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Südafrikas Wirtschaft unter Mandela: Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Transformation | APuZ 27/1999 | bpb.de

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APuZ 27/1999 Die Republik Südafrika vor dem Ende der Ära Mandela. Auf dem Wege zur demokratischen Konsolidierung? Südafrikas Wirtschaft unter Mandela: Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Transformation I Namibias Demokratie auf dem Prüfstand: Ist das Experiment gescheitert? Simbabwe am Ende der Ära Mugabe Nationale Probleme und regionale Konflikte

Südafrikas Wirtschaft unter Mandela: Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Transformation

Stephan Bierling

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Während die Innen-und Außenpolitik der Regierung Mandela große wissenschaftliche Beachtung fand, sind ihre Wirtschaftspolitik und die ökonomische Entwicklung Südafrikas von der Forschung weniger intensiv behandelt worden. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, ob es der ersten frei gewählten Regierung Südafrikas gelungen ist, die ökonomischen Schwierigkeiten der siebziger und achtziger Jahre zu überwinden und das Land auf einen soliden Wachstumskurs zu führen. Die Untersuchung gelangt zu dem Ergebnis, daß die Regierung Mandela eine gemäßigt liberale Wirtschaftspolitik verfolgte, die zu einer Stabilisierung der makroökonomischen Lage geführt hat. Es wird eine umfassende Liberalisierung der Arbeitsmärkte und umfangreiche Investitionen in die Ausbildung brauchen. um Südafrikas hartnäckigstes Problem -die hohe Arbeitslosigkeit -wirksam zu bekämpfen. Daß die Nachfolger Mandelas dafür genug Entschlossenheit und langen Atem mitbringen, wird entscheidend für den Erfolg des südafrikanischen Transformationsprozesses sein.

Die Billigung der Interimsverfassung vom November 1993 und die ersten freien Wahlen vom April 1994 markierten das Ende von 350 Jahren weißer Vorherrschaft in Südafrika und führten in vielen Bereichen zu einer grundlegenden Neuorientierung der Politik. Innenpolitisch wurden die Reste der Rassentrennung beseitigt, eine liberale Verfassung verabschiedet sowie zentrale Positionen in Regierung, Verwaltung, Justiz, Militär und Diplomatie mit Mitgliedern des ANC (African National Congress) besetzt. Außenpolitisch kehrte Pretoria nach langen Jahren der Isolation als selbstbewußter Akteur in die internationale Arena zurück, der gleichzeitig gute Beziehungen zum Westen wie zu den „alten Freunden“ aus Widerstandszellen -Libyen, Kuba und China -pflegt. Ebenso wie die Gründe, die zur Ablösung der letzten weißen Minderheitsregierung führten, sind diese Entwicklungen in der politikwissenschaftlichen Literatur ausführlich erörtert worden

Weniger Aufmerksamkeit widmete die Forschung dagegen einem Bereich, der für das Entstehen und den Fall der Apartheid von zentraler Bedeutung war und der für die künftige Entwicklung der südafrikanischen Demokratie wichtig sein wird: der Wirtschaft So lagen die Ursprünge der Rassentrennung Ende des letzten Jahrhunderts in einer unheiligen Allianz von Minenbetreibern und weißen Gewerkschaften, die aus ökonomischen Gründen eine Diskriminierung der schwarzen Arbeiterschaft durchsetzten. Die Apartheid, die nach dem Wahlsieg der Nationalen Partei (NP) 1948 zur Staatsphilosophie wurde, war zu weiten Teilen eine wirtschaftliche Ideologie, darauf zugeschnit-ten, die armen, schlecht ausgebildeten burischen Farmer in eine prosperierende Oberschicht zu verwandeln Der Zusammenbruch des Apartheid-systems trat ein, als die Kosten für seine Aufrechterhaltung den Nutzen für die privilegierte Schicht überschritten. Darüber hinaus zeigen die Transformationserfahrungen seit dem Zweiten Weltkrieg, daß eine gemeinsame Identität und materieller Wohlstand die wichtigsten Determinanten für einen erfolgreichen Demokratisierungsprozeß sind. Da sich die durch die Apartheidpolitik verursachte Spaltung der südafrikanischen Gesellschaft nur langsam überwinden lassen wird, kommt der ökonomischen Entwicklung herausragende Bedeutung für die Etablierung einer Zivilgesellschaft und demokratischer Strukturen zu. Schließlich ist ein wirtschaftlich starkes Südafrika auch der Schlüssel für eine ökonomische Gesundung der gesamten Region. Mit 31 Prozent der Bevölkerung erwirtschaftet das Land 79 Prozent des Bruttosozialprodukts des südlichen Afrika und ist für fast alle Länder der Region der wichtigste Handelspartner Ohne positive Wirtschaftsentwicklung in Südafrika scheinen also weder ein Gelingen der Systemtransformation noch ein Ausbrechen Schwarzafrikas aus der Armutsspirale möglich. Dieser Beitrag will eine polit-ökonomische Bestandsaufnahme der Amtszeit Nelson Mandelas (1994-1999) bieten. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob es der ersten freigewählten Regierung Südafrikas gelungen ist, die ökonomischen Schwierigkeiten der siebziger und achtziger Jahre zu überwinden und das Land auf einen soliden Wachstumskurs zu führen. Dazu sollen die historischen Grundlagen und Strukturen der südafrikanischen Wirtschaft dargestellt, das Programm der Mandela-Regierung sowie seine Umsetzung untersucht und schließlich die makroökonomische Entwicklung von 1994 bis 1999 analysiert werden.

I. Das schwierige Erbe der Apartheid

Im Gegensatz zu den Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre abtretenden Diktaturen in Chile, Südkorea oder Taiwan hinterließ die scheidende Regierung in Südafrika ihrer demokratisch legitimierten Nachfolgerin ökonomisch ein ungeordnetes Haus: niedriges Wachstum, zweistellige Inflation, ein riesiges Loch in der Staatskasse, eine international kaum wettbewerbsfähige Industrie, hohe Arbeitslosigkeit sowie enorme Einkommens-disparitäten. Dabei hatte die südafrikanische Wirtschaft von den dreißiger bis zu den frühen siebziger Jahren einen Boom erlebt, der ihr reale Wachstumsraten von mehr als fünf Prozent pro Jahr bescherte.

1. Afrikaaner-Sozialismus als Entwicklungsstrategie

Getragen worden war der Aufschwung von einer raschen industriellen Expansion infolge eines großangelegten Imports von modernen Anlagen und Maschinen bei gleichzeitigem Schutz der heimischen Betriebe vor ausländischer Konkurrenz. Die Schaffung staatlicher und halbstaatlicher Unternehmen und ihre massive Subventionierung sollten vor allem burischen Unternehmern und Arbeitern Wohlstand bringen. Nicht zu Unrecht ist diese Entwicklungsstrategie als „Afrikaaner-Sozialismus“ bezeichnet und die südafrikanische Wirtschaftsordnung eher mit sozialistischen Planwirtschaften als mit westlichen Marktwirtschaften verglichen worden. Diese Politik war so lange erfolgreich, wie Südafrika erstens die für die Ein-fuhren und Subventionen nötigen Gelder erwirtschaften und Kredite bei den Exportländern oder an den internationalen Kapitalmärkten aufnehmen konnte und zweitens über ein Reservoir an gutausgebildeten Arbeitskräften und finanz-starken Konsumenten verfügte. Da der verarbeitende Sektor allerdings nie international wettbewerbsfähig wurde, blieb der Primärsektor (Landwirtschaft, Rohstoffgewinnung) trotz des relativ hohen Industrialisierungsgrads des Landes die Stütze des Exports. Obwohl er 1975 nicht einmal mehr ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt beitrug, gingen drei Viertel der Devisenerlöse auf sein Konto, wobei Goldverkäufen die zentrale Rolle zukam. Nicht zu Unrecht definierte der Economist die südafrikanische Wirtschaft deshalb als „one commodity eco-nomy“ Die Turbulenzen auf den Rohstoffmärkten in den siebziger und der Preisverfall in den achtziger Jahren belasteten die südafrikanische Wirtschaft deshalb schwer. Verschärft wurde diese Entwicklung dadurch, daß die Apartheid zunehmend ökonomisch kontraproduktiv wirkte. Zwar waren billige schwarze Arbeiter die Garanten für niedrige Produktionskosten in den Minen und auf den Farmen. Je stärker der Strukturwandel aber fortschritt und der verarbeitende Sektor wuchs, um so mehr benötigte die südafrikanische Wirtschaft gutausgebildete Beschäftigte zur Bedienung der Maschinen und zahlungskräftige Kunden zum Kauf der Produkte. Der Pool an weißen Arbeitern und Verbrauchern war allerdings Anfang der siebziger Jahre ausgeschöpft. Da der schwarzen Bevölkerung aus politischen Gründen Ausbildung und gutbezahlte Beschäftigung vorenthalten blieben, konnten sie die entstehende Lücke nicht füllen. Damit verschlechterten sich sowohl auf der Angebots-wie auf der Nachfrageseite die Bedingungen für ein befriedigendes Wirtschaftswachstum. Die Anforderungen des entwickelten Kapitalismus erwiesen sich zunehmend als wichtigster Feind der Apartheid

2. Direkte und indirekte Kosten der Apartheid

Die ökonomischen Kosten für die Aufrechterhaltung der Apartheid begannen seit den frühen siebziger Jahren aber auch noch aus anderen Gründen zu steigen. Wegen der Verschärfung der Auseinandersetzungen zwischen weißem Minderheitsregime und schwarzer Opposition im Zuge der Soweto-Unruhen vom Juni 1976 verlor Südafrika für ausländische Direktinvestoren und Kapitalgeber an Attraktivität. Pretoria bekam nun kaum mehr neue Langzeitkredite, und selbst für kurzfristige Darlehen mußte es Sonderprämien bezahlen. Die von immer mehr Staaten verhängten Sanktionen und der Rückzug zahlreicher multinationaler Konzerne entzogen Südafrika zudem die Effizienzgewinne internationaler Arbeitsteilung. Seit Anfang der siebziger Jahre versuchten die herrschenden Afrikaaner, aus dem Dilemma auszubrechen, „whether to remain poor but ethnically pure, or rieh and racially mixed; ... whether to become a modern, industrial economy, or stick with the feudal economic relations that alone were compatible with apartheid“ Die Nationale Partei entschied sich widerwillig für den ersten Weg: Zunächst wurden die Mittel für schwarze Schulen erhöht, 1973 dann das Verbot für schwarze Arbeiter eingeschränkt, anspruchsvolle Tätigkeiten auszuführen. Sechs Jahre später folgte Premierminister P. W. Botha (19781989) dem Drängen der Industrie, schwarze Gewerkschaften zuzulassen, da sie einen berechenbaren Ansprechpartner für eine Regelung der Arbeitsbeziehungen haben wollte.

In ihrem Bemühen, die wirtschaftlichen Kosten der Apartheid zu reduzieren, war die südafrikanische Staatsführung also bereit, von bisher hochgehaltenen Prinzipien der Rassentrennung abzurükken. Die Nationale Partei nahm freilich an, daß sie der schwarzen Bevölkerungsmehrheit mehr ökonomische Freiheiten gewähren könne, ohne ihr politische Gleichberechtigung einzuräumen. Das erwies sich als grobe Fehlkalkulation: In den achtziger Jahren entwickelten sich gerade die schwarzen Gewerkschaften zum Nukleus des politischen Widerstands gegen die Apartheid Auch ihr ursprüngliches Ziel, die Überwindung der wirtschaftlichen Stagnation, erreichten die Maßnahmen der siebziger Jahre nicht. Das lag zum einen daran, daß die Reformen der Regierung halbherzig blieben, zum anderen an der stetigen Verschlechterung der innenpolitischen Lage, die ihren deutlichsten Ausdruck in der Verhängung des Ausnahmezustands 1986 sowie in einem steilen Anstieg der Zahl der Streiks und der verlorenen Arbeitstage fand.

Die direkten Kosten von Bothas Kurs, den Schwarzen zwar ökonomische, aber kaum politische Mitbestimmung einzuräumen, stiegen ebenfalls steil an. Drei Parlamentskammern (seit 1983 je eine für Weiße, Inder und Farbige), zehn Ministerien für Erziehung, Gesundheit und Wohlfahrt (eines für jede „Rasse“ -Weiße, Schwarze, Inder und Farbige -und eines für jedes der sechs schwarzen Selbstverwaltungsterritorien), die große Zahl von Armee-und Sicherheitskräften, um die Proteste der schwarzen Opposition zu unterdrücken, ein aufgeblähter Staatsapparat, um die burische Bevölkerungsgruppe mit lukrativen Jobs zu versorgen, und hohe Zuschüsse für die Homelands belasteten den Staatshaushalt schwer Eine Schätzung für das Fiskaljahr 1985/86 bezifferte allein die direkten Kosten der Apartheid auf zehn bis 21 Prozent des Budgets Addiert man die indirekten Kosten wie Streiks, Sanktionen, Militär-interventionen etc., so dürfte die Zahl Mitte der achtziger Jahre bei etwa 50 Prozent gelegen haben Die Zukunft verhieß der Nationalen Partei zudem nichts Gutes: Die massiven demographischen Veränderungen -der Anteil der Weißen an der Gesamtbevölkerung nahm von 21 im Jahr 1951 auf 14 Prozent 1985 ab, und Prognosen sagten für 2005 ein Fallen unter die Zehn-Prozent-Marke voraus -würden die Kosten für eine Aufrechterhaltung der Rassentrennung weiter ansteigen lassen.

Als der 1989 ins Amt gelangte Staatspräsident F. W.de Klerk seinen Annäherungskurs an den ANC und Mandela begann und die Teilung der Macht mit der schwarzen Bevölkerungsmehrheit erwog, tat er dies vor allem, weil das weiße Südafrika die wirtschaftlichen Belastungen der Apartheid nicht mehr tragen konnte. Diese Erkenntnis de Klerks ging Hand in Hand mit dem Versuch, den „low-growth socialism of apartheid“ durch ein Zurückdrängen des Staates und liberale Wirtschaftsreformen zu überwinden. Damit rückte die Nationale Partei gerade zu einem Zeitpunkt von ihrer jahrzehntelang praktizierten Interventionspolitik für die wenigen ab, als die politischen Veränderungen eine Interventionspolitik für die vielen nahelegten.

II. Das Programm der Regierung Mandela

Mit dem Machtzerfall der Nationalen Partei rückten die wirtschaftspolitischen Vorstellungen jener politischen Kraft in den Mittelpunkt, die nach den anvisierten freien Wahlen die neue Regierung stellen und damit den künftigen Kurs Südafrikas bestimmen würde: des ANC. Bis in die neunziger Jahre waren die meisten Stellungnahmen dabei von sozialistischem Gedankengut geprägt. Das erste Grundsatzdokument des ANC, die Freedom Charter von 1955, trug mit seiner Forderung nach der Verstaatlichung der Minen, der Banken und der „Monopolindustrie“ sowie nach Umverteilungs-und Sozialisierungsmaßnahmen die Handschrift der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP). Noch im März 1989 schrieb Mandela in einem Memorandum an Präsident Botha, „eine Form von Sozialismus“ sei nötig, um mit den Industrieländern gleichzu-ziehen und das Vermächtnis der Armut zu überwinden

Mit dem Bankrott des sozialistischen Leitbildes Sowjetunion und der Aussicht auf eine Beteiligung an der Regierung rückten viele Mitglieder der ANC-Führung jedoch von den alten Parolen ab. In den ANC Policy Guidelines for a Democratic South Africa von 1992 präzisierte die Organisation ihre wirtschaftspolitischen Absichten. In dem Dokument wurde die Umverteilung zwar als eine zentrale Aufgabe genannt, sie sollte aber vor allem durch Wachstum erreicht werden. Ziel war nun eine „Mischwirtschaft“ (mixed economy), in deren Zentrum ein aktiver Staat stehen würde, der in enger Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Privatwirtschaft, Verbänden, Kammern und Bürger-vereinigungen sowohl die makroökonomische Entwicklung steuert als auch konkrete Aufgaben von der Gesundheitsversorgung über die Ausbildung bis hin zur Wasser-und Elektrizitätsversorgung übernimmt. Den öffentlichen und den gemischten Sektor sollte ein dynamischer privater Sektor ergänzen. Dieses Modell einer „korporatistischen Gesellschaftsordnung linkskeynesianischen Zuschnitts“ erinnerte stark an Vorstellungen der europäischen Sozialdemokratie der siebziger und achtziger Jahre.

Der wirtschaftspolitische Lernprozeß war mit den Guidelines freilich nicht abgeschlossen. Unter dem Einfluß südafrikanischer Geschäftsleute, des IWF und des Weltwirtschaftsforums begann sich die Führungsebene des ANC zu Haushaltsdisziplin und konservativer Fiskalpolitik zu bekennen. Allerdings mußte der ANC nach innen dem Umstand Rechnung tragen, daß er sich in einer Allianz mit dem Gewerkschaftsverband COSATU und der Kommunistischen Partei befand, die an ihren klassenkämpferischen Forderungen festhielten, und viele Funktionäre Mitglieder aller drei Organisationen sind. Nach außen hin mußte der ANC darauf achten, die materielle Lage der eigenen, bisher systematisch vernachlässigten Wählerklientel zu verbessern.

Auch nach dem Wahlsieg vom April 1994 und der Bildung einer Koalitionsregierung der Nationalen Einheit mit der Nationalen Partei und der Inkatha Freiheitspartei (IFP) blieb der ANC deshalb in seinen wirtschaftspolitischen Worten und Taten ambivalent. So bemühten sich vor allem Mandela, Finanzminister Trevor Manuel und Vizepräsident Thabo Mbeki, die skeptischen Investoren im In-und Ausland von der Berechenbarkeit und Solidität der Regierungspolitik zu überzeugen. Mandela versicherte kurz nach der Wahl etwa, daß die Wirtschaftsphilosophie des ANC „keinen einzigen Bezug zu Dingen wie Nationalisierung“ mehr habe und sie von allem gereinigt sei, „was uns mit irgendwelcher marxistischer Ideologie verbindet“ Denselben Zweck sollten die Garantie der Eigentumsrechte, die Unterzeichnung einer Absichtserklärung über die künftige Wirtschaftspolitik mit dem IWF und ständige Bekenntnisse zu ökonomischer Stabilität erfüllen. 1. Das Wiederaufbau-und Entwicklungsprogramm (RDP)

Gleichzeitig galt es, gegen die sozialen Ungleichheiten anzugehen, die wohl schwerste Hypothek der Apartheid. Südafrika hat unter allen Schwellenländern die ungleichmäßigste Einkommensverteilung, wobei die Hautfarbe der entscheidende Indikator ist. So verdienen die zwölf Prozent Weißen 54 Prozent des Nationaleinkommens, 77 Prozent der Schwarzen dagegen nur 36 Prozent. Und während weniger als zwei Prozent der Weißen unter der Armutsgrenze leben, sind es bei den Schwarzen über 50 Prozent. Gleichzeitig fehlt vielen Schwarzen der Zugang zu Wasser, Strom und Wohnraum.

Um diese Probleme zu lindern und den linken Kräften in der Allianz entgegenzukommen, lancierte die neue Regierung kurz nach ihrem Amtsantritt ein von den Gewerkschaften entwickeltes Wiederaufbau-und Entwicklungsprogramm (RDP) 1O 9bwohl es für sich in Anspruch nahm, „einen integrierten, kohärenten sozio-ökonomischen Rahmen“ für eine „fundamentale Transformation der südafrikanischen Gesellschaft“ v bieten, bildete es mehr ein Konglomerat unterschiedlicher Ziele und Ansätze als eine homogene Entwicklungsstrategie. Das hatte auch damit zu tun, daß die Ministerien bei ihrer Überarbeitung des ursprünglichen Dokuments das Gewicht weg von Umverteilung und neuen Ausgaben hin zu Wachstum und Budgetdisziplin verlagerten. So versprach das RDP zwar unter anderem den Bau von einer Million Häuser für untere Einkommens-schichten, Elektrizität für 2, 5 Millionen und Wasseranschluß für eine Million Haushalte bis zum Jahr 2000 sowie die freie Gesundheitsversorgung für Kinder unter sechs Jahren und schwangere Frauen. Aber die Maßnahmen sollten durch die bessere Nutzung vorhandener Ressourcen und nicht durch Steuererhöhungen finanziert werden. Auch ließ die überarbeitete Version des RDP den früheren Plan fallen, den Finanzsektor zu restrukturieren und ein landesweites Sozialversicherungssystem einzuführen; es garantierte daneben auch die Unabhängigkeit der Zentralbank. In seiner ersten Ansprache zur Lage der Nation am 24. Mai 1994 stellte Mandela das RDP zwar an den Anfang seiner Ausführungen zur Wirtschaftspolitik, sagte aber wenige Passagen später zu, der Plan werde dem Wachstum der Privatwirtschaft nur guttun und sei an fiskalische Disziplin und stetige Geldpolitik gebunden

Das Wiederaufbau-und Entwicklungsprogramm, das nach dem Wunsch seiner Initiatoren eine Neuausrichtung der südafrikanischen Wirtschaftspolitik symbolisieren sollte, wurde so in die auf makroökonomische Stabilität ausgerichtete Gesamtstrategie der Regierung eingepaßt. Die Schließung des RDP-Büros und die Eingliederung seiner Aufgaben in die bestehenden Ministerien brachte diese Entwicklung im Frühjahr 1996 zu ihrem logischen Abschluß. Neben dem engen finanziellen Rahmen beeinträchtigten auch administrative Probleme die zügige Umsetzung des Plans. Die Ministerien richteten ihre bestehenden Programme nur widerwillig nach den RDP-Vorgaben aus, die Abstimmung zwischen Bundes-und Provinzebene verlief zäh, und vor Ort verzögerten organisatorische Schwierigkeiten die Implementierung.

2. Verankerung liberaler Wirtschaftspolitik im GEAR

Der wirtschaftspolitische Richtungswandel des ANC fand seinen Höhepunkt im Juni 1996 im Plan für Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung (GEAR). Damit setzte die Regierung auf eine angebotsorientierte Politik, die eine Reduzierung von Budgetdefizit und Inflation, Steuererleichterungen, ein Ende der Kapitalverkehrskontrollen, flexiblere Arbeitsmärkte, die Liberalisierung des Außenhandels und die Privatisierung von Staats-unternehmen in den Mittelpunkt stellte. Bemerkenswert war auch, daß GEAR nicht mit den Allianzpartnern abgestimmt war und Finanzminister Manuel die zentralen Passagen für „nicht verhandlungsfähig“ erklärte

Für sein Bekenntnis zu einem marktwirtschaftlichen Entwicklungsweg, der auf exportorientiertes Wachstum und positive Investitionsbedingungen baut, erfuhr der ANC bei Unternehmern und internationalen Investoren breite Zustimmung. Dagegen stieß das Programm bei den Allianzpartnern auf scharfe Kritik. Die Leitlinien von GEAR widersprachen nicht nur den Grundüberzeugungen der beiden Organisationen und den Interessen ihrer Mitglieder und Funktionäre, sondern sie erinnerten auch an die von der letzten Apartheids-Regierung formulierten Ziele und Instrumente. Vizepräsident Mbeki beschied die Kritiker indes nur mit dem Satz, daß „jeder, der vernünftig ist, zu keinem anderen Schluß kommen kann als unsere [wirtschaftliche] Politik“

Allerdings kam es bei der Umsetzung des GEAR Programms zu Problemen. Vor allem bei der Arbeitsgesetzgebung gelang es COSATU, Reformen zu verhindern und im Labour Relations Act und im Basic Conditions of Employment Act alte Forderungen festzuschreiben. So sind nun übergreifende Lohnverhandlungen gesetzlich verankert, die zwar die Gewerkschaftsmacht stärken, aber gerade kleine und mittlere Betriebe vor große Kostenprobleme stellen. Die Einführung der 40-Stunden-Woche und die Verpflichtung der Arbeitgeber, Überstunden, krankheitsbedingten Ausfall und Mutterschaftsurlaub zu bezahlen, führten zu einer weiteren Belastung des ohnehin viel zu starren Arbeitsmarkts Insgesamt erhöhten diese Maßnahmen die Kosten des Faktors Arbeit um 20 Prozent. Im März 1999 kündigte der Arbeitsminister -auch ein COSATU-Mitglied -zudem an, einen Mindestlohn für Hausangestellte und Farm-arbeiter einzuführen. So verständlich diese Maßnahmen politisch sind, so negativ sind die Folgen: Schon zwischen 1994 und 1997 entließen die Farmer noch schnell vor dem Inkrafttreten der neuen Arbeitsgesetze die Hälfte ihrer Angestellten. Den ungelernten schwarzen Haushilfen, die Nutznießer des neuen Mindestlohns sein sollen, droht nun ein ähnliches Schicksal

Während der ANC also in der Arbeitsgesetzgebung den Forderungen der Allianzpartner nachgab, hielt er in anderen Fragen an einer grundsätzlich liberalen Position fest. Die zunehmenden Angriffe der Gewerkschaften beantwortete Mbeki im Frühsommer 1998 erstmals mit der Frage an ihr Zentralkomitee, ob es nach 50 Jahren der Allianz nicht an der Zeit sei, „der Kongreßbewegung auf Wiedersehen zu sagen“. Und Mandela machte auf dem Parteitag der SACP wenig später klar: „GEAR ist eine Grundpolitik des ANC. Wir werden sie nicht verändern, nur weil ihr sie kritisiert.“ Bei allem Streit sind die drei Partner jedoch aufeinander angewiesen, weil sie nur in der Allianz ihre jeweiligen Schwächen kompensieren können: COSATU hat mit seinen 1, 8 Millionen Mitgliedern eine finanzstarke und mobilisierungsfähige Basis, kann aber gemäß der Verfassung keine Abgeordneten stellen; die Kommunisten verfügen über einen effektiven Apparat, haben aber nicht viele Wähler; der ANC leidet unter einer schwachen Basisarbeit, weil viele seiner Aktivisten in Regierungen, Parlamenten und Verwaltungen sitzen, und er braucht die Organisationsstrukturen der Partner. Diese Konstellation wird dazu führen, daß die Wirtschaftspolitik der Regierung auch nach den nächsten Wahlen umstritten bleiben, es für alle drei Beteiligten aber starke Anreize zur Fortführung der Zusammenarbeit geben wird.

III. Die wirtschaftliche Entwicklung unter Mandela

Politische Schlagkraft erhalten die Angriffe von COSATU und SACP vor allem deshalb, weil die wirtschaftliche Entwicklung Südafrikas in den letzten fünf Jahren nicht so positiv verlief wie in der Aufbruchseuphorie erwartet und vom Finanzministerium immer wieder vorhergesagt. Einigen Erfolgen stehen deutliche Defizite gegenüber. Im folgenden sollen die wichtigsten ökonomischen Entwicklungen kurz einzeln dargestellt werden.

1. Bruttosozialprodukt

Nach der Rezession der frühen neunziger Jahre befindet sich die südafrikanische Wirtschaft seit 1993 wieder auf Wachstumskurs. Allerdings blieben die Steigerungsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu niedrig, um den Arbeitsmarkt positiv zu beeinflussen.

Auch die Wachstumsperspektiven stimmen wenig optimistisch. Wegen der fehlenden Absatzmärkte in der Region, der geringen Kaufkraft großer Teile der Bevölkerung und der damit zusammenhängenden niedrigen Sparquote können Impulse fast nur vom Export und von ausländischen Direktinvestitionen kommen. Allerdings gibt es Anzeichen, daß der Fall des Wechselkurses des Rand die Ausfuhren anregt und die Wettbewerbsfähigkeit der Rohstoffproduktion steigt. Auch sind die im Zuge der Asien-und insbesondere der Rußlandkrise explodierenden Zinssätze in den letzten Monaten deutlich gefallen. Schließlich hat Finanzminister Manuel in seinem Budget im Februar 1999 angekündigt, die Körperschaftssteuer von 35 auf 30 Prozent zu senken und so die Investitionstätigkeit anzuregen.

2. Haushalt

Die Regierung Mandela war insgesamt erfolgreich in ihren Bemühungen, das von ihrer Vorgängerin geerbte hohe Haushaltsdefizit zu reduzieren. Das ist um so bemerkenswerter, als. die Wachstumsraten in den letzten fünf Jahren hinter den Prognosen zurückblieben und die Allianzpartner den ANC permanent zu neuen Ausgabenprogrammen drängten.

Allerdings bietet die Tatsache Anlaß zur Sorge, daß die Regierung keine ernsthaften Versuche unternommen hat, den vom Apartheids-Regime zur Versorgung der eigenen Klientel aufgeblähten Staatsapparat zurückzuschneiden. Im Haushaltsplan 1999/2000 für die Bundes-und Provinzregierungen sowie die Kommunalregierungen sind so nicht weniger als 51 Prozent der verfügbaren Mittel (Gesamtausgaben minus Schuldendienst) für Personalausgaben und Pensionen vorgesehen. Eine solche Ausgabenstruktur erschwert eine weitere Konsolidierung des Budgets.

3. Inflation

Aufgrund einer restriktiven Geld-und Fiskalpolitik sowie des geringen Wachstums ist die seit den siebziger Jahren notorisch hohe Inflationsrate in den letzten fünf Jahren deutlich zurückgegangen. 1998 erreichte sie den niedrigsten Stand seit 25 Jahren, obwohl der schwächere Rand Importe verteuerte. Hohe Realzinsen, die 1998 im Zuge der Asien-und Rußlandkrise sogar auf mehr als 15 Prozent anstiegen, und eine größere Währungsstabilität sollten auch in den nächsten Jahren für einstellige Inflationsraten sorgen.

4. Beschäftigung

Das düsterste Kapitel der südafrikanischen Wirtschaftsentwicklung betrifft den Arbeitsmarkt. Allein in den letzten fünf Jahren sind 500 000 Stellen verlorengegangen -bei einer Gesamtzahl von 9, 1 Millionen Beschäftigten (1996). Nachdem die Beschäftigung in den siebziger Jahren noch durchschnittlich um drei Prozent und in den achtziger Jahren um zwei Prozent pro Jahr gewachsen war, nahm sie seit 1990 um drei Prozent pro Jahr ab. Das Wirtschaftswachstum hat also nicht einmal ausgereicht, um den Bestand an Stellen zu sichern, von einer Integration der etwa 300 000 pro Jahr neu auf den Arbeitsmarkt strömenden Jugendlichen gar nicht erst zu sprechen. Südafrika brauchte ein BIP-Wachstum von fünf Prozent, um allein die Neuzugänge absorbieren zu können. Die Volkszählung vom November 1996 ergab eine Zahl von 4, 7 Millionen Arbeitslosen (unter ihnen 4, 2 Millionen Schwarze und 89 000 Weiße). Ende 1998 war mehr als ein Drittel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ohne Stelle. Die Ost-Kap-Provinz mit den ehemaligen Homelands Ciskei und Transkei hatte dabei mit 49 Prozent die höchste, die West-Kap-Provinz mit 18 Prozent die niedrigste Quote

Die hohe Arbeitslosigkeit hat zahlreiche Ursachen: Neben der bereits angesprochenen rigiden Arbeitsgesetzgebung und der demographischen Entwicklung ist die wichtigste, daß die Arbeitgeber vor allem in der Industrie und in den Minen ihre Personalbestände abgebaut haben, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Diese wurde dadurch beschädigt, daß die streik-freudigen und seit 1994 politisch einflußreichen Gewerkschaften in den letzten 20 Jahren Löhne durchsetzen konnten, die über Inflationsrate und Produktivitätszunahme lagen. So zeigte eine Studie der Automobilindustrie 1995, daß ein südafrikanischer Autobauer zwar 40 US-Cents weniger pro Stunde kostete als sein mexikanischer Kollege, er aber dreimal so lang brauchte, um denselben Wagen zu bauen Unqualifizierte Beschäftigte verursachen einem Arbeitgeber in Südafrika 430 US-Dollar an monatlichen Kosten, in Thailand dagegen nur 160 US-Dollar Wollen sich südafrikanische Unternehmen am Markt behaupten, sind sie gezwungen, auf eine kapitalintensive Produktionsweise zu setzen. Nur eine Verbilligung des Faktors Arbeit würde dem Heer der Arbeitslosen Aussicht auf Beschäftigung eröffnen.

5. Grundversorgung

Die vor allem im Rahmen des RDP angestrebte Verbesserung der Grundversorgung der armen, schwarzen Bevölkerung kam nach zögerlichem Beginn doch noch ein Stück voran. Zwar mußte Mandela in seiner letzten Ansprache zur Lage der Nation am 5. Februar 1999 eingestehen, nicht alle 1994 aufgestellten Ziele erreicht zu haben, aber die von ihm vorgelegten Zahlen dokumentierten doch einige Erfolge. So fiel der Anteil der Südafrikaner, die über keine gesicherte Wasserversorgung verfügen, in den vergangenen fünf Jahren von 30 auf 20 Prozent. Der Anteil der Haushalte ohne Elektrizität ging von 60 auf 37 Prozent, derjenigen ohne Telephon von 75 auf 65 Prozent zurück. Außerdem wurden 700 000 neue Häuser gebaut oder befanden sich im Bau Allerdings dürfen diese Zahlen nicht darüber hinwegtäuschen, daß angesichts der hohen Arbeitslosigkeit viele Arme weder ihre Strom-noch ihre Wasserrechnung bezahlen können. Auch übersteigt selbst ein Preis von 35 000 Rand (10 000 DM) für subventionierte Einfachhäuser die finanziellen Möglichkeiten vieler Schwarzer. 6. Beteiligung der Schwarzen an der Wirtschaft In den letzten fünf Jahren ist der schwarzen Mittel-schicht ein ökonomischer Aufstieg gelungen. Aufgrund von „affirmative action“ -Programmen stellen viele Firmen in den letzten Jahren schwarze Manager ein und vergeben Aufträge an Firmen schwarzer Unternehmer. Da es aber wenige Schwarze mit entsprechender Ausbildung gibt, erhalten sie oft bis zu 30 Prozent mehr Lohn als weiße Angestellte mit gleicher Qualifikation Mittlerweile sind auch zehn Prozent der an der Johannesburger Börse gehandelten Aktien in den Händen schwarzer Investoren und Unternehmer. Viele ehemalige ANC-Aktivisten prosperieren unter diesen Bedingungen. Einige Beobachter sprechen schon von der „Ver-Bourgeoisierung einer Widerstandsbewegung“ Auch jene schwarzen Arbeiter, die in den letzten fünf Jahren ihre Stelle behielten, konnten deutliche Reallohnsteigerungen erzielen, vor allem, wenn sie gewerkschaftlich organisiert waren. Während sich die Kluft zwischen weißen und schwarzen Arbeitern also langsam verringert, wächst die Kluft zwischen schwarzen Arbeitern und schwarzen Arbeitslosen. Ohne eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und eine Verbesserung der Ausbildung -über 50 Prozent der Schwarzen sind Analphabeten -wird sich an diesem Trend nicht viel ändern.

IV. Probleme und Chancen

Die Regierung Mandela hat in den letzten fünf Jahren eine gemäßigt liberale Wirtschaftspolitik verfolgt, die zu einer Stabilisierung der makroökonomischen Lage führte. Damit hat das neue Südafrika die Mammutaufgabe angepackt, die vom Apartheidssystem geerbte verkrustete Wirtschaftsstruktur aufzubrechen und die Voraussetzungen für künftiges Wachstum zu schaffen. Das ist angesichts der wirtschaftspolitischen-Tradition des ANC, der Positionen seiner Allianzpartner und des enormen Erwartungsdrucks, dem sich die erste schwarze Regierung in der Geschichte des Landes ausgesetzt sieht, eine bemerkenswerte Leistung. Allerdings zeigt die Erfahrung, daß es in den ersten Jahren liberaler Reformen zu Entlassungen und Betriebsschließungen kommt. Um so schwerer wiegt deshalb das Versäumnis der Regierung, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und damit gerade den kleinen und mittleren Unternehmen das Leben zu erleichtern. Von Schumpeters Erkenntnis, Fortschritt vollziehe sich im Kapitalismus in einem Prozeß der „kreativen Zerstörung“, haben die Südafrikaner deshalb bisher vor allem den zweiten Teil zu spüren bekommen.

Eine solide Wirtschaftspolitik ist eine wichtige, aber nicht die alleinige Voraussetzung für einen ökonomischen Aufschwung. Die größten Probleme des Landes bilden die niedrige Investitionsquote und der Mangel an Facharbeitern. Das Internationale Institut für Managemententwicklung hat festgestellt, daß es bei den 46 untersuchten Ländern in Südafrika am schwierigsten war, gut ausgebildete Arbeitskräfte zu finden Dabei sind historische, politische und soziale Ursachen eng verquickt: Das Apartheidsystem hat Ausbildung als Vorrecht der Weißen betrachtet; der Schulboykott vieler schwarzer Kinder in den späten siebziger und achtziger Jahren hat eine „lost generation“

zurückgelassen, die als ökonomischer Faktor für den Transformationsprozeß ausfällt; und die ausufernde Gewaltkriminalität treibt viele Fachkräfte aus dem Land.

Dazu kommen Schwierigkeiten, die von der Regierung nur bedingt beeinflußt werden können:

Da ist zum einen der Umstand, daß es in der ganzen Region wegen fehlender Kaufkraft keinen Markt für südafrikanische Produkte gibt. Zum anderen wird die seit den sechziger Jahren zwar halbierte, aber mit 3, 2 Kindern pro Frau (1997) immer noch hohe Geburtenrate bei schwachem Wirtschaftswachstum weiter zu einem sinkenden Pro-Kopf-Einkommen führen. Verschärft wird diese Entwicklung noch durch die ökonomischen Auswirkungen der AIDS-Epidemie. Das Gesundheitsministerium geht davon aus, daß die Zahl der an den Folgen der Immunschwäche-Krankheit Sterbenden von 130 000 im Jahr 1998 auf 500 000 im Jahr 2008 emporschnellen und die durchschnittliche Lebenserwartung auf 40 Jahre fallen wird. Dies wird nicht nur massive soziale Auswirkungen haben, sondern auch die Ausgaben des staatlichen Gesundheitssystems und damit die Beiträge in die Höhe treiben und so ohnehin knappes Kapital binden

Gibt es angesichts dieser Entwicklungen Hoffnung, daß Südafrikas Mitte der siebziger Jahre einsetzender ökonomischer Abschwung gestoppt und umgekehrt werden kann? Es gibt sie in der Tat, auch wenn die Chancen nicht so offen auf der Hand liegen wie die Risiken. So hat sich in einigen Bereichen Erstaunliches getan: Das in den achtziger Jahre aufkommende Sammeltaxigewerbe ist für viele schwarze Südafrikaner oft nicht nur die einzige Möglichkeit, zu ihrer Arbeitsstelle zu gelangen, sondern es beschäftigt mittlerweile auch mehrere hunderttausend Personen. Auch der Tourismus erfreut sich zweistelliger Zuwachsraten. Besonders wichtig ist dieser Wirtschaftszweig, weil er kein hohes Qualifikationsniveau der Beschäftigten erfordert und sehr arbeitsintensiv ist. Als Faustregel gilt, daß neun Touristen eine direkte und zwei indirekte Arbeitsstellen schaffen. 1996 waren bereits über eine halbe Million Personen in diesem Wirtschaftszweig tätig.

Diese Sektoren allein werden jedoch nicht ausreichen, um den Abstieg Südafrikas vom Schwellen-zum Entwicklungsland aufzuhalten. Aber sie zeigen, daß es auch im harten Umstrukturierungsprozeß Lichtblicke gibt. Ökonomische Prosperität ist die Folge eines liberalen Ordnungsrahmens, einer berechenbaren Wirtschaftspolitik, rechtlicher und persönlicher Sicherheit, einer effizienten Verwaltung, motivierter Unternehmer sowie einer gutausgebildeten und leistungsbereiten Arbeiterschaft. Südafrika hat in der Ära Mandela in vielen Bereichen Fortschritte gemacht und die Wachstumsbedingungen verbessert. Da die meisten Probleme des Landes jedoch strukturell bedingt sind, wird die ökonomische Transformation noch viele Jahre in Anspruch nehmen. Dem neuen Präsidenten Mbeki ist ein langer Atem zu wünschen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. dazu F. H. Toase/E. J. Yorke (Hrsg.), The New South Africa: Prospects for Domestic and International Security, New York 1998; Ulrike Schumacher (Hrsg.), Das neue Südafrika: das Ende einer Illusion, Frankfurt a. M. -New York 1997; Michael Behrens/Robert von Rimscha (Hrsg.), Südafrika nach der Apartheid. Aspekte des politischen, sozialökonomischen und kulturellen Wandels in der Ära de Klerk, Baden-Baden 19962; Robert I. Rotberg/Greg Mills (Hrsg.), War & Peace in Southern Africa, Washington, D. C. 1998.

  2. Ausnahmen bilden die mit marxistischer Begrifflichkeit argumentierende, aber dennoch anregende Studie von Hein Marais, South Africa: Limits to Change. The Political Economy of Transformation, Cape Town 1998; und die primär volkswirtschaftliche Darstellung von Axel J. Halbach/Thomas Rohm, Das neue Südafrika: Wachstumsimpulse für den schwarzen Kontinent, München -Köln -London 1998.

  3. Vgl. Patti Waldmeir, Anatomy of a Miracle. The End of Apartheid and the Birth of the New South Africa, New York -London 1997, S. 10.

  4. Zum südlichen Afrika zählen folgende Länder: Südafrika, Namibia, Mozambique, Malawi, Lesotho, Angola, Botswana, Simbabwe, Sambia, Tansania und Swasiland. Vgl. Katherine Marshall, Regional Development Strategies and Challenges. Some Economic and Social Underpinnings, in: R. I. Rotberg/G. Mills (Anm. 1), S. 150-171, hier S. 152.

  5. Aubrey Dickmann, Foreign Capital and the Environment for Sustainable Growth. in: South Africa International, 17 (October 1986) 2, S. 62.

  6. Zit. in: B. Weimer (Anm. 2), S. 97.

  7. So argumentiert überzeugend Merle Lipton, Capitalism and Apartheid: South Africa 1910-1986, Oxford 1991.

  8. P. Waldmeir (Anm. 3), S. 26.

  9. Vgl. Siegmar Schmidt, Die Rolle der schwarzen Gewerkschaften im Dcmokratisicrungsprozeli Südafrikas 1979-1991, Hamburg 1992.

  10. Für einen Überblick über die Kosten der Apartheid vgl. B. Weimer (Anm. 2), S. 150-183.

  11. Vgl. Michael Savage, The Cost of Apartheid, in: Third World Ouarterly, 9 (1987) 2, S. 620.

  12. Vgl, B. Weimer (Anm. 2), S. 184.

  13. Financial Mail vom 5. 5. 1992, S. 24.

  14. Der Text der Freedom Charter vom 26. 6, 1955 findet sich in Thomas Karis/Gwendolen M. Carter, From Protest to Challcnge, A Documentary History of African Politics in South Africa 1882-1964, Vol. 3: Challcnge and Violence 1953-1964, Stanford 1977, S. 205-208.

  15. Zit. in: P. Waldmeir (Antn. 3), S. 104.

  16. Winfried Veit, Soziale Marktwirtschaft auf afrikanisch? Zur Debatte über die zukünftige Wirtschaftsordnung Südafrikas; in: M. Behrens/R. v. Rimscha (Anm. 1), S. 215-225, hier S. 222.

  17. So Mandela am 1. 5. 1994 in einem Interview mit der auflagenstarken südafrikanischen Wochenzeitung’ Sunday Times.

  18. Vgl. Robert Cameron. The Reconstruction and Development Programme, in: Journal of Theoretical Politics, 8 (1996) 2, S. 283-294.

  19. Nelson Mandela s State of the Nation Speech vom 24. 5. 1994. (http: //www.anc.org. za/ancdocs/history/mandela/1994/sp 940524. html vom 18. 2. 1999.)

  20. Zit. in: H. Marais (Anm. 2), S. 160.

  21. The Rational Heir, in: Financial Mail vom 3. 10. 1997.

  22. Vgl. A. J. Halbach/Th. Rohm (Anm. 2), S. 14-16.

  23. Vgl. Better But Worse, in: The Economist vom 27. 3. 1999, S. 48.

  24. Zit. in: Tiefe Risse in Südafrikas Regierungsallianz, in: Neue Zürcher Zeitung (Internationale Ausgabe) vom 6. 7 1998, S. 2.

  25. Alle Zahlen sind entnommen aus „Endergebnisse der Volkszählung 1996“, in: RSA 2000, (1998) 12, hrsg. von der Südafrikanischen Botschaft, Bonn 1998, S. 1-3.

  26. Vgl. John Chettle, After the Miracle. Can South Africa Be a Normal State?, in: The National Interest, (Spring 1997), S. 64-75, hier S. 70.

  27. Vgl. A. J. Halbach/Th. Rohm (Anm. 2), 67.

  28. Vgl. Address by President Nelson Mandela to Parliament vom 5. 2. 1999 (http: //www.anc.org. za/ancdocs/history/mandela/1999/nm 0205. htm, 5. 4. 1999).

  29. Vgl. Suzanne Daley, As South Africa Nears Vote, the Sound of Grumbling Grows Loud, in: International Herald Tribüne vom 23. 2. 1999, S. 1 f.

  30. Heribert Adam/Frcderik Van Zyl Slabbert/Kogila Moodley, Comrades in Business. Post-Liberation Politics in South Africa, Cape Town 1997, S. 163.

  31. Vgl. White South Africa on the Wing, in: The Economist vom 6. 6. 1998, S. 49 f.

  32. Vgl. Impending Disaster Goes Beyond Mortality Rates, in: Financial Mail vom 5. 3. 1999, S. 142 f.

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Stephan Bierling, Dr. phil., Dr. rer. pol. habil., geb. 1962; Privatdozent am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München; 1996 Ludwig-Erhard-Förderpreis für Wirtschaftspublizistik; Gastdozenturen in den USA und Südafrika. Veröffentlichungen u. a.: Partner oder Kontrahenten? Präsident und Kongreß im außenpolitischen Entscheidungsprozeß der USA (1974-1989), Frankfurt a. M. -New York 1992; Wirtschaftshilfe für Moskau. Motive und Strategien der Bundesrepublik Deutschland und der USA (1990-1996), Paderborn 1998; 50 Jahre bundesdeutsche Außenpolitik, München 1999; zahlreiche Aufsätze zur Innen-, Wirtschafts-und Außenpolitik der USA und Deutschlands.