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Restauration oder Neubeginn? Politische Bildung 1945-1960 | APuZ 7-8/1999 | bpb.de

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APuZ 7-8/1999 Restauration oder Neubeginn? Politische Bildung 1945-1960 Entstehung und Krise der Fachdidaktik Politik 1960-1976 Annäherung durch Wandel Für eine neue Sicht auf die „innere Einheit“ und die Rolle der politischen Bildung Politikverdrossenheit, populäres Parlamentsverständnis und die Aufgaben der politischen Bildung

Restauration oder Neubeginn? Politische Bildung 1945-1960

Bernhard Sutor

/ 29 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die konzeptionellen Bemühungen um die Begründung politischer Bildung in der Nachkriegszeit von 1945 bis 1960 werden in der späteren Rückschau bis heute häufig nur negativ gekennzeichnet -als restaurativ, als affirmativ, als unpolitisch. Demgegenüber soll hier die damalige Diskussion als ein im ganzen gelungener Lernprozeß gekennzeichnet werden. ln einem ersten Schritt wird gezeigt, wie in dem äußerst schwierigen Bedingungsfeld der Nachkriegszeit die ersten deutschen Stimmen und Ansätze im Kontext der alliierten Re-education den Willen zu Reform und Innovation erkennen ließen, auch wenn sie an Traditionen anknüpften. Im zweiten Schritt wird gegenüber dem pauschalen Urteil von der Verdrängung der Vergangenheit gezeigt, daß die Anfänge der politischen Bildung in hohem Maß von der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit geprägt waren. Im dritten Schritt wird an der Kontroverse zwischen Friedrich Oetinger und Theodor Litt, darüber hinaus aber . auch an anderen Beiträgen zur Neuformulierung einer politischen Pädagogik gezeigt, wie vielfältig, kontrovers, aber auch die spätere Didaktik der politischen Bildung vorbereitend die damalige Diskussion gewesen ist.

Vorbemerkung

In Theorie und Praxis politischer Bildung gibt es besonders viel „gesunkenes Kulturgut“. Behauptungen und Wertungen werden zu vermeintlichen Gewißheiten, allerdings aus zweiter und dritter Hand. Solcher verkürzender Betrachtung sind besonders die vielfältigen Bemühungen um politische Bildung nach 1945 zum Opfer gefallen. So gilt weithin: Die Re-education der Besatzungsmächte sei an deutschen restaurativen Kräften gescheitert; die NS-Vergangenheit sei durch Restauration und Antikommunismus verdrängt worden; Konzepte politischer Erziehung hätten unpolitisch-affirmativ diese Entwicklung gestützt; erst seit Mitte der sechziger Jahre habe sich eine „kritische“ Sozialwissenschaft und eine entsprechende Politikdidaktik durchgesetzt. Das Problem bei solchen Vereinfachungen besteht darin, daß sie keineswegs ganz falsch sind; sie verabsolutieren jedoch die nicht bestreitbaren Defizite.

Politische Bildung steht in Theorie und Praxis immer in Wechselwirkung mit den gesellschaftlich-politischen Verhältnissen und Problemlagen. Wenn es also „restaurative Tendenzen“ in der Nachkriegszeit gab -wie könnte es sie nicht gegeben haben angesichts der baren Notwendigkeit, vieles überhaupt erst wieder aufzubauen und funktionsfähig zu machen? dann wird man sie auch in den Bemühungen um politische Bildung der damaligen Zeit finden. Nun ist aber mit dem negativ wertenden Etikett „Restauration“ das Gesamt des Wiederaufbaus nach dem Krieg keineswegs erfaßt, auch nicht das Gesamt der Politik. Die zweite deutsche Demokratie kennt wesentliche innovative Elemente, die sie von der ersten erheblich unterscheiden. Der zum Schlagwort gewor­ dene Buchtitel von Fritz Rene Allemann „Bonn ist nicht Weimar“ (1956 erschienen) wurde zu einer mehr und mehr bestätigten These. Das gilt vor allem für die Verfassung und Politik des neuen Staates. Es gilt ebenso für das neue Konzept der Sozialen Marktwirtschaft und für die politische Integration des westdeutschen Staates in die europäisch-atlantische Staatenwelt. Gerade wer die Interdependenz von Politik und politischer Bildung betont, müßte deshalb auch entsprechende innovative Elemente in den pädagogisch-politischen Ansätzen der damaligen Zeit finden. Im folgenden soll die These begründet werden, daß sich solche innovativen Elemente gegen viele Schwierigkeiten in einem viel stärkeren Maße -wenn auch nur in einem längeren Prozeß -durchgesetzt haben, als in der Rückschau oft wahrgenommen wird. Wir haben es dabei mit einem durchaus erfolgreichen Lernprozeß zu tun. Dies herauszuarbeiten sind wir denen schuldig, die sich damals mit viel Engagement darum bemüht haben, durch politische Bildung zur Verankerung der freiheitlichen Demokratie im Bewußtsein der Bürger beizutragen. Es hilft aber auch zum besseren Verständnis unserer heutigen Fragen und Probleme, die in mancher Hinsicht gar nicht so neu sind, wie wir uns gern einbilden. Selbstverständlich kann das hier Vorgelegte seinerseits nur eine selektive Skizze sein, die sich oft mit Hinweisen begnügen muß. Zur Korrektur einer vorherrschenden Sichtweise scheint sie mir jedoch notwendig. Ich verwende hier weite Passagen eines Vortrags, den ich im September 1998 auf dem Kongreß der Bundeszentrale für politische Bildung „ Wege in die Zukunft -Politische Bildung vor neuen Aufgaben in Fulda gehalten habe; in Teilen gekürzt, in anderen ergänzt. Aus Raum-wie auch aus Kompetenzgründen muß ich mich auf die Bundesrepublik Deutschland der fünfziger Jahre beschränken. SBZ und DDR mußten ausgespart werden, nicht weil dieses Thema unwichtig wäre, vielmehr weil es wegen seiner Bedeutung nicht gleichsam nebenher dargestellt werden kann.

I. Schwierigkeiten des Neubeginns: Tradition und Reform

Die „Stunde Null“ von 1945 bot keine Tabula rasa, auf der man gleichsam wie am Reißbrett eine neue Schule, eine neue Bildung oder gar eine neue Gesellschaft hätte entwerfen können. Nichts lag näher, zumal angesichts der allgemeinen Not in einer Welt von Trümmern, als nach dem zu fragen, was man vor der Zerstörung oder Pervertierung durch die Nazis für gut gehalten hatte. Liest man aber bei denen, die sich um den Neuanfang bemühten, genauer nach, dann findet man keines-wegs die naive Vorstellung, man könne da weitermachen, wo man 1933 aufgehört hatte oder vom NS-Regime vereinnahmt worden war. Vielmehr stößt man allenthalben auf die Einsicht, man müsse es jetzt anders und besser machen als in der Weimarer Zeit. Reform in Orientierung an unseren besseren Traditionen -so könnte man zusammenfassend die Grundintention charakterisieren, die bei führenden Repräsentanten des geistig-kulturellen Lebens in Deutschland nach 1945 greifbar wird Das gilt auch für die Schule und für Überlegungen zur politischen Bildung. So entwickelten z. B. Gustav Radbruch und Theodor Eschenburg ihre Vorstellungen von politischer Bildung in Schulen und Universitäten zwar in Anknüpfung an die „Staatsbürgerkunde“ von Weimar. Weil aber aus dieser nichts Rechtes geworden war, ließen sie sich leiten von der Frage, wie man es diesmal anders und besser machen könne Freilich hatten zunächst die Besatzungsmächte das Sagen, und die deutschen Kräfte mußten ihre Vorstellungen in Auseinandersetzung mit ihnen entwickeln.

Nun ist die These weit verbreitet, die Re-education der Besatzungsmächte sei gescheitert. Als wesentlicher Beleg dafür gilt, daß die Amerikaner ihren Versuch aufgaben, in ihrer Zone ein Einheitsschulsystem nach amerikanischem Muster zu etablieren, in welcher Demokratie als Lebensform eingeübt werden sollte. Als Haupthindernis gilt das Festhalten deutscher „restaurativer Kräfte“ am christlich-humanistisch geprägten, gegliederten Schulwesen. Als Wendepunkt wird das „antikommunistische Bündnis“ der Amerikaner mit diesen Kräften im beginnenden Kalten Krieg gedeutet

Man darf aber das Programm der Re-education nicht auf Fragen der Schulform reduzieren und von ihr seinen Erfolg abhängig machen. Einerseits war Re-education viel umfassender gedacht, andererseits gab es dazu sehr unterschiedliche Vorstellungen. Auch wenn man sich auf die amerikanische Besatzungsmacht beschränkt, findet man hier keineswegs ein einheitliches Programm, von den vielen Defiziten an Personal und Organisation einmal ganz abgesehen. Theoretisch war anfangs ein psychologisch-psychiatrischer Ansatz vorherrschend, wonach der deutsche „Volkscharakter“ einer gründlichen Therapie bedürfe. Ihm wurden dann auch kulturell-soziologische Aspekte beigemischt, die es erlaubten, auch nach brauchbaren deutschen Traditionen oder Eigenschaften zu fragen. Als weiteres positives Element trat bei manchen Vertretern ein demokratisch-idealistisches Sendungsbewußtsein hinzu. Aber gerade dabei stellte sich die Frage, ob man eine Spezifische pädagogisch-politische Kultur wie die amerikanische in eine ganz andere transferieren könne, und man mußte sich zu der Einsicht bequemen, daß das schon gar nicht per Befehl einer Besatzungsmacht möglich sei Zudem hatten deutsche Kulturpolitiker auch gute Gründe für ihre Sicht von Umerziehung, wenn sie versuchten, die Zerstörung des christlich und humanistisch geprägten deutschen Schulwesens durch die Nazis rückgängig zu machen.

Erfolge zeitigte die Umerziehung, als sich das Verhältnis von Siegern und Besiegten entkrampfte und partnerschaftliche Kooperation möglich wurde, so etwa bei den Amerikanern im Übergang von Kontrollen zu Dienstleistungen. Nachhaltigen, wenn auch nicht meßbaren Erfolg brachten die verschiedenen Austauschprogramme für Lehrer, Wissenschaftler und Studierende. Für die Schulen war ein entscheidender Erfolg die Einführung eines eigenen Faches für politische Bildung. Sie begann in Berlin, Schleswig-Holstein und Hessen schon 1946, gefolgt von Württemberg-Hohenzollern 1948, Württemberg-Baden 1950, Bayern und Rheinland-Pfalz 1951. Die anderen Länder, außer Nordrhein-Westfalen, folgten in den fünfziger Jahren Der längerfristig eigentliche Erfolg der Reeducation -für die politische Bildung zwar nur indirekt wirksam, aber ihre entscheidende Bedingung -lag in der allmählichen Entfaltung freiheitlicher Politik und ihrer Institutionen; denn schließlich zielte die Re-education positiv und umfassend auf die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft Ob das zarte Pflänzchen Demokratie Wurzeln fassen werde, unterlag freilich bis in die fünfziger Jahre ebenso begründeten Zweifeln wie die Chancen demokratischer politischer Bildung. Deren Bedingungen schienen am Anfang denkbar schlecht. Karl Friedrich Kindler hat sie am Ende des hier zu betrachtenden Zeitraums in folgenden Stichworten zusammenfaßt: Mangel an demokratischer Tradition und Erfahrung in Deutschland; Wechsel der Staatsformen und Loyalitätsansprüche; zweimaliger Start der Demokratie auf den Trümmern eines verlorenen Krieges; die Perversion politischer Erziehung im Nationalsozialismus; die Entnazifizierung und die mit Mißtrauen bedachte Re-education; der Kalte Krieg und der „Russenschreck“; die Vorläufigkeit der Bundesrepublik und die Spaltung der Nation Der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs-und Bildungswesen beschrieb in seinem ersten Gutachten zur politischen Bildung 1955 die Faktorenkonstellation ähnlich. Er betonte besonders den Mangel an öffentlich-politischem und staatlichem Bewußtsein sowie an geschichtlicher Orientierung im Provisorium Bundesrepublik; Mangel auch an Übereinstimmung in der Beurteilung des Nationalsozialismus und Widerstandest Das führt mitten hinein in die Kontroversen der fünfziger Jahre unter deutschen politischen Pädagogen. Sie kristallisieren sich um zwei Komplexe: zum einen um das Politik-, Demokratie-und Staatsverständnis in der politischen Bildung, zum anderen um den Umgang mit der NS-Vergangenheit. Wir wenden uns zunächst diesem letzteren Komplex zu.

II. Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit

Heute begegnet man nicht selten der pauschalen Behauptung, eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangheit habe in der frühen Nachkriegszeit kaum stattgefunden und sei besonders in der Ära Adenauer vom Wiederaufbau und von restauiativen Kräften verdrängt worden. Hier soll demgegenüber die These vertreten werden, daß gerade die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus -bei allen zu beklagenden Defiziten -erheblich dazu beigetragen hat, der politischen Bildung zum Erfolg zu verhelfen. Bei allem Unwillen und allen Verdrängungsversuchen äus der älteren und belasteten Lehrer-und Professorengeneration, am Komplex Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg kamen Schulen und Universitäten nicht vorbei. Dafür sorgte schon, auch wo Kultusbehörden vielleicht nicht genug drängten, die öffentliche Diskussion.

1. In der unmittelbaren Nachkriegszeit

Theaterstücke wie Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ und Carl Zuckmayers „Des Teufels General“ gingen damals über fast alle deutschen Bühnen und wurden in vielen Oberstufenklassen der Gymnasien leidenschaftlich diskutiert. Die anspruchsvolle Publizistik der Jahre von 1945 bis 1950 war gekennzeichnet durch eine intensive kulturkritische und moralische Diskussion über die Schuldfrage. Zu erinnern ist ferner an die Schuld-bekenntnisse der beiden Kirchen von August und Oktober 1945; an Karl Jaspers'1946 publizierte Heidelberger Vorlesung über die Schuldfrage mit ihrer für Erkenntnis und Aufarbeitung hilfreichen Unterscheidung zwischen politischer, krimineller, moralischer und metaphysischer Schuld. Karl Jaspers schrieb auch das Geleitwort für die im November 1945 erstmals erschienene Zeitschrift „Die Wandlung“, redigiert u. a. von Dolf Sternberger und Gerhard Storz. An weiteren neuen Zeitschriften sind zu nennen „Der Ruf“, „Die Gegenwart“ und „Merkur“. Im April 1946 begannen die „Frankfurter Hefte“ mit Walter Dirks und Eugen Kogon, der damals bereits auch seine eigenen Erfahrungen aus dem KZ Buchenwald analytisch verarbeitete in der Darstellung „Der SS-Staat“ Kogon war es aber auch, der der grobmaschig gestrickten Entnazifizierung das Recht auf politischen Irrtum entgegenhielt und im Blick auf die Masse der in das NS-Regime mehr oder minder schwer Verstrickten formulierte: Man kann sie nur töten oder gewinnen Das Grunddilemma einer neuen Demokratie in einem Volk von „Mitläufern“ war damit exakt beschrieben. Es ist schwer, über die Breiten-und Tiefenwirkung der frühen Nachkriegsdiskussion zutreffende Aussagen zu machen. Die Masse der Deutschen war von den existentiellen Alltagsnöten und -sorgen absorbiert: der Aufnahme von über zwölf Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, dem Wiederaufbau der durch den Bombenkrieg z. T. völlig zerstörten Städte, der Schaffung erster wirtschaftlicher Grundlagen. In die Schulen gelangte die Diskussion über Schuld und Aufarbeitung der Vergangenheit aufs Ganze gesehen wohl nur abgeschwächt, aber doch überall dort, wo Lehrer und interessierte Schüler sie aufnahmen. Ähnlich wie bei der Re-education sind eher längerfristige Wirkungen zu vermuten. Der Nationalsozialismus als Ideologie war, anders als insbesondere im Ausland befürchtet, in der deutschen Gesellschaft durch die totale Katastrophe ohnedies erledigt; was nicht heißt, es wären damit schon die mentalen Strukturen überwunden gewesen, die ihn begünstigt und mitgetragen hatten. Längerfristig gesehen hat sich aber in der deutschen Gesellschaft eine Veränderung der politischen Mentalität durchgesetzt, eine Hinwendung zur westlichen Demokratie. Freilich hing das auch vom Gelingen des politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus ab. Aber der Grund für den Erfolg wurde schon in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre gelegt.

2. Das Frageinteresse der fünfziger Jahre

Nun ist das, was ich zur unmittelbaren Nachkriegszeit gesagt habe, weniger strittig. Aber mit der Gründung der beiden deutschen Staaten, mit dem Kalten Krieg, mit Antikommunismus und Wirtschaftwundermentalität sei, so eine verbreitete Deutung, die nationalsozialistische Vergangenheit verdrängt worden. Die politisch-moralischen Anstrengungen der frühen Jahre seien mehf und mehr einer trotzigen Unbußfertigkeit und Verstocktheit gewichen, welche ihrerseits von einer allgemeinen Entschuldigungssolidarität Unterstützung erfahren habe Solche Deutungen können manches für sich ins Feld führen. Sie werden aber heute gern verallgemeinert, weil sie sich, anders als differenzierende Analysen, eines „moralischen Mehrwerts“ erfreuen und weil sie sich mit Hilfe von Kurzformeln wie „Verdrängung“, „Unfähigkeit zu trauern“ und „Zweite Schuld“ auch trefflich gesellschaftskritisch-politisch einsetzen lassen. Es ist nicht zu bestreiten, daß in der Phase des raschen wirtschaftlich-sozialen Wiederaufbaus der fünfziger Jahre die geistige und politische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nachließ. Es stimmt auch, daß manche wieder in Amt und Würden gelangten, die besser im zweiten oder dritten Glied geblieben wären. Dennoch muß man differenzieren. Vor allem muß man Bereiche und Funktionen unterscheiden.

So läßt sich durch empirische Erhebungen leicht nachweisen, daß in der Publizistik und Literatur, in Theater und Film das Thema NS-Vergangenheit durchaus präsent blieb. Über Qualität und Intensität läßt sich streiten. Die Wissenschaft, vor allem die Zeitgeschichte, erlebte in der Auseinandersetzung mit diesem Thema ihre erste Blüte. 1950 wurde in München das Institut zur Erforschung des Nationalsozialismus, später Institut für Zeitgeschichte, gegründet. Seine Vierteljahreshefte wurden zu einem auch von Lehrern viel gelesenen Organ der Information und Diskussion. Die zeitgeschichtlich-politische Bibliographie zu Entstehung und Verlauf der NS-Herrschaft umfaßte bereits in den fünfziger Jahren mehrere tausend Titel. Hier sei nur an einige erinnert: 1955 erschien Karl Dietrich Brachers bahnbrechende Untersuchung über „Die Auflösung der Weimarer Republik“ (3. Auflage 1960), unter der gerade auch für politische Bildung erhellenden Perspektive einer „Studie über Machtverfall“. Ihr folgte 1960 eine Fortsetzung über die Errichtung der NS-Herrschaft. Walther Hofers Fischer-Taschenbuch einer Dokumentation zum Nationalsozialismus erschien 1957 und brachte es bereits 1960 auf eine Auflage von 300 000, nicht zuletzt deshalb, weil sie viel an Schulen benutzt wurde. Weite Verbreitung fanden auch die Schriftenreihe der damaligen Bundeszentrale für Heimatdienst (1962 in „Bundeszentrale für politische Bildung“ umbenannt) sowie die Beilagen zur Wochenzeitung „Das Parlament“, „Aus Politik und Zeitgeschichte“, mit vielen entsprechenden Themen.

Wir wissen nicht -und wir können wohl kaum rekonstruieren -, wie in den Schulen und in der Erwachsenenbildung der fünfziger Jahre politische Bildung in der Praxis aussah. Aber die Rückschau muß, will sie wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, die Schwierigkeiten der Anfänge ebenso beachten wie die damaligen Perspektiven und die politische Konstellation. Deshalb ein Wort zu dem, was damals besonders interessierte.

In der späteren politisch-pädagogischen Diskussion wurde häufig Adornos eindringliches Wort zitiert: „Damit Auschwitz sich nicht wiederhole!“ Gegen dieses beschwörend formulierte Ziel aller Erziehung „nach Auschwitz“ gibt es kein Argument, kann es keines geben. Gerade deshalb aber darf man mit ihm nicht die Vielfalt möglicher und notwendiger Wege und Fragestellungen zudecken. Adorno wollte keineswegs sagen, es sei immer nur über Auschwitz und über Judenverfolgung zu reden. Deshalb erinnere ich daran, daß die schier unbegreifliche Kulmination der nationalsozialistischen Barbarei, die sich mit dem Namen Auschwitz verbindet, weder in der Wissenschaft noch in der politischen Bildung der fünfziger Jahre im Zentrum der Diskussion stand, auch wenn Konzentrationslager und Judenverfolgung in den Publikationen z. B.der Bundeszentrale für politische Bildung behandelt wurden Ich bestreite aber, daß dies mit Verdrängung zu tun hat. Es dauerte seine Zeit und bedurfte auch gründlicher Forschung, um das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen einer rationalen Bearbeitung zugänglich zu machen, soweit diese überhaupt möglich ist.

Die zunächst am meisten interessierende Frage lautete: Wie war die NS-Herrschaft möglich geworden? Woran war Weimar gescheitert? Wie haben die Nazis ihre Macht erobern können? Diese Themen wurden in den fünfziger Jahren an Universitäten und Gymnasien viel behandelt. Als im September 1950 die konstituierende Sitzung des späteren Instituts für Zeitgeschichte in München stattfand, dessen Mitglieder alle erwiesene Nazigegner waren, bezogen sich die dabei als vordringlich genannten und zu untersuchenden Fragen alle auf Ereignisse, die man in Deutschland selbst miterlebt hatte. Aus dem Bereich Judenverfolgung war das nicht Auschwitz, sondern die „Reichskristallnacht“. Für solche Vorgänge suchte man Erklärungen, auch um zu wissen, wie eine Wiederholung zu vermeiden sei und wie die neue Demokratie Erfolg haben könne

3. Antikommunismus oder Antitotalitarismus?

Nun gehört besonders der Vorwurf des Antikommunismus zum Kontext der oben skizzierten Gesamtkritik an der Ära Adenauer. Manche reden von „blindem Antikommunismus“ und ersparen sich damit die Frage, ob nicht ein begründeter Antikommunismus damals möglich oder gar notwendig war Wie immer man die gegenseitige Perzeption und die einzelnen Züge der Interakti-onsgegner im Kalten Krieg beurteilen mag, unstreitig haben die Machthaber in der sowjetischen Besatzungszone die Formel vom „Antifaschismus“ zur Legitimation einer abermaligen, nunmehr sozialistischen Diktatur mißbraucht. Die Gegenwehr des Westens begann längst vor der Adenauer-Ära. Den eigentlichen Lernprozeß, eingeleitet durch den „Prager Fenstersturz“ 1948, stellte in Mitteleuropa die sowjetische Berlinblokkade dar. Die Gründung der Bundesrepublik basierte nicht auf einem „blinden Antikommunismus“, sondern auf einem moralisch und politisch gut begründeten antitotalitären Konsens, der sich bis in die sechziger Jahre durchhielt. Das zeigt sich auch in offiziellen Dokumenten zur politischen Bildung.

Die Richtlinien für den politischen Unterricht in Hessen vom 30. Juni 1949 begründeten die Abkehr von der alten Staatsbürgerkunde der Weimarer Republik und die neue Hinwendung zur Politik als Gegenstand verantwortlicher Urteilsbildung mit der Erfahrung des totalitären Staates Der Beschluß der KMK vom 12. Februar 1960 zur Behandlung der jüngsten Vergangenheit in den Schulen, veranlaßt durch die berüchtigten Hakenkreuzschmierereien in einigen deutschen Städten, verlangte von den Lehramtsbewerbern aller Schularten ein Vertrautsein mit den Haupttatsachen, die zur Zerstörung der rechtsstaatlichen Ordnung in der NS-Zeit geführt hatten, sowie eine begründete Meinung über Ursachen und Wirkungen der Spaltung Deutschlands. Schließlich bedienten sich die Richtlinien der KMK von 1962 über die Behandlung von Nationalsozialismus und Kommunismus/Bolschewismus der bis dahin unumstrittenen Kategorien der Totalitarismustheorie *Einen offiziösen oder gar offiziellen Austausch der „Gegner“, also des Nationalsozialismus durch den Kommunismus, hat es nicht gegeben. Er läßt sich auch aus den Schulbüchern und Handreichungen der damaligen Zeit nicht nachweisen, jedenfalls nicht in Breite

4. „Vergangenheitspolitik“ der Ära Adenauer

Zweifellos gab es in den fünfziger Jahren zunehmend das Phänomen, den Antikommunismus als Alibi zu benutzen, um der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auszuweichen. Bei anderen entwickelte sich dagegen die Attitüde des „nachträglichen Ungehorsams“, des Widerstandes gegen den freiheitlichen Rechtsstaat, dem man seine Legitimation und seine neue, freiheitliche Qualität absprach. An dieser Entwicklung schiefer Fronten wird erkennbar, welch schwieriger Prozeß die öffentlich-politische Aufarbeitung von Vergangenheit war. Der Kampf um Geschichtsdeutung ist fast unentwirrbar mit konkurrierenden politischen Grundpositionen verbunden, und die politischen und publizistischen Akteure erliegen häufig auch der Versuchung, ihn tagespolitisch zu mißbrauchen. Für die deutsche Situation kam erschwerend hinzu, daß diese Instrumentalisierung, wie wir heute aktenkundig wissen, gezielt von der DDR gegen den „imperialistischen Klassenfeind“ betrieben wurde. Trotz dieser schwierigen Gemengelage verdient die „Vergangenheitspolitik“ der Ära Adenauer keineswegs das pauschale Verdikt der Verdrängung. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich, im Unterschied zur DDR, von Anfang an zu ihrer rechtlich-politischen Verantwortung für die Folgen von NS-Herrschaft und Krieg bekannt. Sie hat eine Politik der „Wiedergutmachung“ betrieben, die zu den Leistungen für die verfolgten Juden und den Staat Israel sowie zum Londoner Schuldenabkommen führte. Sie entwickelte eine Gedenkkultur zum deutschen Widerstand. Sie unterwarf beim Aufbau der Bundeswehr alle Bewerber für Offiziersstellen dem strengen Prüfverfahren von Personalgutachterausschüssen. Sie hat im Inneren einerseits rechtsextremistische Randgruppen strikt ausgegrenzt, andererseits freilich, mit Zustimmung auch der Opposition, durch relativ großzügige Amnestiegesetze die Wiedereingliederung der vielen „Mitläufer“ und auch schwerer Belasteter angestrebt; dies war eine Reaktion auch auf die unzulänglich als Massensäuberung angelegte Entnazifizierung der Besatzungsmächte. Die stärksten Defizite sind wohl im Bereich der Justiz zu konstatieren, ein Thema für sich. Aber auch hier hängen die Versäumnisse mit der voraus-gegangenen Politik der Alliierten zusammen. Es war der deutschen Justiz bekanntlich ausdrücklich verboten, Verfahren der Besatzungsmächte neu aufzurollen. Der verbreitete Eindruck, die Kriegsverbrecherprozesse hätten das Wesentliche geleistet, wurde nur langsam korrigiert, am nachhaltigsten 1957 im Ulmer Einsatzgruppen-Prozeß, der zur Einrichtung der Ludwigsburger Zentralstelle der Länder und schließlich in den sechziger Jahren zu den großen KZ-Prozessen führte. Die sechziger Jahre sind dann gekennzeichnet durch die drei großen Verjährungsdebatten, und auch unter dem Eindruck dieser Auseinandersetzungen konnte der Anschein entstehen, es sei bis dahin eigentlich nichts geschehen

Das pauschale Verdikt kann und darf nicht durch pauschalen Freispruch ersetzt werden. Auch differenzierende Urteile werden unterschiedlich ausfallen. Nur sollte niemand übersehen, daß im Neuaufbau deutscher Demokratie in den fünfziger Jahren eine ganz bemerkenswerte und in diesem Ausmaß nicht so rasch erwartete Integrationsleistung gelang. Peter Graf Kielmansegg urteilt: „Von allen notwendigen Antworten auf die zwölf dunklen Jahre war eben diese die wichtigste, daß es gelang, Demokratie und Rechtsstaat im Westen Deutschlands dauerhaft zu begründen“ und zwar eine Demokratie, die sich auch bereits den scharf ausgetragenen Konflikt zwischen Regierung und Opposition leisten konnte.

Wie die politische Bildung jener Zeit an den Schwierigkeiten mitzutragen hatte, so hatte sie auch Anteil an diesem Erfolg. Er ist nicht meßbar, aber er ist angesichts der vielfältigen Bemühungen in Schulen und Lehrerbildung, in der freien außerschulischen Jugend-und Erwachsenenbildung, in den zahlreich damals entstehenden Tagungsstätten und Akademien nicht zu vernachlässigen. Selbst in der späteren Kritik an der längere Zeit vorherrschenden Institutionenkunde steckt noch ein Stück Anerkennung; denn es war keineswegs die geringste Leistung, in der neu sich entwickelnden Demokratie Kenntnis und Verständnis ihrer Institutionen sowie die Aufforderung zur Mitarbeit zu vermitteln -nach einem Regime, das die freiheitlichen Institutionen so schändlich ausgehöhlt und mißachtet hatte. Bei den Nachdenklicheren unter den Politiklehrern stand denn auch die Institutionen-oder besser Verfassungskunde immer vor dem Hintergrund der Zerstörung demokratischer Institutionen und ihrer Folgen in der jüngsten Vergangenheit.

III. Die Theoriediskussion

Die Diskussion über Grundlagen und Konzepte politischer Bildung wurde in den fünfziger Jahren im wesentlichen von Pädagogen geführt. Sie war viel pluralistischer, als es der verkürzende Blick auf die Kontroverse Oetinger -Litt im nachhinein erscheinen läßt. Man wird ihr nur gerecht, wenn man sie als Lernprozeß auf der Suche nach neuen Wegen begreift, statt sie ideologisch zu etikettieren.

1. Die Kontroverse zwischen Oetinger und Litt

Friedrich Oetinger (Theodor Wilhelm) entwickelte in Abkehr von der deutschen Tradition staatsbürgerlicher Erziehung und in Orientierung am amerikanischen Pragmatismus ein sozialerzieherisches Konzept, das unter dem Stichwort „Partnerschaft“ viel diskutiert und auch in der Praxis rezipiert wurde. Theodor Litt setzte dem in Anknüpfung an die kulturphilosophisch-geisteswissenschaftliche Pädagogik ausdrücklich ein Konzept entgegen, nach welchem politische Erziehung Staat und Demokratie zusammenfügen sollte Es ist aufschlußreich, wie unterschiedlich diese Konzepte später im ideologischen Streit beurteilt wurden. Für Hermann Giesecke war Oetinger der Autor des offenen Neuanfangs, Litt der der konservativen Restauration. Dagegen sah Ernst-August Roloff schon in Oetingers Demokratieverständnis ein ideologisches Selbstverständnis sowohl der Besatzungsmächte als auch der deutschen Politiker wirksam, die die Masse der Staatsbürger nicht der Souveränität fähig glaubten Demgegenüber rückt Walter Gagel beide Autoren in den Kontext der Aufarbeitung deutscher Vergangenheit, wenn er zutreffend feststellt, Oetinger und Litt kämen durch unterschiedliche Ursachen-forschung über die deutsche Katastrophe zu ihren unterschiedlichen Folgerungen: „Oetinger will die politische Haltung der Deutschen ändern, ihre politische Sozialisation korrigieren, demokratisches Bürgerverhalten bewirken. Litt will den Deutschen ein neues Denken über die Demokratie als Staatsform vermitteln.“ Insofern können sich beide Konzepte gegenseitig ergänzen, aber damals trafen die gegensätzlichen Positionen heftig aufeinander.

Oetinger ließ sich von der Prämisse leiten, das in Deutschland bis 1933 herrschende Leitbild vom Staatsbürger sei unbrauchbar geworden. Es habe mit seiner einseitigen Erziehung zum Staat, zur Nation, zur Gemeinschaft seine Perversion durch den Nationalsozialismus ermöglicht und vorbereitet. In diesem Kontext kritisierte er auch Litts Beiträge aus der Weimarer Zeit als idealistische Verfehlung und Desavouierung der realen Republik. Dagegen komme es jetzt, nach 1945, darauf an, die Untertanengesinnung in freien Gemeinsinn zu verwandeln, und zwar durch die Einübung in kooperative Bewältigung praktischer Probleme des Zusammenlebens und durch den Aufbau genossenschaftlicher Gewohnheiten. Die theoretische Grundlage dafür sah er im amerikanischen Pragmatismus: Praxis ist früher als Theorie, unser Denken und Lernen entzündet sich an konkreten Problemen; Wahrheit ist das, was sich in deren gemeinsamer Lösung bewährt. Darin entfaltet sich Demokratie als Lebensform mit ihren Spielregeln der Toleranz, des Fair play, des Kompromisses.

Hier wird politische Bildung entworfen als Sozial-erziehung durch Erfahrung und Übung. Politik und ihre Institutionen werden zwar berührt, etwa im Bereich der Rechtserziehung, sie stehen aber nicht im Zentrum des Bemühens. Oetinger geht es vielmehr um die Änderung des deutschen Sozialcharakters. Insofern setzt er die Bemühungen der Reeducation fort. Ganz typisch seine Schlußformulierung im Kapitel über die Lehren der Vergangenheit: „ 1945 ist mit dem neuen Monarchen zugleich auch der Staat selbst weggefallen. Das ist unsere große Chance. Seien wir nicht zu eilfertig mit dem Wiederaufbau des Staates -füllen wir die Lücke mit dem Menschlichen, das uns geblieben ist!“ Das ist unpolitisch im strikten Sinn, ganz abgesehen davon, daß in der nationalsozialistischen Erziehung keineswegs der Staat im Zentrum stand, sondern die Bewegung, ihr Führer, ihre Ideologie.

Die Rezeption des Konzepts in der praxisorientierten Diskussion verkürzte Oetingers Entwuf, verleitet durch das Titelstichwort von der Partnerschaft, auf „Gemeinschaftskunde“ und blieb so, gegen die Intention des Autors und begünstigt auch durch die unter Lehrern lange Zeit verbreitete Aversion gegen alles „Politische“, im Bannkreis eines unpolitischen Gemeinschaftsdenkens. Kritiker glauben allerdings nachweisen zu können, daß hier kein reines Mißverständnis vorliege; denn der Partnerschaftsgedanke Oetingers sei seinerseits Ergebnis einer auf Gemeinschaftsdenken verkürzten Rezeption dessen, was die Pädagogik des amerikanischen Pragmatismus gemeint habe; und zwar einer Rezeption schon vor 1945, die an einem demokratietheoretischen Defizit leide: Das genossenschaftlich-demokratische Miteinander von Individuen sei in wesensmäßige Gemeinschaftsbindungen umgedeutet worden

Theodor Litt hatte sich schon in der Weimarer Zeit -so in seiner Schrift „Individuum und Gemeinschaft“ -gegen die Staatsferne mancher Exponenten deutscher Kultur und Pädagogik gewandt. Freiheit, so sein Grundgedanke, ist nicht gegen die Sozialgebilde oder in Distanz zu ihnen zu gewinnen, sondern nur mit und in ihnen. Das gilt in spezifischer Weise auch für den Staat, den Litt als unentbehrliche Ordnungsmacht, aber zugleich auch als Kulturgebilde begreift. Staat ist für Litt nicht -wie in der positivistischen Staatsrechtslehre -nur ein Gefüge abstrakter Rechtsnormen, sondern Ausdruck eines geistig-kulturellen Prozesses. Damit eröffnete Litt der Pädagogik der Weimarer Zeit einen positiven Zugang zur Weimarer Verfassung und beeinflußte auch die neuere, demokratietheoretisch fruchtbare Staatslehre von Rudolf Smendt und Hermann Heller. Insofern war sein Rückgriff auf seine Positionen aus der Weimarer Zeit nach 1945 nicht restaurativ. Gerade weil zum zweiten Mal Demokratie in Deutschland eine Konkursmasse zu liquidieren hatte, fürchtete Litt, der demokratische Staat könne wieder der Verachtung durch seine Bürger zum Opfer fallen. Deshalb sein eindringliches Plädoyer, Demokratie nicht nur als Lebensform, sondern auch als Staatsform zu begreifen, und seine Skepsis, daß dazu eine andere Sozialisation genüge. Erkenntnis, Einsicht in staatlich-politische Zusammenhänge sei nötig.

Warum Selbsterziehung? Weil nicht, wie sonst im pädagogischen Verhältnis, erwachsene demokratische Staatsbürger und Lehrer eine nachwachsende Generation für die Demokratie zu gewinnen haben, sondern weil sich alle zusammen erst durch demokratische Praxis und Einsicht die Staatsform der Demokratie aneignen müssen. Auch die Lehrer müssen ihr Herz erst für die Demokratie entdecken. Hier nimmt Litt durchaus den positiven Grundgedanken der Re-education und demokratischer Sozialisation auf. Politisch erzogen wird nicht nur in den Schulen, sondern auch in Behör-den, durch Presse und Rundfunk, sogar in Familie und Freundeskreis.

Macht und Gewalt kommen nicht erst durch den Staat in die Gesellschaft; vielmehr weil sie in ihr sind, braucht das friedliche Miteinander der gesellschaftlichen Kräfte den Staat. Deshalb setzt Litt gegen Oetinger: Wir dürfen das Politische nicht ins Soziale auflösen. Andererseits bestehen Sinn und Leistung von Demokratie gerade darin, daß der politische Kampf kein existentieller ist; denn er zielt auf einen Zustand, der Freund-Feind-Beziehungen durch friedliche ersetzt -dies gegen Carl Schmitt gewandt. Die politische Gesamtverfassung des demokratischen Staates baut den Antagonismus der Meinungen in sein Gefüge von Machtteilungen ein. Litt kennzeichnet ihn ganz klar auch als Gegenbild zum totalitären Staat, gerade weil er auf eine Harmonie verzichte, die freien Wesen nicht vergönnt sei; weil er vielmehr seinen Sinn darin sehe, Einheit immer neu aus der Disharmonie seiner Glieder herzustellen Das Konzept von Litt, so knapp es entfaltet wurde, konnte die Gegenüberstellung von Demokratie als Staatsform und als Lebensform übergreifen. Es ließ demokratische Sozialerziehung als notwendige Bedingung politischer Erziehung verstehen, rückte aber die Eigenarten des Politischen ins Zentrum politischer Bildung. Sozialerziehung, wie sie Oetinger konzipiert hatte, war damit nicht überflüssig, sondern konnte als die in jeder politischen Bildung vorauszusetzende und mitzuleistende Sozialisation durch Kooperation begriffen werden. Litt hätte das allerdings klarer sehen müssen. Ferner blieb er die Entfaltung der Eigenarten des Politischen schuldig; der Kulturphilosoph bewegte sich ganz auf der Ebene der Prinzipien und Ideen. Die politische Realität wurde in Grundbegriffen wie Interessen, Macht, Kampf, Ordnung zwar berührt, aber es fehlte deren realitätshaltige Füllung. Auch der Begriff der Demokratie blieb abstrakt. Von seiner Zuordnung zum Rechtsstaat und zum modernen Sozialstaat war ebensowenig die Rede wie von den Menschen-und Grundrechten als den ihn tragenden Wertorientierungen.

2. Vorformulierung späterer Fragen

Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß die Diskussion der fünfziger Jahre wesentlich von Pädagogen geführt wurde, die von der geisteswissenschaftlichen Tradition geprägt waren. Sie konnten die begrifflichen und theoretischen Standards der erst danach entfalteten Sozialwissenschaften noch nicht haben. Deshalb mag uns heute manches in ihrer Begrifflichkeit und Diktion fremd und sachlich nicht angemessen scheinen. Aber der aufmerksame Leser findet in ihren Texten eine ganze Reihe grundsätzlicher Fragen und Antwortversuche zur politischen Bildung vorformuliert, die später und bis heute die fachdidaktische Diskussion beherrschen, auch über die Oetinger-Litt-Kontroverse hinaus.

Schon in dieser ging es um mehr als um das Verhältnis von Sozialerziehung und politischer Bildung im engeren Sinn. Dahinter stand die Frage, ob eine umfassendere, fächerübergreifende Gesellschaftslehre oder fachspezifischer Politikunterricht der bessere Weg sei. Die zwischen (politischer) Gemeinschaftskunde und Sozialkunde wechselnden Bezeichnungen des neuen Faches waren ebenfalls Ausdruck der Suche nach dem spezifischen Formal-objekt des neuen Faches. Schließlich enthielt die Kontroverse auch die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaft und Staat sowie nach dem Begriff des Politischen. Diese Fragen beschäftigen uns bis heute.

Ebenfalls nicht schlüssig beantwortet ist bis heute die Frage nach der Zuordnung von politischer Bildung als Prinzip des Schullebens und aller Fächer zum fachlichen Politikunterricht. Es ist zwar richtig, daß für manche damaligen Diskutanten die Betonung des Unterrichtsprinzips eher Ausdruck des Ausweichens vor Politik war. Verallgemeinern läßt sich das aber keineswegs. So plädierte z. B. Wilhelm Flitner -Grundimpulse der Reformpädagogik weiterführend -für ein Gesamtkonzept politischer Erziehung, das einen „genossenschaftlich-freiheitlichen Schulstil“ ebenso anzielte wie die Realisierung des Unterrichtsprinzips und ein besonderes Fach. Ferner sprach er einem um die europäische und die weltgeschichtliche Dimension erweiterten Geschichtsunterricht eine besondere Funktion für politische Erziehung zu und dachte für die „Selbstbildung der Erziehenden“ an eine Akademie für politische Bildung -wie sie 1957 für Bayern in Tutzing entstand

Das Verhältnis von Geschichtsunterricht und politischer Bildung/Politikunterricht war ebenfalls ein die Kontroversen der fünfziger Jahre beherrschendes Thema. Auch hier ist zu differenzieren. Gewiß gab es im Verband der Geschichtslehrer starke Aversionen gegen die Vorstellung etwa von Erich Weniger, einen politisch akzentuierten Geschichtsunterricht zum Hauptträger politischer Bildung zu machen Es gab auch die Tendenz, die neue „Zeitgeschichte“ möglichst aus der Schule fernzuhalten. Durchgesetzt haben sich diese Tendenzen aber keineswegs, was einer allmählich nachgewachsenen jüngeren Lehrerschaft ebenso zu verdanken ist wie z. B. einem so engagierten Vorkämpfer politischer Bildung wie Felix Messerschmid, dem langjährigen Vorsitzenden des Geschichtslehrerverbandes und ersten Direktor der Tutzinger Akademie.

Vorformuliert sind in der damaligen Diskussion auch die bis heute bzw. uns heute neu beschäftigenden Fragen nach dem Verhältnis von Erfahrung, Wissen und Einsicht, nach Kategorien politischer Urteilsbildung sowie nach dem Verhältnis von Rationalität, Emotionalität und moralischer Erziehung. Während z. B. Erich Weniger auf lebensweltlich wie geschichtlich fundierte Erfahrung und ihre Deutung durch Theorie und systematische Lehre setzte, auf aufklärende Einsicht in Grundfragen politisch-staatlicher Ordnung, suchte Eduard Spranger ausdrücklich nach einem Weg zum Elementaren und Fundamentalen eines „staatsbürgerlichen Unterrichts“, der nicht auf eine Anknüpfung an den Geschichtsunterricht angewiesen sei Sein Vorschlag, „gesellschaftliche Urphänomene“ am naheliegenden „Ausgangsmodell“ Familie aufzusuchen, wurde oft als falsche Analogie von Familie und Staat mißverstanden, war wohl auch nicht glücklich gewählt. Es ging Spranger aber nicht um Vergleich oder gar Gleichsetzung unterschiedlicher Sozialgebilde, sondern um einen Weg zum Verständnis „ursprünglicher Sinnelemente“ des Sozialen durch phänomenologische Deutung von Gegebenheiten, die Kindern/Jugendlichen schon zugänglich sind. Als die gemeinten Sinnelemente stellte er die Polaritäten von Herrschaft und Abhängigkeit (Freiheit und Gleichheit) sowie von Macht und Recht und dann Formen ihrer Regelung heraus; das Ganze übrigens höchst bescheiden als Vorschlag und Versuch deklarierend, der durch bessere zu ersetzen wäre.

Begleitet wurde diese Frage nach den angemessenen Kategorien politischer Bildung bei Autoren wie Litt, Weniger oder Spranger immer auch vom Versuch einer Verhältnisbestimmung von Erkenntnis/Einsicht und Gesinnung, von Aufklärung und Moral. Das Spannungsverhältnis wurde gesehen und vor dem Hintergrund der Pervertierung von „Gesinnung und Haltung“ im Nationalsozialismus und in Kenntnis diesbezüglicher Neigungen von Pädagogen ausdrücklich zugunsten der Rationalität politischer Bildung interpretiert. Es gab gegen Ende des hier zu betrachtenden Zeitabschnitts zwar Stimmen, die für die Überwindung eines „emotionalen Vakuums“, einer „politischen Eiszeit“ durch neue Wege „politischer Gefühlsbildung“, später auch für erneuerte Nationalerziehung plädierten Das Unzulängliche daran war die einseitige Zuordnung von Werturteilen und wertbezogenen Einstellungen zum Emotionalen. Demgegenüber beschrieb der damals junge Politikwissenschaftler Heinrich Schneider politische Bildung sehr prägnant als Gewissensbildung in einem durchaus rationalen Sinn, indem er im Anschluß an Arnold Bergsträsser das Politische als die res gerendae in ihrem Aufgabencharakter und damit in ihrem Anspruch an begründbares und verantwortbares Urteilen und Handeln darstellte Hier hatte die pädagogische Diskussion den Anschluß an politiktheoretische Erörterungen gefunden, und zwar in einer Frage, die uns heute erneut und intensiv beschäftigt.

3. Politikwissenschaft als „Demokratiewissenschaft“

Es ist bemerkenswert, daß die ersten Ansätze der neu etablierten Politikwissenschaft sich ihrer Nähe zur politischen Bildung bewußt waren und sie pflegten. Ob wir an Theodor Eschenburg in Tübingen und an sein Bemühen um das Verständnis vom Regieren in Institutionen denken; an Ernst Fraenkel in Berlin und an seine Theorie des Neopluralismus; an Carl Joachim Friedrich in Heidelberg und an die Theorie des Totalitarismus; an Arnold Bergsträsser in Freibürg und an die von seinen zahlreichen Schülern entfaltete normativ-praktische Politikwissenschaft; an Eric Voegelin in München und an seine philosophisch-politische Repräsentationstheorie -in allen diesen Ansätzen ging es um „Demokratiewissenschaft“ im Sinne der Begründung eines freiheitlichen Verfassungsstaates aus theoretisch durchdrungener geschichtlicher Erfahrung. Bemerkenswert auch, daß vier der fünf hier Genannten Remigranten aus den USA waren. Sie waren in der Lage, dem in der Re-education positiv Gemeinten wissenschaftliche Plausibilität zu geben.

Ihre Arbeiten ermöglichten -zusammen mit den ersten Ergebnissen zeitgeschichtlicher Forschung -der politischen Bildung mehr als eine äußerliche Verbindung der Konzepte, um die die Pädagogen stritten und für die der Deutsche Ausschuß in seinem Gutachten von 1955 eine Integration versucht hatte. Sie ermöglichten eine positive Umwandlung des vorhandenen Anti-Konsenses: des AntiFaschismus, des Anti-Kommunismus, des Anti-Totalitarismus, denn sie erneuerten und fundierten verfassungsgeschichtlich, historisch-soziologisch, politisch und philosophisch die europäische Tradition republikanischen Denkens unter den Bedingungen unserer Zeit. Sie machten deutlich, daß Demokratie als res publica, als Gemeinwesen freier Bürger, zugleich öffentlich-gesellschaftlich gelebt sowie rechtlich-institutionell als Staat verfaßt sein muß. Heute nennen und beschwören wir das als die Verbindung von Zivilgesellschaft und demokratischem Verfassungsstaat.

Politische Bildung geht nicht in Sozialpädagogik und Moralerziehung auf, aber sie braucht den Nährboden einer Zivilgesellschaft. Wir jüngeren Lehrer lernten damals aus der neuen zeitgeschichtlich-politikwissenschaftlichen Forschung, daß Diktatur möglich geworden war aus Mangel an demokratischer Lebensart; daß aber wesentliches Merkmal totalitärer Herrschaft die Mißachtung und Aushöhlung freiheitlicher Institutionen war. Richard Schröder sagt in bezug auf die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit: „Es stimmt nicht, daß die Folgen einer Diktatur eine Gesellschaftstherapie nötig machen... Die Wiederkehr der Diktatur wird nicht durch eine Reinigung der Herzen verhindert, sondern durch die Anerkennung der Institutionen der Freiheit.“ Hinzuzufügen wäre, daß die Reinigung der Herzen nicht Sache der Politik ist. Sie ist selbst pädagogisch nur mit äußerster Behutsamkeit anzustreben. Jede Art moralischer Penetranz bewirkt das Gegenteil, nämlich Verstocktheit.

Deshalb war die politisch richtige Konsequenz aus der Aufarbeitung von Vergangenheit nicht eine erneute Staatsferne oder gar nachgeholter Widerstand, sondern Entwicklung und Praxis republikanischer Denkungsart. In Orientierung an Kant läßt sie sich durch dreierlei kennzeichnen: Sie stellt an die staatlichen Institutionen freiheitliche Ansprüche; sie anerkennt diese Institutionen als Bedingungen und Formen gemeinsamer Freiheit; sie sieht in der Orientierung an der gleichen Würde aller Menschen das notwendige Prinzip des Zusammenlebens. Das war das Ergebnis eines intensiven Lernprozesses in Theorie und Praxis politischer Bildung der fünfziger Jahre. Die „didaktische Wende“ hin zu einer auch sozialwissenschaftlich fundierten Didaktik politischer Bildung zu Beginn der sechziger Jahre war nur möglich auf diesem neu gewonnenen Grund.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Als typisches Beispiel sei der Bericht eines Schulleiters und späteren Kultusministers genannt: Gerhard Storz, Zwischen Amt und Neigung. Lebensbericht aus der Zeit nach 1945, Stuttgart 1976, S. 29 ff.

  2. Vgl. Gustav Radbruch, Staatsbürgerkunde als Lehrfach (1948), in: Heinrich Schneider (Hrsg.), Politische Bildung in der Schule, Band I: Grundfragen, Darmstadt 1975, S. 1 ff.; Theodor Eschenburg, Die Anfänge der Politikwissenschaft und des Schulfaches Politik in Deutschland seit 1945, Augsburg 1986 (Augsburger Universitätsreden 7).

  3. Vgl. Karl Ernst Bungenstab, Umerziehung zur Demokratie? Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945-49. Düsseldorf 1970; Jutta Lange-Quassowski, Neuordnung oder Restauration? Das Demokratiekonzept der amerikanischen Besatzungsmacht und die politische Sozialisation der Westdeutschen, Opladen 1979.

  4. Vgl. dazu die Stimme eines hohen amerikanischen Besatzungsoffiziers, dokumentiert bei K. E. Bungenstab, ebd., S. 55.

  5. Im Beschluß der Kultusministerkonferenz (KMK) von 1950 zur politischen Bildung war das besondere Fach zwar nur empfohlen worden, aber es trifft nicht zu, wenn Wolfgang Sander meint, bis in die sechziger Jahre habe man es nicht für erforderlich gehalten. Vgl. Wolfgang Sander, Politikdidaktik in der Bundesrepublik als Lernprozeß. Eine Einführung in ihre geschichtliche Entwicklung, Schwalbach 1991, S. 9f.

  6. Vgl. dazu die Auszüge aus einer Denkschrift der amerikanischen Erziehungskommission von 1946, dokumentiert bei Hans-Werner Kuhn/Peter Massing (Hrsg.), Politische Bildung in Deutschland. Entwicklung -Stand -Perspektiven, Opladen 1990, S. 123.

  7. Vgl. Karl Friedrich Kindler, Not und Aufgabe der politischen Erziehung, in: Gesellschaft -Staat -Erziehung, (1960) 5, S. 62 ff.

  8. Der Text des Gutachtens bei H. Schneider (Anm. 2), S. 295 ff.

  9. Von den genannten Zeitschriften überlebte nach der Währungsreform nur ein Teil. Das hatte nicht nur wirtschaftliche Gründe, vielmehr fand das Konzept einer sozialistischen Ordnung, wie sie etwa in „Der Ruf“ vertreten wurde, politisch kaum mehr Resonanz. Dasselbe gilt für einen „demokratischen Sozialismus“, wie ihn die Frankfurter Hefte, verbunden mit dem Vorwurf der Restauration an die westdeutsche Politik, vertraten.

  10. Vgl. Eugen Kogon, Das Recht auf den politischen Irrtum, in: Frankfurter Hefte, Juli 1947; Auszug bei Clemens Vollnhals (Hrsg.), Entnazifizierung, dtv-Dokumente, München 1991, S. 302 ff.

  11. Vgl. vor allem Ralph Giordano, Die zweite Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein, Hamburg 1987. Eine Art Gegendarstellung gibt Manfred Kittel, Die Legende von der „Zweiten Schuld“. Vergangenheitsbewältigung in der Ära Adenauer, Frankfurt/Main 1993. Einen Gesamtüberblick mit zahlreichen Literaturangaben gibt Ulrich von Hehl, Kampf um Deutung. Der Nationalsozialismus zwischen „Vergangenheitsbewältigung“, Historisierungspostulat und „Neuer Unbefangenheit“, in: Historisches Jahrbuch, 1997, II, S. 406 ff.

  12. Als Beispiele aus der Vielzahl der Beiträge in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (der Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“) seien genannt: Alex Weissberg, Die Geschichte von Joel Brand, B 50/56; Joseph Wulf, Vom Leben, Kampf und Tod im Ghetto Warschau, B 15/58; Joseph Wulf, Raoul Wallenberg, B 42/58.

  13. Vgl. Hans Buchheim, Politische Kriterien der Schuld an der NS-Herrschaft und deren Verbrechen, in: Hans Maier (Hrsg.), Politik -Philosophie -Praxis. Festschrift für Wilhelm Hennis, Stuttgart 1988, S. 513 ff.

  14. Walter Gagel, Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1989, Opladen 19952, widmet S. 90 ff.dem „Antikommunismus“ ein ganzes Unter-kapitel, mit sehr kritischem Ton und vielen Zitaten. Im Kontext des KPD-Verbots von 1956 spricht er sogar von „Verfolgungsklima“. Daß 1952 andererseits die Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten wurde und das Bundesverfassungsgericht in beiden gut begründeten Urteilen das Konzept der abwehrbereiten freiheitlichen Demokratie entfaltete, wäre wenigstens zu erwähnen. Interessanterweise räumt Gagel am Schluß selbst ein, er sei sich angesichts der Erkenntnisse über den „Kraken Stasi“ seit 1990 seiner negativen Bewertung des Antikommunismus nicht mehr so sicher. Man wundert sich: Über den Charakter des DDR-Regimes konnten Informierte auch vor 1990 eigentlich nicht im Zweifel sein.

  15. Das Vorwort der Richtlinien bei H. -W. Kuhn/P. Massing (Anm. 6), S. 154f.

  16. Der Beschluß der KMK von 1960 bei H. -W. Kuhn/P. Massing, ebd., S. 1541; die Richtlinien von 1962 bei H. Schneider (Anm. 2), S. XLVII.

  17. W. Gagel (Anm. 14) zitiert S. 95 f. zum Beleg für „Kontinuität und Verschärfung des Antikommunismus“ aus einem „weit verbreiteten Schulbuch“ (Nebelsiek). Zur Relativierung seiner These genügt der Hinweis auf ein ebenso weit verbreitetes Buch („Freiheit und Verantwortung“), das von dieser Tendenz völlig frei ist.

  18. Vgl. Jürgen Weber/Peter Steinbach (Hrsg.), Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren? NS-Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland, München 1984.

  19. Peter Graf Kielmansegg, Lange Schatten. Vom Umgang der Deutschen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, Berlin 1989, S. 10 f. Vgl. jetzt auch Peter Steinbach. Verfassungsgeschichte im Schatten des Dritten Reiches -Vergangenheitsbewältigung in Deutschland, in: Politische Bildung. (1998) 4, S. 8 ff., wo mehrfach von einer „beeindruckenden Bilanz“ die Rede ist.

  20. Vgl. Friedrich Oetinger, Wendepunkt der politischen Erziehung. Partnerschaft als pädagogische Aufgabe, Stuttgart 1951; Theodor Litt, Die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes, Heft 1 der Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst, Bonn 19595.

  21. Vgl. Hermann Giesecke, Didaktik der politischen Bildung, Neue Ausgabe, München 19727, S. 59 f.; Ernst-August Roloff, Erziehung zur Politik. Eine Einführung in die politische Didaktik, Band 1, Göttingen 1972, S. 30.

  22. W. Gagel (Anm. 14), S. 70.

  23. F. Oetinger (Anm. 20), S. 96.

  24. Vgl. die Hinweise bei W. Gagel (Anm. 14), S. 65 ff.

  25. Deshalb wird W. Gagel (Anm. 14), S. 93 ff. m. E. Theodor Litt nicht ganz gerecht, wenn er dessen „Antikommunismus“ eher aktuell politisch als staatsphilosophisch begründet sieht.

  26. Vgl. Wilhelm Flitner, Die zwei Systeme politischer Erziehung in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 32/55, S. 481 ff.

  27. Vgl. Erich Weniger, Politische Bildung und staatsbürgerliche Erziehung, Würzburg 1954.

  28. Vgl. Eduard Spranger, Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimat-dienst, Heft 26, Bonn 19597

  29. Vgl. Heinrich Newe, Der politische und demokratische Bildungsauftrag der Schule, Kiel 1961; Klaus Hornung, Politik und Zeitgeschichte in der Schule. Didaktische Grundlagen, Villingen 1966.

  30. Vgl. Heinrich Schneider, Politische Bildung als Gewissensbildung, Würzburg 1961.

  31. Richard Schröder in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 5. März 1998.

Weitere Inhalte

Bernhard Sutor, Dr. phil., geb. 1930; Professor (em.) für Politikwissenschaft (Didaktik der Sozial-kunde und Christliche Soziallehre) an der Katholischen Universität Eichstätt. Veröffentlichungen u. a.: Politik und Philosophie, Mainz 1966; Didaktik des politischen Unterrichts, 2. Aufl., Paderborn 1973; Grundgesetz und politische Bildung, Hannover-Mainz 1976; Neue Grundlegung politischer Bildung, 2 Bände, Paderborn 1984; Politik. Lehr-und Arbeitsbuch, 2. Aufl., Paderborn 1987; Politische Ethik. Gesamtdarstellung auf der Basis der Christlichen Gesellschaftslehre, 2. Aufl., Paderborn 1992; Politik. Ein Studienbuch zur politischen Bildung, Paderborn 1994; Kleine politische Ethik, Bonn -Opladen 1997.