist. Die Durchsicht der Lebensläufe erfolgreicher Menschen, deren Weg ganz unten begonnen hat, zeigt, daß es wohl sich um kleine, aber eben um geordnete Verhältnisse gehandelt hat, denen sie entstammen.

Wer ist der Garant für geordnete Familienverhältnisse? Im Hinblick auf Jie Erziehung der Kinder bis in die Schul-und Lehrzeit hinein ganz zweifellos die Mutter. Auch heute erweist sich das Familienleben in der Regel geordnet, wo die Mutter entweder ausschließlich sich auf d’e Familie konzentrieren oder ihre Berufspflichten im Rahmen der Familie erfüllen kann. Es wäre Anreiz zu schaffen, den Familienmüttern außerhäusliche Berufspflichten uninteressanter zu machen. Das führt auf die bekannten Erwägungen um den Familienlohn, -dessen Kehrseite die mit ihm verbundene und nicht ohne weiteres gutzuheißende Durchlöcherung des Leistungslohnes ist. Es sollte erwogen werden, die Zuschüsse, die der Familie über das Kindergeld und über andere, wie den generellen Schulgelderlaß, zufließen, in eine Entschädigung an die Mütter als Ausgleich für freiwilligen Verzicht auf eigenen Arbeitslohn umzuwandeln. Das wäre auf den Zeitpunkt zu befristen, wo das letzte Kind die Schule verläßt, und der Höhe nach so zu bemessen, wie es dem Arbeitslohnverzicht entspricht. Weitere Kinder-bzw. Erziehungsbeihilfen müßten an das Auslaufen dieser Mütterentschädigung gebunden und sinnvoll darin eingebaut sein.

Wenn durchschlagender als bisher erreicht werden würde, daß die Mutter bei ihrem Kinde zu Hause bliebe, so wäre die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung eines harmonischen Erziehungsmilieus in denkbar bester Weise geschaffen. Die für die Mutter sich ergebende Unterbrechung des Berufslebens könnte zwar in mancher Hinsicht nachteilig, im Grunde aber weder für sie noch für den Arbeitsmarkt unüberwindlich sein. Lingeteilte Hingabe entweder an die Familie oder, wo diese es nicht mehr bedarf, an den Beruf, dürfte zu zufriedeneren und, weil weniger gehetzten, sogar leistungsfähigeren Menschen führen.

IV.

Die Schule leistet mehr, je besser erzogene Schulanfänger zu ihr kommen und je bruchloser die ersten Schuljahre der kindlichen leib-seelischen Organisation angepaßt sind. Da die Erziehung der Kinder vor der Schulzeit letztlich darin gipfelte, ihnen die Anpassungsnotwendigkeit an die LImgebung und an andere Menschen anzugewöhnen, sollte die Grundschule folgerichtig keine Lern-, sondern eine Lebens-schule sein mit dem erklärten Ziel, bei den Kindern die Bereitwilligkeit zur Einpassung in die Gesellschaft und zur Respektierung der ihren Zusammenhang regelnden Gesetze zu untermauern.

Die Schuten

Die allgemein für alle Kinder verbindliche und auf koedukativer Grundlage gestaltete Grundschule soll nicht länger als 4 Jahre dauern, wobei die drei ersten Jahre bezüglich der Pensenbemessung am besten als Einheit aufzufassen sind, so daß die übliche Versetzung erstmals von der 3. zur 4. Klasse erfolgt. Es könnte dann auf die mancherorts übliche Aufnahmeprüfung beim Übergang in die wissenschaftliche Oberschule verzichtet werden. Die Schulpflicht braucht neun Jahre nicht zu überschreiten, weil die demgegenüber befürwortete generelle Ausdehnung auf 10 Jahre problematisch ist. Zwischen dem 14. und 15. Lebensjahr setzt erfahrungsgemäß sehr stark der Drang gerade der manuell Begabten ein, die Schule verlassen zu wollen. Eine Verlängerung der Schulzeit auf 10 Jahre würde bei diesen sehr zahlreichen Kindern eher verbildend wirken und auf eine Verschulung hinauslaufen, die den Anschluß an den erstrebten praktischen Beruf unnötig hinauszögert und vorhandene Begeisterung womöglich verkümmern läßt. Die Schulzeit überhaupt sollte nicht länger als 12 Jahre dauern.

Im Gegensatz zur Grundschule sollten sowohl die an sie anschließende allgemeine Oberschule mit ihrer 5. bis 9. Klasse als auch die von der Grundschule abzweigenden wissenschaflichen Oberschulen ausgesprochene Lernschulen sein.

Wenn die Lernschule in Verruf gekommen ist, so weniger des Systems als seiner Handhabung wegen. Neben dem Wissen muß das Erkennen gelehrt werden, woran es früher oft gefehlt hat. Das bedeutet in den beiden letzten Klassen eine stärkere Heranführung der Schüler an das Quellenmaterial, damit sie Fundgruben kennen und benutzen lernen, um Wissenslücken selbständig auffüllen und Wissensneugierde befriedigen zu können.

Bei den Diskussionen um Tiefe und Breite des Wissens, das die Schule vermitteln soll, pflegen sich zwei im Grunde egoistische Anliegen herauszustellen. Die Gesellschaft möchte kein einziges der in seinem Schoß schlummernden Talente unerkannt und ungefördert sehen, vielmehr möglichst optimalen Nutzen aus jedem zukünftigen Bürger ziehen.

Daher die Furcht, daß die Schulen den unterschiedlichen, individuellen Begabungen nicht mit der notwendigen Differenzierung entgegenkommen. Die Gesellschaft traut den natürlichen Behauptungs-und Auslesekräften nicht und will sich lieber auf gesteuerte Lenkung verlassen, obwohl zu allen Zeiten bedeutende Menschen in Dorfschulen angefangen haben. Auf den Eltern selbst lastet als schwere Hypothek der Glaube an die besonderen Fähigkeiten gerade ihrer Kinder, was der Einsicht im Wege steht, daß eine noch so breite Differenzierung der Stoffdarbietung in der Schule über das Anlagebedingte hinaus nichts Beliebiges erreichen kann, wie eben kein Hund lesen lernt, auch wenn er noch so viele Zeitungen fressen würde Über das Mischungsverhältnis der verschiedenen Begabungen bei der heutigen westdeutschen Jugend gibt die folgende Aussage einen gewissen Anhalt (Huth): schwachsinnig bzw. asozial............................. 3°/0 geeignet für Einarbeitungsberufe . . . 30% geeignet für Spezialarbeiter................... 27 % geeignet für Facharbeiter................... 25 % geeignet für Fachschulbesuch . • • • 10 % geeignet zum Hochschulstudium ... 5% Bei Beendigung der neunjährigen Schulzeit sollte das Wissen eines normal entwickelten Kindes etwa umfassen:

Beherrschung der deutschen Sprache, Kenntnis der Rechenoperationen bis zum Logarithmieren, Englisch im Ausmaß der täglichen Umgangssprache, Grundkenntnisse über die Gestalt, Zusammensetzung und Funktionen der unbelebten Umwelt, Staatsbewußtsein als Frucht entsprechender Verarbeitung der Geschichte der Neuzeit.

Dieses Ziel erreichen, heißt zu verzichten auf Spezialexperimente, wie Einführungen in journalistische, juristische oder politische Fragen usw. und auch auf eine „polytechnische" Erweiterung des Unterrichts, es bedeutet auch, zwischen Haupt-und Nebenfächern wieder strenger zu unterscheiden und diese als Entspannungsfächer zu betreiben.

Wenn die Grundschule 4 Jahre, mit Beginn des Englischunterrichts im letzten Jahr, umfaßt und damit der Übergang zur wissenschaftlichen Oberschule im 5. Schuljahr erfolgt, besteht die Gewähr, daß sich alle Kinder zu erkennen gegeben haben, die ihre Meisterung erwarten lassen. Der Übergang zur wissenschaftlichen Oberschule sollte großzügig vor sich gehen, weil Versager im 5. Oberschuljahr ohne Schwierigkeiten in die 6. Klasse der allgemeinen Oberschule eingeschleust werden könnten.

Eine Erschwerung der Gesamtsituation ist die zu weit getriebene Aufteilung der wissenschaftlichen Oberschulen. Es müßte mit 2 Arten auszukommen sein, nämlich der sprachwissenschaftlichen (mit Griechisch, Latein, Französisch, Englisch) und der mathematisch-naturwissenschaftlichen (mit Latein, Englisch). Latein wäre aber in beiden Zweigen Pflichtfach; der Unterricht im Englischen ist von vornherein so zu gestalten, daß es als Alltags-Umgangssprache beherrscht wird.

Ist das Abiturium in der gegenwärtigen Form beizubehalten? Es kann nicht bestritten werden, daß seine Wertbemessung als Reife-zeugnis den daran zu knüpfenden Erwartungen allzuoft nicht entspricht, wie ebensowenig übersehen werden sollte, daß es zu einem aus Vornehmheitskomplexen der Eltern herrührenden ausgesprochenen Berechtigungsunwesen geführt hat. Die erfolgreiche Absolvierung der wissenschaftlichen Oberschule brauchte nur durch ein ohne Examen erteiltes Abschlußzeugnis ausgewiesen werden. Lehrern und Schülern würde das Arbeit und Mißvergnügen ersparen. Wie wenig dem Reifezeugnis als allgemein akzeptablem Wissensausweis zugetraut wird, zeigen die aufgekommenen Eignungsprüfungen, an deren Bestehen der Zutritt zu bestimmten Berufen immer verbreiteter gebunden ist. Sie haben den Wert, daß berufliche Fehlentwicklungen leichter ausgeschaltet werden können. Folgerichtig wäre die Immatrikulation an der Hochschule an eine Aufnahmeprüfung vor der gewählten Fakultät zu binden.

Der Lehrer

Schulen sind so gut wie ihre Lehrer. Angesichts der Verantwortung, die die Lehrer haben, wie die Erwachsenen von morgen ihre Umwelt aufnehmen, auf sie reagieren und sie gestalten, fragt sich, ob genug getan wird, diesen Beruf besten Kräften anziehend genug erscheinen zu lassen. Sind die Besoldungsverhältnisse so, daß Menschen mit pädagogischen Neigungen und Fähigkeiten Lehrer werden, wenn sie zudem Eignung verspüren, sich in anderen Berufen wirtschaftlich aussichtsreicher zu entwickeln? Eine fühlbare Verbesserung der Lehrergehälter erscheint als unabdingbare Konzession an unsere materiell orientierte Zeit. Die Bemessung der Gehälter bei den Lehrern an Grundschulen und an den allgemeinen bzw. wissenschaftlichen Oberschulen sollte zu große Unterschiede vermeiden. Die angesichts der unterschiedlichen Pflichtenkreise notwendige Differenzierung der Leistungsbewertung sollte über die wöchentliche Pflichtstundenzahl erfolgen mit einem Maximum von überhaupt 18 Stunden an den wissenschaftlichen Oberschulen. Durch vermehrte Aufstiegsmöglichkeiten in günstiger dotierte Gruppen-und Seminarleiterstellen würde einem nun einmal in Rechnung zu setzenden menschlichen Vorwärtsstreben zum Vorteil der Schule entgegenkommen.

Obwohl das Sich-einstellen-müssen auf immer wieder neue Gesichter und auf wechselnde Unterrichtspensen die Lehrer vor Erstarrung schützt, führt die unumgängliche Wiederkehr des Gleichen zu einem allmählichen Versinken in mehr und mehr monotone Unterrichtschemata, was zuletzt jeglichen Berufsenthusiasmus und alle Ideale tötet. Reisegelegenheiten zu pädagogischen und wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen (nicht nur kurzen Tagungen), ins Ausland (auch von längerer Dauer) u. ä. berufsförderliche Vergünstigungen sollten gerade älteren Lehrern zwischen 40 und 50 Jahren und darüber in viel großzügigerer Weise angeboten werden.

Es bedarf noch einiger Anstrengungen, unsere Schulhäuser modernen Ansprüchen anzupassen. Das dürfte im ganzen ruhig nach spartanischen Grundsätzen erfolgen, weil das Leistungsniveau der Schule von den an ihr wirkenden Lehrern und nicht vom Schulgebäude und seiner Fassade bestimmt wird. Die Fürsorge für den Lehrer ist wichtiger als eine Umsorgung des Schulkindes, die ihm jede Begegnung mit der Härte ersparen will. Es führt das zu leicht zu Menschen, denen, bar jeder Ehrfurcht vor der Autorität, angewöhnt worden ist, Rechte zu fordern, Pflichten gegenüber zurückhaltender zu sein. Was den Lehrern als Personen und als Berufsstand heute an Förderung zugute kommt, wird die Gesellschaft von Morgen mit Zinseszins zurückerhalten. • V.

Bildung im moralischen wie im berufsbereitenden Sinne ist immer die Summe aus Anlage, Erziehung und Wissen.

Sofern die Oberschulen Stätten erfolgreichen Lehrens und Lernens sind, entlassen sie Menschen, in denen der Wille zum Gebildetsein als Voraussetzung eines sittlich-erfüllten Lebens zwar unterschiedlich tief-gehend, aber immerhin vorgeformt ist. Dieser vorgeformte Wille muß zur Richtschnur allen Handelns werden, wenn sich der Staat auf Bürger stützen will, die eine vom Willen aller getragene, freie Gesellschaft freier Menschen in der Weise existent erhalten können, daß in der Freiheit das Gebot und die Pflicht zur Gerechtigkeit als Praemissen für Respektierung der Menschenwürde selbstverständlich sind.

Berufsbildende Schulen und Hochschulen

Die moderne Gesellschaft bildet ihre Fachleute auf Berufsschulen, Fachschulen verschiedenster Spielarten, auf Technischen und sonstigen Hochschulen und auf den Universitäten aus. Zumindest von den Hochschulen wird von jeher erwartet, daß sie zum Fachwissen eine umfassende Allgemeinbildung vermitteln. Der wachsende Bedarf an Akademikern hat zeitweilig schon sehr ausgeprägt dazu geführt, in der Hochschule in erster Linie die Fachakademie zu sehen.

Worauf anders deuten übrigens gewisse Anzeichen bei den Hochschullehrern hin, ihr Schwergewicht von der Berufung zum akademischen Lehrer mehr auf das eines Produzenten verwertbarer Richtigkeiten zu verlagern? Dem Ansehen des Hochschulprofessors in der Öffentlichkeit ist das abträglich; sie ist nicht mehr so vorbehaltlos geneigt, beim Professor die allgemeine Bildungsverantwortung vorauszusetzen, auf die sie zählen können muß, wenn sie ihn über den Fachexperten hinaus als Ratgeber und Mentor für die Fragen akzeptieren soll, die von der Wissenschaft, Wirtschaft und Technik als generelle Probleme des individuellen und gesellschaftlichen Lebens aufgeworfen werden.

Im Statut für die Universität Bern von 1834 heißt es, daß die Universität die wissenschaftliche Erkenntnis fördern und der Ausbildung der akademischen Berufe dienen solle, zwei Aufgaben, die im Dienste der Allgemeinheit zu erfüllen wären. Es müsse die grundlegende wissenschaftliche Bildung gepflegt und die Verbindung der Einzelwissenschaften in gemeinsamer Forschung und Erkenntnis gefördert werden.

Seither sind mehr als 100 Jahre vergangen, und es braucht nicht betont zu werden, daß dieses Leitbild, unbeschadet seiner in der Verallgemeinerung nicht richtigen Einengung auf die wissenschaftliche Bildung, von der man damals das überhaupt denkbar beste Gebildetsein erwartete, zwar nach wie vor den idealen Zustand ergibt, er aber heute in dieser umfassenden Erfüllung kaum noch verwirklicht werden kann. Wie allgemein die Zweifel geworden sind, ob die Hochschulen neben ihrem Charakter als hohe Fachakademien noch Raum und Zeit haben, als höchste Bildungsstätten zu wirken, scheint nichts deutlicher darzutun als die Mühe, die allenthalben an das „Studium generale“ gewandt worden ist. Die darauf gesetzten Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Das mag teilweise an seiner Gestaltung gelegen haben, die meist als üblicher Fakultätsbetrieb organisiert worden ist und wohl auch daran, daß es an richtigen Dozenten fehlt. Ein Grundfehler scheint allerdings auch gewesen zu sein, daß es als Vorwegstudium dem Fachstudium vorgespannt worden ist. Es hat sich einmal mehr herausgestellt, daß Bildung auch nicht als Frucht einer ausgesprochenen Bildungsfakultät gepflückt werden kann; sie kann eben nur mit uns und aus dem Fachstudium erblühen.

Studium generale

Nicht im Vorlesungsbetrieb, sondern eher in ad hoc gebildeten Seminaren und Arbeitsgemeinschaften sollten sowohl allgemeingültige wie zeitakzentuierte Generalthemen, als da sind Feiheitsbegriffe, Bürgerpflichten, staatserhaltende und staatszerstörende menschliche Gesellungsformen, Kunst-und Literaturprobleme usw., diskutierend behandelt werden, vielleicht nach dem Vorbild der Arbeitsweise der evangelischen Akademien oder des Hochschulfunks. Ein sokratisches Verfahren also, das freilich den Sokrates voraussetzt, wenn es funktionieren soll. Es kommt auf Entstehung von Keimzellen an, aus denen der unversiegende Anreiz erwächst, sich zeitlebens nach anderen Bildungsmöglichkeiten umzusehen, die von der Gesellschaft geboten werden. Neue studentische Gesellschaftsformen könnten auf diese Weise am ehesten entstehen. Als Leiter dieser Arbeitsgemeinschaften sind nicht die brillanten Fachleute, sondern vielmehr Persönlichkeiten prädestiniert, die sich durch'ihre Lebensführung die Anwartschaft erworben haben, zur geistigen Elite des Volkes gerechnet zu werden, Persönlichkeiten, die das Leben mit seinem Trubel nicht mehr unbedingt selbst leben, dafür die Abgeklärtheit besitzen, es reflektierend wägen und mitteilen zu können. Sie brauchen nicht dem Lehrkörper der Hochschulen anzugehören, und mancher vom Frondienst früherer Pflichtenkreise Befreite könnte hier die Erfüllung des Lebensabends finden und damit den Glauben an den Sinn des Lebens und die Achtung seiner Mitmenschen sich erhalten, was für Lebensdauer und Gesundheit gerade der bedeutenden, alten Menschen entscheidend ist. Bei der Meldung zum Abschlußexamen wären Bescheinigungen über die Teilnahme an mindestens zwei solcher Arbeitsgemeinschaften oder Seminare von jeweils 6-bis 8-stündiger Dauer je Semester vorzulegen. Der Student hätte für die ganze Zeit des Fachstudiums den relativ kleinen Zeitaufwand von 15 bis 20 Stunden je Semester auf sich zu nehmen.

Das Brotstudium

Das charakteristische Merkmal unserer Hochschulen ist die in ihnen verwirklichte, sich durchdringende und gegenseitig befruchtende Verbindung des Unterrichts zum Zwecke der Ausbildung auf bestimmte Berufe und der im persönlichen Ermessen der Hochschullehrer liegenden Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, ist also die Doppel-funktion von Lehre und freier Forschung. Für lange Zeit hat es keine anderen Stätten gegeben, die sich der Förderung der Wissenschaft in vergleichbarer Weise angenommen hätten.

Erst zu Beginn unseres Jahrhunderts wurde es anders, als die Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die jetzigen Max-Planck-Institute, ins Leben gerufen wurden und noch vorher Staat und Länder dazu übergegangen waren, Behörden und Ämter mit den bestimmten medizinischen, naturwissenschaftlichen und technischen Arbeitsrichtungen zu errichten, die in ihrer Bezeichnung zum Ausdruck kommen. Sie erarbeiteten die für wichtige legislative und exekutive Aufgaben benötigten wissenschaftlichen Grundlagen, was sich der Pflege einer von vornherein zweckgebundenen Wissenschaft annehmen heißt, der sich die Hochschulen weniger widmen konnten oder wollten. Dazu kam weiter, daß bei bestimmten Großindustrien nach und nach sehr großzügig ausgestattete Forschungseinrichtungen entstanden, die der vorausschauenden Weiterentwicklung und Erschließung neuer Produktionen dienen, also ebenfalls dirigierte Zweckforschung treiben. Diese staatlichen und industriellen Forschungsstätten sind recht attraktiv geworden, weil sie großzügig unterstütztes, wissenschaftliches Arbeiten ermöglichen und damit solche der Forschung geneigten Persönlichkeiten anziehen, denen ein Wirken an der Hochschule wegen der damit verbundenen Lehrtätigkeit weniger liegt. So ist es gekommen, daß die Forschung ihre besten Früchte außerhalb der Hochschulen reifen sieht, wozu sie durch den Krieg und die Nachkriegsverhältnisse bedingten LImstände begünstigend beigetragen haben.

Der Entschluß zum Studium entspringt Berufsaussichten, deren Verwirklichung an die Ablegung eines daran gebundenen Examens geknüpft ist. Es werden mit der Wissensaneignung in erster-Linie rezeptive Absichten verfolgt. Nur ausnahmsweise bereitet das Studium darauf vor, die Lebensarbeit der wissenschaftlichen Forschung widmen zu können. Die Hochschulen müssen demzufolge zwei so grundverschiedenen und an so unterschiedlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand gebundenen Zielsetzungen gerecht werden, daß sich die Frage stellt, ob angesichts der wachsenden Kostspieligkeit des modernen Wissenschaftsbetriebes die Aufrechterhaltung der Doppelfunktion, zu lehren und zu forschen, noch berechtigt, überhaupt noch tragbar erscheint.

Die Doktortitel

Weist das Abschlußexamen das erfolgreiche Brotstudium aus, so wird gelegentlich weitergehend beabsichtigt, durch die Doktorprüfung sich für die wissenschaftliche Forschungsarbeit zu qualifizieren. Wer das anstrebt und Material durch experimentelle Arbeiten gewinnen muß, hat heute erhebliche Opfer an Zeit und Geld zu bringen. Die Hochschulen müssen ihrerseits für die Doktoranden ausreichend ausgestattete Arbeitsplätze bereithalten, was große Investierungen auch bei den Personaletats voraussetzt. Der Gesamtaufwand erscheint nur richtig, wenn der Effekt der Erwartung entspricht, nämlich daß der Wissenschaft der notwendige Nachwuchs an Forschern auf diese Weise tatsächlich zugeführt wird.

Wie die Entwicklung gegangen ist, wird gerade dies in den meisten Fällen weder angestrebt noch erreicht. Sehr viel häufiger wird mit dem Doktortitel lediglich bezweckt, der Gesellschaft gegenüber sich als Akademiker auszuweisen. Dieses gesellschaftliche Motiv ist durch die mitunter großzügige Handhabung bei den Ehrendoktoraten noch bestimmender geworden.

Für die Öffentlichkeit ist Doktor noch immer gleich Doktor; die Eingeweihten freilich wissen wertende Unterschiede zu machen und tun das auch. Dem sollte der Boden durch ein gleichförmiges und gleiche Leistungen voraussetzenden Verfahren entzogen werden. Das würde mög lieh sein, wenn der Doktortitel in Zukunft generell und überall an dii Anfertigung einer rein literarischen Arbeit gebunden würde, deren Ab fassung nicht mehr als ein Semester beansprucht, an dessen Ende dic Promotion erfolgt. Bei der mündlichen Doktorprüfung wird nicht mehi das Fachwissen examiniert, wie es beim Staatsexamen geschehen muß sondern ermittelt, ob neben dem Berufsstudium wenigstens ein bildendes Gebiet aus einer anderen als der eigenen Fakultät so interessiert gepflegt worden ist, daß mehr als oberflächliches Orientiertsein nachgewiesen wird.

Damit würde allerdings das Doktorexamen als Ersatz für ein Staats-examen nicht mehr in Betracht kommen. An sich wäre das kein Fehler, weil die Studiengänge heute ohnehin weniger üblich werden, die früher mit der Doktorpromotion abgeschlossen wurden. Sollte es aber beibehalten werden müssen, so wäre hierfür, wie ebenso für Fälle, wo die Doktorarbeit an eigene, mehrere Semester beanspruchende Studien gebunden ist, der „Doktor habil.“ als adäquate Titelbezeichnung sehr gut denkbar. Mit diesem Titel ist die Qualifikation zum wissenschaftlichen Forscher nachgewiesen im LInterschied zum einfachen Doktortitel, der nur mehr das erfolgreiche Bemühen dokumentiert, die Hochschule auch noch als allgemeine Bildungsstätte genutzt zu haben.

Lehr-und Forschungshochschulen

Eine Entwicklung, die am Ende auf zwei Hochschultypen führt, deren einem die lehrende Heranbildung für die Berufe mit akademischer Vorbildung obliegt und wo der andere zur Weiterentwicklung de, Wissenschaft und der Technik sich der Grundlagenforschung annimmt, darf keinen rangmäßigen Unterschied zwischen beiden aufklaffen lassen. Die Forschungshochschulen dürfen keine Überuniversitäten sein. Beiden ist gleiches Ansehen und gleiche Würde zu erhalten.

Den Universitäten und, soweit ihnen die übrigen Hochschulen nach dem Charakter ihrer Verfassung gleichzustellen sind, auch diesen, bleibt der Gesamtanspruch erhalten, die Universitas literarum zu sein. Der Auftrag, den sie in Zukunft zu erfüllen haben, wird auf die Lehrverpflichtung reduziert, so daß sich insofern eine strukturelle Änderung ergibt, als der übliche Instituts-und Laboratoriumsbetrieb nur in dem für die jeweilige Berufsausbildung unentbehrlichen Umfang aufrecht erhalten wird. Jeder für die Forschungsarbeit benötigte Aufwand entfällt, was tragbar ist, wenn die Doktorprüfung reformiert wird.

Die zukünftigen Professoren der Universitäten und Hochschulen müssen ihren Beruf als den des Lehrers auffassen und erfüllen, also mehr als alles andere Pädagogen sein. Wo es fachlich tragbar ist, sollten sich die Lehrkörper mehr als bisher qualifizierten Angehörigen der Lehrerkollegien der wissenschaftlichen Oberschulen ergänzen; im übrigen sind die. Forschungshochschulen die berufenen Pflanzstätten der künftigen Ordinarien.

Solche auf die Lehre beschränkten Universitäten und Hochschulen würden am ehesten in der Lage sein, einer auf die Dauer unumgänglichen Verlängerung der Studienzeit entgegenzuwirken; vielleicht wäre in manchen Fällen sogar eine Verkürzung ohne Minderung des Wissens möglich. Wiederholt ist frühzeitigerer Berufseintritt in die akademischen Berufe als wünschenswert bezeichnet worden, weil es aus biologischen Gründen der Aufnahmefähigkeit auch bei der Aneignung der eigentlichen Berufspraxis in sehr nützlicher Weise zugute käme, den Entschluß zu erwünschten Spezialausbildungen erleichterte, vielleicht sogar einer Herabsetzung des relativ hohen Heiratsalters entgegenkäme. Die Einführung fester Studienpläne mit der daran gebundenen verstärkten Albeits-und Lerndisziplin bei den Studenten müßte als unweigerlich zu entrichtender Preis akzeptiert werden. Aber es ist schließlich nicht mehr so, daß in der Jugend freie Zeit vorweg genommen werden muß, wcil sie die spätere Lebensarbeit nicht mehr bietet; die „Freizeitleere" hat sich inzwischen für alle Altersklassen gestellt.

Für die Professoren würde manche Vorlesungsabhaltung entfallen, die heute aus der Forschungs-und der damit verbundenen Gutachter-tätigkeit entsteht und von den Studenten als recht lästig empfunden wird, wie sehr das als Quelle für erwünschte Nebeneinnahmen geschätzt sein mag. Durch generelle Erhöhung der Professorenbezüge, etwa über die Kolleg-und Prüfungsgebühren, müßte ein vertretbarer Ausgleich möglich sein. Schließlich könnten die Lehraufträge an Hochschulfremde sparsamer vergeben werden, die einmal den Studenten oft nicht den erwarteten Nutzen bringen oder zum anderen, wenn sie ernsthaft ausgefüllt werden, eine kaum tragbare Beeinträchtigung der hauptberuflichen Tätigkeit außerhalb der Hochschule mit sich bringen.

Die Forschungshochschulen ohne den universitas-literarum-Charakter sind genau genommen hohe Fachakademien mit ganz bestimmter geisteswissenschaftlicher, medizinischer, biologischer oder technischer Zielsetzung, zu denen der einzige Weg über das mit Prädikat abgeschlossene Universitäts-bzw. Hochschulstudium führt. Sie geben dank ihrer großzügig zu gestaltenden Sachetats die Gelegenheit, sich in den modernen wissenschaftlichen Forschungsbetrieb einzufühlen, um nach mehrsemestriger Arbeit mit einer eigenen Leistung hervortreten zu können, als deren äußeres Qualifikationssymbol der Dr. habil, verliehen wird. Den an den Forschungshochschulen Studierenden sollte für die Dauer von vier bis sechs Semestern ein Unterhaltszuschuß gewährt werden.

Der erfolgreiche Besuch dieser Hochschulen gibt die Anwartschaft auf Stellungen im Staat, in der Industrie und in der Wirtschaft, in denen schöpferisch-wissenschaftliches Arbeitenkönnen vorausgesetzt wird.

Für den inneren Aufbau der Forschungshochschulen können genügend Erfahrungen nutzbar gemacht werden, die in den vorhandenen staatlichen Forschungsinstituten oder in den einschlägigen Einrichtungen wissenschaftlicher Gesellschaften seit langem gesammelt worden sind. Für sie ist nicht die Rektoratsverfassung, eher die Kuratorialverfassung richtig. Die Personaletats müssen eine dem Aufgabenkreis der einzelnen Forschungshochschule angepaßte Zahl von Lebensstellungen bieten, und zwar als einander gleichgestellte Direktor-Professoren, denen die benötigten Assistenzprofessoren als fest angestellte Mitarbeiter beigegeben sind. Es gibt keinen Lehrbetrieb und sollte keine Personalunionen zwischen Stellungen an der Universität und an der Forschungshochschule geben. Die Forschungshochschulen dürfen und müssen als Gutachterstellen funktionieren und können durch begrenzte, auf ihren Aufgabenkreis zugeschnittene und höchstes Niveau wahrende Kurse für die Weiterentwicklung der einschlägigen Fachleute tätig sein.

VI.

Was ich gesagt habe, ist nicht programmatisch gemeint; ebensowenig ist es eine Kritik an den bekanntgewordenen Reformplänen für unser Erziehungs-und Ausbildungswesen.

Ein aus persönlicher Passion inspirierter tour d'horizon sollte es werden, der aus dem Überdenken des eigenen Erziehungserlebnisses und des beruflichen Ausbildungsganges konzipiert worden ist mit der erklärten Absicht, einen Beitrag zur Förderung der menschlichen Bildung schlechthin zu leisten, weil die Menschheit in Zukunft sittliche Fortschritte nur erzielen wird, wenn die gebildeten Menschen in allen ihren Gesellungsformen zahlreicher werden.

Mit der Bildung ist es ähnlich der Einfahrt in einen großstädtischen Vorbahnhof mit seinem Gleisgewirr und seinen zahllosen Weichen, die richtig gestellt sein müssen, wenn der Zug in den Bestimmungsperron einlaufen soll.

Durch Erziehung und Wissen ist Bildung allein nicht zu erreichen; zum Strukturellen tritt das Kausale und das Konditionale. Ein Unternehmen, das auf diese Synthese wirksamen Katalysatoren vor Augen führen will, ist in Gefahr, Gemeinplätze abzugrasen, was andererseits sogar notwendig wird, wenn die vorgestellte Art von Materialsammlung tatsächlich herauskommen soll. Einiges glaube ich zusammengebracht zu haben. Wenn dabei die besondere Bedeutung der Familie und der Lehrer einmal mehr betont worden ist, so war das beabsichtigt.

Fussnoten

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