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Leitlinien einer sozialpolitischen Reform | APuZ 48-49/1997 | bpb.de

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APuZ 48-49/1997 Krise der Arbeitsgesellschaft und Privatisierung der Sozialpolitik Der Sozialstaat hat eine Zukunft Leitlinien einer sozialpolitischen Reform Zukunft der Arbeit Chancen für eine Tätigkeitsgesellschaft? Weniger Erwerbsarbeit -mehr Eigenarbeit? Chancen und Potentiale Öffentlicher Eigenarbeit

Leitlinien einer sozialpolitischen Reform

Michael Opielka

/ 27 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In Deutschland besteht seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre Konsens darüber, daß grundlegende sozialpolitische Reformen erforderlich sind. Die komplizierte Organisation der Sozialpolitik erschwert allerdings schon den Diskurs über deren Voraussetzungen: Was kann der Sozial-oder Wohlfahrtsstaat überhaupt leisten, und wozu ist er legitimiert? Worin liegen die Ursachen für die Probleme des Sozialstaats? Strittig ist auch die Zielperspektive: Was soll Sozialpolitik leisten, wen soll sie begünstigen? Es scheint deshalb dringend erforderlich, über eine auf die vorhandenen Institutionen fixierte Finanzierungsdebatte hinauszugehen und gründlicher zu reflektieren, was in der Sozialpolitik künftig erforderlich und was wünschenswert ist. Die Analyse führt zu einem „grünen“ Plädoyer für eine Politik sozialer Garantien („Garantismus“), zusammengefaßt in vier Leitlinien: 1. Sozialpolitik muß die Vielfalt der Arbeit anerkennen; 2. die soziale Bürgerrolle soll als Quelle von Rechten und Pflichten neu formuliert werden; 3. Sozialpolitik soll gemeinschaftliches Handeln eigenständig institutionell absichern und 4. sozialpolitische Reformprogramme sollen die Menschenrechte als soziale Mitgliedsrechte realisieren. Als konkrete Reformvorschläge kommen insbesondere die Idee eines garantierten Grundeinkommens (negative Einkommensteuer), eine Grundrente im Alter, die Idee eines Erziehungsgehaltes, die Einführung eines obligatorischen Sozialdienstes sowie Maßnahmen zur Förderung des freiwilligen Engagements in Betracht.

I. Der Kontext der Sozialpolitik: die Gesellschaft

Sozialpolitische Systeme im Kontext. Quelle: Eigene Darstellung.

Der deutsche Sozialstaat wird heute von allen Seiten kritisiert. Den einen ist er zu teuer, den anderen zu wenig solidarisch. Die Bewertungsdifferenzen resultieren aus einer unterschiedlichen Wirklichkeitswahrnehmung. Deshalb ist ein Diskurs über die Leitideen einer sozialpolitischen Reform in Deutschland, die heute unter Signaturen wie dem „Umbau“ des Sozialstaats in allen politischen Lagern hindurch verhandelt werden, unerläßlich

Die folgende Diskussion wird geführt aus der analytischen Perspektive einer „Viergliederung“ der Gesellschaft -in die vier großen Subsysteme Wirtschaft, Politik, Gemeinschaft und Legitimation Danach ist Politik (und der Staat als der wichtigste institutioneile Akteur im Teilsystem Politik) nur ein gesellschaftlicher Handlungsbereich Sozialpolitik wiederum wäre das Politikfeld, das die staatliche Aufgabenerfüllung in bezug auf die Regulierung politikexterner Teilsysteme bezeichnet: einerseits die Regulierung der Wirtschaft in Hinsicht auf eine politische Gestaltung des Arbeitsmarktes (Produktion) und auf eine Lenkung bestimmter Finanzströme mit dem Ziel der Garantie des Existenzminimums wie der Lebensstandardsicherung durch Sozialtransfers (Finanzsystem); andererseits die Regulierung des Gemeinschaftssystems in Hinblick auf die Organisation sozialer Dienstleistungen wie Gesundheit oder Pflege (Hilfesystem) und auf die Organisation von Bildungsangeboten (Bildungssystem).

Im Unterschied zum Begriff der „Sozialpolitik“ beschreibt das in der internationalen sozialwissenschaftlichen Diskussion gebräuchliche Konzept des „Wohlfahrtsstaates“ kein abgegrenztes Politikfeld. Vielmehr zeichnet es sich durch eine spezifische Ausrichtung des gesamten politischen Handelns auf die Prinzipien von „Sicherheit“ und „sozialer Teilhabe“ aus Ob die Sozialstaatsklausel des Artikel 20 Abs. 1 GG — „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ -in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 GG in diesem umfassenden Sinn verstanden werden kann, ist in der deutschen staatstheoretischen Diskussion umstritten geblieben Von politikwissenschaftlicher Seite wurden beachtliche Argumente vorgelegt, wonach der deutsche Sozialstaat unterdessen zu einem „Sicherungsstaat“ degeneriert sei, der sich vorwiegend um die Aufrechterhaltung seiner arbeits-und leistungszentrierten Versicherungslogik müht, nicht mehr aber um soziale Problemlagen und politisch gewollten Risikoausgleich

Die folgenden Überlegungen stützen sich auf ein Konzept von Sozialpolitik, das auf der Verantwortung staatlichen Handelns für die Lebenslage aller Bürger besteht und zugleich davon weiß, daß staatliches Handeln allein mit der Herstellung von Gerechtigkeit überfordert wäre. Damit sollen die dramatischen Folgen der unter der Signatur „Globalisierung“ diskutierten weltwirtschaftlichen Entwicklungen für die Sozialpolitik nicht heruntergespielt werden. Doch selbst heftige Kritiker dieser Prozesse sind sich in ihren optimistischen Passagen einig über die realen Handlungschancen nationaler Politik Konzeptionell unterbelichtet scheinen vielfach die gesellschaftlichen Quellen sozialpolitischer Gestaltung zu sein. Zu diesen gehört eben nicht nur die Wirtschaft. Nicht weniger bedeutsam sind die legitimatorischen (vor allem wissenschaftlich und religiös institutionalisierten) Wertedimensionen wie die gemeinschaftlichen Handlungsfelder; auf letztere hat die Bewegung des Kommunitarismus zunehmend die Aufmerksamkeit gelenkt Das rechtfertigt die vielleicht umständlich erscheinende systemische Analyse einer Viergliederung der Gesellschaft.

Um Anknüpfungspunkte sozialpolitischer Reformen zu entdecken, sollen im folgenden die vier Logiken gesellschaftlichen Handelns auf die Grundprinzipien der Institutionalisierung der modernen Sozialpolitik bezogen werden. In Deutschland fanden sich bislang vor allem drei Grundprinzipien: „Sozialversicherung“, „Fürsorge“ (bzw. Sozialhilfe) und „Versorgung“ In anderen Wohlfahrtsstaaten Europas findet sich ein weiteres, viertes Prinzip -die „Volksversicherung“ (vgl. die Abbildung). Diese vier Institutionalisierungsformen bzw. Systemtypen drücken jeweils unter-schiedliche Konzeptionen einer „Sozialbürgerrolle“ aus.

Die vier sozialpolitischen Systeme lassen sich vor dem Hintergrund der skizzierten Idee der Vier-gliederung der Gesellschaft als Idealtypen deuten. Ich greife dabei einen Vorschlag von Claus Offe auf, der vier politisch-ideologische Hauptrichtungen in der jüngeren Diskussion des Wohlfahrtsstaats unterscheidet: „Privatisierung“, „Inklusion“, „Exklusion“ und „Garantismus“ Offe sieht diese vier Strategien auf jene vier politischen Haupt-strömungen bezogen, die am Ende des 20. Jahrhunderts vorherrschen: die liberale, die sozialdemokratische, die (rechts-) konservative und die „grün-alternative“ Strömung Die vier typischen sozialpolitischen „Philosophien“ scheinen nun nicht direkt mit den politisch-ideologischen Hauptrichtungen übereinzustimmen, sondern jeweils Zwischenpositionen einzunehmen Historisch gesehen dominierte zumindest in (West-) Europa das politische Verfahren der Inklusion, das heißt der sukzessiven Einbeziehung immer weiterer Bevölkerungsgruppen in Systeme einer staatlich verantworteten sozialen Sicherung. Das Konzept der Inklusion ist kennzeichnend für das traditionell sozialdemokratische Modell des Wohlfahrtsstaats. Mechanismen der solidarischen Risikoteilung werden vorrangig im Kontext von Erwerbsarbeit konzipiert. „Staat“ gilt in diesem Konzept als ideales Steuerungssystem zur Herstellung von Gleichheit durch Recht.

Das Wohlfahrtsstaatsmodell der Privatisierung setzt auf das Steuerungssystem „Markt“. Sozialpolitik hat hier keinen Eigenwert, sondern soll vorrangig zur Dynamisierung des Marktgeschehens beitragen. Das Versagen von Märkten gegenüber sozialen und moralischen Bedürfnissen hat freilich schon früh staatliche Politik mobilisiert. Ein Resultat ist die Sozialversicherung. Ihre Marktlogik -Anknüpfung am Arbeitsmarkt, Finanzierung und Leistungszumessung über Beiträge -wird durch staatliche Intervention überformt, Marktprinzip und sozialpolitische Logik durchdringen sich. Die Sozialversicherung zählt zum „Inklusions“ -Typus aufgrund ihrer arbeitspolitischen Fokussierung. Gleichzeitig verdankt sich der historische Kompromiß Sozialversicherung der (national-) liberalen Auffassung, die materielle Existenzsicherung nicht als politische, sondern in erster Linie als privatwirtschaftliche Aufgabe zu begreifen.

Der dritte Typus des Wohlfahrtsstaats könnte als Exklusion bezeichnet werden. Als ideales Steuerungssystem zur Risikoteilung gilt hier das gemeinschaftliche Strukturmuster „Moral“ (im Unterschied zu Markt und Staat). Wohlfahrtsstaatliche Arrangements dieses Typs vertrauen bevorzugt auf die Familie, auf ständische Organisationen und auf die (dabei oft mystifizierte) Nation. Zum „Inklusions“ -Ansatz besteht eine enge Verbindung, da beide von der gleichen Annahme ausgehen, daß die „latente Sozialisations-und Normierungsfunktion des Wohlfahrtsstaats nur dann zu erfüllen (ist), wenn die Inklusion nicht , zu weit'geht und die , zweitbeste'Lösung (konkret: der Gang zum Sozialamt) eine deutlich schlechtere und daher abschreckende ist“ Das Fürsorgeprinzip befindet sich im Interpretationsbereich zwischen Markt und Gemeinschaft bzw. Privatisierung und Exklusion. Seine Anwälte finden sich politisch-historisch im Bündnis von (konfessionellem) Konservatismus und Liberalismus.

Im Gegensatz zu dieser ist die vierte Position des Garantismus sozialpolitiktheoretisch noch wenig entfaltet. Als idealtypisches Steuerungssystem läßt sich bei diesem Wohlfahrtsstaatskonzept wohl „Ethik“ identifizieren, vernunftrechtliche wie religiöse Begründungsmuster dominieren. Konkret knüpft dieses auf der Legitimations-Ebene der Gesellschaft ansetzende Konzept ausdrücklich an ein altes Motiv der Gewerkschaften an: durch „de-commodification“ -eine politisch gesteuerte Zurücknahme der Warenform der Lohnarbeit („Kommodifizierung“) -sollten die Arbeitskraft-besitzer von der Teilnahme am Arbeitsmarkt unabhängig werden. Nur wenn diese Bedingung erfüllt ist, können „normale“ Lohnempfänger ein Gefühl der Sicherheit gewinnen, da sie nicht durch den Wettbewerb um das Unterbieten von Löhnen seitens der im Arbeitsmarkt benachteiligten Gruppen (Frauen, junge Leute, Langzeitarbeitslose) gefährdet würden. Heute zählen zu den Protagonisten des „Garantismus“ vor allem solche Akteure und Autoren, die eine sozialpolitische Antwort auf eine zunehmend auf Individualisierung und Optionalisierung abstellende Sozialstruktur suchen.

Die sozialpolitischen Systeme „Volksversicherung“ und „Versorgung“ versuchen das Modell des „Garantismus“ auf verschiedene Weise zu realisieren. Das System einer Volksversicherung kombiniert garantistische Elemente (hervorzuheben sind beispielsweise öffentliche Kinderbetreuung, gesetzliche Krankenversicherung und die Unterstützung von Pflegeleistungen oder in Schweden wie den Niederlanden die Grundrente im Alter) mit inklusiven Elementen, die sich am Arbeitsmarkt orientieren (zum Beispiel einkommensbezogene Transferzahlungen oder Erziehungsurlaub, der im Kontext der Erwerbsarbeit abgesichert wird). Das Prinzip der „Versorgung“ wiederum verbindet garantistische -vom Arbeitsmarkt unabhängige Elemente -mit einer konservativen Orientierung, die zu sozialpolitischer Diskriminierung der Nichteingliederung in den Arbeitsmarkt führen kann, wenn diese außerhalb anerkannter Gemeinschaftsrollen (zum Beispiel Familie, Kriegsopfer) erfolgt.

Alle vier sozialpolitischen Optionen beinhalten spezifische Inklusionsleistungen und Exklusionskosten. Der deutsche Sozialstaat hat sich recht einseitig auf ein Modell -das Sozialversicherungsprinzip -festgelegt. Das Prinzip der „Fürsorge“ ist nach wie vor diskriminiert. Das Prinzip der „Versorgung“ bleibt privilegierten Minderheiten Vorbehalten (zum Beispiel Beamte) oder ist für die Risikosicherung der Gesamtbevölkerung marginal (zum Beispiel Kindergeld, Erziehungsgeld). Einseitigkeiten sind freilich immer ein Problem. Sie tragen zur Krisenanfälligkeit von Systemen bei. Sozialpolitische Reformen sollten deshalb zu einer neuen Balance der vier Optionen in Deutschland beitragen. Das kann nur auf Kosten des Sozialversicherungsprinzips und zugunsten der Entwicklung neuer, vor allem „garantistischer“ Institutionen erfolgen.

II. Leitlinien sozialpolitischer Gestaltung

Die folgenden Überlegungen gruppieren sich um : um die Zukunft von vier Themen Arbeit, Demokratie, und von Damit sind vierMoral Werten. gesellschaftspolitische Arenen genannt, in denen heute im besonderen der Kampf um die legitimatorische Vorherrschaft ausgebrochen ist Es sollen vier Leitlinien mit „garantistischen“ sozialpolitischen Reformvorschlägen ins Gespräch gebracht werden:

1. Sozialpolitik muß die Vielfalt der Arbeit anerkennen.

2. Die soziale Bürgerrolle als Quelle von Rechten und Pflichten ist neu zu formulieren.

3. Sozialpolitik soll gemeinschaftliches Handeln anerkennen, indem es seine Eigenständigkeit institutionell absichert.

4. Sozialpolitik soll die Menschenrechte als soziale Mitgliedsrechte realisieren.

1. Die Relativierung der Erwerbsarbeit

Spätestens seit den achtziger Jahren ist die Erwerbsarbeit nicht mehr sakrosankter Bezugspunkt der (deutschen) Sozialpolitik. „Vollbeschäftigung“ im Sinn einer die gesamte erwerbsfähige Phase prägenden Vollzeiterwerbstätigkeit („Normalarbeitsverhältnis“) wird seit Jahren verfehlt, ihre Wiedererlangung erscheint unrealistisch. Wenn als gesellschaftlich relevante Arbeit nur kontraktuelle, auf Einkommenserzielung fokussierte Arbeit gilt, fällt zudem zwangsläufig die Arbeit in den sozialen Schatten, die diese Bedingung nicht erfüllt: Familienarbeit als Arbeit für Kinder und Hilfebedürftige im privaten Haushalt, aber auch das breite Spektrum an nicht oder kaum bezahlter Arbeit in Vereinen, Gruppen, Kirchen und anderen sozialen Kreisen, an deren gesellschaftlicher Nützlichkeit kein Zweifel besteht. Zugleich erlangt diejenige Erwerbsarbeit keinen sozialpolitischen „Normalitätsstatus“, die nicht auf Vollzeit angelegt ist: die sogenannte Teilzeit-Arbeit genauso wie die Vielfalt verschiedener Erwerbstätigkeiten, die in der Biographie zahlreicher Menschen (empirisch gesehen vor allem von Frauen) Vorkommen, unterbrochen von Phasen der Ausbildung, Selbständigkeit oder -wie gesagt -Familienarbeit

Aus der Kritik des erwerbsarbeitszentrierten Sozialstaats folgt die erste Leitidee für eine neue Sozialpolitik: Sozialpolitik muß die Vielfalt der Arbeit anerkennen, vor allem, indem eine Durchlässigkeit und Rekombination verschiedener Formen gesellschaftlich anerkannter, weil nützlicher Arbeit auch sozialpolitisch anerkannt wird. Sozialpolitische Anerkennung erfolgt vor allem durch Geld und Recht. Dies kann zweierlei bedeuten: Zum einen können nichterwerbsförmige Arbeitsleistungen zu sozialpolitischen Leistungsansprüchen führen. Beispiele dafür sind heute das Erziehungsgeld, künftig ein Erziehungsgehalt oder die Anerkennung von Pflegezeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Schwieriger wird es bei solchen Arbeitsleistungen, die weniger leicht standardisierbar sind und deren Aufwertung zu leistungsbegründenden Tatbeständen kontrollintensiv wäre; jedenfalls dann, wenn beispielsweise die staatliche Leistung für ehrenamtliches Engagement über niedrige Pauschalsätze hinausgeht

Vertreter einer „garantistischen“ Strategie plädieren statt dessen für eine pauschale Finanzierung der Existenz als solcher: Das ist der Vorschlag eines „garantierten Grundeinkommens“, bekannt auch unter Begriffen wie „Bürgergeld“, „Negative Einkommensteuer“ oder „Sozialdividende“. Die Modelle unterscheiden sich im wesentlichen durch ihre Verknüpfung mit dem Steuersystem Während eine Negative Einkommensteuer ex ante, also vor Bezug der Negativsteuer (das heißt der Transferzahlung) den Einkommensbedarf prüft, wird im Modell der Sozialdividende die Transfer-zahlung ex post, also im nachhinein in das Steuersystem integriert. Jeder erhält die gesellschaftliche Dividende und muß sie dann mit sonstigen Ein­ kommen steuerlich verrechnen -ein System, das nach der aktiven Erwerbsphase bei Grundrenten-plänen (zum Beispiel in den Niederlanden oder in Skandinavien) gut funktioniert.

Daß eine auskömmliche (steuerfinanzierte) Grundrente (mit einer beitragsfinanzierten Zusatzrente) auch in Deutschland finanzierbar ist, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bereits in den achtziger Jahren im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion belegt; eine neue Kalkulation für das vereinigte Deutschland wurde von Ellen Kirner vorgelegt Bei einem oberhalb des geltenden Sozialhilfeniveaus angesiedelten Grundrentenniveau von 50 Prozent des Nettoarbeitsentgelts je Arbeitnehmer hätte sich im Jahr 1995 eine Grundrente (Mittelwert alte und neue Bundesländer) in Höhe von etwa 1 300 DM monatlich (ohne Ehegattenabschlag) ergeben. Unter Maßgabe weiterer Modellannahmen -Altersgrenze 65 Jahre, Finanzierung der Grundrente über eine Bruttowertschöpfungssteuer, Fortfall der Arbeitgeberbeiträge, vorherige Aufstockung der Einkommen von Rentnerhaushaltseinkommen unter Grundrentenniveau durch eine Grundsicherung -könnte eine Grundrente praktisch ohne zusätzliche Belastung des Bundeshaushalts finanziert werden.

Eine andere Forschergruppe des DIW kam im Rahmen einer Auftragsarbeit für das Bundesfinanzministerium zu dem Befund, daß die Einführung eines „Bürgergeldes“ -eines garantierten Grundeinkommens in Form einer Negativsteuer -bei Einhaltung bestimmter Parameter fiskalisch keineswegs unrealistisch wäre. Die bescheidene Fassung eines Bürgergeldsystems (Anrechnungssatz für sonstige Einkommen: 70 Prozent; Existenzminimum des Ehepartners: 80 Prozent), die durchaus einen Gewinn gegenüber der gegenwärtigen Sozialhilferegelung darstellt, erfordert Brutto-Mehraufwendungen (Steuerausfall, Bürgergeldzahlung) in Höhe von etwa 44, 3 Milliarden DM Diesem Betrag stehen zu erwartende Einsparungen bei Sozialhilfe, Wohngeld und Ausbildungsförderung in Höhe von etwa 30 Milliarden DM gegenüber, sowie offensichtliche (im Gutachten jedoch nicht genannte) Einsparungen bei der Arbeitlosenhilfe in Höhe von etwa 14 bis 18 Milliarden DM, womit die Reform praktisch kosten-neutral finanziert werden könnte. Würden darüber hinaus, wie im DIW-Gutachten angeregt, alle Vorsorge-und Arbeitnehmerfreibeträge gestrichen, erhöhten sich die Steuereinnahmen um ca. 50 bis 60 Milliarden DM, was die kostenneutrale Einführung eines Bürgergeld /Grundeinkommenssystems mit den üblicherweise diskutierten Parametern (Anrechnungssatz für sonstige Einkommen: 50 Prozent, Existenzminimum des Ehepartners: 80 Prozent) nicht mehr unrealistisch erscheinen läßt. In diesen Berechnungen bleibt zwar noch unberücksichtigt, daß von bestimmten Bevölkerungsgruppen eine Teilnahme am Arbeitsmarkt temporär oder auf Dauer nicht erwartet werden kann, zusätzliche Einkommen also kaum entstehen und damit ein System von Zulagen -quasi als „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ -auch bei einem Bürgergeldsystem sozialpolitisch geboten bleibt. Doch handelt es sich hier um Größenordnungen, die volkswirtschaftlich wenig ins Gewicht fallen.

Die Idee des garantierten Grundeinkommens hat eine -allerdings nicht die einzige -Wurzel in einem Programm zur Erweiterung des gesellschaftlichen Arbeitsbegriffs: Eine Abkehr von der Erwerbsarbeitszentrierung des Sozialstaats durch die (weitgehende) Entkopplung sozialpolitischer Leistungsansprüche von der Erwerbsarbeit soll gleichsam die verschatteten Arbeitsformen anerkennen. „Warum sollte es nicht möglich sein, Konsens über ein Wertesystem zu finden, in dem die traditionelle Form der Erwerbsarbeit ebenso wie neue Tätigkeitsformen oder gar Nicht-Arbeit gleichermaßen akzeptable Werte wären?“ Die Dynamik eines garantierten Grundeinkommens zielt auf die weitere Dezentrierung der Erwerbsarbeit. Die Erwerbsarbeit umfaßt heute etwa ein Zehntel der Lebenszeit. Selbst wenn dieser Quotient aufgrund verlängerter Lebensarbeitszeiten wieder steigen sollte, scheint es unrealistisch, die Berufs-orientierung auch künftig zum entscheidenden Wertmaßstab einer Gesellschaft zu stilisieren, die Positionen aufgrund von Leistung vergeben will. Leistung wird umfassender zu verstehen sein.

Aus der Sicht des Grundeinkommens ist jede einkommensrelevante Anerkennung von Nicht-Erwerbsarbeit ein Schritt in die „richtige“ Richtung, weil der gesellschaftliche Arbeitsbegriff pluralisiert wird. Die von Fritz W. Scharpf vorgeschlagene indirekte Lohnsubvention durch eine „Negative Einkommensteuer“ für Niedrigstlohnbezieher beinhaltet die entkoppelnden Elemente des garantierten Grundeinkommens -und kann so als ein Beitrag zur Diskussion um einen neuen Begriff von „Vollbeschäftigung“ verstanden werden, der auf seinen moralischen Kern zurückgeführt wird: Es geht darum, allen Gesellschaftsmitgliedern den Zugang zur wirtschaftlichen Sphäre auch als Produzenten zu garantieren (-und nicht nur als Konsumenten, worauf ein garantiertes Grundeinkommen abzielt). Ob ein garantiertes Grund-einkommen deshalb einen Abschied von der Idee der „Vollbeschäftigung“ bedeutet oder ob ein Grundeinkommen -eingebaut in eine auf umfassende Mitgliedsrechte eingebaute Sozialpolitik -zwar auf die Konnotation der „Beschäftigung“ verzichtet, aber nicht auf die Vollmitgliedschaft aller Bürger, das sind noch strittige Fragen.

Vermutlich eröffnet erst eine Grundeinkommensreform die Chance für eine umfassende Arbeitszeit-verkürzung und Umverteilung der Erwerbsarbeit und damit für eine neue Vollbeschäftigungspolitik. In den meisten europäischen Sozialstaaten konnte die Prämisse der Vollbeschäftigung bis Ende der siebziger Jahre (in Schweden bis Ende der achtziger Jahre) relativ erfolgreich vertreten und umgesetzt werden. Ihre Voraussetzung muß freilich in einem in der politischen wie wissenschaftlichen Diskussion wenig beachteten Umstand identifiziert werden, der heute nicht mehr gegeben ist: Aufgrund relativ starker Gewerkschaften -und speziell in Deutschland -eines weit geteilten Konzepts von „Sozialpartnerschaft“ entfaltete sich eine redistributive Logik, eine Logik der Umverteilung und des Nachteilsausgleichs vor allem innerhalb des Beschäftigungssystems. Das historisch früh tariflich verankerte Konzept des „Familienlohns“ wie das Senioritätsprinzip (vor allem im öffentlichen Dienst) verhinderten eine ausschließlich angebots-orientierte Lohnfestsetzung. Zudem wirkte die auf Lebensstandardisierung orientierte Sozialversicherung als zusätzliches Umverteilungskorrektiv innerhalb der (männlichen) Arbeitnehmerschaft. Mit massiven Produktivitätssteigerungen stieß dieses Konzept jedoch an Grenzen. Die Wegrationalisierung einfacher, angelernter Beschäftigungsverhältnisse hat dazu geführt, daß heute gut 50 Prozent der Erwerbslosen über keine oder zumindest nur eine unzureichende Berufsausbildung verfügen. Ihre Reintegration in den Arbeitsmarkt unter den alten Prämissen ist wenig wahrscheinlich, da das hergebrachte arbeitsmarktimmanente Umverteilungskalkül den Ersatz gering qualifizierten menschlichen Arbeitsvermögens auf betrieblicher Ebene geradezu zwingend nahelegt.

Nachdem nachfrageorientierte, keynesianische Konjunkturpolitiken das Vollbeschäftigungsziel aus einer Reihe von Gründen nicht oder zumindest nicht dauerhaft erreicht haben -ihr Scheitern scheint gleichermaßen der Globalisierung der Finanzmärkte wie immanenten Zielkonflikten geschuldet zu sein -, dürften nur noch Varianten eher angebotsorientierter Politik übrigbleiben, um dem, wie Fritz W. Scharpf es nennt, „kontinentalen Dilemma“ zu entgehen: Dies besteht darin, daß trotz recht hoher Ausgaben für den Wohlfahrtsstaat in nahezu allen kontinentaleuropäischen Staaten die Erwerbslosigkeit unabsehbar auf hohem Niveau verharrt

Scharpf gelangt in einer Analyse von OECD Beschäftigungsstatistiken (Stand 1994) zu dem überraschenden Ergebnis, daß in den Wirtschaftssektoren, die internationalem Wettbewerb ausgesetzt sind, kein negativer Zusammenhang zwischen Sozialausgaben (als Anteil am Bruttosozialprodukt) und Beschäftigung besteht. Deutschland ist hier entgegen der Polemik einer „Standortdebatte“ sehr beschäftigungseffizient. Etwa 38 Prozent der Personen im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre nach OECD-Kriterien) sind hier in den internationalem Wettbewerb unterliegenden Sektoren tätig, in Schweden immerhin noch gut 35 Prozent, in den USA aber nur etwa 30 Prozent. Alle kontinentaleuropäischen Staaten weisen jedoch eine sehr magere Beschäftigungsbilanz in den „geschützten“ Wirtschaftssektoren der industrieferneren Dienstleistungen (Handel, Reisebranche, soziale und persönliche Dienstleistungen) auf, in denen der internationale Wettbewerb praktisch keine Rolle spielt. Demgegenüber sind in den USA etwa 41 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung im lokalen Dienstleistungsbereich tätig und in Schweden mit 39 Prozent annähernd ebenso viele. Deutschland erreicht (mit Österreich, Italien und Frankreich) nur einen Wert von 28 Prozent -das sind weniger als die USA -, was umgerechnet sechs Millionen Arbeitsplätzen entspricht. Während in den USA der überwiegende Teil (28 Prozent) der lokalen Dienstleistungen im privaten Sektor erbracht wird, ist es in Schweden (und Dänemark) der öffentlich finanzierte Sektor (25 Prozent), der Dienstleistungen vorhält. Die USA haben mit einem Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozialprodukt von etwa 15 Prozent einen extrem geringen Wert, Schweden hat mit etwa 37 Prozent den höchsten, Deutschland mit etwa 27 Prozent einen mittleren Wert -dennoch liegen die deutschen Beschäftigungswerte im lokalen Dienstleistungsbereich nicht in der Mitte zwischen Schweden und den USA, sondern sind im privaten und öffentlichen Sektor gering.

Scharpf erklärt dieses „Dilemma“ mit strukturellen Problemen des deutschen Wohlfahrtsstaatsmodells. Der mittlere Weg verhindert zwar die Verwerfungen der amerikanischen Deregulierung des Arbeitsmarktes: eine dramatische Verschärfung der Verarmungsrisiken, Ausschluß und Marginalisierung weiter Bevölkerungsgruppen. Er verhindert auch die exorbitanten Steuerbelastungen des schwedischen Pfades. Damit werden aber zugleich die Kosten der Erwerbsarbeit hoch gehalten, was die Expansion personenbezogener Dienste bremst, während die vorhandenen sozialpolitischen Mittel nicht (wie in Skandinavien) in öffentliche soziale Dienste, sondern als Geldtransfers an Bevölkerungsgruppen mit wenig beschäftigungsrelevanten Ausgabenverhalten (vor allem an Rentner-und Erwerbslosenhaushalte) fließen. Scharpf schlägt als Ausweg aus diesem Dilemma eine Palette von subjektbezogenen Einkommenssubventionen vor: vom „Kombilohn“ über eine „Negative Einkommensteuer“ für alle bis hin zur vollständigen Subvention der Sozialversicherungsbeiträge (insgesamt derzeit ca. 42 Prozent auf das Arbeitnehmereinkommen) für untere Lohngruppen. Ähnlich wie im marktlichen (US-) Pfad würde das Beschäftigungssystem entlastet. Der Marktcharakter des Arbeitsmarktes würde dadurch gestärkt, Status-sicherung allerdings zurücktreten.

Die Auflösung des industriegesellschaftlichen Drei-Phasen-Modells von Ausbildung, Erwerbs-arbeit (und Familienphase) und Ruhestand ist aufgrund vielfältiger sozialstruktureller Veränderungen geboten: Sozialzeit, Erwerbsarbeit und Freizeit müssen im Lebenslauf flexibel neu gemischt werden können. Mit geringem Einkommen ausgestattete Bildungs-und Beschäftigungsphasen, intensive Phasen sozialen Engagements (bspw. in Form eines Sozialdienstes im In-oder Ausland) stellen bei einem Grundeinkommenssystem gangbare und sozial nicht-diskriminierte Alternativen dar.

Solidarität und Teilhabechancen für die ganze Bevölkerung können durch Transferreformen allein nicht garantiert werden. Notwendig sind vielmehr neue gesellschaftliche Informations-und Steuerungssysteme, neue Verfahren zur Kopplung von Erwerbsarbeit-Angebot und -Nachfrage. Die Tarifparteien, vor allem die Gewerkschaften, aber auch Parteien und Verbände sind gefordert. Solidarität kann sich nicht auf ein Minimum beschränken. Erst die Rekombination umfassender Ein-und Austrittsrechte in alle gesellschaftlichen Bereiche -Arbeitsmarkt, Familie, soziales Engagement, Bildung etc. -verdient das Etikett einer solidarischen Gesellschaftspolitik.

Der skizzierte „garantistische“ Weg deutet eine vierte Option aus den konventionellen politischen Lagern (Liberalismus, Sozialdemokratismus, Konservatismus) der industriegesellschaftlichen Moderne an, die deren Leistungen anerkennt und zugleich ihre Vereinseitigungen zurückweist. Ein Grundeinkommen würde die materielle Existenz politisch absichern; die individuelle Entkopplung von ökonomischem Handeln und basaler Existenzsicherung heißt natürlich nicht, daß eine solche Entkopplung auch auf gesellschaftlicher Ebene möglich wäre: Verteilt werden kann nur, was im ökonomischen Prozeß einer Volkswirtschaft erzeugt wird. Die gesellschaftliche Entkopplung -die jede sozialpolitische Intervention kennzeichnet und am Modell des Grundeinkommens nur besonders augenfällig ist -wird in einer Demokratie zum demokratischen Projekt.

2. Die Wiedergewinnung der Demokratie

Der moderne Sozialstaat ist auf Demokratie angewiesen. Niedrige Wahlbeteiligung, geringes Ansehen von Politik und Politikern, die Perspektive einer intransparenten und zugleich hoch-komplexen Informationsgesellschaft -diese antipartizipatorischen Phänomene stellen zugleich eminente Gefahren für sozialpolitische Reformbemühungen dar. Gerade die Idee eines garantierten Grundeinkommens knüpft ausdrücklich am Bürgerstatus an, er löst den Anspruch aus. Falls dieser Status jedoch weder im Bewußtsein des einzelnen noch durch soziale Akteure wirkungsvoll repräsentiert ist, sind daran anknüpfende Rechte und Pflichten labil.

Die zweite Leitidee für eine sozialpolitische Evolution könnte somit vor allem darin gefunden werden, die soziale Bürgerrolle als Quelle von Rechten und Pflichten neu zu formulieren. Angesprochen ist damit einerseits ein aktives -und darin auf die Ursprünge des demokratischen Gedankens zurückgehendes -Verständnis von Gesellschaft. Mit Blick auf unsere Diskussion um ein garantiertes Grundeinkommen als soziales Bürgerrecht ist mit dieser Leitidee aber auch eine Weiterentwicklung des Grundrechtsverständnisses moderner Demokratien gemeint: nicht nur -wenngleich ungebrochen notwendig -als Abwehrrechte, sondern eben auch als materiale Rechtsansprüche qua Bürger-existenz.

Zwei damit verknüpfte Probleme sind in der gegenwärtigen Diskussion kaum gelöst. Das erste ist die Frage nach dem Geltungsbereich von Rechtsan-Sprüchen -beispielsweise in Form eines Grundrechtes auf Existenzsicherung via Grundeinkommen. Wer darf es beanspruchen? Jedes Gesellschaftsmitglied, also jeder Staatsbürger. Was aber ist mit Gästen ohne (deutschen) Bürgerstatus? Werden sie durch ein solches Konzept nicht (noch weiter) zu Mitmenschen zweiter Klasse? Was ist mit dem Blick auf Europa, was gar mit dem Blick auf die Welt: Sollen die Metropolen ihr Konzept exportieren, de facto eine Art Weltsozialstaatsgedanken forcieren? Funktionalistisch betrachtet, könnte in der keineswegs absehbaren Übergangszeit zu einer solchen Weltsozialpolitik die Privilegierung der Staatsbürger als Grundeinkommensbezieher auch eine Stärkung der Demokratie zur Folge haben: Unmißverständlich wird den Bürgern als Dividendenempfängern der nationalen Volkswirtschaft („Deutschland AG“) deutlich, daß sich ihre Teilnahme am demokratischen Geschehen „auszahlt“. Man könnte -gewiß stark vereinfacht -die skandinavischen Gesellschaften und vor allem die Idee des schwedischen „Volksheimes“ als frühe Formen einer solchen Sozial-Demokratie analysieren. Vor der Herausforderung, die entstehende europäische Gesellschaft als einen „europäischen Wohlfahrtsstaat“ (Pierre Bourdieu) zu entwickeln, stellen sich neue und hochkomplexe Anforderungen an Normen und Wertorientierungen.

Das zweite Problem betrifft die andere Seite der Rechte, nämlich die Pflichten. Offensichtlich korrespondieren mit den Grundrechten auch „Grund-pflichten“ In der Geschichte der modernen Gesellschaften sind letztere teils erstaunlich materialer ausformuliert als die Grundrechte. Man denke nur an die Wehrpflicht, die Steuerpflicht oder die Schulpflicht. Diese und weitere Grundpflichten haben erhebliche sozialpolitische Implikationen: ohne Steuern und Abgaben keine Transferleistungen; ohne Wehrpflicht kein Zivildienst; ohne Schulpflicht kein expansives und vor allem öffentlich finanziertes Bildungssystem. In diesen Zusammenhang ist auch die in den letzten Jahren immer häufiger geäußerte Forderung nach einem obligatorischen „Sozialdienst“ einzuordnen. Die Idee ist noch schillernd, ihre Vertreter gehören -ähnlich wie bei der Forderung nach einem „garantierten Grundeinkommen“ -ganz unterschiedlichen politischen Lagern an. Im Kern läuft die Forderung nach einem „Sozialdienst“ auf eine (weitere) soziale Grundpflicht hinaus, damit auf eine soziale Aufwertung des Bürgerstatus. Wie man zum Grundeinkommensberechtigten qua Bürgerstatus wird, so auch zum Sozialdienstpflichtigen. Grund-einkommen wie Sozialdienst wären politische Konstrukte, zugleich politisch gefährdet wie politisch gesichert

Inwieweit die Idee eines Sozialdienstes eine logische und wünschenswerte Ergänzung zur Idee eines Grundeinkommens bildet, ist eine eigene Diskussion wert Beide institutionellen Reform-ideen weisen jedoch zugleich über den Bereich des Politischen und die Frage der Demokratie hinaus. Sie bilden eine Anfrage an die gemeinschaftliche Struktur unserer Gesellschaft: an ihre „moralische Ökonomie“.

3. Gemeinschaftsförderung und eine neue gesellschaftliche Moral

Nicht erst durch die Diskussion um den „Kommunitarismus“ wurde die Dominanz des ökonomischen Kalküls in Frage gestellt. Viele der heutigen Krisenphänomene lassen sich unschwer daraus erklären, daß eine Balance zwischen Eigenwohl und Gemeinwohl im Handeln einzelner und kollektiver Akteure fehlt. Die Kommunitaristen reden zu Recht einer Wiederbelebung und vor allem Neuentwicklung gemeinschaftlicher Erfahrungsfelder das Wort. Gerade die Arbeiten ihrer soziologischen Vertreter -vor allem von Amitai Etzioni und Robert Bellah -demonstrieren, daß die Neubelebung der „moralischen Ökologie“ (Bellah) moderner Gesellschaften ein mühevoller Suchprozeß nach neuen Institutionen und neuen Wertmustern darstellt. Sie müssen die Freiheitsansprüche des Individuums und die Bindungsansprüche von Hilfebedürftigen wie des Gemeinwesens selbst in eine neue Balance bringen.

Die dritte Leitidee sozialpolitischer Perspektiven könnte lauten: Sozialpolitik soll gemeinschaftliches Handeln anerkennen, indem es seine Eigenständigkeit institutionell absichert. Gemeinschaftliches Handeln und moralische Orientierungen -die Übernahme von Verantwortung für Dritte beispielsweise -gelten zwar als Bestandsvoraussetzungen einer pluralistischen Demokratie und nicht zuletzt auch einer freien Marktwirtschaft, aber sie sind durch Markt und Staat zugleich hoch gefährdet. Marktliche und staatliche Institutionen sind -dank ihrer Medien „Geld“ und „Recht“ -„härter“ verfaßt. Das verdeckt die Verletzlichkeit gemeinschaftlicher Institutionen. Wir können dies eindrucksvoll am Schicksal von Selbsthilfegruppen im Gesundheitswesen studieren, die solange pre­ kär und im Schatten der großen Medizinbetriebe und -bürokratien blieben, bis sie systematisch in ihrer Eigenständigkeit anerkannt und zugleich durch adäquate Institutionalisierungen (z. B. Verbandsgründungen) wie durch sozialpolitische Maßnahmen (z. B. Selbsthilfekontaktstellen und -förderprogramme) materiell gesichert wurden.

Die „neuen sozialen Bewegungen“ haben in den vergangenen 25 Jahren wichtige soziale Wirkungen vor allem darin entfaltet, das Spektrum sozial anerkannter Gemeinschaftsformen zu erweitern. Sie haben die ohnedies im sozialen Wandel der modernen Gesellschaften enthaltene Tendenz zu nichttraditionalen Gemeinschaften politisch unterstützt. Diese „posttraditionale“, auf freiwilligen Assoziationen von Individuen beruhende Kultur ist, politisch gesehen, auch die sozialkulturelle Stabilitätsbedingung der grünen Parteien Signaturen dafür sind die Pluralisierung familialer Lebensformen (z. B. in Form nichtehelicher Lebens-gemeinschaften), die vielfältigen sozialen Initiativen im Bereich von Selbsthilfe, Ehrenamt und Selbstverwaltung oder das Wachstum nichtstaatlicher Bildungsangebote.

Die sozialpolitischen Reformoptionen auf dem Gebiet der Gemeinschaftsförderung sind erheblich. Möglicherweise handelt es sich sogar um den Kernbereich des Sozialpolitischen. Reformvorschläge wie die Idee der „Bildungsgutscheine“ (mit dem Ziel der Entstaatlichung des Bildungswesens), die zwischenzeitlich zumindest teilweise eingeräumte Möglichkeit, im Rahmen der Leistungen der Pflegeversicherung genossenschaftliche Stützsysteme zu finanzieren, oder die systematische, professionelle Unterstützung von Selbsthilfeinitiativen und freiwilligem sozialem Engagement markieren das breite Spektrum. Auch die dienstleistungstheoretische Diskussion um einen „welfare mix“ in Richtung auf einen „Wohlfahrtspluralismus“ zielt auf eine systematische Anerkennung gemeinschaftlicher Wohlfahrtsproduktion gegenüber marktlichen und staatlichen Formen, zugleich auf deren intelligente Rekombination. Es wäre jedoch verfehlt, nur unbezahlte Arbeit als gemeinschaftliche zu begreifen. In der Perspektive einer Viergliederung der gesellschaft­ liehen Ordnung wird deutlich, daß auch erwerbs-förmig verfaßte soziale Arbeit zur Stärkung der gemeinschaftlichen Sphäre der Gesellschaft beiträgt. Mit der Qualifizierung und nachhaltigen Ausweitung sozialer Arbeit des Bildungswesens, der öffentlichen Kommunikation oder des Kunst-und Kultursystems entstehen nicht nur erhebliche Potentiale für den Arbeitsmarkt der Zukunft. Wenn es gelingt, eine weitere Ausweitung sozialer Dienstleistungen in einen Gleichklang mit der Förderung freiwilligen Engagements und der Ausweitung der Zeitsouveränität der Erwerbstätigen zu bringen, werden auch Gegenkräfte zu einer Vermarktlichung der Gesellschaft frei.

Die unter den Leitthemen „Arbeit“ und „Demokratie“ diskutierten Reformoptionen eines Grund-einkommens und eines obligatorischen oder auch freiwilligen Sozialdienstes lassen sich im übrigen unschwer mit der Leitidee institutioneller Gemeinschaftsförderung kombinieren: Ein Grundeinkommen sichert ökonomisch gemeinschaftliches Engagement in familialen, kommunalen und gesellschaftsweiten Zusammenhängen; eine Flexibilisierung der Erwerbsarbeitssphäre erweitert Einstiegs-und (temporäre) Ausstiegsoptionen; ein Sozialdienst kann (wie teils der heutige Zivildienst) sowohl im nationalen wie vor allem auch im internationalen Kontext gemeinschaftliches Engagement in zugleich gemeinschaftlichen Organisationsformen auf eine breitere Basis stellen: Vorbilder für die international verbindenden Potenzen solcher Sozialdienste finden sich bei Peace Corps, Aktion Sühnezeichen oder mittlerweile auch im Freiwilligen Sozialen/Ökologischen Jahr; die Kombinationsmöglichkeiten eines Sozialdienstes mit dem Bildungssystem sind vielfältig und sinnvoll.

Gemeinschaftsförderung durch Sozialpolitik bedeutet heute nicht Partikularismus und Privatismus. Familiale, kommunale und andere auf freiem Entschluß von Individuen basierende Gemeinschaftsformen sind vielmehr der Zement der Gesellschaft. Ohne Gemeinschaft keine Moral, ohne Moral keine Intregration. Das heißt keineswegs, daß gemeinschaftliche Leistungssysteme nicht von anderen Handlungslogiken lernen sollten. So ist eine den erfolgreichen (marktwirtschaftlichen) Unternehmen -wenngleich mit erheblichem Time lag -abgeschaute „Konsumentenorientierung“ ein auch für sozialpädagogische und andere soziale Dienstleistungen notwendiger Bestandteil von Qualitätssicherung Doch müssen gemeinschaftli-che Institutionen -gerade angesichts der Mächtigkeit des Geldmediums und der Marktlogik -ihre spezifischen Qualitäten pflegen und gegenüber „Kolonisierungsbestrebungen“ schützen: Eine Vermarktlichung beispielsweise des Hilfe-und des Bildungssystems wäre fatal für die Gesellschaft als Ganzes.

4. Neue Werte für eine neue Gesellschaft

Die diskutierten sozialpolitischen Leitlinien und Reformvorschläge in den Sphären von Wirtschaft, Politik und Gemeinschaft legitimieren sich unter Bezug auf Werte, die in diesen gesellschaftlichen Sphären allein nicht hergestellt und gesichert werden können. Wolf Lepenies hat darauf hingewiesen, daß in der gegenwärtigen weltweiten Umbruchphase „nur in Europa (...) zugleich die Grundlagen des Wertesystems auf dem Spiel“ stehen: „Arbeit, Demokratie, Wissenschaft -an ihrer Geschichte zeigt sich, wie religionsförmig der Prozeß der Säkularisierung in Europa stets blieb, daß die Zurückweisung des Glaubens nicht zur Indifferenz führte, sondern neue Dogmen und neue Formen der weltlichen Intoleranz hervorbrachte. Die Orientierungskrise unserer Zeit verweist daher umso nachdrücklicher auf die Notwendigkeit einer Re-Spiritualisierung, einer erneuten Wertevergewisserung in einer Zeit, in der aus Wertfreiheit längst Wertverlust geworden ist.“ Ein „Programm der Indifferenz“ kann den sozialen Zusammenhalt nicht sichern. Die hier diskutierten sozialpolitischen Leitideen und Reformvorstellungen sind auf entgegenkommende Werte dringend angewiesen. Der Vorschlag eines garantierten Grundeinkommens erscheint beispielsweise vollständig unrealistisch, wenn der gesellschaftliche Wertekonsens auf einer Leistungsethik basiert, die nichterwerbsorientierte Arbeitsformen sozial diskriminiert. Der Wertehunger von sozialpolitischen Reformen dieses Typus ist offensichtlich. Sie benötigen solidarische, partizipatorische und tolerante Dispositionen bei den individuellen wie den kollektiven sozialen Akteuren, und sie setzen ebenso Institutionen voraus wie sie dabei helfen, solche zu entwickeln. Dabei werden die nationalen Begrenzungen in bislang ungekannter Form zu transzendieren sein -ein demokratisches Problem ersten Ranges: Eine „Republik Europa“, gar eine „Weltrepublik“, scheint weit entfernt. Bürgerschaft und Nationalität sind in der industriegesellschaftlichen Moderne verkoppelt. „Die gegenwärtige Weltlage läßt sich keinesfalls als Übergang vom Völkerrecht zum Weltbürgerrecht verstehen.

Viele Anzeichen sprechen eher für einen Rückfall in Nationalismus.“ Vielleicht ist die Idee einer Weltsozialpolitik unrealistisch, so jedenfalls Anthony Giddens: „Das Ziel, einen gigantischen umverteilenden Sozialstaat auf Weltebene zu errichten, muß aufgegeben werden.“ Ein weltweites Grundeinkommen oder eine Rentenversicherung für die Weltbevölkerung würde vermutlich nur hypertrophe Bürokratien produzieren. Aber muß soziale Phantasie deshalb abgeschaltet werden? Der deutsche Sozialstaat wie die ersten Ansätze einer europäischen Sozialpolitik lassen durchaus Optionen für einen solidarischen Weg erkennen, der auch Großsysteme in die Pflicht der Werterfüllung nimmt. Das erfordert adäquate Strukturen. Politisch besonders wirksam sind das föderale und das Subsidiaritätsprinzip. Anthony Giddens hat darauf hingewiesen, „daß die wirksamste Maßnahme zur Überwindung der Ungleichheit darin besteht, den Benachteiligten die Fähigkeiten zu vermitteln, selbst handeln zu können. Solche Maßnahmen müssen also die Reflexivität der Individuen und Gruppen, an die sie sich wenden, berücksichtigen und auf ihr aufbauen.“

Die vierte sozialpolitische Leitidee könnte daher in etwa lauten: Sozialpolitik soll die Menschenrechte als soziale Mitgliedsrechte realisieren. In einem notwendig pluralen Wertekosmos ist ein Wertekonsens unerläßlich. Einen solchen Wertekonsens auch für eine Weiterentwicklung des Kataloges der Menschenrechte in Richtung auf globale soziale Mitgliedsrechte zu erlangen -im Sinne von sozialen Grundrechten und sozialen Grundpflichten -ist ein Projekt, das uns die nächsten Jahre beschäftigen wird. Im übrigen scheint ein solches Programm gut vereinbar mit dem von Michael Walzer als einzigem universalen Menschenrecht proklamierten „Recht auf Verschiedenheit“ Erst in diesem Sinne kann die Doppelheit von „Mitgliedschaft“ -nämlich Rechte und Pflichten gegenüber einem Kollektiv zu besitzen -mit dem Grundsatz der letztlich immer an das Individuum gebundenen Menschenwürde vereinbart werden; nur mit einem Recht auf Differenz -und darin liegt die ungebrochene Aktualität von Freiheits-bzw. Abwehrrechten -ist Freiheit in Gemeinschaft möglich.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine Pointe der sozialpolitischen Reformdiskussion kann darin gesehen werden, daß noch in den achtziger Jahren der Begriff des „Umbaus“ des Sozialstaats typischerweise mit Reformoptionen des grün-alternativen Spektrums assoziiert wurde (vgl. v. a. Michael Opielka/Ilona Ostner (Hrsg.), Umbau des Sozialstaats, Essen 1987), auch als Gegenbegriff gegen den neoliberalen und neokonservativen Diskurs um einen „Abbau“ des Sozialstaats.

  2. Vgl. in der Tradition von Talcott Parsons die Ausarbeitungen in Michael Opielka, Gemeinschaft in Gesellschaft. Entwurf einer Soziologie der Viergliederung gesellschaftlicher Integration, ISO-WP 6/96, Hennef 1996. Verbindungen finden sich zur Idee der „Dreigliederung des sozialen Organismus“ bei Rudolf Steiner; vgl. auch Otto Schily, Nachwort, in: Rudolf Steiner, Die Kernpunkte der sozialen Frage, Dörnach 1996 (zuerst 1919), S. 165-176.

  3. Über die Grenzen der Subsysteme Politik und Wirtschaft herrscht weitgehend Konsens. Wenig diskutiert wurde bisher die Logik des „gemeinschaftlichen“ Subsystems (mit seinen Teilsystemen „Hilfe“, „Bildung“, „Öffentlichkeit“ und „Kunst“) und des „legitimatorischen“ Subsystems (mit „Wissenschaft“, „Menschenrechte“, „Zivilreligion“ und „Religion“). Diese analytische Unterscheidung hat -wie alle idealtypischen Darstellungsformen -den Nachteil, daß die Durchdringung (Interpenetration) der verschiedenen gesellschaftlichen Teilsysteme zunächst nicht sichtbar wird.

  4. Die Logik der Viergliederung wird weiter unten in der Abbildung auf Seite 22 angewandt.

  5. Vgl. G 0sta Esping-Andersen, The Three Worlds of Welfare Capitalism, Princeton, N. J. 1990; Franz-Xaver Kaufmann, Herausforderungen des Sozialstaates, Frankfurt am Main 1997, S. 21 ff.

  6. Vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Diskurse über Staatsaufgaben, in: Dieter Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, Frankfurt am Main 1996, S. 23 ff.

  7. Vgl. Frank Nullmeier/Friedbert Rüb, Die Transformation der Sozialpolitik. Vom Sozialstaat zum Sicherungsstaat, Frankfurt am Main -New York 1993.

  8. Vgl. z. B. Horst Afheldt, Ausstieg aus dem Sozialstaat? Gefährdungen der Gesellschaft durch weltweite Umbrüche, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25-26/95, S. 3-12.

  9. Vgl. v. a. Amitai Etzioni, Die Entdeckung des Gemeinwesens. Ansprüche, Verantwortlichkeiten und das Programm des Kommunitarismus, Stuttgart 1995; ders., The New Golden Rule. Community and Morality in a Democratic Society, New York 1996.

  10. Vgl. Hans F. Zacher, Einführung in das Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1985, S. 14 ff.

  11. „Social citizenship“ nach Thomas H. Marshall, Bürger-rechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtsstaates, Frankfurt am Main -New York 1992 (1949). Für Marshall bildet der Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts den Höhepunkt einer Inklusionsabfolge, die mit der Garantie bürgerlicher Freiheitsrechte im 18. Jahrhundert beginnt und über die Verleihung politischer Mitwirkungsrechte im 19. Jahrhundert zur öffentlichen Anerkennung sozialer Teilhaberechte führt. Marshalls klassische Konzeption betont jedoch nicht nur die Seite der Rechte, sondern ebenso die Pflichten, die „von einem lebendigen Sinn der Verantwortung gegenüber der Wohlfahrt der Gemeinschaft inspiriert sein sollen“ (ebd., S. 83).

  12. Claus Offe, Akzeptanz und Legitimität strategischer Optionen in der Sozialpolitik, in: Christoph Sachße/H. Tristram Engelhardt (Hrsg.), Sicherheit und Freiheit. Zur Ethik des Wohlfahrtsstaates, Frankfurt am Main 1990, S. 185 ff.

  13. In ähnlicher Absicht differenziert Gpsta Esping-Andersen zwischen drei unterschiedlichen Wohlfahrtsstaats-Regimen: 1.dem liberalen, 2.dem konservativen (und ausgeprägt „korporatistischen“), 3.dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat (vgl. G. Esping-Andersen, Anm. 5). Er vernachlässigt den „grün-alternativen“ Ansatz, der auf die Legitimationsgrundlagen des modernen Wohlfahrtsstaates ausgerichtet ist.

  14. Dies entspricht der von Richard Münch verschiedentlich angemerkten Tatsache, daß konkrete („empirische“) Systeme bzw. Institutionen in der Regel aus der Interpenetration verschiedener Systemlogiken resultieren. Für die vorliegende Erörterung sind die beiden 45-Grad-Achsen (Links-rechts-Orientierung; Bürgerstatus-/Arbeitsmarkt-Orientierung) in der Abbildung nur indirekt von Interesse.

  15. C. Offe (Anm. 12), S. 193.

  16. Wobei es sich um eine Typologie monetärer Transfersysteme handelt, nichtmonetäre Transfers aber nicht in jedem Falle derselben Logik folgen müssen.

  17. Vgl. Wolf Lepenies, Benimm und Erkenntnis. Über die notwendige Rückkehr der Werte in die Wissenschaften. Vortrag im Rahmen des „Einstein-Forums“, 14. 5. 1996, Berlin, Ms.

  18. Christine und Ernst Ulrich von Weizsäcker haben die Erweiterung von Tatigkeitsprofilen anschaulich gezeichnet: „Wir meinen, daß vielgestaltige individuelle Tätigkeitsprofile wie , Mutter, Programmiererin, Spanisch-Lehrerin und Gärtnerin 1 oder , Vater, Taxiunternehmer, Schlosser und Koch 1 oder . Großmutter, Sozialarbeiterin und Stadtverordnete'nicht gegenwartsferner und nicht schlechter sind als das Profil des Facharbeiters, der sich nach Feierabend mit dem Bier in der Hand vors Fernsehen setzt und dessen Freizeit ansonsten eine Mischung aus Kegeln, Costa Brava und Extratouren ist.“ Ernst Ulrich von Weizsäcker/Christine von Weizsäcker, Freiheit der Tätigkeit, in: Jens Harms (Hrsg.), „Über Freiheit“. John Stuart Mil! und die Politische Ökonomie des Liberalismus, Frankfurt am Main 1984, S. 199. Anmerkung der Redaktion: Siehe zu diesem Abschnitt auch die Beiträge von Gerd Mutz und Irene Kühnlein in diesem Heft.

  19. Vgl. Christian Leipert/Michael Opielka, Erziehungsgehalt 2000, Bonn 1997 (i. E.); Michael Opielka, Bezahlte Elternschaft, in: Zeitschrift für Sozialreform, (1997) 11-12 (i. E.).

  20. Ein Beispiel dafür war die „Aktion 55“ in Sachsen, bei der Vorruheständler pauschal 200 DM pro Monat erhielten, wenn sie sich für einen gemeinnützigen Zweck engagierten.

  21. Vgl. Ulrike Kress, Die negative Einkommensteuer: Arbeitsmarktwirkungen und sozialpolitische Bedeutung, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, (1994) 3, S. 246-254.

  22. Vgl. Ellen Kirner, Zu Fragen der Finanzierbarkeit einer Grundrente für das Alter, in: Michael Opielka (Hrsg.), Grundrente in Deutschland, Opladen 1997 (i. E.). Ähnlich, allerdings ohne gesetzliche Zusatzrente, kalkulierten Meinhard Miegel/Stefanie Wahl, Der Weg aus der Rentenkrise, Bonn 1997.

  23. Vgl. Volker Meinhardt u. a., Fiskalische Auswirkungen der Einführung eines Bürgergeldes. Gutachten im Auftrag des Bundesministers der Finanzen, DIW, Berlin 1996, S. 34 ff.

  24. W. Lepenies (Anm. 20), S. 10; Anmerkung der Redaktion: Siehe insbesondere hierzu auch die Beiträge von Gerd Mutz und Irene Kühnlein in diesem Heft.

  25. Vgl. Fritz W. Scharpf, „Negative Einkommensteuer“ -ein Programm gegen Ausgrenzung, in: die Mitbestimmung, (1994) 3, S. 27-32; dieser Vorschlag wird unterdessen von Arbeitgeber-wie von Gewerkschaftsseite unter dem Begriff des „Kombilohns“ ernsthaft diskutiert.

  26. So Claus Offe, Vollbeschäftigung? Zur Kritik einer falsch gestellten Frage, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1994) 12, S. 796-806.

  27. Vgl. Johannes Berger, Vollbeschäftigung als Staats-aufgabe?, in: D. Grimm (Anm. 6), S. 553-584.

  28. Vgl. Fritz W. Scharpf, Employment and the Welfare State: A Continental Dilemma, MPIfG Working Paper 97/7, Köln 1997 (MPIfG = Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung).

  29. Vgl. Otto Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland. Geschichtliche Entwicklung und Grundpflichten unter dem Grundgesetz, Berlin 1988.

  30. Verfassungsrechtliche Kodifizierungen könnten hier allenfalls flankierend wirken, indem sie die Kernstrukturen einer solchen Sozialverfassung aus dem tagespolitischen Streit heraushalten und so für Verläßlichkeit sorgen.

  31. Vgl. dazu Michael Opielka, Die solidarische Gesellschaft, Opladen 1997.

  32. Vgl. A. Etzioni (Anm. 9); Robert Bellah u. a., The Good Society, New York 1992.

  33. Vgl. Hubert Kleinert, Bündnis 90/DIE GRÜNEN: Die neue dritte Kraft?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/96, S. 36-44.

  34. Vgl. Joachim Braun/Michael Opielka, Selbsthilfe-förderung durch Selbsthilfekontaktstellen, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie und Senioren, Bd. 14, Stuttgart u. a. 1992; Claus Offe/Rolf G. Heinze, Organisierte Eigenarbeit. Das Modell Kooperationsring, Frankfurt am Main -New York 1990.

  35. Vgl. Adalbert Evers/Thomas Olk (Hrsg.), Wohlfahrtspluralismus. Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft, Opladen 1996.

  36. Vgl. Peter Ittermann/Karin Scharfenroth, Soziale Arbeit in der Zukunft -Billigware oder Qualitätsdienstleistung?, Diskussionspapier Nr. 3, IAT, Gelsenkirchen 1996.

  37. Vgl. Wamfried Dettling, Politik und Lebenswelt. Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft, Gütersloh 1995.

  38. W. Lepenies (Anm. 17), S. 20.

  39. Ebd., S. 15.

  40. Jürgen Habermas, Kants Idee des ewigen Friedens -aus dem historischen Abstand von 200 Jahren, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt am Main 1996, S. 213.

  41. Anthony Giddens, Risiko, Vertrauen und Reflexivität, in: Ulrich Beck/Anthony Giddens/Scott Lash, Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse, Frankfurt am Main 1996, S. 335.

  42. Ebd., S. 335.

  43. Vgl. Michael Walzer, Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, Frankfurt am Main -New York 1992.

Weitere Inhalte

Michael Opielka, Dr. rer. soc., Dipl. -Päd., geb. 1956; 1983-1987 wissenschaftlicher Referent der Bundestagsfraktion der Grünen; anschließend u. a. Abteilungsleiter am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg; seit 1987 Geschäftsführer des Instituts für Sozialökologie (ISÖ) in Bonn; Lehrbeauftragter an den Universitäten Bonn (Soziologie) und Bielefeld (Pädagogik). Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Die ökosoziale Frage, Frankfurt am Main 1985; (Hrsg. zus. mit Georg Vobruba) Das garantierte Grundeinkommen, Frankfurt am Main 1986; (Hrsg. zus. mit Ilona Ostner) Umbau des Sozialstaats, Essen 1987: (zus. mit Joachim Braun) Selbsthilfeförderung durch Selbsthilfekontaktstellen, Stuttgart u. a. 1992; (Hrsg.) Grundrente in Deutschland, Opladen 1997; Die solidarische Gesellschaft, Opladen 1997.