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Stumpfes Friedensinstrument? Zur Problematik der UN-Sanktionen | APuZ 16-17/1998 | bpb.de

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APuZ 16-17/1998 Frieden als Abwesenheit von Krieg? Kritischer Vergleich einiger Blauhelmeinsätze in den neunziger Jahren „Erfolgsgeschichten“ friedlicher Konfliktbearbeitung Mit unendlicher Geduld für den Frieden Zwischenbilanz der OSZE-Langzeitmissionen Stumpfes Friedensinstrument? Zur Problematik der UN-Sanktionen

Stumpfes Friedensinstrument? Zur Problematik der UN-Sanktionen

Manfred Kulessa

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat der Sicherheitsrat mehrfach Sanktionen gegen Friedensstörer verhängt. Die vorliegenden, eher problematischen Erfahrungen haben mittlerweile zu Kritik und Nachdenklichkeit geführt. Die Irak-Krise ist auch eine Krise der UN-Sanktionen. Die aufgetretenen völkerrechtlichen und ethischen Probleme erfordern eine Reform in der Anwendung des Instrumentariums internationaler Sanktionen. Die Schwierigkeit der Erfolgsabschätzung von Sanktionen macht eine sorgfältige Analyse der Situation des Ziellandes vor und während der Sanktionen notwendig. Klar formulierte Ziele sollten Berechenbarkeit herstellen. Eine Befristung sollte verhindern, daß die Aufhebung der Sanktionen durch das Veto eines Landes unterbleibt. Ohnehin muß der Gefahr entgegengewirkt werden, daß der Sicherheitsrat für nationale Einzelinteressen instrumentalisiert wird. Die Menschenrechte werden zunehmend als Grund (Haiti) und Grenze (Irak) von Wirtschaftssanktionen erkannt. Es genügt nicht, humanitäre Hilfslieferungen als Ausnahmen von einem Embargo zuzulassen. Es ist unverantwortlich und unzulässig, wenn Kinder sterben müssen und ein erheblicher Teil der Bevölkerung unter das Existenzminimum gedrückt wird. Dem muß die internationale Gemeinschaft Rechnung tragen. Bei der Aüswahl der Sanktionsinstrumente sind Verhältnismäßigkeit, Erfolgschance, Zielgruppen-orientierung und humanitäre Rücksichten wichtige Kriterien. Maßnahmen, die primär die politisch verantwortliche Führungselite treffen, sind vorzuziehen. Gegenüber umfassenden Wirtschaftssanktionen ist größte Zurückhaltung geboten. Drittstaaten, denen durch ein Sanktionsregime erheblicher Schaden entsteht, sollten dafür einen Ausgleich erhalten. Empfohlen wird die Kodifizierung des Sanktionsrechts in Form einer internationalen Konvention, die gleichzeitig ein UN-Gewaltmonopol für friedenssichernde Sanktionen festlegen sollte.

I. Einleitung

In der Diskussion um eine kürzlich zu diesem Thema publizierte Analyse wurde vor einer „Irakisierung“ der Debatte um die UN-Sanktionen gewarnt. In der Tat gibt es eine ganze Reihe von anders gelagerten Beispielen des Einsatzes und der Wirkung von Sanktionsinstrumenten, seit mit dem Ende des Kalten Krieges ihre Anwendung viel öfter möglich wurde. Aber die Sanktionen gegen den Irak sind angesichts des Umfangs und der Dauer ihrer Maßnahmen, ihrer Erfolglosigkeit und ihrer bedenklichen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung der deutlichste Problemfall. Insofern ist die Irakkrise nicht nur eine Krise internationaler Friedenspolitik und der Funktion des Sicherheitsrats, sondern auch eine Krise der UN-Sanktionen.

Man trifft jetzt wieder auf die Meinung, daß der rasche chirurgische Schnitt* einer militärischen Operation der Langzeitanwendung einer Kombination von Sanktionsmitteln auch in ihrer härtesten Form vorzuziehen sei. Diese Position wird hier nicht vertreten, und der damit angestellte Vergleich wirkt makaber, solange man davon ausgehen muß, daß in beiden Alternativen primär die Falschen getroffen werden. Allerdings können Sanktionen den militärischen Einsatz nicht gänzlich ersetzen oder verhindern, wie sich am Beispiel von Haiti zeigt, wo es trotz der Sanktionsepisode zu militärischer Intervention gekommen ist.

Im übrigen sei an die Weisheit erinnert, die im Chinesischen das Wort Krise aus den Zeichen für Gefahr und Chance bilden läßt. Gefahr und Schwäche sind leider nur zu oft deutlich. Die Chance liegt in der Auswertung der Erfahrungen aus den Sanktionsepisoden der neunziger Jahre und in der Reform des Systems der UN-Sanktionen. Die internationale Gemeinschaft muß aus ihren Fehlern lernen. Das bedarf intensiver Diskussion; dazu wollen diese Ausführungen beitragen. Es geht trotz aller Kritik nicht um die Abschaffung, sondern um die politische und rechtliche Qualifizierung des Sanktionsinstruments.

II. Gefahren und Schwächen der Anwendung von Sanktionen

Aus den bisherigen Erfahrungen werden in der Tat einige schwerwiegende Probleme im Gebrauch des Sanktionsinstruments deutlich Völkerrechtliche und ethische Probleme stehen dabei im Vordergrund. Die Zivilbevölkerung leidet in höherem Maße als die politische Elite und kann, wie das Beispiel des Irak zeigt, zur Geisel in der Auseinandersetzung werden. Hinzu kommt häufig noch die Fragwürdigkeit des Erfolgs und schließlich die Schadenswirkung auf Drittländer. Diese Probleme lassen eine Reform notwendig und dringend erscheinen.

Der internationalen Gemeinschaft stehen hier mehr Optionen und Alternativen zur Verfügung, als sie bisher wahrgenommen wurden. Im Fall des Irak würde zum Beispiel die Diskussion im Sicherheitsrat anders verlaufen, wenn die Sanktionen von Anfang an mit einer Befristung verhängt worden wären. Dann hätte man nämlich am Ende dieser Frist wiederum einen Beschluß zu ihrer Fortsetzung fassen, sich also im Kreis der ständigen Mitglieder abstimmen müssen, um ein Veto zu vermeiden. Da eine solche Befristung aber fehlt, kann im Zweifelsfall jedes ständige Mitglied die Aufhebung von einmal gefaßten Sanktionen blokkieren. Die irakische Führung mag daher mit einigem Recht befürchten, selbst durch eine folgsamere Politik eine gänzliche Aufhebung in absehbarer Zeit nicht erreichen zu können. Damit entfällt der Anreiz, auf dem das System beruht; und es mag aus dieser Sicht logisch erscheinen, ihn durch alternative Arrangements wie die Peitsche der Drohung mit einem Militärschlag oder das Zuckerbrot einer Ausdehnung des „oil for food" -Programms wieder herzustellen. Solange diese Vetofalle existiert, dürfte es auch für Libyen kaum eine Chance der Beendigung des Sanktionsregimes geben.

Weil es bei den Beschlüssen des Sicherheitsrats um Politik und nicht um Rechtsfindung geht, darüber hinaus den ständigen Mitgliedern durch ihr Vetorecht der maßgebliche Einfluß auf die Entscheidungsfindung zugestanden wird, kann Gleiches auch ungleich entschieden werden. Der jeweiligen Machtkonstellation und den Interessen der ständigen Mitglieder kommt eine zentrale Rolle zu. So wurden gegen Haiti wegen der Machtübernahme durch die Militärs Sanktionen verhängt, nicht aber gegen Nigeria oder Burma. Im Tschetschenien-Krieg wäre ein Sanktionsbeschluß gegen die Russische Föderation undenkbar gewesen; keine der historischen Großmächte würde einer Regelung zustimmen, wonach man sich in eigener Sache der Stimme zu enthalten hätte.

Gelegentlich kann es auch zu völkerrechtlich umstrittenen Entscheidungen kommen. Einen solchen Fall stellen die Sanktionen dar, die ab 1992 gegen Libyen verhängt worden sind Der Sicherheitsrat verlangte in seiner Resolution 748 vom 31. März 1992 die Überstellung von zwei Verdächtigen des Attentates von Lockerbie an die USA und Großbritannien sowie generell die Abkehr vom Terrorismus. Libyen hat die Legitimität dieses Verlangens nicht anerkannt und dagegen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) geklagt. Die Klage ist noch anhängig. Gelegentliche libysche Äußerungen der Kompromißbereitschaft wurden von den Urhebern der Resolution stets als unzureichend zurückgewiesen. Inzwischen mehren sich die Stimmen, die Zweifel an der Rechtsgültigkeit des geforderten Begehrens auf Überstellung der Verdächtigen wie an der Verantwortlichkeit Libyens für die Lockerbie-Affäre und für den Terrorismus jüngeren Datums äußern. Jeder Versuch der Vermittlung in diesem Konflikt -eine Reihe europäischer, afrikanischer und arabischer Staaten treten für die Aufhebung der Sanktionen ein -scheiterte bislang an der tiefen Animosität, die das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Libyen kennzeichnet.

Weltpolitisch bedenklich ist auch das Problem des Nord-Süd-Gefälles: Wie die Wasser des Mississippi, sagen amerikanische Forscher, fließen Sanktionen immer von Norden nach Süden. Die globalen Machtstrukturen dominieren das Geschehen. Ungelöst bleiben schließlich die Probleme der Drittländer, insbesondere der Nachbarstaaten und Handelspartner des verurteilten Landes, die von den Sanktionen unverhältnismäßig stark betroffen sein können. So hat Jordanien unter den Irak-Sanktionen zu leiden, und die Donaustaaten trugen erhebliche Lasten bei den Sanktionen gegen das frühere Jugoslawien. Für ihre Verluste gibt es keine Entschädigung, und die Vorschrift von Art. 50 der UN-Charta mit dem Recht, solche Beschwer zu Gehör zu bringen, hat sich bislang als unwirksam erwiesen.

III. Schwierigkeiten mit dem politischen Erfolgskalkül

Die Erwartungen an die Wirkung eines Sanktionsregimes erfüllen sich selten so wie geplant. Sanktionen sind gerechtfertigt, wenn und insoweit sie eine Friedensstörung ohne Krieg beseitigen. Es ist aber nicht sicher, ob sie sich tatsächlich so auswirken, und die Erfahrung läßt den Schluß zu, daß die prophetischen Gaben der Entscheidungsträger hier besonders gering ausgeprägt sind, zumal sie sich auch oft von innenpolitischen Überlegungen leiten lassen, die nichts mit den Erfolgsaussichten der beschlossenen Maßnahmen zu tun haben müssen. Die Erkenntnis, daß Sanktionen keineswegs automatisch die gewünschte politische Wirkung haben, war schon 1967 am Beispiel des Wagen-burg-Effekts in Südrhodesien zu beobachten: Wenn man gegen die ganze Welt steht, schart man sich um die Fahne und stellt die internen politischen Auseinandersetzungen zurück. Im Irak mußten die Sanktionen sogar als Begründung für eine Verschärfung der Unterdrückung durch die Machthaber herhalten.

Bei mancher Sanktionspraxis ist die Frage angebracht, ob sie nicht zu politischer Fehlentwicklung beigetragen hat. Zum Beispiel wurden im Fall von Jugoslawien der Kulturaustausch und die Lieferung von internationalen Zeitungen und Zeitschriften abgebrochen. Dadurch dürfte der politische Dialog im Lande und die Vertretung der Menschenrechte zusätzlich erschwert worden sein. Auch hier wurde die Frage einer demokratischen Alternative zu der herrschenden Staatsführung erst nach Aufhebung der Sanktionen aktuell.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen unterscheidet sich die Haltung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Verhängung von Sanktionen: China und Rußland verhalten sich zurückhaltender als die Vereinigten Staaten, und jedes Land hat seine eigene Position. Für China hat gerade das Prinzip der Souveränität einen hohen Stellenwert. Es betont regelmäßig, daß Dispute durch friedliche Verhandlungen zwischen gleichberechtigten Staaten gelöst werden sollen, was in den meisten Fällen nicht genügend versucht worden sei. Deshalb hat sich China bei den entsprechenden Resolutionen häufig der Stimme enthalten.

IV. Empfehlungen zur Reform

Jenseits der unterschiedlichen politischen Standpunkte wäre in jedem Fall bei der Auswahl der angewandten Sanktionsmaßnahmen ein höheres Maß an Sorgfalt und Kreativität zu wünschen.

Generalsekretär Boutros-Ghali hat im Januar 1995 dafür einen „Mechanismus“ vorgeschlagen, der die Auswirkungen der in Frage stehenden Maßnahmen noch vor Verhängung von Sanktionen und dann während ihrer Anwendung ermöglichen soll. Seine Vorschläge zur Reform werden seither in den Vereinten Nationen intensiv diskutiert, ohne daß es bislang zu entscheidenden Beschlüssen gekommen wäre

Sanktionen sollten nicht als statische Maßnahme eingesetzt werden. Um erfolgreich wirken zu können, müssen sie Rücksicht auf die im Zielstaat vorhandenen Gegebenheiten und Politikstrukturen nehmen. Eine entsprechende Einflußnahme auf die Führungsschichten oder die Stärkung oppositioneller Gruppen kann wirkungsvoller sein als umfassende Wirtschaftssanktionen, die die gesamte Bevölkerung in Mitleidenschaft ziehen. Vor der Verhängung von Sanktionen ist daher eine Bewertung der politischen und wirtschaftlichen Situation des Staates sowie seiner absehbaren Reaktionsweisen vorzunehmen, bei der auf die Informationen und Analysen internationaler Organisationen und Institute zurückgegriffen werden kann. Ist erkennbar, daß eine gewählte Maßnahme keinen Erfolg haben wird, so ist das Sanktionspaket flexibel an die neu erkannten Erfordernisse anzupassen.

Dieser Forderung nach Flexibilität in der Methode steht die nach eindeutiger und unveränderbarer Formulierung der Ziele gegenüber, d. h.der Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen. Hier darf es weder ein nachträgliches Draufsatteln noch eine „hidden agenda“ geben (Beispiel: „Saddam muß weg!“ -eine Forderung, die sich in keiner Resolution auch nur andeutungsweise findet).

Klarheit und Transparenz müssen insofern die entscheidenden Prinzipien der Sanktionsbeschlüsse sein.

Künftige Resolutionen sollen also die Ziele der Sanktionen klar formulieren und die Bedingungen für ihre Aufhebung eindeutig im voraus bestimmen. Die Aufhebung der Sanktionen durch einen ausdrücklichen Beschluß des Sicherheitsrates darf nicht wegen des Vetorechtes von ständigen Ratsmitgliedern unwahrscheinlich oder unberechenbar für die Zielstaaten von Sanktionen werden. Deshalb ist unter bestimmten Umständen die automatische Suspendierung der Sanktionen bei Erreichung bestimmter Ziele in Erwägung zu ziehen. Es mag dann immer noch zu klären sein, wer die Erreichung des Zieles sozusagen von Amts wegen feststellen kann. Die Frage liegt nahe, ob so etwas zum Mandat des Generalsekretärs gehören könnte. Da aber zu vermuten ist, daß der Sicherheitsrat den Beschluß über den Erfolg eines Sanktionsregimes nicht aus der Hand geben will, ist die zeitliche Begrenzung der Verhängung von Sanktionen wahrscheinlich das beste Mittel, zu einer regelmäßigen Überprüfung ihrer Wirksamkeit bzw.der Gründe für ihre Fortsetzung zu gelangen.

Für den Erfolg der Sanktionen ist die internationale Glaubwürdigkeit der Entscheidungen des Sicherheitsrates ein wichtiges Kriterium. Es muß vermieden werden, daß der Rat zur Durchsetzung der außenpolitischen Interessen eines (ständigen) Mitgliedes instrumentalisiert wird. An die Begründung der Ratsentscheidungen sind daher hohe Ansprüche zu stellen. Zu fordern ist eine Einigung der ständigen und der nichtständigen Mitglieder, in der diese -unter Anerkennung des bestehenden weiten Ermessensspielraums der UN-Charta -Ziele und Prinzipien der kollektiven Friedenssicherung festlegen, an denen das Handeln des Sicherheitsrates gemessen werden soll.

Die Umsetzung und Durchsetzung der Beschlüsse des Sicherheitsrates ist eine Aufgabe der gesamten Staatengemeinschaft. Von den Sanktionen besonders betroffene Drittstaaten haben ein Anrecht auf solidarische Unterstützung hinsichtlich ihrer besonderen wirtschaftlichen Lasten. Ein solcher Ausgleich könnte durch die Schaffung eines Ausgleichsfonds unter dem Dach der Vereinten Nationen ermöglicht werden.

Werden Sanktionen verhängt, so ist ihnen Zeit zu geben, ihre Wirkung zu entfalten. Der eigenständige Zwangscharakter der Maßnahmen ist auch von ihren Urhebern ernstzunehmen. Ein rascher oder automatischer Wechsel zu militärischen Maßnahmen ist jedenfalls abzulehnen.

V. Die humanitäre Frage: Sanktionen und Menschenrechte

Auch die humanitäre Problematik wirtschaftlicher Sanktionen läßt sich am Beispiel des Irak, gegen den ab August 1990 umfassende Wirtschaftssanktionen verhängt wurden, am ehesten verdeutlichen. Dort mehrten sich ab 1991 alarmierende Berichte über die Situation der Zivilbevölkerung. Die Ernährungs-und gesundheitliche Lage der Menschen wurde als besorgniserregend beschrieben; man fürchtete eine humanitäre Katastrophe. Humanitäre Hilfe war zwar zugelassen, aber nicht in dem notwendigen Umfang verfügbar. Der Sicherheitsrat reagierte auf diesen Notstand, indem er das „oil for food“ -Programm entwikkelte. Dem Irak sollte unter UN-Aufsicht der Export einer bestimmten Menge Öl erlaubt sein, dessen Erlöse u. a. zu Reparationszahlungen und zum Erwerb humanitärer Güter wie Nahrungsmittel und Medizin für die leidende Bevölkerung verwendet werden sollten. Der Irak lehnte allerdings bis Ende 1996 die Durchführung dieses Programmes als Eingriff in seine Souveränitätsrechte ab. In der Zwischenzeit verschlechterte sich die allgemeine wirtschaftliche Lage des Landes und die Versorgungssituation seiner Bevölkerung weiter. Neunzig Prozent der Deviseneinkünfte Iraks vor dem Krieg stammten aus dem Ölgeschäft, und diese Mittel fehlten -ebenso wie die Gelder auf den vom Sicherheitsrat eingefrorenen Auslands-konten -für den Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten Infrastruktur.

Die Sanktionen trugen dazu bei, nach dem Krieg ein Wiedererstarken der irakischen Wirtschaft zu verhindern, allerdings vor allem zu Lasten der irakischen Zivilbevölkerung. Inflation und Knappheit machten Nahrungsmittel für die verarmte Bevölkerung praktisch unerschwinglich. Ein Rationierungssystem der Regierung konnte kaum eine Minimalversorgung gewährleisten und eine verheerende Verschlechterung der allgemeinen Gesundheitssituation der Menschen im Irak nicht verhindern. Krankheiten und Mangelernährung waren die Folge. Das Gesundheitssystem des Irak leidet unter Ausrüstungsmängeln und kann deshalb nicht mehr angemessen funktionieren. UN-Studien gehen von einer Verfünffachung der Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren aus. Inzwischen ist das „oil for food" -Programm unter strikter UN-Aufsicht angelaufen. Wie sich die Lage im Irak dadurch und im Zuge einer Erweiterung des Programms ändern wird, bleibt abzuwarten.

Die Verschlechterung der humanitären Situation im Irak stellt keinen Einzelfall dar. Wirtschaftssanktionen, insbesondere wenn sie umfassend und effektiv einsetzen, sind von ihrer Anlage her zwangsläufig gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Berichte über schädliche Auswirkungen der Sanktionen auf die Menschen in den Zielstaaten gibt es daher auch aus der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) und Haiti. Diese Sanktionsfolgen sind nicht nur ethisch fragwürdig, sie haben auch rechtliche Relevanz. Die Menschenrechte und das im Kriegsfall anwendbare humanitäre Völkerrecht werden zunehmend als Grenzwerte für die Zulässigkeit von Wirtschaftssanktionen erkannt. Sie gehören zum Kem der Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen, die vom Sicherheitsrat gemäß Art. 24 Absatz 2 der UN-Charta bei der Erfüllung seines Mandates zur Friedenssicherung zu beachten sind. Wenigstens die zwingenden Rechte der von den Auswirkungen der Sanktionen betroffenen Menschen sind daher bei der Verhängung der Wirtschaftssanktionen zu berücksichtigen, insbesondere die auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser, Unterkunft und Kleidung. Aushungern ist in keinem Fall erlaubt. Die Grenze ist dann überschritten, wenn die Sanktionen dazu beitragen, daß ein erheblicher Teil der Bevölkerung unter das Existenzminimum fällt

Gewiß sind die UN-Sanktionen nicht die einzige Ursache für das Elend der Menschen im Irak. Dieses ist auch das Ergebnis von zwei aufeinander folgenden Kriegen, die das Land zerstört haben, sowie einer Regierungspolitik, die den sozialen Nöten des Volkes nicht die entscheidende Priorität einräumt. Aber es besteht kein Zweifel, daß die Sanktionen einen erheblichen Beitrag zu der Verschärfung der Notsituation geleistet haben und noch leisten.

Leider gibt man sich in der internationalen Diskussion an dieser Stelle meist mit der Forderung zufrieden, daß der Zugang für humanitäre Hilfe gewährleistet sein muß. Darauf haben auch die Sanktionsregime des Sicherheitsrates nach kurzer Zeit geachtet. Die Sanktionsausschüsse und ihr Sekretariat wenden seitdem den größten Teil ihrer Arbeitskapazität für die Bearbeitung und Genehmigung von Anträgen zur Lieferung von humanitären Hilfs-und Versorgungsgütern auf. Andererseits wissen wir, daß die global verfügbare humanitäre Hilfe ohnehin nicht ausreicht, um in allen Katastrophensituationen dieser Erde zuverlässig verfügbar zu sein. Um so weniger Hilfe kann die notleidende Bevölkerung eines international isolierten Landes erwarten, wenn es noch dazu fern von den Ländern des reichen Nordens gelegen ist. Irak ist auch dafür ein Beispiel -und gleichzeitig für das Paradox, daß die reichen eigenen Ressourcen des Landes für geraume Zeit nicht für die Nothilfe eingesetzt werden durften.

Für die Zukunft ist zu fordern, daß hinsichtlich der Berücksichtigung humanitärer Grenzen von Sanktionen nicht nur ihre unmittelbaren Auswirkungen auf den Zugang zu humanitären Gütern und die Praxis der humanitären Hilfslieferungen in Betracht gezogen werden, sondern stets auch die übergreifenden Auswirkungen, die sie auf die Wirtschaft und die Verschlechterung der Lage der Bevölkerung des Zielstaates insgesamt haben.

Dem Genehmigungsverfahren für Lieferungen aufgrund humanitärer Ausnahmen unterliegen neben Handelsfirmen auch gemeinnützige Hilfsorganisationen, von denen es als unnötige Belastung empfunden wird. Da für die Sanktionsausschüsse das Konsensprinzip gilt, hat jedes Mitglied praktisch ein Vetorecht, und es besteht der Vorwurf willkürlicher Handhabung, wenn dieses Recht von den einzelnen Mitgliedern verschieden ausgeübt wird. Es ist ohnehin nicht einzusehen, warum für jedes Sanktionsregime ein eigener Sanktionsausschuß mit spezifischem Mandat etabliert werden muß, in dem dann alle Sicherheitsratsmitglieder mehr oder weniger aktiv mitarbeiten. Wahrscheinlich wäre es besser, für die Betreuung aller Sanktionsregime ein besonderes Organ (Sanktionsrat) oder einen zentralen Sanktionsausschuß des Sicherheitsrats einzurichten, dessen Berichte regelmäßig zu veröffentlichen sind. An die Entscheidungen dieses Gremiums und ihre Begründung wären rechtsstaatliche Maßstäbe anzulegen; diese sollen gleiche Sachfragen gleich entscheiden und so berechenbar werden.

Soweit als möglich sind humanitäre Hilfsorganisationen von administrativen und logistischen Auflagen freizustellen. Große und anerkannte Institutionen wie die des UN-Systems und des Roten Kreuzes sollten von den Embargobestimmungen ausgenommen werden, solange sie sich an die vom Sicherheitsrat verfügten Bestimmungen halten. Für kleinere Organisationen sollten sie dann wiederum „Schirme“ gemeinsamer Garantie bereithalten. Sobald die Sanktionen dazu beitragen, daß ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter das Existenzminimum fällt, sind sie als rechtlich unzulässig anzusehen. Die Maßnahmen sind dann entweder ganz aufzuheben, abzumildern oder durch zielgerichtete Maßnahmen zu ersetzen. Vom Sicherheitsrat und dem UN-Sekretariat ist daher die Lage der Zivilbevölkerung in den Zielstaaten von Sanktionen regelmäßig zu überprüfen. Geeignete Informationsquellen stellen insbesondere die Länderberichte und Analysen der UN-Sonderorganisationen wie die Welternährungsorganisation FAO oder die Weltgesundheitsorganisation WHO dar. Eine deutliche Konzentration sollte dabei auf die Situation besonders verletzlicher Bevölkerungsgruppen, z. B.der Kinder und schwangeren Frauen, gerichtet werden.

VI. Ziele und Wirkungsweise der UN-Sanktionen

Sanktionen sind keine Strafen, sondern internationale Beugemaßnahmen. Sie sollen mit ihrem Zwang bewirken, daß die Adressaten ihr friedens-brechendes oder friedensbedrohendes Verhalten ändern. Mit dieser Zielsetzung ist regelmäßig das Bestreben verbunden, dem sanktionierten Staat die Mißbilligung seines Verhaltens durch die Staatengemeinschaft deutlich vor Augen zu führen und schließlich durch die Demonstration internationaler Rechtsdurchsetzung auch andere Staaten von Verletzungen ihrer völkerrechtlichen Pflichten abzuschrecken.

Um ihre Wirkung zu entfalten, müssen die Sanktionen effizient, effektiv und erfolgreich sein. Mit Effizienz ist hier die Umsetzung in Recht und Verwaltung der sanktionierenden Staaten gemeint. Bei den vom Sicherheitsrat verhängten Sanktionen müssen alle Mitgliedstaaten mitziehen -auch die Nachbarn und Freunde des sanktionierten Landes. Modelle einer einheitlichen Gesetzgebung zur Umsetzung in das nationale Recht können sich hier als nützlich erweisen. Innerhalb der Europäischen Union werden die wesentlichen wirtschaftlichen Maßnahmen auf der Grundlage von Art. 228 a und 73 g des EG-Vertrages einheitlich umgesetzt; einzelne, insbesondere sicherheitsrelevante Maßnahmen sind hingegen in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben.

Als effektiv sind die Sanktionen zu bewerten, wenn sie die beabsichtigte negative Wirkung auf das Ansehen oder die Wirtschaft des Sanktionslandes ausüben. Bei umfassenden Wirtschaftssanktionen soll die Isolierung des Zielstaates effektiv Zustandekommen und nicht durch Umgehungsoder Anpassungsstrategien verhindert werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die wirksame Kontrolle der Grenzen des Zielstaates. Der Irak und die Bundesrepublik Jugoslawien wurden durch militärische Seeblockaden, die die alliierten Truppen bzw. die NATO gemeinsam mit der WEU nach Genehmigung des Sicherheitsra’tes durchführten, von wichtigen Verkehrswegen abgeschnit-ten. In den Nachbarstaaten Jugoslawiens wurde darüber hinaus ein modellhaftes System der internationalen Zollhilfe etabliert: OSZE und EU entsandten insgesamt mehr als 200 Zollbeamte nach Albanien, Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Mazedonien, Rumänien und der Ukraine, die den dortigen Behörden Hilfestellung bei der Überwachung der Grenzübergänge zur Bundesrepublik Jugoslawien leisteten, ohne selbst hoheitliche Funktionen wahrzunehmen. Diese sogenannten Sanctions Assistance Missions (SAMs) wurden von ihren Heimatstaaten -Mitgliedern der OSZE -finanziert und ausgestattet. Ihre Aktivitäten wurden durch die Zentrale SAMCOMM (SAM Communications Centre) in Brüssel koordiniert und ausgewertet. SAMCOMM und der für die politische Begleitung und Auswertung der Sanktionen eingesetzte EU/OSZE-Sanktionskoordinator berichteten dem Sanktionsausschuß des Sicherheitsrates regelmäßig über Verstöße und praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Sanktionen. Die Berichte führten zu einer wesentlichen Verfeinerung des Kontroll-und Genehmigungsmechanismus von Lieferungen unter den humanitären Ausnahmebestimmungen sowie nicht selten zu eingehenderen Untersuchungen von Verletzungen der Sanktionen und strafrechtlicher Verfolgung daran beteiligter Personen. Umgekehrt wurden die SAMs mit aktuellen Informationen über die vom Sanktionsausschuß ausgesprochenen Genehmigungen versorgt und konnten so das Funktionieren des Systems für die humanitären Lieferungen verfolgen. Es ist zu empfehlen, daß EU und OSZE ihre Erfahrungen sorgfältig auswerten und für einen erneuten ähnlichen Einsatz zur Verfügung stellen.

Letztlich werden Sanktionen nur dann als erfolgreich bewertet werden können, wenn sie die Politik des sanktionierten Staates tatsächlich beeinflussen, d. h. wenn der Staat die Bedingungen der Sanktionsbeschlüsse erfüllt und die als friedensgefährdend eingestufte Haltung nicht fortführt. Dieser Wechsel der Politik im Zielstaat kann auf einer veränderten Kosten-Nutzen-Kalkulation der Regierung beruhen: Die von ihr zu tragenden Kosten für ihre innenpolitische Legitimation sind ab einem gewissen Punkt durch die Sanktionen so erhöht, daß sie für diese Regierung nicht mehr in einem vertretbaren Verhältnis zu dem Nutzen der friedensstörenden Politik stehen.

Ein anderes Wirkungsmodell geht von einer zumindest begrenzt pluralistischen Interessenpolitik im Zielstaat aus: Die Sanktionen unterstützen in diesem Fall die kritische Haltung oppositioneller Gruppen und tragen durch deren wachsenden Einfluß mittelbar zu einer Veränderung der Politik bei.

Während die im Ergebnis als erfolgreich beurteilten Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien derartige Modelle stützen könnten, zeigen die Erfahrungen im Irak die Grenzen solcher theoretischer Muster auf. Weder sind die Mitglieder der dort herrschenden autokratischen Regierung von der allgemeinen Verschlechterung der Wirtschaft ihres Landes selbst unmittelbar betroffen, noch sind sie wohl durch das Leiden ihrer Bevölkerung zu Änderungen ihrer Politik zu bewegen. Oppositionsgruppen, die -ähnlich wie der ANC in Südafrika -die Sanktionen als Bestätigung ihrer Anliegen sehen könnten, sind nicht mit entsprechendem Gewicht vorhanden. In einem solchen Fall gewinnen somit Forderungen nach zielgruppen-orientierten Sanktionen an Relevanz. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, die unmittelbar auf die Angehörigen der Machteliten etwa von Regierung und Militär abzielen (sogenanntes „targeting“).

VII. Welche Arten von Sanktionen sind zu empfehlen?

Kriterien für die Auswahl von Sanktionen können in den Stichworten Verhältnismäßigkeit, Erfolgschancen, Zielgruppenorientierung und humanitäre Rücksichten zusammengefaßt werden. Bei der Verhältnismäßigkeit kommt es auf die Bewertung des friedensstörenden Fehlverhaltens und der Auswirkung von Sanktionsmaßnahmen an. Mit den Erfolgschancen ist die Wahrscheinlichkeit der angestrebten Änderung in der Politik des von Sanktionen betroffenen Landes gemeint. Hierher gehört auch die Frage nach der politischen Meinungsbildung im Lande und nach der Rolle der Opposition. In Südafrika, Nigeria, Haiti und Burma haben sich legitimierte Sprecher mit einem Votum für Sanktionen gemeldet, weil sie sich davon eine politische Wende erhofften. Schließlich ergibt sich aus der Absicht, in erster Linie die „Übeltäter“ zu treffen und die Unschuldigen zu schonen, das Gebot einer zielgruppenspezifischen Vorgehensweise. Auch darf bei den Folgen für die Zivilbevölkerung eine „humanitäre Schwelle“ nicht überschritten werden.

Ein Waffenembargo ist in der Regel am leichtesten zu akzeptieren und fast immer friedensfördernd, allerdings -wie alle partiellen Embargos -auch besonders schwer wirksam durchzusetzen. Meist trägt es lediglich dazu bei, die Handelsbeziehungen in die illegale Verborgenheit und die Preise in die Höhe zu treiben. Das ungeheuer breit gestreute Angebot, inbesondere bei Klein-waffen, kommt erschwerend hinzu. Die Durchsetzung von Waffenembargos erfordert erhebliche Anstrengungen und Kosten. Inzwischen liegen immerhin auch einige positive Erfahrungen vor, insbesondere für Jugoslawien, wo das Embargo im wesentlichen nur zugunsten der schwächeren Konfliktpartei Bosniens unterlaufen wurde, übrigens mit Wissen und Duldung von Mitgliedern des Sicherheitsrates.

Zu einer zweiten Kategorie mit meist geringem sekundären Schadenspotential gehören solche Maßnahmen, die in erster Linie die Mißbilligung der internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck bringen. Hierzu gehört etwa der Ausschluß von den Olympischen Spielen, aber auch generell der Abbruch von Austauschbeziehungen in Sport, Kultur, Wissenschaft, Technik, Information, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit sowie die Suspendierung der Mitgliedschaft des sanktionierten Staates in internationalen Organisationen. Freilich muß hier, wie bereits erwähnt, darauf geachtet werden, daß das demokratische Änderungspotential nicht kontraproduktiv getroffen wird.

In eine dritte Gruppe gehören Maßnahmen im Bereich von Verkehr und Kommunikation, finanzielle Sanktionen oder ein Teilembargo für bestimmte Güter, wie wir es von dem COCOM-Regime mit seinem Embargo strategisch wichtiger Geräte und Technologietransfers kennen. Hier ist die Zielgruppenorientierung wichtig, z. B. bei Reisebeschränkungen. In manchen Entwicklungsländern trifft es die politisch verantwortliche Elite sehr, wenn sie nicht mehr in eigenen Geschäften unterwegs sein und ihre Kinder nicht auf die Schulen und Hochschulen des Nordens schicken kann. Beispiele für einen solchen Ansatz bilden vor allem die Sanktionen gegen Haiti und die UNITA in Angola. In Haiti hat man zusätzlich zu dem seit 1993 bestehenden Waffen-und Ölembargo, das 1994 auf ein generelles Handelsverbot ausgedehnt wurde, zuletzt auch eine zielgruppen-orientierte Strategie angewandt: Den Generälen, die verantwortlich für den Putsch des demokratisch gewählten Präsidenten Aristide und die nachfolgende Gewaltherrschaft waren, wurden keine Besuchervisen erteilt, und ihre Auslandskonten wurden eingefroren. Gegen die Bürgerkriegspartei UNITA wurde 1993 ein Waffen-und Ölembargo verhängt, um ihre aktive Beteiligung am Friedensprozeß zu erzwingen. Seit August 1997 wurde darüber hinaus ein Flugverbot für das von UNITA besetzte Gebiet, ein Einreiseverbot für UNITA-Vertreter und ihre Familien sowie Schließung aller UNITA-Büros im Ausland vom Sicherheitsrat verfügt. Die Entwicklung moderner Technologien, z. B. im Computer-und Satellitenwesen, wird in Zukunft neue Optionen für „smart sanctions“ bieten. Streitig ist, ob die Tribunale, wie sie für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda eingerichtet wurden, zu den Sanktionsmaßnahmen nach Art. 41 der UN-Charta gehören. Dafür spricht, daß eine andere Rechtsgrundlage derzeit nicht gegeben scheint.

In eine vierte Kategorie kann man den partiellen oder umfassenden Handelsboykott einordnen -also, im Gegensatz zum Embargo, das den Import in den Zielstaat verhindert ein Verbot der Ausfuhr von Waren aus dem sanktionierten Land. Untersuchungen stützen die Annahme, daß der Boykott wirtschaftlich und menschenrechtlich erheblich weniger schädlich einzustufen ist als die umfassenden Wirtschaftssanktionen, das schwerste Geschütz aus dem Sanktionsärsenal. Ihnen gegenüber ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre äußerste Zurückhaltung zu empfehlen: Weder steht der durch sie verursachte Schaden in einem tragbaren Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Nutzen, noch haben sich in der Vergangenheit Erwartungen bestätigt, nach denen durch eine Verschlechterung der allgemeinen Wirtschaftssituation eines Landes ein Wandel seiner Politik wirkungsvoller zu erreichen ist als durch gezielte Maßnahmen anderer Art.

VIII. Fortentwicklung des Sanktionsrechts

Hier ist vor allem an eine Kodifizierung des internationalen Sanktionsrechts und an ein UN-Gewaltmonopol zu denken. Über mögliche Grundsatzbeschlüsse der Generalversammlung und des Sicherheitsrats hinaus sollte eine internationale Konvention erarbeitet werden, die Ziele, Prinzipien und Grenzen von Sanktionsregimes, aber auch Grundsätze, Institutionen und Verfahren der Durchführung festlegen sollte. Bei dieser Gelegenheit könnte auch geklärt und vereinbart werden, inwieweit ein innerstaatlicher Konflikt als Bedrohung des Weltfriedens gelten muß (siehe UNITA) und die Verletzung der Menschenrechte den Grund für friedenssichernde Sanktionen bilden kann (siehe Haiti).

Für ein internationales Gewaltmonopol der Vereinten Nationen im Bereich friedenspolitischer Sanktionen spricht die allgemeine Tendenz zu multilateraler Konfliktlösung. Das Mittel bilateralen Drucks zur Verhinderung von Friedensstörungen ist in der Geschichte immer wieder eher für Eigeninteressen als für das gemeinsame Wohl der Menschheit eingesetzt worden. So soll auch der internationale Handelskrieg durch die GATT/WTO-Schlichtung vermieden werden. Das dient dem Schutz der Schwachen gegen die Starken. Sanktionen gewinnen an Glaubwürdigkeit und Schlagkraft, wenn sie von der Staatengemeinschaft getragen werden. Deshalb wäre ein UN-Sanktionsmonopol zu begrüßen.

Natürlich muß man zwischen den Sanktionsinstrumenten unterscheiden. Was aus freien Stücken gewährt wird, können souveräne Staaten auch in freier Entscheidung zurücknehmen. Das gilt etwa für den Kulturaustausch oder die Entwicklungszusammenarbeit. Aber bei Wirtschaftssanktionen oder der Beschränkung von Kommunikation wäre eine Einschränkung bilateraler Zwangsmaßnahmen wünschenswert. In den USA sind die bilateralen Sanktionen ein Thema intensiver Diskussion, und das nicht nur im Blick auf Kuba und das Helms-Burton-Gesetz. Einem Zeitungsbericht war kürzlich zu entnehmen, daß derzeit insgesamt 42 Prozent der Menschheit wegen 27 verschiedener Verhaltensweisen von amerikanischen Sanktionen bedroht werden Natürlich sinkt die Wirksamkeit solcher Maßnahmen mit ihrer inflationären Verhängung Vor allem aber wird von den Kritikern zu Recht an die Verpflichtung zum System multilateralen Vorgehens erinnert.

IX. Ausblick

Kann man den Frieden durch Zwangsmaßnahmen der internationalen Gemeinschaft wahren oder wiederherstellen? Die Gründer der Vereinten Nationen hielten das zumindest im Einzelfall für möglich. Deswegen gaben sie dem UN-Sicherheitsrat das Recht, Sanktionen mit bindender Wirkung zu verhängen. Die Attraktivität des Sanktionsinstrumentes für politische Entscheidungsträger liegt auf der Hand. Sanktionen stellen ein Mittel der internationalen Einflußnahme dar, das stärker als diplomatische Vermittlungsversuche wirkt, aber unterhalb der Schwelle der militärischen Intervention liegt. In diesem Sinne ist auch das seit 1990 starke Engagement des Sicherheitsrates bei der Verhängung dieser Maßnahmen zu verstehen.

Der anfänglich geweckte Enthusiasmus über diese neugewonnene Handlungsfähigkeit ist inzwischen der Ernüchterung und Nachdenklichkeit über die Funktionalität und den Einsatz von UN-Sanktionen gewichen. Jetzt ist es Zeit, das stumpfe Instrument der Friedenssicherung zu schärfen. Heute können wir auf die Erfahrungen zurückgreifen, die mit der Anwendung des Kapitels VII der UN-Charta gemacht wurden (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens sowie bei Angriffs-handlungen). Die konzeptionelle Diskussion, die der UN-Sicherheitsrat am 21. November 1997 dazu führte, läßt hoffen, daß die entscheidende Weichenstellung für eine Reform in dem hier vertretenen Sinne gefunden werden kann. Dazu ist allerdings eine intensive politische Beschäftigung mit dem Thema notwendig.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der vorliegende Text beruht im wesentlichen auf: Manfred Kulessa/Dorothee Starck, Frieden durch Sanktionen? Empfehlungen für die deutsche UN-Politik, Policy Paper 7, Stiftung Entwicklung und Frieden, Bonn 1997.

  2. Vgl. David Cortright/George A. Lopez (Hrsg.), Economic Sanctions -Panacea or Peacebuilding in a Post-Cold War World, Oxford 1995.

  3. Vgl. Vera Gowlland-Debbas, Security Council Enforcement Action and Issues of State Responsibility, in: International and Comparative Law Quarterly, Vol. 43, Januar 1994.

  4. Vgl. Boutros Boutros-Ghali, Ergänzung zur Agenda für den Frieden. Positionspapier des Generalsekretärs, UN-Dokument A/50/60-S/1995/1 vom 3. 1. 1995.

  5. Vgl. Manfred Kulessa, Von Märchen und Mechanismen, in: Vereinte Nationen, (1996) 3, S. 89 ff.

  6. Vgl. Lori Fisler Damrosch (Hrsg.), Enforcing Restraint -

  7. Vgl. Reginald Dale, Finally Common Sense On Spread of Sanctions, in: International Herald Tribune vom 12. 12. 1997.

  8. Zur ökonomischen Wirkungsanalyse von Sanktionen siehe vor allem: George Clyce Hufbauer/Jeffrey J. Schott/Kimberley Ann Elliott, Economic Sanctions Reconsidered, Washington, D. C. 19902.

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Manfred Kulessa, Dr. jur., geb. 1932; Geschäftsführer der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung in Bonn; langjährige Tätigkeit im Entwicklungsdienst und in den Vereinten Nationen. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Entwicklungspolitik und Asienkunde.