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Modell Deutschland: Von der Konzertierten Aktion zum Bündnis für Arbeit | APuZ 37/1999 | bpb.de

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APuZ 37/1999 Modell Deutschland: Von der Konzertierten Aktion zum Bündnis für Arbeit Der schwierige Abschied vom Normalarbeitsverhältnis Eine Frage der Balance: Reform der Arbeitsmarktpolitik

Modell Deutschland: Von der Konzertierten Aktion zum Bündnis für Arbeit

Wolfgang Schroeder/Josef Esser

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das von der rot-grünen Regierung installierte „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ wird vor dem Hintergrund folgender Fragestellung diskutiert: Kann ein solcher sozialer Pakt zwischen Staat, privater Wirtschaft und Gewerkschaften dem deutschen Modell eines sozialkonsensualen und politisch regulierten Kapitalismus im Rahmen von Globalisierungsprozessen, seiner seit längerem anhaltenden inneren Erosion sowie im Hinblick auf wirkungsmächtige neoliberale Umbauprojekte zu neuem Leben verhelfen? Ausgehend von der These, daß ein solches Bündnis zumindest die Chance bietet, die notwendige Transformation des deutschen Kapitalismus-Modells so zu gestalten, daß dessen Stärken -vor allem die Verbindung von sozialer Integrationsleistung und ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit -durch die angestrebte Bündnisstrategie beibehalten werden könnten, werden politische Ausgangsbedingungen und Interessen der beteiligten Akteure, die Organisation und Funktionsweise sowie die bisherigen Ergebnisse des Bündnisses analysiert und mit seinem Vorläufer -der „Konzertierten Aktion“ zwischen 1967 und 1977 -verglichen.

Welche Rolle spielen die nationalen sozialen Pakte zwischen Staat, privater Wirtschaft und Gewerkschaften für den Wettbewerb der Kapitalismen und für das neue Gesicht des Kapitalismus? Handelt es sich bei diesen Pakten um weitere Etappen auf dem Weg zur Durchsetzung eines weltweiten neoliberalen Gesellschafts-und Politikprojekts, oder können dadurch die sozialen und ökonomischen Erosionsprozesse auf nationaler Ebene relativiert und der Siegeszug eines entregulierten Kapitalismus gestoppt werden? Tragen soziale Pakte zu mehr Beschäftigung und zu einem zukunftsfähigeren Sozialstaat bei, oder verhindern sie genau dieses Ziel? Die Antworten auf diese Fragen fallen sehr unterschiedlich aus, und es sind dabei interessante Überschneidungen festzustellen: Sowohl die engagierten Verfechter von mehr freiem Wettbewerb als auch die innergewerkschaftlichen Kritiker plädieren heute in Deutschland gegen ein Bündnis für Arbeit. Die Befürworter von mehr Konkurrenz sehen in ihm eine Blockade für die emanzipative Kraft des Marktes. Die Skeptiker aus den DGB-Verbänden interpretieren es als eine neoliberale Geiselhaft für die Gewerkschaften, die nicht zu einem adäquaten politischen. Tausch und zur Revitalisierung gewerkschaftlichen Einflusses führe, sondern letztlich werde damit die Auflösung des sozialen Kapitalismus befördert.

Für unsere Analyse des „Bündnisses für Arbeit“ ist also die Frage erkenntnisleitend: Kann das deutsche Modell eines sozialkonsensualen und politisch regulierten Kapitalismus überleben, oder kommt es zu einer Annäherung an solche Regime, die stärker konkurrenz-und weniger kooperationsorientiert sind? Die Gefährdung des deutschen Modells geht insbesondere von den veränderten internationalen Rahmenbedingungen aus, die unter dem Stichwort Globalisierung erfaßt werden, sowie von der inneren Erösioh und von den neoliberalen Umbauprojekten. Letztere zielen darauf, den Einfluß der regulierenden sozialen Akteure ünd Instrumente . einzuschränken, um durch Deregulierung eine stärkere Dezentralisierung, Flexibilisierung und Individualisierung zu erwirken Unsere Ausgangsthese lautet, daß ein Bündnis für Arbeit die Chance bietet, die notwendige Transformation des deutschen Modells so zu gestalten, daß dessen Stärken -vor allem dieVerbindung von sozialer Integrations-und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit -gerade durch die angestrebten Veränderungen beibehalten werden können. Im Gegensatz zur-aktuellen Gepflogenheit, sich auf die erfolgreichen Beispiele unserer europäischen Nachbarn zu konzentrieren, beginnen wir unsere Überlegungen mit einem Blick, in die eigene Geschichte und, starten mit der Konzertierten Aktion von 1967, . Denn gerade dies sollte das Ziel des neuen Paktes sein: , aus der eigenen Stärke zu schöpfen, aus Fehlern zu lernen und offen zu sein für erfolgreiche Beispiele anderer Länder.

I. Die Konzertierte Aktion

Graphik: Formalstruktur des Bündnisses für Arbeit Quelle: Eigene Darstellung.

In der bundesdeutschen Geschichte ist es 1998 erst zum zweiten Mal zu einem offiziell institutionalisierten dreiseitigen Arrangement zwischen Regierüng, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gekommen. Die erste Periodebundesdeutscher Bündnispolitik ist mit dem Begriffi der Konzertierten Aktion (1967-1977) verbunden. Dieses damals neue Instrument wechselseitiger Konsultationen von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Regierung lag einerseits ganz in der Tradition des deutschen Weges einer stark vrbändezentriertem Aushandlungspolitik, die in gewissen chistorischen Situationen durch eine außerordentliche staatliche Koordinierung flankiert oder sogar auf ein neues Qualitätsniveau gehoben wurde. Andererseits bildete diese Kooperationsform eine situationsadäquate Antwort auf den politischen Umbruch und die erste wirtschaftliche Rezession der Bundesrepublik Deutschland in der Mitte der sechziger Jahre. Unmittelbar beabsichtigte Ziele waren zunächst die nachhaltige Bekämpfung von Inflationstendenzen und der schnelle Abbau der anschwellenden Arbeitslosigkeit. Haushaltsdefizit, Inflationsanstieg, Reduktion des Wirtschaftswachstums und Anstieg der Arbeitslosenzahlen waren die zentralen Krisen-indikatoren, die dazu führten, daß der Glaube an die immerwährende Prosperität des neuen sozialen Kapitalismus ins Wanken geriet. Gleich kommunizierenden Röhren korrespondierte die wirtschaftliche mit einer politischen Krise, die im Rücktritt der Regierung Ludwig Erhard (1966) ihren unmittelbarsten Ausdruck fand.

Der Start der Konzertierten Aktion war von dem gruppenübergreifenden Willen getragen, die Krise mit einem neuen Politikmodell zu überwinden. Die neue Qualität dieser Politik bestand darin, daß die keynesianische Wirtschaftspolitik als besonders effiziente Form zur Förderung der privaten Märkte betrachtet wurde. Dieses neue Zutrauen in die politische Steuerbarkeit des wirtschaftlichen und sozialen Geschehens fand seine regierungsamtliche Entsprechung im „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ (vom Bundestag am 10. Mai 1967 verabschiedet), wonach die Stabilität des Preisniveaus, ein hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftlichesGleichgewicht und stetiges, sowie angemessenes Wirtschaftswachstum zentrale Ziele staatlicher Politik sein sollten

Das erste Spitzengespräch der Konzertierten Aktion, an dem 34 Personen aus 9 Organisationen teilnahmen, fand am 17. Februar 1967 statt. Im Laufe der Zeit wurden nicht nur die Teilnehmer-zahlen ständig erhöht, so daß schließlich fast 80 Teilnehmer zusammenkamen, sondern auch die Themenfelder wurden ständig umfassender und damit zugleich unverbindlicher. Will man den Verlauf der Konzertierten Aktion in Zeitphasen einteilen, so reicht die erste vom Frühjahr 1967 bis in den Sommer 1969. Sie kann als die wohl erfolgreichste Etappe betrachtet werden. Mit den wilden Streiks im Sommer 1969 beginnt eine neue Phase, die mit dem Ausscheiden von Wirtschaftsminister Karl Schiller ihren Abschluß findet (1971). Danach schwand nicht nur die Bereitschaft der teilnehmenden Akteure zu einem gemeinsamen Vorgehen, sondern auch die polit-ökonomischen Rahmenbedingungen entwickeln sich so, daß die keynesianische Strategie nicht mehr länger handlungsleitend bleibt.

Wie kann man die Kalküle der beteiligten Gruppen einschätzen und das Projekt insgesamt bewerten? Fangen wir mit den Unternehmern an. Sie versprachen sich von einer Beteiligung an Gesprächen zur besseren Steuerung des Wirtschaftsprozesses eine Versachlichung der Tarifpolitik, um Kosten und Konflikte zu reduzieren sowie verbesserte Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum zu schaffen. Ihre Teilnahme verbanden sie mit der Bedingung, daß es keine Eingriffe in ihre Dispositionsfreiheit geben dürfe. Für die SPD, deren Wirtschaftsminister Karl Schiller dem Prozeß der Konzertierten Aktion in der Anfangsphase eine außerordentliche Autorität verschaffte, bildete die neue Bündniskonstellation die Basis für die Etablierung einer neuen politischen Mehrheit in Deutschland. Möglicherweise wäre ohne das Instrument der Konzertierten Aktion der Aufstieg einer sozialdemokratisch geführten Regierung in Deutschland nicht zu bewältigen gewesen.

Da die Inflationsbekämpfung und der Abbau der Arbeitslosigkeit im Zentrum der Konzertierten Aktion standen, war klar, daß der wichtigste Adressat dieser neuen Bündnispolitik die Gewerkschaften sein würden, die durch ihre Teilnahme auf eine Politik der Lohnzurückhaltung festgelegt werden sollten. Warum haben sich die Gewerkschaften auf eine Beteiligung an der Konzertierten Aktion eingelassen, wenn von vornherein feststand, daß gerade sie dazu gebracht werden sollten, an ihren Forderungen Abstriche vorzunehmen? Ihre zentralen Ziele lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: Erstens ging es ihnen darum, durch ihre Beteiligung den lang ersehnten sozialdemokratischen Politikwechsel herbeizuführen. Zweitens sahen sie die Chance, als gleichberechtigter gesellschafts-und wirtschaftspolitischer Akteur ernst genommen zu werden und infolgedessen eine neue Qualität der Anerkennung in Deutschland zu erlangen. Drittens wollten sie darauf hinarbeiten, daß der Staat als sozialer Staat einen maßgeblichen Beitrag zur sozialen VerteiI lungsgerechtigkeit leiste und somit das Prinzip der sozialen Symmetrie verwirkliche. Viertens schließI lieh interpretierten sie die Politik der Globalsteue-I rung auf der Basis einer keynesianischen Antikrisenpolitik als die modernste und sozialste wirtschaftspolitische Interventionsform (Politischer Keynesianismus Ihre Teilnahme knüpften sie freilich an die Bedingung, daß es keine durch die Konzertierte Aktion fixierten Lohnleitlinien geben dürfe, denn solche würden einen fundamentalen Eingriff in die Tarifautonomie bedeuten. Trotz positiver Signale zur Konzertierten Aktion, die insbesondere von den Gewerkschaftsvorsitzenden propagiert wurde, tobte eine heftige innerorganisatorische Auseinandersetzung darüber, ob sich die Teilnahme an der Konzertieren Aktion nicht doch negativ für die Gewerkschaften auswirke Man befürchtete, daß die Konzertierte Aktion nicht zur sozialen Symmetrie, sondern zur „Verschleierung wirklicher Tatbestände“ führen würde, an deren Ende sich „die Gewerkschaften mit ihren Forderungen der Koalitionspolitik unterzuordnen“ hätten. Weil viele Delegierte „nachteii lige Auswirkungen für die weitere Tarifpolitik“ prognostizierten, gab es auf dem IG-Metall-Gewerkschaftstag 1968 in München eine derart, polarisierte Debatte über das Verhältnis zur Konzertierten Aktion, daß es vermutlich nur dem engagierten persönlichen Einsatz des damaligen Vorsitzenden der IG Metall (1956-1972), Otto Brenner, zu verdanken war, daß die Widerstände letztlich relativiert und aufgebrochen werden In der Münchner Kampfabstimmung votierten 200 Delegierte für und 163 gegen das Verbleiben in der Konzertierten Aktion.

Damit die Bundesrepublik der Inflationsfalle entgehe, sollten die Gewerkschaften auf der Basis [von Orientierungsdaten zur lohnpolitischen Mäßigung bewegt werden Tatsächlich blieben die Tarifvereinbarungen zwischen 1967 und 1969 im [Rahmen des anvisierten Korridors. Da sich jedoch bald nach Beginn der Konzertierten Aktion die ökonomische Lage sprunghaft verbesserte, lagen die unter dem unmittelbaren Eindruck der Krise abgeschlossenen und länger wirkenden Tarifverträge bald unterhalb der Produktivität. Darauf reagierten einzelne gut organisierte Belegschaftsgruppen mit spontanen Streiks im September 1969 und korrigierten damit die Lohnentwicklung zu ihren Gunsten. Sie schöpften damit aber nicht nur den Verteilungsspielraum adäquater aus als die laufenden Tarifverträge; sie bereiteten auf diesem Wege auch eine offensivere Gangart in der Tarifpolitik vor, so daß in den Jahren 1970 bis 1973 die Abschlüsse weit oberhalb der Vorgabedaten der Konzertierten Aktion lagen. Die spontanen Streiks des Jahres 1969 zeigten also deutlich, daß die Beteiligung von Mitgliederverbänden in konzertierten Arrangements höchst fragil ist und sie um ihrer Verpflichtungsfähigkeit willen die politischen Tauschobjekte immer aufs neue plausibel vermitteln müssen.

Was waren die Ursachen des 1977 erfolgten Endes der Konzertierten Aktion? Als maßgeblich für diesen Prozeß können wohl die. folgenden Gründe genannt werden:

-fehlende Entscheidungskompetenz und inflationäre Ausweitung des Teilnehmerkreises;

-wachsende Diskrepanzen zwischen den Wirklichkeitsinterpretationen und Interessen der beteiligten Akteure;

-vorrangige Diskussion von lohnpolitischen gegenüber preis-, investitions-und beschäftigungspolitischen Zielen;

-Versuchte Torpedierung des Mitbestimmungsgesetzes durch Arbeitgeber und FDP;

-anhaltende Mitgliederproteste infolge der 1976 einsetzenden Sparpolitik der Regierung Helmut Schmidt in den Reihen der Gewerkschaften

Trotz des Scheiterns der Konzertierten Aktion im Jahre 1977 war sie keinesfalls ein unnützes Projekt. Mit ihrer Einrichtung wurde in Deutschland erstmals ein Politikwechsel möglich; der den interventionsstarken Staat ins Zentrum rückte, die Moderationsfähigkeit der SPD unter Beweis stellte und den Gewerkschaften ein zuvor kaum erreichtes Maß an Anerkennung sicherte. In diesem Sinne hat die Konzertierte Aktion zur Stabilisierung des deutschen Modells industrieller Bezie-hungen beigetragen und den beteiligten Akteuren Organisationshilfen an die Hand gegeben, die ihre Handlungs-, insbesondere ihre Verpflichtungsfähigkeit gegenüber der eigenen Mitgliedschaft gestärkt haben. Das deutsche Modell industrieller Beziehungen erfuhr in der Konzertierten Aktion eine Revitalisierung, die seine Handlungsfähigkeit auf einer höheren Stufe sicherte. Von der Substanz, die in dieser Phase gelegt worden ist, konnte das deutsche Modell in den letzten zwei Jahrzehnten zehren.

II. Nach dem Ende der Konzertierten Aktion —vor dem Bündnis für Arbeit

Tabelle 1: Ziele, präferierte Instrumente, Ausschlußkriterien und Referenzmodelle der Akteure des Bündnisses für Arbeit

Mit dem Ende der Konzertierten Aktion war zwar die , Idee kooperativer Krisenbewältigung nicht fragwürdig geworden, aber ihre Praxis hat sich nicht unerheblich geändert. Für einen längeren Zeitraum waren die Bündnisse nicht mehr auf der zentralen Verhandlungsebene angesiedelt, sondern auf der regionalen, sektoralen und betrieblichen Ebene Auf der bundesstaatlichen Ebene dominierte „die stille Suche nach Konsens im gemeinsamen Gespräch mit Gewerkschaften und Industriellen“ von Fall zu /Fall einberufene, öffentlich gemachte Spüzejigespr^che^oder Kanzlerrunden sollten dazu beitragen, die Regierung zu entlasten. Darüber hinaus existierten natürlich weiterhin zahlreiche pluralistisch zusammengesetzte Gremien, in denen auch, die’ Repräsentanten von Arbeit und Kapital ihren Sitz hatten.

Der entscheidende Wandel ist also nicht im Wegfall kooperativer Gremien zu suchen, sondern vielmehr in einem politischen Paradigmenwechsel. Dieser ging einerseits mit dem Regierungswechsel von 1983 einher, andererseits basierte er auf der international'praktizierten Diskreditierung der keynesianischen Steuerungspolitik: politisch-praktisch vor allem in den USA und Großbritannien, ideologisch bei der Mehrzahl der Wirtschaftswissenschaftler in den OECD-Ländern. Während in keynesianischer Optik die Gewerkschaften und die von ihnen verfochtene aktive Lohnpolitik eine positive Rolle Bei der Herstellung ökonomischer Stabilität spielen, gelangten Anhänger des aufsteigenden Neoliberalismus zu einer gegenläufigen Diagnose: Danach waren es gerade die Gewerkschaften und die von ihnen verfochtenen Regulierungen, die abgebaut und geschwächt werden mußten, um eine bessere ökonomische Entwicklung erreichen zu können. In ihrer 16jährigen Regierungszeit schwankte die CDU/FDP-Koalition zwischen einer Politik, die einerseits aktiv darauf zielte, die Gewerkschaften zu schwächen, und andererseits auf deren partielle Unterstützung setzte, um in ökonomisch-politischen Krisensituationen als Regierung handlungsfähig zu bleiben.

Die De-und Reregulierungspolitik der christlich-liberalen Bundesregierung beim Arbeitsrecht führte dazu, daß sich das Verhältnis zwischen Regierung und Gewerkschaften respektive Gewerkschaften und Regierung regelrecht feind-’ selig entwickelte. Zu den wichtigsten Konfliktthemen zählten das Beschäftigungsförderungsgesetz (1985), die Änderung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz (1986), die Veränderung des Betriebsverfassungsgesetzes (1988) und schließlich die Verschlechterung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und des Kündigungsschutzes (1996). Neben diesen Konfliktfällen steht die Praxis der vergleichsweise engen Kooperation zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften in : der Politik der deutschen Einheit zwischen 1990 und 1993. Auch wenn die christlich-liberale Regie-phasenweise zwischen Kooperation und Kon-j frontation pendelte, bestand Kontinuität in ihrer skeptischen programmatischen Grundhaltung ge-j genüber starken Gewerkschaften und hoher Rege-j lungsdichte. Statt auf eine koordinierte und symmetrische Revitalisierung des deutschen Modells ] zu setzen, um die neuen Herausforderungen, die von der Globalisierung und der inneren Erosion gesellschaftlicher Kohäsionskräfte ausgehen, zu bearbeiten, dominierte eine regulierungs-und verbandsskeptische Politikoption. Da aber genau diesePolitik nicht dazu führte, daß Staatsquote und Arbeitslosigkeit abgebaut wurden, nahmen auch in [der Bevölkerung die Vorbehalte gegen eine sozial ! asymmetrische Politik zu Daß es angesichts der sich verfestigenden Massenarbeitslosigkeit, des „Reformstaus“ und der Zunahme von Verteilungsungerechtigkeit eine Sehn‘sucht nach partei-und interessenübergreifenden Vereinbarungen in Deutschland gibt, die sich dieser Probleme annehmen, zeigte die Resonanz auf den Vorschlag des IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel, ein „Bündnis für Arbeit“ einzurichten (30. Oktober 1995). Mit diesem Vorstoß thematisierte der IG-Metall-Vorsitzende die Möglichkeit, daß die gewerkschaftliche Tarifpolitik sich nur an der Preissteigerung orientiere und die beiden anderen Komponenten, Produktivitätsfortschritt und die Umverteilungskomponente, unberücksichtigt blieben, wenn Arbeitgeber und Regierung im Gegenzug über drei Jahre jährlich 100 000 neue Arbeitsplätze schüfen, 10 000 Langzeitarbeitslose einstellten und auf die geplanten sozialen Kürzungen verzichten würden. Die IG Metall zeigte damit eine kooperative Alternative zur Politik der Marktliberalisierung auf, wobei durch eine nationale Gestaltungsinitiative der Weg aus der Defensive begangen werden sollte. Damit stellte sie sich bewußt in die normative Tradition der Schiller-sehen Konzertierten Aktion.

Aufgrund der positiven öffentlichen Resonanz auf den Zwickel-Vorschlag und einer nur knappen Regierungsmehrheit konnte die CDU/FDP-Regierung den IG-Metall-Vorschlag nicht einfach ignorieren. So bestand für einen kurzen Augenblick sogar eine gewisse Offenheit für einen Politik-wechsel, der durch koordinierte Kooperation zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen sollte. Doch binnen kurzer Zeit distanzierten sich Regierung und Arbeitgeber wieder von diesem Konzept des politischen Tauschs und setzten nur noch auf den Prozeß einer zügigen marktorientierten Deregulierung zur politischen Umsetzung des Regierungsversprechens von der Halbierung der Arbeitslosigkeit. Ausschlaggebend für die Beendigung der Bündnisgespräche waren schließlich die Landtagswahlen im Frühjahr 1996. Das vergleichsweise gute Abschneiden der Regierungsparteien bei diesen Wahlen wurde von ihnen einerseits als Plebiszit gegen ein Bündnis und andererseits als politische Basis für eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes sowie zusätzliche soziale Kürzungen interpretiert. Damit war der Wechsel hin zu einem gesellschaftlichen Bündnis für Arbeit vorerst an den politischen Kräfteverhältnissen gescheitert. Regierung und Arbeitgeber entpolitisierten fortan Projekt und Begriff, indem sie ihn erstens äls Basis für den Abbau des Kündigungsschutzes und die Verschlechterung der Löhnfortzahlung -gegen erheblichen gewerkschaftlichen Widerstand -nutzten. Zweitens verlagerten sie ihn auf die betriebliche Ebene, wo der eigentliche Ort des Bündnisses sei, denn nur dort könnten wirklich neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Abweichungen vom Tarifvertrag, die mit Beschäftigungssicherheit flankiert wurden, erhielten nun das Etikett „Bündnis für Arbeit“.

III. Bündnis für Arbeit wird Regierungsprogramm

Tabelle 2: Direkte und indirekte Maßnahmenvorschläge zur Förderung der Beschäftigung im Bündnis für Arbeit

Im Bundestagswahlkampf warb die SPD damit, daß sie das „Bündnis für Arbeit“ zu einem Kernprojekt ihrer Regierungsarbeit machen würde. Nach ihrem Sieg formulierten SPD/Bündnis 90-Die Grünen im Koalitionsvertrag: „Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird die neue Bundesregierung alle gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren. Wir wollen ein Bündnis für Arbeit und Ausbildung ... Zu diesem Bündnis für Arbeit haben alle Beteiligten in fairem Geben und Nehmen ihren Beitrag zu leisten.“ Das zentrale Ziel der Regierung besteht folglich darin, durch Konzertierung adäquate Antworten auf die Krise des Arbeitsmarktes und der Sozialversicherungssysteme zu finden, die effizienter sind und weniger Friktionen verursachen als eine von oben verordnete Strukturpolitik. Diese Entscheidung zugunsten einer verhandlungsorientierten kooperativen Politik entspringt der Tradition des deutschen Modells eines sozialkonsensualen und politisch regulierten Kapitalismus, eine gewisse Rolle spielt aber auch die Erfahrung mit der seinerzeit kaum für möglich erachteten gewerkschaftlichen Kampf-und Mobilisierungsfähigkeit gegen die Kürzungs-und Deregulierungspolitik im Sommer 1996. Denn damit haben die Gewerkschaften unter Beweis gestellt, daß sie trotz hoher Arbeitslosigkeit und vielfältiger Verschiebungen im gesellschaftlichen Wert-und Sozialgefüge als politischer Faktor weiterhin, trotz vielfältigen Geredes von ihrem Niedergang, ernst zu nehmen sind und zumindest über eine ausgeprägte Vetoposition verfügen und daß ohne sie keine relevanten sozialstaatlichen Reformen zur Schaffung von mehr Beschäftigung und einer Reduzierung der Staatsquote erreicht werden können.

Auch wenn die Regierung das Bündnis für Arbeit zu ihrem Anliegen machte, so gibt es -ähnlich wie bei der Schillerschen Konzertierten Aktion -nicht unerhebliche Vorarbeiten der wichtigsten Verbände, wozu neben der Initialzündung durch die IG Metall auch die Initiative von Gesamtmetall, des wichtigsten deutschen Arbeitgeberverbandes, für eine „neue Partnerschaft“ zählt. 1. Die Organisation des Bündnisses Strukturell knüpft das Bündnis in manchen Momenten an die Konzertierte Aktion an, in anderen unterscheidet es sich deutlich: Die formale Aufteilung in Spitzengespräch, Lenkungsgruppe und Arbeitsgruppen und deren paritätische Besetzung kannte bereits die Konzertierte Aktion. Der entscheidende Unterschied besteht derzeit darin, j daß die Teilnehmerzahlen in den entscheidenden j Gremien des Bündnisses überschaubar sind und » die Regierung einer inflationären Ausweitung der j Beteiligten bisher widerstanden hat. Bevor wir auf die Arbeitsweise des Bündnisses eingehen, möchten wir einen kurzen Blick auf seine Formalstruktur werfen (vgl. die Graphik).

Politischer Organisator des Bündnisses ist das I Kanzleramt. Die dort wirkenden Akteure haben eine wichtige Koordinierungsfunktion zwischen politischem und verbandlichem System wie auch den beteiligten Ministerien und Politikfeldern. Das wichtigste Legitimationszentrum und j die der Bevölkerung präsenteste Seite des Bündnisses besteht in den Spitzengesprächen, an denen 8 sechs Minister, die vier Präsidenten der Spitzen-verbände der deutschen Wirtschaft und fünf Gewerkschaftsvorsitzende beteiligt sind. Ihre Treffen finden etwa viermal jährlich statt. Im Spitzengespräch wird vor allem über die Prioritäten und j die Vernetzung der verschiedenen Politikfelder j entschieden. Unterhalb dieses Gremiums befinden [sich neun Arbeitsgruppen, eine Benchmarking- Gruppe und die Steuerungsgruppe. Die Spitzenge- spräche werden durch den Steuerungsausschuß vorbereitet, der etwa alle drei Wochen unter der Führung des Kanzleramts tagt. Dieser Ausschuß ist ebenfalls hochkarätig zusammengesetzt: Fünf Staatssekretäre, vier Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände und die leitenden Funktionäre der Gewerkschaften gehören ihm an. Einen vergleichsweise eigenständigen Status besitzt die aus Sozial-und Wirtschaftswissenschaftlern zusammengesetzte Benchmarking-Gruppe. Sie ist so etwas wie das Dienstleistungszentrum des Bündnisses. Die dort entwickelten Referenzmodelle und international vergleichenden Daten können einen wichtigen Beitrag leisten, um die quantitative und qualitative Dimension der deutschen Strukturprobleme einordnen zu können und die Lösungsfindung zu versachlichen Die Arbeitsgruppen bilden den Unterbau, der auf definierte Politikfelder ausgerichtete Lösungsstrategien entwickelt, die letztlich im Spitzengespräch akzeptiert oder verworfen werden. Flankiert wird das regierungsamtlich moderierte „Bündnis für Arbeit“ durch vergleichbare Konstruktionen in fast allen Bundesländern und durch Bemühungen der Europäischen Kommission sowie der auf dieser Ebene angesiedelten Verbände. 2. Ausgangspositionen und Interessen: antagonistische Kooperation Aus unterschiedlichen Motiven bevorzugten die Tarifverbände eine Teilnahme: Während es den Gewerkschaften um eine offensive Gestaltungspolitik gegen eine sozial ignorante Deregulierungspolitik geht, sehen die Arbeitgeber im Bündnis die Chance, sowohl ihr ordnungspolitisches Streben nach „sozialem Frieden“ voranzubringen wie auch eine nachhaltige Deregulierung des Arbeitsmarktes und der Sozialversicherungen zu erreichen. Innerhalb des Arbeitgeberlagers ist umstritten, ob die Teilnahme am Bündnis zu den intendierten Zielen führen wird. Vor dem Start des Bündnisses versuchten die Arbeitgeberverbände vergeblich, ihre Teilnahme von politischen Vorentscheidungen abhängig zu machen Die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Akteure lassen sich unter systematischen Gesichtspunkten so differenzieren (vgl. Tabelle 1).

Die hinter dem Katalog der Ziele und Präferenzen stehenden unterschiedlichen Interessen bilden die Basis für eine antagonistische Kooperation. Ob dieser Prozeß erfolgreich sein wird, hängt von zwei Faktoren ab: erstens davon, ob ein deutlicher Abbau der Arbeitslosigkeit gelingt und die Wettbewerbsfähigkeit weiter . entwickelt werden kann; zweitens davon, ob das Bündnis die Kompetenz zum politischen Tausch entwickelt, so daß für die beteiligten Akteure eine hinreichende Befriedung der je eigenen Mitgliederinteressen möglich ist. Beide Dimensionen sind zusammen zu sehen: Es geht nicht nur um die Ergebnisse. Diese müssen auch so angelegt sein, daß die Handlungsfähigkeit der beteiligten Akteure dadurch nicht gefährdet wird. Auf der Ebene des Prozesses bedeutet dies, daß es nicht zu einer thematischen und zeitlichenÜberlastung kommen darf. Hinsichtlich der Teilnehmerorientierung stellt das Verhältnis zwischen kleiner Eliterunde, die für das Handlungsvermögen notwendig ist, und umfassendem Integrationsgebot, was für die politische Akzeptanz unvermeidlich ist, eine große Herausforderung dar, die von den Teilnehmern außerordentliche Integrations-und Vermittlungsinitiativen verlangt. Insofern ist das Bündnis auch ein voraussetzungsvolles Projekt personaler Autorität. Es ist also vor allem ein prozeßorientiertes Verfahren. Dies verlangt auch, daß die Akteure bereit sind, Fehler zu korrigieren. Zugleich müssen schnelle und eindeutige Richtungssignale ausgesendet werden: einerseits um dem Bündnis Autorität und Legitimität zu verleihen, andererseits um anzuzeigen, wie die Weiterentwicklung des deutschen Modells verlaufen wird. Das „Bündnis für Arbeit“ bietet demnach die Chance, die derzeitige Infragestellung des deutschen Kapitalismusmodells zu minimieren und eine Arena zu institutionalisieren, in der die Veränderung des Modells Deutschland so gestaltet wird, daß dessen Stärken -vor allem die Verbindung von sozialer Integrations-und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit -nicht weiter abgebäut, sondern revitalisiert werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist und bleibt, die Handlungsfähigkeit der Verbände nach innen und nach außen zu verbessern. 3. Bisherige Ergebnisse In den bisherigen Spitzengesprächen (am 7. Dezember 1998; am 26. Februar und 6. Juli 1999) konnten die formalen Grundlinien der Arbeit festgelegt werden, mit denen die angestrebten Zieleauf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozialversicherungs-und Wettbewerbspolitik gefördert werden sollten. Ausgangspunkt ist, daß Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften keine übereinstimmenden Präferenzen hinsichtlich der Ziele haben. Es liegt deshalb an der Regierung, die verflochtenen Politikfelder und die daran beteiligten Akteure so zu koordinieren, daß sich Akteure und Politikfelder nicht gegenseitig blockieren, sondern vielmehr den Weg zu einer neuen Politik beschreiten. Die folgende Tabelle gibt einerseits einen Überblick über die Maßnahmen, die im ersten Spitzengespräch am 7. Dezember 1998 mit der „Magna Charta“ des Bündnisses beschlossen wurden. Andererseits werden die Maßnahmen im Hinblick auf ihre direkte oder indirekte Beschäftigungswirkung zugeordnet (vgl. Tabelle 2).

Der Gang der Debatte ist bisher dadurch gekennzeichnet, daß die Akteure auf der zentralen Ebene des Bündnisses die Fähigkeit zum Kompromiß besessen haben. Selbst die zuweilen hoch emotionalisierten Debatten über Lohnleitlinien, Niedriglohnsektor und die Reform des Rentensystems haben nicht verhindert, daß ein pragmatischer Konsens zustande kam, der die beteiligten Akteure nicht überforderte und der zugleich neue Perspektiven aufzeigt. Der in der dritten Gesprächsrunde vom 6. Juli 1999 erreichte Konsens, mit dem die Arbeitgeber quantitativ fixiert mehr Ausbildungsplätze zugesagt haben, sowie tarifliche Maßnahmen zum Abbau der Mehrarbeit, zur Weiterentwicklung der Altersteilzeit und der Alterssichefung, stellten mehr dar, als man noch zu Beginn des Bündnisses für möglich gehalten hat. Ob diese programmatischen Aussagen halten, was sie versprechen, hängt nun wohl davon ab, ob die Akteure von der betrieblichen bis zur staatlichen Ebene sich an die Umsetzungbegeben. Dabei wird wohl kaum von automatischen Übertragungen auszugehen sein. Gerade weil für die Durchsetzung der anvisierten Ergebnisse in den meisten Fallen innerhalb der Verbändeerst mobilisiert werden muß, bieten die gefundenen Kompromisse wichtige politische Referenzpunkte für diesen Prozeß.

IV. Vergleich: Konzertierte Aktion und Bündnis für Arbeit

Tabelle 3: Vergleich zwischen der Konzertierten Aktion und dem Bündnis für Arbeit

Die Tatsache, daß in der Bundesrepublik erst zwei Mal eine dreiseitige Verhandlungspolitik zustande gekommen ist, deutet darauf hin, daß die tief verwurzelten korporativen Traditionen und günstigen organisationspolitischen Strukturen der 'deutschen industriellen Beziehungen noch keine hinreichenden Voraussetzungen für eine ambitionierte institutionalisierte Bündnispolitik darstellen. Es bedarf anscheinend einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung, um solche Projekte realisieren zu können Die Konzertierte Aktion und das Bündnis für Arbeit sind Kinder des deutschen Modells, sie versuchen der im deutschen Kapitalismus immer schon vorhandenen Koordinierungspraxis eine neue politische und symbolische Dimension hinzuzufügen. So wie die Konzertierte Aktion keine Dauerinstitution wurde, dürfte dies auch ihr Nachfolger nicht werden -es handelt sich um längerfristig angelegte Übergangsregime, die dazu beitragen könnten, daß anschließend das deutsche Modell auf einem höheren Komplexitätsniveau agieren kann. Beide leben nicht nur von den Ergebnissen, sondern auch davon, daß es mit Autorität ausgestattete Akteure gibt, die die Arbeit dieser Gremien politisch ambitioniert vertreten können. Da bei allen Gemeinsamkeiten die Differenzen dominieren, sollen diese abschließend in Erinnerung gerufen werden (vgl. Tabelle 3).

Die Gegenüberstellung macht deutlich, daß die Probleme, Rahmenbedingungen und auch die Konzepte, mit denen die Akteure heute konfrontiert sind, kaum mit denen in der Konzertierten Aktion verglichen werden können. Die Komplexität der Probleme besitzt ein derart hohes Niveau, -daß demgegenüber die Konzertierte Aktion als eine Schönwetterveranstaltung erscheint. War es damals den Beteiligten überlassen, ob sie sich ah die Abmachungen hielten, so haben sich die Erwartungen an die Akteure heute um ein Vielfaches gesteigert -man ist versucht zu sagen, vom Spielerischen zum Existentiellen. Es geht darum, ob in Deutschland weiterhin ein neuen Rahmenbedingungen angepaßtes Gesellschafts-und Politikprojekt eines sozialkonsensualen, demokratischen und politisch regulierten Kapitalismus bestehen bleiben kann oder ob die neoliberale Tendenz derart dominant wird, daß die egalitären und überbetrieblichen Aushandlungsmuster wettbewerblichen Vorstellungen geopfert werden. Trotzdem: Gerade weil das Bündnis zum Erfolg verdammt ist und dies voraussetzt, daß die Mitglieder der Verbände die Verhandlungsergebnisse mittragen können, ist die Konzertierte Aktion ein Fundus, von dem gelernt werden kann. Für beide Pakte gilt, daß ihre reale Bedeutung größer ist als ihr Ruf.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Norbert Berthold/Rainer Hank, Bündnis für Arbeit: Korporatismus statt Wettbewerb, Tübingen 1999.

  2. Vgl. bspw: Helmut Schauer, Bündnisaussichten, in: Kritische Theorie und politisches Engagement. Festschrift zum 65. Geburtstag von Oskar Negt, Hannover 1999.

  3. Vgl. Josef Esser, Das Modell Deutschtand in den 90er Jahren -Wie stabil ist der soziale Konsens?, in. Georg Simonis (Hrsg.), Deutschland nach der Wende, Opladen 1998.

  4. „Im Falle der Gefährdung eines der Ziele des § 1 stellt die Bundesregierung, Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges, aufeinander abgestimmtes Verhalten (Konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaffen, Gewerkschaften, Unternehmer-verbände zur Erreichung der Ziele des § 1 zur Verfügung. Diese Orientierungsdaten enthalten insbesondere eine Darstellung der gesamtwirtschaftlichen Situation. Der Bundesminister für Wirtschaft hat die Orientierungsdaten auf Verlangen eines fier Beteiligten zu erläutern.“ Im § 3 des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes findet die Konzertierte Aktion also unmittelbare Berücksichtigung. Vgl. Alex Möller (Hrsg.), Kommentar zum Stabilitätsgesetz, Hannover 1969, S. HO.

  5. Vgl. Georg Vobruba, Keynesianismus als politisches I Prinzip, in: ders., Politik mit dem Wohlfahrtsstaat, Frankfurt I am Main 1983.

  6. Die folgenden Zitate stammen aus: Vorstand IG Metall, Protokoll des 9. ordentlichen Gewerkschaftstages der IG Metall in München 2. -7. 9. 1968, Frankfurt am Main 1968.

  7. In den neun Tarifrunden zwischen 1967 und 1976 lagen die nominellen Tarifsteigerungen in vier Jahren unterhalb der gesetzten Orientierungsdaten. Für den Bereich der IMetall-und Elektroindustrie stellte die Konzertierte Aktion j keine grundsätzliche Präjudizierung der Tarifpolitik dar. Die j niedrigen Tarifabschlüsse der Jahre 1968/69 und 1973/75, 11976 sind keine Besonderheit der Konzertierten Aktion. Auch in anderen Phasen-der bundesdeutschen Geschichte [akzeptierte die IG Metall Tarifabschlüsse (z. B. 1994), die in [der Nähe der Inflationsrate lagen, ohne daß es eine Konzertierte Aktion gegeben hätte. Auffallend ist, daß die Tarifabschlüsse lediglich in den ersten beiden Jahren im Rahmen der Vorgaben lagen.

  8. Vgl. Josef Esser, Gewerkschaften in der Krise, Frankfurt am Main; 1982.

  9. Bernhard Wessels, Die deutsche Variante des Korporatismus, in: Max Kaase/Günther Schmid (Hrsg.), Eine lernende Demokratie! 50 Bundesrepublik Deutschland (WZBJahrbuch 1999), Berlin 1999, S. 94.

  10. Hierzu die Kohl-Beraterin Renate Köcher vom Allens-Institut: „Das Wahljahr 1998 hat durchaus ein inhaltliches Leitmotiv, das vermutlich mit einem Kanzlerkandidaten Lafontaine noch weitaus klarer zu erkennen gewesen wäre. Das Leitmotiv war die , Gerechtigkeitslücke. In den letzten Jahren hat der Eindruck überhand genommen, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik nicht gerecht sind. 1995 empfanden noch 39 Prozent die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse als gerecht, 1998 nur noch 23 Prozent, in Ostdeutschland gar nur 9 Prozent. 71 Prozent der gesamten Bevölkerung sind überzeugt, daß die soziale Gerechtigkeit in den letzten Jahren abgenommen hat.“ (Renate Köcher, In der neuen Lage hat die CDU neue Aufgaben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 10. 1998, S. 5.)

  11. In der Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen bewerteten Ende 1995 den Zwickel-Vorschlag 80, 5 Prozent der westdeutschen und 84, 7 Prozent der ostdeutschen Befragten als „gut“ (Forschungsgruppe Wahlen, Politbarometer West 1995, Maschinenlesbares Codebuch, ZA Nr. 2765, S. 142, o. J.)

  12. Zwickel formulierte: „Ich schlage der Bundesregierung sowie den Unternehmen und ihren Verbänden ein Abkommen auf Gegenseitigkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen vor, ein . Bündnis für Arbeit 4. Dieses Bündnis umfaßt auch einen eigenen Beitrag. Daran sind Voraussetzungen und Bedingungen geknüpft, ein Geben und ein Nehmen. Dieses Bündnis verpflichtet die Bundesregierung, die Arbeitgeber und auch uns zur Einhaltung und es verpflichtet zur Bilanz.“ Vorstand der IG Metall (Hrsg.), Protokoll 18. Ordentlicher Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Metall, 29. 10. -4. 11. 1995, Frankfurt am Main 1995. In gewisser Weise sollte damit der 1993 zwischen dem VW-Konzern und der IG Metall abgeschlossene Beschäftigungssicherungstarifvertrag verallgemeinert und auf ein nationales Projektniveau gehoben werden.

  13. Vgl. Rainer Hank, Das Bündnis wird Dauereinrichtung großem Apparat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. 2. 1999.

  14. Interessant ist, daß die Arbeit der Benchmarking-Gruppe auch von gesellschaftlichen Kräften, wie der Bertelsmannstiftüng, mit einem eigenen finanziellen Beitrag unterstützt wird, indem diese einen Teil der Kosten für die wirtschafts-und sozialwissenschaftliche Analyse mittragen.

  15. Vgl. Peter Thelen, Kein Bündnis bei Rücknahme der Reformen, in: Handelsblatt vom 30. 9. 1998, S. 5. Auf den Druck der Arbeitgeber geht es zurück, daß der Name des Bündnisses erweitert wurde: „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“.

  16. Vgl. B. Wessels (Anm. 9).

Weitere Inhalte

Wolfgang Schroeder, Dr. rer. soc., geb. 1960; Mitarbeiter beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt am Main. Veröffentlichung u. a.: Katholizismus und Einheitsgewerkschaft. Der Streit um den DGB und der Niedergang des Sozialkatholizismus in der Bundesrepublik bis 1960, Bonn 1992. Josef Esser, Dr. rer. soc., geb. 1943; Professor für Politikwissenschaft und Politische Soziologie mit dem Schwerpunkt Staats-und Planungstheorie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Veröffentlichungen u. a.: Gewerkschaften in der Krise, Frankfurt am Main 1982; Das Modell Deutschland in den 90er Jahren -Wie stabil ist der soziale Konsens?, in: Georg Simonis (Hrsg.), Deutschland nach der Wende, Opladen 1998.