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Artikel 3 | APuZ 37/1969 | bpb.de

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APuZ 37/1969 Artikel 1 Revolution und Gegenrevolution in Osteuropa seit 1948 Artikel 3

Artikel 3

pas und der Vereinigten Staaten zerreißen. Der weißen Vorherrschaft folgt eine andere, es folgt ein Triumvirat Asiens, Afrikas und Lateinamerikas über Europa und Nordamerika. Warum sollten die Kommunisten der Entwicklungsländer ihre Köpfe vor dieser berauschenden Vision verschließen, die ihnen alle Schätze der technischen Zivilisation des Westens, Osteuropas und der Sowjetunion verspricht? Die Chancen des Maoismus sind fast unermeßlich, sie lassen sich eigentlich nur von ihm selbst verderben.

China repräsentiert vermöge seines Territoriums und seiner Bevölkerungszahl zwei Drittel der kommunistischen Welt. Da die KPCh die stärkste aller Länder ist und es Mao gelang, bis 1964 etwa 20 Kommunistische Parteien um sich zu scharen, konnte er auch mitgliedermäßig die Hälfte des internationalen Kommunismus für sich gewinnen. Einer solchen Situation hatte sich die UdSSR noch niemals gegenübergesehen. Es gab kein Lehrbuch, in dem Chruschtschow nachlesen konnte, was in diesem Falle zu tun sei. Er verlor die Kontrolle über seine Worte und Taten, während Mao wie ein Buddha lächelte und im Februar 1964 Chruschtschows baldigen Sturz prophezeite, der dann auch fast gleichzeitig mit der Zündung einer chinesischen Atombombe erfolgte.

Peking unternahm zwei wichtige Schritte, um die Völker und die Kommunistischen Parteien Osteuropas gegen Moskau aufzubringen. Anfang 1964 warf es der Sowjetführung vor, das Comecon in ein Instrument der Drangsalierung und Ausbeutung zu verwandeln: „Ihr tretet die Unabhängigkeit und Souveränität der Bruderländer mit Füßen und leistet deren Bemühungen, die Wirtschaft auf einer unabhängigen Grundlage und in Übereinstimmung mit ihren eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten zu entwickeln, Widerstand. Ihr schüchtert jene Bruderländer ein, deren Wirtschaft weniger fortgeschritten ist, leistet einer Politik der Industrialisierung Widerstand und versucht sie dazu zu zwingen, Agrarländer zu bleiben und Euch als Rohstoffquelle und als Absatzmarkt für Eure eigenen Produkte zu dienen. Ihr tyrannisiert die Bruderländer, die industriell weiterentwickelt sind, und besteht darauf, daß sie aufhören, ihre traditionellen Waren herzustellen, damit sie zu Zulieferungsbetrieben für Eure eigene Industrie werden. Darüber hinaus habt Ihr das Gesetz des Dschungels der kapitalistischen Welt in die Beziehungen zwischen sozialistischen Ländern eingeführt. Offen folgt Ihr dem Beispiel des Gemeinsamen Marktes, der von monopolkapitalistischen Gruppen organisiert worden ist."

Im Juli 1964 spielte Mao Tse-tung vor einer japanischen Besucher-Delegation auf die territoriale Kriegsbeute der Sowjetunion an: „Sie haben sich einen Teil Rumäniens angeeignet. Sie haben einen Teil Ostdeutschlands abgetrennt und die örtlichen Einwohner in den westlichen Teil verjagt. Sie haben einen Teil Polens abgetrennt und an Rußland angeschlossen und haben als Kompensation den Polen einen Teil Ostdeutschlands gegeben. .."

Der Konflikt Moskau—Tirana (Albanien)

Mitte 1959 hatten Chruschtschow und Hodscha in Tirana noch Bruderküsse ausgetauscht.

Aber während der Bukarester Konferenz im Juni und auf der internationalen Konferenz Kommunistischer Parteien im November 1960 gerieten sie bereits aneinander. Der Kreml legte es als empörende Undankbarkeit aus, daß Tirana den Standpunkt Pekings unterstützte. Hatte man Albanien nicht einen Kulturpalast geschenkt und 526 Millionen Rubel an langfristigen Krediten gewährt?

Wenn es in Bulgarien gelungen war, den chinesischen Einfluß zu verdrängen, so mußte das auch in Albanien möglich sein. Zunächst zogen alle sowjetischen Techniker ab. Chruschtschow sorgte dafür, daß auch andere Länder diesem Beispiel folgten — die Spezialisten der DDR im August 1961, obwohl sie dringend gebeten worden waren, wenigstens bis Ende des Jahres zu bleiben. Alle albanischen Studenten an den sowjetischen Universitäten mußten die UdSSR verlassen. Selbst der Touristenverkehr wurde unterbunden. Als Moskau seine 12 U-Boote aus den Adria-Stützpunkten zurück-beorderte, kaperten die Albaner vier mit dem Hinweis, die Sowjetunion hätte sie ihnen seinerzeit geschenkt. Dieser dramatische Zwischenfall machte klar, daß die Albaner härteren Widerstand als die Bulgaren leisten würden. Daher benutzte Chruschtschow die Tribüne des XXII. Parteitags der KPdSU, um sie vor aller Welt anzugreifen, wobei er zweifellos hoffte, fast alle Kommunistischen Parteien würden sich hinter ihn stellen. Das war jedoch nur zum Teil der Fall.

Für die sowjetischen und anderen Techniker sprangen chinesische ein. Peking gab Tirana eine Anleihe von 126 Millionen Dollar, um den Ausfall der sowjetischen Kredite wettzumachen. Obwohl in großen Teilen Chinas eine Hungersnot herrschte, leitete Mao Tse-tung von Kanada gekauften Weizen nach Albanien um, um die Widerstandskraft dieses Landes gegen den russischen Druck zu stärken.

Chruschtschow reagierte in einer immer schriller werdenden Sprache. Er ordnete die Sperrung des Flugverkehrs zwischen Moskau und Tirana an und beschlagnahmte alle in sowjetischen Häfen liegenden albanischen Handelsschiffe. Als Hodscha die Reduzierung des russischen Botschaftspersonals in Albanien aut etwa ein Drittel verlangte, brach er auch die diplomatischen Beziehungen ab. Die albanischen Kommunisten nannten ihn daraufhin als erste einen „Konterrevolutionär". Sie entwurzelten einen von Chruschtschow eigenhändig gepflanzten Baum und entfernten den Grundstein des sowjetischen Kulturpalastes. Albanien zog alle Reservisten bis zu 35 Jahren ein, um sich für den Fall einer militärischen Intervention Moskaus zu rüsten. Partei-und Staatsfunktionäre, die prosowjetischer Gefühle verdächtigt waren, mußten mit ihrer Verhaftung und Absetzung, wenn nicht mit Schlimmerem, rechnen. Liri Belischowa, Mitglied des Politbüros, zusammen mit dem ZK-Mitglied Koco Taschko vorsorglich schon im Herbst 1960 aus der Partei ausgestoßen, wurde erschossen. Sie hatte zwischen 1952 und 1954 hohe Parteischulen in der Sowjetunion absolviert und galt als Anhängerin Chruschtschows.

Der Konflikt Moskau—Belgrad wiederholte sich also in kleinerem Maßstab. Hatte schon Hegel bemerkt, daß alle historischen Ereignisse zweimal passieren, so war von Marx hinzugefügt worden: . . das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce" — so nicht nur im Vergleich von Napoleon I. und Louis Bonaparte, sondern auch diesmal. Für Tirana mit dem Rückhalt Pekings war es leichter als für Belgrad, das 1948 völlig allein stand, der Sowjetunion zu trotzen. Es rebellierte weder aus eigener Kraft noch setzte es neue Ideen um, sondern zerriß nur ein Satellitenverhältnis, um ein anderes einzugehen. Farcenhaft war auch, daß Hodscha Chruschtschow von rückwärts, von den Dogmen des Stalinismus her angriff und gleichzeitig den Vorwurf eines neuen Personenkultes in der Sowjetunion erhob, obwohl sein eigenes Bild sogar in den Kuhställen der albanischen Kolchosen hing. Während bei den Chinesen höchstens eine neostalinistische Tendenz festgestellt werden konnte, vertrat die albanische Partei den Urstalinismus.

Aber auch die sowjetischen Führer hatten aus dem Konflikt Moskau—Belgrad nichts gelernt. Wiederum münzten sie politische Meinungsverschiedenheiten in wirtschaftliche und staatliche Sanktionen um. Abermals riefen sie die Bevölkerung eines kommunistischen Landes zum Sturz der Regierung auf. Der geringfügige Umstand, daß die albanische Presse den umfangreichen sowjetischen Programmentwurf nicht in vollem Wortlaut veröffentlicht hatte, reichte für Chruschtschow bereits zur Beschuldigung aus, daß sie „vorsätzlich eine verzerrte Vorstellung" von der KPdSU zu erwecken versuche.

Diese agressive Überempfindlichkeit rührte zweifellos aus der Verletzung des sowjetischen Hegemoniegefühls her. Die KPdSU erwartete nach wie vor von allen anderen Kommunistischen Parteien, daß sie sich ihrer Führung unterordneten. Sie hielt es für selbstverständlich, daß ihre Beschlüsse als allgemein-verbindlich anerkannt würden. Da die Albaner erklärten, daß alle Kommunistischen Parteien „unabhängig und gleichberechtigt sind, ihre Politik nach den konkreten Bedingungen ihrer eigenen Länder auszuarbeiten" unterstützten sie ungeachtet ihrer stalinistischen Haltung die Position Jugoslawiens. Die Herauslösung Albaniens aus dem russischen Satelliten-verband brachte die osteuropäische Revolution einen Schritt weiter voran.

In ganz Albanien fanden antisowjetische Kundgebungen und Demonstrationen statt. Die Belegschaft eines Tiraner Textilwerks wollte nach einer von ihr angenommenen Resolution lieber kämpfend sterben, als unter der russischen Knechtschaft leben. Armeeeinheiten gelobten, die Grenzen bis zum Tode zu verteidigen. Da Albanien zu den Sitzungen des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe nicht mehr eingeladen wurde, erklärte es Ende 1962 seinen Austritt aus dem Comecon. Es beschuldigte die Sowjetunion, durch die Unter'Zeichnung des Atomteststopp-Vertrags mit den USA den Warschauer Militärpakt aufgelöst zu haben. Gleichzeitig verbreitete man den albanischen Standpunkt in ganz Europa. Auch über der DDR wurden Flugblätter abgeworfen. Sie enthielten einen Appell an die Mitglieder der SED, ungeachtet der sowjeti-sehen Besatzungstruppen, „die zunächst noch Chruschtschow gehorchen" dem Regime der Befehlsausgabe durch die KPdSU zu trotzen. Andere Flugblätter gingen auf Kasernen der Volksarmee nieder. Es war deutlich zu erkennen, daß Albanien auf einen militärischen Staatsstreich der stalinistisch gebliebenen Kader hoffte. In der DDR wurde auch eine 200-seitige Broschüre unter dem Titel „Es lebe die chinesisch-albanische Freundschaft" in deutscher Sprache illegal verbreitet.

Statt sich Moskau zu beugen, verlangte Hodscha die Vernichtung der Männer im Kreml. Er sprach von einem Kampf auf Leben und Tod. „Nikita Chruschtschow und die Mitglieder seiner Bande sind echte Kriminelle. . . . Sie sind Intriganten und Verräter. . . . Sie sind Verschwörer, die uns offen und schamlos erklärten, daß sie ein Komplott vorbereitet hätten, um Stalin zu töten."

Chruschtschow wurde also der Ermordung Stalins beschuldigt. Auch der letzte offizielle Kontakt zwischen Moskau und Tirana zerriß. Drei Bürger der UdSSR, die als Hüter der verlassenen sowjetischen Botschaft in Albanien zurückgeblieben waren, mußten das Land binnen 48 Stunden verlassen. Man hatte ihnen die Strom-und Wasserzufuhr gesperrt.

Chruschtschows Kampagne gegen Albanien war ein glatter Mißerfolg. Der Konflikt Moskau—Tirana warf vor vielen Kommunistischen Parteien die Alternative auf, sich zwischen China und der Sowjetunion zu entscheiden. Er vertiefte die Krise des Weltkommunismus

Die Chruschtschow-Doktrin und der Konflikt mit Bukarest Rumänien verzögerte die Entstalinisierung. Im Dezember 1960 löschte es die autonome ungarische Region durch Aufteilung aus. Der Staat griff nach dem Privatvieh der Kolchosbauern. Schriftsteller, die einer parteigebundenen Literatur widersprachen, mußten sich als „Provokateure und Stümper" bezeichnen lassen. Doch die Lyrik wurde gelobt, weil sie sich endlich die Ideen der marxistisch-leninistischen Philosophie zu eigen mache. In einem solchen Klima hatte die Anfang 1962 erfolgte Entfernung der Stalin-Denkmäler nur geringe Bedeutung. Die rumänische Parteiführung schien noch immer nicht daran zu denken, den 1954 hingerichteten Nationalkommunisten Patrascanu zu rehabilitieren.

Erst während der Kuba-Krise schreckte Bukarest auf. Wie aus diplomatischen Quellen Frankreichs durchgesickert ist, hatte die rumänische Regierung im Oktober 1962 an die Vereinigten Staaten eine vertrauliche Note gerichtet, in der sie sich für den Fall eines Krieges zwischen den Atommächten als neutral erklärte, weil sie von der Sowjetunion bezüglich der Installierung von Raketen auf Kuba nicht konsultiert worden sei Rumänien distanzierte sich also auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise von seinen Verpflichtungen im Warschauer Pakt.

Ende 1962 konnte man auch die erste offizielle Polemik zwischen Bukarest und Moskau verfolgen. Es ging um die Legitimation der kommunistischen Herrschaft in Rumänien. Verdankten die rumänischen Kommunisten ihre Macht allein der Sowjetunion? Der sowjetische Historiker Uschakow hatten in einem 1961 erschienen Buch behauptet, Marschall Antonescu sei am 23. August 1944 durch die sowjetische Kommandantur (von Bukarest) verhaftet worden. In Wirklichkeit war die sowjetische Armee an diesem Tage noch weit von der rumänischen Hauptstadt entfernt und besetzte sie erst am 29. August. Antonescu wurde durch König Michael festgenommen, der ihn unter einem Vorwand in sein Schloß bat. Er handelte im Einvernehmen mit der Widerstandsbewegung, die sich noch am gleichen Tage zum Aufstand gegen die deutsche Besatzung erhob. Diesen Aufstand spielten nun die rumänischen Kommunisten als eigenen Beitrag zur Befreiung ihres Landes gegen Uschakow aus. Dessen Buch war aber schon 1961 veröffentlicht worden. Warum griff man es mehr als ein Jahr später auf?

Rumänien fühlte sich offenbar durch Chruschtschows Doktrin bedroht, von der es erst im Juni und August 1962 erfuhr und deren weltpolitischer Ausläufer die Kuba-Krise war. Sie ist im Westen so gut wie übersehen und nur bruchstückhaft erörtert worden. Die Chruschtschow-Doktrin diente dem Versuch, die politische Einflußsphäre der Sowjetunion durch wirtschaftliche Verzahnung ihrer Bestandteile in eine einheitliche kommunistische Gesellschaft unter dem Hegemoniat der UdSSR umzuschmelzen. Als hierzu geeignetstes Instrument war das Comecon ausersehen, weil die politischen Zwangsmittel der Stalinzeit durch wirtschaftliche ersetzt werden sollten, die unverfänglicher erschienen und infolge ihrer Indirektheit eine geringere Angriffsfläche boten. Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Comecon), im Januar 1949 nach dem Ausscheiden Jugoslawiens aus dem Ostblock gebildet, trat 1956 noch immer auf der Stelle. Er hatte zwar eine Desintegration der osteuropäischen Länder aus dem gesamteuropäischen Wirtschaftsmarkt bewirkt, ihre eigene Integration aber verfehlt. Nach den revolutionären Erschütterungen Osteuropas im Jahre 1956 richtete Chruschtschow sein Augenmerk auf diesen Mangel. Schon 1957 sprach er wiederholt von der Notwendigkeit einer Kooperation. Ein erster Erfolg war ihm 1958 beschieden, als das Comecon die Koordinierung der Wirtschaftspläne seiner Mitgliedsländer beschloß. Aber in der Praxis änderte sich hierdurch nur wenig. Lediglich die Hauptkennziffern der Pläne konnten abgestimmt werden, und selbst dies nur für einzelne Zweige der Industrie. Anfang 1959 empfahl Chruschtschow noch dringender eine Arbeitsteilung der kommunistischen Staaten. Sie müßten in einheitlicher Front vorwärts schreiten und einander brüderlich unterstützen. So würde „allmählich die wirtschaftliche Entwicklung aller (!) sozialistischen Länder ausgeglichen"

Damals dachte Chruschtschow anscheinend auch an die Einbeziehung Chinas, Nordkoreas und Nordvietnams. Die internationale Arbeitsteilung sollte offenbar das gesamte . sozialistische Weltsystem'mit Ausnahme Jugoslawiens umfassen. Auch aus seiner Rede auf dem XXII. Parteitag der KPdSU im Oktober 1961 ging noch kein anderes Konzept hervor. Chruschtschow schien mit einer Anpassung Mao Tse-tungs an seine Wünsche zu rechnen. Diese Illusion gab er erst Ende des Jahres auf. Im Juni 1962 berief er nach Moskau eine Comecon-Tagung ein. Sie nahm „Prinzipien der internationalen Arbeitsteilung" an, in denen eine allseitige politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit vorgesehen war, wobei es an einer Stelle warnend hieß: „Die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Wirtschaften der einzelnen Länder, die sich aus der Arbeitsteilung ergeben, müssen fest und beständig sein, weil ihre Störung, selbst durch nur ein Land, unweigerlich zur Verletzung des wirtschaftlichen Rhythmus in den anderen sozialistischen Ländern führt." Man beschloß die ökonomische Spezialisierung und Kooperation, den Übergang von bilaterialen zu multilateralen Handelsverträgen, die Bildung eines Comecon-Vollzugsausschusses und — die Aufnahme der Mongolischen Volksrepublik. China, Nordkorea und Nordvietnam galten der Mitgliedschaft nicht mehr als würdig. Auch Albanien war zu der Moskauer Konferenz nicht geladen. Die Chruschtschow-Doktrin nahm die Teilung des Ostblocks in Kauf und ging von ihr sogar aus. Sie stand bereits im Schatten des Konflikts Moskau—Peking.

Die Beschlüsse der Juni-Tagung wurden von einer Moskauer Zeitschrift als ein „Ausrichten der ökonomischen, sozial-politischen und kulturellen Entwicklung der sozialistischen Länder nach einer gemeinsamen Linie" kommentiert, das „keinerlei nationalen Egoismus" dulde. Ein solcher . Egoismus’ hatte sich anscheinend schon bemerkbar gemacht. Rumänien schien auf der Stelle gewisse Bedenken angemeldet zu haben. Chruschtschow, der im allgemeinen nur Reden hielt, griff ausnahmsweise selbst zur Feder, um die . gemeinsame Linie’ darzulegen. Er feierte die Moskauer Comecon-Tagung als ein großes Ereignis. Schon Lenin habe eine Weltgenossenschaft der sozialistischen Völker vorgeschwebt. Es sei nun an der Zeit, diesen Traum zu erfüllen. Hierzu müsse ein einheitlicher Wirtschaftsorganismus geschaffen werden. Das beste Mittel sei eine gemeinsame Planung. „Gegenwärtig gibt es alle Möglichkeiten, um nicht nur einzelne Kennziffern des Umfangs der Produktion abzustimmen, . . . sondern um eine Art freie Bilanz zu schaffen, die die Rolle des kollektiven Plans . . . spielt. Volkommen richtig wurde auf der Beratung festgestellt, daß wir darangehen müssen, einheitliche Pläne für die Hauptproduktionszweige auszuarbeiten. In diesem Falle wird man die Befriedigung der Bedürfnisse nicht nur eines jeden Landes im einzelnen, sondern unserer gesamten Organisation vorsetzen."

Chruschtschow schlug die Koordinierung des Programms der Investbauten, die Ausarbeitung einer einheitlichen Brennstoff-und Energiebilanz, den Bau gemeinsamer Objekte (Großbetriebe) und einen zentralen Perspektivplan für die Zeit von 1961— 1980 vor, der die industrielle Produktion des Comecon-Bereichs um das Sechsfache und die landwirtschaftliche Erzeugung um das Dreifache steigern sollte. Bis 1970 müsse ein einheitliches Energiesystem Osteuropas und des europäischen Teils der Sowjetunion geschaffen werden.

Diese Ausklammerung des asiatischen Teils der UdSSR mußte schon Bedenken erregen. Und wenn sich auch Chruschtschow gegen den nationalen Egoismus wandte, so hatte das gewiß einen Grund. Aber das volle Ausmaß seiner Pläne ging erst aus einem Artikel des bulgarischen Parteichefs Shiwkow hervor, der sich ausdrücklich auf ihn berief. Dieser im Januar 1963 veröffentlichte Artikel polemisierte sowohl gegen Peking als auch gegen die nationale Beschränktheit in Osteuropa. Er malte die ständig fortschreitende Zusammenarbeit der Comecon-Länder aus. Eine vollendete kommunistische Gesellschaft könne nicht als eine Kombination isolierter und voneinander getrennter Organismen aufgebaut werden: „Der Kommunismus setzt . . . eine hoch-organisierte und im Rahmen der gesamten Gesellschaft zentralisierte Produktion, eine einheitliche Planung der Volkswirtschaft, eine organisierte Verteilung der materiellen Ressourcen und der Arbeitskräfte, eine Regulierung der Arbeitszeit voraus. . .. Wir werden etwa den gleichen Stand des Nationaleinkommens je Kopf der Bevölkerung, etwa den gleichen Stand der Arbeitsproduktivität und etwa den gleichen Lebensstandard der Massen erreichen." Man müsse auch zwischenstaatliche Vereinigungen und ein einheitliches Preissystem schaffen. Durch den gemeinsamen Bau von Betrieben durch mehrere Länder werde eine neue Form des sozialistischen Eigentums entstehen. Die bulgarische Regierung begrüße daher den von Chruschtschow eingebrachten Vorschlag, ein einheitliches Planungsorgan für alle Länder des Comecon zu gründen, das die Realisierung der gemeinsamen Pläne überwacht. Damit war die Chruschtschow-Doktrin klar umrissen. Es gab keinen Zweifel mehr, daß sie auf den indirekten Anschluß der osteuropäischen Länder und der Mongolischen Volksrepublik an die Sowjetunion zielte. Chruschtschow wollte das Ausscheiden weiterer Staaten der sowjetischen Einflußsphäre nach dem Beispiel Jugoslawiens unmöglich machen Bei enger wirtschaftlicher Verflechtung war auch die Neutralitätserklärung kommunistischer Länder nach dem Vorbild Ungarns (und Rumäniens) fiktiv. Mit einem Schlage sollten alle Ergebnisse der osteuropäischen Revolution ausgelöscht werden. Es war vorgesehen, das Satellitensystem auf neuer Grundlage zu restaurieren und in eine verkleidete politische Föderation einzufügen.

Chruschtschow verfolgte aber eher eine bundesstaatliche als eine staatenbundliche Regelung. Das Exekutivkomitee des Comecon sollte mit unbegrenzten Vollmachten ausgestattet werden, und da es einen russischen Generalsekretär hatte, bestand kein Zweifel, wie sich das Übergewicht der Sowjetunion auswirken würde. Selbst Kuba, das gar nicht Mitglied des Comecon war, gedachte man, die Richtung seiner Wirtschaftspolitik vorzuschreiben. Eine Moskauer Zeitschrift legte Castro nahe, „das Schwergewicht auf die Entwicklung der Landwirtschaft zu legen" und vorerst auf eine Industrialisierung zu verzichten. Auch in Polen, das sich für die Integration eingesetzt hatte, wurden Bedenken laut, da die Kosten und Vorteile der Spezialisierungen noch unbekannt seien. Rumänien lehnte die Arbeitsteilung nicht grundsätzlich ab, protestierte aber mit Entschiedenheit, als auf der Comecon-Tagung vom Februar 1963 der . gemeinsame Perspektivplan'bis 1980 vorgelegt wurde, nach dem es sich auf die Landwirtschaft und leichte Industriegüter konzentrieren sollte. Nach Chruschtschows Direktiven wurde Rumänien bis 1980 beispielsweise eine Energieversorgung von nur 5000 kWh zugestanden Er wollte diesem Land sogar den Anbau bestimmter landwirtschaftlicher Produkte vorschreiben wodurch Rumänien in Gefahr geriet, noch einmal zum Agraranhängsel industrieller Mächte zu werden. Dabei sollte sich die sozialistische Arbeitsteilung von der kapitalistischen dadurch unterscheiden, daß eine verkrüppelte und einseitige Struktur der Wirtschaft schwach entwickelter Länder durch eine proportionale Entwicklung ersetzt wird. So hieß es jedenfalls in den Grundprinzipien des Comecon, die schon nach einem Jahr verblichen waren.

Die rumänische Delegation widersetzte sich der Einführung von Mehrheitsbeschlüssen, verhinderte die Schaffung einer zentralen Planbehörde und bestand auf dem weiteren Ausbau der eigenen Schwerindustrie. Das rumänische Zentralkomitee berief sich im März 1963 auf die in der Moskauer Deklaration des internationalen Kommunismus verkündeten Prinzipien der Gleichberechtigung, Unabhängigkeit und nationalen Souveränität, womit es die wichtigsten Grundsätze der Koexistenz gegen Chruschtschow kehrte. Im Juli veröffentlichte die rumänische Regierung eine Broschüre, in der sie den Standpunkt vertrat, daß eine „internationale Arbeitsteilung nur gut ist, wenn sie unter gleichen Partnern stattfindet" Zunächst müßten die gröbsten Un-terschiede des ökonomischen Niveaus ausgeglichen werden. „Der Aufbau des Kommunismus im Weltmaßstab ist nicht vorstellbar unter Beibehaltung der Aufteilung der Länder in Industrie-und Agrarstaaten, in entwickelte und nichtentwickelte Länder." Damit war die Chruschtschow-Doktrin auch prinzipiell in Frage gestellt. Rumänien legte den Finger auf ihren Widerspruch, für eine sozialistische Weltwirtschaft einzutreten und doch das Comecon auf eine bestimmte Gruppe kommunistischer Länder zu begrenzen. „Bekanntlich spiegelt der RgW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, d. Red.) in seiner jetzigen Zusammensetzung nur zum Teil das Antlitz des sozialistischen Weltsystems."

Auf der Comecon-Tagung vom Juli 1963 zeigte sich die sowjetische Delegation kompromißbereit. Für einen Augenblick sah es so aus, als sei der Konflikt Moskau—Bukarest binnen vier Monaten wieder beigelegt worden. Aber Chruschtschow beharrte auf seiner Doktrin und suchte sie durch die Förderung einer Palastrevolte in der rumänischen Hauptstadt doch noch durchzusetzen Der Bukarester Korrespondent einer Mailänder Zeitung berichtete von Zwischenfällen an der sowjetisch-rumänischen Grenze. Nun kam die Reromanisierung in Gang.

Im Herbst 1963 verschwanden der russische Buchladen in Bukarest und das Institut für sowjetische Studien. Die rumänische Ausgabe einer sowjetischen Zeitschrift mußte ihr Erscheinen einstellen. Das Maxim-Gorki-Institut verlor seine Selbständigkeit und wurde dem Fremdspracheninstitut der Universität eingegliedert. Russisch als Pflichtfach für Schüler und Studenten entfiel, worauf sich die meisten für Französisch, Englisch und Deutsch entschieden Es hieß sogar, alle rumänischen Offiziere, die mit Russinnen verheiratet waren, hätten den Befehl zur Scheidung oder Trennung erhalten.

Aber Rumänien war zunächst mehr national-stalinistisch als nationalkommunistisch geworden, auch wenn der Parteichef Georghiu-Dej behauptete, die Entstalinisierung sei schon 1952 (mit der Absetzung einiger Spitzenfunktionäre) erfolgt.

Rumänien beharrte auf dem Autarkieprinzip der Stalinzeit. Es entsprach aber der Situation eines einzigen kommunistischen Landes, das sich eingekreist fühlte. Sobald diese Isolierung durchbrochen und eine ganze Reihe kommunistischer Staaten entstanden war, verlor das Autarkieprinzip seinen ursprünglichen Sinn, das in der Selbstbehauptung der Sowjetunion bestand. Es wurde jedoch im Zuge der Bolschewisierung Osteuropas fast automatisch übernommen oder übertragen, weil die Stalin-sehe Wirtschaftspolitik als universalgültig und vorbildlich galt. Moskau konnte die gewaltige Expansion seiner Macht ideologisch noch nicht kontrollieren. Die Volksdemokratien waren auf nationalstaatlicher Grundlage errichtet worden, und diese Grundlage förderte das überleben des Autarkie-Denkens, das dem internationalen Charakter des Kommunismus im Grunde fremd war. Wo die Volksdemokratien versuchten, sich auf übernationaler Grundlage — etwa in einer Balkanunion — zusammenzuschließen, schritt die Sowjetunion ein.

Stalins Ostblockpolitik wies einen seltsamen Widerspruch auf. In wirtschaftlicher Hinsicht sollte jedes kommunistische Land autark und damit selbständig werden, in politischer Hinsicht jedoch ein Satellit der Sowjetunion sein. Diese beiden Aspekte waren auf die Dauer unvereinbar. Aber erst Chruschtschow erkannte, daß wirtschaftlich selbständige kommunistische Staaten früher oder später versuchen würden, sich auch aus der politischen Vormundschaft Moskaus zu lösen. Seine Doktrin berücksichtigte die Ergebnise des Zweiten Weltkrieges. Einer ihrer Bestandteile war die Ersetzung der Einkreisungstheorie durch die Theorie des sozialistischen Weltsystems. Nach dem Bruch mit China wollte er jedoch sein eigenes sowjetisches Weltsystem schaffen, in das außer der Mongolischen Volksrepublik auch Kuba einbezogen werden sollte, so daß es sich auf drei Erdteile erstreckte. Aber nun erwies sich die Verpflanzung des Autarkieprinzips als schweres Hindernis der Verflechtung. Außer internationaler Arbeitsteilung oder wirtschaftlicher Selbständigkeit gab es keine Wahl. Unter gleichrangigen Mächten hätte sich dieses Problem vielleicht nicht zugespitzt. Aber das Verhältnis der „Bruderstaaten" und „Bruderparteien" war wenig brüderlich. Auch der kommunistische Teil Europas wurde vom Nord-Süd-Konflikt beeinflußt.

Für Rumänien wurde das Bestehen auf dem Grundgedanken der Autarkie zu einer Frage der Selbstbehauptung gegenüber der UdSSR. Aber niemand konnte übersehen, daß es " 963 noch konservativer als die Sowjetunion war. Die Entrussifizierung diente als Ersatzventil für eine Liberalisierung. Georghiu-Dej war kein Nationalkommunist, sondern ein Nationalstalinist. Ein Professor Liberman hatte in Bukarest noch keine Chancen. In der Entstalinisierung blieb Rumänien teilweise sogar hinter der DDR zurück. Nur das Verhältnis zum Westen entkrampfte sich langsam. Man brauchte seine Fachleute für das Stahlkombinat in Galatz, das eigentlich von sowjetischen Spezialisten errichtet werden sollte.

Rumänien wollte sich im Streitschatten der beiden kommunistischen Großmächte noch nicht festlegen. Von Peking gegen Moskau unterstützt, lud es chinesische und albanische Delegationen zu einem Kongreß der Konsumgenossenschaften ein, druckte Auszüge aus Maos 25-Punkte-Brief ab und nahm die diplomatischen Beziehungen zu Albanien wieder auf. Jedoch konnte man die Verdreifachung des Personals der chinesischen Botschaft in Bukarest nicht ohne Sorgen betrachten und übte im August 1963 sanfte Kritik am maoistischen Standpunkt.

Chruschtschow bohrte weiter. Nach dem bulgarischen Parteichef brachte er einen sowjetischen Wissenschaftler ins Spiel. Im Februar 1964 veröffentlichte eine Moskauer Zeitschrift einen sensationellen Aufsatz, der von einer solchen Tragweite war, daß er schwerlich ohne offizielle Genehmigung gedruckt werden konnte. Professor Walew empfahl nicht nur die Bildung eines wirtschaftlichen Großraums im Donaugebiet, er schrieb sogar: „Es ist geplant, eine Arbeitsteilung bei der Erzeugung von Walzwaren zwischen den Werken in Galati, Hunedoara und Resita (Rumänien) und Kremikowzi (Bulgarien) sowie den Werken im Dnepr-Becken vorzunehmen. Dadurch würden sich die Beziehungen in der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen den Gebieten des Donaudeltas und den benachbarten Gebieten Rumäniens, Bulgariens und der Sowjetunion enger gestalten . . . Eine Analyse der gegenwärtigen Situation und der Perspektiven der wirtschaftlichen Entwicklung in den Donaugebieten zeigt, daß Möglichkeiten bestehen, am Unterlauf der Donau zwischenstaatliche Produktionskombinate in den Wirtschaftszweigen Erdöl, Erdgas, Chemie, Maschinenbau, Schiffbau, Elektrotechnik, landwirtschaftliche Maschinen sowie Landwirtschaft zu errichten. Auch das Transportwesen (Benutzung der Donau und der Hauptverkehrsstraßen im Donaudelta) müßte koordiniert werden." Professor Walew stellte die Sache so hin, als wären bereits gewisse Absprachen zwischen den beteiligten Ländern getroffen, von denen man in Bukarest aber nichts wußte. Was in der rumänischen Hauptstadt am meisten empörte, war der auffallend unterschiedliche Anteil, den die drei genannten Staaten zur Schaffung von sechs zwischenstaatlichen Komplexen leisten sollten. Rumänien hätte 100 000, Bulgarien 38 000 und die Sowjetunion nur 12 000 qkm Bodenfläche beisteuern müssen. Das Galatzer Stahlwerk, dessen Bau Moskau nicht zu verhindern vermochte, sollte der Verfügungsgewalt der rumänischen Regierung entzogen und einer Comecon-Verwaltung unterstellt werden.

Jetzt ließ die rumänische Partei alle Reserven der Zurückhaltung fallen. Es fand eine erweiterte Sitzung des Zentralkomitees statt, das eine Erklärung abgab, in der zwischenstaatliche Komplexe strikt abgelehnt wurden. Der Staatsplan sei unteilbar. Man könne nicht die Wirtschaftslenkung an überstaatliche Körperschaften übertragen, ohne die nationale Souveränität in einen inhaltslosen Begriff zu verwandeln. Schon die Abtretung einiger Industriezweige oder Betriebe mache die Leitung der Volkswirtschaft als Gesamtheit unmöglich. Lenin habe sich mit seinem Begriff der Welt-genossenschaft auf eine Zeit bezogen, da der Kommunismus in der ganzen Welt triumphiert haben werde. Die Absicht, schon jetzt ihre Formen festzulegen, „entbehrt jeder realen Grundlage . . . Ausgehend von Lenins Erkenntnis, daß die Staaten und die nationalen Besonderheiten bis zum Sieg des Sozialismus in der ganzen Welt und sogar noch lange Zeit danach weiterbestehen werden, verwirklichen die sozialistischen Länder ihre Aktionseinheit in allen Bereichen, wirtschaftlich wie politisch, durch gegenseitige Konsultationen, durch gemeinsame Erarbeitung einheitlicher Standpunkte in den wichtigen, prinzipiellen Fragen und nicht durch Festlegung einheitlicher Lösungen durch irgendeine überstaatliche Autorität. . . . Zugleich können auch nicht eigene Sonderinteressen (der UdSSR — G. B.) als allgemeine Interessen, als objektive Erfordernisse der Entwicklung des sozialistischen Systems hingestellt werden. Niemand kann entscheiden, was für andere Länder oder Parteien richtig ist und was nicht . . ."

Noch unumwundener drückte sich eine rumänische Zeitschrift im Juni 1964 aus. Sie sprach von einer Unterdrückung der nationalen und staatlichen Unterschiede, von einer Ignorierung der Souveränität Rumäniens, von einer Mißachtung seines Volkes und von verletzter Gleichberechtigung zwischen den kommunistischen Ländern. Diese Zeitschrift setzte sich direkt mit dem Aufsatz von Professor Walew auseinander: „Die Staatsgebiete, die Walew in seine Kombinationen einbezieht, werden so behandelt, als wären sie Niemandsland und nicht Teile souveräner Staaten, so, als ob Staatsgrenzen im angeblichen Interesse des sozialistischen Weltsystems verletzt werden könnten. . . . Der Plan zur Bildung von zwischenstaatlichen Komplexen im Gebiet der unteren Donau stellt mehr als den bloßen Versuch dar, die nationale Souveränität eines sozialistischen Staates zu schmälern, mehr als eine direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten der rumänischen Volksrepublik und mehr als einen Vorschlag, sie mehrerer Attribute ihrer nationalen Souveränität zu berauben. Es handelt sich hier um einen Plan zur Verletzung der territorialen Integrität Rumäniens und zur Zerstückelung seiner staatlichen und nationalen Einheit. . . . Bei Verwirklichung dieser Pläne würde Rumänien als Staat und das rumänische Volk als Nation durch einfache administrative Mittel unter dem Vorwand wirtschaftlicher Notwendigkeit im Namen pseudo-marxistischer Überlegungen liquidiert werden. . . . Rumänien wird an keinem zwischenstaatlichen Komplex und an keiner . überstaatlichen'Form von Zusammenarbeit, an keiner sozialistischen , Integration'usw. teilnehmen."

Die Aufregung war verständlich, wenn man bedenkt, daß zwei Drittel des Gebiets der zwischenstaatlichen Komplexe aus dem Territorium Rumäniens herausgelöst werden sollten, das dadurch 42 °/o der Gesamtfläche seines Landes und 48 °/o seiner Bevölkerung verloren hätte. Unter diesen Umständen bestand in der Tat am wahren Inhalt der Vorschläge Walews kein Zweifel. Bukarest bemerkte auch, daß sein Aufsatz zur gleichen Zeit erschien, als auf dem Vierten Kongreß der sowjetischen Geographie-Gesellschaft „eine Serie von Referaten ähnlichen Inhalts gehalten wurde" die auf eine einheitliche Absicht schließen ließen. Chruschtschow spannte selbst die Geographen vor seine Doktrin.

Das rumänische Zentralkomitee aber strich den „Monat für sowjetisch-rumänische Freundschaft" und appellierte nun an die ganze Par-tei, sich geschlossen hinter seine Unabhängigkeitserklärung vom 26. April 1964 zu stellen. Es führte eine dreiwöchige Kampagne gegen die Chruschtschow-Doktrin durch. In allen Betrieben fanden Versammlungen statt, auf denen die Arbeiter, Angestellten und Ingenieure erstmals offen ihre Meinung über die Sowjetunion und die sowjetische Politik sagen durften. Eine zwei Jahrzehnte lang angestaute Erbitterung machte sich Luft, und nun geriet auch das Volk in Bewegung. Vorsorglich wurden Rumänen, die russische Frauen geheiratet hatten, den Versammlungen ferngehalten. Die April-Erklärung war der erste, diese Diskussion der zweite Schritt zum Nationalkommunismus.

Das Zentralkomitee erreichte, was es wollte, nämlich eine gewisse Einheitsfront von Partei und Nation gegen Moskau. Daraufhin strahlte der sowjetische Rundfunk am 30. Mai eine Sendung in rumänischer Sprache aus, in der es bereits mit einem Unterton der Drohung hieß: „Ist es nicht sonderbar, daß diejenigen, die gegen die Zusammenarbeit mit den anderen sozialistischen Ländern agitieren, sich an die kapitalistischen Länder wenden, um technische Hilfe zu erhalten und große Summe ausländischer Devisen dafür ausgeben?"

In der rumänischen Unabhängigkeitserklärung war der Passus enthalten, daß die Zusammenarbeit der kommunistischen Länder nicht zu ihrer Isolierung von den weltwirtschaftlichen Beziehungen führen dürfe. Im Gegensatz zur Chruschtschow-Doktrin lehnte diese Erklärung die Aufteilung des Weltmarkts in einen sozialistischen und einen kapitalistischen ab. Bukarest schickte Delegationen nach Frankreich, Österreich und den USA. Mit Paris wurde eine wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit vereinbart, wie sie bis dahin nur im Comecon üblich war. Die Vereinigten Staaten erklärten sich sogar zur Lieferung von Atomreaktoren bereit. Rumänien beantragte die Mitgliedschaft im GATT, das von einer sowjetischen Zeitschrift eben erst als ein „Mechanismus der Gewalt" bezeichnet worden war. Diesem Beispiel folgten auch Ungarn und Bulgarien. Alle drei Länder nahmen Verhandlungen mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds auf. Das rebellische Verhalten des rumänischen Zentralkomitees drohte Schule zu machen. Es wurde in Chruschtschows Augen zu einem neuen Herd der Zersetzung. Radio Bu-karest beschuldigte ihn jetzt offen des Neokolonialismus, genau gesagt des Versuchs, die schwachentwickelten Länder Osteuropas „in agrarische oder rohstoffproduzierende Anhängsel" Moskaus umzuwandeln. Der Konflikt erreichte damit seinen vorläufigen Höhepunkt. Chruschtschow traf sich mit Tito. Er gebrauchte Worte wie Verrat und Revolte. Falls Rumänien noch weitergehe, sei die Sowjetunion zum Handeln gezwungen Das war die Androhung einer militärischen Intervention wegen „vorsätzlich perverser Handlungsweise" der rumänischen Parteiführung. Tito reiste nach Bukarest und riet zu einem maß-volleren Ton. Aber die Moskauer „Iswestija" distanzierte sich am 4. Juli 1964 von den Vorschlägen des Professor Walew, die angeblich nur seinen persönlichen Standpunkt, den „Standpunkt eines einzelnen Wissenschaftlers" vertraten, grundsätzlich falsch seien und mit der sowjetischen Politik nichts zu tun hätten. Chruschtschow war nicht imstande gewesen, seine Doktrin in die Tat umzusetzen.

Die zweite Welle der Entstalinisierung (Sowjetunion)

Innerhalb der UdSSR äußerte sich der Konflikt Moskau—Peking zunächst einmal im Wiederaufleben der innerparteilichen Opposition gegen Chruschtschow. Im gleichen Monat — nämlich im April 1960—, da Peking den 90. Geburtstag Lenins zum Anlaß nahm, um Chruschtschow der Schönfärberei des amerikanischen Imperialismus zu beschuldigen, schrieb auch Molotow einen Gedenkartikel über Lenin, der vor einer koexistentialen Revision des Leninismus warnte. Molotow formulierte ferner eine Kritik am Entwurf zum neuen Programm der KPdSU, die sich, soweit sie bekannt geworden ist, mit der chinesischen Kritik vollständig deckte. Es wurde offenkundig, daß Peking Gesinnungsgenossen in der Sowjetunion hatte. Da Molotow im Unterschied zu Chruschtschow noch ein Mitarbeiter Lenins gewesen war und vorübergehend als Stalins legitimster Nachfolger galt, stellte er selbst als Einzelperson eine ernstzunehmende politische Kraft dar. Es bestand jedoch der begründete Verdacht, daß er — wie schon im Juni 1957 — wiederum als Sprecher einer ganzen Gruppe von Männern auftrat, die lange Zeit der obersten sowjetischen Führungsschicht angehörten und noch über viele Verbindungen verfügten. Zumindest konnten noch Malenkow und Kaganowitsch hinter ihm stehen. Das war ein potentielles Triumvirat, imstande, die Führung von Partei und Staat zu übernehmen. Die Schwäche oder Stärke dieses Triumvirats hing auch vom Grad der außenpolitischen Unterstützung ab, die es genoß. Sie maß sich nicht zuletzt an der Sympathie, die seinen Mitgliedern in den kommunistischen Parteien noch immer entgegenkam.

Im Laufe des Konflikts Moskau—Peking verbündete sich Mao Tse-tung mit den sowjetischen Prostalinisten. Sobald dies ruchbar wurde, wechselte Chruschtschow erneut seine Richtung. Nun wurde sein Antistalinismus fast militant. Denn mit dem Vorwurf des Stalinismus konnte er Mao und Molotow am besten treffen.

Der XXII. Parteitag im Oktober 1961

Der XXII. Parteitag diente unseres Erachtens vor allem dem Zweck, Maos Verbündete in der Sowjetunion aus dem politischen Leben zu verbannen, Albanien wieder an die Seite Moskaus zu zwingen und Peking von allen Kommunistischen Parteien zu isolieren. Das wichtigste Mittel zur Erreichung dieser drei Einzel-ziele war eine zweite Entstalinisierung.

Chruschtschows antistalinistische Tendenz richtete sich jetzt mit aller Intensität gegen Mao Tse-tung, wobei die personelle Alternative der ideologischen Führerschaft des internationalen Kommunismus ins Rampenlicht trat. Um diese Frage zu entscheiden, mußte Chruschtschow als ersten Schritt , sein Hinterland säubern', wie es in der Stalinschen Parteisprache hieß.

Im Mittelpunkt des Parteitags stand daher die Auseinandersetzung mit der (parteifeindlichen Gruppe'Molotow -Malenkow -Kaganowitsch. Zugleich wurden auch Woroschilow, Bulganin, Perwuchin, Saburow und Schepilow als Angehörige derselben Fraktion an den Pranger gestellt. Auf diese Angeklagten trommelten nicht weniger als 35 Diskussionsredner mit wörtlich vorbereiteten Manuskripten ein. Mikojan fungierte als ideologischer Generalstaatsanwalt, als er die drei wichtigsten Argumente gegen die innerparteiliche Opposition vortrug: Sie verkenne die entscheidende Bedeutung des sozialistischen Weltsystems, trete gegen die Politik der friedlichen Koexistenz auf und halte einen Dritten Weltkrieg für unvermeidlich. Diese Argumente sind kurz darauf auch gegen Peking vorgebracht worden. Molotow, von Mikojan als Hauptideologe der . parteifeindlichen Gruppe'bezeichnet, saß stellvertretend für Mao auf der Anklagebank. Wie es jetzt hieß, hätte es ohne ihn, ohne Malenkow und ohne Kaganowitsch wohl niemals einen Personen-kult in der UdSSR gegeben. Stalin habe sich erst mit ihrer Hilfe, „dank ihres speichelleckerischen Eifers die Stellung eines über den Wolken schwebenden Himmelsbewohners angemaßt" Sie trügen auch die persönliche Verantwortung für Massenverfolgungen in der Vergangenheit. Man hielt es endlich an der Zeit aufzudecken, daß vielfach auch die Frauen und Kinder der Parteifeinde’ umgebracht worden waren — man stellte einfach Listen zusammen und ließ sie reihenweise erschießen Auf einmal wurde es als ausgeschlossen erachtet, daß Männer, die solche Listen als kollektive Todesurteile im Namen der Partei unterzeichnet hatten, weiterhin das Mitglieds-buch der Partei behielten. Direkt oder indirekt forderten alle Diskussionsredner den Ausschluß des Triumvirats der innerparteilichen Opposition, die, wie nunmehr augenscheinlich sei, von Massenmördern angeführt werde.

Zwar gelang es, Molotow, Malenkow und Kaganowitsch aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen und die ihnen verbliebene Autorität zu zerstören, aber Chruschtschow war nicht imstande, auch ihren Ausschluß aus der Partei durchzusetzen. Der Widerstand scheint unerwartet groß gewesen zu sein. Die Erklärung liegt auf der Hand. Nach den ungeschriebenen Gesetzen des Stalinschen Kommunismus, von denen die meisten als parteiliches Gewohnheitsrecht weiterwirken, sind ausgestoßene Mitglieder vogelfrei. Der Ausschluß bedeutete oft für die Betroffenen ihre Liquidation. Wären Molotow, Malenkow und Kaganowitsch vor ein Tribunal gestellt und 1962 für weit zurückliegende Verbrechen abgeurteilt worden, so hätte niemand der alten Würdenträger seines Lebens mehr sicher sein können. Allzu viele waren in die Repressalien verwickelt, deren die Fraktionsführer der innerparteilichen Opposition beschuldigt wurden. Man konnte auch schlecht dieselben Methoden gegen sie verwenden, die man den Albanern zum Vorwurf machte. So erhielten Molotow, Malenkow und Kaganowitsch eine Pension. Im Westen nannte man das einen Fortschritt.

Der neue Vorsitzende des Staatssicherheitsdienstes sagte freilich in bezug auf die drei Genannten: „Zuweilen fragt man sich, wie es diese Leute fertigbringen, friedlich auf der Erde zu leben und einen ruhigen Schlaf zu finden. Sie sollten von Alpträumen verfolgt sein und müßten das Schluchzen und die Verwünschungen der Mütter, Frauen und Kinder dieser unschuldig umgekommenen Genossen hören." Auch die Altbolschewistin Lasurkina, von einer fast zwanzigjährigen Haft gezeichnet, war aufgeboten worden. Sie sagte, daß viele der besten Kommunisten ohne Gerichtsverfahren umgekommen seien, und beschrieb die Atmosphäre des Jahres 1937 wie folgt: „Wir, die Anhänger Lenins, wurden von einer Angst beherrscht, die wir bisher nicht gekannt hatten. Einer verleumdete den anderen, das gegenseitige Vertrauen war erloschen und man traute sich selbst nicht mehr. Es wurden Listen zur Verhaftung unschuldiger Menschen aufgestellt. Man quälte uns, damit wir die anderen verleumdeten. Wir erhielten die Listen und wurden zur Unterschrift gezwungen. Man versprach uns die Freiheit und drohte: wenn Du nicht unterschreibst, werden wir Dich foltern!"

Chruschtschow hatte seine Enthüllungsrede von 1956 in einer geschlossenen Sitzung des XX. Parteitags gehalten, zu der keine Journalisten zugelassen waren. Die Reden Schelepins, Lasurkinas und anderer Ankläger auf dem XXII. Parteitag konnten schon am nächsten Tag von allen Sowjetbürgern in der „Prawda" nachgelesen werden. Was damals kaum über den Kreis der Funktionäre hinauskam, drang nun ins ganze Volk. Selbst jene Bürger der Sowjetunion, die keine Zeitungen lasen oder lesen konnten, erfuhren von der Entfernung des Stalinschen Leichnams aus dem Lenin-Mausoleum in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 1961. Ein Mythos wurde an der Kreml-Mauer verscharrt. Mit den Überresten Stalins sank endgültig auch der Glaube an die Unfehlbarkeit der Partei ins Grab. Trotz der Entstalinisierung von 1956 hatten ja nach offizieller Darstellung weiterhin verbohrte Anhänger Stalins hohe Ämter bekleidet. Und wie konnten Männer, die in der Vergangenheit versagt hatten, glaubwürdige Repräsentanten eines 200-Millionenvolkes sein? Daher mußte eine solche Behauptung, daß „nur die Kommunistische Partei in der Lage ist, die wissenschaftliche Leitung der Entwicklung des Landes zu garantieren" nach dem XXII. Parteitag überheblich und lächerlich wirken. Chruschtschow untergrub das Prestige der Partei, deren Führungsrolle er immer weiter ausbauen wollte. In seinem Schlußwort, das in der deutschen Ausgabe fehlt, gab er öffentlich zu, daß die besten Vertreter der Kommunistischen Partei in der Roten Armee ermordet und vorher so gefoltert wurden, daß sie möglichst schnell sterben wollten. „Das ist der Personen-kult! Das sind die Taten Molotows und der anderen, die die schlimmen Zustände der Zeit des Personenkults wiederherstellen wollten."

Molotow war zum Sündenbock für alles geworden. Daran zeigte sich, daß die zweite Entstalinisierung ebenso wie die erste als ein Mittel zur Kompromittierung bestimmter Rivalen diente. Die volle Wahrheit wurde abermals verschwiegen. Sie hätte nur aufgedeckt werden können, wenn die Ehre Trotzkis als des Gegenspielers von Stalin wiederhergestellt worden wäre. Solange er als Erzfeind des Bolschewismus galt, lag über der Trotzkistenverfolgung, die immer weitere Kreise gezogen hatte, bis sie schließlich Millionen von Menschen verschlang, ein Schein der Begründung. In dieser grundlegenden Frage ging der XXII. Parteitag über den XX. nicht hinaus, wodurch er letztlich ebenso unehrlich blieb. Ohne die Rehabilitierung Trotzkis kann das Trauma der Entstalinisierung nicht aufgelöst werden. Sie würde aber die fast restlose Ablösung einer ganzen Generation von Funktionären erfordern, und Chruschtschow hätte selbst abtreten müssen, weil er zu den rabiatesten Trotzkistenverfolgern gehörte. Daher war der XXII. Parteitag trotz des gewaltigen Widerhalls, den er fand, abermals ein gespenstisches Schatten-gefecht. Noch einmal saßen die Ankläger über ihre eigene Vergangenheit zu Gericht. Statt Molotow hätte auch Chruschtschow der Hauptangeklagte sein können. Der Stalinismus war ein Teil, sogar der verbindendste Teil ihres Lebens. Schon aus Gründen der Selbsterhaltung mußten sie milde Richter sein, aber auch zur Erhaltung des politischen Systems, dem sie dienten und das sie um jeden Preis zu erhalten gedachten. Die Stalinzeit teilte sich in ihrem Bewußtsein in eine Sphäre der Angst und in eine Sphäre des persönlichen Aufstiegs. Chruschtschow selbst sprach das im März 1963 aus: „Als Teilnehmer der Ereignisse jener Jahre, die manchmal in düsteren Farben und grauen Tönen gemalt werden, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, daß das glückliche, frohe Jahre waren, Jahre des Kampfes, Jahre von Siegen, Jahre des Triumphes der kommunistischen Ideen."

Auf dem XXII. Parteitag war die andere Seite der Stalinära zur Sprache gekommen. Der nochmalige Sprung vom militanten Antistalinismus zur halben Rechtfertigung Stalins — ein Sprung, zwischen dem nur anderthalb Jahre lagen — ist aus der verfahrenen Situation einer Herrschaftsschicht zu verstehen, die mit ihrer Vergangenheit nur um den Preis des Machtverzichts fertig werden könnte. Sie mußte die Entschuldigung des Personenkults erfinden, weil sonst der Boden unter ihren Füßen eingebrochen wäre. Und sie muß weiterhin an ihr festhalten, weil sie sonst keinerlei Legitimation zur Weiterherrschaft mehr besäße. Obwohl Chruschtschow auf dem XXII. Parteitag empfahl, „in Moskau ein Denkmal zum Andenken an die Genossen, die Opfer der Willkür geworden sind, zu errichten" ist es niemals zur Errichtung eines solchen Mahnmals gekommen — es wäre die Verkörperung des schlechten Gewissens geworden. Unter der herrschenden Generation ist an eine konsequente Entstalinisierung in der UdSSR nicht zu denken.

Auf dem XXII. Parteitag ging es wiederum nur um Personen und um rivalisierende Gruppen, die bis zu einem gewissen Grade austauschbar waren, weil sich ihre politischen Konzeptionen nur formell unterschieden. Das Echo des Parteitags war größer als seine Essenz. Ernsthafte politische Reformen folgten ihm nicht mehr. Die KPdSU übernahm jedoch das jugoslawische Rotationsprinzip eines periodischen Wechsels der Funktionäre.

Hatte Peking anläßlich der Volkskommunen im Jahre 1958 erklärt, noch die lebende Generation der Chinesen werde den Kommunismus erblicken, so beeilte sich Moskau, schon drei Jahre später dasselbe für die Bürger der Sowjetunion zu versichern. Hatte Belgrad im Laibacher Programm des Bundes der jugoslawischen Kommunisten die restlose Ersetzung des Staates durch ein System der gesellschaftlichen Selbstverwaltung proklamiert, so erfand Chruschtschow den Volksstaat, der einer Diktatur des Proletariats nicht mehr bedürfe und den Übergang vom Staat zur gesellschaftlichen Selbstverwaltung bedeute. Das neue sowjetische Parteiprogramm placierte sich zwischen Peking und Belgrad, zeigte aber Spuren des Kommunegedankens wie auch der Selbstverwaltungsidee. Als ein zwiefaches Gegenmanifest eine eklektische Charta des Chruschtschowismus, dessen Widersprüche es in seinem Durcheinander von industriellen und kommunistischen Zielen enthüllte, deren Unvereinbarkeit immer klarer zutage trat, fehlte ihm jenes strenge Profil, das man weder Mao noch Tito absprechen konnte. Gleichwohl wurde es emphatisch verherrlicht: „Jahrhunderte werden vergehen, aber alle kommenden Generationen werden mit einem Gefühl der Dankbarkeit vom XXII. Parteitag der KPdSU sprechen, der das Programm annahm, in dem die grandiosen und edlen Züge des Kommunismus gezeigt und herrliche Perspektiven für die ganze Menschheit eröffnet werden."

Es brauchten nicht einmal zwei Jahre zu vergehen, bis nach der zweiten Entstalinisierungswelle auch der erneute Anti-Titoismus verebbt war. Um dem Zweckbündnis von Mao und Molotow zu begegnen, fanden sich Chruschtschow und Tito noch einmal zusammen. Tschu En-lai legte in Moskau einen Kranz am Grabmal Stalins nieder, Chruschtschow verteidigte Jugoslawien als ein sozialistisches Land. Pekings Geste war ein geschickter Schachzug, der den Blick aller Schüler Stalins auf Mao lenkte. Moskaus Verteidigung Jugoslawiens widersprach dem sowjetischen Parteiprogramm und Chruschtschows Reden auf dem XXII. Kongreß, ja dem Wesen des russischen Staatskommunismus schlechthin. Schon im Vergleich zu Tschu En-lai fiel Chruschtschow ab. Da er, um die jugoslawischen Kommunisten an sich zu binden, sogar ihrer Arbeiterselbstverwaltung zu schmeicheln begann und deren Brauchbarkeit für die UdSSR zu prüfen versprach, öffnete er von neuem den nationalkommunistischen Ideen das Tor.

Das neue sowjetische Parteiprogramm fußte auf der spekulativen Hypothese eines kommunistischen Triumphs im Weltmaßstab bis 1980. Nur unter dieser stillschweigenden Voraussetzung wurde der Aufbau des Vollkommunismus in der Sowjetunion bis zum gleichen Zeitpunkt versprochen. Allerdings erfuhren die Sowjetbürger zu ihrem Erstaunen, daß erst noch die materiell-technische Basis des Kommunismus geschaffen werden müsse. Sie hatten aber noch eine andere Überraschung hinzunehmen. Bis dahin waren sie gelehrt worden, daß der Kommunismus einen neuen Menschen hervorbringen wird. Nun hieß es umgekehrt, daß die Formung des neuen Menschen eine Bedingung des Kommunismus sei. Mit Marxismus hatte das freilich nichts mehr zu tun, eher mit Konfuzianismus, denn die Kontrolle des gesellschaftlichen Seins sollte ein „Sittenkodex" übernehmen. Konfuzius hatte den Verfall der chinesischen Gesellschaft durch sein Sittensystem aufhalten wollen. Auch Chruschtschow stemmte sich dem Verfall der sowjetischen Gesellschaftsordnung entgegen. Die Verpflanzung ethischer Prinzipien in die Seele der Menschen sollte den Kommunismus aus einem äußeren Ziel in eine innere Triebkraft, die Idee in eine Lebensform, ja in den persönlichen Sinn des Lebens aller verwandeln. Als oberstes ethisches Prinzip nannte Chruschtschow „Treue zur Sache des Kommunismus" Anscheinend wußte er nicht, daß alle politischen Treueverhältnisse auf patriarchalische Lehnsverhältnisse zurückgeführt werden können, also dem Menschentyp der Feudalzeit entsprachen. Modern war an seiner Konzeption nur, daß er im Unterschied zu Konfuzius, der das Familienoberhaupt mit fast unbegrenzter Entscheidungsgewalt ausgestattet hatte, die Partei mit absoluter Macht versehen wollte. Nun wurde auch der tiefere Sinn seiner Direktive klar, alle Kinder schon in absehbarer Zeit in Ganztagsinternaten aufzuziehen. Die Macht der Partei über die Seele der Jugend war noch durch das Erziehungsrecht der Eltern begrenzt. Die Partei sollte nicht nur das gesellschaftliche, sondern auch für jeden einzelnen das persönliche Familienoberhaupt sein. Chruschtschow hatte schon auf dem Lehrerkongreß von 1960 verkündet, daß alle negativen Erscheinungen im Leben der jungen Generation mit Stumpf und Stiel unwiderruflich ausgemerzt werden müßten. Er verfolgte mit seinem Sittenkodex das Ziel, die junge Generation an die herrschende Partei zu binden und zur gehorsamen Nachfolge zu erziehen. Der Sittenkodex sollte die Kluft zwischen Vätern und Söhnen überbrücken. Parteioffiziell wurde diese Kluft stets geleugnet, aber Chruschtschow wies insgeheim durch eine furchtbare Drohung, die er im Juni 1963 aussprach, auf sie hin: „Gogol hat ausgezeichnet dargelegt, wie Taras Bulba seinen Sohn Andrej tötete, weil dieser auf die Seite der Feinde über-geschwenkt war. Das ist die Logik des Kampfes."

Die . neue Klasse'ist die politische Klasse einer ganz bestimmten Generation, die ihre Nachfolge sichern muß. Mao beschritt zu diesem Zweck den gefahrvollen Weg der Kultur-revolution, das heißt einer bewußten und konvulsivischen Erschütterung der menschlichen Existenz, die diese aus den familiären und tra-ditionellen Bindungen — nicht zuletzt des konfuzianischen Systems — herauslösen sollte. Chruschtschow wählte die Schablone eines kommunistischen Dekalogs, wobei er sich als historischer Gesetzgeber wähnte und völlig verkannte, daß Sittenregeln nicht wie Dekrete diktiert werden können. Seiner konfuzianistischen Tendenz lag augenscheinlich die Auffassung des Menschen als eines Dinges zugrunde, nicht jedoch eines lebendigen Wesens, das sich den Sinn eines Lebens niemals aufpfropfen läßt, weil es seine Bestimmung in sich selbst trägt. Mehnert schrieb, die „konfuzianische Tradition erzog die Menschen dazu, sich mit den Verhältnissen abzufinden" 65). Nur dieses Ziel war auch für Chruschtschow real. Es mußte angesichts des Verfalls der sowjetischen Gesellschaftsordnung sogar mit aller Macht angestrebt werden, um den Zusammenbruch des Systems zu verhindern.

Das Wachstum der Opposition

Ein Kenner der sowjetischen Literatur meinte Anfang der sechziger Jahre, der Mensch sei „das Haupthindernis auf dem Wege zum Kommunismus" 66). Er wurde zum Haupthindernis, weil ein elementares Bedürfnis nach Freiheit und Wahrheit in ihm steckt, das nur vorübergehend verdunkelt und irregeleitet werden kann. Wie schon Ernst Bloch erkannte, sind Freiheit und Wahrheit die beiden Seiten einer Münze. Es ist nicht möglich, frei zu werden, ohne die Wahrheit über die Welt, in der man lebt, zu erkennen. Und Wahrhaftigkeit läßt sich ohne Freiheit nicht behaupten; ohne sie lassen sich keine Konsequenzen aus den gewonnenen Erkenntnissen ziehen, es sei denn gegen die bestehende politische Ordnung, falls sie die Wahrheit unterdrückt oder zensiert. Das größte Symbol für Wahrheit und Freiheit in dieser Periode der Sowjetunion war Boris Pasternak. Sein „Dr. Schiwago", in russischer Sprache als Taschenausgabe im Ausland gedruckt, ging von Hand zu Hand. Doch die Zahl der nach Rußland eingeschmuggelten Exemplare war viel zu gering, um den geistigen Hunger nach dem Nobelpreis-Roman zu stillen, der von keinem sowjetischen Verlag veröffentlicht werden durfte. Er wurde daher mit der Schreibmaschine und selbst mit der Hand abgeschrieben, auch Fotokopien waren im Umlauf Die russischen Leser begriffen besser als das Leserpublikum des Westens — dem weit-65)K. Mehnert, Peking und Moskau, Stuttgart 1962, S. 258.

66) L. Froese, Der Mensch in der neueren russischen Literatur, Düsseldorf 1962, S. 6. gehend die Fähigkeit abgeht und das auch nicht den Druck der Notwendigkeit spürt, zwischen den Zeilen zu lesen — den politischen Gehalt des „Dr. Schiwago". Pasternak hatte einen politischen Roman geschrieben, der eine Bilanz und in gewissem Sinne auch eine Abrechnung ist. Es schildert die Vergangenheit von Millionen unpolitischer Menschen sowie den Stalinismus, die Vergangenheit der immer noch herrschenden Parteielite.

Der Dichter führt die beispiellose Härte der Stalinschen Politik auf die mißglückte Maßnahme der landwirtschaftlichen Kollektivierung zurück, die eine tiefe Kluft zwischen der Regierung und dem Volk aufgerissen hatte, deren Fehler aber nicht eingestanden oder gar korrigiert, sondern zugedeckt werden sollte. „Um den Mißerfolg zu verheimlichen, mußte man den Menschen mit allen Mitteln der Einschüchterung das Denken und Urteilen abgewöhnen und sie dazu nötigen, Dinge zu sehen, die es gar nicht gab und die dem Augenschein widersprachen." 67) Pasternak schrieb rückhaltlos: „Ich kenne keine geistige Bewegung, die mehr auf sich selber bezogen und weiter entfernt von den Tatsachen wäre als der Marxismus." 65) Er führe zum Verlust des Glaubens an den Wert der eigenen Meinung und sei zu einer Tyrannei der Phrase geworden; nur in schlechten Büchern teilen sich die Menschen in zwei Lager. Kunst stehe immer im Dienste der Schönheit und könne sich niemals dem Prinzip der Nützlichkeit (oder Parteilichkeit) unterordnen. Die Führer der Oktoberrevolution hätten nichts auf der Welt so geliebt wie das Chaos — sie wollten sich nicht wie jedermann vom Brot ernähren, sondern die Erdkugel umgestalten.

Aber Pasternak machte einen Unterschied zwischen Lenin und Trotzki, ohne sie beim Namen zu nennen. Lenin war für ihn die Personifizierung der tyrannischen Phrase, Trotzki hingegen die Verkörperung der russischen Willenskraft. Er führte ihn unter dem Pseudonym Strelnikow in seinen Roman ein: „Wie war es möglich, daß der Doktor unter den zahllosen Menschen, die er kennengelernt hatte, bis zu diesem Tage niemals einer so ausgeprägten Persönlichkeit wie diesem Manne begegnet war? . . . Mit einemmal wurde ihm klar, daß dieser Strelnikow, der da vor ihm stand, die vollkommene Verkörperung der Willenskraft war. Er war in einem solchen Maße der Mensch, der er sein wollte, daß alles an ihm 67) B. Pasternak, 1958, S. 601.

68) Ebenda, S. 311.

Doktor Schiwago, Frankfurt/M. exemplarisch erschien: sein schöner und gut geschnittener Kopf, sein energischer Schritt, seine langen Beine, seine hohen Stiefel, die, selbst wenn sie voller Schmutz waren, noch sauber wirkten, und sein graues Uniformhemd, das, auch wenn es zerknittert war, den Eindruck frisch gebügelten Leinens erweckte. So überwältigend war der Eindruck seiner natürlichen Ausstrahlung und Haltung, die ihn befähigten, sich in jeder nur erdenklichen Lage der irdischen Existenz zurechtzufinden." Doch fiel dem Beobachter auf, daß Trotzkis Gesicht abzublättern begann. „Es war, als wäre etwas Abstraktes in dieses Antlitz gekommen und habe es farblos gemacht. . . . Mein Herz krampfte sich zusammen. . . . Ich begriff, daß es eine Auswirkung jener Mächte war, deren Gewalt er sich ausgeliefert hatte, erhabener Mächte, aber todbringender und erbarmungsloser, die auch ihn irgendwann nicht schonen würden."

Das russische Volk würde in der Umarmung des Bolschewismus wie vom glühenden Reif einer verzehrenden Idee zusammengepreßt, und Trotzki, im Gegensatz zu Lenin aus diesem Volk als ein spezifisches Geschöpf der hoffnungsvollen Revolution aufgestiegen, war Vollstrecker und Opfer zugleich. Pasternak ließ ihn nicht 1940 in Mexiko enden, sondern unmittelbar nach dem Bürgerkrieg im kommunistischen Rußland, umstellt durch seine ehemaligen Genossen, von eigener Hand.

Nur dem westlichen Leser (und Rezensenten) konnte entgehen, wer mit Strelnikow gemeint war. Um es deutlich zu machen, begegnete ihm Schiwago in Trotzkis legendärem Panzerzug. Er hatte sich aber von seiner Frau, dem Inbegriff der russischen Vitalität, getrennt, und als er schließlich zu ihr zurückkehren wollte, gehörte sie bereits einem anderen. Von der Vitalität losgelöst, war der Wille trotz glanzvoller Personifizierung der Vernichtung geweiht. Trotzki kehrte zu spät um, doch wenn man Pasternak folgt, so ist er weitaus russischer als Lenin gewesen. Im Westen sieht man es bekanntlich umgekehrt.

Der Roman „Dr. Schiwago" verbreitete sich innerhalb der Sowjetunion erst in den sechziger Jahren, und mit ihm kehrte Trotzki endgültig nach Rußland zurück. Vom Standpunkt des politischen Systems und selbst der zweiten Entstalinisierung, die auf der Verdammung des Trotzkismus beharrte, war daher das Verbot des Romans durchaus verständlich. Er be-stand ja auf der vollen Wahrheit über die Oktoberrevolution und ihre Folgen, er verkündete das Morgenrot einer neuen Freiheit und war ein Traktat zugunsten des kritischen Denkens. Pasternak starb im Frühjahr 1960 als ein Verfolgter des Systems. Seine Beerdigung gestaltete sich zu einer öffentlichen Demonstration. An ihr nahmen unter anderem die Schriftsteller Paustowski und Kawerin teil. Am Grabe Pasternaks traten auch ein Student und ein Arbeiter mit politisch zugespitzten Gedächtnis-reden auf. Diese Gemeinsamkeit von Dichtern, Studenten und Arbeitern war ein neues Moment, aber durchaus bezeichnend für die Jahre des Aufschwungs der Opposition.

Die Möglichkeiten des institutioneilen Marxismus, das kritische Denken abzutöten, hatten sich zunächst erschöpft. Vielleicht ahnte das auch Chruschtschow bei der Formulierung des neuen Sittenkodex. Aber die Entwicklung zum sogenannten „Tauwetter" konnte dadurch nicht mehr aufgehalten werden. Das zeigte sich bereits an den Antworten auf eine Umfrage einer literarischen Zeitschrift bei repräsentativen Schriftstellern der jungen Generation. Sie sollten insbesondere öffentlich erklären, wie sie ihre Pflicht verstünden, „den Menschen mit neuen, kommunistischen Eigenschaften zu formen"

Aksenow antwortete: „Das unbedingte Festhalten an der Wahrheit des Lebens ist das Unterpfand für eine wirkliche Beteiligung des Schriftstellers an der Formung des Menschen der Zukunft." Wosnessenskij schrieb: „Das Grundproblem der heutigen Literatur (ist) das Schauen in die Tiefe, in die Seele des Menschen, in das Interieur des Bewußtseins. Der Kommunismus kommt über das Herz; das Herz liegt in der Kompetenz der Poesie . . . Poesie ist Improvisation; man kann sie nicht planen." Gladilin: „Nur die Wahrheit schreiben, ohne die Wirklichkeit zu übertünchen und zu beschönigen. Seinerzeit haben manche Autoren den Leser mit rosaroten Bildern gefüttert." Damdinow: „Man darf schöngeistige Literatur nicht in eine triste Aufzählung positiver Eigenschaften des Menschen verwandeln. Bücher dieser Art zu lesen, ist langweilig." Fonjakow: „Eine der nutzlosesten Beschäftigungen in der Welt ist es, in Belletristik gekleidete Rezepte für das Verhalten in allen Lebenslagen zusammenzustellen. . .. Der Charakter der Generation, das ist der Charakter der Zeit." Schließlich Jewtuschenko: „Den Kommunismus stelle ich mir als eine Art symbolischen Staat vor, dessen Präsident die Wahrheit und dessen Minister die Sanftmut und die Strenge sind. Meiner Ansicht nach werden diese beiden Minister im Kommunismus genügen. Der Schriftsteller muß das Urbild eines solchen kommunistischen Staates sein."

Kein einziger der jungen Schriftsteller erklärte sich bereit, an der Reduzierung des Menschen auf einen Apparat mitzuwirken, der von einer Zentrale ferngesteuert wird. Alle wandten sich gegen die Normung des menschlichen Verhaltens nach einem vorgefaßten Schema. r Es gibt viele Beweise dafür, daß es sich nicht nur um repräsentative Schriftsteller der jungen Generation, sondern bei ihren Antworten auch um repräsentative Meinungen handelte. Wir beschränken uns auf einige wenige Äußerungen aus dem gleichen Jahr. Für Rassadin bestand das Schrecklichste am Stalinismus darin, daß er „den Untertanengeist theoretisch als das Normale hinstellt. Die Bedeutung der menschlichen Persönlichkeit wird auf ein Minimum reduziert — auf ein . Schräubchen' Nach dem Filmregisseur Fromm gibt sich die neue sowjetische Filmkunst „nicht mehr mit dem allgemeinen Optimismus eines kollektiven Schicksals zufrieden. Sie sucht nach der ganzen Einmaligkeit des Individuums, vor allem seiner Traumbilder und Ängste, die man bisher der Metaphysik zum Selbstkostenpreis überließ Winogradow zog aus dem Schutt eine uralte Weisheit: „Der Mensch ist seiner Natur nach ein freies Wesen und empfindet deshalb den Zwang als widernatürlich. Die Lüge hat noch niemals im Leben ein Aufblühen des menschlichen Wesens bewirkt . . ." Olga Bergholz deckte als ein typisches Symptom der vergangenen Ära und ihrer teilweise noch immer bestehenden Geistesverfassung die unverfrorene Behauptung auf, daß der Sowjetmensch frei vom unwürdigen Gefühl des Mitleids sei. „Diese Äußerung empfand ich als eine unglaubliche Beleidigung. Alles Lebendige ist doch zum Leiden fähig, und das Leid eines anderen Menschen als sein eigenes mitzuempfinden, es auf sich selbst zu übertragen, es abzuwenden und zu helfen — dessen ist nur der Mensch fähig." Oder nehmen wir Anninskij: „Talent ist dort, wo Wahrheit ist. Talent besteht gerade darin, daß der Künstler außerstande ist, seine Persönlichkeit zu verleugnen. Ohne Talent wird die Idee in der Kunst nicht einfach wertlos, sie wird einfach entmenschlicht, sie wendet sich gegen sich selbst, in erster Linie aber gegen die Menschen, selbst wenn sie in deren Namen beschworen wird."

Das negative Element der Grundstimmung hatte bereits Twardowskij in Verse gefaßt:

Wir haben Ihnen, Genosse Stalin, so getraut, wie wir vielleicht uns selbst nicht trauten.

Schon zur Gewohnheit war's geworden, daß er durch seiner Pfeife Rauch die Welt so sah, wie er sie wollte, daß er wie Gott geschaltet auch.

Im voraus war der Weg gewiesen für alles Tun und jedes Ding.

Den positiven Bestandteil desselben Grundgefühls modulierte Jewtuschenko in einer kurzen Autobiographie: „Den Tag, an dem Stalin beerdigt wurde, kann man als Wende in unserem Leben bezeichnen. Von diesem Tage an wußten wir, daß niemand mehr für uns dachte.

Ich hatte sogar zu zweifeln begonnen, daß irgendeiner jemals für uns gedacht hat. Auf alle Fälle mußte man von jetzt an nachdenken, nachdenken und noch einmal nachdenken. Der Wirbel der Ereignisse zerstörte täglich mehr unsere geistigen Gewohnheiten. Er bewies, daß in Rußland eine große Anzahl von schweren Problemen herangereift war und daß keiner sie lösen würde, wenn wir sie nicht selbst in die Hand nehmen würden. Die Kugel, die auf Berija abgefeuert worden war, war nur gerecht. Leider eine verspätete Gerechtigkeit. Aber ich habe den Eindruck, daß Gerechtigkeit ein Zug ist, der immer Verspätung hat. ... In Rußland ist das Wort . Dichter'fast ein Synonym für , Kämpfer'. In keinem Land der Welt hat die Dichtung eine so starke Tradition von politischem Engagement. Es ist kein Zufall, daß die Russen ihre Dichter als geistige Führer betrachten, als . Hüter der Wahrheit'. In Rußland hielten alle Tyrannen die Dichter für ihre schlimmsten Feinde."

Diese in Frankreich publizierten Sätze wären in der Sowjetunion wahrscheinlich niemals veröffentlicht worden. Jewtuschenkos Autobiographie wurde in Paris statt in Moskau gedruckt; sie sollte ihm den Vorwurf eintragen, sein Land für dreißig Silberlinge verkauft zu haben und „Abschaum auf der neuen Welle der Sowjetliteratur" zu sein. Die Partei verhängte einen fruchtlosen Boykott über den jungen Dichter, der erst durch einen persönlichen Protest bei Chruschtschow erreicht hatte, daß seine Verse die Zensur passierten. Doch „Babij Jahr" und „Stalins Erben" erschienen in der Sowjetunion nur in abgeschwächter Fassung Die Partei leugnete, daß es eine antisemitische Tendenz in der Sowjetunion gäbe und daß Stalin ein Scheintoter sei, der selbst aus dem Sarg noch Befehle zu erteilen vermag. Jewutschenko besaß den Mut, Chruschtschow im Dezember 1962 vor einem großen Forum zu warnen, sich derselben Methoden zu bedienen. Andererseits hatte er sich jedoch schon 1960 als überzeugter Kommunist zu erkennen gegeben:

Denen, die eifrig scharwenzeln und die Regierung belügen, geht es nicht darum, daß die Macht eine sowjetische, sondern allein darum, daß es Macht ist.

Wir stehen an den Fronten der Revolution, wir sind ihre Fortsetzung.

Hier klangen schon dieselben Motive wie in der Autobiographie auf: daß die Oktoberrevolution noch nicht beendet sei, aber von den alten Kräften kaum vollendet werden kann, weshalb zumindest die geistige Führung von den Politikern, die versagt oder sich gar mitschuldig gemacht haben, auf die Dichter übergehen müsse, die sich ihrerseits auf die junge Generation stützen sollten. Auf seinen Auslandsreisen gab Jewtuschenko fast unverhüllt zu verstehen, daß die Schriftsteller den Politikern das Heft aus der Hand nehmen müßten. Das war im Sinne Chruschtschows ein höchst gefährlicher Angriff auf den Führungsanspruch der Partei; er liebte es jedoch, vor aller Welt zu demonstrieren, daß sein Machtwort über der Zensur stand. Außerdem kamen ihm einige Verse des jungen Dichters gegen die innerparteiliche Opposition sehr gelegen. Er konnte auch nicht übersehen, daß Jewtuschenko binnen weniger Jahre zu berühmt geworden war, daß sich mit ihm nicht mehr auf dieselbe Weise verfahren ließ wie mit dem Schriftsteller Nariza, der 1960 in einem Brief an den Parteichef gegen die Knebelung der Kunst protestierte und daraufhin für geisteskrank erklärt worden war. Vor der Anwendung derselben Methode gegen die Dichter Tharsis und Owetschin im Jahre 1962 und ihrer allgemeinen Androhung gegen oppositionelle Intellektuelle scheute Chruschtschow aber nicht zurück. Der Genickschuß war durch die Einweisung in eine Nervenklinik oder in ein Irrenhaus ersetzt worden. Jewtuschenko schützte der Kordon einer ungemeinen Popularität, weil das neue Lebensgefühl in seinen Gedichten am reinsten hervortrat. Er hatte bereits in vielen Fabriken, Kolchosen und Schulen rezitiert. Nach seinem eigenen Bericht trat in einer Fabrik eine müde Arbeiterin auf ihn zu, um ihm dringlich zu raten: „Schreibe nur die Wahrheit, Söhnchen, nur die reine Wahrheit. Suche sie in Dir selbst und bring'sie dem Volk; suche sie im Volk und nimm sie in Dich auf." Dieses Erlebnis brannte sich in sein Gedächtnis ein, als hätte er durch den Mund der alten Arbeiterin vom Volk selbst einen Auftrag erhalten, der verpflichtender als jeglicher Parteibefehl war.

Es gab jedoch bereits eine noch jüngere Jugend, die schon weitaus radikaler als Jewtuschenko war. Ihr blieb nur die Herausgabe illegaler Zeitschriften übrig. Am „Phönix 61" waren 26 Autoren, am „Cocktail" sieben Autoren der Jahrgänge 1941— 44 beteiligt. Dem „Phönix" stand als Motto voran:

Schreibt wahr, damit das Wort lebe, damit, vom Schleier gedeckt der Gedanke, zusammengekrümmt wie eine Feder die sie unversehens Berührenden erschlägt.

Einer der Autoren, Karanin, kritisierte Jewtuschenko als einen „zwiegesichtigen Janus" der sich zu keiner konsequenten Haltung durchringen könne. Ein anderer, Oneshskaja, schrieb bitter von dem „herrlichen Vaterland, das auf Knochen errichtet ist" Sehen wir uns einen Auszug aus dem typischen Gedicht von N. Nor an:

Mögen wir wenige sein! Mögen wir schwach sein!

Unaufhaltsam jedoch wächst unsere Zahl. Und eure finstere Küche, die den Duft nicht kennt von köstlichen Speisen, in der Pfeffer und Salz und prickelnde Würze verschlossen sind in den Schränken, eure finstere Küche voll Modergeruch, sie steht auf faulendem Holz!

Wir werden die Bretter zerbrechen!

Mögen wir wenige sein! Wir warten! Wir glauben! Und sollten wir fallen: unsere Stunde kommt! Dieselbe Entschlossenheit fand sich in den Beiträgen des „Cocktail", der von „revolutionären Antikommunisten" herausgegeben wurde:

Mögen wir untergehen, unsere Stunde wird schlagen!

Vor uns sind noch viele Kämpfe, so viele Senatsplätze und Kugelregen.

In der Zwangsjacke quält sich Rußland, doch nie wird man es ganz zähmen.

Erhebt euch, jetzt, in dieser blauen Nacht. . .. Als Herausgeber des „Phönix" zeichnete furchtlos mit voller Adresse Alexander Ginsburg. Im „Cocktail" tauchte der Name Galanskow, eines nicht weniger Mutigen, auf, der pazifistische und anarchistische Motive miteinander verknüpfte:

Oh, leuchtendrotes Blut der Meuterei geht und brecht nieder den Kerker des Staates!

Um Galanskow und Ginsburg sammelte sich eine junge Garde, die nach nächtelangen Diskussionen in geheimen Zirkeln beschloß, selbst um den Preis der sofortigen Verhaftung an die Öffentlichkeit heranzutreten. Im Herbst 1961 verlasen sie vom Majakowski-Denkmal in Moskau ihre Verse und Traktate, darunter Ginsburg das „Manifest des Menschen" von Galanskow, das den Aufruf zur Erhebung enthielt. Von der Tribüne des Denkmals entfernt, verteilten sie Flugblätter unter die stehengebliebenen Passanten, denen ein solcher Anblick völlig ungewohnt war.

Die Komsomol-Zeitung nannte elf der beteiligten jungen Rebellen beim Namen: Galanskow, Bukowskij, Kaganowskij, Sacharow, Bokschtejn, Kalugin, Wischnjakow, Arkind, Schtschukin, Nosow, Schucht. Man bezeichnete sie in der Presse als Spitzbuben, Flegel, Faulenzer. Verräter und als „Abschaum" Gaanskow, ein Renegat, spiele sich als Theoretiker einer Gruppe auf, die sich „Progressisten" nenne. Aber erbärmliche Einzelgänger dieses Schlages, die das Volk verleumden würden, hätten keinerlei Chancen.

Doch am 6. Juni 1960 hatte es schon einen ähnlichen ‘orfall in Tambrow gegeben, wo der iunge Dichter Gogin am Soja-Kosmodemanskaia-Denkmal vor etwa 200 jungen Leuten rezitierte Auch in Leningrad und Saaratow cinnen die Dichter-Rebellen auf die Straße, um i esunqen an öffentlichen Plätzen abzuhalten. Si 6 abe-euch weiterhin illegale Zeitschriften hereus: In Moskau erschienen „Kampf" und „Die Prawda des Rußländers", in Odessa „Die Ähre", in Archangelsk „Morgendämmerung".

Pasternak, Twardowsjij, Jewtuschenko und Ginsburg gehören vier verschiedenen Generationen an. Vier verschiedene Lebensrhythmen vereinigten sich, um die Zwangsjacke des nach wie vor totalitären, wenn auch aufgelockerten Systems zu sprengen. Wenngleich vorerst aus jeder Generation nur eine kleine Minderheit den Stab der revolutionären Traditionen wiederaufnahm, war das tatsächliche Gewicht dieser Minderheiten bereits weitaus größer als ihr numerisches Gewicht, weil das politische System am Funktionsverlust wie an einer Auszehrung litt. Die Kommunistische Partei hatte ihre Schuldigkeit, Rußland zu einem Industriestaat zu machen, getan, und nun konnte sie eigentlich gehen. Aber obwohl sie in der Marx-sehen Terminologie aus einer Entwicklungsform zu einem Hemmschuh der Entwicklung geworden war, klammerte sie sich weiter an die Macht. Nach Achminow war die kommunistische Diktatur in Rußland „spätestens seit 1950 überflüssig, ja parasitär" Der Parteiapparat ist zum Selbstzweck geworden: „Die Spitze des Sowjetreiches bilden Menschen, deren Stellung so unsicher wie nur möglich ist, denn sie haben meistens gar keinen Beruf. Selbst wenn sie einmal vor Jahren einen gehabt haben, so sind ihre Kenntnisse zumindest nicht mehr zeitgemäß. Daraus ergibt sich vor allem, daß diese Menschen fest an dem Prinzip der Aufhebung des Privateigentums hängen, denn sie haben nur in einem kommunistischen System, einem System, in dem nicht das fachliche Können, sondern die politische Zuverlässigkeit ausschlaggebend ist, eine Verwendung."

Der Parteiapparat blieb hinter der Entwicklung, die er ausgelöst hatte, sowohl in sozialer als auch in bildungsmäßiger Hinsicht zurück. Das war eine Einsicht, die viele erzittern, aber auch aktiv werden ließ. Kein anderer als der berühmte Schriftsteller Paustowski, der das Erbe Pasternaks antrat, kennzeichnete den Unterschied zwischen den Apparatschiks und dem Volk: „Das Problem besteht darin, daß in unserem Lande eine neue soziale Schicht, eine neue bürgerliche Klasse vorhanden ist, die sich straffrei und bis zu einem gewissen Grade blühend entwickelt. Das ist eine neue Schicht von Fleischfressern und Besitzenden, die mit der Revolution, mit unserem Regime nichts gemein haben. Das sind Zyniker, schwarze Ob-skuranten, die sich nicht schämen, antisemitische Reden zu halten. Wie ist es dazu gekommen? Woher kommen die Nutznießer und Speichellecker, die Geschäftemacher und Verräter, die sich das Recht nehmen, im Namen des Volkes zu sprechen? Sie alle können in aller Freiheit und ungestraft auf die Tribüne steigen . . . und darüber sprechen, was und wie das Volk denkt. Sie haben sich daran gewöhnt, das Volk wie Erziehung geschah, Dung anzusehen. Ihre indem man sich an die niedrigsten Instinkte wandte. Ihre Waffe Verrat, die Verleum ist -dung, der moralische oder der physische Mord. Diese Leute sehen wir jeden Tag um uns. Sie scheinen in einer gemeinsamen Form geschmolzen zu sein, bis zu der Art, sich zu kleiden. Sie benutzen alle die gleiche, widerliche Ausdrucksweise, eine tote Sprache, eine Bürokratensprache, die voller Verachtung für die russische Sprache ist. Sie sind eine Macht, die schwer auf unserem Lande lastet. Aber ich glaube, daß unser Volk sich der Würde unseres Lebens bewußt werden und die Drosdows rasch und sicher hinwegfegen wird. Diesen Kampf muß man bis ans Ende führen. Das hier ist erst der Anfang."

Das war Djilas auf russisch. Die Unterschiede zwischen Paustowski und Galanskow sind nicht sonderlich groß, obwohl zwei Generationen zwischen ihnen liegen, die der Jewtuschenkos und die Twardowskijs. Der Bogen des Rebellentums spannte sich jetzt von den Siebzig-bis zu den Zwanzigjährigen. Gegen das System der , neuen Klasse'vereinigten sich Kommunisten und Antikommunisten, Enttäuschte und solche, für die Lenin ein Mann des Unheils war. Als Jewtuschenko und Wosnessenski im März 1963 von Chruschtschow angegriffen wurden, ergriffen ältere Schriftsteller ihre Partei. Der kasachische Dichter Sulejmenow verteidigte sie offen auf einer Massenversammlung von Jugendlichen in Alma Ata Aber auch Paustowski, Ehrenburg und andere stellten sich hinter die Jungen. Umgekehrt druckten die Herausgeber des „Phönix" Auszüge aus der Autobiographie Pasternaks ab. Es gab einen Generationskonflikt und zugleich ein Bündnis der Generationen, die sämtlich in Befürworter und Kritiker des Systems gespalten sind. Was die progressiven Vertreter der vier Generationen miteinander verband, war ihr Streben nach Abschüttelung der . toten Hand'des Stalinismus, ihre Empörung über die antisemitische Tendenz in hohen Funktionärskreisen, ihr Bemühen um Wahrheit, ihr Drang nach Freiheit und ihre Verachtung der Privilegien auf Lebenszeit einer beamteten Schicht, die eine privilegienfreie Gesellschaft schaffen wollte. Die antisemitische Tendenz ging übrigens auf die Verunglimpfung Trotzkis als Judas zurück.

Die Macht der intellektuellen Minderheiten beruhte darauf, daß sie der toten Bürokraten-sprache ein erneuertes Russisch entgegenstellten, das von Leben und Farbigkeit sprühte. Nur die Dichter konnten diese Erneuerung vollbringen. Dichtung wurde, wie Wosnessenski treffend sagte, zu einem Grundnahrungsstoff wie das Brot. Allein im Jahre 1963 erschienen in der Sowjetunion 2 236 Gedichtbände mit einer Auflage von 90 Millionen Exemplaren. An den „Tagen der Poesie" strömen Zehntausende von Menschen zusammen. Junge und alte Dichter rezitieren vor 1000, 5000, 10 000 atemlos lauschenden Hörern. In den Tiefen der russischen Gesellschaft bereitet sich eine gewaltige Umwälzung vor. Zwischen 1960 und 1962 ist die kalte Flamme einer geistigen Revolution entbrannt, die Flamme einer großen Nüchternheit, die wieder sehend macht.

Die Macht der intellektuellen Eliten beruhte auch darauf, daß, mit den Worten eines deutschen Korrespondenten in Moskau, „die moderne Literatur, das Schauspiel und der Film antistalinistisch" sind. Er berichtete, das einzige stalinistische Literaturorgan fände kaum noch Abonnenten. Die von Twardoeskij geleitete Zeitschrift „Nöwij mir" hingegen konnte ihren Absatz wesentlich steigern; als sie im November 1962 Solschenizyns Erzählung über das Leben in den Zwangsarbeiter-lagern brachte, waren in wenigen Stunden 100 000 Exemplare verkauft. Unter der Jugend fand die Zeitschrift „Junge Garde" große Beachtung; ihr Redakteur stellte sich offen der Partei: „Ihr beschuldigt uns des Nihilismus? Wir nehmen das an, denn Nihilismus ist die Suche nach dem Neuen!"

Die geistige Revolution hat die psychologische Macht des Systems bereits an entscheidenden Stellen durchbrochen, jene Macht, deren Wirkung darin zum Ausdruck gelangte, daß man nicht mehr frei zu denken oder gar zu fühlen vermochte. Aber die materielle Macht des Systems kann sie höchstens erschüttern. Gegen sie bedarf es noch anderer Kräfte. Aber auch diese Kräfte regten sich immer mehr. Trotz . Säuberung'der Universitäten in Moskau und Leningrad breitete sich die Unruhe unter den Studenten weiter aus. Es gibt zum Beispiel mehrere Berichte über eine von ihnen eigenmächtig in der Aula des Pädagogischen Instituts der Leningrader Universität durchgeführte Versammlung, die am 2. April 1961 stattfand. Von den 14 Rednern verteidigten nur drei den Standpunkt der Partei. Die übrigen verlangten Rede-und Meinungsfreiheit, das Recht auf den Zweifel und die Entlarvung „falscher ähnliche, Eine von etwa 300 Studenten besuchte Versammlung fand im Moskauer Institut für Energetik statt. Im Juni 1964 kam es in Moskau zu einer Protestdemonstration, als die Behörden eine Ausstellung des Malers Glasunow unterbinden wollten. Im gleichen Monat berichtete die Komsomol-Zeitung von einer „Weltanschauungsgruppe" in der Moskauer Universität Wieviel Studenten sich unter den ca. 10 000 jungen Menschen befanden, die nach amtlicher Mitteilung 1961/62 in „Besserungskolonien” verschickt wurden, konnte nicht festgestellt werden. Es machte sich ein waches Interesse an den politisierenden Schriftstellern des Westens bemerkbar. Auf unergründlichen Wegen wurden die Schriften von Camus, Orwell, Koestler und Saint-Exupery beschafft. Eine Reihe von Studenten gab das Studium auf und ging ins Volk: So entstand der neue Typus des geheimen Volkspredigers, eines unbezahlten Berufsrevolutionärs, der keine Partei oder illegale Organisation hinter sich hatte.

Daneben entfaltete sich die Massenbewegung. Wir müssen uns angesichts der detaillierten Fülle auf eine notizenhafte Aufzählung beschränken: 1960 Unruhen in Odessa und Nowotscherkassk. 1961 Unruhen in Krassnador, Sewastopol, Gorki, Odessa, Taschkent. Verweigerung von Überstunden im Donbass. Streiks in Odessa, Archangelsk, Murmansk, Krassnador, Kriwoj Rog, im Molkerei-Kombinat Nowotraizk, im Moskauer Lichatschew-Werk und in vier Leningrader Betrieben. In Moskau zogen Bauarbeiter in ein für Angehörige der Oberschicht bestimmtes Haus ein. Überfall auf eine Miliz-station in Muron. Frauenaufruhr in Jarosslawl gegen die Lebensmittelknappheit. Milchkannendemonstration in Woronesch, weil nirgends Milch zu bekommen war. 1962 Streiks im Donbass, Unruhen in Nowotschersk, Schachty, Nowoschachtinks und Krassnyj Ssulin, Demonstrationen in Kemerowo, Iwanowo, Omsk, Rostow und Minsk, in Taschkent, Kirowograd, Murom und Alexandrow. Bei Straßenschlachten in Wladimir explodierten erstmals Molotow-Cocktails.

Drei der genannten Ereignisse verdienen besondere Beachtung, nämlich die dreitägigen Demonstrationen in Krassnador (1961), die Meuterei im Donezbecken (1962) und die Unruhen in Nowotscherksk (1962).

In Krassnador fanden wie in anderen Städten Demonstrationen gegen die verhaßte Miliz statt. „Ein 15jähriger Junge war erschossen worden, sein Leichnam wurde von den Demonstranten feierlich durch die Stadt getragen." Das erinnert an einen ähnlichen Vorgang am 17. Juni 1953. Die gespenstische Szene des Herumtragens der ersten Blutopfer gehört zum Ritus der beginnenden Revolution.

Sie tauchte schon im 19. Jahrhundert auf.

Gegen die Streikwelle im Donezbecken war die Miliz machtlos. Das Parteibüro forderte Militär an. Der Kommandeur einer Einheit, der sich weigerte, auf die Arbeiter schießen zu lassen, richtete die Pistole gegen sich selbst.

„Nach ihm erschossen sich noch einige weitere Offiziere." Daraufhin wurde auch das Militär abgelöst und durch Sondertruppen des Staatssicherheitsdienstes ersetzt, die rücksichtslos von der Waffe Gebrauch machten. Einige Bahnverbindungen durch das Donezbecken waren monatelang unterbrochen — ein Zeichen dafür, daß die Unruhen und Streiks nur sehr langsam unterdrückt werden konnten. Dieser Vorfall erinnerte an den Aufstand der Jungarbeiter von Temir-Tau im Mai 1959.

Die Unruhen in Nowotscherksk setzten am 1. Juni 1962 gleichzeitig in den Großbetrieben und Lehranstalten ein. Offensichtlich waren sie organisiert. Die Arbeiter der Großbetriebe und die Studenten strömten auf die Hauptstraße. Sie vereinigten sich zu einer Demonstration, die zum Gefängnis zog, um die politischen Häftlinge zu befreien. Miliz und Staatssicherheitsdienst eröffneten das Feuer. Doch auch einige Demonstranten waren bewaffnet und schossen zurück. Es gab eine Straßenschlacht, die „auf viele Teile der Stadt" Übergriff, wobei die Studenten an vorderster Stelle kämpften. Die meisten Unruhen und Streiks der Jahre 1961/62 hingen offenbar mit der Geldentwertung durch die Währungsreform, mit der Versorgungskrise und den starken Preiserhöhungen zusammen. Aber in vielen Orten glitten sie schnell über diese sozialen Auslösungspunkte hinweg, um sich in politische Manifestationen zu verwandeln. Das Zusammengehen der Arbeiter und Studenten von Nowotscherksk bedeutete eine neue Entwicklungsstufe des Kampfes. An verschiedenen Orten überwanden erstmals auch die Frauen ihre politische Passivität. Im weiblichen Zwangsarbeitslager Kingir kam es zu einem . Aufstand, überraschender war aber das wachsende Selbstbewußtsein der Arbeiter und ihre Unterstützung durch gewisse Justizbeamte. Im Februar 1964 wurde bekannt, daß rund 50 °/o der in den letzten Jahren entlassenen Arbeiter im Gebiet Lugansk ihre Wiedereinstellung auf gerichtlichem Wege erzwangen Wieviel mögen es erst in Moskau und Leningrad gewesen sein?

In den Jahren 1963/64 flaute die Massenbewegung wieder ab. Wie jede andere unterliegt sie dem Wechsel von Flut und Ebbe. Nach ein oder zwei Jahren stellt sich fast immer eine Erschöpfung ein. Das will jedoch wenig besagen, solange die grundlegenden Ursachen der Unzufriedenheit weiterbestehen. Die Sowjetunion gelangte 1962 an einen Punkt der Entwicklung, wo soziale Zugeständnisse und kleine Reformen — vielleicht Reformen überhaupt — nicht mehr genügen. Gerade der XII. Parteitag mit seinen neuen Enthüllungen verhalf zu dieser Erkenntnis.

Zur Zügelung der Intelligenz schuf die Partei die „Ideologische Kommission" (1962) und das „Staatskomitee für Veröffentlichungen" (August 1963) — zwei neue Institutionen des institutionellen Marxismus. Zur Einschüchterung der Jugend und der Arbeiter wurde die Todesstrafe für verbotene Gruppenbildungen eingeführt; offenbar machte sich eine größere Anzahl solcher Gruppen bemerkbar. Im Februar 1962 erschienen nicht weniger als drei Verordnungen, die mit dem Tode drohten (zu diesem Zeitpunkt hatten die Unruhen einen Höhepunkt erreicht).

Es wurden vier Stufen von „Besserungs-und Arbeitskolonien" eingerichtet: gewöhnliche, verschärfte, strenge und Sonderlager. Als einer der ersten aus der intellektuellen Opposition lernte sie der Dichter Brodski kennen.

Man verurteilte ihn im März 1964 auf Grund einiger kritischer Gedichte wegen Schmarotzertums'zu fünf Jahren Zwangsarbeit.

Aber das Wachstum der Opposition konnte durch diese administrativen Maßnahmen nicht verhindert werden. Diese Opposition war bereits so gekräftigt, daß sie den Rahmen neuer politischer, sozialer und moralischer Beziehungen zu schaffen begann. Meißner schrieb: „Neben der formalen Organisation des bolschewistischen Einparteistaates entwickelt sich so eine informelle Ordnung der Sowjetgesellschaft, die wie ein Eisberg nur mit ihrer Spitze, den intellektuellen Teilen der Sowjetintelligenz, aus dem tiefen Wasser ragt." Das ist unbedingt richtig, doch eine neue Autorität kann immer nur im gleichen Maße entstehen, wie eine alte verfällt. Außerdem erwachte jetzt auch das Volk aus seiner Passivität. Als Bindeglied zwischen der literarisch-künstlerischen Intelligenz und dem Volk sprangen hier und da schon die Studenten ein. Chruschtschow malte vor den Augen seiner entsetzten Genossen das Gespenst einer „Partei der Parteilosen" an die Wand, die eine Partei von 90 °/o der Bevölkerung wäre.

Die Liberman-Reform Die sowjetische Planwirtschaft gelangte an einen kritischen Punkt, der ihre Überprüfung unvermeidlich machte. Daß sie zur Diskussion gestellt wurde, ging aber nicht auf eine Initiative der Kommunistischen Partei, sondern der Wirtschaftswissenschaftler zurück.

Das Akademiemitglied Dorodnizyn schrieb, die Wirtschaft von heute sei nicht mehr vom Schreibtisch aus zu leiten. Nach seinen Berechnungen wächst die Zahl der Beziehungen zwischen den Planungsobjekten proportional zum Verhältnis der Güterzahl. Allein die sowjetische Maschinenindustrie mit 125 000 Herstellungstypen erfordere die Berücksichtigung von 15 Billionen Beziehungen, weil jede Fabrik auf zahlreiche Zulieferbetriebe angewiesen ist.

Der Mathematiker Gluschkow rechnete aus, daß ohne eine grundlegende Reform schon 1980 die gesamte erwachsene Bevölkerung der Sowjetunion für statistische Arbeiten eingestellt werden müßte, weil sich bis dahin der Umfang der Planungsarbeit auf das 36fache erhöht haben würde. Allerdings wäre dann niemand mehr für die Warenherstellung übrig, so daß auch die Planwirtschaft in sich zusammenbräche. Professor Ljusternik beklagte, die Technik der Planung entspreche dem Niveau des 17. Jahrhunderts. Man habe lediglich den Gänsekiel mit dem Bleistift vertauscht.

Professor Birman hielt es für utopisch, weiterhin jede Bewegung eines jeden Arbeiters kontrollieren zu wollen. Er wies darauf hin, daß sich die Wirtschaftspläne zu Sammelwerken mit Tausenden von Seiten und Hundert-tausenden von Zahlen auswachsen, die niemand mehr zu überschauen vermöge. Professor Nemtschinow sagte ganz offen, das System des Administrierens hemme den sozialen und technischen Fortschritt. Falls man es nicht freiwillig reformiere, werde es früher oder später vom Druck des realen Wirtschaftslebens zerbrochen werden.

Was war geschehen?

Als 1928 der erste Fünfjahrplan anlief, gab es in der Sowjetunion nur 30 000 Industriebetriebe. 1962 waren es bereits 200 000. Das komplizierte natürlich alle Planungsprobleme, während die Planungsmethode unverändert blieb.

Die Industrie stellte 1962 20 Millionen verschiedene Güter her. Es war unmöglich geworden, die Produktion all dieser Produkte von oben her zu leiten und zu kontrollieren. Außerdem hatten sich die Möglichkeiten des extensiven Wirtschaftswachstums weitgehend erschöpft. Nach mehreren Berichten fiel die Zuwachsrate der sowjetischen Industrie 1962 unter die der amerikanischen ab, was angesichts der Pläne zur Überholung der Vereinigten Staaten einem Alarmsignal gleichkam. Selbst wenn die jährliche Zuwachsrate — wie es in einem Buch von W. Leonhard heißt — in den Jahren 1961— 63 nur von 11 auf 5, 8 °/o zurückgegangen sein sollte, war das für die sowjetische Führung schon schockierend genug. Unter diesen Umständen wurde die anhaltende Unrentabilität vieler Staatsbetriebe zu einer grundsätzlichen Frage, der nicht länger ausgewichen werden durfte. Der Grad ihrer Unrentabilität konnte jedoch nur festgestellt werden, wenn nicht mehr die Bruttoproduktion, sondern der Gewinn als Maßstab diente.

Da jahrzehntelang das Primat der Schwerindustrie, der Produktion von Produktionsmitteln galt, konnten viele Maschinen schließlich nicht mehr ausgelastet werden. Bei einer Kontrolle stellte man fest, daß im Schwermaschinenbaubetrieb von Kramatorsk von 72 Maschinen in der ersten Schicht jeweils 23, in der zweiten 28 unbedient blieben. Ein ähnliches Verhältnis ergab sich in Charkow. Aber die technische Ausrüstung vieler Betriebe war bereits hoffnungslos veraltet, obwohl der Maschinenbau — nach einer Angabe Chruschtschows — 400 wissenschaftliche Projektierungsinstitute und mehr als 1000 Konstruktionsbüros unterhielt.

Im übrigen tauchte das Absatzproblem auf.

Die „Prawda" brachte am 28. Juli 1964 eine Notiz, daß sich unverkäufliche Konsumwaren im Wert von 2, 5 Milliarden Rubel — etwa 11, 1 Milliarden DM — angehäuft hätten. Da dieser Berg nur allmählich entstanden sein kann, ist anzunehmen, daß er schon bei den Diskussionen von 1962 eine Rolle spielte. Eine Moskauer Zeitschrift kritisierte die mangelnde Qualität der Produkte und schrieb: „In den ersten vier Jahren des Siebenjahrplans (1959— 65) wuchsen die Lagerbestände des Einzelhandels an Kleidung, Schuhwerk und Geweben im Jahresdurchschnitt über viermal schneller an als der Verkauf dieser Waren. . . . Diese Lagerbestände kommen dem Staat teuer zu stehen. Seit man im Handel begonnen hat, den Preis solcher Waren herabzusetzen, sind für diesen Zweck über 1, 4 Milliarden Rubel ausgegeben worden." Mit dem wachsenden Lebensstandard waren die Käufer wählerischer geworden, und die Waren schlechter Qualität blieben liegen.

Der Papierkrieg hatte ein beispielloses Ausmaß angenommen. Es wurde zum Beispiel aufgedeckt, daß ein Autowerk, um die von ihm benötigten Kugellager von der benachbarten Kugellagerfabrik zu bekommen, Formulare mit einem Gewicht von 200 kg ausfüllen mußte, die durch 14 verschiedene Instanzen gingen. Die Anträge einer Maschinenfabrik auf Zuweisung von Material und Arbeitskräften füllten 17 000 Seiten.

Die Planungsauflagen wurden fast ständig verändert, so daß die Betriebe nie zur Ruhe kamen. Der Usbekische Volkswirtschaftsrat änderte allein in fünf Monaten des Jahres 1962 460mal seine Anforderungen an die ihm unterstellten Betriebe, wobei er jedesmal andere Fristen und Kennziffern vorschrieb.

Die Warenversorgung der Bevölkerung erfolgte nicht nach dem Bedarf, sondern mehr oder weniger willkürlich. 1962 fuhr Chruschtschow nach Sibirien. Zu der Versammlung, auf der er sprach, waren alle Bauern in Gummistiefeln erschienen. Chruschtschow fragte erstaunt, wie das komme. Man antwortete ihm, daß es Schuhe nicht zu kaufen gebe. Kurz darauf, im September 1952, rief der Parteichef ein Regierungskot ni ice für vernünftiges Schuhwerk ins Leben. Dies nach 34jähriger Planwirtschaft.

Nach der Rüstung wird auch die Raumfahrt zu einer immer schwereren Bürde für die sowjetische Wirtschaft — jedoch nicht nur in ökonomischer, sondern zugleich in psychologischer Hinsicht. Sie schuf eine kritische Stimmung, die verglich, welch unterschiedliche Berücksichtigung das staatliche Prestige und die materielle Bedürfnisbefriedigung des Volkes finden. Die Sowjetunion war zwar imstande, die ersten Sputniks zu starten, scheint aber noch immer nicht fähig zu sein, genügend Nähnadeln, Bügeleisen und dergleichen herzustellen. Dieser Kontrast läßt die Unzufriedenheit wirken die Erfolge Raumfahrt So sich der ein als innenpolitischer Bumerang aus, der in irgendeiner Weise abgefangen werden muß.

Am 9. September 1962 veröffentlichte die „Prawda", das Zentralorgan der KPdSU, einen Artikel unter dem Titel „Plan, Gewinn, Prämie", dessen Verfasser der Charkower Wirtschaftswissenschaftler Prof. Liberman war. Er empfahl, die Industriebetriebe sollten ihren Produktionsplan künftig selbst entwerfen, nur noch dem Kontrollmaßstab der Rentabilität statt einer verwirrenden Vielfalt von Kennziffern unterstehen und einen Teil ihres Reingewinns an die Belegschaften verteilen.

Diese Vorschläge liefen keineswegs auf die Einführung der Marktwirtschaft hinaus. Sie blieben weit hinter dem polnischen Wirtschaftsmodell von 1956 und der jugoslawischen Praxis zurück, obwohl sie zweifellos von ihnen angeregt waren. Es ging lediglich darum, die staatliche Leitung der Wirtschaft durch Entfaltung der Initiative in den Betrieben flexibel zu machen. Wenn Libermans Artikel in Moskau dennoch wie ein Blitz einschlug, so wegen der fünf neuen Momente, die er enthielt. Das erste neue Moment war der Gedanke des ökonomisch autonomen Betriebes, der zum Ausgangspunkt der Planwirtschaft werden sollte. Zweitens die Empfehlung weitgehender Selbständigkeit für die Betriebsleiter, etwa bei Investitionen. Drittens die Idee einer betrieblichen Marktforschung; jede Fabrik sollte zunächst ihre Absatzmöglichkeiten erkunden und auf dieser Basis disponieren. Viertens die Ersetzung des irreführenden Bruttowertmaßstabs durch den unbestechlichen der Rentabilität. Fünftens die Gewinnbeteiligung der Arbeiter.

Libermans Vorschläge lösten eine breite und erregte Diskussion aus, die zwar freimütig, aber nicht frei war — denn das Dogma der Planwirtschaft blieb tabuiert. Immerhin bildeten sich Diskussionsparteien. Die energischsten Befürworter kamen aus den Reihen der Betriebsleiter, die ärgsten Kritiker aus den Planungsbehörden. In diesem Fall stießen gegensätzliche Interessen aufeinander.

Angesichts dieses Meinungsstreites teilten sich auch die sowjetischen Wirtschaftswissenschaftler in mehrere Gruppen — in jene, die Liberman unterstützten, und andere, die seinen Reformplan für systemfremd hielten. Unter den Gegnern ragte vor allem Prof. Strumilin hervor, der bereits durch seinen Vorschlag zur Schaffung von Wohnkommunen Aufsehen erregt hatte. Er stellte eindeutig fest: „Die Gewinnhöhe eignet sich als Erfolgs -merkmal nur im Wettbewerb der kapitalistischen Unternehmer." Strumilin empfahl, nicht die Rentabilität, sondern den Anstieg der Arbeitsproduktivität zur Hauptkennziffer zu machen.

In den Kreisen der Wirtschaftswissenschaftler fand sich allerdings kaum einer, der das traditionelle System der Planung bedingungslos verteidigt hätte. Der Streit entbrannte vielmehr darum, wie und mit welchen Mitteln es am besten geändert werden könnte. Liberman und seine Anhänger waren für selbstregulierende ökonomische Mittel, Dr. Aganbegjan und andere setzten auf die elektronische Datenverarbeitung. Der entschiedenste Befürworter einer elektronisch-kybernetischen Planung war Prof. Fedorowitsch. Die Kybernetiker, nach deren Ansicht die Mängel der zentralen Planung von einer unzureichenden Verarbeitung der Informationsdaten herrühren, legten eine Alternative zu Liberman vor. Danach soll ein staatliches Netz von elektronischen Rechenmaschinen als informationsverarbeitendes Zentrum aufgebaut werden, um den Planungsapparat zu entlasten. Man hatte vor, die menschlichen Unzulänglichkeiten durch Computer auszuschalten. Auf diese Weise wollte man die zentrale Planwirtschaft retten und sogar noch verstärken.

Prof. Liberman hat dieses Projekt superzentralistisch genannt; man lasse völlig außer acht, daß gerade die Kybernetik eine Selbststeuerung der regulierten Objekte voraussetzt. Jedenfalls standen sich 1962 eine ökonomische und eine technokratische Variante des Plans der dringend nötigen Wirtschaftsreform gegenüber. Chruschtschow wich jedoch einer klaren Entscheidung aus. Anscheinend wollte er zunächst einmal abwarten, wie das „Neue ökonomische System" in der DDR funktioniert. Obwohl der Parteichef schon Ende 1962 einige Argumente Libermans fast wörtlich übernahm, geschah anderthalb Jahre so gut wie nichts. Die Bildung des Obersten Volkswirtschaftsrats und die Zusammenfassung der 105 Wirtschaftsbezirke in 47 „Wirtschaftsregionen" war eher im Sinne der Zentralisten. Erst im Sommer 1964 teilte Liberman der jugoslawischen Presse mit, daß zwei Moskauer Textil-betriebe endlich die Erlaubnis erhalten hätten, nach seinen Ideen zu experimentieren. Später wurde das Experiment auf einige Konfektions-und Schuhfabriken ausgedehnt. Das war alles, wozu sich Chruschtschow in der Praxis aufraffen konnte. Er verschleppte die Industriereform.

Vielleicht war er nicht imstande, den Widerstand der Gegner Libermans zu überwinden. Es gibt Anzeichen, daß er dessen Gedanken zunächst in die Parteilinie integrieren wollte. Im Dezember 1962 gelang es plötzlich, unbekannte Teile eines Lenin-Artikels aus dem Jahre 1918 (!) zu entziffern, wonach das Wesen des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus darin besteht, „daß die politischen Aufgaben einen untergeordneten Platz im Vergleich zu den ökonomischen Aufgaben einnehmen" Man befand sich zwar schon 45 Jahre in diesem „Übergang", und es erschien mehr als merkwürdig, daß Lenins Diktat nicht eher aus der stenografischen Niederschrift übersetzt worden war, aber Chruschtschow konnte jetzt das neue Theorem vom Primat der Ökonomie über die Politik verkünden. Es reichte aber noch nicht aus, um Libermans Gedanken mit linientreuem Lack zu überziehen. In der Konsequenz mußte außer dem Vorrang der Politik über die Ökonomie auch das Primat der Schwer-über die Leichtindustrie fallen, um die Wirtschaft von der bürokratischen Zwangsjacke zu befreien und eine maximale Beschleunigung des technischen Fortschritts zu erreichen. Tatsächlich hat Chruschtschow schließlich diese Konsequenz gezogen, obwohl schon Malenkow — von ihm selbst gestoßen — über sie gestolpert war. Bereits Malenkow hatte den Widerspruch zwisehen ökonomischer Reife und administrativer Planung gespürt. Schon er stand im Begriff, einer Wirtschaftsreform durch das Zerbrechen des Dogmas vom Primat der Schwerindustrie den Weg zu bahnen. Das war 1953, aber 1964 war man über geringe Anfänge noch immer nicht hinaus, denn organisatorische Umstellungen allein konnten nichts ändern. Erst in Chruschtschows letzter Rede vor dem Sturz hieß es, nachdem eine mächtige Industrie geschaffen und die Verteidigung auf das erforderliche Niveau gebracht worden sei, müsse die Aufmerksamkeit auf den Konsum verlagert werden: „Jetzt befindet sich unser Land auf einer solchen Stufe seiner Entwicklung, wo wir die Befriedigung der wachsenden materiellen und geistigen Bedürfnisse der Menschen an die erste (!) Stelle bei der Ausarbeitung eines Perspektivplans der Entwicklung unserer Volkswirtschaft setzen müssen."

Diese Rede wurde Ende September 1964 vor hohen Funktionären gehalten. Zwei Wochen später trat Chruschtschow von der Bühne ab.

Chruschtschows Sturz Im Laufe der Zeit wurden in Moskau fast dreißig Gründe für die Absetzung Chruschtschows genannt: übereilte Entschlüsse, ruheloses Improvisieren, Prahlsucht, Vetternwirtschaft, Kanzleimethoden, Lust zum Kommandieren, Verletzung der kollektiven Führung, wirtschaftliche Stagnation, fehlerhafte Taktik gegenüber China, leeres Geschwätz, mangelnde Rücksicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen, Subjektivismus, Phantasterei, das Treibenlassen des kommunistischen Aufbaus, Abgehen vom Primat der Schwerindustrie, eigenmächtige Verleihung eines Ordens und eines Titels an Nasser, sowjetischer Prestigeverlust durch die KubaKrise, Entfremdung zwischen Moskau und Bukarest, Scheitern der wirtschaftlichen Integration Osteuropas, persönliche Beleidigung ausländischer Persönlichkeiten und Parteivertreter, falsche Ausrichtung der Planwirtschaft, widersprüchliche Kunstdüngerpolitik, unsinnige Forcierung des Maisanbaus, kostspielige Neulandbesiedlung in Kasachstan, übertriebene Versprechen zur Erhöhung des Lebensstandards, Einmischung in die bauliche Gestaltung Moskaus, Gefährdung der monolithischen Einheit durch die Parteireform vom November 1962, ungerechtfertigte Eingriffe in das kulturelle Leben und Amtsmißbrauch. Gewiß haben noch andere Probleme wie der Konflikt Moskau—Tirana und die Weizenkäufe im Westen eine Rolle gespielt. Es ist jedoch unverkennbar, daß wiederum alle Schuld auf eine Einzelperson abgewälzt werden sollte. Wie Chruschtschow gegenüber Stalin verfahren war, so verfuhr Breschnew mit ihm. Man suchte die Wurzel aller Schwierigkeiten in seinem Charakter und in seinem Arbeitsstil. Keiner der Vorwürfe traf völlig daneben, doch alle umgingen sie die Grundprobleme, die sich zum Teil schon jahrzehntelang angehäuft hatten, von Chruschtschow nur geerbt worden waren und weiterhin anstehen würden.

Es sind dies die Einparteienherrschaft, das System der Staatsdirektoren in der Industrie, die Kolchosenordnung auf dem Lande und die Zensur aller Sektoren des kulturellen Lebens. Chruschtschow hielt an diesen „sozialistischen Errungenschaften" fest, obwohl sie keine waren, sondern Ergebnisse der wirtschaftlichen Zerrüttung, des Bürgerkriegs und der Stalin-sehen Zwangsmaßnahmen darstellten. Aber die Monopolherrschaft einer Partei ist unverträglich mit einer pluralistisch werdenden Gesellschaft, die sich im Zuge der Industrialisierung differenziert hat. Die Beibehaltung der Staats-direktoren und die formell behauptete Herrschaft der Arbeiterklasse schlossen sich aus; diese Kluft hätte nur durch eine Arbeiter-selbstverwaltung wie in Jugoslawien überbrückt werden können. Was nützte die Auflösung der Maschinen-und Traktorenstationen, wenn man den Bauern weiterhin jenen Boden vorenthielt, der ihnen durch die Oktoberrevolution gegeben und später von Stalin wieder genommen worden war? Der teilweise Abbau des Polizeistaats diente lediglich dazu, die führende Rolle der Partei gegenüber der Geheimpolizei und den Staatsorganen wiederherzustellen, war aber nicht mit dem Wegfall der Zensur verbunden, ohne den sich die gewaltigen geistigen und schöpferischen Kapazitäten der russischen Gesellschaft nicht entfalten können.

Chruschtschow führte nur Rand-statt Strukturreformen durch. Einer der besten Kenner der Sowjetunion schrieb: „Die Liberalisierungs‘-Bestrebungen gingen in keinem Fall über das hinaus, was ohne Sprengung des Grundkonzepts des Systems möglich war." Das Regime sollte nicht demokratischer, sondern flexibler werden. Aber der Flexibilität sind enge Grenzen gesteckt, solange man ohne Demokratie auskommen will, die auch unter Chruschtschow als überholt und bürgerlich galt. Er scheiterte an dem unlösbaren Problem, die Entstalinisierung im Rahmen eines strukturell stalinistisch gebliebenen Systems durchzuführen.

Der Stalinismus wurde zwar durch Stalin begründet, war jedoch, einmal entstanden, nicht mehr an seine Person gebunden. Er lebte unter Chruschtschow fort. Nur seine Oberfläche wurde abgetragen und durch eine andere ersetzt. Die totalitäre Grundstruktur blieb ungeachtet aller Reformen intakt. Das politische System wurde lediglich modifiziert und bis zu einem gewissen Grade modernisiert. Im übrigen war jede Lockerung mit einem Ausbau der ideologischen und politischen Kontrolle verbunden. Es sei daran erinnert, daß die „ideologischen Kommissionen" kurz nach dem XXII. Parteitag ihre Tätigkeit der Gedanken-kontrolle aufnahmen. Die Parteireform vom November 1962 führte von der indirekten zur direkten Wirtschaftsleitung durch die KPdSU. Seit 1959 sprach Chruschtschow bei jeder sich bietenden Gelegenheit von der sich ständig und sogar „gesetzmäßig" verstärkenden Rolle der Partei. Offensichtlich fürchtete Chruschtschow, daß ihm die gelenkte Entstalinisierung aus der Hand gleiten könnte. Daher sein fieberhaftes Hin und Her zwischen Pragmatismus und Utopie, zwischen dem Lächeln der Koexistenz und dem Drohen mit Raketenwaffen, zwischen dem Zugeständnis nationaler Besonderheiten für andere kommunistische Länder und der militärischen Intervention oder ihrer Drohung.

Das Ziel der gelenkten Entstalinisierung war kein Wechsel, sondern eine Neustabilisierung des innenpolitischen Systems und des außen-politischen Einflusses der Sowjetunion. Welche aktuellen Fragen hätte Chruschtschow lösen müssen, um dieses doppelte Ziel zu erreichen, und was ist das praktische Ergebnis seiner Politik gewesen? 1. Wiederherstellung der Einheit des Ost-blocks. Zu diesem Zweck opferte er das Kominform, Molotow als Außenminister und die prinzipielle Verurteilung aller nationalen Wege zum Sozialismus. Aber statt Jugoslawien in das kommunistische Lager zurückzuführen, kam es auch zu Konflikten mit China, Albanien und Rumänien. Der Ostblock brach endgültig auseinander; 2. Reinigung des durch den Stalinismus in der ganzen Welt befleckten Ansehens der Sowjetunion. Doch die Auflösung vieler Zwangs-arbeitslager und die Rehabilitierung einiger Zehntausend Verfolgter brachte erst die volle Wahrheit an den Tag, die sich durch die neue sowjetische Literatur den Weg in alle Kontinente bahnte. Außerdem wurden unter Chruschtschow neue Arbeitslager geschaffen;

3. Ausrottung des ideologischen Revisionismus in der kommunistischen Bewegung, um eine ähnliche Entwicklung zu verhindern, wie sie durch Bernstein in der Sozialdemokratie eingeleitet worden war. Der Revisionismus drang jedoch in alle Kommunistischen Parteien hinein. Chruschtschow revisionierte auf seine Art mit, indem er bestimmte Lenin-Thesen für überholt erklärte;

4. Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation, die Stalin hinterlassen hatte. Sie wurde nur vorübergehend überwunden und stellte sich von neuem ein; aus der von Liberman dringend empfohlenen Wirtschaftsreform wurde nur eine Reform der Wirtschaftsverwaltung; 5. Auflösung der Disproportion zwischen Industrie und Landwirtschaft. Statt dessen verschärfte sie sich noch. Zu ihrer Überwindung wäre die Auflösung der Kolchosen nötig gewesen, wie sie sich in Jugoslawien und Polen unter stillschweigender Billigung der Partei durchgesetzt hatte;

6. Beseitigung der Angstatmosphäre, die das gesellschaftliche Leben in der Sowjetunion lähmte. Zu diesem Zweck wurden Berija und seine engsten Mitarbeiter geopfert. Die Durchforstung der stalinistischen Gesetzgebung schuf einen rechtsstaatlichen Ansatz. Aber im Resultat entstand eine öffentliche Meinung, die als Ersatz für eine zweite Partei zu fungieren begann und sich mit dem teilweisen Abbau des Polizeistaats nicht zufrieden geben wollte;

7. Besänftigung der unzufriedenen Bevölkerung, insbesondere der rebellisch gewordenen Jugend. Einige der gröbsten sozialen Mißstände wurden beseitigt und der Lebensstandard stieg, aber die Opposition wuchs noch an und ging sogar auf die Straßen. Ein neuer Konflikt zwischen Vätern und Söhnen brach aus. Der alte in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatte zur Geburt des Nihilismus geführt welche Früchte würde der jetzige tragen?

Chruschtschows Reformen klammerten von vornherein die Grundprobleme der Sowjetunion aus. Bis zum letzten Tage seiner Macht verteidigte er das Einparteiensystem, das Prinzip der staatlichen Ein-Mann-Leitung in den Industriebetrieben, die angeblich so bewährte Kolchosordnung und die Zensur. Daher schwelten die Probleme der legalen Opposition, der Arbeiterdemokratie, des Eigentums an Grund und Boden sowie der schöpferischen Freiheit untergründig weiter.

Die aktuellen Fragen packte Chruschtschow scheinbar höchst energisch an, in Wahrheit blieb er aber stets auf halbem Wege stehen oder er kehrte gar um. Einerseits waren seine Reformen nicht imstande, diese Fragen zu lösen, andererseits setzten sie gesellschaftliche Kräfte und soziale Energien frei, deren die KPdSU nicht mehr Herr werden konnte, weder innerhalb noch außerhalb der Sowjetunion. Letztlich liefen alle Vorwürfe, die man Chruschtschow gemacht hat, in dem einen zusammen: nicht mit der Osteuropäischen Revolution fertig geworden zu sein und sie durch seine ungeschickte Politik noch gefördert zu haben.

Das trifft auch zu. Nur war Chruschtschow Gehilfe und Gegenspieler der Osteuropäischen Revolution in einer Person. Durch seine Enthüllungen über Stalin hat er sie zunächst sprunghaft gefördert, dann bekam er Angst vor den Folgen seines eigenen Tuns und leitete die Gegenrevolution in Ungarn ein. Im Oktober 1961 trieb er die Osteuropäische Revolution durch seine zweite Entstalinisierung nochmals voran, aber anderthalb Jahre später stellte er sich ihr wiederum entgegen: „Wer aber die Gewalt hat und sie nicht zum Wohle des Volkes zu gebrauchen weiß, ist auch nichts wert. . . . Man muß daran denken, daß man ohne Zwang manche Menschen nicht bessern kann." Sogar soziale Zugeständnisse waren jetzt mit Drohungen verbunden, etwa die Gewährung einer Altersrente für die Kolchosbauern oder ein verlängerter Urlaub: „Denjenigen, die die Normen nie erfüllen, nicht gewissenhaft sind, schlecht arbeiten, bummeln oder ohne Grund von einem Betrieb in den anderen überwechseln, müßte der Urlaub gekürzt oder gar entzogen werden, solange sie sich nicht gebessert haben." Schon der Wechsel des Arbeitsplatzes ohne Genehmigung der Partei sollte eine Streichung des Urlaubs zur Folge haben können! Chruschtschow war populär, soweit er für Erleichterungen sorgte, aber es gelang ihm nie-mals, ein Volkstribun zu werden. Zugunsten Stalins hatte es wenigstens einige Demonstrationen gegeben. Chruschtschow konnte die Erwartungen, die das russische Volk in ihn setzte, nicht erfüllen. Deshalb blieb es stumm, als er stürzte.

Aber er ist nicht kampflos gewichen. Er hat sich vier Stunden vor dem Zentralkomitee verteidigt und soll sogar an die Bevölkerung appelliert haben, ihm zur Seite zu stehen — ein Aufruf zum Volksstreich gegen den Staatsstreich, der, wäre er von einem Volkstribunen ausgegangen, zur Revolution führen konnte. Am Tage seines Sturzes, am 14. Oktober 1964, suchte Chruschtschow den Konsensus mit der osteuropäischen Revolution, die auch der Gärstoff der UdSSR ist.

Seine Stellung war schon seit Mai 1960 gefährdet, als eine Umbesetzung des zentralen Parteisekretariats entgegen seinem Willen erfolgte Koslow scheint damals nicht von ihm selbst, sondern von seinen Rivalen als Kronprinz ausgesucht und vorgeschoben worden zu sein. Zwischen dem Parteiapparat und den Volksmassen stehend, konnte Chruschtschow auf die Dauer weder dem einen noch den anderen genügen. Der . Gulaschkommunismus', den er als Surrogat für die Lösung der aktuellen Fragen und der gesellschaftlichen Grundprobleme anbot, war zu kümmerlich und geschmacklos. Noch weniger Eindruck machte er in Osteuropa. Wie konnte es anders sein, da Chruschtschow am 21. August 1963 vor jugoslawischen Arbeitern die Vorzüge seiner Politik mit den Worten umschrieb: „Wenn ein Proletarier ein Paar Hosen hat, dann wünschen wir ihm auch ein zweites Paar Hosen." Ein Kommunismus, der lediglich zur Füllung des Magens und für eine zweite Hose reichte, war im fünften Jahrzehnt nach der Oktoberrevolution nicht mehr gefragt. Chruschtschow fehlte das Format eines Tito. Er war weder willens, ähnlich weit wie dieser zu gehen, noch gleichermaßen imstande, die Widerstände in seiner Partei zu überspielen.

Erster Staatsstreichversuch (Bulgarien)

Die in Bulgarien herrschende Richtung der Kommunistischen Partei hatte sich nach dem XX. Parteitag der KPdSU in Anhänger Chruschtschows unter Schiwkoff und Anhänger Mao Tse-tungs unter Tscherwenkoff geteilt.

Zwischen diesen beiden Gruppen stand der ehemalige Innenminister Jugoff; er schein 1t 16 schließlich entschlossen gewesen zu sein, die eine wie die andere mit Hilfe des auch in Bulgarien heranwachsenden Nationalkommunismus zu überspielen, um selbst Parteichef zu werden.

Die Nationalkommunisten, deren Kopf der ehemalige stellvertretende Landwirtschaftsminister Kufardschieff war, verfügten über erheblichen Einfluß in der Armee. Sie sollen die Neutralisierung Bulgariens, den Abbau der Diktatur und die Auflösung der Kolchosen angestrebt haben. Ihre Basis im Offizierskorps legte einen Staatsstreich zur Verwirklichung dieser Ziele nahe. Nach den Informationen, über die wir verfügen, war der Staatsstreich für März 1961 geplant. Im letzten Augenblick scheint Jugoff gezögert und die Verschwörung preisgegeben zu haben. In Sofia fuhren Panzer auf und gleichzeitig griff der Staatssicherheitsdienst zu. Zu den Opfern der „Säuberung" gehörten auch die populären Partisanenführer Terkeschoff und Panoff.

Jugoff blieb zunächst ungeschoren. Im November 1961 verlor nur Tscherwenkoff seinen Sitz im Politbüro. Aber ein Jahr später mußte er ebenfalls gehen, nachdem er, unterstützt von seinen Gefolgsleuten im Zentralkomitee, die nachgiebige Haltung Moskaus in der Kubakrise kritisiert hatte. Doch Tscherwenkoff wurde nunmehr sogar aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Seine Entfernung eröffnete eine grundsätzliche Diskussion über den Stalinismus, wie sie bis dahin in Bulgarien noch nicht möglich gewesen war. In der Zeitschrift „Nowo wreme" (Nr. 1/62) erschien ein Aufsatz von N. Iribadshakow, wonach der Marxismus in der Stalin-Ära das Monopol einer einzigen Person gewesen sei, während allen übrigen Kommunisten die Fähigkeit und das Recht abgesprochen wurde, schöpferisch, selbständig und kritisch zu denken. Unter dem Vorwand des Prinzips der Parteilichkeit habe man wissenschaftliche Fachdiskussionen auf ideologische Debatten reduziert, wodurch die Entwicklung solcher Wissenschaften wie der Physik, der Kybernetik und der Biologie gelähmt worden sei. Das einzige Kriterium für die Richtigkeit einer Theorie bestehe jedoch in ihrer Übereinstimmung mit der objektiven Wirklichkeit statt mit der jeweiligen Parteilinie. Nicht jene sind Revisionisten, die dem Marxismus neue Erkenntnisse vermitteln, sondern die Dogmatiker, in deren Augen der Marxismus ein in sich abgeschlossenes System feststehender Wahrheiten darstellt, so daß sie sein prinzipiell offenes Wesen verfälschen.

Stalin habe die Elite der KPdSU und anderer Kommunistischer Parteien vernichtet, auch in Bulgarien seien Tausende von Kommunisten und parteilosen Kämpfern für den Kommunismus unschuldig umgebracht worden. Die Methode der Diffamierung sei immer ein und dieselbe gewesen. Allen politischen Meinungsverschiedenheiten seien soziale Ursachen unterschoben worden, als hingen sie in den Fäden gegensätzlicher Klasseninteressen. Tscherwenkoff habe sogar das Tiefpflügen als klassengebunden und parteilich bezeichnet, um alle Gegner dieser Art des Pflügens als Klassenfeinde hinzustellen. Nach Iribadshakow leiten sich politische Differenzen oft aus Unterschieden in der Sachkenntnis und dem Bildungsgrad ab.

Gleichzeitig kam es zur Rehabilitierung der Opfer des Kostoff-Prozesses, die 1949 als Titoisten hingerichtet worden waren. Kostoff, einst zweiter Mann der bulgarischen Partei und stellvertretender Ministerpräsident in der Regierung Dimitroff, wurde post mortem im März 1964 mit dem Orden eines Helden der sozialistischen Arbeit dekoriert. Die Schuld an seinem Tod konnte auf Jugoff und Tscherwenkoff abgewälzt werden. Jedoch erschienen in kulturellen Zeitschriften auch einige Gedichte und Erzählungen, die ein wahrheitsgetreues Bild der Verhältnisse in den Gefängnissen und Lagern des Staatssicherheitsdienstes zeichneten; besonders in der erschütternden „Erinnerung" von Nikola Lankoff wurde das Gesamtsystem zum Angeklagten. Die bulgarische Partei sah sich zu einigen Zugeständnissen genötigt, um die Unruhe zu beschwichtigen. Man kündigte die Absetzung aller „politisch degenerierten Kommunisten" an, erließ eine Amnestie, beförderte den Vorsitzenden der Agrarunion (einer Satellitenpartei) zum nominellen Staatsoberhaupt und machte den ersten Schritt zu einer Wirtschaftsreform nach den Grundgedanken Libermans.

Das geschah unter dem Druck einer Versorgungskrise, die zu Kontrollen selbst des Brot-verbrauchs führte. An der totalitären Grundstruktur des kommunistischen Systems änderte sich aber auch weiterhin nichts. Proteste gegen die drastischen Preiserhöhungen vom Juli 1962 wurden mit verstärkter Zwangsarbeitsdrohung gegen „Faulenzer und Parasiten" aufgefangen. Die Lokalbehörden durften ab August 1962 nach ihrem Ermessen Zwangsarbeit bis zu zwei Jahren verhängen, die Gerichte bis zu fünf Jahren ohne Berufung.

Bulgarien paßte sich jeweils der Politik Chruschtschows an. Auch dessen Plan für eine allgemeine Internatserziehung der Kinder wurde übernommen. Durch die Errichtung eines gemeinsamen überstaatlichen Organs für wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit band sich das Land noch enger an die UdSSR. Nur zwei Schritte waren eigenständig. Im Februar 1963 wurde das private Hofland in der bulgarischen Landwirtschaft für erblich erklärt, und im Juli 1964 nahm die bulgarische Regierung den Kontakt zum GATT auf. „Wer nicht gegen uns ist, ist mit uns" (Ungarn)

In Ungarn war — bis auf die Situation der Landwirtschaft und die Spannungen innerhalb der Kommunistischen Partei — eine Periode der Beruhigung zu verzeichnen. Hatte Rakosi nach dem Grundsatz gehandelt: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“, so verkündete Kadar: „Wer nicht gegen uns ist, ist mit uns." Eine 1960 verkündete Teilamnestie und eine weitere Amnestie von 1963 setzten die meisten Teilnehmer der Volkserhebung frei. Parteilose erhielten das Recht, an Mitgliederversammlungen zur Vorbereitung des VIII. Parteitags teilzunehmen und Kritik zu üben. Bei den Wahlen vom Februar 1963 wurden in etwa 100 Wahlkreisen je zwei Kandidaten aufgestellt. Für die lokalen Behörden mußten die Kandidaten zu 6O°/o, für das Parlament zu 30% aus den Parteilosen kommen. Die Staatsverlage verlegten nun auch Bücher von Camus und Sartre. 1963 öffneten sich die ungarischen Grenzen für die westlichen Touristen, 1964 durften auch 700 000 Ungarn ins Ausland reisen. Im September des gleichen Jahres entspannte sich das Verhältnis zur katholischen Kirche durch den Abschluß eines Konkordats zwischen dem Vatikan und der ungarischen Regierung.

Die erneute Kollektivierung der Landwirtschaft konnte jedoch in vielen Dörfern nur gegen harten Widerstand durchgesetzt werden. Hatte es 1959 126 Verhaftungen und 29 Gerichtsverfahren gegen „Klassenfeinde" auf dem Lande gegeben, so waren es 1960 203 Verhaftungen und 700 Verfahren Um die Kollektivierung schmackhaft zu machen, erhielten die Bauern für den eingebrachten Boden eine Grundrente und eine Ertragsbeteiligung entsprechend ihrem Bodenanteil.

Das tolerante Verhalten gegenüber den Parteilosen, die Amnestierung der Aufständischen und das Erscheinen westlicher Literatur auf dem ungarischen Büchermarkt führten zu einer Revolte der Altstalinisten gegen Kadar, der sich entschloß, einen Schlußstrich unter die Rakosi-Ara zu ziehen und seine Partei von dogmatischem Ballast zu befreien. Im Verlaufe des Jahres 1962 wurden etwa fünfzig hohe Funktionäre ihrer Posten enthoben und zum großen Teil ihrer Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei verlustig erklärt. Auch Rakosi verfiel dem Bann. Er hatte von seinem sowjetischen Exil (Krasnador im Kaukasus) auf seine Rückkehr und erneute Machtergreifung hingearbeitet. Es war ihm gelungen, eine stalinistische Fraktion in der ungarischen Partei zu organisieren, die gegen Kadar konspirierte. Ein Mitglied dieser Fraktion, Kiss, saß im Politbüro, ein anderes, Dogei, war ungarischer Botschafter in China, wo er Mao Tse-tung ein Memorandum gegen den „Titoisten" Kadar überreicht und um seine Unterstützung gebeten haben soll. Zu Rakosis Leuten gehörten auch der stellvertretende Innenminister Antal Bartos und hohe Militärs. Kadar ließ eine ganze Reihe der gefährlichsten Konspirateure verhaften. Sein Zentralkomitee beschloß, daß Personen, die in der Rakosi-Ara „an ungesetzlichen Handlungen beteiligt waren, in Zukunft keine Funktionen bei Organen des Innern, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte bekleiden dürfen" Ein solcher Beschluß lag von keiner anderen Kommunistischen Partei vor. Die ungarische Revolution wirkte also weiterhin fort.

Dies zeigte auch die Tätigkeit einer geheimen Organisation, die den Namen „Oppositionelle Kommunisten" trug und den XXII. Parteitag der KPdSU als befreienden Auftrieb empfand. Ihre Mitglieder standen bis dahin außerhalb der Partei und beschlossen nunmehr ihren Eintritt, um die Entstalinisierung Ungarns von innen her zu forcieren

Die führenden Männer um Kadar wurden sich zum gleichen Zeitpunkt bewußt, daß eine radikale Wirtschaftsreform notwendig war, die über die Liberman-Reformen in der Sowjetunion und das Neue Ökonomische System der DDR hinausgehen mußte. Istvan Friss, Leiter der Parlamentskommission für Planung und Finanzen, verabschiedete das stalinistische Wirtschaftssystem mit folgenden Worten: „Was wir planten, tritt nicht ein, und was wir nicht planten, tritt doch ein!"

Die Gegenrevolution marschiert (DDR)

In der DDR schritt indessen die Gegenrevolution voran. Die fast restlose Zwangskollektivierung der Landwirtschaft zwischen Januar und August 1960 fand in einem Klima der Einschüchterung statt. Des möglichen Widerstands verdächtigte Bauern wurden schon vor Beginn der Kampagne verhaftet, Ulbricht rief nicht einmal das Zentralkomitee der SED zusammen, sondern bediente sich fast ausschließlich des Partei-und Polizeiapparats.

Gegen Nationalkommunisten und Revisionisten Im Juni 1960 wurde eine Gruppe von Altkommunisten verhaftet, die gegen die Übertragung russischer Methoden und Organisationsschemata opponierte, weil die Formen des Sozialismus in Deutschland aus dem deutschen Volk selbst kommen müßten. Diese Gruppe hatte sich um den Heimatkommunisten Raddatz gebildet, einen hohen Westfunktionär der SED, für den der Separatsozialismus in der DDR undenkbar war. Raddatz war Sekretär des Ostberliner Ausschusses für deutsche Einheit gewesen und hatte dieses Amt anscheinend wörtlich genommen. Im Mai 1961 fand gegen ihn und seine Freunde ein Geheimprozeß statt.

Der Ostberliner Aufbau-Verlag gab 1960 ein Buch unter dem Titel „Georg Lukacs und der Revisionismus" heraus, das sich gegen die falsche Losung vom Kampf gegen den Stalinismus wandte. Da Lukacs als erster den Begriff des Stalinismus in die Diskussion geworfen und in der DDR viele Anhänger habe, müsse seiner gefährlichen Phrase von einem schöpferischen Marxismus entgegengetreten werden. Die Autoren erklärten, der Stalinismus sei eine „unwissenschaftliche Fiktion" und es habe ihn eigentlich niemals gegeben. Während bei Lukacs und Rosa Luxemburg, auf die er sich zuweilen berufe, ein ganzes System falscher Anschauungen festzustellen sei, könne das von Stalin nicht behauptet werden. In dessen Lebenswerk habe vielmehr die Verteidigung und Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus dominiert.

Der Mythos von der herrschenden Klasse Nach den Bauern bekamen auch die Arbeiter die Gegenrevolution zu spüren. Am 1. Januar 1961 trat das „Gesetzbuch der Arbeit" in Kraft. Es modelte das Recht auf Arbeit in den Arbeitszwang um, anullierte das in der DDR-Verfassung damals noch enthaltene Streik-recht und hob sogar den Achtstundentag auf, eine Errungenschaft der Novemberrevolution 1918. Die Dauer der Arbeitszeit wird nach dem Gesetzbuch durch den Staat festgelegt. Im Betrieb gilt das Prinzip der Einmannleitung durch den Direktor — von einem Mitbestimmungsrecht blieb keine Spur. Bei schwerwiegenden Verletzungen der staatsbürgerlichen Pflichten und der Arbeitsdisziplin sind fristlose Entlassungen möglich.

Was das Arbeitsgesetzbuch in der Praxis bedeutete, erfuhr die Belegschaft der Leunawerke in Merseburg, als sie am 2. und 3. August 1962 gegen eine Erhöhung des Betriebs-plans und die schlechte Lebensmittelversorgung durch Streik protestierte. Das Werk wurde von motorisierten Einheiten der sowjetischen Besatzungsarmee umzingelt. Verbände der DDR-Armee rückten in das Betriebsgelände ein und pflanzten das Bajonett auf Der Streik brach zusammen. Aber was blieb für die Leuna-Arbeiter von dem Mythos übrig, daß sie ein Bestandteil der in der DDR herrschenden Klasse seien?

Die Errichtung der Mauer Die Errichtung der Berliner Mauer erfolgte aus der begründeten Furcht, daß die DDR zu einem Staat ohne Staatsbürger werden könne. Statt das offen zuzugeben, wurde im Zentralorgan der SED geschrieben, daß endlich in Deutschland der Geist über die Macht triumphiere — die Mauer sollte das Symbol des Geistes sein. „Tiefe Genugtuung erfüllt jetzt alle unsere Bürger. ..." Wer nicht von ihr erfüllt war, dem wurde sie durch Schlägerkolonnen der FDJ eingebläut. In der DDR herrschte vorübergehend das kommunistische Faustrecht. Als einem Drucker das Pech unterlief, den Vorsitzenden des ZK der SED in einen Vorsitzenden des KZ der SED umzusetzen, wurde er schon kurz darauf verhaftet. Ulbricht stellte zum Schutz der Berliner Mauer besondere FDJ-Regimenter auf. Sogenannte Hamsterer wurden auf der Stelle festgenommen. Kreisleitungen der SED riefen öffentlich auf, die „Schmarotzer" und „Parasiten" aus den Läden zu werfen, sie die Arbeiterfäuste spüren zu lassen und den Sicherheitsorganen zu übergeben. Diese Atmosphäre des Terrors hielt bis Ende 1961 an. Sie sollte offenbar den Mauerbau psychologisch ergänzen und deutlich machen, daß die Situation für alle Gegner des Regimes nunmehr hoffnungslos sei. Viele Gerichte verhängten „Einweisungen zur Arbeitserziehung" in hierfür neuerrichtete Lager.

Die politische Ergänzung der Mauer war der im Juni 1964 für 20 Jahre abgeschlossene Freundschaftspakt UdSSR-DDR, der die Unantastbarkeit der Staaatsgrenzen garantiert und Westberlin eine selbständige politische Einheit nennt.

Das Werben um die Jugend Das Ulbricht-Regime warb nun im verstärkten Maße unter der Jugend, die durch den Bau der Mauer besonders beunruhigt war. Das zeigte sich vor allem bei den Schülern. An der Friedrich-Schiller-Schule in Weimar, an der Oberschule in Bad Berka und an der Oberschule in Anklam wurden „staatsfeindliche Umtriebe" aufgedeckt. Plötzlich tauchte auch ein oppositioneller „Stauffenberg-Kreis" auf, der sich aus jungen Arbeitern, Schülern und Studenten zusammensetzte.

Das Politbüro der SED wandte sich im September 1963 gegen die Überschüttung der Jugend mit überflüssigen Phrasen, gegen die Gängelei und das Administrieren. Die jungen Leute dürften nicht auf den Weg der Heuchelei gedrängt werden. In ihrem Bewußtsein sei bereits ein Auseinanderfall von sozialistischem Ideal und politischer Wirklichkeit zu bemerken.

Für besonders begabte Schüler wurden Sonderklassen eingerichtet. Aber das Jugendgesetz vom Frühjahr 1964 hob die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Berufswahl auf. Die Berufe und Arbeitsplätze verteilte man jetzt vom Schreibtisch der Behörden aus entsprechend dem Wirtschaftsplan. Es kam vor, daß bei Schulentlassungsfeiern zugleich mit den Namen der Entlassenen der ihnen zu-diktierte Beruf verlesen wurde, wobei die eigenen Wünsche der Betroffenen unberücksichtigt blieben oder sich nur zufällig mit dem Planschema deckten.

Die Studenten mußten sich schriftlich verpflichten, jederzeit die Politik der SED und der Regierung aktiv zu unterstützen, am Aufbau des Sozialismus tatkräftig mitzuwirken und überall politisch zu handeln.

Der Separatkommunismus Ulbricht hatte 1960 betont, daß die Entwicklung einer „sozialistischen deutschen Nationalkultur" in der DDR notwendig sei. Drei Jahre später ging diese Forderung in das neue SED-Programm ein: „Die sozialistische deutsche Nationalkultur entfaltet sich als Teil der Kultur des sozialistischen Weltsystems." Es sollte also zwei Kulturen in Deutschland geben und davon eine als separate Nationalkultur der DDR geschaffen werden, die als integraler Bestandteil der östlichen Welt gedacht ist und mit der Bundesrepublik nichts mehr gemein hat. Doch das SED-Programm fordert auch ein spezielles „sozialistisches Nationalbewußtsein" das allen Bürgern des kommunistischen Staates eingeimpft werden soll. Damit war eine neue Parteilinie festgelegt worden. Ihr Wesen besteht darin, die staatliche und wirtschaftliche Spaltung Deutschlands durch die kulturelle und staatsbürgerliche zu ergänzen. Das deutsche Volk soll in zwei Nationen aufgespalten werden, so daß sich DDR und Bundesrepublik eines Tages wie feindliche Klassen gegenüberstehen. Im neuen SED-Programm ist im Unterschied zum alten das Ziel der Wiedervereinigung nicht mehr enthalten. Die gefährlichste Nuance der separatkommunistischen Politik besteht in ihrer Behauptung, daß die sozialistische Nation eine höherstehende als die bürgerliche sei. Die DDR sei Westdeutschland bereits eine ganze historische Epoche voraus. So ist auch der Keim eines separaten Nationalismus gegeben, der die Minderwertigkeit Bundesrepublik der postuliert.

Das neue ökonomische System Nach Veröffentlichung der Reformvorscbläge Prof. Libermans in der Sowjetunion begann auch in der DDR die Diskussion um ein neues Wirtschaftssystem. Jetzt konnte Kritik geäußert werden, die vorher als parteifeindlich gegolten hatte. Selbst der noch als Revisionist bezeichnete Prof. Behrens durfte wieder das Wort ergreifen, und er wies sofort auf die enge Verwandtschaft der Ideen Libermans mit den seinen hin. In der Sowjetunion habe man schon jahrelang über eine Reform der Wirtschaft diskutiert. „Natürlich gibt es auch Gegner der Vorschläge Professor Libermans. Alles Neue setzt sich im Kampf durch, und es wird sowohl in den Betrieben als auch in den Verwaltungen Leute genug geben, denen ihre Rente mehr wert ist als ein noch höheres Entwicklungsniveau der sozialistischen Wirtschaft. Aber vor allem werden es wohl diejenigen sein, von denen der Direktor des Omsker Reifenwerkes in seinem Diskussionsbeitrag schrieb, daß sie , die Administration mißbrauchten und die Produktion mit den Stimmbändern'leiteten."

Die Anspielungen und Befürchtungen von Behrens waren begründet. Als das neue ökonomische System der DDR am 1. Januar 1964 in Kraft trat, hatte die SED-Führung zwar erstmals in ihrer Geschichte einen Schritt ins Neuland getan, aber die Grundgedanken Libermans völlig verwässert. Statt einer Dezentralisierung der Wirtschaft erfolgte die Zusammenfassung aller Betriebe nach Branchen in Konzerne und Trusts. Statt einer Gewinnbeteiligung der Arbeiter wurde der individuelle Lohn durch den Objektlohn ersetzt, der sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsergebnis aller richtet. Trotzdem konnten durch eine Umstellung auf das Prinzip der Rentabilität und durch eine Preisreform bestimmte Mängel beseitigt werden. Im ganzen wurde kein neues Wirtschaftssystem geschaffen, sondern die zentrale Planwirtschaft nur modifiziert. Doch wenn die DDR mit der Bundesrepublik konkurrieren wollte, mußte sie dem Reformkommunismus zumindest in den wirtschaftlichen Fragen entgegenkommen. Aber da in kommunistischen Ländern alle Maßnahmen einem ideologischen Rechtfertigungszwang unterliegen, war die Einführung des neuen ökonomischen Systems mit einer offiziellen Verurteilung der Stalinschen Wirtschaftspolitik verknüpft. Im Ergebnis mußten zahlreiche Berufs-funktionäre jungen Fachleuten weichen. Wirtschaftsexperten wie Apel, Mittag und Jarowinsky stiegen bis in Politbüro auf.

Doch die Reform des Wirtschaftssystems sollte ohne politische Konsequenzen bleiben, während ein Teil der jungen Intelligenz darauf drängte, sie auf das politische System auszudehnen. Marxisten wie Kahlau, Kunert und Hacks erhielten eine Abfuhr, dem österreichischen Kommunisten Ernst Fischer, der sich für kulturelle Freiheit eingesetzt hatte, wurde die Einreise in die DDR verweigert.

Der Fall Havemann Im September 1962 hielt Professor Havemann in Leipzig einen Vortrag, der bald durch oppositionelle Zirkel hektographiert und in Umlauf gesetzt werden sollte. Er wies nämlich nach, daß der parteioffizielle Dialektische Materialismus weder dialektisch noch materialistisch ist. Er habe Materie und Gesetzmäßigkeit voneinander getrennt, so daß ein System unabänderlicher Naturgesetze, die man teil-weise selbst erfand, über der von ihnen beherrschten Materie steht. Zwar galt diese als Grundlage aller Prozesse, doch wurden ihr Prinzipien übergeordnet. Sie sollte nach den Postulaten der Parteilinie dirigiert werden. Havemann verwarf den Stalinismus als Vulgärmarxismus, der idealistisch und mechanistisch sei. Auf Grund seines Vortrags begannen sich Hunderte und Tausende von Studenten für ihn zu interessieren. Zu seiner Vorlesungsreihe über „Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme", die Havemann 1963/64 an der Ostberliner Humboldt-Universität hielt, schrieben sich nicht weniger als 1250 Hörer in die Listen ein.

Schon in der ersten Vorlesung wurde Lenins Materiebegriff . als unzureichend verworfen. Die Anerkennung der objektiven Realität unabhängig vom menschlichen Bewußtsein sei für den objektiven Idealismus typisch. Havemann zeigte auch die Fragwürdigkeit der Widerspiegelungstheorie — der Erkenntnistheorie des Dialektischen Materialismus — auf. Schon ein Photo ist mit dem Abgebildeten nicht identisch. Die Kommunisten müßten bereit sein, ihre philosophische Konzeption in Frage stellen zu lassen. Der moderne Materialismus erfordere auch den Zweifel an sich selbst. Es gibt keinen einzigen Satz, der nicht durch Erfahrung widerlegt werden könnte. Aber ohne Informationsfreiheit, die das Blut in den Adern der menschlichen Kultur sei, läßt sich auch keine Meinungsfreiheit begründen. Zu allen Zeiten hätten reaktionäre Regime danach getrachtet, das Volk in Dummheit zu halten, um es leichter beherrschen zu können. Doch wer die Menschen konfektionierten und behördlich genehmigten Ansichten unterwirft, fordert sie zur Rebellion heraus.

In weiteren Vorlesungen zeigte Havemann auf, daß der Dialektische Materialismus mit seinen Thesen von der räumlich endlichen und zeitlich unendlichen Welt den Ergebnissen der modernen Wissenschaft widerspricht. Auch sei das Geschehen nicht eindeutig determiniert, sondern von Zufällen abhängig. Die Entwicklung benutzt den Weg des Zufalls. Der Kommunismus ist nur eine Möglichkeit, aber welche Möglichkeiten jeweils bestehen, ergibt sich aus den Notwendigkeiten und Bedürfnissen jeder Zeit. Der Begriff Möglichkeit besagt, daß etwas geschehen wie auch unterbleiben kann, weil nichts eindeutig festgelegt ist. Der Mensch erlangt Freiheit, indem er Notwendigkeiten ändert, neue Möglichkeiten schafft und das jeweils Mögliche variiert. Der Kommunismus darf nicht auf Zwang beruhen, sondern muß neue Horizonte der Freiheit eröffnen. An die Stelle der Ideologie hat klares Bewußtsein zu treten. Ost und West bilden eine wechselwirkende Einheit, während der Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus schon abstumpft. Man muß die Kräfte im Geistigen messen. Revolutionäre Ideen sind durch keine Grenze aufzuhalten.

In seiner zehnten Vorlesung vom 20. Dezember 1963 wandte sich Havemann gegen die vom XXII. Parteitag der KPdSU angebahnte Indoktrinierung einer kommunistischen Moral. Eine konservative, dem Schutz des Bestehenden dienende Moral könne die gesellschaftliche Wirklichkeit nur verhüllen und den Fluß der Entwicklung lediglich hemmen. Notwendig sei eine revolutionäre Moral, um die bestehende Gesellschaft aufzulösen und umzuwälzen. Ihre Grundlage müsse die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden sein. Der Moskauer und Ostberliner Moralkodex entspreche einem bürgerlichen Horizont: „Die Grundelemente der alten Moral waren Demut, Ergebenheit in das Schicksal, Hoffnung auf eine höhere Gerechtigkeit, Einordnung des Menschen in die gesellschaftliche Hierarchie. In der sozialistischen Moral sind andere Begriffe wesentlich: die Solidarität, der Widerstand, der Zweifel an allem Hergekommenen, das Selbstvertrauen, die Entschlossenheit, die Verhältnisse zu ändern."

Den Vorlesungen schlossen sich noch drei Seminare an. In ihnen bezeichnete Havemann das Streben nach Herrschaft als Quelle aller Unmoral. Was den Kommunismus angehe, so sei er ein nie erreichbares Endziel. Der Urkommunismus müsse vom wissenschaftlichen Standpunkt als eine Fiktion betrachtet werden. Und der Kapitalismus hebe sich durch die Automation auch ohne kommunistische Aktivität auf. Der in Osteuropa bestehende Widerspruch zwischen den Interessen des Einzelnen und den Interessen der Kommunistischen Parteien, durch ein hierarchisches System von außerordentlicher Zähigkeit niedergehalten, könne nicht durch Entfachung künstlicher Begeisterung, sondern nur durch Gewährung der Demokratie überwunden werden. Das für den Stalinismus typische Auslöschen der Freiheitsrechte sei eine dem Kommunismus feindliche Tendenz, weil es seine Diskriminierung bedeute. Havemann berief sich auf Gesinnungsgenossen in der Sowjetunion und der Tschechoslo-wakei, auf Kommunisten in diesen Ländern, die ebenso dächten wie er. Er hat als erster Kommunist in systematischer Form philosophische und politische Konsequenzen aus der modernen Wissenschaft seit Einstein gezogen. Gegen die „Havemannsche Krankheit" stand in der SED noch keine Medizin bereit. Man warf dem bekannten Physiker einen abstrakten Freiheitsbegriff vor. Als ein neuer Sokrates verderbe er die Jugend der DDR. Dessenungeachtet gab Havemann dem „Hamburger Abendecho" ein Interview, in dem er für die Bevölkerung der DDR größere Freiheiten als in der Bundesrepublik verlangte — nur so könne der Kommunismus den Wettbewerb mit dem Westen gewinnen. Wäre man von vornherein diesen Weg gegangen, hätte es am 17. Juni 1953 keinen Aufstand gegeben.

Am 12. März 1964 wurde der Naturwissenschaftler wegen parteischädigenden und parteifremden Verhaltens aus der SED ausgeschlossen. Am 19. /20. März 1964 trat eine Konferenz zusammen, auf der ihm das Recht abgesprochen wurde, als Hochschullehrer die Jugend zu erziehen. Er mußte an allen Universitäten verurteilt werden. Am 1. April 1964 verlor der Gemaßregelte auch die Leitung des Physikalisch-Chemischen Instituts der Humboldt-Universität. Es blieb ihm nur noch ein Forschungsauftrag. Doch schon im Juni 1964 hieß es — kurz vorher war sein Buch „Dialektik ohne Dogma" in der Bundesrepublik erschienen — Flavemann müsse entweder seine Thesen widerrufen oder er werde auch seinen Forschungsauftrag verlieren. Der Wissen. lehnte den Widerruf ab. Damit war der innerkommunistischen Opposition der DDR ein neuer Kopf gewachsen. Von nun an standen sich Ulbricht und Havemann als Repräsentanten zweier grundsätzlich verschiedener Richtungen des kommunistischen Denkens und Wollens gegenüber.

Freiheit so wichtig wie Brot (Polen) . Eine neue Schule des Marxismus entsteht Daß der „polnische Oktober" von 1956 als Denkprozeß trotz einer Tendenz zur Restalinisierung auch in den obersten Rängen des polnischen Kommunismus weiterwirkte, ging aus einer Aufsatzreihe des Chefideologen Adam Schaff hervor, die im Juli 1961 auch in Buchform erschien. Schaff polemisierte gegen Sartre, dessen Existentialismus in Polen eingedrungen und zur ernsthaftesten Konkurrenz der Staatsideologie des Marxismus-Leninismus geworden war. Er stellte Marxismus und Existentialismus als unvereinbar gegenüber, gab aber zu, daß Sartres Ideen vor allem deshalb einen tiefen Einbruch in Polen erzielten, weil der Dialektische Materialismus den Problemen des menschlichen Individuums ausweiche. Diese Lücke gelte es zu schließen. Nur eine marxistische Philosophie des Menschen könne den geistigen Einfluß Sartres überwinden. Die Kommunisten müßten die bohrenden Fragen nach dem Sinn des menschlichen Lebens und nach dem Wesen des Glücks beantworten können. Auch das Problem der persönlichen Freiheit dürfe nicht länger geringschätzig abgetan werden. „Die Freiheit ist eine nicht minder wichtige Vorbedingung für die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit als die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Menschen."

Obwohl Schaffs Polemik gegen Sartre mit Seitenhieben auf Kolakowski verbunden war (den er fälschlich für einen Existentialisten hielt), versuchte er doch gleich diesem, den Anschluß an die europäische Philosophie der Gegenwart wiederzufinden und ihre wichtigsten Erkenntnisse in den Marxismus aufzunehmen. Er begründete darüber hinaus eine neue, anthropologische Schule des Marxismus. Die Entstehung dieser Schule entsprach dem Aufstand des Individuums innerhalb der kommunistisch beherrschten Gesellschaft, das aus der Kaserne des Kollektivs zu entkommen versuchte. Sie stieß daher auf den Widerstand der konservativen Ideologen und des Partei-apparats, die behaupteten, der Marxismus enthalte bereits eine komplette Philosophie des Menschen und habe daher eine marxistische Anthropologie gar nicht nötig.

Hier äußerte sich sowohl die Furcht, neue Ideen könnten das noch immer weitgehend verknöcherte Gedankensystem des Dialektischen Materialismus aufbrechen, als auch das Bemühen, die Erhebung des Individuums zurückzuwerfen. Binnen kurzer Zeit breitete sich die Diskussion über mehrere kommunistische Länder aus; in Moskau und Prag erschienen Artikel gegen Schaff. Mit seiner Forderung nach einer marxistischen Anthropologie als besonderer Disziplin des Dialektischen Materialismus hat er in gewisser Hinsicht das philosophische Fazit des „polnischen Oktobers" für ganz Osteuropa gezogen. Trotz seines Schwankens zwischen Gomulka und Kolakowski darf nicht übersehen werden, daß er als erster offizieller Theoretiker des Kommu-nismus die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse und des Bedürfnisses nach persönlicher Freiheit als gleichrangig anerkannte. Das war eine bahnbrechende Neuheit. Was die anthropologische Schule betrifft, so hat sie ihre weiteste Verbreitung und bedeutsamste Fortentwicklung in Jugoslawien gefunden.

In der Zwiespältigkeit Schaffs, geistig revolutionär, politisch aber eher noch konservativ zu sein, ist diese Diskrepanz zu einem lebendigen Symbol geworden. Von Polen gehen immer wieder Anstöße für die osteuropäische Revolution aus, die innerhalb des Landes im Ansatz Steckenbleiben, aber außerhalb seiner Grenzen um so fruchtbarer wirken.

Die Freiheitsdiskussion Schaff gab auch den Auftakt zu einer großen Freiheitsdiskussion, die nach dem XXII. Parteitag der KPdSU die polnische Intelligenz in fieberhafte Erregung versetzte. Ihre Haupttribünen waren die Wochenzeitung „Przeglad Kulturalny" und der Klub „Krummer Kreis". Der Präsident der polnischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Kotarbinski, verlangte uneingeschränkte Freiheit des Wortes als wichtigstes Grundrecht des Menschen. Prof. Ossowski, der berühmteste unter den polnischen Soziologen, hielt die Schaffung einer geistigen Kultur nur bei Respektierung der Ketzer (also der Revisionisten) für möglich. Der Dichter Slominski wandte sich gegen die staatliche Zensur. Prof. Lipinski als Altmeister der polnischen Nationalökonomie erklärte, der Marxismus sei in Polen und anderswo zu einem „Sammelsurium von Mythen und Halb-wahrheiten" entartet, die nur noch der Machtbehauptung dienten. Prof. Sawicki verlangte gerichtliche Bestrafung aller Beamten, die kritische Äußerungen unterdrücken.

Die Diskussion wogte monatelang hin und her, aber ihr einziges reales Ergebnis bestand in einer Lockerung der Vorzensur. Da sie alle behördlicherseits gezogenen Grenzen überflutete, wurde der Klub „Krummer Kreis" — als ihr dynamischer Brennpunkt. — geschlossen. Freilich auch deshalb, weil er Kolakowskis Schauspiel „Eingang und Ausgang" fast demonstrativ mit einem Preis prämiert hatte. Diese bittere Satire auf den Polizeistaat wurde nach sechs Aufführungen verboten. Wegen eines anderen Literaturpreises, mit dem die Zeitschrift „Nowa Kultura" das Porträt eines Diktators von Brochenski („Göttlicher Cäsar") bedacht hatte, erhielt der Chefredakteur Zolkieski seine Entlassung. Im Mai 1963 mußten „Przeglad Kulturalny" und Nowa Kultura" ihr Erscheinen einstellen. Sie wurden durch eine neue Wochenzeitschrift unter dem Titel „Kultura" ersetzt, die viele Intellektuelle aus Protest boykottierten, obwohl sie durch Verweigerung der Mitarbeit ihre Existenzbasis gefährdeten.

Aufstieg der Partisanen Dieser neuerlichen Einschnürung von Presse und Literatur ging als Alarmsignal die Affäre Holland voraus. Henryk Holland war ein Altkommunist, der angeklagt wurde, an ausländische Korrespondenten falsche Informationen über die Art des Todes von Stalin und Berija weitergegeben zu haben. Im Dezember 1961 verhaftet, stürzte er sich angeblich aus seinem Wohnungsfenster zu Tode. Doch nur wenige glaubten an einen Selbstmord. Vielmehr schien es, als ob ein Mitwisser dunkler Geheimnisse, die Chruschtschow in angetrunkenem Zustand ausgeplaudert hatte, beseitigt worden sei. An der Beerdigung Hollands nahmen mehrere Tausend Menschen teil, darunter hohe Funktionäre. Sie sangen gemeinsam die mit „Wacht auf!" beginnende „Internationale".

Gomulka ordnete eine Untersuchung an, die jedoch im Sande verlief. Offenbar war er nicht mehr der mächtigste Mann.

Mächtiger schien schon Moczar zu sein, unter dessen Leitung der Sicherheitsdienst seine frühere Vormachtstellung, die er in der Stalin-zeit genoß, Schritt um Schritt zurückgewann. Moczar galt als der Führer einer neuen Parteifraktion, der „Partisanen", die aus ehemali-j gen Heimatkommunisten bestanden und sich unaufhaltsam in den Vordergrund schoben. Sie wandten sich gegen jene, die in den Uniformen der Roten Armee nach Warschau zurückgekehrt waren, aber mehr noch gegen die Liberalen und Revisionisten, denen man eine bewußte Aufweichung des Regimes unter-schob. Diese Fraktion setzte die Einstellung der angeblich westlich infizierten Zeitschriften durch. Es gelang ihr, alle restlichen Vertreter eines offenen und progressiven Kommunismus in den obersten Gremien der Partei — Albrecht, Zambrowski und Matwin — zu verdrängen. Ihr Argument bestand darin, daß die Koexistenz keine Abschwächung, sondern eine Verschärfung des Klassenkampfes bedeute, was erhöhte Wachsamkeit erforderlich mache. Die Fraktion der „Partisanen" sah die Haupt-gefahr in der kosmopolitischen Haltung des jüdischen Elements der Partei. Schon Henryk Holland war ein jüdischer Journalist gewesen. Auch die aus Rundfunk und Fernsehen entfernten Publizisten waren zum größten Teil Juden. So wurde mit dem Antisemitismus eine der gefährlichsten Erscheinungsformen des Stalinismus wiederbelebt. Zwar gingen die Partisanen mit polizeilichen Druckmitteln auch gegen die urstalinistische Natolin-Fraktion vor, als sie ein Pamphlet gegen die offizielle Parteilinie in Umlauf setzte. Dies täuschte jedoch nicht über ihren Neostalinismus hinweg, mochte er auch mit einem Ressentiment gegen die Moskau-Emigranten verknüpft sein, weil sie lange Zeit alle entscheidenden Posten besetzt hatten und die Heimatkommunisten nicht zum Zuge kommen ließen. Die Partisanen verkörperten eine Spielart des Nationalstalinismus. Gomulka lehnte sich in dieser Situation, die ihn zwischen die Partisanen und die Liberalen stellte, mehr und mehr an Chruschtschow an, zu dessen außenpolitischem Berater er aufstieg. Mit der Erklärung, daß, wenn die sowjetischen Genossen noch nicht alles zum Ursprung des Personenkults gesagt hätten, es offenbar noch zu früh dazu sei, verminderte er seine ursprünglich radikale Kritik am Stalinismus. Im Konflikt Moskau—Peking ergriff er Partei für die Sowjetunion, weil die chinesische Politik „durch Nationalismus und Groß-machtstreben" gekennzeichnet wäre — was man gewiß nicht weniger von der UdSSR sagen konnte.

Auf das Vertrauen Chruschtschows zu Gomulka gestützt, konnte Polen seine Sonderstellung in Osteuropa behaupten und ungestörter als bisher seinen eigenen Weg weiterverfolgen. Beispielsweise wurden zwischen 1959 und 1964 180 000 ha Land aus dem staatlichen Bodenfonds an private Bauern verkauft — ein Reprivatisierungsprozeß, der keine Parallele kennt und, wäre er in anderen kommunistischen Länder erfolgt, sofort die Bezeichnung . konterrevolutionär'erhalten hätte. Selbst manche Flüchtlinge aus der DDR, denen nach dem Mauerbau der Weg in den Westen versperrt war, fanden in diesem Lande politisches Asyl. Auch der Umstand, daß Schaff trotz aller Anwürfe wieder ins Zentralkomitee gewählt wurde, ließ keinen Vergleich mit Ostberlin zu. Es gab sogar Versuche zur Wiederbelebung der Arbeiterräte, weil sich die Beschwerden über das selbstherrliche Regiment der Betriebsdirektoren häuften.

Doch das Vorrücken der Partisanen und ihre Repressiv-Maßnahmen verkündeten Unheil und schufen eine unbehagliche, immer gereizter werdende Stimmung, die sich durch eine Versorgungskrise noch verschärfte. Drastische Preiserhöhungen führten im Frühjahr 1963 zu zwei Protestdemonstrationen in Warschau. Die Arbeiterräte von Katowice stellten die Regierung vor die Wahl, entweder ihre Stadt mit Preiserhöhungen zu verschonen oder mit einer langen Arbeitsniederlegung zu rechnen Gomulka warnte vor Streiks, die als Sabotage ausgelegt werden könnten. Auch das Verhältnis von Staat und Kirche wurde wieder gespannter. Schon im Oktober 1961 kam es zu einem Zusammenstoß zwischen Katholiken und Polizisten in Thorn wegen des Gerüchtes, daß ein Priesterseminar geschlossen werden sollte. Fast genau zwei Jahre später brachen Unruhen in Przemsyl aus, weil eine kirchliche Organistenschule verstaatlicht wurde. Wie die polnische Presse schrieb, entstand eine Atmosphäre des Aufruhrs; 64 Personen wurden verhaftet.

Die abermalige Fesselung der polnischen Presse — sie sollte nach den Worten eines Schriftstellers „allenfalls befriedigt säuseln oder vor Verzückung wimmern" aber Kritik nur noch am Vorkriegspolen äußern — ließ viele Publizisten aufbegehren. Im März 1964 richteten 34 bekannte Intellektuelle einen Brief an den Ministerpräsidenten, in dem es hieß, daß durch die weitreichende Zensur der schriftlichen Meinung eine nachhaltige Gefährdung der gesellschaftlichen Entwicklung bestehe. Sie beriefen sich auf unabdingbare, auch in der polnischen Verfassung garantierte Freiheitsrechte. Aber 14 der Unterzeichner konnten plötzlich nichts mehr publizieren, ein anderer wurde verhaftet. Die Partei sammelte Unterschriften für eine Gegenerklärung. Darauf scharten sich 800— 900 Studenten am 14. April 1964 auf dem Gelände der Universität zu einer Protestversammlung zusammen. Der Rektor forderte sie vergebens zum Auseinandergehen auf. Sie verlangten eine Diskussion über den Brief der 34, dessen Inhalt auch ihrer Meinung entspreche. Mehrere Teilnehmer wurden festgenommen und wochenlang inhaftiert.

Als die Parteiführung am 5. Oktober 1964 alle Mitglieder der Warschauer Gruppe des polnischen Schriftstellerverbandes zu einer Aus-133) spräche einlud, vertauschte der Dichter Slonimski die Rolle eines Angeklagten mit der des Anklägers: „Die Früchte des polnischen Oktobers sind verdorrt. Zensurbestimmungen halten das Volk geknebelt. ..." Die anderen Schriftsteller erhoben sich von ihren Plätzen und unterstützten ihren Sprecher durch lauten Beifall. Es war jetzt offenkundig, daß sich das Gomulka-Regime in einer ernsten Krise befand.

Burgfriede und Ausbau der Selbstverwaltung (Jugoslawien)

Jugoslawien lieferte der Sowjetunion fast die gesamte geistige Munition für die Auseinandersetzung mit dem China Mao Tse-tungs. Das begann im Frühjahr 1960, als Kardelj die Pekinger und Belgrader Politik in einer größeren Studie miteinander verglich. Der jugoslawische Chefideologe hielt bereits damals unüberbrückbare Gegensätze zwischen kommunistischen Ländern für möglich, „und zwar vor allem, wenn man anderen Ländern im Namen der sozialistischen Solidarität und der sozialistischen Ideologie das Veraltete und Konservative gewaltsam aufdrängen will" Kardelj beschuldigte die chinesischen Kommunisten der Kriegslüsternheit, verabsolutierter Gewalt und irrationaler Gedankensprünge, was er auf den Staatsbürokratismus, auf eine rückständige Technik und auf den Einfluß trotzkistischer Ideen zurückführte. Die Volkskommunen bezeichnete er als eine Form des Elendskommunismus, der auf niemand eine Anziehung ausüben könne. Chruschtschow verspottete sie als , Bastschuh-Kommunismus'. Er holte sich auch seine Thesen von der Vermeidbarkeit eines neuen Weltkriegs noch vor dem Untergang des Kapitalismus und vom sozialistischen Weltsystem als dem bestimmenden Faktor der Zeitgeschichte aus dem Buche Kardeljs, der davon gesprochen hatte, daß man dem Westen die Koexistenz aufzwingen könne und der Sozialismus zum dominierenden Faktor der Epoche geworden sei. Chruschtschow war ein Plagiator, aber manche Sätze des jugoslawischen Theoretikers schienen ebenso für den sowjetischen wie für den chinesischen Parteichef bestimmt zu sein. So die These, „daß man nicht einmal im Namen der Revolution ungestraft agressive Kriege führen kann" und „die hegemonistische Tendenz im krassen Gegensatz zu den Interessen des Weltsozialismus steht"

Dem, was Kardelj 1960 über den Maoismus schrieb, sind später eigentlich nur noch zwei Argumente hinzugefügt worden: in China herrsche das kleinbürgerliche Element vor und, in diesem Lande habe sich der in Osteuropa schon weithin verdrängte Stalinismus durchgesetzt. Nach der Revolution in Ungarn „erhoben die stalinistischen Dogmatiker in der gesamten kommunistischen Weltbewegung ihr Haupt. In China trugen sie ganz offensichtlich den Sieg davon. Der ohnehin verkrüppelten Landwirtschaft amputierten sie die letzten Glieder. Nicht nur in der Landwirtschaft, auch auf anderen Gebieten machten sie sämtliche Konzessionen rückgängig und gründeten schließlich in Honan im April 1958 die erste Landkommune." In Belgrad wußte man um den Zusammenhang zwischen der osteuropäischen Revolution und der Politik Mao Tse-tungs.

Für Jugoslawien hatte sich die größte Bedrohung eines antistalinistischen Kommunismus von Moskau nach Peking verschoben. Deshalb stützte es Chruschtschow gegen Mao. Aber die jugoslawischen Kommunisten behielten sich das Recht zur Kritik an der Sowjetunion vor und machten von ihm gegenüber dem neuen Programm der KPdSU regen Gebrauch. Ihre Haupteinwände waren, daß dieses Programm das Absterben des Staates durch eine bloße Änderung seiner Funktionen ersetze, den hegemonistischen Geist des Kominform Wiederaufleben lasse und die nationalen Wege zum Sozialismus verunglimpfe Jugoslawien erfaßte die expansiven Gefahren der Chruschtschow-Doktrin, obwohl es anscheinend hoffte, daß der Konflikt mit Peking alle Kräfte Moskaus binden würde. Offenbar sollte der Expansionsgefahr durch ihre Enthüllung vorgebeugt werden: „Es wird versucht, die angebliche politische und wirtschaftliche Unmöglichkeit des selbständigen Weges zum Sozialismus zu beweisen, und dazu noch prophezeit, daß jedes Land, das den Sozialismus außerhalb des Lagers — also auf eigene, selbständige Art — aufbauen will, , entarten'und von den Imperialisten verschlungen werden muß. Und mehr als dies: auf diese Weise soll anscheinend im voraus jede Aktion, die im Namen des . wahren Sozialismus'zur , Rettung'irgendeines Landes von einer solchen , Entartung'unter-135) nommen werden könnte, ideologisch und politisch gerechtfertigt werden."

Als Chruschtschow im September 1962 eine Verbesserung der sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen anbot, um den Rücken gegen Peking freizubekommen, stimmte Tito mit spürbarer Erleichterung zu. Die Erneuerung des Burgfriedens zwischen Moskau und Belgrad verpflichtete ja auch eine Reihe anderer Länder. Tito erhielt die Genugtuung, auf den Parteitagen in Sofia, Prag und Ostberlin gegen Peking verteidigt zu werden. Als ihn zum Beispiel der chinesische Gastdelegierte auf dem XII. Parteitag der tschechoslowakischen Kommunisten einen „unverschämten Verräter der Arbeiterklasse" nannte, wurde er von lauten Protestrufen unterbrochen. Die Versachlichung der Beziehungen mit Moskau, Sofia, Prag und Ostberlin konnte für die Ausbreitung der titoistischen Ideen nur vorteilhaft sein.

Jedoch machte Jugoslawien der Chruschtschow-Doktrin das für seine Unabhängigkeit bedenkliche Zugeständnis, nicht nur als Beobachter ins Comecon zurückzukehren, sondern sogar an der Arbeit einiger seiner Organe teilzunehmen und in sieben von vierzehn Fachausschüssen mitzuwirken. Diese Vereinbarung kam einer Assoziierung gleich, deren Grenzen die Moskauer Führer durch die Angleichung der jugoslawischen Wirtschaftspläne an die der Comecon-Länder zu verwischen trachteten Man muß aber den Zweck dieses Zugeständnisses sehen. Tito versicherte im August 1963 seine Bereitschaft zur Teilnahme an der wirtschaftlichen Arbeitsteilung zwischen den kommunistischen Staaten, wofür Chruschtschow erneut die Respektierung der spezifischen Formen des jugoslawischen Kommunismus versprach und erstmals die Arbeiterräte als eine „fortschrittliche Erscheinung" anerkannte. Diese Anerkennung wog anscheinend das Risiko auf. Sie war ohne Zweifel von unschätzbarem Wert. Ohne den Konflikt mit Peking hätte sich Chruschtschow schwerlich zu ihr durchgerungen. Er versprach darüber hinaus die Entsendüng einer sowjetischen Delegation zum Studium der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung. Traf sie auch niemals ein, so war schon die Idee einer solchen Delegation für Jugoslawien ein neuer Ansatzpunkt zur Aus

Strahlung seines Gedankenguts in alle Länder Osteuropas.

Im Schutze des 1962 geschlossenen Burgfriedens widmeten sich die jugoslawischen Kommunisten mit verstärktem Eifer dem inneren Ausbau ihres Gesellschaftssystems. Die neue Verfassung vom April 1963 erklärte die Selbstverwaltung zur konkreten Form der Repräsentation und Verwirklichung der Volkssouveränität und zum gestaltenden Grundprinzip, das auf alle Bereiche der Arbeit und des öffentlichen Lebens ausgedehnt werden soll. Das Recht auf Selbstverwaltung wurde zum unveräußerlichen Grundrecht des jugoslawischen Staatsbürgers erhoben. Während der Diskussion um den Verfassungsentwurf forderte „die zahlenmäßig größte Gruppe" Änderungsvorschläge hinsichtlich einer präziseren Fassung der individuellen Rechte und größere Garantien der persönlichen Freiheit. Das führte zur Fixierung bürgerlicher Grundrechte, von denen in der Verfassung des Jahres 1953 nur ganz summarisch die Rede gewesen war. Sie hatte lediglich das Wahlrecht und das abstrakte Recht der Bürger genannt, „unmittelbar bei der Ausübung der Gewalt mitzuwirken" Die neue Verfassung garantiert auch die Freizügigkeit, die Unverletzlichkeit der Person, der Wohnung und des Briefgeheimnisses, die Freiheit des wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffens, ungestörte Religionsausübung sowie die Möglichkeit, „in allen Fällen von Beschneidung der Rechte oder von Zwang ein gesetzliches Verfahren anzustrengen"

Eine nach der Verabschiedung der Verfassung folgende Reform brachte die Ausdehnung der Selbstverwaltung auf eine Anzahl öffentlicher Institutionen, nämlich auf die Mitarbeiter der Kulturbehörden, der Bildungskörperschaften sowie des Gesundheits-und Sozialwesens. Dieser Schritt sollte die Gleichstellung der Beamten und Angestellten mit den Produzenten herbeiführen. Indes konnte er auch die Abkehr von dem ursprünglichen Konzept einer Arbeiterdemokratie bedeuten. Freilich ist das jugoslawische Fünf-Räte-System einmalig in der Geschichte. Man wandelte den Produzentenrat in einen Wirtschaftsrat um und stellte ihm einen Bildungs-und Kulturrat, einen Sozial-und Gesundheitsrat sowie einen politisch-administrativen Rat zur Seite. Diese vier Räte — aus je 120 Abgeordneten bestehend, die jeweils nur von einem bestimmten Teil der Bevölkerung aus dem jeweiligen Funktionskreis gewählt werden können — bilden zusammen eine zweite Kammer. Die erste Kammer fällt mit dem Bundesrat zusammen, der allein aus allgemeinen Wahlen hervorgeht und 190 Abgeordnete umfaßt. Es überwiegen also Vertreter, die nicht mehr auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts gewählt worden sind. Diese ständegesellschaftliche Tendenz fand ihre Ergänzung durch eine monarchische Ausnahmebestimmung für Tito — er wurde zum Staatspräsidenten auf Lebenszeit gemacht. So ergab sich eine seltsame Synthese der ständischen, der monarchischen und der Räteidee, in der jedoch die letztere dominiert. Um die Meinungsfreiheit, deren Garantie die neue jugoslawische Verfassung enthält, stand es allerdings noch nicht zum besten. Andernfalls hätte Milovon Djilas, im Mai 1962 nach Veröffentlichung seiner „Gespräche mit Stalin" wegen Enthüllung von Staatsgeheimnissen abgeurteilt, nach ihrem Inkrafttreten sofort auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Statt dessen wurde er sogar von der Amnestie im November 1963 ausgenommen. Auch das Verbot der Zeitschrift „Perspektiven" am 19. Mai 1964 wirkte fatal. Sie war von einer Gruppe junger Intellektueller herausgebracht worden, die empörte Aufsätze über die Allmacht der Bürokratie, die Manipulierung der Arbeiterräte und die „Diktatur der Direktoren" schrieben, womit sie die Kritik von Djilas fortführten. Zwei von ihnen — Pucnik und Salamun — wurden verhaftet, als sie versuchten, die Zeitschrift illegal weiterzuführen. Gegen das Verbot der „Perspektiven" und die mit ihm verbundenen Zwangsmaßnahmen legten 57 slowenische Schriftsteller Protest ein. Der Vorsitzende des kommunistischen Studentenverbandes an der Laibacher Universität ließ wissen, daß die Mehrheit der Studenten gegen die Unterdrückung der Zeitschrift sei, deren energischer Einsatz für eine rasche Demokratisierung sie schätzte. Dies reizte Tito zu der Bemerkung, daß es Leute gebe, welche die Jugend verdürben und der Partei entfremdeten. Auch in Jugoslawien zeigten sich Symptome eines Konflikts zwischen Vätern und Söhnen.

Der Leichnam des Sozialistischen Realismus wurde beerdigt, ohne daß offizielle Würdenträger an dem Begräbnis teilgenommen hätten. Tito gab die Vorherrschaft der abstrakten Richtung in der Malerei zu. Aber die Partei sah sich von einer steigenden Flut der intellektuellen Kritik an ihrem Macht-und Meinungsmonopol gefährdet. Sie verbot den Film „Die Stadt", den Roman „Ganga“ und ließ die Aufführung des Schauspiels „Das warme Bett" stören. Wieder erhob die Kommunistische Partei den Anspruch, nicht nur die kontrollierende, sondern auch die lenkende Kraft der gesamten Gesellschaft zu sein. Wie stimmte das mit dem Konzept der gesellschaftlichen Selbstverwaltung überein? Obwohl das kommunistische Machtmonopol in unübersehbarem Widerspruch zu ihr steht, ließ die Partei nun verlauten, daß sie und ihre Unterorganisationen als Bestandteile der Selbstverwaltung aufgefaßt werden müßten. Der Sozialistische Bund, eine Art Volksfront, stelle ihre Grundlage und „dasselbe dar, was das Mehrparteiensystem im parlamentarischen System" bedeute, überzeugend war das nicht.

Der „Frühling im Herbst" (Tschechoslowakei)

In der Tschechoslowakei fand der XXII. Parteitag der KPdSU das stärkste Echo. Doch die Partei-und Staatsführung stemmte sich gegen eine zweite Entstalinisierung, obwohl selbst die erste (1956) über einige Freilassungen kaum hinausgelangt war. Den potentiellen Chruschtschow seines Landes, Barak, setzte Novotny schon im Sommer 1961 als Innenminister ab. Nach dem sowjetischen Parteitag, im Februar 1962, wurde er aller restlichen Funktionen enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. Zunächst hieß es, er habe versucht, die politische Macht zu ergreifen, dann verurteilte man ihn wegen krimineller Verbrechen zu 15 Jahren Gefängnis. Barak schien damals als einziger fähig gewesen zu sein, die Reformkräfte um sich zu sammeln und an ihre Spitze zu treten. Er war bis 1962 der stärkste Rivale Novotnys, der sich seiner ganz im Stil des Slansky-Prozesses, wenn auch ohne Hinrichtung, zu entledigen wußte. Man sprengte zwar das Stalin-Denkmal auf dem Lena-Hügel, ließ aber vorher heimlich im Schutze der Nacht Stalins Kopf abmontieren. Gottwalds Über-reste mußten ebenso wie Stalins Leichnam das eigens für sie errichtete pompöse Mausoleum verlassen, sie wurden indes — in Gegenwart der gesamten Parteiprominenz — „nur" in die Nationalhalle umgebettet. Im neuen Politbüro, nach dem XII. Parteitag im Dezember 1962 gewählt, saß mit Ausnahme eines einzigen Mannes — Lenart — die alte Mannschaft der Stalinisten.

Aber unaufhaltsam bildete sich auch in der Tschechoslowakei eine öffentliche Meinung heraus, die sogar Parteizeitschriften — wie die „Mlada Tvorba" und die slowakische „Pravda" — in ihre Organe umzuwandeln verstand. Als am 1. Januar 1963 drei dieser Wochenblätter eingestellt werden mußten und durch ein neues Parteiorgan abgelöst wurden, traten andere Zeitschriften an ihre Stelle — vor allem „Liternarni Nonviny" und „Kulturny Zivot", die meist schon kurz nach ihrem Erscheinen ausverkauft waren. Als Chefredakteur der letzteren machte Mnacko von sich reden, der die eingefrorenen Verhältnisse der Tschechoslowakei mit bestimmten Fortschritten in Ungarn und Polen vergleichen ließ. „Kulturny Zivot" veröffentlichte auch die Autobiographie Jewtuschenkos, brachte Artikel mit nationalkommunistischen Tendenzen über verschiedene Wege zum Sozialismus, druckte ein Interview mit Georg Lukacs und gab dem 1957 ausgeschlossenen Pavlik das Wort, der die CSSR als „Barackenform" des Kollektivismus bezeichnete.

Die Opposition konzentrierte sich jetzt auf die Wiederaufrollung des Slansky-Prozesses und der ihm folgenden Verfahren. Im März 1963 forderte das slowakische Parteiorgan „Pravda" die Rehabilitierung der Opfer des Stalinismus. Im April erschien in der theoretischen Parteizeitschrift „Nova Mysl" ein Artikel von Cisar, der den Stalinismus als „ein ganzes System von Ansichten, Bräuchen, Maßnahmen, Prozeduren und Methoden" charakterisierte, „die tiefe Spuren in unserem Leben hinterlassen haben und starr widerstehen. Es darf nicht übersehen werden, daß es die gleichen Personen sind, die jetzt mit den Überbleibseln des Kultes kämpfen, die lange Jahre seine Subjekte waren und sich an seine Normen und Methoden gewöhnten" Im gleichen Monat mußte der schwerbelastete slowakische Parteichef Bacilek dem Reformer Dubcek weichen. Im April setzte sich der slowakische, im Mai auch der tschechoslowakische Schriftstellerkongress für eine Bestrafung der Schuldigen an den Verfolgungen in der Vergangenheit ein. Die slowakischen Journalisten begannen ihre Preßburger Konferenz mit einer Schweigeminute zu Ehren der hingerichteten Clementis und Simone. Novotny drohte den Redaktionen von „Kulturny Zivot" und „Pravda" wegen ihrer „hysterischen An-griffe gegen die Partei" wer das Recht auf fortwährende Diskussion und Zweifel beanspruche, sei als Kommunist nicht reif und in der Kommunistischen Partei fehl am Platze. Doch in Wahrheit stand schon zur Debatte, ob die Stalinisten noch länger in der Partei geduldet werden sollten. Die Atmosphäre erhitzte sich immer mehr. Ungerührt veröffentlichte die Zeitschrift „Dijiny a Soucasnost" Enthüllungen über den bulgarischen Kostoff-Prozeß, der zur Vernichtung selbständig denkender Kommunisten durch Intrigen und haßerfüllten Neid geführt habe — niemand konnte die Anspielung auf den Slansky-Prozeß übersehen. Als erster mußte Gottwalds Schwiegersohn die Partei verlassen. Zwei stellvertretende Innenminister der Stalin-Ära wanderten ins Gefängnis. Doch die erregte öffentliche Meinung ließ sich mit diesen Maßnahmen noch nicht beruhigen. Im August 1963 war der konzentrierte Druck auf die Parteiführung derart stark, daß sie endlich eine Urteilsrevision in den Prozessen gegen Slansky und andere Personen bekanntgab. Slansky, Clementis, Loebl und acht weitere Opfer wurden „in allen Punkten der Anklage freigesprochen" Auch Marie Svermova, Husak und Novemesky mußten rehabilitiert werden. Aber im amtlichen Bericht über die Urteilsrevision stand der empörende Satz, daß die Partei auch in der Vergangenheit ständig bestrebt gewesen sei, die Einhaltung der Gesetzlichkeit zu garantieren — jedermann wußte, wäre das tatsächlich so gewesen, hätten keine Schau-und Geheim-prozesse stattfinden können. Die Parteiführung behauptete, der Wahrheit und Gerechtigkeit sei Genüge getan, aber in Wahrheit handelte es sich nur um eine Teilrevision. Der Parteiausschluß Slanskys und anderer Personen wurde aufrechterhalten.

Trotzdem konnte man personelle Konsequenzen größeren Umfangs nicht länger umgehen. Novotny entschloß sich, einen Teil seiner engsten Gefährten fallenzulassen. Am 20. September 1963 erfolgte eine Umbildung der Regierung: Ministerpräsident Sirocky und vier Minister schieden aus, auch zwei stellvertretende Ministerpräsidenten verloren ihre bisherigen Funktionen, und neue Männer — darunter Lenart und Cisar — rückten vor. Im Oktober 1963 erhielten Erzbischof Beran und vier weitere Bischöfe die Freiheit zurück, im März 1964 wurde die Verurteilung des slowakischen Nationalismus als unberechtigt widerrufen. Mnackos „Verspätete Reportagen", Abrechnungen mit dem Polizeistaat, erhielten einen Staatspreis. Und doch schlug das Pendel wieder zurück.

Ahnungsvoll hatte der Schriftsteller Skvorecky im Mai 1963 geschrieben: „Wir wollen annehmen, daß es keine Schwarzseher gibt, die behaupten, daß alle Blumen nur deshalb wieder aufblühen dürfen, damit sie um so leichter gefunden und mit den Wurzeln herausgerissen werden können; die genau wissen, daß die gegenwärtige Zeit der Toleranz und das Jahr der Begnadigungen am 5. Juni oder Ende Juli oder spätestens nach der nächsten Rede irgendeines Politikers über Kultur enden wird" Diese Ahnung bestätigte sich insofern, als die Reformer noch zu schwach waren, um die erhärtete Machtstruktur aufzubrechen. Trotzdem erzielte die osteuropäische Revolution zwischen 1960 und 1964 in keinem anderen Lande so große Fortschritte wie in der Tschechoslowakei. Sie konnte um so tiefer eindringen, als ihr nichts geschenkt wurde. Daher war jeder Erfolg, weil er erkämpft werden mußte wesentlich höher als in der Sowjetunion oder anderswo zu bewerten.

Von den kleinen Stützpunkten einiger Wochenzeitungen und Zeitschriften aus drang die antistalinistische Opposition in alle Teile des Landes vor. Sie zog zunächst die große Mehrheit der Intelligenz auf ihre Seite. Die Schriftsteller und Journalisten stiegen zur Avantgarde der öffentlichen Meinung auf. In ihren Kongressen wurden die bürgerlichen Grundrechte wiederentdeckt, neue Wertkataloge aufgestellt und Aktionsprogramme entworfen. Hier vollzog sich der moralische und geistige Durchbruch, der politisch noch nicht gelang. An die Spitze der Schriftsteller-und Journalistenverbände traten Männer, die in den stalinistischen Zuchthäusern gesessen hatten. Beispielsweise erhielt Novomesky, 1954 zu zehn Jahren Haft verurteilt, in den geheimen Wahlen zum Vorstand des slowakischen Schriftstellerverbandes noch vor seiner Rehabilitierung durch die Partei sämtliche Stimmen Die Organisationen der Intelligenz bildeten insgesamt eine Art zweite Partei, in deren Namen auch solche Zeitschriften wie „Kulturny Zivot" sprachen und der es gelang, einen beträchtlichen Teil der slowakischen KP-Organisationen zu neutralisieren. Der Schriftsteller Pludek schlug vor, für jede Konzeption in dieser geheimen Oppositionspartei eine eigene Zeitschrift herauszugeben, um Demokratie zu praktizieren und Sammelpunkte für Fraktionen zu bilden, die in der herrschenden Partei noch immer verboten waren. Man wollte die gesamte Ära von 1949— 1962 geistig aufarbeiten: „Gefühlskälte und Schamlosigkeit haben wir zu moralischen Normen erhoben."

Die intellektuelle Opposition schien Fortschritte zu machen. Sie konnte nicht nur die Organisationen der Schriftsteller und Journalisten für sich gewinnen und die slowakische Partei zwischen sich und die tschechische bringen, sondern verfügte auch über beachtliche Bundesgenossen unter den Arbeitern und in der Jugend. Schon am 1. Mai 1962 hatten Studenten in Prag und Arbeiter in Praha-Smichov gegen die seit 1960 anhaltende und sich immer mehr verschärfende Versorgungskrise demonstriert; die „Rädelsführer" wurden mit Gefängnis bestraft Am 1. Mai 1963 kam es zu einer studentischen Demonstration vor dem Denkmal des Nationaldichters Macha. Aber solche kleinen politischen Aktionen konnten die Grundlagen des Regimes noch nicht erschüttern. Es bildete sich ein schwankendes Gleichgewicht zwischen der herrschenden und der oppositionellen Partei heraus.

Dieses Gleichgewicht suchten ausländische Kommunisten zugunsten der geheimen Oppositionspartei zu verändern. Auf der Prager Kafka-Konferenz im Mai 1963 traten Garaudy (Frankreich) und Fischer (Österreich) auf die Seite der „Rebellen"; Golstücker, Garaudy und Fischer polemisierten gemeinsam gegen den SED-Vertreter Kurella, der sich für den Sozialistischen Realismus einsetzte. Auf einer Karlsbader Historiker-Konferenz im September 1963 untersuchte der jugoslawische Professor Tudman die Fragwürdigkeiten des Stalin-Hitler-Paktes. Hitler, so sagte er, konnte die Landkarte Europas erst verändern, nachdem ihm Stalin Handlungsfreiheit eingeräumt hatte. Eine sowjetische Historikerin protestierte erregt gegen diese „unannehmbare Behauptung" aber die Tschechoslowakei war eines der ersten Opfer des Paktes gewesen, und stellte sich Novotny nicht noch immer vor Stalin?

Scheinbar vergebens hatte der Schriftsteller Novomesky gesagt, daß kein Preis zu hoch sei, um dem Volk die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen. Jedoch waren bereits neue Männer aufgetaucht — Dubcek, Husak, Cisaf — die kaum noch ohne weiteres von der Bildfläche verbannt werden konnten. In der Tschechei und in der Slowakei standen sich jetzt grundverschiedene Parteiführer gegenüber. Und am 1. Mai 1964 gingen die Studenten erstmals zu Tausenden auf die Straße; sie setzten sich über ein Versammlungs-und Demonstrationsverbot hinweg, riefen nach Freiheit und lieferten der Prager Polizei eine Straßenschlacht. Ein Sprechchor rief mehrmals: „Nieder mit der Tyrannei!" Es waren etwa 3000 Studenten der Prager Karls-Universität und anderer Hochschulen an dieser Demonstration beteiligt, die sich in Richtung auf die Parteizentrale in Bewegung setzte und nur gewaltsam aufgelöst werden konnte. Niemand wußte, ob sie als Ausklang des „Frühlings im Herbst" oder als ein neuer Anfang begriffen werden sollte.

Togliattis Idee der Einheit in Vielfalt (Westeuropa) Als zentrale Gestalt des westeuropäischen Kommunismus trat immer klarer Palmiro Togliatti hervor. Unter seiner Führung arbeitete die Kommunistische Partei Italiens ihre neue Konzeption der „strukturellen Reformen" aus, die als Mittelweg zwischen Reform und Revolution der Industriewelt weit besser angepaßt ist als die Ideen Moskaus und Pekings. Sie machte Rom zum Sammelpunkt des westeuropäischen Kommunismus, dessen Gliedparteien ihre Tätigkeit auch angesichts des Gemeinsamen Marktes koordinierten. Im März 1963 fand in Brüssel eine Beratung Kommunistischer Parteien aller Mitgliedsländer der EWG statt. Die italienischen und belgischen Kommunisten bewirkten gemeinsam mit den sowjetischen Wirtschaftswissenschaftlern eine positivere Haltung Chruschtschows zum Gemeinsamen Markt, wenn nicht zum Westen schlechthin. Togliatti sprach von der unübersehbaren Tatsache sozialer Reformen in den kapitalistischen Ländern. Er schlug eine einheitliche Initiative der östlichen und westlichen Industriestaaten zugunsten der unterentwikkelten Gebiete vor. Von noch größerer Bedeutung war sein Hinweis auf die qualitative Wandlung des Krieges durch die Erfindung nuklearer Waffen, die es verbieten, ihn weiterhin als eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu betrachten.

Die Kommunistische Partei Italiens nahm den XXII. Parteitag der KPdSU zum Anlaß, einen eigenen Beitrag zur Entstalinisierung zu leisten. Von den Fehlerquellen, die zum Stalinismus geführt hätten, wurden der Personen-kult, das innerparteiliche Fraktionsverbot, die apologetische Verfälschung der Wirklichkeit, die Degradierung der Massenorganisationen zu Werkzeugen der Partei und die Nichtbeachtung des Prinzips der Freiwilligkeit bei der landwirtschaftlichen Kollektivierung genannt. Man wies darauf hin, daß diese Probleme „bisher noch nicht restlos geklärt sind".

Der italienische Kommunismus stellte als Lehre aus der Stalinzeit das Prinzip der Autonomie jeder einzelnen Partei auf. Er verneint die führende Rolle der KPdSU und ein einziges Zentrum des internationalen Kommunismus. Das war eine Bekräftigung der Polyzentrismus-Idee. Aber Togliatti verlangte in seinem Bericht über den XXII. Parteitag der KPdSU vor dem Forum seiner Partei auch „die Garantie dafür, daß sich solche Dinge (das heißt die Schrecken der Stalinzeit — G. B.) nicht mehr wiederholen werden".

Statt solcher Garantien bekam er das negative Echo zu spüren, das die neue antireligiöse Kampagne Moskaus in Italien fand. Der italienische Kommunismus hatte den Dialog mit den Katholiken begonnen und wandte sich daher jetzt gegen den Staatsatheismus. Hinzu kam auch noch Chruschtschows Verhöhnung der abstrakten Kunst und die Verfolgung sowjetischer Schriftsteller, die in Rom einen guten Ruf erworben hatten. Togliatti sprach sich im Juni 1963 für Toleranz in künstlerischen Fragen aus. Carlo Levi wies Chruschtschows Forderung, der Künstler habe sich nach dem Geschmack der Massen zu richten, mit der Begründung zurück, dieser Geschmack sei lediglich eine schlechte Nachahmung früher herrschender Klassen. „Eine neue Kunst wird nur in Mut und Phantasie der Freiheit entstehen." Am 19. März 1964 trat Togliatti plötzlich von seinem Posten als Generalsekretär der KPI zurück, ohne daß die Partei und die Öffentlichkeit hierüber informiert worden waren. Aus seiner Erklärung ging hervor, daß er „auch aus anderen Gründen" und nicht allein wegen seines Gesundheitszustands zum Rücktritt bewogen worden sei. Also bleibt die Frage offen, ob Moskau oder Peking die Hand im Spiel gehabt haben. Doch wahrscheinlich hat Togliatti angesichts der Wiederverhärtung des Moskauer Kurses resig53 niert. Trotzdem sollte er der osteuropäischen Revolution noch einen großen Dienst erweisen. Chruschtschow bereitete eine neue kommunistische Weltkonferenz vor, über deren Problematik der italienische Parteiführer kurz vor seinem Tode ein Memorandum entworfen hatte, daß als sein politisches Testament gilt. Dieses Jaltaer Memorandum empfahl, die Exkommunizierung Pekings auf jeden Fall zu vermeiden. Ein offener Bruch würde die Gefahr einer Spaltung aller Kommunistischen Parteien heraufbeschwören, was sich in Westeuropa besonders verhängnisvoll auswirken könnte. Man müsse den Chinesen nicht mit Worten, sondern mit Taten entgegentreten, welche geeignet sind, die Spaltungstendenz zu überwinden. Togliatti verlangte von der sowjetischen Parteiführung, alte Formeln über Bord zu werfen, so die von der Religion als dem Opium des Volkes und von der rein klassengebundenen Kultur. „Andernfalls kommt es dazu, daß unsere den Katholiken hingestreckte Hand als bloße Taktik und nahezu als Heuchelei aufgefaßt wird. . . . Wir müssen zu den Vorkämpfern (!) der intellektuellen Freiheit, des freien künstlerischen Schaffens und des wissenschaftlichen Fortschritts werden". Da aber große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern bestünden, sei die Autonomie der einzelnen Kommunistischen Parteien nicht nur eine innere Notwendigkeit der kommunistischen Bewegung, sondern auch eine wesentliche Voraussetzung ihrer Weiterentwicklung. Die Einheit des zeitgenössischen Kommunismus könne nur noch durch die Vielfalt konkreter Positionen gewährleistet werden, was die Respektierung verschiedenartiger Standpunkte bedinge. Ferner sei es unbedingt nötig, die Schönfärberei über die Verhältnisse in den kommunistischen Ländern aufzugeben. Sonst sähen sich die Kommunistischen Parteien der westlichen Länder immer wieder gezwungen, schwierige Situationen zu erklären, über die sie selbst nicht informiert seien. Leider seien das Problem der Ursprünge des Stalinkults und die Frage, wie er möglich wurde, noch immer nicht zufriedenstellend geklärt. Für die italienischen Kommunisten stehe fest, daß der Stalinismus über den Personenkult hinaus ein System der Beschränkung und Unterdrückung der politischen wie auch der persönlichen Freiheiten gewesen sei, dessen Überwindung zum Teil noch immer auf sich warten lasse oder auf Trägheit und Widerstand stoße. „Diese Trägheit und dieser Widerstand sind für uns schwer verständlich".

Togliatti sprach voller Sorge um das Schicksal des Kommunismus und enthielt sich jeder scharfen Polemik, aber gerade die Verhaltenheit seiner politischen Vorwürfe machte den größten Eindruck. Der wichtigste Bestandteil seines Testaments ist die pluralistische These von der Einheit in Vielfalt, wonach die Kommunistischen Parteien nur noch in der Aktion, aber nicht mehr in einer gemeinsamen Organisation zusammenfinden können. Das war der endgültige Bruch mit dem zentralistischen Prinzip, ergänzt durch den Vorschlag, regionale Arbeitskonferenzen der Kommunisten Westeuropas, Lateinamerikas, Osteuropas und anderer Länder durchzuführen. Ähnliche Gedanken hatte der linke Flügel-mann des italienischen Kommunismus, Pietro Ingrao, schon einige Monate vor Togliatti geäußert. Er empfahl aber außer der organisatorischen Dezentralisierung des internationalen Kommunismus auch die der einzelnen KPs. Ingrao schrieb, für eine gewisse Zeit sei die eiserne Disziplin der Kommunisten nötig gewesen, aber nun müsse sie preisgegeben werden, um gefährliche Einschränkungen der innerparteilichen Demokratie aufzuheben. „Wir werden uns immer mehr darüber klar, daß Einschränkungen der politischen Freiheiten auch für die innere Dialektik der sozialistischen Bewegung und der Arbeiterbewegung problematisch werden, denn solche Einschränkungen können zugunsten autoritärer Entscheidungen mißbraucht werden, die die innere Demokratie der sozialistischen Front unterdrücken und ersticken."

Die italienische Vertretung auf der kommunistischen Weltkonferenz von 1960 hat sich energisch dem sowjetischen Antrag zur Bildung einer neuen Komintern widersetzt. Longo erklärte: „Die italienische Delegation hält es nicht für zweckmäßig, den Vorschlag zu akzeptieren, daß im Laufe dieser Konferenz ein Sekretariat oder ein anderes ständiges Organ ins Leben gerufen wird." Die chinesische Vertretung brachte ihrerseits den sowjetischen Antrag zu Fall, in die Entschließung der Welt-konferenz das Verbot der Fraktionsbildung aufzunehmen und das Prinzip der Einstimmigkeit bei den Beratungen der Kommunistischen Parteien durch Mehrheitsbeschlüsse abzulösen.

Die italienische Führungsgruppe sprach ihr Bedauern aus, daß Peking den Stalinismus in Tirana unterstützt. Später wurde Mao Tsetung von ihr beschuldigt, die universellen Werte der Zivilisation zu unterschätzen und durch seine Art der Politik zu gefährden. Nun war Togliatti für Peking ein Verräter — die „Differenzen" mit ihm füllten eine Broschüre von 228 Seiten. Mao wartete den Bruch mit Chruschtschow nicht ab oder hielt ihn schon für vollzogen. Der „gelbe Protestantismus", wie er von italienischen Kommunisten genannt worden ist, überflutete Westeuropa mit revolutionären Manifesten, die wider Erwarten ihre Wirkung nicht völlig verfehlten.

Viele Kommunisten verlangten nach Unabhängigkeit und neuen Ideen. Tito war ihnen zu national und zu schwach, um eine ernsthafte Alternative zu bieten. Erst Mao Tse-tung verkörperte eine neue Vatergestalt, die eine Renaissance des revolutionären Kommunismus und außerdem genügend Mittel für die Gründung oppositioneller Organe versprach. Sie wollten sich endlich im Kreis von Gleichgesinnten über die Verbürgerlichung vieler Spitzenfunktionäre aussprechen können. Peking mobilisierte jene Unzufriedenheit innerhalb der Kommunistischen Parteien, denen weder Chruschtschow noch Tito gefiel und die bislang nicht den Mut gehabt hatten, ein offenes Wort zu sprechen. 1963 entstanden maoistische Parteien in Belgien und der Schweiz. Nicht nur Altkommunisten, sondern auch erstaunlich viele Jung-kommunisten fühlten sich von Peking angesprochen. Die traditionellen Kommunistischen Parteien waren ihnen nicht mehr revolutionär genug. Der westeuropäische Kommunismus wurde in den Konflikt Moskau—Peking hineingezogen. Mao hatte seine eigene Idee von der Einheit: „Einheit — Kampf, sogar bis zur Spaltung — neue Einheit auf einer neuen Basis, das ist die Dialektik der internationalen Bewegung der Arbeiterklasse." Von dieser Seite hatten sicher die meisten der westeuropäischen Kommunisten die Dialektik noch niemals betrachtet. Nur Djilas wußte schon 1953, daß sie, ernst genommen, permanentes Ketzertum und antimonolithisch ist.

Später erkannte auch der österreichische Kommunist Ernst Fischer die Sprengkraft dieses revolutionären Prinzips, aber wie Djilas deutete er es nicht im Sinne eines totalitären, sondern eines demokratischen Kommunismus. Außerdem hatte Fischer mehr die Dialektik der Generationen als die des Klassenkampfes im Auge. Seine im Herbst 1963 in der Prager Universität gehaltene Rede sprach von den Generationen der Revolte, die seit Beginn der industriellen Revolution aufgebrochen und einander gefolgt sind. Die politischen Ursa55 chen der heutigen Jugendrevolte sah er in der Enttäuschung über die Demokratie und den Kommunismus. „Die größte humane Idee aller Zeiten — der Marxismus, der Sozialismus — war durch das Regime Stalins entehrt worden. Wenn ein Faschist unschuldige Menschen vernichtet, hat er damit nicht sein Leitbild verraten, denn sein Leitbild war nicht humanistisch. Wenn ein Kommunist etwas Ähnliches tut, ist es Verrat an der großen Idee des Sozialismus, und das haben Millionen junger Menschen empfunden. Der Marxismus war lange Zeit deformiert, lange Zeit aus einer lebendigen Philosophie zu einer toten Religion geworden."

Man wird sich vorstellen können, welch tiefen Widerhall diese Worte in den Tausenden tschechoslowakischen Studenten fanden, die sie hörten. Fischer rief nicht nur sie, sondern die Jugend ganz Osteuropas auf, den Marxismus wieder zu einer lebendigen Wissenschaft zu machen, über das Alte zu Gericht zu sitzen und „unentwegt die Idee der Humanität durchzukämpfen", welche Schwierigkeiten sich ihr auch entgegenstellen mögen. Denn das Osteuropa von morgen werde so sein wie die osteuropäische Jugend von heute.

Dieser Appell sollte nicht ungehört verhallen. Er hat zweifellos dazu beigetragen, daß die Prager Karlsuniversität zu einem Zentrum der Studentenrevolte gegen das Novotny-Regime und den Stalinismus wurde.

Fischers Theorie von den Avantgarden der Generationen (immer ist die rebellische Minderheit repräsentativ), seine Erweiterung der marxistischen Entfremdungstheorie, sein Auftreten gegen den Sozialistischen Realismus zugunsten einer freien Kunst, sein Aufruf, ein „Bündnis von Demokraten quer durch Parteien und Doktrinen" gegen die konservativen Kräfte herzustellen, um schließlich die Blöcke des Kalten Krieges durch eine gesamteuropäische Synthese zu überwinden — das waren neue Impulse der osteuropäischen Revolution, die sich nicht mit einer bloßen Erhöhung des Lebensstandards und mit Teilreformen abspeisen läßt, sondern zugleich mit einer grundlegenden Erneuerung der politisch-sozialen Verhältnisse eine tiefe Wandlung des Kommunismus anstrebt. Solche Impulse werden durch den westlichen Kommunismus in den osteuropäischen hineingetragen. Die freieren Verhältnisse, in denen sich der westliche Kommunismus bewegt, gestatten ihm auch eine freiere Diskussion innerhalb seiner Parteien, und ihre Ergebnisse strahlen in den kommunistischen Herrschaftsbereich aus. So zersetzt die Tatsache, daß der Kommunismus noch immer international ist, seine totalitäre Grundtendenz. Je demokratischer die Demokratien sind, desto schwerer haben es die totalitären Kommunisten. Die Kommunistischen Parteien des Westens werden gleichsam vom gesellschaftlichen Sein'der Demokratien mitbestimmt, sie reflektieren und transponieren es.

Togliatti und Fischer stimmten in vielen Punkten überein. Da sie hohe Funktionen bekleideten, konnte man in Moskau ihre Ansichten nicht einfach negieren. Breschnew reiste zwar 1964 eilends nach Rom, um die Veröffentlichung des Jaltaer Memorandums durch die KP Italiens zu verhindern, hatte aber keinen Erfolg. Nachdem Togliattis Testament im Westen bekannt war, sahen sich fast alle Zentralorgane Osteuropas und selbst die „Prawda" zum Nachdruck gezwungen. Und was Fischers Bücher betrifft, so gelangen sie durch den EuropaVerlag regelmäßig in mehrere kommunistische Länder.

Togliattis Idee von der Einheit in Vielfalt kennzeichnete seinen Übergang vom nationalen zum demokratischen Kommunismus. Fischers Theorie der Generationsrevolte regte die osteuropäischen Studenten zu neuen Initiativen an.

Im französischen Kommunismus war Roger Garaudy der führende Kopf. Als Mitglied des Politbüros und Chefredakteur einer Zeitschrift verfügte er über eine gewichtige Stimme. Dieser ehemalige Atheist würdigte eine päpstliche Enzyklika mit den Worten: „Die Marxisten vergessen nicht, was sie dem Christentum schulden, (sie) wissen, daß das Christentum eine neue Dimension des Menschen geschaffen hat: jene der menschlichen Person."

An die Seite dieser drei Männer trat im Januar 1964 noch ein vierter, Hermansson, der auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei Schwedens die Führung übernahm. Um ihn hatte sich schon seit Jahren die nationalkommunistische und demokratische Opposition innerhalb des schwedischen Kommunismus gesammelt. Die schwedische war die erste Kommunistische Partei Westeuropas, in der sich die Opposition durchsetzen konnte. (Schluß folgt)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Brief der KPCh vom 29. 2. 1964 an die KPdSU, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. 6. 1964.

  2. Christ und Welt vom 11. 9. 1964.

  3. Marx/Engels, Ausgewählte Werke, Band 1/227.

  4. Ostprobleme vom 17. 11. 1961, S. 785.

  5. Zeri i Popullit, Tirana, 9. 1. 1962.

  6. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. 1. 1962.

  7. Christ und Weit vom 12. 6. 1964.

  8. Ostprobleme vom 19. 12. 1962, S. 652.

  9. Vorwärts vom 15. 7. 1964.

  10. Rede auf dem XXI. Parteitag der KPdSU, Berlin 1959, S. 81.

  11. Prawda, Moskau, 17. 6. 1962.

  12. Ekonomitscheskaja gaseta, 23. 10. 1961.

  13. Probleme des Friedens und des Sozialismus 9/62, S. 735.

  14. Probleme des Friedens und des Sozialismus 1/63, S. 3/5.

  15. Meshdunarodnaja Shisn, Moskau 5/64.

  16. Europaarchiv 21/63.

  17. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. 10. 1964

  18. Ostspiegel vom 16. 7. 1963.

  19. Probleme des Friedens und des Sozialismus 11/63.

  20. A. Helmstaedt, Bulgarien, Rumänien, Hannover 1967, S. 105.

  21. Christ und Welt vom 7. 8. 1964.

  22. Westnik Moskowskogo Universiteta 2/64.

  23. Seinteia, Bukarest, vom 26. 4. 1964.

  24. Vita Economica, Bukarest, 12. 6. 1964.

  25. Ebenda.

  26. Ostprobleme vom 24. 7. 1964, S. 452 (Moskauer Rundfunk).

  27. Ekonomitscheskaja gaseta, 21. 3. 1964.

  28. Radio Bukarest am 5. 6. 1964; Ostprobleme vom 24. 7. 1964, S. 454.

  29. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11 9. 1964.

  30. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. 6. 1964.

  31. Ostprobleme vom 24. 7. 1964, S. 451.

  32. Satjukow in Prawda, 27. 10. 1961.

  33. Spiridonow laut Prawda, 31. 10. 1961.

  34. Schelepin in Prawda, 27. 10. 1961.

  35. Lasurkina in Prawda, 31. 10. 1961.

  36. Politscheskoje samoobrasowanije, Moskau 1/63.

  37. Chruschtschows Schlußwort auf dem XXII. Parteitag, Prawda 29. 10. 1961.

  38. Prawda 10. 3. 1963.

  39. Prawda 29. 10. 1963.

  40. Ponomarjow in Prawda, 25. 10. 1961.

  41. Ostprobleme vom 29. 9. 1961, S. 647.

  42. Ebenda.

  43. Prawda 29. 6. 1963.

  44. Ebenda, S. 296.

  45. Ebenda, S. 479.

  46. Woprosy literatury, Moskau 9/62.

  47. Ostprobleme vom 21. 12. 1962, S. 779.

  48. Ebenda.

  49. Ebenda, S. 780.

  50. Ebenda.

  51. Ebenda, S. 781.

  52. Ebenda, S. 780.

  53. Woprosy literatury, Moskau 11/62.

  54. Ostprobleme vom 21. 12. 1962, S. 782.

  55. Nowij mir, Moskau 8/62.

  56. Woprosy literatury, Moskau 11/62.

  57. Oktjabr, Moskau 8/62.

  58. L Express, Paris, 14. 3. 1963.

  59. Komsomolskaja prawda, 11. 5. 1963.

  60. Osteuropa 11/64, S. 825.

  61. L'Express, Paris, 21. 3. 1963.

  62. Osteuropa 4/63.

  63. Ebenda.

  64. Ebenda.

  65. Komsomolskaja prawda, 14. 1. 1962.

  66. Ebenda, 1. 10 1961

  67. H. Achminow,. Die Totengräber des Kommunismus, Stuttgart 1964, S. 423.

  68. Ebenda, S. 214.

  69. J. Rühle, Literatur und Revolution, Köln 1960, S. 142.

  70. Radjanska Ukraina, 10. 4. 1963.

  71. H. Pörzgen in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. 3. 1963.

  72. J. R., a. a. O., S. 146.

  73. Komsomolskaja prawda, 5. 4. 1961.

  74. Ebenda, 6. 6. 1964.

  75. Wolgin, Hier sprechen Russen, Mainz 1965, S. 482.

  76. Ebenda, S. 485.

  77. Ebenda, S. 485— 87.

  78. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 3. 1964.

  79. Vorwärts, 19. 2. 1966.

  80. Sowjetgesellschaft im Wandel, Stuttgart 1966, S. 65.

  81. Prawda, 29. 6. 1963.

  82. W. Leonhard, Chruschtschow, Frankfurt/M. 1965, S. 166.

  83. Woprosy ekonomiki, Moskau 5/64.

  84. Planowoje chosjajstwo, Moskau 3/63.

  85. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 12. 1962.

  86. Der aktuelle Osten, Bonn, 28. 10. 1964.

  87. Hamm in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. 12. 1962.

  88. Siehe am besten P. Kropotkin, Memoiren eines Revolutionärs, Frankfurt/M. 1969, S. 347— 64.

  89. Rede vom 24. 4. 1963, Ostprobleme vom 12. 7. 1963, S. 420/21.

  90. Ebenda.

  91. Osteuropa 11/64, S. 792.

  92. Vorwärts, 25. 8. 1963.

  93. Tarsadelmi Szemle, Budapest 6/61.

  94. Nepszabadsag, Budapest, 19. 8. 1962.

  95. Ostprobleme vom 5. 10. 1962, S. 626.

  96. Vorwärts, 20. 7. 1967.

  97. Georg Lukacs und der Revisionismus, Berlin (Ost) 1960, S. 32.

  98. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 8. 1962.

  99. Neues Deutschland, 14. 8. 1961.

  100. Ulbricht, Deutschland des Volkes, Berlin (Ost) 1961, S. 87.

  101. Ulbricht, Das Programm des Sozialismus und die geschichtliche Aufgabe der DDR, Berlin (Ost) 1963, S. 372.

  102. Ebenda, S. 363.

  103. Sonntag, Nr. 47/62.

  104. Havemann, Dialektik ohne Dogma?, Reinbek 1964, S. 151.

  105. Schaff, Marx oder Sartre?, Wien 1964, S. 143.

  106. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 1. 1962.

  107. Ostprobleme vom 4. 9. 1964, S. 527.

  108. Vorwärts, 24. 12. 1963.

  109. Raina, Die Krise der Intellektuellen, Olten 1968, S. 23.

  110. Ebenda, S. 34.

  111. E. Kardelj, Vermeidbarkeit oder Unvermeidbarkeit des Krieges, Reinbek 1961, S. 9.

  112. Ebenda, S. 84.

  113. Ebenda, S. 9.

  114. Politika, Belgrad, 16. 9. 1962.

  115. Ostprobleme vom 29. 6. 1962, S. 407— 10.

  116. Kommunist, Belgrad, 28. 9. 1961.

  117. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. 12. 1962.

  118. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 8. 1963.

  119. Borba, Belgrad, 22. 8. 1963.

  120. Internationale Politik, Belgrad 311/63.

  121. Das neue jugoslawische Verfassungsgesetz. Belgrad 1953, S. 60/62.

  122. Borba, Belgrad, 20. 9. 1962.

  123. Christ und Welt, 10. 7. 1964.

  124. Vlahovic, in: Kommunist, Belgrad, 4. 4. 1963.

  125. Kulturny zivot, 17. 8. 1963.

  126. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. 9. 1963.

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  128. Rude pravo, 22. 8. 1963.

  129. Literrn noviny, Prag Nr. 23/1963.

  130. Ostprobleme vom 20. 9. 1963, S. 586.

  131. Literärny noviny, Prag Nr. 23/1963.

  132. Vorwärts, 23. 5. 1962.

  133. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. 9. 1963.

  134. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. 5. 1964.

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