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Entwicklung durch „Industriepolitik“? | APuZ 10/1999 | bpb.de

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APuZ 10/1999 Entwicklung durch „Industriepolitik“? Weltwirtschaftliche Öffnung im Entwicklungsprozeß: Wieviel Kapitalverkehrsfreiheit vertragen Entwicklungsländer? Konsequenzen des globalen Bevölkerungswachstums für die internationale Politik

Entwicklung durch „Industriepolitik“?

El-Shagi El-Shagi

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Vielfach wird eine aktive „Industriepolitik“, die auf Marktlenkung abstellt, als der richtige Weg zur Überwindung der Unterentwicklung angesehen. Vertreter dieser Position weisen in diesem Zusammenhang auf die Entwicklungserfolge ostasiatischer Länder hin, die einer solchen Politik zu verdanken sein sollen. Die betreffenden Autoren versuchen dementsprechend, die Voraussetzungen und Mechanismen für die Realisierung dieser Industriepolitik herauszuarbeiten, um Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit dieses Entwicklungsweges beurteilen zu können. Eine nähere Betrachtung, die auch den Erfahrungen aus der gegenwärtigen Krise in Ost-bzw. Südostasien Rechnung trägt, zeigt, daß die Erklärung der Erfolge der betreffenden Länder durch industriepolitische Interventionen fragwürdig ist. Und die Versuche einer Analyse der Voraussetzungen und Mechanismen für die Durchsetzung dieser Interventionen sind hinsichtlich der Bestimmung von Wegen zur Überwindung der Unterentwicklung wenig hilfreich. Die betreffenden Länder verdanken ihre Entwicklungserfolge weniger industriepolitischen Interventionen und Lenkungsmaßnahmen als vielmehr ihrer verstärkten Marktorientierung und Bemühung um Integration in die Weltwirtschaft. Die betriebenen Interventionen und Lenkungsmaßnahmen gehören sogar zu den Faktoren, die die gegenwärtige Krise in der Region mit verursacht haben. Die Lehren, die sich für die Entwicklungspolitik aus den Erfahrungen dieser Länder ergeben, können nicht darin liegen, wie sie eine Lenkungspolitik erfolgreich gestalten und durchsetzen konnten. Sie hegen vielmehr in der Art und Weise, wie sie flexibel reagieren und die notwendigen Reformen nach Fehlentwicklungen bewerkstelligen konnten, sowie in dem (auch) durch sie untermauerten empirischen Beleg, daß der marktwirtschaftliche Entwicklungsweg durchaus auch für Entwicklungsländer bzw. allgemein relevant und erfolgversprechend ist.

Die trotz der gegenwärtigen Finanz-und Wirtschaftskrise beeindruckenden Entwicklungserfolge der neu industrialisierten ostasiatischen Länder, der sogenannten , vier Tiger Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan sowie der Nachzügler in der Gruppe der NICs (New Industrialized Countries), Indonesien, Malaysia und Thailand, werden von verschiedenen Entwicklungsforschern als das Ergebnis einer aktiven Industriepolitik bzw. Marktlenkung angesehen, die im wesentlichen auf die Förderung erfolgversprechender Sektoren mit hohen Wachstums-bzw. Produktivitätssteigerungspotentialen abstellt. Die Vertreter dieser Position versuchen dementsprechend, die Voraussetzungen und Mechanismen für die Realisierung einer solchen Industriepolitik herauszuarbeiten, um Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit dieses Entwicklungsweges beurteilen zu können.

Im folgenden gilt es zu zeigen, daß die o. a. Erklärung der Erfolge der betreffenden ostasiatischen Länder fragwürdig ist. Die Versuche einer Analyse der Voraussetzungen und Mechanismen für die Durchsetzung dieser Interventionen sind deshalb hinsichtlich der Bestimmung von Wegen zur Über-windung der Unterentwicklung wenig hilfreich. Vieles spricht dafür, daß die Entwicklungserfolge der betrachteten Länder weniger auf interventionistische Industriepolitik zurückzuführen sind als vielmehr auf die Schaffung günstiger Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Wettbewerb. Das heißt, sie haben ihre Erfolge weniger durch interventionistische Industriepolitik oder, wie oft betont wird, ein „governing the market“ 2 erzielt, sondern vielmehr trotz mancher industriepolitischer Interventionen.

I. Die Entwicklungserfolge ostasiatischer Länder

Die unstrittigen Entwicklungserfolge der ostasiatischen Länder zeigen sich u. a. darin, daß der Anteil der , Tiger-Staaten an den Weltindustrieexporten von 1, 5 Prozent im Jahre 1965 auf 7, 9 Prozent schon im Jahr 1990 gestiegen ist. Damit war der betreffende Anteil dieser Länder 1990 rund 60 Prozent höher als der aller anderen Entwicklungsländer zusammen -und sogar 125 Prozent höher, wenn die Länder Indonesien, Malaysia und Thailand von der restlichen'Entwicklun Prozent im Jahre 1965 auf 7, 9 Prozent schon im Jahr 1990 gestiegen ist. Damit war der betreffende Anteil dieser Länder 1990 rund 60 Prozent höher als der aller anderen Entwicklungsländer zusammen -und sogar 125 Prozent höher, wenn die Länder Indonesien, Malaysia und Thailand von der restlichen'Entwicklungsländer-gruppe abgezogen werden. Im Vergleich dazu lag 1965 der betrachtete Exportanteil der Higer-Staaten'signifikant unter einem Sechstel des Gesamt-anteils aller anderen Entwicklungsländer. Indonesien, Malaysia und Thailand haben 1965 nur einen vernachlässigbaren Anteil von 0, 1 Prozent der Weltindustrieexporte erreicht -gegenüber 1, 5 Prozent 1990 3.

Auch die erzielten Wachstumsergebnisse des Bruttoinlandsprodukts der betrachteten ostasiatischen Länder sind beeindruckend. Dies kommt zum Ausdruck in durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten für Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan in den sechziger und siebziger Jahren von acht bis zehn Prozent 4. Und während sich das Wachstum der Weltwirtschaft stark verlangsamt hat. konnte Südkorea noch in den achtziger Jahren eine durchschnittliche Wachstumsrate von 9, 7 Prozent erzielen -und von 1990 bis 1995 eine von 7, 2 Prozent. Die entsprechenden Zahlen lagen für Hongkong bei 7, 1 bzw. 5, 6 Prozent und für Singapur bei 6, 1 bzw. 8, 7 Prozent 5. Interessant bei die-sen beachtlichen Wachstumserfolgen ist noch, daß nach Daten der Weltentwicklungsberichte der Weltbank die Einkommensverteilung sich zumindest in Südkorea nivellierter gezeigt hat als in vielen anderen Entwicklungsländern -etwa in Ländern wie Tansania und Indien, und zwar in Phasen, in denen diese Länder eine „sozialistische“ Orientierung angestrebt haben.

Die Versuche, die Entwicklungserfolge als zu hoch bzw. die Leistung des Entwicklungsweges der betrachteten ostasiatischen Länder als überschätzt darzustellen, indem, wie von Krugman bemängelt wird, daß das erzielte Wachstum lediglich ein „extensives“ Wachstum sei, das auf einer Erweiterung der Produktionsgrundlage bzw.dem vermehrten Einsatz von Produktionsfaktoren basiert, überzeugen nicht. Diese Kritik stellt darauf ab. daß ein solches Wachstum sich zwangsläufig erschöpfen wird bzw. keine anhaltende Entwicklung gewährleistet, die ein „intensives“ Wachstum erfordert, welches mehr auf Effizienz-bzw. Produktivitätssteigerung und technischen Fortschritten aufbaut. Dagegen spricht schon die Tatsache, daß Japan als das Land, das den wirtschaftlichen Aufstieg Ostasiens eingeleitet hat, ohne Zweifel den Übergang zu einem ausgeprägt „intensiven“ Wachstum mit hoher Innovationsdynamik geschafft hat und heute die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt darstellt und daß es trotz der gegenwärtigen Krise die mit Abstand höchste Arbeitsproduktivität aufweist Es stellt sich die Frage, warum die anderen nachholenden ostasiatischen Staaten ein verstärkt „intensives“ Wachstum nicht realisieren können. Wichtiger ist noch, wie eine nähere Betrachtung zeigt, daß den betreffenden Ländern, vor allem den vier , Tiger-Staaten 1, längst beachtliche Ansätze eines „intensiven“ Wachstums nicht abgesprochen werden können. So sind z. B. die Arbeitsproduktivitäten in Südkorea, Singapur und Hongkong in Relation zu der Arbeitsproduktivität in der Bundesrepublik Deutschland von 14, 0 bzw. 32, 3 und 33, 8 Prozent im Jahr 180 auf 31, 9 bzw. 71, 5 und 77, 3 Prozent 1994 gestiegen 9. Zu unterstellen, daß ein solches starkes Aufholen in der Produktivität gegenüber der Bundesrepublik Deutschland -als einem der höchstentwickelten Industriestaaten -innerhalb von 15 Jahren, und dies nach zwei Jahrzehnten Rekordwachstum in den betreffenden ostasiatischen Ländern, ohne Effizienzsteigerung und beachtliche Innovationsdynamik zu erzielen wäre, ist realitätsfern. Und soweit die für die Überwindung der gegenwärtigen Krise in der Region, die von den , Tiger-Staaten‘ insbesondere Korea getroffen hat, erforderlichen Reformen, die sich im wesentlichen auf eine Sanierung des Finanzsektors und Stärkung des Wettbewerbs beziehen durchgeführt worden sind, ist eine wieder forcierte Entwicklung dieser Länder zu erwarten.

II. Zu den Interventionismusbelegen

Die Behauptung, daß die Entwickungserfolge erfolgreicher ostasiatischer Länder auf interventionistische Industriepolitik zurückzuführen sind, wird schon durch die Tatsache stark relativiert, daß die Realität in diesen Ländern nicht dem oft unterstellten extrem interventionistischen Bild entspricht. So wird z. B.der Begriff Interventionen für staatliche Aktivitäten verwendet, die keinen Eingriff in den Marktmechanismus darstellen oder deren Wahrnehmung durch den Staat von Vertretern der liberalen Schule bzw. einer marktwirtschaftlichen Orientierung kaum als ein Problem angesehen wird, sondern vielmehr als eine notwendige Ergänzung zur wettbewerbsbestimmten Steuerung der Wirtschaft In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß selbst radikale Liberale wie Hayek das „Laissez-faire" als Leitbild ablehnen. Er warnt sogar ausdrücklich vor einem solchen engen Verständnis des Wirtschaftsliberalismus Und es dürfte kaum möglich sein, heute einen ernstzunehmenden Ökonomen liberaler Prägung zu finden, der für eine „Laissez-faire" -Ordnung eintritt. Es ist deshalb irreführend, wenn schon die Weltbank, die im Grunde nicht als Vertreter eines interventionistischen Entwicklungsweges anzusehen ist, in bezug auf die betreffenden ostasiatischen Länder von erfolgreichen staatlichen „Interventionen“ spricht um dann die Bereitstellung von öffentlichen Gütern als eine solche staatliche Aktivität anzuführen. Denn die Bereitstellung öffentlicher Güter gehört nach Auffassung der liberalen Schule unstrittig zu den vom Staat wahrzunehmenden Aufgaben.

Sicherlich betreiben die erfolgreichen ostasiatischen Länder vielfältige Interventionen, die klar über die von der liberalen Schule als notwendig bzw. zulässig angesehene Ergänzung der wettbewerbsmäßigen Steuerung der Wirtschaft -wie [etwa eine adäquate Umweltpolitik, Lenkung der Verwendung natürlicher Ressourcen im Sinne einer stärkeren Zukunftsorientierung oder Regulierung der Siedlungsaktivitäten durch angemessene Städte-und Raumplanungsmaßnahmen -

hinausgehen. Es ist kaum strittig, daß die betreffenden Länder in ihren ersten Aufstiegsphasen von solchen Interventionen mehr oder weniger stark Gebrauch gemacht haben. In diesem Zusammenhang darf allerdings nicht vergessen werden, daß -wie die Diskussion der Wettbewerbsordnung und marktwirtschaftlichen Transformation zeigt -

in nachholenden Volkswirtschaften dem Staat zusätzliche situationsbedingte Aufgaben zufallen.

Eine nähere Betrachtung der Wirtschaftspolitik bzw.des Entwicklungsweges der betreffenden ostasiatischen Länder zeigt, daß manche der von ihnen betriebenen Interventionen aus der Sicht der liberalen Schule bzw.der Befürworter marktwirtschaftlicher Entwicklung als gerade noch tolerierbare bzw. entwicklungsadäquate temporäre Eingriffe des Staates anzusehen sind. Sie zeigt auch, daß die betreffenden Länder (mit graduellen Unterschieden) ein Ausmaß an marktwirtschaftlich orientierter bzw. auf Weltmarktintegration ausgerichteter Entwicklungspolitik aufweisen, das sie von den übrigen Entwicklungsländern klar abhebt. Selbst einen Vergleich mit manchen westlichen Industriestaaten brauchen sie in bezug auf Interventionsintensität und Grad der Preisverzerrung nicht zu scheuen.

III. Fragwürdigkeit der Erklärung der Entwicklungserfolge ostasiatischer Länder durch interventionistische Industriepolitik

Vertreter der Position, daß die Entwicklungserfolge ostasiatischer Länder auf eine interventionistische Industriepolitik bzw. Marktlenkung zurückzuführen sind, sehen ihre Vorstellung durch das Zusammentreffen von Interventionen und Entwicklungserfolgen in den betreffenden Ländern als belegt an. Für manche Autoren ist sogar schon der Tatbestand, daß „Preisverzerrungen auf den Märkten“, die bestimmte Unternehmen bzw. Sektoren begünstigen (hier im Sinne der Förderung der Erfolgreichen bzw. Erfolgversprechenden), gezielt bzw. „politisch bewußt herbeigeführt“ worden sind, ein Beleg für den Erfolg interventionistischer Politik

Daß Marktlenkung und Preisverzerrungen als sinnvoll angesehen werden, nur weil sie gezielt bzw. politisch bewußt herbeigeführt worden sind, kann nicht akzeptiert werden. Denn nach dieser Logik wären Interventionismus und zentrale Planung und Lenkung allgemein als sinnvoll anzusehen. Als sinnvoll können Interventionen und Lenkungsmaßnahmen nur dann betrachtet werden, wenn plausibel bzw. überzeugend eine Kausalität zwischen den betreffenden Interventionen und Lenkungsmaßnahmen auf der einen Seite und den festgestellten Erfolgen auf der anderen aufgezeigt werden kann -und dies wird von Vertretern der These vom erfolgreichen Interventionismus und ebensolcher Wirtschaftslenkung in den betrachteten ostasiatischen Ländern nicht geleistet.

Auch die Schlußfolgerung, daß Interventionen und Lenkungsmaßnahmen Entwicklungserfolge bewirkt haben sollen, weil sie manchmal zeitlich zusammen mit diesen festgestellt werden, ist ohne eine aufgezeigte Kausalität ebenso unzulässig. Und vieles spricht eher dafür, daß Interventionismus und Wirtschaftslenkung kaum eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung bewirken können bzw. dafür kaum notwendig sind. In diesem Zusammenhang sei u. a. auf folgendes hingewiesen: -Wirtschaftliche Entwicklung durch Wirtschaftslenkung im Sinne einer interventionistischen Industriepolitik setzt voraus, daß der Staat weiß, wel-ehe Branchen eine größere Zukunft haben werden als andere und deshalb gefördert werden sollen. Ferner wird dabei unterstellt, daß die privaten Unternehmer die entsprechenden Informationen nicht haben können. Hier stellt sich die Frage, wieso der Staat bzw. die Mitarbeiter staatlicher Institutionen zuverlässigere Informationen über die Zukunft haben bzw. eine bessere Prognosefähigkeit aufweisen sollen als die privaten Unternehmen, die sich mehr bemühen dürften, da sie die direkten Nutznießer richtiger Entscheidungen sind und bei Fehlentscheidungen die Verluste zu tragen haben. -Die Vorstellung, daß das Informationsproblem relativiert oder gar umgangen werden kann, indem die Förderung auf erfolgreiche Industrien abstellt, die marktmäßig entstehen, und daß dies eine Unterstützung der Marktkräfte darstellen würde, überzeugt nicht. Denn es stellt sich die Frage, wieso gerade diejenigen, die im Markt erfolgreich sind, zusätzlich gefördert und dadurch andere diskriminiert werden. Dabei ist zu beachten, daß auch die Förderung der Erfolgreichen eine Verzerrung der Märkte darstellt, und es dürfte kaum überzeugend zu begründen sein, daß eine Ausdehnung der betreffenden Industrien bzw. Aktivitäten über das Ausmaß hinaus, das sich marktmäßig ergibt, tatsächlich sinnvoll bzw. entwicklungsgerecht ist, solange die Politikträger bzw. die Planungsinstitutionen nicht die erforderlichen Informationen über die Zukunft haben, was kaum ernsthaft unterstellt werden kann. -Ein weiteres grundlegendes Problem jeglicher staatlicher Wirtschaftslenkung bildet das nicht lenkungskonforme Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer. So führen Investitionsförderungsmaßnahmen nicht zwangsläufig zu einer Zunahme der Investitionen. Dies ergibt sich nicht nur dadurch, daß die Investitionstätigkeit in nicht geförderten (und damit diskriminierten) Bereichen beeinträchtigt wird. Auch in den geförderten Bereichen dürften sich negative Wirkungen ergeben, indem z. B. Investitionen in der Erwartung stärkerer Förderungsmaßnahmen verzögert werden und der Investitionsansporn durch förderungsbedingte Wettbewerbsbeschränkung geringer wird; die gleichen negativen Wirkungen gelten für Förderung von Forschungs-und Entwicklungsaktivitäten bzw. für Innovationsförderung. -Es darf ferner nicht vergessen werden, daß Systeme differenzierter Förderung die Anreiz-strukturen in der Wirtschaft verzerren und unternehmerische Fähigkeiten fehllenken, indem die Unternehmer ihre Bemühungen verstärkt auf die Nutzung staatlicher Förderung und die Beeinflussung der staatlichen Interventionen zu ihren Gunsten ausrichten.

Außerdem darf nicht übersehen werden, daß die Intensität industriepolitischer Interventionen und die Reichweite der Lenkungsversuche in den betreffenden ostasiatischen Ländern signifikante Unterschiede aufweisen. Die Länder, die die relativ stärkeren Interventionen bzw.sektoralen Lenkungsversuche aufweisen, sind keineswegs die erfolgreicheren.

Eine nähere Betrachtung der Entwicklung erfolgreicher ostasiatischer Länder zeigt, daß industrie-politische Lenkungsmaßnahmen sich oft negativ ausgewirkt haben, während andere Faktoren eher für die feststellbaren Erfolge verantwortlich gemacht werden können oder auf eine Relativierung der negativen Wirkungen der betreffenden Interventionen hingewirkt haben: -So wurde z. B. die Förderung der Schwerindustrie in Südkorea von den Politikträgern als Fehler erkannt und ab 1980 revidiert. Und in Singapur erfolgte Anfang der achtziger Jahre eine Abwendung von dem Versuch, die Wirtschaftsstruktur durch „künstlich hohe Lohnsteigerungen“ zu lenken, nachdem die sich ergebenden Preisverzerrungen zu einer schweren Rezession geführt hatten -In manchen Fällen haben sich ferner Interventionen nicht negativ ausgewirkt, weil sie die Wirkung anderer Interventionen neutralisiert haben s. Dies gilt z. B. für den Ausgleich einer protektionismusbedingten Diskriminierung des Exports durch Exportförderungsmaßnahmen. -Ein scheinbar positiver Zusammenhang zwischen interventionistischer Industriepolitik und wirtschaftlicher Entwicklung wurde auch verschiedentlich dadurch begünstigt, daß verstärkte Lenkungspolitik zeitlich mit externen entwicklungsfördernden Faktoren zusammenfiel. So sei hier an den durch den Korea-Krieg in Japan induzierten Boom Anfang der fünfziger Jahre wie auch an die wirtschaftlichen Gewinne Koreas durch den Vietnamkrieg und den Bauboom im Nahen und Mittleren Osten infolge der massiven Expansion der Öleinnahmen in diesen Ländern nach 1973 erinnert

Schließlich dürfte spätestens seit der Asienkrise kaum noch ernsthaft behauptet werden können, daß industriepolitische Lenkung eine positive Komponente des ostasiatischen Entwicklungswegs darstellt. So ist diese Krise nicht nur auf Defizite der Währungspolitik und die Vernachlässigung mancher wichtiger Aufgaben des Staates im Rahmen der Marktwirtschaft -wie nicht zuletzt die Gewährleistung der notwendigen Bankenaufsicht wie auch die Verhinderung der Vermachtung von Märkten -zurückzuführen, sondern auch in einem nicht zu unterschätzenden Maße auf staatliche Lenkungsmaßnahmen, die sich u. a. auf Kreditvergabe bzw.selektive Förderung von Industrien beziehen

IV. Wettbewerb und Marktwirtschaft als wichtige Entwicklungsgrundlage

Trotz der in den verschiedenen erfolgreichen ostasiatischen Staaten -in manchen (wie Korea) mehr und in anderen (wie Hongkong und Singapur) weniger -versuchten Ansätze interventionistischer Industriepolitik ist festzustellen, daß diese im Kern eine verstärkte marktwirtschaftliche Orientierung erstreben und bei allen sich im Zusammenhang mit der Asienkrise offenbarten Defiziten doch elementare Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Wettbewerb zunehmend geschaffen bzw. geboten haben. So stellt die Weltbank zu Recht fest, daß die betreffenden Länder stabile makroökonomische Rahmenbedingungen weitgehend gewährleistet und dabei großen Wert auf stabilitätsorientierte Geld-und Fiskalpolitik gelegt haben. Ferner achteten sie darauf, daß weitere wichtige Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Wettbewerb erfüllt sind, wie die Gewährleistung rechtlicher Sicherheit, eine befriedigende infrastrukturelle Ausstattung und die Sicherung eines guten Angebots an Humankapital durch entsprechende Bildungssysteme.

Die betreffenden Länder haben zumindest im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern nicht nur positive Voraussetzungen für einen leistungsfähi-gen Wettbewerb aufzuweisen, sie haben auch konkret eine stärkere marktwirtschaftliche Orientierung praktiziert. Diese zeigt sich nicht zuletzt in einer Öffnung für ausländische Investitionen und ausländische Technologien sowie in einer Außenhandelspolitik, die nach gewissen Importsubstitutionsphasen heute nicht weniger liberal (bzw. nicht protektionistischer) ist als die der meisten westlichen Industriestaaten und eine ausgeprägte Ausrichtung auf Integration in die Weltwirtschaft aufweist. Wichtig ist auch, wie u. a. die Weltbank feststellt daß diese Länder sich meistens darum bemüht haben, daß die vorgenommenen Interventionen nicht extrem sind und die relativen Preise und damit die wettbewerbsmäßige Steuerung der Wirtschaft nicht stark verzerren. Und nicht minder wichtig hinsichtlich der Leistung des Systems ist, daß flexibel vorgegangen wurde, indem beim Mißerfolg die Interventionen zurückgenommen wurden. Diese flexible Reaktion der Politikträger, die die negativen Wirkungen von Interventionen wesentlich beschränken konnte, ist eine Fähigkeit, die selbst in den meisten westlichen Industriestaaten -zumindest in dieser Ausprägung -zu vermissen ist.

V. Lehren für die Entwicklungspolitik

1. Beschränkte Bedeutung des Abstellens auf die Durchsetzbarkeit staatlicher Lenkung Die Vertreter der Position, daß die ostasiatischen Länder ihre Entwicklungserfolge staatlicher Lenkung und interventionistischer Industriepolitik verdanken, stellen in der Regel ihre Analyse und Schlußfolgerung stark darauf ab, die Durchsetzbarkeit staatlicher Interventionen bzw. Wirtschaftslenkung in den betreffenden Ländern zu erklären. In diesem Zusammenhang werden im wesentlichen drei Thesen vertreten:

1. Diese Länder verfügen über einen starken „Entwicklungsstaat“

2. Sie weisen entwicklungsdienliche ausreichende formelle und institutioneile Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Verwaltung auf.

3. Kulturelle Besonderheiten begünstigen die Entwicklung in diesen Ländern.Daß interventionistische Industriepolitik und Wirtschaftslenkung die Entwicklungserfolge ostasiatischer Länder nicht begründen, relativiert die entwicklungspolitische und -strategische Bedeutung der Durchsetzbarkeit einer solchen Politik und der Übertragbarkeit der dafür als relevant erachteten Faktoren. Es ist aber zu beachten, daß die Analyse der Durchsetzbarkeit staatlicher Maßnahmen und Eingriffe auch bei Infragestellung einer Zurückführung der Entwicklungserfolge auf interventionistische Industriepolitik und Wirtschaftslenkung bedeutsam bleibt. Denn, wie erwähnt wurde, die Entscheidung für Marktwirtschaft im Sinne einer leistungsfähigen Wettbewerbsordnung bedeutet nicht, daß dem Staat keine zentralen Aufgaben zufallen, die teilweise sogar korrigierende’ Eingriffe in die wettbewerbsmäßige Steuerung darstellen. Aus diesem Grunde erscheint die Überprüfung der Faktoren, die als ausschlaggebend für die Durchsetzbarkeit staatlicher Eingriffe und Lenkung in den erfolgreichen ostasiatischen Ländern hervorgehoben werden, angebracht.

Betrachtet man die These des starken „Entwicklungsstaates“, ist klarzustellen, daß ein starker Staat nicht mit einem interventionistischen, dirigistischen Staat gleichzusetzen ist, der versucht, die Wirtschaft streng zu lenken oder gar zu kontrollieren bzw. zu dominieren. Ein solcher Staat ist oft schwach und politisch instabil. Demgegenüber ist ein starker Staat ein politisch stabiler Staat, der eventuell (temporär) schmerzliche Reformen durchsetzen bzw. überstehen kann und nicht zuletzt rechtliche Sicherheit und Sicherheit für Person und Eigentum gewährleistet. In diesem Sinne ist der starke Staat eine wichtige Voraussetzung für einen leistungsfähigen Wettbewerb; und in der Tat konnten die erfolgreichen ostasiatischen Länder einen (im Vergleich zu den meisten Entwicklungsländern) starken Staat aufweisen, und dieser hat die Entwicklung in diesen Ländern begünstigt.

Kritischer muß das Urteil ausfallen, wenn der Zusatz „Entwicklungsstaat“ einbezogen wird. Versteht man „Entwicklungsstaat“ als einen Staat, der nicht nur bestrebt ist, die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine leistungsfähige Wettbewerbsordnung zu erfüllen und die zum Wettbewerb notwendigen ergänzenden bzw. korrigierenden Maßnahmen wahrzunehmen, sondern -wie es meist von denjenigen, die den „Entwicklungsstaat“ als charakteristisch für die erfolgreichen ostasiatischen Staaten hervorheben, getan wird -auch die Fähigkeit hat, die Wirtschaft zu beherrschen und entwicklungsgerecht zu lenken, ist dieser Staat nicht zuletzt aufgrund des bereits erläuterten Informationsproblems und der Schwierigkeit, das Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer zu kontrollieren, eine Utopie.

Die Verflechtung zwischen Wirtschaft und Staat wird u. a. darin gesehen, daß intensive persönliche Beziehungen zwischen den Eliten in Staat und Wirtschaft bestehen, die dem Staat die Durchsetzung seiner Ziele über informelle persönliche Kontakte ermöglichen Ein anderer Weg der Verflechtung und staatlichen Einflußnahme soll sich durch den Wechsel von hohen Beamten und Funktionären in die Wirtschaft ergeben Die Existenz solcher persönlicher informeller Beziehungen zwischen Eliten in Politik, staatlicher Verwaltung und Wirtschaft liegt nahe und ist auch allgemein in anderen Ländern mehr oder weniger feststellbar. Es ist aber zu bezweifeln und wird keineswegs überzeugend belegt, daß der Staat über solche Wege gezielt und konsequent eine Lenkungspolitik bewerkstelligen kann. So liegt es z. B. auch auf der Hand, daß Unternehmen bestehende persönliche Kontakte nutzen, um eigene Interessen bei Politik und staatlicher Verwaltung durchzusetzen. Und vielfach dürften sogar Unternehmen Politiker oder hohe Beamte einstellen, um durch sie nützliche Kontakte zu pflegen. Und es spricht kaum etwas dafür, daß die betreffenden Beziehungsverflechtungen eher der Einflußnahme durch den Staat dienen. Untersuchungen, die der Beschäftigung ehemaliger Beamter in der Wirtschaft z. B. in Japan nachgehen, zeigen keineswegs eine Positionierung der betreffenden Personen in die Wirtschaft, welche die Annahme einer Politik der Einflußnahme seitens des Staates rechtfertigt

Schließlich zeigt nicht zuletzt die gegenwärtige Asienkrise, daß die Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Staat Korruption und Vergünstigungen zur Folge haben können, die auch die gesamtwirtschaftliche Effizienz beeinträchtigen und die Anfälligkeit für Krisen steigern können.

Bezüglich der kulturellen Besonderheiten wird besonders betont, daß sowohl Japan als auch die vier , Tiger-Staaten‘ dem konfuzianischen Kulturkreis angehören und in den drei Nachzügler-Staaten Indonesien, Malaysia und Thailand konfuzianische chinesische Minderheiten eine tragende Rolle in der Wirtschaft spielen. Dabei wird hervorgehoben, daß die Akzeptanz von Unterordnung im Sinne des konfuzianischen Verhaltens das bereitwillige Befolgen staatlicher Vorstellungen begünstigt. Diese These ist weder empirisch untermauert, noch kann sie als plausibel angesehen werden. So stellt sich die Frage, wieso gerade Unternehmer in Ländern, die eine massive Entwicklungsdynamik und die weltweit besten Wachstumsergebnisse über Jahrzehnte aufweisen konnten, durch die Akzeptanz von Unterordnung bzw. einfügsames Verhalten gekennzeichnet sein sollen. Ferner kann ohnehin nicht geleugnet werden, daß die alten westlichen Industriestaaten ihre Entwicklung ohne konfuzianische Tradition geschafft haben und daß sogar die Eigenschaft der Unterordnung in einem auffälligen Widerspruch zu dem Bild des hier herrschenden erfolgreichen dynamischen Unternehmers nach Schumpeter steht. 2. Die Übertragbarkeit ostasiatischer Erfahrungen Die wichtigste Lehre aus der Politik industriepolitischer Interventionen und Lenkungsversuche in den erfolgreichen ostasiatischen Ländern dürfte die Art und Weise sein, wie diese Länder bei negativen Wirkungen eine Revision ihrer Politik bzw. Rücknahme der betreffenden Maßnahmen bewerkstelligen konnten. Die hier praktizierte Flexibilität ist nicht nur eine Frage der Erkenntnis bzw. Überzeugung hinsichtlich der Unsicherheit der Wirkung von Eingriffen in den Marktmechanismus und der Notwendigkeit der Vermeidung weitgehender Verzerrungen. Sie setzt auch den politischen Willen und vor allem die Fähigkeit voraus, getätigte Interventionen zu revidieren bzw. die notwendigen Reformen durchzuführen. Dies erfordert wiederum ein Mindestmaß an politischer Stabilität und einen starken, um das Gemeinwohl bemühten Staat. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann insbesondere in Entwicklungsländern nicht als allgemein gewährleistet angesehen werden. Das heißt, Entwicklungsländer müssen sich zwar um die Erfüllung der genannten Voraussetzungen bemühen, da diese für die Marktwirtschaft und überhaupt für den Erfolg jedes Entwicklungsweges wichtig sind, sie müssen sich aber ebenso als Konsequenz einer Nichterfüllung dieser Voraussetzungen bei Interventionen in den Marktmechanismus mehr zurückhalten.

Berücksichtigt man, daß die Entwicklung in den erfolgreichen ostasiatischen Ländern im wesentlichen auf ihre im Vergleich zu der Masse der Entwicklungsländer stärkere marktwirtschaftliche Orientierung zurückzuführen ist, stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit der positiven marktwirtschaftlichen Erfahrungen dieser Länder auf andere Entwicklungsländer. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß die betreffenden ostasiatischen Länder eine Reihe wichtiger Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Wettbewerb aufweisen, die in anderen Entwicklungsländern nicht bzw. nicht in diesem Maße erfüllt sind. Wichtig dabei ist, daß auch in diesen Ländern die betreffenden Voraussetzungen in den anfänglichen Entwicklungsphasen weniger erfüllt waren als heute und daß sie diese Voraussetzungen schrittweise zunehmend erfüllen konnten. In diesem Sinne belegt die Entwicklung der erfolgreichen ostasiatischen Länder die Übertragbarkeit des marktwirtschaftlichen Entwicklungsweges auf Länder anderer Kulturbereiche. Dies darf bei näherer Betrachtung nicht verwundern. Denn grundlegend bei der Beurteilung der Übertragbarkeit von Marktwirtschaft ist, ob und wie schwer es ist, nicht erfüllte Voraussetzungen zu realisieren, und inwieweit die unzulängliche bzw. beschränkte Realisierung von Voraussetzungen das Marktergebnis beeinträchtigt. Eine sachliche Beantwortung dieser Fragen spricht klar für die erfolgreiche Übertragbarkeit marktwirtschaftlicher Entwicklung. So kann kaum eine zwingende Begründung dafür genannt werden, warum materielle, organisatorische oder institutionelle Voraussetzungen für eine befriedigende Funktion der Marktwirtschaft, wie infrastrukturelle Erschließung, ausreichende Markttransparenz, funktionierende Staatsverwaltung, Wettbewerbsschutz und eine Rechtsordnung, welche Sicherheit für Person und Eigentum und die Wahrung des Haftungsprinzips gewährleistet, nicht in hinreichendem Maße in Entwicklungsländern sukzessive erreicht werden kann. Dabei darf nicht vergessen werden, daß mehrere der genannten Voraussetzungen auch für die Realisierung einer erfolgreichen Lenkung bzw. Kontrolle des Wirtschaftsprozesses erfüllt sein müssen. Insgesamt betrachtet sind sogar die Anforderungen eines Systems der Lenkung und Kontrolle in bezug auf verschiedene Voraussetzungen, so z. B. auf den Verwaltungsapparat, der hier weit differenziertere und schwierigere Aufgaben zu bewältigen hat, schwieriger zu erfüllen. Hinzu kommen weitere Voraussetzungen einer erfolgreichen Lenkung und Kontrolle, die -im Gegensatz zu den Voraussetzungen einer funktionierenden Marktwirtschaft -als kaum erfüllbar anzusehen sind wie die nicht bewältigbaren Informationsanforderungen Hinsichtlich der verhaltensmäßigen Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Wettbewerb, wie vor allem das Streben der (meisten) Individuen nach Nutzen-bzw. Gewinnmaximierung und die Entfaltung unternehmerischer Fähigkeiten, ist ebenso kein grundlegendes Hindernis für eine allgemeine marktwirtschaftliche Entwicklung in der Dritten Welt zu sehen. Hier bestätigen die Erfahrungen der erfolgreichen ostasiatischen Länder die Ergebnisse empirischer Untersuchungen, die zeigen, daß auch in anderen Entwicklungsländern -und selbst in den am wenigsten entwickelten -die große Mehrheit der Wirtschaftsteilnehmer sich nutzen-bzw. gewinnorientiert verhält und auf Marktsignale ökonomisch rational reagiert Wiederum zeigt die beeindruckende Entfaltung unternehmerischer Aktivitäten in den erfolgreichen ostasiatischen Ländern, daß das Problem vieler Entwicklungsländer nicht in einem Defizit an Wirtschaftsteilnehmern liegt, die die Funktion des dynamischen Unternehmers in der Marktwirtschaft ausüben können, sondern vielmehr in der Tatsache, daß der Staat in diesen Ländern die Entfaltung unternehmerischer Fähigkeiten in verschiedener Weise beeinträchtigt und fehlleitet. In diesem Zusammenhang sei u. a. erinnert an die Verunsicherung der Investoren durch inflatorische Geldpolitik und mangelnde Kontinuität der Wirtschaftspolitik wie auch die Behinderung und Verzögerung unternehmerischer Aktivitäten durch wuchernde Bürokratie und verschiedene bürokratische Hindernisse wie Lizenzzwang, Restriktionen für Exporte und Produktionsgüterimporte sowie Beeinträchtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch häufige Überbewertung der einheimischen Währung. Nicht nur in den führenden und nachholenden ostasiatischen Ländern, sondern auch in einer Reihe anderer Entwicklungsländer, die um marktwirtschaftliche Reformen bemüht sind und in diesem Zusammenhang eine konsequente Inflationsbekämpfung und Staatshaushaltssanierung betreiben und Erfolge bei Deregulierung, außenwirtschaftlicher Liberalisierung und der Vermeidung einer Überbewertung ihrer Währungen aufweisen, ist eine Zunahme der unternehmerischen Aktivitäten zu beobachten.

Daß auch bei Defiziten in bezug auf den Erfüllungsgrad der Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Wettbewerb annehmbare Marktergebnisse durchaus erzielt werden können, belegen ebenso die Wachstumsergebnisse der erfolgreichen ostasiatischen Länder in den Anfangsphasen ihres wirtschaftlichen Aufstiegs wie auch die seit den achtziger Jahren und in jüngerer Zeit -bis zu der gegenwärtigen Krise, die sich auf verschiedene Teile der Weltwirtschaft erstreckt -erzielten Erfolge verschiedener anderer Länder, die eine verstärkte marktwirtschaftliche Orientierung anstreben, vor allem in Asien, Lateinamerika und nicht zuletzt in Osteuropa. Dabei dürften in den Ländern, die hier Erfolge zeigen, sowohl die Glaubwürdigkeit der marktwirtschaftlichen Orientierung und die konsequente Verfolgung einer zunehmenden Realisierung der Voraussetzungen für einen leistungsfähigen Wettbewerb als auch die vorrangige Erfüllung bestimmter Voraussetzungen wie Geldwertstabilität, der Übergang zu einer restriktiven Haushaltspolitik und die Reduzierung von Preisverzerrungen die Erzielung besserer Ergebnisse begünstigt haben.

Die Behauptung, daß marktwirtschaftliche Erfolge nicht allgemein übertragbar sind und daß die Mißerfolge und Probleme in vielen Entwicklungsländern und osteuropäischen Staaten, die eine marktwirtschaftliche Transformation versuchen, dies belegen, ist irreführend. Denn unter diesen befindet sich kein Land, das die erforderlichen materiellen, organisatorischen und institutionellen Rahmenbedingungen für einen leistungsfähigen Wettbewerb realisiert hat und aufgrund eines nicht marktadäquaten Verhaltens der Wirtschaftsteil-nehmer in Schwierigkeiten geraten ist. Vielmehr sind die unbestreitbaren Probleme der betreffenden Länder die Folge vermeidbarer Fehler und Unzulänglichkeiten der verfolgten Transformationspolitik. Häufige Fehler in diesem Zusammenhang sind u. a. eine übereilte Liberalisierung der Kapitalausfuhr bei der Aufrechterhaltung (bzw.

Betreibung) inflatorischer Geldpolitik, Diskontinuität und mangelnder Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik bzw. überhaupt fehlender wirtschaftlicher und politischer Stabilität, wodurch entwicklungs-und transformationsschädigende Kapitalflucht begünstigt wird; die Öffnung für ausländische Direktinvestitionen bei Aufrecht'erhaltung von Schutz und Subventionierung der betreffenden Bereiche, was Einkommenstransfers zugunsten der ausländischen Investoren und damitins Ausland zur Folge hat; Privatisierung, ohne der begrenzten Wirtschaftskraft des privaten Sektors Rechnung zu tragen, wodurch gerechte und effiziente Lösungen kaum erzielt werden können; oder auch eine zu schnelle Liberalisierung, die einen zu starken Anpassungsdruck erzeugt, welcher die Transformationskapazität des Systems übersteigt Sowohl die erfolgreichen ostasiatischen Länder als auch andere Entwicklungsländer wie Chile oder diejenigen osteuropäischen Länder wie Polen und Tschechien, die ihre anfänglichen Transformationsprobleme mehr als andere überwunden haben, zeigen, daß bei Vermeidung bzw. Überwindung derartiger Fehler unübersehbare Erfolge erzielt werden können.

Auch die negativen Erfahrungen der ostasiatischen Länder im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Asienkrise sind für die Bestimmung des adäquaten Entwicklungswegs in Ländern der Dritten Welt von großer Bedeutung. So zeigte die Krise die besondere Bedeutung eines funktionsfähigen Bankensystems, das auch vom Staat nicht zuletzt die Gewährleistung der notwendigen Bankenaufsicht und -kontrolle erfordert, ebenso wie die Bedeutung adäquater Wechselkurspolitik und der Abwendung von Wettbewerbsbeeinträchtigungen für den Erfolg marktwirtschaftlicher Orientierung.

VI. Schlußbemerkungen

Die Vorstellung, daß die erfolgreichen ostasiatischen Länder ihre Entwicklungserfolge durch interventionistische Industriepolitik erzielt hätten und deshalb eine Übertragbarkeit der betreffenden industriepolitischen Konzepte auf andere Entwicklungsländer einen gangbaren Weg aus der Unterentwicklung aufweisen könne, ist nicht fundiert. Eine nähere Betrachtung zeigt, daß diese Länder ihren Entwicklungserfolg weniger industriepolitischen Interventionen und Lenkungsmaßnahmen zu verdanken haben als vielmehr ihrer verstärkten Marktorientierung und Bemühung um Integration in die Weltwirtschaft. Die betriebenen Interventionen und Lenkungsmaßnahmen haben sich sogar oft negativ ausgewirkt und gehören zu den Faktoren, die die gegenwärtige Krise in der Region mit verursacht haben. Mit anderen Worten, die betreffenden Länder haben ihre Erfolge nicht aufgrund industriepolitischer Interventionen erzielt, sondern eher trotz dieser Interventionen. Die Lehren, die sich für die Entwicklungspolitik aus deren Erfahrungen ergeben, können nicht darin liegen, wie sie eine Lenkungspolitik erfolgreich gestalten und durchsetzen konnten. Sie liegen vielmehr in dem (auch) durch diese Länder untermauerten empirischen Beleg, daß der marktwirtschaftliche Entwicklungsweg durchaus für Entwicklungsländer bzw. allgemein relevant und erfolgversprechend ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Chalmers Johnson. MITI and the Japanese Miracle, Stanford 1982; ders., Political Institutions and Economic Performance: The Government Business Relations in Japan, South Korea and Taiwan, in: Frederic Deyo (Hrsg.), The Political Economy of the New Asian Industrialism, Ithaca-New York 1987: Robert Wade, Governing the Market-Economic Theory and the Role of Government in East Asian Industrialization, Princeton 1990; Wolfgang Hillebrand, The Newly Industrializing Economies as Models for Establishing a Highly Competitive Industrial Base -What Lessons to learn?. in: Manfred Kulessa (Hrsg.), The Newly Industrializing Economies of Asia, Berlin u. a. 1990; Hans Christoph Rieger/Wolfgang Veit, State Intervention, State Involvement and Market Forces -Singapur and South Korea, in: M. Kulessa, ebd., und Anis Chowdhury/Iyanatul Islam, The Newly Industrialising Economies of East Asia, London-New York 1993.

  2. Vgl. ebd.

  3. Vgl. Paul Krugman, The Myth of Asia’s Miracle, in: Foreign Affairs, (November/December 1994).

  4. Vgl. Werner Pascha, Nachholende wirtschaftliche Entwicklung in Japan und Südkorea: Die Rolle der Industrie-politik. in: List Forum, 23 (1997) 2, S. 200.

  5. Ausgehend von den Bruttoinlandsproduktangaben der Weltbank im Weltentwicklungsbericht 1996 und den Angaben über die Erwerbstätigenzahlen im Jahresgutachten 1996/97 des Sachverständigenrats liegt die für Japan errechenbare Arbeitsproduktivität 1994 über 21 Prozent höher als die in Deutschland und sogar über 31 Prozent höher als die in den USA.

  6. Errechnet aus dem Jahresgutachten 1996/97 des Sachverständigenrates, Länderberichten des Statistischen Bundesamts und den Weltentwicklungsberichten der Weltbank.

  7. Vgl. Michel Camdessus, Bolstering Market Access of Developing Countries is Essential for Progress in Globalized World, in: IMF-Survey, 27 (1998) 14, S. 231-233, und IMF, The IMF’s Response to the Asian Crisis, IMF-Factsheet vom 15. 6. 1998.

  8. Vgl. El-Shagi El-Shagi, Die Überlegenheit des marktwirtschftlichen Entwicklungsweges, „Argumente der Freiheit“, hrsg. von Friedrich-Naumann-Stiftung, Sankt Augustin 1992, S. 18 ff.

  9. Vgl. Friedrich August von Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, München 1976 (Orig.: The Road to Serfdom, 1944).

  10. Vgl. Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1991, Washington, D. C. 1991, S. 5f.

  11. Vgl. E. El-Shagi (Anm. 11), S. 24 ff.

  12. Vgl.ders., Die Wettbewerbsordnung und ihre Relevanz für die Länder der Dritten Welt, in: List Forum, 12 (1983/84) 2, und ders., Marktwirtschaftliche Transformation in der Dritten Welt, in: WISU, (1995) 3; Hans-Hubertus Bleuel, Wirtschaftspolitik der Systemtransformation, Wiesbaden 1996, und die dort angegebene Literatur.

  13. Vgl. Jens Schadendorf, Die Rolle des Staates in dem ostasiatischen Take-off-Prozess, in: List-Forum, 21 (1995) 4, S. 386.

  14. Vgl. Ulrich Hiemenz, Liberalisierung vs. Strukturpolitik, in: E+Z (Entwicklung und Zusammenarbeit), 33 (1992) 1/2, S. 9.

  15. Vgl. zu der „Neutralisierungsthese“ Jagdish Natwartal Bhagwati, Rethinking Trade Strategies, in: John Prior Lewis/Valeriana Kailab (Hrsg.), Development Strategies Reconsidered, New Brunswick -Oxford 1986, S. 91-104.

  16. Vgl. W. Pascha (Anm. 7), S. 196 f.

  17. Vgl. M. Camdessus (Anm. 10); IMF (Anm. 10); El-Shagi El-Shagi, Die Asienkrise: Ausmaß, Ursachen, Folgen, in: Orientierungen zur Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, (September 1998), S. 2-5, und die dort angegebene Literatur.

  18. Vgl. Weltbank (Anm. 13); dies. (Anm. 3).

  19. Vgl. ebd.

  20. Der Begriff „Entwicklungsstaat“ (developmental state) wurde von Ch. Johnson (Anm. 1) geprägt.

  21. Vgl. Wolfgang Seifert. Wirtschaftsorganisationen und politische Macht: Formen, Institutionen, Gewichte, in: Ulrich Menzel (Hrsg.), Im Schatten des Siegers: Japan, Bd. 3, Frankfurt/M. 1989, S. 134-170.

  22. Vgl. W. Pascha (Anm. 7).

  23. Vgl. Adrian van Rixtel, The Change and Continuity of Amakudari in the Private Banking Industry, in: Sarah Metzger-Court/Werner Pascha (Hrsg.), Japan’s Socio-Economic Evolution, Continuity and Change, Folkestone 1996, S. 244261.

  24. Vgl. E. El-Shagi (Anm. 11) und die dort angegebene Literatur.

  25. Vgl. Peter Tamäs Bauer/Basil Selig Yamey, The Economics of Underdeveloped Countries, London 1957, S. 89 ff.; dies., A Case Study of Response to Price in an Underdeveloped Country, in: Economic Journal, 69 (1959); Theodore William Schultz, Transforming Traditional Agriculture, New Haven u. a. 1964; William David Hopper, Allocation Efficiency in Traditional Indian Agriculture, in: Journal of Farm Economics, 47 (1965); El-Shagi El-Shagi, Die Strategie der wirtschaftlichen Integration, Berlin 1980, S. 246 ff.

  26. Zu der Bedeutung der Vermeidung von Preisverzerrungen vgl. Weltbank (Anm. 13), S. 5 ff. und S. 52 ff.

  27. Vgl. u. a. E. El-Shagi (Anm. 11); ders., Marktwirtschaftliche Transformation (Anm. 15); ders., Development through Transformation towards Market Economy, in: Shri Bhagwan Dahiya (Hrsg.), The Current State of Economic Science (i. Dr.); H. -H. Bleuel (Anm. 15).

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El-Shagi El-Shagi, Dr. sc. agr., geb. 1941; 1960-1964 Studium der Agrarwissenschaft an der Universität Hohenheim; seit 1981 o. Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Trier. Zahlreiche Veröffentlichungen zu internationalen Wirtschaftsbeziehungen, Entwicklungstheorie und -politik sowie Wirtschaftsordnung und Wohlfahrtsökonomik.