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Die Sowjets zwischen Asien und Europa | APuZ 5/1958 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 5/1958 Die Sowjets zwischen Asien und Europa Die Zusammenarbeit Moskaus und Pekings während der europäischen Satellitenkrise (1956-1957)

Die Sowjets zwischen Asien und Europa

BAYMIRZA HAYIT

Folgen der Vergangenheit

Abbildung 1

Die kulturellen und geistigen Verbindungen zwischen Morgen-und Abendland hatten sich schon im Altertum zu einer Lebensform entwickelt, die, auf einer gegenseitigen Befruchtung basierend, keiner besonderen Belastung ausgesetzt gewesen war. Im Verlauf der Geschichte änderte sich jedoch diese normale Entwicklung kultureller Verbindungen, besonders nachdem das Zeitalter des Kolonialismus, das gerade in Asien triumphierte, begonnen hatte. Durch den Kolonialismus war das Gleichgewicht der gegenseitigen Beziehungen gestört worden, wobei die Herrenländer die kulturelle Hegemonie in Asien übernahmen. Sie lenkten und bestimmten die politische und kulturelle Entwicklung in ihren Kolonien in Asien, das dadurch jahrhundertelang zum Schweigen verurteilt war.

Besonders im 19. Jahrhundert stießen die Interessensphären mehrerer europäischer Großmächte, einschließlich Rußlands, zwischen denen das osmanisch-türkische Imperium stand, in Asien aufeinander. Eine zeit-lang ruhte die Rivalität der Europäer in Asien im gemeinsamen Kampf gegen dieses türkische Imperium, das dann in unserem Jahrhundert als die letzte morgenländische Großmacht beseitigt wurde.

Nunmehr ist ein Teil der Menschheit von einer anderen Sorge als der kolonialen Besitzergreifung erfaßt, einer Sorge, die mit der Machtübernahme des Kommunismus verbunden ist. Zu Beginn wurde die Gefahr noch nicht in ihrem Ausmaß erkannt. Nada 1917 aber teilte sich die • Welt bereits in zwei ideologische Lager. Die kolonialen Völker Asiens befanden sich in dieser Zeit unter der Einwirkung des kommunistisch-russischen und demokratisch-europäischen Kolonialismus. Jahrzehntelang hatte man versucht, den Status quo in Asien beizubehalten Rußland hatte seine Herrschaft im Herzen Asiens (in Turkestan) befestigt und bekämpfte jegliche Freiheitsbestrebungen dort. Die Westeuropäer hatten in ihren Kolonien wohl einen wirtschaftlichen und politischen Einfluß ausgeübt, waren jedoch menschlich genug gewesen, in ihren Kolonien die freie Meinungsäußerung zu gewähren. Dadurch hatten die Kolonialvölker Asiens Gelegenheit erhalten, ihre national-politischen Forderungen zum Ausdruck bringen, was ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg die Erlangung ihrer nationalen Freiheit ermöglichte. Es soll damit nicht gesagt werden, daß die ehemaligen kolonialen Herrenländer die kolonialen Völker zur nationalen Unabhängigkeit „erzogen“, im Gegenteil, die Zeit war für einen Verzicht des Kolonialismus reif geworden, und die Bekämpfung desselben nahm auch innerhalb der Herrenländer einen dramatischen Zustand an, getragen von einer Reihe Europäer, die ihre eigenen Völker von weiteren Belastungen, Auseinandersetzungen und Verantwortungen befreien wollten. Derartige innere Auseinandersetzungen kamen den Freiheitsbestrebungen der Kolonialvölker zugute. Sie wurden frei. Aber diese Freiheit in Form einer staatsrechtlichen Gestaltung forderte von jedem freigewordenen Volk Einheit, Disziplin und Staatsbewußtsein, Eigenschaften, die von den Staatsmännern der neuen Staaten bewußt gefördert wurden, um das Resignationsgefühl abzuschaffen und das Gefühl eines unabhängigen Lebens zu erwecken. Die jungen Staaten mußten selbstverständlich versuchen, ihre zahlreichen innen-und außenpolitischen Probleme selbst zu lösen.

Es ist kein Geheimnis, daß die Völker Asiens während des Prozesses ihrer nationalen Wiedererwachung schwach waren. In der Zeit, in der die jungen Nationen mit ihrer historischen, völkischen Tradition in unserer modernen Epoche um ihr Dasein rangen, war das Vordringen der machtpolitischen und ideologischen Auseinandersetzungen, die sich auf den Ruinen des Zweiten Weltkrieges und auf dem alten Kolonialismus aufbauten, in Asien unvermeidlich. Die psychologischen und politischen Verwirrungen unserer Zeit griffen auch Asien an. Sowohl das russisch-sowjetische Imperium wie die Westmächte, an ihrer Spitze die Vereinigten Staaten von Amerika, versuchten sich in Asien zu behaupten. Der Westen möchte auf keinen Fall den Vorposten seiner Freiheit aufgeben, während die Russen in Asien eine Vorherrschaft erringen, bzw.den asiatischen Raum zu einer Ausgangsbasis im Kampf gegen den Westen umwandeln möchten. Diese Auseinandersetzungen mußten innerhalb der Völker Asiens zu Verwirrungen führen, verbunden mit der Frage, wem sie sich anschließen sollten. Dieses Fragespiel harrt in Asien immer noch, natürlich außer in den Ländern, die sich schon entweder den sowjetischen oder westlichen Machtblöcken angeschlossen haben, seiner Lösung. Dabei bemühen sich drei verschiedene Kräftegruppen, ihre Zielrichtung innerhalb ihrer Völker zur Geltung zu bringen, eine pro-westliche, eine prosowjetische und eine neutralistische. Die Sowjets versuchen dabei, die prosowjetische und neutralistische mit allen Mitteln zu unterstützen und die prowestliche mit Hilfe dieser ersteren zu bekämpfen.

Es war daher unvermeidlich, daß sich durch diese politischen Auseinandersetzungen geistige Änderungen anzeigten, die vor allem in ideologischer Hinsicht in Erscheinung traten. Hinzu kam, daß in fast jedem Land Asiens die Lösung der sozialen Probleme die größten Anstrengungen der Regierungen erforderten. Bis heute jedoch ist der soziale Gruppierungskampf im Sinne des Radikalismus mit parteipolitischer Zielsetzung noch nicht zum bestimmenden Faktor des Gesellschaftslebens der Völker geworden. Dagegen machen sich Bestrebungen zur Hebung des Wohlstandes der Bevölkerung bei allen sozialen Gruppen bemerkbar. So bemühen sich die Großkaufleute, durch Kapitalinvestierungen ihre Länder zu industrialisieren und der Arbeiterschaft der Industrie und Handwerksanlagen ihre Arbeitsplätze zu sichern. Ebenso versuchen die Bauern, um ein eigenes Grundstück zu besitzen, von ihren Feudalherren frei zu werden, und schließlich sind die Intellektuellen bestrebt, sich zur Elite und zum alleinigen Fürsprecher ihrer Völker zu entwickeln. Stoßen die Beteiligten bei der Verfolgung ihres Zieles auf innere und äußere Schwierigkeiten, so suchen sie die Schuld in Europa, sie betrachten ihre Schwäche als eine Folge des europäischen Kolonialismus. Lim dieses Gefühl des Mißtrauens gegenüber den Europäern noch weiter zu verstärken, setzten die Sowjets eine aktive Propaganda ein, durch die sie manchen Erfolg erzielen konnten.

Rückzug Westeuropas und Vormarsch Rußlands

Die politische Struktur der Länder Asiens hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg, also innerhalb von zwölf Jahren (1945 bis 1957) erheblich verändert. Ein kurzer Blick auf die Karte Asiens genügt, um dies zu erkennen. China, Viethnam, Nordkorea und Tibet wurden kommunistisch. Dadurch drangen die Sowjets bis in weiteste Gebiete Asiens vor. Indien, Indonesien, Pakistan, Burma, Ceylon, die Philippinen, Syrien, Libanon, Jordanien usw. wurden frei, und nur Pakistan begab sich in das westliche Lager. Einige dieser Länder nahmen einen neutralistischen Kurs, um zwischen der Ost-West-Kontroverse in eigenem Sinne handeln zu können. Kurz gesagt, Westeuropa erlebte seinen Rückzug aus dem asiatischen Raum, Rußland aber marschierte siegreich vor. Der westeuropäische Rückzug bestand entweder aus einem freiwilligen Verzicht des Kolonialismus, wie es England oder Holland zeigten, oder aus einem unfreiwilligen, wie es bei Frankreich der Fall war. Westeuropa aber hinterließ in seinen ehemaligen Kolonien seinen kulturellen und zivilisatorischen Einfluß, seine technisch-maschinellen Erneuerungen und seine moderne Denkart, Einflüsse, die wie ein Denkmal immer wieder an Europa erinnern mußten.

Westeuropa aber begann, dieses sein Denkmal selbst zu beseitigen. Zahlreiche Menschen konnten sich in Europa mit den Tatsachen der Entwicklung im asiatischen Raum kaum abfinden. Das Gefühl, vormals zu einem herrschenden Kontinent gehört zu haben, machte sich in manchen Kreisen Westeuropas deutlich bemerkbar. Bedauerlicherweise war Westeuropa mit den eigenen Problemen zu sehr belastet, so daß es sich nicht fähig zeigte, den freigewordenen Staaten beim Aufbau behilflich zu sein. Dadurch enstand ein Vakuum zwischen Europa und Asien. Bis die Vereinigten Staaten von Amerika einigen freien Ländern Asiens ein reales Hilfsangebot gemacht hatten, nutzte Moskau bereits das Vakuum und schaffte schrittweise die Voraussetzungen für sein späteres Vorgehen.

Die Sowjets hatten bereits 1917 ihren Kampf den „europäischen imperialistischen Räubern“ angesagt, wie dies in dem Aufruf der Sowjetregierung an die Völker des Orients vom 3. Dezember 1917 zum Ausdruck gebracht wurde. Diese Kampftribüne wurde von Moskau seitdem nicht verlassen. Moskau hielt an seiner These fest. Schritt für Schritt begann es die Länder Asiens zu infiltrieren, zahlreiche Menschen wurden für die Ideologie gewonnen, die dann als Stimmungsmacher für die Sowjets im Kampf gegen Westeuropa auftraten.

Die Völker Europas bemühen sich in der Gegenwart, den Nationalismus in ihren eigenen Reihen zu beseitigen, ein Prozeß, der bisher noch nicht beendet ist. In gleicher Weise wurden von Europa und Amerika auch in Asien Kampfparolen gegen den Nationalismus aufgestellt in einer Zeit, in der die Völker Asiens und Afrikas gerade erst den Nationalismus als Mittel zur Selbstbehauptung hervorgehoben hatten. Von europäischer Seite wurde dieser Nationalismus häufig überschätzt und als eine Nebenerscheinung des Kommunismus bezeichnet. So geriet dieser mißverstandene Nationalismus der Völker Asiens und Afrikas in die Drehmühle der Sowjets und wurde dadurch in einen Verbündeten des Kommunismus umgewandelt. Erst als die verheerenden Folgen dieses Vorgehens sich bemerkbar machten, warnte Europa, daß der Nationalismus Asiens die Welt in Brand stecken möchte.

In der Zeit, in der Westeuropa von seinem Kolonialismus mit bestem Willen und im richtigen Augenblick zurücktrat, verzichtete es leider ebenfalls auf seine geistig-kulturelle Aufklärungstätigkeit gegen den sowjetrussischen Imperialismus. Moskau dagegen stellte mehrfach anti-westliche Parolen auf, angefangen von einer „Friedensbewegung“, anti-kolonialen und antiimperialistischen Phrasen und Koexistenzparolen bis zu einem Hilfsangebot in wirtschaftlicher, kultureller und militärischer Hinsicht. Dabei blühte der Kolonialismus Rußlands weiter. Um diesen russischen Kolonialismus den Völkern Asiens und Afrikas zu enthüllen, wurde im Zeitalter der Freiheitsbestrebungen von Westeuropa sehr wenig unternommen. Rußland dagegen wandelte seine Kolonialländer wie Turkestan und den Kaukasus zu Schaufenstern mit Verlockungen für den Orient um, die eigentlichen Vorgänge der kolonialen Politik Rußlands in diesen Ländern aber blieben vollkommen verborgen Sämtliche westlichen Anstrengungen dagegen richteten sich auf den Kampf gegen den Kommunismus. Die Verteidigung der freien Länder Asiens vor der kommunistischen Aggression war eines der Hauptziele des westlichen Denkens und Handelns. In dieser Hinsicht wurde vieles erreicht. Aber waren diese Bestrebungen den Menschen allgemein verständlich? Kaum, und warum nicht? Weil die Völker des Orients, die unter der westeuropäischen Herrschaft gelebt hatten, genügende Erfahrungen über diese gesammelt hatten. Sie blickten mit Mißtrauen auf den aussterbenden Kolonialismus Westeuropas und waren voller Zweifel, ob dieser bei irgend einer Gelegenheit nochmals zur Geltung kommen könne. Die von Moskau verbreiteten Parolen des Antikolonialismus und Antiimperialismus waren ihnen aus dem Herzen gesprochen.

Gewiß stehen sehr viele Menschen in Asien und Afrika dem Kommunismus mit Skepsis gegenüber, was aber nicht nur ein Verdienst Westeuropas, sondern vielmehr des Islams ist, der innerhalb seines Wirkungsraumes eine atheistische Lehre nicht zulassen will. Die eigentliche Schwierigkeit einer antikommunistischen Tätigkeit in Asien liegt jedoch darin, daß die Sowjets nicht unter den Parolen des Kommunismus vorgehen. Die Schlagworte wie „Russen und Inder sind Brüder“, „Die Russen sind die besten Freunde der Araber“, „Die Russen sind die Befreier der Afrikaner“, „Die Russen sind keine Imperialisten“, „Die Russen sind Friedenskämpfer“, „Die Russen suchen keine wirtschaftlichen Vorteile in Asien und Afrika“ und „Die Russen haben keine Stützpunkte in Asien und Afrika“ beherrschen in der Gegenwart bereits die Gedanken vieler Menschen. Es ist das Russentum, das in Asien nach außen triumphiert, hinter dem sich aber der Kommunismus versteckt hält.

Für einige westeuropäische Länder war es wegen ihrer Vergangenheit in Asien unmöglich, erneut in Aktion zu treten. Einen besonderen Dienst hätte die Bundesrepublik Deutschland auf Seiten der Westmächte im Orient leisten können, doch wurde ein derartiges Vergehen von mehreren Seiten unterminiert, bevor sie in Aktion treten konnte. Die Bundesrepublik Deutschland geriet in das Fahrwasser der Gegensätze zwischen Arabertum und Judentum, wobei sie von einigen Seiten als judenfreundlich und von anderen Seiten als araberfreundlich bezeichnet wurde. Diese gegensätzlichen Meinungen erweckten stellenweise im Orient ein gewisses Mißtrauen gegenüber der Bundesrepublik ein Gefühl, das jedoch erst in seinem Anfangsstadium steht. Andererseits versuchten Moskau und Pankow, die Bindung der Bundesrepublik an die westliche Gemeinschaft auszunutzen, um sie im Orient aktionsunfähig zu machen.

Der westeuropäische Rückzug, die amerikanische Einwirkung und der russische Vormarsch in Asien weisen unterschiedliche Charakterzüge auf. Während erstere bei ihren Bestrebungen, in Asien einen Zusammenschluß der Regierungen in irgend einer Organisation vorziehen, bevorzugen es letztere, direkt zu handeln. Der Westen ist vorwiegend an dem Zustandekommen eines Geschäftsabschlusses interessiert, die Sowjetrussen aber bemühen sich hauptsächlich, ihre ideologischen Ansichten einzuführen, wobei das geschäftliche Interesse nicht ausgeschlossen wird. Während der Westen von Regierung zu Regierung wirkt, arbeiten die Russen von Mensch zu Mensch, also innerhalb der Massen mit Hilfe ihrer Vertrauten. Schließlich besitzt der Westen in keinem freien Lande Asiens eine Tarnorganisation, Rußland aber unterhält eine Reihe solcher wie „Friedens-Gesellschaften“, „Gesellschaft zur Pflege der Beziehungen mit der Sowjetunion“, „Fortschrittliche Schriftstellerverbände", „antikolonialistische und antiimperialistische Vereine“ usw. Während westliche Kreise auf ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Völker Asiens mit Skepsis blicken, fördern die Sowjets, natürlich mit eigener Zielsetzung, eine Solidarität der Länder Asiens und Afrikas. Hinzu kommt, daß die Westmächte ihre Politik in Asien nicht koordinieren und anpassungsfähig gestalten, während der Ostblock von Peking bis Prag, von Moskau bis Bukarest das Gegenteil macht. Unter diesen Umständen kann man nur erstaunt fragen: „Wo gehst du hin, Asien?“

Asiatische Bestrebungen und die sowjetische Wachsamkeit

Das Gefühl der Schwäche gegenüber den Großmächten, das Streben nach der Lösung der Probleme im Rahmen des asiatischen Kontinents, die Sehnsucht nach einer Selbstbehauptung und der Glaube an das Vorhandensein eines Gemeinschaftsgefühls bei den Völkern Asiens, trieben einige Intellektuelle Indiens 1954 zur Bildung eines Solidaritätskomitees der Länder Asiens. Diesem, anfänglich auf einen sehr kleinen Kreis begrenzten, Komitee gelang es erst kurz vor Beginn der Konferenz der Länder Asiens und Afrikas in Bandung, im Jahre 195 5, eine Konferenz zu berufen, zu der eine Reihe privater Vertreter der asiatischen Länder, darunter auch der Sowjetunion, eingeladen wurden. Auf jener Konferenz in Delhi wurde beschlossen, in jedem Land Asiens ein „nationales Solidaritätskomitee der Länder Asiens“ zu bilden. Tatsächlich konnte dieses bis Ende 19 56 in fast allen Ländern Asiens gegründet werden. Das eigentliche Ziel dieser Komitees war es, die Zusammenarbeit der Länder Asiens zu fördern. Moskau erfaßte sofort die Situation, schloß sich dem Zeitgeist Asiens an und trat als einer der Förderer der asiatischen Solidarität auf. Die Sowjetunion bildete im Mai 1956 ein „sowjetisches Solidaritätskomitee der Länder Asiens“, aus zwanzig Personen bestehend, unter dem Vorsitz des turkestanischen Dichters Mirza Tursun-Zada, dem maßgebende Vertreter der Wissenschaft, Wirtschaft, Literatur, Gewerkschaft sowie Staats-und Parteifunktionäre angehörten. Durch die Bildung dieses sowjetischen Komitees war es Moskau möglich, aktiv innerhalb der asiatischen Solidaritätskomitees mitzuwirken. Die Zielrichtung der verschiedenen Komitees war jedoch nicht einheitlich, da sie von der Politik ihrer Regierungen oder den Tagesereignissen beeinflußt wurde. So wirkten die Komitees der neutralistischen Länder wie Indiens, Burmas und Indonesiens etwa im Sinne der Koexistenz, die der westlich orientierten Länder auf objektiver Basis, während die kommunistischen Solidaritätskomitees (in der Sowjetunion, in China, in der Mongolei, in Nordkorea) versuchten, die Bewegung ideologisch zu beeinflussen und antiwestlich zu gestalten.

Den ersten Grundstein für die asiatischen und afrikanischen Solidaritätsversuche legte 195 5 die Konferenz in Bandung, auf der der Wunsch zu einer engen Zusammenarbeit der Völker dieser zwei Kontinente zum Ausdruck gebracht wurde. Seitdem konnten jedoch die Vertreter der asiatisch-afrikanischen Staaten zu einer erneuten Konferenz nicht Zusammentreffen, und die Pflege der asiatisch-afrikanischen Solidarität blieb eine Angelegenheit der Solidaritätskomitees. Diese Komitees hatten ihre Tätigkeit besonders in der Zeit der Suez-Aktion Israels, Frankreichs und Englands aktiviert und versuchten, überall Protestaktionen zu organisieren. Da die Sowjets in dieser Hinsicht besonders hervortraten, mußten die Solidaritätskomitees schließlich auf ihren Führungsanspruch zugunsten der sowjetischen Solidaritätskomitees verzichten, das sogar behauptete, Sprecher von 1, 3 Million Menschen zu sein.

Im Dezember 1956 gelang es den nationalen Komitees unter starker Beteiligung der Sowjets in Delhi, eine Konferenz der Schriftsteller Asiens zu veranstalten. Diese Schriftstellerkonferenz war eine ideologische Versammlung, die in ihrer Beschlußfassung weitgehend unter sowjetischem Einfluß stand. Es ist geplant, die Träger des Geisteslebens Asiens und Afrikas 1958 in Taschkent, dem Zentrum der sowjetischen Orientprepaganda, erneut zu versammeln. Sollte es den Sowjets gelingen, diese dichterischen Kräfte in ihrem Sinne zu beeinflussen, dann kann der geistige Erfolg Moskaus mit Sicherheit nicht ausbleiben. Das Eindringen der sowjetischen Denkart in das Geistesleben des Orients war ein wesentlicher Vormarsch Moskaus im Orient, denn bisher blieb die Zahl der Kommunisten im Orient gegenüber den europäischen Kommunisten sehr gering. Eine derartige Einwirkung auf das Geistesleben, die eine Massenbewegung zustande bringen kann, ist sehr viel gefährlicher als eine offene kommunistische Propaganda.

Im Oktober 1957 übernahmen die Solidaritätskomitees die Initiative zur Berufung eines Kongresses der Länder Asiens und Afrikas in Kairo. Ein Vorbereitungskomitee von Vertretern aus zwölf Ländern, darunter auch der Sowjetunion und der Volksrepublik China, beschloß, in allen Ländern Asiens und Afrikas eine „Solidaritätswoche“ zu organisieren, in der durch Kundgebungen, Vorträge, Aufsätze und Ausstellungen das gemeinsame Interesse Asiens und Afrikas zum Ausdruck gebracht werden sollte. Die Tage vom 1. bis 8. Dezember wurden als eine solche Woche bekanntgegeben. Besonders demonstrativ gestaltete sich die „Solidaritätswoche“ in den Republiken der Sowjets in Turkestan und dem Kaukasus. Es wurden zahlreiche Vorträge über die gegenwärtige Lage Asiens gehalten, Filme aus den asiatischen Ländern gezeigt, sowie Reden von sowjetischen Propagandisten, angefangen vom Minister und Professor bis zum Arbeiter und Hirten, gehalten, die alle betonten, daß die Interessen der Sowjetunion die gleichen wie die der Völker Asiens seien. Schließlich betonte man, daß die Völker der Sowjetunion mit vollem Verständnis und Mitgefühl für die Angelegenheiten Asiens und Afrikas zu der Konferenz nach Kairo ihre Vertreter senden würden. In gleichem Sinne äußerte sich der Vorsitzende des chinesischen Komitees der Solidarität, Go-Mo-dsho und sein Stellvertreter, Burchan, Vorsitzender des Allchinesischen Islam-Vereins, am 14. Dezember 1957, mit dem besonderen Hinweis, daß 600 Millionen Völker Chinas mit brüderlichem Gefühl und Selbstlosigkeit die Konferenz begrüßen würden. Am 16. Dezember 1957 erklärte der Staatsminister Syriens, Salih Akil, u. a.: „Die Solidarität der Völker Asiens und Afrikas bedeutet eine Krafr, die es ermöglidtt, die iinperialistiscken Aggressoren zu unterdrücken.“

Auch aus mehreren Ländern Asiens waren derartige Stimmen zu hören. Daß Ägypten als Gastgeber eine noch stärkere Propaganda betrieb, versteht sich von selbst. Während vor Beginn der Solidaritätskonferenz in Kairo in fast allen Ländern Asiens vorwiegend antiwestlich gesinnte Erklärungen abgegeben wurden oder öffentliche Veranstaltungen stattfanden, die die Solidarität der Völker Asiens und Afrikas zum Ausdruck brachten, ohne eine Kritik gegenüber dem Westen auszu• üben, schwieg man in den Ländern des Westens über diese Konferenz.

Die Konferenz in Kairo, die vom 26. Dezember 1957 bis 1. Januar 1958 unter Teilnahme von rund 500 Delegierten aus 43 Ländern stattfand, befaßte sich vorwiegend mit internationalen Fragen wie Abrüstung, Ächtung der Atomwaffen, Rassenfragen, nationale Unabhängigkeit der kolonialen Länder, sowie mit den Problemen der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit der Länder Asiens und Afrikas.

Unter den Delegierten waren die sowjetischen und chinesischen Delegierten zahlenmäßig die stärksten. Außerdem waren aus allen Satellitenländern Osteuropas und aus der Sowjetzone Deutschlands Beobachtungsgruppen anwesend. Die sowjetische Delegation leitete der 40-

jährige Vorsitzende des Obersten Sowjet Özbekistans, Scharaf Raschid, ein ehemaliger Lehrer, Redakteur und Dichter, der seit 1939 Kommunist und jetzt zugleich sowjetischer Propagandist im Orient ist. Er ist in Asien als „Präsident der selbständigen Republik Özbekistan“, als „stellvertretendes Staatsoberhaupt der Sowjetunion“ bekannt. Er trat auf der Konferenz als Verteidiger des sowjetischen Standpunktes auf und bot die „großzügige, uneigennützige“ wirtschaftliche und kulturelle Hilfe der Sowjetunion den Ländern Asien und Afrikas an. Es war unvermeidlich, daß die Konferenz zu einem großen Teil den sowjetischen Standpunkt annehmen mußte, wie in den Fragen der Abrüstung, der Atomwaffen und der nationalen, kolonialen Fragen. Aber nicht immer konnten die Sowjets ihre Gedanken durchsetzen. Der ägyptische Vorschlag über einen wirtschaftlichen Zusammenschluß Asiens, der von den Sowjets unterstützt wurde, die sowjetischen Vorschläge der Verurteilung der Rassendiskriminierung in der ganzen Welt, einschließ-

lich Amerikas und einer Bekämpfung der amerikanischen Wirtschaftshilfe wurden abgelehnt. Dagegen forderte man die Abschaffung des Bagdad-Paktes und der SEATO.

— Die Vertreter der Sowjets bemühten sich besonders, den sowjetischen Standpunkt in den Fragen der nationalen Unabhängigkeit der kolonialen Völker und der Protektorate zur Geltung zu bringen. Die Sowjets forderten die Delegierten auf, sich für die volle Unabhängigkeit aller kleinen und großen Kolonialländer Afrikas und Asiens einzusetzen. In dieser Hinsicht wurde der sowjetische Standpunkt, der auf der XII. Vollversammlung der Vereinten Nationen 1957 von dem angeblichen Außenminister Özbekistans, Gani Sultanov, zum Ausdruck gebracht worden war, nochmals wiederholt und fand ein sehr günstiges Echo. Eine ehrliche Sympathie mehrerer Delegierter der Konferenz für die Sowjets war unvermeidlich, da die Turkestaner, die aus den Reihen der kolonialen Völker und dazu noch aus dem Herzen Asiens kamen, die Sprecher der Sowjets waren. Die Sowjetführung hatte es wiederum verstanden, ihren eigenen Kolonialismus zu verstecken und gerade diese als Vertreter „freier unabhängiger nationaler Staaten im Verband der Sowjetunion“

gegen den Kolonialismus auftreten zu lassen. Es wurde schließlich eine Resolution angenommen, in der die Großmächte aufgefordert wurden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anmerkung Hayit, Baymirza, Dr., geb. 17. 12. 1917 in Turkestan, Studium an der Hochschule in Taschkent, Historische Fakultät, während des Krieges Hauptmann in der Turkestanischen Legion, nach dem Kriege Promotion 1949 in Deutschland, Universität Münster/Westfalen, seitdem Forschungsbeauftragter. Koch, Hans, Dr. Dr. ev. theol. et phil. oö. UProf. Direktor des Osteuropa-Institutes in München. Lehrgebiet: Kirchengeschichte, bes. Osteuropas, geb. 7. 7. 1894 in Lemberg.