Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Zusammenarbeit Moskaus und Pekings während der europäischen Satellitenkrise (1956-1957) | APuZ 5/1958 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 5/1958 Die Sowjets zwischen Asien und Europa Die Zusammenarbeit Moskaus und Pekings während der europäischen Satellitenkrise (1956-1957)

Die Zusammenarbeit Moskaus und Pekings während der europäischen Satellitenkrise (1956-1957)

sofort allen kolonialen Völkern völlige Unabhängigkeit zu gewähren. Niemand war zugegen, der hätte aufstehen können, um zu fragen, wann Turkestan oder die Mongolei ihre Unabhängigkeit erhalten würden. So konnten die Sowjets in dieser Hinsicht wiederum triumphieren, was durch die Schweigsamkeit des Westens, die Unkenntnis der Verhältnisse in der Sowjetunion von Seiten der Völker Asiens und durch die Beredt-samkeit und Aktivität Moskaus bedingt war.

Man hat sich im Westen angewöhnt, wenn eine Regierung Asiens mit der westlichen Meinung und den westlichen Wünschen nicht übereinstimmt, diese als dem Kommunismus freundlich hinzustellen. So wurde auch die Konferenz in Kairo beurteilt. Einige Zeitungen schrieben sogar von einer „Narrenkomödie in Kairo“ oder einer „antiwestlichen Demonstration“ und ähnlichem. Wenn wir im Westen von yorneherein von den Vorgängen in Asien und Afrika Abstand nehmen, dann kann dies zu nichts anderem führen, als daß die Länder Asiens den sowjetischen Bestrebungen nachgeben. Das Abendland mit seiner realen Denkart sollte in verstärktem Maße versuchen, Gefühl und Geist des Morgenlandes zu verstehen. Diese Einfühlung kostet weniger Mühe als durch die Verletzung des empfindlichen Morgenländers geschadet wird.

Asien und Afrika haben sich noch nicht als eine dritte Kraft herausgebildet. Auch die Bildung eines ständigen Generalsekretariats für die Solidarität Asiens und Afrikas kann hierzu noch keine Voraussetzungen bieten. Die Sowjets aber werden ununterbrochen daran arbeiten, Asien möglichst zu neutralisieren und seine Völker zu verwirren. Wehklagen wie „Die Nichtdenkenden erkennen nicht, daß die nämlichen imperialistischen Mächte des Westens ständig Souveränitätsrechte über fremde Völker aufgegeben haben. Niemals wird geflüstert, daß die Sowjetunion ein neues, und weit dunkleres Imperium aufgebaut hat" wie sie aus den Zeilen der „New York Times“ ersichtlich sind, nutzen uns wenig Die „Nichtdenkenden“ haben wohl erkannt, daß die Westmächte ihnen Souveränitätsrechte gegeben haben, aber das eigentliche Übel liegt bei den „Denkenden“, wie in der Orientpolitik des Westens, der bisher keine massenbewegende Aufklärungsaktion über dieses Imperium Sowjetrußland im Orient unternommen hat.

Asien und Europa befinden sich zur Zeit in einer gefährlichen Situation, in der das gegenseitige Verstehen fehlt. Aus Mißverständnissen heraus versucht man, getrennt zu marschieren. Durch Provokationen macht man sich gegenseitig Vorwürfe und versucht, die nationalen Interessen nach eigenem Ermessen zur Geltung zu bringen. Ungewollt wird dadurch Sowjetrußland eine Chance bei seiner Tätigkeit, Asien gegen Europa und Europa gegen Asien auszuspielen, gegeben.

Eine euro-asiatische Aktionsgemeinschaft, gegenseitige Respektierung nationaler Eigenarten und gemeinsame Bestrebungen um die Lösung der Probleme, sowie die Beseitigung bestehender Vorurteile können Asien und Europa vor der sich vorwärtsschiebenden Walze Sowjetrußlands und des Kommunismus bewahren. Die Verkennung der Tatsache, daß Morgenland und Abendland in geistiger, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht voneinander abhängig sind, bedeutet bereits den Beginn des LIntergangs beider.

I. Die außenpolitische Kollaboration

Vortrag gehalte am 3. Juli in Tutzing

1. Die satellitenfreundliche Haltung Chinas Die Volksrepublik China, mit der Sowjetunion seit 1. 9. 1949 politisch und ideologisch verbündet, hat in den ersten Phasen des atlantischsatellitischen Konfliktes offenbar den „Nationalkommunismus" unterstützt:

Während des Parteikongresses der Kommunistischen Partei , Chinas (September 1956) wurde der polnische Delegierte Ed. Ochab demonstrativ von Mao Tse-tung empfangen; auf dem Höhepunkt des polnischen „Unabhängigkeitskampfes" (Oktober 1956) registrierten polnische Blätter geflissentlich die Sympathien Rot-Chinas für ihr Anliegen;

während der drohenden Auseinandersetzungen zwischen „Stalinisten“

und „Reformisten“ auf der VIII. Plenum-Konferenz der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei soll — angeblich — ein rotchinesisches Interventionstelegramm an Chruschtschow die Polen vor dem Schicksal Ungarns bewahrt haben.

Auch gegenüber Jugoslawien und Ungarn wahrte Peking zunächst eine wohlwollende Neutralität: Es ließ z. B. die Rede Titos abdrucken, die dieser am 11. 11. 1956 gegen Moskau in Pola gehalten hatte und veröffentlichte sogar die Erklärung der asiatischen „Colombo" -Staaten, die die ungarische Erhebung als berechtigtes Aufbegehren eines freiheitsliebenden Volkes bezeichnete und das russische Eingreifen als „fremde Intervention“ verurteilte. Noch in den ersten Tagen des ungarischen Aufstandes gingen Peking und Belgrad insofern parallel, als sie beide die scharfe Intervention der Russen ablehnten und dringend zu Reformen in Budapest rieten.

Aber in den folgenden Tagen schwenkte die Politik Pekings — während sich der Außenminister Tschu En-lai auf seiner großen Südseereise befand —um. Sie folgte hierin einerseits einem wahrscheinlichen und dringenden Appell Chruschtschows, der angesichts des drohenden Abfalls aller Satelliten auf eine „Demonstration geschlossener Einheit des ganzen Ostblocks“ drängte und andererseits dem eigenen Wirtschaftsinteresse, das — bei etwaigem Verlust sowjetischer und satellitischer Lieferungen — um die Fortschritte des I. und II. rotchinesischen Fünfjahresplanes besorgt sein mußte.

Damit rückte die pazifische Bastion der Sowjetunion, die Volksrepublik China, zur Wiedergewinnung der verlorengegangenen atlantischen Sowjetflanke auf. 2. Die politische Schwenkung der Volksrepublik China a) Das schiedsrichterliche Dokument Am 29. 12. 1956 veröffentlichte die rotchinesische Zeitung JEN MIN JIH PAO (Volksblatt) einen Artikel „Noch einmal über die historischen Erfahrungen der Diktatur des Proletariats". Der Aufsatz ist auf Grund von Beschlüssen geschrieben, die auf der erweiterten Sitzung des Politbüros des ZK der Kommunistischen Partei Chinas vom 28 1 2. 1 956 gefaßt worden sind; er wurde in der folgenden Nacht von der Moskauer TASS gesendet und tags darauf am 30. 12. 1956 von der Moskauer Iswestija vollständig russisch veröffentlicht. Seine Bedeutung geht daher weit über den Bereich einfacher Zeitungsartikel hinaus.

Formell zeigte das Dokument, in welch hohem Maße die KP Chinas sich die westliche Sprache der marxistischen Terminologie angeeignet hat; mit keiner einzigen Silbe auf die eigene, jahrtausendealte chinesische Literatur oder Philosophie eingehend, beherrscht die volksdemokratischchinesische Deklaration den Wortschatz und die Ausdrucksweise des marxistisch-sowjetischen Bereiches so vollkommen, daß man weithin verführt ist, ein russisches Original dieses Dokumentes anzunehmen.

Inhaltlich gibt sich die volksdemokratisch-chinesische Erklärung als eine sachlich-politische Stellungnahme zu den Ereignissen in Europa nach dem Tode Stalins und insbesondere während der sogenannten national-kommunistischen Revolution in Polen und in Ungarn, Herbst 1956.

Die Art der Aufmachung dieses Dokumentes, seine nachfolgende respektvolle Veröffentlichung durch die Sowjetunion und seine unmittelbar anschließende Unterstreichung durch eine Reihe bedeutsamer politischer Reisen des rotchinesischen Außenministers Tschu En-lai sowie des Staatspräsidenten Mao Tse-tung verleihen ihm den Rang und die Bedeutung eines Schiedspruches in den innerkommunistischen Streitigkeiten zwischen Moskau und seinen europäischen Satelliten.

Der Schiedsspruch entscheidet die drei großen Streitfragen, die innerhalb der kommunistischen Weltfront während der Berichtszeit 1956 offenbar geworden waren: 1. Die Abschaffung des Persönlichkeitskultes wird anerkannt, die damit zusammenhängende Verurteilung Stalins jedoch nur zum Teil bestätigt: „Stalin hat große Verdienste in der Entwicklung der Sowjetunion und der Entwicklung der internationalen kommunistischen Bewegung . . . Sein Leben war, ungeachtet mancher von ihm im letzten Abschnitt gemachter ernster Fehler, das Leben eines großen Revolutionärs, eines Marxisten-Leninisten. Obwohl seine Fehler der Sowjetunion Schaden zufügten, hat die sozialistische Sowjetunion in der Zeit der Leitung durch Stalin dennoch eine kolossale Entwicklung genommen." 2. Die von den sogenannten Nationalkommunisten Zwischeneuropas geforderte Revision des russischen „demokratischen Zentralismus“ (d. h.der Moskauer Vorherrschaft) wird abgelehnt: „Die Imperialisten und alle konterrevolutionären Elemente fordern in der Absicht, unserer Sache einen Schlag zu versetzen, dauerd von uns . Liberalisierung“ und konzentrieren ständig die Kräfte auf die LIntergrabung des leitenden Apparates in unserem Werk, auf die Zerstörung des Kerns des Proletariats — der Kommunistischen Partei. Diese Tatsache bezeugt, welch große Bedeutung für die grundlegenden Interessen der Volksmassen die Verteidigung der Autorität des demokratischen Zentralismus besitzt, d. h. die Verteidigung der Rolle, die die Führung durch die Partei hat.“ 3. Die konkreten Äußerungen des von den sogenannten Nationalkommunisten geforderten Revisionismus in LIngarn und in Jugoslawien werden ausarücklich verurteilt: Die Ereignisse in LIngarn waren nach Ansicht des rotchinesischen Schiedsspuches eine echte Konterrevolution; die sowjetische Intervention in LIngarn war eine „Hilfeleistung an die sozialistischen Kräfte“ des Landes und notwendig geworden als „Durchführung der Diktatur des Proletariats“.

Die Beurteilung der ungarischen Ereignisse durch die Titoisten in Jugoslawien wird abgelehnt; „Genosse Tito hat nach unserer Meinung keinen objektiven Standpunkt. . . eingenommen. Lins hat in Erstaunen versetzt, daß er Ausfälle fast gegen alle sozialistischen Länder und gegen viele kummunistische Parteien macht". „Wir sind mit den Behauptungen jugoslawischer Genossen nicht einverstanden, wonach in LIngarn grundlegende Änderungen des ganzen bisherigen politischen Systems notwendig seien“. „Die ungarischen Genossen sind voll und ganz im Recht, wenn sie die Vorschläge der jugoslawischen Genossen zurückweisen".

Aufs Ganze gesehen, stellt sich das Dokument als eine weltpolitisch bedeutsame und in diesem Augenblick sehr bemerkenswerte Schützenhilfe der Volksrepublik China für die bisherige Politik der Sowjetunion dar: „Dank dessen, daß die Sowjetunion das erste Land des siegreichen Sozialismus und seit dem Aufkommen des Lagers des Sozialismus das mächtigste Land in diesem Lager ist und den Völkern der sozialistischen Länder und der Staaten der kapitalistischen (!) Welt größte Hilfe erweisen kann, stellt sie das Zentrum der internationalen kommunistischen Bewegung dar." „Im Interesse der gemeinsamen Sache des Proletariats der verschiedenen Länder, im Interesse der gemeinsamen Zurückschla-gung des Angriffs des von den LISA dirigierten imperialistischen Lagers gegen die Sache des Sozialismus, im Interesse des gemeinsamen Aufstiegs der Wirtschaft und Kultur aller sozialistischen Länder müssen wir auch weiterhin die Solidarität des internationalen Proletariats mit der Sowjetunion als Zentrum festigen.“ b) Die aktuellen Folgen des chinesischen Schiedsspruches Die Folgen des rotchinesischen Schiedsspruches für Europa und den asiatisch-afrikanischen Raum sind zur Zeit kaum zu überschätzen:

In Europa erhielt die Sowjetunion durch die rotchinesische Unterstützung eine sehr notwendige Entlastung und sehr willkommene Handlungsfreiheit: Ungarn konnte endgültig zusammengeschlagen und moralisch disqualifiziert werden; Polen konnte in seine Schranken gewiesen und zum Teil beschwichtig werden; Jugoslawien wurde isoliert und wird zum Mißvergnügen der Sowjetunion nach Westen abgedrängt.

Umgekehrt erheben die sogenannten „loyalen Satelliten" der Sowjetunion jetzt um so mehr ihr Haupt: Die Tschechoslowakei sicherte sich rasch einige entlastende wirtschaftliche Vorteile. Die sowjetbesetzte Zone Deutschlands willigte zwar (Vertrag vom 7. 1. 19 57 in die Stationierung sowjetischer Truppen auf deutschem Boden ein, steigert dafür aber von Woche zu Woche den Preis für die „Wiedervereinigung" Deutschlands. In den ersten Januartagen 19 57 weilte eine sowjetzonale vielköpfige Delegation in Moskau und verhandelte sowohl mit dem Kreml als auch mit einer Abordnung der Volksrepublik China; das abschließende Kommunique dieser Besprechungen vom 9. 1. 1957 hat die innerdeutsche Politik der SED gestärkt, der sowjetzonalen Regierung die Möglichkeit zu harten politischen Gerichtsurteilen gegen Studenten und Professoren gegeben und die augenblickliche Stabilisierung des Pankower Regimes verlängert.

Das schiedsrichterliche LIrteil der Volksrepublik China muß natürlich in klingender Münze bezahlt werden. Das bedeutet — nach dem Ausfall der polnischen und ungarischen Tribute und angesichts notwendig gewordener sowjetischer Stützungsaktionen für die wirtschaftlich bedrohten Rebellen — eine neue wirtschaftliche Belastung der loyalen Satelliten, insbesondere der sowjetbesetzten Zone Deutschlands.

Das Entscheidende an der Intervention Rot-Chinas in innereuropäische Angelegenheiten aber ist, daß sie von einer europäischer Macht (als welche sich der Kreml stets gebärdet) in Anspruch genommen und in einer zentralen europäischen Streitfrage — zum Teil mit Gewalt — auch durchgeführt wurde. Es gibt kein geschichtliches Beispiel für eine derartige Schiedsrichterrolle außereuropäischer Mächte in innereuropäischen Händeln; die einstigen Eingriffe Dschingis-Khans im 13 Jh. und die Interventionen der Osmanen vom 14. bis 17. Jh. waren faktische Machthandlungen mit politischem Gewicht, nicht aber angerufene Instanzen mit schiedsrichterlichen Attributen.

Der beispiellosen Intervention, ja Schiedsrichterrolle einer außer-europäischen Macht in Europa, entspricht keine paritätische Rolle der Sowjetunion in A s i e n ; es stellt sich heraus, daß die Volksrepublik China nicht gewillt ist, den Russen einen gleichen politischen Einfluß im asiatischen Einzugsgebiet Pekings zuzugestehen, wie ihn die Kommunistische Partei Chinas in Europa erlangt hat. Vielmehr spricht alles dafür, daß Moskau den Chinesen für deren helfende Hand ein dreifaches Zugeständnis machen mußte:

1. Das chinesische Mitentscheidungsrecht in allen wichtigen weltpolitischen (europäischen und afro-asiatischen) Fragen: Insbesondere wurde z. B.selbst die deutsche Wiedervereinigung auf den Rau^ einer asiatisch- chinesischen Angelegenheit abgeschoben, indem sie — laut Moskauer Schlußkommunique nach der Reise Tschu En-Iais durch die Sowjetunion vom 18. 1. 1957 — nur im Zusammenhang mit Nordvietnam und Nordkorea erwähnt wird; die Wiedervereinigung der drei genannten Länder soll „auf demokratischer Grundlage" erfolgen. Praktisch bedeutet diese Verflechtung, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr ein innereuropäisches, etwa deutsch-polnisches oder deutsch-russisches Zen-tralproblem, sondern ein europäisch-asiatisches, im engeren Sinne rus-sich-chinesisches Randproblem geworden ist.

2. Der Primat Chinas im asiatischen und pazifischen Raum: Was die Russen den Chinesen in Europa zugebilligt haben, erhielten sie selbst keinesfalls in dem für sie so interessanten, ja lebenswichtigen Fernen Osten. Insbesondere wird China seine Streitigkeiten mit Formosa, seine Auseinandersetzungen mit Japan und seinen Primatanspruch in Bandung fortführen, ohne den Russen auch nur annähernd ein ähnliches Mitspracherecht zu konzedieren. Die von den Russen mit so großen Opfern aufgebaute faktische Popularität der Sowjetunion im arabischen und nordafrikanischen Raum gerät überdies nach dem bedeutsamen europäischen Erfolg der Chinesen nunmehr ins Wanken. Das bisherige Prestige der Sowjetunion im afro-asiatischen Raum geht zusehends auf die Rotchinesen über.

3. Endlich aber gewannen die Rotchinesen durch ihre Schiedsrichter-rolle in Europa eine neue sehr bedeutsame Wertsteigerung für etwaige Verhandlungen mit den noch immer widerspenstigen Vereinigten Staaten von Nordamerika und für weitere Besprechungen mit dem zweitgrößten asiatischen Staat Indien; auf den Höhepunkten der europäischen Satellitenkrise hat z. B. Tschu En-lai seinen indischen Kollegen Nehru dreimal besucht. c) Die permanenten Folgen des chinesischen Schiedsspruches Der schiedsrichterliche Akt Pekings ist offenbar nicht ein vereinzeltes, zufälliges Dokument rotchinesischen Eingreifens in die europäischen Streitigkeiten; manches deutet darauf hin, daß sich die VR China als eine Art von Dauer Instanz für abendländische europäische — und deutsche — Probleme etabliert.

Am 11. 4. 1957 unterschrieb eine polnische Delegation, bestehend aus dem Ministerpräsidenten Josef Cyrankiewicz, zwei anderen polnischen Ministern (für Kultur und Leichtindustrie) sowie mehreren Staatssekretären und Diplomaten in Peking das gemeinsame Kommunique nach ihrem Besuch in Rot-China im Anschluß an die polnische mehrwöchige Reise durch den Fernen Osten im Frühjahr 1957.

In dem Dokument werden afrikanische, asiatische und europäische Probleme — stets unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Zugehörigkeit zum „marxistisch-leninistischen Lager“ (Stalin wird nicht genannt) — erörtert. Über Deutschland heißt es, laut Iswestija vom 12. 4. 1957:

„In Europa erneuern (die Imperialisten) die militaristischen Kräfte West-Deutschlands .. „Der Eintritt West-Deutschlands in den Nordatlantischen Block und seine forcierte Remilitarisierung haben die Spannung in Europa und der gesamten Welt erhöht. Im Hinblick auf diese Tatsache befinden beide (unterzeichnenden) Parteien, daß der Abschluß des Warschauer Paktes eine schlechthin unentbehrliche Maßnahme darstellt, geschlossen zwischen den friedliebenden sozialistischen Ländern. Beide Parteien bestätigen erneut, daß sie alle Bemühungen zur Herstellung einer kollektiven Sicherheit in Europa unterstützen, die geeignet sind, den Frieden für Europa — und für Deutschland — zu sichern und die eine Liquidierung der antagonistischen Militärblöcke fördern. Beide Parteien unterstützten zur Gänze die legitimen Bemühungen des deutschen Volkes um die Wiedervereinigung Deutschlands ebenso wie die Bestrebungen der Deutschen Demokratischen Republik in der gleichen Richtung. Die Regierung der VR China bestätigt von neuem, daß die heutige Westgrenze der VR Polen entlang der Oder-Neiße eine Friedensgrenze zwischen Polen und Deutschland ist, daß sie den Interessen der Sicherheit in Europa dient und daß ihre Änderung unzulässig ist.“

Mit diesem Dokument, von einer zweiten europäischen Macht erbeten und erhalten, meldet sich die VR China abermals als Garant der deutschen Wiedervereinigung und als mitbestimmend in der Oder-Neiße-Frage an.

Da in dem gleichen Kommunique auch noch alle anderen sowjetisch-

satellitischen Streitfragen — insbesondere auch die Intervention in Lingam und der Streit mit Tito — berührt und (im Sinne Moskaus) entschieden werden, präsentiert sich das Dokument als erneute Äußerung eines offenbar als dauernd angesehenen und noch weitere UrteilsSprüche erheischenden Zustandes: „Es ist unabweislich, konsequent gegen alle Abweichungen zu kämpfen und sowohl gegen den Dogmatismus als auch gegen den Revisionismus aufzutreten.“ (Unter Dogmatismus ist, wie jetzt erhellt, das „Abweichlertum" der Molotow-Kaganowitsch-Gruppe in Moskau, unter Revisionismus Jugoslawien zu verstehen.)

Auf beide bezieht sich der kennzeichnende Satz: „In diesem (Spruch) ist die hoffnungsvolle Garantie (!) enthalten, daß die Schwierigkeiten faktisch überwunden und die feindlichen Anschläge vereitelt werden, die auf die Vernichtung des sozialistischen Aufbaus ausgehen“

II. Die innenpolitische Differenzierung

1. Die Rede Mao Tse-tungs vom 27. Februar 1957

Entgegen dieser so auffallenden außenpolitischen Zusammenarbeit spielt sich zwischen den beiden kommunistischen Supermächten eine innenpolitische Auseinandersetzung ab, deren Ende zwar noch nicht vorausgesehen werden kann, die aber schon jetzt auf eine stärkere Betonung der rotchinesischen Sonderstellung hinausläuft.

Am 27. 2. 1957 hielt der Führer der chinesischen Kommunisten Mao Tse-tung vor der 11. (erweiterten) Tagung des Obersten Staatsrates des Landes eine Rede, die allgemein als besonderes Merkmal einer sich neu entwickelnden Spielart des rotchinesischen Kommunismus angesehen wird.

Die Rede wurde erst am 18. o. 1957 von der chinesischen Nachrichtenagentur „Hsinhua“ unter der Überschrift „Über die richtige Lösung von Widersprüchen im Volke“ veröffentlicht.

Eine russische Übersetzung der Rede erschien in der „Prawda“ vom 12. 6. 1957. Eine deutsche Übersetzung brachte „Neues Deutschland“ (Ostberlin) am 22. 6. 1957. Nachstehend einige Auszüge:

Die neue Interpretation .des Dogmas von den „antagonistischen Widersprüchen“. „Nie war unser Land so geeint wie heute. Die Siege der bürgerlich-demokratischen Revolution und der sozialistischen Revolution zusammen mit unseren Erfolgen beim sozialistischen Aufbau haben das Gesicht des alten Chinas rasch verändert. Das bedeutet jedoch nicht, daß es in unserer Gesellschaft keine Widersprüche mehr gibt. Es wäre naiv, zu glauben, daß keine Widersprüche mehr vorhanden sind. Das zu tun, hieße die objektive Wirklichkeit mißachten. Wir sehen uns zwei Arten von sozialen Widersprüchen gegenüber — Widersprüchen zwischen uns und dem Feind und Widersprüchen im Volk. Diese beiden Arten von Widersprüchen sind ihrer Natur nach grundverschieden.

Die Widersprüche zwischen uns und unseren Feinden sind antagonistischer Art. In den Reihen des Volkes sind Widersprüche zwischen den Werktätigen nicht antagonistisch.

Unsere Volksregierung ist eine Regierung, die die Interessen des Volkes wahrhaft vertritt und dem Volke dient, und doch bestehen gewisse Widersprüche zwischen der Regierung und den Massen. Dazu gehören Widersprüche zwischen den Interessen des Staates, kollektiven Interessen und individuellen Interessen; zwischen Demokratie und Zentralismus; zwischen Führung und Geführten, und Widersprüche, die sich aus der bürokratischen Praxis gewisser Staatsfunktionäre in ihren Beziehungen mit den Massen ergeben. All das sind Widersprüche im Volk.“

Die Lösung der antagonistischen Widersprüche geschieht nicht durch Revolution, sondern durch Evolution:

„In unserem Lande ist der Widerspruch zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie ein Widerspruch im Volke. Die nationale Bourgeoisie unterscheidet sich von den Imperialisten, den Feudalherren und dem bürokratischen Kapital. Der Widerspruch zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, der zwischen der nationalen Bourgeoisie und der Arbeiterklasse besteht, ist antagonistischer Art. Aber unter den konkreten Verhältnissen, die in China bestehen, kann ein solcher antagonistischer Widerspruch, wenn er richtig gelöst wird, in einen nichtantagonistischen umgewandelt und auf friedliche Weise gelöst werden.

Wir haben eine volksdemokratische Diktatur, die von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern beruht. Was bezweckt diese Diktatur?

Ihre erste Funktion besteht darin, die reaktionären Klassen und Elemente sowie diejenigen Ausbeuter im Lande zu unterdrücken, die sich gegen die sozialistische Revolution stellen, all jene, die den sozialistischen Aufbau zerschlagen wollen; das heißt, die Widersprüche zwischen uns und dem Feind innerhalb des Landes zu lösen. Gewisse Konterrevolutionäre festzunehmen, ihnen den Prozeß zu machen und sie abzuurteilen, zum Beispiel, Feudalherren und bürokratischen Kapitalisten auf bestimmte Zeit das Wahlrecht und die Redefreiheit zu nehmen -das alles fällt in den Bereich unserer Diktatur.

Die zweite Funktion dieser Diktatur besteht darin, unser Land vor subversiven Aktionen und der möglichen Aggression des äußeren Feindes zu schützen.

Wer soll diese Diktatur ausüben? Natürlich muß es die Arbeiterklasse sein und das von ihr geführte ganze Volk. Diktatur gilt nicht in den Reihen des Volkes. Das Volk kann unmöglich eine Diktatur über sich selbst ausüben; ebensowenig sollte ein Teil des Volkes einen anderen unterdrücken.“

Das bedeutet freilich nicht die Einführung eines liberalen Einparteisystems: „Gewisse Leute in unserem Lande freuten sich, als die Ereignisse in Ungarn stattfanden. Sie hofften, daß sich etwas Ähnliches in China ereignen würde, daß Tausende und aber Tausende Menschen auf den Straßen gegen die Volksregierung demonstrieren würden. Solche Hoffnungen liefen den Interessen der Massen zuwider, und daher konnten sie unmöglich ihre Unterstützung erhalten. Andere hatten das Gefühl, daß es zuwenig Freiheit unter unserer Volksdemokratie gebe und daß es mehr Freiheit unter der westlichen parlamentarischen Demokratie gebe. Sie fordern die Einführung eines westlichen Zweiparteiensystems, wo eine Partei im Amt ist und die andere nicht. Aber dieses sogenannte Zweiparteiensystem ist nichts als ein Mittel zur Aufrechterhaltung der Diktatur der Bourgeoisie . . . Wo es Demokratie für die Bourgeoisie gibt, kann keine Demokratie für das Proletariat und die anderen arbeitenden Menschen sein.“

Unterdrückung der Gegenrevolution ist nötig — auch auf die Gefahr eines Justizirrtums:

„Bei der Unterdrückung der Konterrevolution wurden gute Laune manchmal fälschlich für böse gehalten. Solche Dinge sind früher vorgekommen und geschehen auch noch heute.

Viele wagen nicht offen zuzugeben, daß es noch Widersprüche im Volke gibt, welche gerade die Kräfte sind, die unsere Gesellschaft vorantreiben. Viele Menschen wollen nicht zugeben, daß es noch Widersprüche in einer sozialistischen Gesellschaft gibt, was dazu führt, daß sie angesichts sozialer Widersprüche ängstlich und hilflos werden. „Wenn wir die Ergebnisse unserer Bemühungen zur Unterdrückung . von Konterrevolutionären richtig bewerten wollen, so müssen wir sehen, welche Wirkung die ungarischen Ereignisse in unserem Lande hatten.

Diese Ereignisse ließen einige unserer Intellektuellen ein bißchen aus dem Gleichgewicht geraten, aber es gab keine Erschütterungen in unserem Lande. Warum? Ein Grund war der, das muß gesagt werden, daß es uns gelungen war, die Konterrevolution ganz gründlich zu unterdrücken. Nach der Befreiung merzten wir eine Anzahl von Konterrevolutionären aus . Einige wurden zum Tode verurteilt, weil sie schwere Verbrechen begangen hatten. Dies war unbedingt notwendig; es war die Forderung des Volkes.

Seit 1956 ist jedoch eine radikale Veränderung der Lage eingetreten.

Nimmt man des Land als Ganzes, so ist die Hauptkraft der Konterrevolution beseitigt worden.

Es wurden jedoch auch Fehler begangen. In einigen Fällen gab es Exzesse, und in anderen Fällen wurden Konterrevolutionäre übersehen.

Unsere Politik ist; . Konterrevolutionäre müssen unterdrückt werden, wo immer sie entdeckt werden'“. „Überall, wo Konterrevolutionäre gefunden werden, die Unruhe stiften, sollten sie mit fester Hand ausgemerzt werden. Nimmt man aber natürlich das Land als Ganzes, so gibt es gewiß nicht viele Konterrevolutionäre.“

Für den Fortgang der Revolution ist die Mitarbeit aller Volksschichten, besonders aber der Intellektuellen nötig:

„China braucht so viele Intellektuelle wie nur möglich, um die gigantische Aufgabe des sozialistischen Aufbaus zu erfüllen. Viele unserer Genossen kommen nicht gut mit Intellektuellen aus. Sie sind steif ihnen gegenüber, lassen es an Respekt für ihre Arbeit fehlen und mischen sich auf unpassende Weise in wissenschaftliche und kulturelle Angelegenheiten ein. Wir müssen all diese Mängel beseitigen.“ „In der letzten Zeit hat es ein Nachlassen in der ideologischen und politischen Arbeit der-Studenten und Intellektuellen gegeben, und einige ungesunde Tendenzen sind in Erscheinung getreten. Es scheint, daß der Marxismus, der einst die große Mode war, jetzt nicht so sehr modern ist. Keine richtige politische Auffassung haben, bedeutet keine Seele haben. Die ideologische LImerziehung in der Vergangenheit war notwendig und brachte positive Ergebnisse. Sie ging aber in einer etwas groben und oberflächlichen Art vor sich und die Gefühle mancher Leute wurden verletzt; das war nicht gut. Wir müssen solche Fehler in der Zukunft vermeiden.

, Laßt viele Blumen blühen', . laßt viele Gedankenschulen miteinander wetteifern', . Koexistenz auf lange Sicht und gegenseitige Überwachung Wie kam es dazu, daß diese Losungen aufgestellt wurden? Sie wurden im Lichte der in China bestehenden spezifischen Verhältnisse auf der Grundlage der Erkenntnis aufgestellt, daß verschiedene Arten von Widersprüchen in einer sozialistischen Gesellschaft immer noch bestehen, und entsprechend der dringenden Notwendigkeit, die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Landes zu beschleunigen."

Grenzen einer Kritik „Man könnte fragen: Da der Marxismus von der Mehrheit des Volkes in unserem Lande als führende Ideologie angenommen ist, kann er da noch kritisiert werden? Aber sicher. Als wissenschaftliche Wahrheit fürchtet der Marxismus keine Kritik. Täte er es und wäre er mit Argumenten zu besiegen, dann taugte er nichts. Die Marxisten sollten sich vor einer Kritik von irgendeiner Seite fürchten. Pflanzen, die in Treibhäusern wachsen, sind meist nicht widerstandsfähig. Eine Politik, die viele Blumen blühen und viele Gedankenschulen wetteifern läßt, wird die führende Position des Marxismus auf ideologischem Gebiet nicht schwächen, sondern stärken.“

„Was für eine Politik sollten wir gegenüber unmarxistischen Ideen verfolgen? Was die unverkennbaren Konterrevolutionäre und Saboteure des Sozialismus betrifft, so ist die Sache einfach: Wir nehmen ihnen einfach die Redefreiheit.“

Ablehnung der Metaphysik „Wir dürfen nicht die metaphysische Methode benutzen, sondern müssen versuchen, nach dialektischer Methode vorzugehen. Was wir brauchen, ist eine wissenschaftliche Analyse, sind restlos überzeugende Argumente. Mit doktrinärer Kritik ist nichts zu machen.

Während wir den Dogmatismus kritisieren, müssen wir gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, den Revisionismus zu kritisieren. Der Revisionismus oder rechte Opportunismus ist eine bürgerliche Gedankenrichtung von noch größerer Gefährlichkeit als der Dogmatismus. Die Revisionisten oder rechten Opportunisten geben ein Lippenbekenntnis für den Marxismus ab und greifen auch den Dogmatismus an. Aber das wahre Ziel ihres Angriffes sind die Grundelemente des Marxismus. Sie bekämpfen oder entstellen den Materialismus und die Dialektik, sie bekämpfen die volksdemokratische Diktatur und die führende Rolle der Kommunistischen Partei oder suchen sie zu schwächen, sie bekämpfen die sozialistische Umgestaltung und den sozialistischen Aufbau oder versuchen sie zu untergraben.

Gegen die Bürokratie „Im Jahre 1956 traten an einigen Stellen kleinere Gruppen von Arbeitern und Studenten in den Streik. Die unmittelbare Ursache für diese Unruhen lag darin, daß einige ihrer materiellen Forderungen nicht erfüllt wurden; manche Forderungen hätten erfüllt werden sollen und können, während andere unangebracht oder übertrieben sind und deshalb für den Augenblick nicht erfüllt werden können. Aber eine bedeutendere Ursache war das bürokratische Verhalten von Persönlichkeiten in führenden Positionen. In einigen Fällen sind für derartige bürokratische Fehler die höheren Behörden verantwortlich, und es sollten nicht nur die auf den unteren Ebenen für alles verantwortlich gemacht werden. Eine andere Ursache für diese Unruhen bestand darin, daß die ideologische und politisch-erzieherische Arbeit unter den Arbeitern und Studenten unzulänglich war.

Um die Hauptursache der Unruhen zu überwinden, müssen wir die Bürokratie ausschalten, die ideologische und politische Erziehung wesentlich verbessern und alle Widersprüche richtig behandeln. Wenn das getan ist, wird es im allgemeinen keine Unruhe geben.“

Pekings Beurteilung seiner weltpolitischen Lage „In der ganzen Welt wird jetzt darüber diskutiert, ob ein dritter Weltkrieg ausbrechen wird oder nicht. In dieser Frage müssen wir psychologisch vorbereitet sein und gleichzeitig eine analytische Stellung einnehmen. Wir setzen uns entschieden für den Frieden ein und sind gegen den Krieg. Aber wenn die Imperialisten darauf bestehen, einen weiteren Krieg zu entfesseln, dann werden wir ihn nicht fürchten. Unsere Haltung zu dieser Frage ist die gleiche wie unsere Haltung zu allen Unruhen und Schwierigkeiten ... Bei vielen unserer Kader ist jetzt eine gefährliche Tendenz aufgetaucht — eine fehlende Bereitschaft, die Freuden und Härten der Massen zu teilen, ein Interesse für die persönliche Position und den persönlichen Gewinn. Das ist sehr schlecht.

Um unser Land zu einer Industriemacht zu machen, müssen wir intensiv aus den reichen Erfahrungen der Sowjetunion lernen. Die Sowjetunion baut den Sozialismus schon seit vierzig Jahren auf, und ihre Erfahrungen sind sehr wertvoll für uns. Wir wollen daran denken, wer so viele bedeutende Fabriken für uns entwarf und ausrüstete. Waren es die Vereinigten Staaten? Oder Großbritannien? Nein, beide nicht. Nur die Sowjetunion war bereit, das zu tun, weil sie ein sozialistisches Land und auch unser Verbündeter ist. Außer der Sowjetunion haben uns auch einige brüderliche Länder Osteuropas gewisse Hilfe gewährt. Es ist wahr, daß wir aus den guten Erfahrungen aller Länder — ob sozialistisch oder kapitalistisch — lernen sollten, aber am meisten haben wir noch von der Sowjetunion zu lernen.

Festigung unserer Verbundenheit mit der Sowjetunion, Festigung unserer Verbundenheit mit allen sozialistischen Ländern — das ist unsere grundlegende Politik, hierin liegt unser grundlegendes Interesse. Außerdem gibt es noch die asiatischen und afrikanischen Länder und alle friedliebenden Länder und Völker, mit denen wir unsere Solidarität festigen und entwickeln müssen. Mit diesen beiden Kräften vereint, werden wir nicht allein stehen.“ 2. Analyse der Rede Maos Eine Analyse der Rede ergibt, daß sie außenpolitisch zwar bedeutsam ist, ihre entscheidende Bedeutung aber durch die Schaffung einer neuen innenpolitischen Spielart des chinesischen Kommunismus erhält.

1. Außenpolitik: Die Rede hinterläßt den Eindruck, daß die beiden kommunistischen Supermächte in außenpolitischer Hinsicht auch weiter zusammen gehen werden. Die Volksrepublik China wird also weiterhin an der schon bekannten sogenannten Tschou En-lai-Linie festhalten, nach welcher die Außenpolitik vor der Innenpolitik zu rangieren hat.

Die neue Abart der rotchinesischen Außenpolitik hält es daher für geboten, z. B.den Nationalchinesen in Formosa entgegenzukommen, und an einer Steigerung des eigenen Prestiges in den unterentwickelten Ländern (u. LI. auch auf Kosten Moskaus) weiterzuarbeiten, ja sogar eine eigene Wertsteigerung im Blick auf mögliche Verhandlungen mit den LISA zu betreiben, — im übrigen aber die außenpolitische Symbiose zwischen Moskau und Peking aufrechtzuerhalten 2. Innenpolitik: In Verfolgung solcher Rangordnung wird in Peking innenpolitisch aber den ungarisch-polnischen Ereignissen eine höhere Bedeutung zugemessen, als dies offenbar in Moskau der Fall ist. Aus den Erfahrungen von Warschau und Budapest glaubt der gemäßigte kommunistische Parteiflügel in Peking ferner die Notwendigkeit einer gewissen Liberalisierung auch nach innen verantworten zu können. Die Liberalisierung der chinesischen Spielart des internationalen Kommunismus macht zwar (mit Moskau) die offene Absage an den Personenkult (bei möglichster Schonung Stalins) mit, entfernt sich aber von seinem Vorbild durch die geradezu sensationellen Anschauungen über die Möglichkeit „antagonistischer und nichtantagonistischer Widersprüche in der Gesellschaft". Während nämlich Stalin und selbst seine Epigonen in der gegenwärtigen Kreml-Regierung der orthodoxen Ansicht waren, daß in der sozialistischen Gesellschaft der Widerspruch zwischen Herrscher und Beherrschten verschwinden müssen, weil diese Ge-

sellschaft „nicht mehr antagonistisch“ sei, gibt Mao ruhig und philosophisch überlegen zu, daß auch im kommunistischen Staat zwischen Regierung und Masse, Demokratie und zentraler Diktatur, zwischen kollektiven und individuellen Interessen „nichtantagonistische Widersprüche" weiter bestehen müssen. Ihre Behebung dürfte nicht mit Terror geschehen, sondern müsse durch Diskussion, Erziehung und Über-zeugung erfolgen . Daß Chruschtschow mit einer solchen „reformistischen“ Interpretation Maos nicht zufrieden ist, betont er in seinem bekannten amerikanischen Interview, als er unwirsch bemerkte, „in der Sowjetunion gäbe es keine Widersprüche".

Daß aber Mao sogar diese Diskrepanz in Kauf nimmt, kodifizierte seine Rede, als sie öffentlich die jüngste Spielart des rotchinesischen Kommunistmus anmeldete: In ihr wird Moskau nicht mehr —wie vorher üblich — als „Führer“, sondern lediglich als „Zentrum“ des Kommunismus gerühmt.

Endlich aber gesteht die Rede — wie oben angedeutet — ein, daß die innenpolitischen, der Welt jetzt offenbar gewordenen Auseinandersetzungen zwischen den Machtgruppen des Kreml-Kollektivs den RotChinesen mindestens schon im Februar 19 57 bekannt waren: Denn der „Dogmatismus", gegen den sich Mao in, seiner Rede vom 27. Februar 1957 und im polnisch-chinesischen Kommunique vom 11. April 1957 gewandt hat, ist just jene Abart von „Fraktionsbildung“, die jetzt der Molotow-Kaganowitsch-Gruppe wörtlich zum Vorwurf gemacht wird, deren Aburteilung also offensichtlich schon vorher mit Peking vereinbart worden war.

Ein neuer Beweis für das außenpolitische Zusammenspiel, dem innenpolitische Sektenbildungen nachgeordnet und eingegliedert werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine, stark erweiterte, aber nur bis Ende April reichende Fassung des ganzen Vortrages erschien im „Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr.“ 1958 — Band VIII. (Herausgg. vom Göttinger Arbeitskreis, Göttingen 1958).

  2. Mittlerweile ist das Buch „Die Verträge der Volksrepublik China mit anderen Staaten", bearbeitet im Institut für Asienkunde Hamburg, Frf. /M. 1957 erschienen, inwelchem von zahlreichen anderen Verträgen der Volksrepublik China mit den Volksdemokratien die Rede ist. Auf dieses Buch wird besonders hingewiesen.

  3. Nach westlichen Quellen soll Mao an dieser Stelle auch Zahlen genannt haben: Ca. fünf Millionen Verhaftete, aber „nur" etwa 800 000 Hingerichtete, das heißt die Liquidierung „nur" jedes sechsten Gegenrevolutionärs.

  4. Diese mittlerweile legendär gewordene Formulierung wird in der „Prawda" anders variiert: „Laßt hundert Blumen sprechen. Laßt hundert Schulen miteinander wetteifern." In einer Anmerkung wird erwähnt, daß es sich hierbei um einen altchinesischen Spruch handle und daß „hundert hier „viel" bedeute.

  5. Während der Drucklegung dieses Aufsatzes erschien die Arbeit von Dr. Klaus Mehnert: Moskau und Peking, 1957.

  6. Vgl.den Artikel von Zzsinj Jue-Linj, Professor der Philosophie an der Universität Peking: „Wie ich den Kurs . Laßt alle Gelehrten wetteifern'verstehe?" in Waroduyj Kitaj, russ. Ausgabe. Nr. 12 vom 16. 6. 1957, Peking.

Weitere Inhalte