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Globalisierung und Osteuropa. Probleme und Perspektiven der Arbeitsteilung in Europa | APuZ 44-45/1997 | bpb.de

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APuZ 44-45/1997 Strategieansätze und Ergebnisse des Übergangs der mittel-und osteuropäischen Länder zur Marktwirtschaft Entsteht eine neue wirtschaftliche Kluft in Europa? Globalisierung und Osteuropa. Probleme und Perspektiven der Arbeitsteilung in Europa Privatisierungsstrategien und ihre Ergebnisse

Globalisierung und Osteuropa. Probleme und Perspektiven der Arbeitsteilung in Europa

Hermann Clement/Volkhart Vincentz

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Zusammenfassung

Der bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu beobachtende Trend zur verstärkten internationalen Arbeitsteilung -eine entscheidende Quelle der Wohlstandssteigerung -hat sich aufgrund radikal verminderter Transport-und Kommunikationskosten beschleunigt, verbreitert und vertieft. Unter dem Schlagwort Globalisierung nimmt er wegen des damit verbundenen erhöhten Umstrukturierungs- und Anpassungsbedarfs für viele Menschen bedrohliche Züge an. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Wirtschaftssystems und der Ostöffnung verschmelzen die negativen Assoziationen der Globalisierung auch mit diesem Prozeß. Die wohlfahrtssteigernden Auswirkungen der internationalen Arbeitsteilung und die positiven Auswirkungen des Aufbaus neuer Märkte in Osteuropa werden vielfach übersehen. Die Integration der Länder Osteuropas in die Weltwirtschaft ist aber weder ein „Job-Killer“, noch werden die westeuropäischen Märkte mit Waren von dort überschwemmt. Mit der Beseitigung der protektionistischen Schranken stieg der Osthandel zwar rapide. Da aber die westlichen Staaten und insbesondere die Bundesrepublik zunehmende Überschüsse erzielen, werden dadurch per Saldo Arbeitsplätze geschaffen und gehen nicht verloren. Auch das Ausmaß der Direktinvestitionen und ihre Wirkung für die Beschäftigung wird zumeist überschätzt; gerade einmal ein halbes Prozent der deutschen Gesamtinvestitionen flossen von 1991 bis 1996 nach Osteuropa. Der dabei entstandene Nettoeffekt für den Arbeitsmarkt ist eher positiv als negativ. Das erkennbare relative Absinken der Einkommen für weniger qualifizierte Arbeit ist primär der technischen und strukturellen Entwicklung insgesamt zuzuschreiben und nicht den zunehmenden Ost-Wirtschaftsbeziehungen. Auch der Immigrationsdruck von Arbeitskräften hat inzwischen seinen Höhepunkt überschritten. Dies alles schließt regional und strukturell notwendige und schmerzhafte Anpassungsprozesse auch in der Bundesrepublik nicht aus; ihnen stehen aber andererseits positive Effekte in anderen Bereichen und Zonen gegenüber. Aufgabe der Politik ist es daher nicht, die Einbindung Osteuropas in die Weltwirtschaft zu behindern, sondern den Umstrukturierungsprozeß, wo dies nötig ist, sozial abzufedem und die Zusammenhänge aufzuzeigen. Eine Verzögerung der Integration Osteuropas in die Weltwirtschaft würde keines der bestehenden Probleme lösen, mit nahezu absoluter Sicherheit aber die Chancen für weiteres Wachstum auf beiden Seiten schmälern.

I. Einleitung

Tabellel: Handel der EU mit Osteuropa Quelle: EU-Statistik.

Die Friedensdividende wird nicht ausbezahlt. Steigende Arbeitslosigkeit, ein Heer von Arbeitsimmigranten, das unser Land überschwemmt, und der Abfluß der Investitionen nach Osteuropa sind dagegen die Konsequenzen der Beendigung des Ost-West-Konflikts. Dieser Eindruck entsteht, wenn man die Diskussion in den Medien verfolgt. Verbunden mit den als bedrohlich empfundenen Auswirkungen der Globalisierung -wie die internationale Arbeitsteilung nun bezeichnet wird -entstehen Ängste und kommt es zu Abwehrreaktionen, denen die Politik vielfach hilflos gegenübersteht. Auch die Weberaufstände des letzten Jahrhunderts waren unter anderem auf die Ängste der Menschen vor neuen Lebensformen zurückzuführen.

Vor mehr als 120 Jahren veröffentlichte Adam Smith seine Erkenntnisse über den steigenden Wohlstand der Nationen, die er beim Besuch einer neuen Stecknadelfabrik in Northumberland (England) gewann. Er stellte fest, daß die arbeitsteilige Produktion zu einer erstaunlichen Steigerung der Arbeitsproduktivität geführt hatte. Seit dieser Zeit hat nicht nur die Produktion pro Beschäftigten um ein Vielfaches zugenommen, es hat auch die Zerlegung des Produktionsprozesses in eine Vielzahl von Einzelschritten explosionsartig zugenommen. Seit einigen Jahren erleben wir weltweit einen weiteren Schub in dieser langfristigen Entwicklung, der unter dem Schlagwort Globalisierung bereits die Feuilletonseiten unserer Zeitungen erreicht hat. Die Vervielfältigung der Produktion aufgrund einer Aufteilung des Produktionsprozesses bei gleichem Einsatz von Arbeit und Kapital kann auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden: -Die spezifischen Fähigkeiten von Menschen, Maschinen oder Boden werden besser genutzt.

Eine arbeitsteilige Gesellschaft kann es sich z. B. leisten, in einer Region nur Gemüse anzubauen und in einer anderen nur Viehhaltung zu betreiben. Durch den Handel bekommt der Viehzüchter auch Gemüse und der Gemüse-bauer Fleisch und Milch. Eine autarke Wirtschaft müßte beide Produktionszweige betreiben. Die Zeit, die beim Wechsel von einer Tätigkeit zur anderen verlorengeht, wird bei einer arbeitsteiligen Produktion eingespart, und die spezifischen Vorteile für die Produktion des einen Gutes werden ausgenutzt, wenn die Tätigkeiten spezialisiert sind. -Von noch größerer Bedeutung ist, daß der Mensch während des Arbeitsprozesses lernt.

Mit steigender Erfahrung gelingt es ihm, die spezifische Tätigkeit schneller und besser auszuführen. Dieses „learning by doing“ gilt nicht nur für einzelne Personen, sondern auch für ganze Organisationen. Je mehr Flugzeuge desselben Typs z. B. eine Firma baut, desto geringer sind die Ausfälle und kostspieligen Fehler und desto effizienter wird die Gestaltung des Produktionsprozesses.

-Letztlich erlaubt die Spezialisierung durch die Zerlegung des Produktionsprozesses in viele, oftmals sich wiederholende Einzeltätigkeiten, die Vorteile der Massenproduktion zu realisieren. Maschinen können für bestimmte Aufgaben speziell konstruiert werden, was nur lohnend ist, wenn eine große Zahl von Produkten auf ihnen erstellt wird; anders ausgedrückt, wenn ausreichende Losgrößen produziert werden können. In einem Land, in welchem nur einige hundert Automobile abgesetzt werden können, lohnt sich z. B. die Investition für ein Fließband nicht.

Diese Vorteile sind aber nicht nur innerhalb einer Fabrik realisierbar, sondern innerhalb der gesamten Volkswirtschaft und weltweit. Sie werden wirksam, wenn sich über Ländergrenzen hinweg die Tätigkeiten spezialisieren und so in einem weltweiten Maßstab die Vorteile der arbeitsteiligen Gesellschaft genutzt werden. Das von Adam Smith postulierte Freihandelstheorem besagt, daß ein freier Handel zwischen den Ländern mehr Vorteile bringt als Protektionismus. Diese Erkenntnis -unter den Fachwissenschaftlern der Ökonomie relativ unbestritten -gehört zu den fundamentalsten Ratschlägen, die die Wirtschaftswissenschaft der Politik gibt; diese folgte ihnen in der Vergangenheit oftmals aber nur zögernd. Trotzdem wurde die Nachkriegszeit zum Exempel für Produktionsfortschritte, die durch die internationale Arbeitsteilung möglich wurden. Die Wirtschaftsleistung der Welt, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, hat sich seit 1950 verfünffacht. Die Liberalisierung des internationalen Handels war eine, wenn nicht sogar die bedeutendste Quelle dieses Wachstums-schubs und der damit verbundenen allgemeinen Wohlstandssteigerungen.

II. Osteuropas Stellung im Prozeß der Globalisierung

Tabelle 2: Deutsche Direktinvestitionen im Ausland (1995) Quelle: Deutsche Bundesbank, Kapitalverflechtung mit dem Ausland, Mai 1997.

Globalisierung bezeichnet den Prozeß, bei dem die Produktion weltweit organisiert und über eine wachsende gegenseitige wirtschaftliche Verflechtung der Länder verbunden wird. Sie drückt sich damit in einem steigenden Exportanteil der Weltproduktion aus. Die Exporte erhöhten sich daher in den letzten 15 Jahren um mehr als 100 Prozent, während die Weltproduktion nur um 60 Prozent zunahm. Noch rascher wuchsen die nationalen Kapitalmärkte zusammen. Die internationalen Kapitalströme schwollen seit den siebziger Jahren rapide an. Die überproportionale Zunahme der Portfolioinvestitionen, die weltweit zu nahezu gleichen Bedingungen erfolgen können, führte dazu, daß die Realzinsen der meisten Industrieländer heute deutlich näher beieinander liegen als in früheren Zeiten.

Es wäre jedoch falsch, sowohl die enge Handels-verflechtung als auch die hohen internationalen Kapitalströme als völlig neues Phänomen zu betrachten. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg war ebenfalls von einer Globalisierung gekennzeichnet, die dann jedoch unterbrochen wurde. Der Anteil der Exporte an der Weltproduktion erreichte erst 1970 wieder den Wert von 1913. Die Nettokapitalströme, die u. a.der Finanzierung der Eisenbahnen und anderer Infrastrukturinvestitionen dienten, lagen Ende des 19. /Anfang des 20. Jahrhunderts bei drei bis vier Prozent des Bruttosozialproduktes wichtiger Industrieländer. Heute sind es etwa zwei Prozent

Die Gründe für die derzeitige, rapide zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft sind sowohl politischer als auch technischer Art. Die Abkehr von einer Importsubstitutionspolitik in vielen Entwicklungsländern Ende der sechziger Jahre war von einem weltweiten Trend sinkender Zölle begleitet. Mit dem Übergang zum System flexibler Wechselkurse wurden Kapitalverkehrskontrollen abgebaut. Fortschritte in der Kommunikationstechnik und im Transportwesen erlauben, immer größere Entfernungen kostengünstig zu überwinden und fördern damit den Handel. Die Kosten für den Lufttransport sanken seit 1930 um 80 Prozent, die Telefonkosten um 99 Prozent. Durch die Computertechnologie wurde die schnelle Übertragung großer Datenmengen erst möglich. All dies führte dazu, daß nun Produktionsprozesse an verschiedenen, relativ weit entfernten Standorten ohne große Hindernisse koordiniert werden können. Die Folge dieser veränderten Bedingungen ist eine Neuorganisation der Produktionsaktivitäten. Sinkende Transport-und Kommunikationskosten sind also die Voraussetzungen dafür, daß in steigendem Maße Teile von Produktionsprozessen ausgelagert bzw. ganze Produkte an verschiedenen Orten produziert und an anderen Stellen der Welt konsumiert oder investiert werden.

Während sich diese Entwicklungstendenzen weltweit Geltung verschaffen, kam es zur Auflösung des Ostblocks und einer ökonomischen und politischen Öffnung seiner ehemaligen Mitgliedstaaten gegenüber dem Westen. Die Länder des früheren Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) hatten sich aus ideologischen und politischen Gründen am beharrlichsten geweigert, die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung zu nutzen. Im wesentlichen versuchten sie alle Produkte innerhalb des eigenen Wirtschaftsraumes zu produzieren. Der internationalen Arbeitsteilung wurde nur eine „Lückenbüßerfunktion“ eingeräumt. Der vor-wiegende Verkauf von Energie und Rohstoffen diente dem Import dringend benötigter „Defizitwaren“, wobei es sich vorwiegend um moderne Technologien oder Nahrungsmittel handelte. Der weitgehende Verzicht auf die Arbeitsteilung mit den westlichen Staaten und das Unvermögen, die Arbeitsteilung innerhalb des Blockes effizient zu organisieren, führten zu einem sich verstärkenden Nachhinken der Produktivitätsentwicklung im Osten gegenüber der westlichen Welt. Der ver-paßte Anschluß an die oben erwähnten technischen Entwicklungen erwies sich dann zumindest als ein wesentlicher Grund dafür, daß das System sich wirtschaftlich nicht mehr zu legitimieren vermochte, was zum Zerfall des Wirtschaftsblocks und des Wirtschaftssystems führte.

Seither eröffnen die weltweiten Tendenzen der wachsenden Arbeitsteilung auch den Ländern Ost-europas die Chance, aber auch die Notwendigkeit, ihre Produktion an die neuen Nachfragebedingungen anzupassen. Ihre Märkte werden damit voll in die Weltwirtschaft integriert. Dazu bedarf es ohne Frage eines erheblichen Technologie-und Kapital-transfers. Die Bereitstellung dieser Ressourcen durch den Westen und die Fähigkeit Osteuropas, sie zu absorbieren, wird darüber entscheiden, wie schnell der politisch dringend gebotene Angleichungsprozeß zwischen Ost und West verlaufen wird.

Obwohl die Öffnung Osteuropas keinesfalls als Auslöser der Globalisierung der Weltwirtschaft gesehen werden kann, zeigen sich an dieser Region sowohl die Vorteile als auch die Schwierigkeiten dieses Prozesses besonders deutlich. Ängste und Befürchtungen im Zusammenhang mit der Globalisierung lassen sich bei der Wirtschaftskooperation mit Osteuropa genauso deutlich festmachen wie Hoffnungen und Prosperitätserwartungen, die mit einer steigenden Arbeitsteilung verbunden sind.

III. Arbeitsteilung zwischen Westund Osteuropa

Die wirtschaftlichen Beziehungen mit Osteuropa entwickeln sich auf verschiedenen Ebenen. Der Austausch von Gütern und Dienstleistungen innerhalb Europas weitet sich nicht nur aus, sondern ändert auch seine Struktur. Von West nach Ost fließen steigende Kapitalströme, die als Kredit oder in Form von Direktinvestitionen neue Anlagemöglichkeiten suchen. Letztlich stieg auch der Druck von Arbeitskräften aus Osteuropa, die zumindest temporär in Westeuropa Beschäftigung suchen. Die bisherigen Tendenzen dieses grenzüberschreitenden Austausches sollen nun genauer beschrieben und es soll ihre absehbare Entwicklung aufgezeigt werden. 1. Handelsbeziehungen a) Radikale Verschiebung der regionalen Außenhandelsstruktur Angesichts der jahrzehntelangen Abschottung Osteuropas von der übrigen Welt blieb seine Integration in die internationale Arbeitsteilung deutlich hinter dem Niveau in anderen Regionen zurück. Nimmt man die „normale“ Verflechtung zwischen den Ländern der Welt in den sechziger und siebziger Jahren als Maßstab, so betrug der Handel Osteuropas mit dem Westen Anfang der neunziger Jahre nur die Hälfte seines zu erwartenden Niveaus Entsprechend überdimensioniert war der protektionistisch geschützte interne Handel. Mit der Öffnung Osteuropas setzte sehr rasch eine weitgehende regionale Umorientierung der Handelsströme ein. Der interne Handel erlitt nach der Auflösung des RGW einen gewaltigen Einbruch. Dies war angesichts der bis dahin errichteten hohen protektionistischen Schranken und der verzerrten Preisstrukturen nicht anders zu erwarten.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vollzogen sich ähnliche Prozesse auch im Handel zwischen den nun selbständigen Staaten sowohl der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) als auch des Baltikums So hat sich der Anteil Ostmitteleuropas am Handel Rußlands z. B. von 1989 bis 1992 mehr als halbiert, und das mengenmäßige Volumen ist noch viel stärker geschrumpft. Ähnliche, wenn auch etwas abgeschwächte Zusammenbrüche erfuhr der Handel zwischen den GUS-Staaten. Der Handel Rußlands mit den anderen GUS-Staaten ist von 1991 bis 1995 auf etwa 40 Prozent seines ursprünglichen Volumens gesunken. Dabei stellen diese Zahlen die dramatische Entwicklung noch nicht einmal realistisch dar, weil es gleichzeitig zu z. T. erheblichen Preisanhebungen gekommen ist. Dies betraf insbesondere die Energielieferungen. Innerhalb der ehemaligen Sowjetunion betrugen die Energiepreise nur einen Bruchteil der Weltmarktpreise. Mit der Anhebung dieser Preise kam es deshalb zu radikalen Ver-Schiebungen der außenwirtschaftlichen Positionen. Während Rußland von dieser Entwicklung erheblich profitierte, gerieten die Hauptimporteure von Energie, die Ukraine und Weißrußland, in gewaltige Schwierigkeiten. Die aufgelaufenen Handelsbilanzdefizite und Schulden gegenüber dem Hauptlieferanten Rußland schränkten die außen-wirtschaftliche und außenpolitische Aktionsfähigkeit dieser Staaten zuweilen beträchtlich ein. Trotzdem war es sowohl im Handel Rußlands mit den osteuropäischen Staaten als auch mit den wichtigsten Partnern in der GUS der leitungsgebundene Energiehandel, der eine weitere Senkung der Handelsanteile verhinderte. Erst langsam können sich die ostmitteleuropäischen Staaten und die energieabhängigen GUS-Staaten von dieser einseitigen Bindung lösen.

Zusammengebrochen ist auch die künstlich geschaffene wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit und die Spezialisierung im RGW. Sie entbehrte zumeist der ökonomischen Grundlagen. Unter dem alten System konnte sie mehr schlecht als recht funktionieren und bezog sich meist nur auf den Austausch von Endprodukten und weniger auf Komponenten, den sogenannten intraindustriellen Handel, der inzwischen die dominierende Form der internationalen Arbeitsteilung darstellt.

Die Handelsentwicklung der letzten eineinhalb Jahre zeigt aber, daß dieser Transformationsschock nun überwunden ist. Der Handel zwischen den benachbarten osteuropäischen Staaten und mit den GUS-Staaten beginnt wieder zuzunehmen, und es entwickelt sich eine sich wieder verstärkende Arbeitsteilung auf neuer Grundlage. Integrationsfördernden Gebilden wie der Zentraleuropäischen Freihandelszone (CEFTA) kommt dabei eine unterstützende Wirkung zu, wenn sie den Drang nach einer EU-Mitgliedschaft auch nicht mindern können.

Diese radikale Umstrukturierung des Handels der ehemaligen RGW-Staaten untereinander war bei allen Staaten von einer massiven Umlenkung des Handels nach Westeuropa begleitet. Hatten die osteuropäischen Staaten z. B. vor 1990 50 bis 85 Prozent ihres Handels mit anderen Partnern im RGW abgewickelt, so erreichen jetzt die Anteile ihres Handels mit der EU ähnliche Dimensionen. Dramatischer hätten die Verschiebung und Umlenkung der Handelsströme sowie die faktische Annäherung im Außenhandel an Westeuropa kaum sein können. Diese Dynamik mußte sich auch in den Anteilswerten Osteuropas am Handel der EU-Länder niederschlagen. Sie verdoppelten sich bei den 15 EU-mit den sechs osteuropäischen Staaten in wenigen Jahren bis 1996 bei den Exporten auf 8, 7 Prozent und bei den Importen auf 6, 8 Prozent (vgl. Tabelle 1). Bis zum Anfang des neuen Jahrtausends wird eine weitere bedeutende Steigerung der osteuropäischen Handelsanteile prognostiziert. Die Bundesrepublik ist dabei der weitaus größte Handelspartner Osteuropas. Dessen Anteil am gesamten deutschen Außenhandel übersteigt z. B. inzwischen denjenigen mit den USA. b) Steigende westeuropäische Handelsbilanzüberschüsse Seit Anfang der neunziger Jahre wiesen die meisten Länder Osteuropas ein hohes Exportwachstum aus. Dies setzte wesentlich früher ein als die Erholung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage in diesen Ländern. Die Auslandsnachfrage war daher anfänglich der wesentliche Stimulus für die Wirtschaftserholung. 1996 verloren die osteuropäischen Exporte allerdings deutlich an Dynamik. Es ist noch zu früh, um festzustellen, ob strukturelle oder konjunkturelle Gründe die Ursache dafür sind.

Das hohe Exportwachstum wurde jedoch vom Importwachstum noch übertroffen. Anfangs richtete sich die osteuropäische Nachfrage vor allem auf Konsumgüter. Die Länder kamen daher in ein erhebliches Defizit gegenüber den EU-Staaten. Dieses dürfte auch in Zukunft fortbestehen, da für längere Zeit hohe Investitionsgüterimporte notwendig sind, um den notwendigen Technologie-transfer zu ermöglichen. Dies bedeutet aber, daß auch in den kommenden Jahren die Importe finanziert werden müssen. Ein erheblicher Teil dieser Finanzierung wird aus Europa kommen müssen. Für eine beschleunigte wirtschaftliche Entwicklung Osteuropas wird daher entscheidend sein, daß dabei der Anteil der Direktinvestitionen weiter zunimmt, weil nur so vermieden werden kann, daß diese Länder in eine Zahlungsbilanzfalle laufen. c) Zögernde strukturelle Anpassung Die Handelsstruktur war anfänglich noch durch hohe Exporte kapital-und rohstoffintensiver Waren aus Osteuropa geprägt. Darin spiegelt sich die Bedeutung der früher aufgebauten Produktionskapazitäten, vor allem im Bereich der Montanindustrie, wider. Zunehmend bricht sich jedoch die erwartete Spezialisierung auf arbeitsintensive Produkte Bahn.

Die entscheidende Frage ist aber noch nicht beantwortet, ob und wie schnell es den osteuropäischen Ländern gelingt, ihre Exportstruktur an die internationale Nachfrage anzupassen. Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen über die bisher erreichten Strukturänderungen im osteuropäischen Export und die daraus von den Wissenschaftlern gezogenen Schlußfolgerungen sind nicht eindeutig. Während die einen deutliche Erfolge festzustellen glauben, weisen andere noch beträchtliche Lücken der osteuropäischen Exportleistungen im Vergleich zu Wettbewerbern aus anderen Regionen nach

Obwohl also über das Ausmaß der erreichten Anpassung der Exportstruktur noch Unklarheit besteht, ist deren Richtung vorgegeben. Die niedrigen Löhne (und Lohnstückkosten) dieser Länder machen arbeitsintensive Produktion lukrativ. Die Bekleidungsindustrie ist das Paradebeispiel für eine arbeitsintensive Produktion, die sehr schnell auf Veränderungen der internationalen Kostenbedingungen reagiert. Ein wesentlicher Anteil ihrer ausgelagerten Produktion erfolgt in Form von Lohnveredlung, die besonders sensibel auf Lohnkostendifferenzen reagiert. Hier sind bereits deutliche Reaktionen zu erkennen.

Die auftragsbezogene Produktion bietet auch noch weitere Steigerungspotentiale. Im Unterschied zum normalen Handel gibt dabei der Auftraggeber dem osteuropäischen Exporteur die geforderten Leistungen genau vor. In der Bekleidungsindustrie werden Vormaterialien (Stoff) an das osteuropäische Unternehmen geschickt, die von ihm nach den Angaben des Auftragnehmers zusammengenäht werden und als Fertigprodukte wieder an das auftraggebende Unternehmen zurückgesandt werden. Ein großer Teil der osteuropäischen Exporte werden in Form dieses Lohnveredlungsverkehrs abgewickelt. Die Verbreitung des auftraggebundenen Exports ist auch in der Metallverarbeitung und im Maschinenbau zunehmend zu beobachten.

Diese Auslagerung bestimmter Produktionsprozesse nach Osteuropa spiegelt sich daher in einem Ost-West-Austausch von Produkten der gleichen Kategorie (z. B. Maschinenteile gegen Maschinenteile) wider (intraindustrieller Handel), wobei allerdings Produkte unterschiedlicher Fertigungsstufen ausgetauscht werden. Wie gezeigt, werden zumeist Vormaterialien oder Teile vom Westen nach Osteuropa geliefert, dort verarbeitet oder montiert und dann wieder als Komponente oder Fertigprodukte reexportiert. Für Osteuropa ist dieser Handel im Maschinenbau und in der Metall-verarbeitung sowie anderen anspruchsvollen industriellen Bereichen über den Beschäftigungsaspekt hinaus vor allem deshalb interessant, weil Osteuropa zwar zum Teil auch als verlängerte Werkbank fungiert, es aber vor allem -anders als bei der Verlagerung einfachster Produktion (z. B. Näherei) -um die Be-und Verarbeitung technologisch anspruchsvoller Waren geht. Diese Zusammenarbeit eröffnet die Chance, in die Produktion von hochwertigeren Produkten hineinzuwachsen und technologisches Wissen vom Auftraggeber zu übernehmen. Die mit der Globalisierung zusätzlich eröffneten Chancen, auch technologisch anspruchsvollere Prozesse, wie Softwareerstellung und Zulieferung zum Maschinenbau, auszulagern, stoßen in Osteuropa zudem auf eine breite Basis gut ausgebildeter Techniker und Ingenieure. Dadurch bietet sich dieser Raum besonders für diese Art der Arbeitsteilung an. 2. Kapitalexport nach Osteuropa a) Nachholbedarf Osteuropas Die hohe Mobilität des Kapitals über die Ländergrenzen hinweg ist das bedeutendste Kennzeichen der globalen Anpassungsprozesse. Die weltweiten Direktinvestitionen stiegen in den letzten 10 Jahren um mehr als 200 Prozent, bei einem Produktionszuwachs von weniger als 50 Prozent. Mit der Öffnung Osteuropas Anfang des Jahrzehnts wurde auch diese Region in diesen Prozeß einbezogen. Es ist nun möglich, auch dort in größerem Umfang zu investieren. Die hohen Steigerungsraten der Zuflüsse ausländischer Direktinvestitionen waren bisher zum großen Teil Ausdruck einer nachholenden Entwicklung. Nach dem bisherigen Höchststand von 9 Mrd. US-$neuen Direktinvestitionen imJahre 1995 sanken die Zuflüsse auf etwa 7 Mrd. US-$in 1996. Insgesamt wurden in den MOE-Ländern bisher pro Kopf der Bevölkerung etwa 250 US-$aus dem Ausland investiert, was einer Gesamtsumme von knapp 31 Mrd. US-$entspricht. Verglichen mit anderen Regionen sind diese Zuflüsse jedoch nicht besonders hoch. Der Bestand der Auslandsinvestitionen in den MOE-Ländern -gemessen am BIP -dürfte mit fünf bis sechs Prozent etwa dem in Lateinamerika erreichten Niveau entsprechen. Dies ist allerdings nur etwa halb so hoch wie der Anteil ausländischer Direktinvestitionen am BIP in den Ländern Ostasiens Zählt man noch die GUS-Länder hinzu, so hat Osteuropa insgesamt bisher deutlich weniger Auslandsinvestitionen attrahiert als andere Regionen der Welt.

Die Investitionen konzentrieren sich in wenigen Ländern Osteuropas. Bisher wurden nur in Ungarn, Tschechien und Estland mehr als 500 US-Dollar pro Kopf der Bevölkerung aus dem Ausland investiert. Die deutschen Auslands-Direktinvestitionen (ADI), die etwa ein Viertel der gesamten ADI in Osteuropa ausmachen, zeigen die ungleichmäßige Verteilung deutlich.

Der Bestand deutscher Direktinvestitionen in den MOE-Ländern dürfte sich 1996 auf etwa 12 Mrd. DM plus knapp 1 Mrd. DM Investitionen in den Ländern der früheren Sowjetunion belaufen. Dies entspricht in etwa den deutschen Investitionen im EU-Land Spanien und bleibt deutlich hinter den deutschen Investitionen in Irland zurück. Während die Investitionen in Polen 1996 nochmals stark stiegen, lagen sie in allen anderen Ländern unter dem Niveau der Jahre 1994 und 1995. Auch bei den deutschen Daten gibt es also Anzeichen, daß die Zuflüsse nach Osteuropa ihren Höhepunkt bereits erreicht haben könnten. b) Ist Osteuropa der „Job-Küler“?

Die Diskussion in Westeuropa und besonders in Deutschland konzentriert sich auf die Frage, in welchem Umfang durch diese Investitionen Arbeitsplätze im Heimatland verlorengegangen sind. Aus der Berichterstattung in den Medien kann der Eindruck entstehen, daß es zu gewaltigen Arbeitsplatzverschiebungen von Deutschland in die Länder Osteuropas gekommen ist. Tatsächlich beliefen sich die akkumulierten deutschen Direktinvestitionen in Osteuropa auf weniger als ein halbes Prozent der gesamten deutschen Investitionen im Zeitraum 1991 -1996. Schon dies zeigt, daß der Abfluß deutschen Anlagekapitals nach Osteuropa eher marginal ist. Hinzu kommt, daß keinesfalls alle Investitionen in Osteuropa mit einer Verlagerung von Arbeitsplätzen einhergehen. Selbst nach konservativen Schätzungen dürfte mindestens die Hälfte der deutschen Investitionen auf die Produktion und Serviceleistungen für den Bedarf des Investitionslandes ausgerichtet sein. In zahlreichen Umfragen wurde versucht, die Motive für die Investitionen zu ermitteln. Obwohl die Ergebnisse nicht völlig eindeutig sind, zeigt sich doch, daß die Produktionsverlagerung auf Grund der niedrigen Löhne in Osteuropa nicht öfter als Investitionsmotiv genannt wird als die Eroberung des osteuropäischen Marktes.

Diese generellen Einschätzungen müssen relativiert werden, wenn man einzelne Branchen der Wirtschaft betrachtet. Ohne Frage gibt es arbeitsintensive Produktionen, die aus Kostengründen nach Osteuropa verlagert werden. An der Spitze steht dabei, worauf schon hingewiesen wurde, traditionell die Näherei und Bekleidungsindustrie. Aber auch andere Branchen wie Keramik, Porzellan, Leder-und Holzverarbeitung nutzen die Produktionsmöglichkeiten in Osteuropa. Ebenso sieht der Maschinen-und Anlagenbau verstärkt Möglichkeiten, in Osteuropa Teile und Komponenten für den eigenen Bedarf fertigen zu lassen.

Gefördert wird dieser Prozeß durch die technologische Entwicklung, die zunehmend dazu tendiert, die Produkte aus einer begrenzten Anzahl möglichst standardisierter Einzelkomponenten herzustellen. Ein sinkender Anteil der Wertschöpfung fällt dabei beim Hersteller des Endproduktes (meist dem Stammhaus) an, obgleich es weiterhin (als Systemführer) die Gesamtproduktion koordiniert. Komponenten, die an anderer Stelle kostengünstiger produziert werden können, sind damit leichter auszulagern. Insgesamt steigt durch diese wachsende Arbeitsteilung die Produktivität, was die Stückkosten der Waren verringert und die Wettbewerbsfähigkeit des Produzenten erhöht. In diesem Sinne wird sicher vielfach zu Recht damit argumentiert, daß eine Verlagerung einzelner Produktionsteile und die daraus resultierende Mischkalkulation sogar den Gesamtabsatz der Firma steigen läßt und somit positiv auch auf die Beschäftigung im Inland wirkt.

Das Ineinandergreifen der beiden Motive des Marktzugangs wie auch der Kostenersparnis ist besonders deutlich bei der Automobilindustrie zu beobachten. Weltweit ist man in der Automobil-produktion dazu übergegangen, die Kraftfahrzeuge zunehmend aus Komponenten und Einzelsystemen zusammenzubauen, die von selbständigen Zulieferern gefertigt werden. Diese Tendenz der Aufspaltung des Produktionsprozesses in relativ eigenständige Teilprozesse ermöglicht es auch, Osteuropa in diese Arbeitsteilung einzubeziehen. Zum anderen stellt Osteuropa einen bedeutenden potentiellen Absatzmarkt für die Automobilindustrie dar. Unmittelbar nach der Öffnung Osteuropas wurde dies im Aufbau eigener Produktionsstätten durch fast alle europäischen und teilweise japanischen Produzenten deutlich. Die osteuropäischen Länder unterstützten diese Tendenz nicht nur, indem sie den Automobilunternehmen temporäre Steuerfreiheit und andere Vergünstigungen zusagten, sondern auch dadurch, daß sie gleichzeitig auch noch ihren Automobilmarkt durch erhöhte Importschranken für die Investoren attraktiver machten. Obwohl diese Praxis der Attrahierung von Investitionen durch Abschottung des Binnenmarktes nicht den Prinzipien des freien Handels entspricht,, erreichten die osteuropäischen Länder zumeist ihr Ziel. Allein in Polen produzieren und montieren neun große europäische und japanische Hersteller. Selbst in Ungarn, das bis Anfang der neunziger Jahre keine Automobilproduktion hatte, werden heute von Opel, Ford und Audi Komponenten gefertigt. 3. Arbeitskräftewanderungen Angesichts der deutlich niedrigeren Einkommen und Löhne in den Ländern Osteuropas hat sich mit der Öffnung dieser Länder gegenüber dem Westen auch der Druck verstärkt, Arbeit und Lohn durch eine Beschäftigung in der EU zu suchen. Anders als am Kapitalmarkt bleiben aber die Grenzen für Wanderungsbewegungen weitgehend geschlossen. Deutschland war das einzige Land der EU, das mit verschiedenen osteuropäischen Staaten Vereinbarungen über Arbeitnehmerkontingente abgeschlossen hatte. Im Zuge dieser Vereinbarungen wurden auf dem Höhepunkt der Entwicklung 1992 83 Tsd. Werkvertragsarbeitnehmer aus Osteuropa in Deutschland beschäftigt. Seit dieser Zeit ist ihre Zahl allerdings rückläufig. Im Juli 1997 stellte die EU-Kommission fest, daß diese Vereinbarungen gegen das EU-Gemeinschaftsrecht verstoßen. Seither wurden keine Anträge auf Arbeitserlaubnis auf dieser Grundlage mehr genehmigt. Auch die Zahlen für Saison-arbeitnehmer und Gastarbeitnehmer hatten jeweils 1992 und 1993 ihren Höhepunkt erreicht und sind seitdem deutlich rückläufig. Im Juni 1995 wurden in Deutschland 157 Tsd. sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aus Osteuropa erfaßt, die allerdings teilweise nur temporär in Deutschland arbeiteten. Die arbeitsmarktpolitischen Maß-33 nahmen, welche für Arbeitsimmigranten aus Osteuropa zunehmend restriktiver werden, zeigen offensichtlich Folgen.

Das Angebot an Arbeitskräften aus Osteuropa, besonders aus der früheren Sowjetunion, wird allerdings zusätzlich durch die hohe Zahl deutsch-stämmiger Aussiedler erhöht, die jedoch nur zum Teil als Arbeitssuchende auftreten. Obwohl die Aussiedler nicht zu den Arbeitsmigranten zählen und ihr Zustrom nur indirekt mit der Öffnung Ost-europas zusammenhängt, sind sie arbeitsmarkt-politisch von Bedeutung. Der Zuwanderungshöhepunkt war 1990 mit 397 000 Aussiedlern aus Osteuropa erreicht. Seitdem nimmt auch diese Wanderungsbewegung deutlich ab, so daß 1996 nur noch knapp 178 000 Aussiedler nach Deutschland kamen.

Arbeitskräftewanderungen können nicht in bedeutendem Maße zur Entlastung der Arbeitsmärkte in Osteuropa beitragen, zumal die Bereitschaft zur Aufnahme neuer Arbeitskräfte aus Osteuropa in der EU deutlich geringer wird. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß die Einkommen, die von den osteuropäischen Arbeitsmigranten in Deutschland verdient werden, durchaus einen Beitrag zum Wohlstand der Länder leisten. Nach groben Schätzungen kann man von einem Verdienst der osteuropäischen Arbeitsmigranten von 2 bis 3 Mrd. DM jährlich ausgehen. Dieses Einkommen entspräche im Heimatland dem Verdienst von einigen hundertausend Arbeitsplätzen. Insofern leistet sogar die vergleichsweise geringe Migration von Arbeitskräften einen Beitrag zur Entwicklung der osteuropäischen Wirtschaft.

Tatsächlich dürfte allerdings der Umfang der Arbeitsmigration höher sein, als die oben genannten offiziellen Zahlen angeben. In Deutschland und in anderen europäischen Ländern gibt es eine nicht erfaßte Zahl von illegalen Arbeitern, die nicht nur im Baugewerbe, sondern auch in einer Vielzahl von anderen Dienstleistungsberufen tätig sind. Inwieweit diese Schwarzarbeit einen Druck auf Löhne und Preise bei bestimmten Tätigkeiten ausübt, kann nicht überprüft werden, da naturgemäß keine Angaben darüber vorliegen.

IV. Globalisierung und Osteuropa: Befürchtungen und Hoffnungen

Die Wirtschaftstheorie geht davon aus, daß ein zunehmender Handel, der internationale Kapitalverkehr und die Wanderung von Arbeitskräften im Rahmen von Liberalisierungsmaßnahmen in dieselbe Richtung wirken. Das Land mit relativ mehr Arbeit (bzw. niedrigeren Löhnen) wird verstärkt arbeitsintensive Produkte exportieren. Gleichzeitig wird in dieses Land zusätzliches Kapital fließen und Arbeit abwandern. Im Land mit einer relativ hohen Kapitalausstattung findet die umgekehrte Bewegung statt. Es exportiert kapitalintensive Güter und Kapital und importiert Arbeit. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs und die steigenden Kapitalströme führen somit zu keiner grundsätzlichen Änderung der Entwicklungstendenzen, die durch den freien Güter-und Warenverkehr nicht bereits schon gegeben sind; sie bewirken aber eine Verstärkung dieser Tendenzen. Durch die Wanderung von Kapital und Arbeit werden die bereits vorhandenen Anpassungsreaktionen also beschleunigt, nicht aber in ihrer Richtung verändert. Sie wirken zudem wesentlich direkter und schneller auf Löhne und Zinsen, als es der Warenhandel allein tut.

Diese theoretische Betrachtung ist notwendigerweise sehr abstrakt und kann nicht allein zur Einschätzung der faktischen Anpassungen herangezogen werden, da einige wichtige Aspekte dabei außer acht gelassen sind. Empirisch stellt sich die Frage, welches Ausmaß die oben genannten Anpassungsreaktionen tatsächlich annehmen und wie die damit verbundenen Einkommensverschiebungen verteilt sind. Um dies abzuschätzen, ist es sinnvoll, sich noch einmal die groben Relationen der Wirtschaftsbeziehungen zu Osteuropa vor Augen zu halten.

Die EU und an vorderster Stelle Deutschland weisen einen steigenden Handels-und Dienstleistungsüberschuß gegenüber Osteuropa auf, selbst wenn man die Energieimporte aus Rußland mit in die Betrachtung einbezieht. Allein dies schon spricht dafür, daß der Handel mit Osteuropa eher arbeitsplatzschaffend als arbeitsplatzvernichtend wirkt. Auch die vielerorts beklagte Abwanderung des Kapitals nach Osteuropa kann angesichts eines Umfangs von deutlich weniger als einem Prozent der heimischen Investitionen nicht für die steigende Arbeitslosigkeit und den erhöhten Druck auf die Löhne verantwortlich gemacht werden. Dazu ist sein Umfang, ebenso wie die Anzahl der osteuropäischen Arbeitsmigranten, viel zu gering. Angesichts der Flut von Veröffentlichungen, die suggerieren, daß der Druck aus dem Osten (oder allgemein aus den Niedriglohnländern der Welt) wesentlich für die wirtschaftlichen Probleme in Europa und Deutschland verantwortlich seien, scheint es aber angebracht, etwas näher auf diese Frage einzugehen. Wie oben ausgeführt, ist es theoretisch richtig, daß verstärkter Handel und steigender Kapitaltransfer mit Niedriglohnländern in der Tendenz einen Druck auf die Löhne des Handelspartners auslösen bzw. bei geringer Flexibilität der Löhne die Arbeitslosigkeit erhöhen. Da gleichzeitig weltweit wie auch in Deutschland die Tendenz zur relativen Senkung der Löhne für wenig qualifizierte Arbeit bzw. eine überpropor, tionale Zunahme der Arbeitslosigkeit bei diesen Arbeitnehmern beobachtet wird, liegt der Schluß nahe, daß dies auf den verstärkten Handel mit Niedriglohnländern zurückzuführen ist. Tatsächlich haben die meisten der empirischen Untersuchungen allerdings ergeben, daß dieser Zusammenhang, wenn überhaupt nachweisbar, nur sehr schwach ist Plausibler ist vielmehr, die Veränderungen in der Arbeitsnachfrage auf die Charakteristika des derzeitigen technischen Fortschritts zurückzuführen, bei dem eine große Zahl solcher Arbeitsplätze durch Maschinen ersetzt wird. Die steigende Arbeitsteilung mit Osteuropa kann solche Tendenzen möglicherweise beschleunigen, ist aber nicht die Ursache für die steigenden Arbeitsmarktprobleme. Eine weitere Erscheinung nährt die Befürchtungen, daß der Handel mit Osteuropa zum Schaden für die entwickelteren Länder der EU verlaufe. In allen westeuropäischen Ländern wird seit geraumer Zeit ein Rückgang der Industrieproduktion an der gesamtwirtschaftlichen Produktion beobachtet. Aber gerade Industrieprodukte sind es, die vom Osthandel betroffen sind. Der relative Rückgang der Industrieproduktion und der damit einhergehende Arbeitsplatzabbau in diesem Bereich wird daher schnell ursächlich mit der Ausweitung des Handels mit Osteuropa oder Entwicklungsländern in Zusammenhang gebracht, welche diese Produktion übernehmen. Tatsächlich importiert aber Osteuropa, wie oben gezeigt, mehr Industrie-und Agrarwaren aus der EU, als es exportiert, und der Überschuß ist gestiegen. Die beobachtbare De-Industralisierung der entwickelten Länder ist also wiederum keine Folge der Ausweitung der Handelsbeziehungen. Der Grund für den abnehmenden Anteil der Industrieproduktion liegt primär in den im Vergleich zu den Dienstleistungen größeren Produktivitätsfortschritten und der damit verbundenen Senkung der relativen Preise in diesem Bereich.

Die Befürchtungen über negative Auswirkungen der verstärkten Wirtschaftsbeziehungen zu Osteuropa werden vielfach dadurch genährt, daß nur Einzelaspekte ohne die daraus folgenden Anpassungsvorgänge betrachtet werden. Ein Szenario, in welchem das Kapital in großem Umfang aus der EU nach Osteuropa flüchtet und gleichzeitig diese Länder den EU-Markt mit billigen Waren überschwemmen, ist aber schon rein logisch nicht möglich. Ein Überschuß der Handelsbilanz (genauer Leistungsbilanz) ist nur bei einem gleichzeitigen Nettoexport von Kapital möglich. Entweder fließt in großen Mengen Kapital nach Osteuropa (Nettoimport von Kapital) und Osteuropa importiert mehr als es exportiert, oder es hat einen Exportüberschuß und weist gleichzeitig einen Nettoabfluß von Kapital auf. Bisher und vermutlich noch für einige Zeit gilt, daß diese Länder Kapital importieren und ein Handelsbilanzdefizit ausweisen werden.

Um zu vermeiden, daß der Handel zu einer Einbahnstraße für ein Land wird, sind mittelfristig allerdings weitere Anpassungsprozesse nötig. Steigende Exporte setzen eine steigende Produktivität voraus, welche sich mittelfristig in höheren Lohn-kosten niederschlägt. Permanente Exportüberschüsse bergen in sich die Tendenz zu einer (realen) Aufwertung der Währung, was letztlich die Exporte erschwert. Gleichzeitig führen auf der anderen Seite andauernde Kapitalzuflüsse zu einer Senkung der Kapitalrenditen, so daß auch dieser Prozeß seinen natürlichen Ausgleich findet. Es ist daher unzulässig, bestehende Tendenzen einfach in die Zukunft zu extrapolieren, wie es nicht selten bei der Diskussion um die derzeitigen Strukturanpassungen geschieht.

Verstärkte Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ländern erhöhen zudem die Produktion in beiden beteiligten Ländern. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, daß die Gewinne des einen Landes zwangsweise mit Verlusten des anderen Landes verbunden sind. Die Steigerung der Produktivität durch eine stärkere internationale Arbeitsteilung führt zu größerer Produktion bei gleichem Einsatz von Ressourcen, an der beide Partner partizipieren. Darin liegt der Vorteil einer freien Bewegung von Gütern und Produktionsfaktoren (Arbeit und Kapital). Dieser Überzeugung liegt letztlich auch die Idee eines vereinten Europas zugrunde.

Mit dem Gesagten wird nicht bestritten, daß es bei einer verstärkten Arbeitsteilung innerhalb Europas in den einzelnen Ländern Wirtschaftssektoren und Bevölkerungsgruppen gibt und geben wird, die eher zu den Verlierern oder zu den Gewinnern zählen. Dem Verlust von Arbeitsplätzen oder sinkenden (relativen) Löhnen in manchen Branchen stehen neue Arbeitsplätze und steigende Realeinkommen in anderen Bereichen gegenüber. Einer möglichen relativen Senkung der Einkommen unqualifizierter Arbeit stehen überproportionale Einkommenszuwächse bei anderen, höheren Qualifikationen gegenüber. Nur dadurch kann ein relativ hoher Lebensstandard aufrechterhalten werden. Die globalen Vorteile der Arbeitsteilung sollten daher nicht wegen der damit verbundenen Verteilungsproblematik aufs Spiel gesetzt werden. Aufgabe der Politik ist es, die Sozialverträglichkeit der Anpassungen zu sichern, ohne die Anpassungsprozesse selbst zu behindern. Möglicherweise entstehende Ungleichgewichte in der Einkommensverteilung können nicht durch den Ausstieg aus der internationalen Arbeitsteilung gelöst werden. Das zu verteilende Gesamtprodukt würde dann insgesamt schrumpfen und die Verteilungsproblematik noch verschärfen. Die Größe des zu verteilenden Kuchens ist nicht unabhängig von seiner Verteilung, was vielfach übersehen wird.

Die Zusammenarbeit mit Osteuropa hat schon bisher die Wirtschaftskraft Europas gestärkt und den osteuropäischen Ländern zum Beginn eines Aufholprozesses verholfen. Weitere Transfers von Kapital und technischem Wissen in Form von Handel und Direktinvestitionen werden für Jahre nötig sein, wenn eine für beide Seiten vorteilhafte Wirtschaftsentwicklung fortgesetzt werden soll. Für den notwendigen politischen Rückhalt auf diesem Weg ist es notwendig, deutlich zu machen, daß die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme Deutschlands und der EU nicht durch die verstärkte Integration mit Osteuropa ausgelöst oder auch nur wesentlich bestimmt sind. Eine Verzögerung der Integration Osteuropas in die Weltwirtschaft würde keines der bestehenden Probleme lösen, mit nahezu absoluter Sicherheit aber die Chancen für weiteres Wachstum auf beiden Seiten schmälern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. IMF, World Economic Outlook, Globalization Opportunities and Challenges, (1997), Annex, S. 112-116. Anmerkung der Redaktion: Zur Globalisierung siehe auch das Schwerpunktheft dieser Zeitschrift zu diesem Thema: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33-34/97 vom 8. August 1997.

  2. Die Politik der Importsubstitution zielt darauf ab, bisherige Importe durch heimische Produktion zu ersetzen, indem die Importe mit hohen Zöllen belegt werden.

  3. Einen Überblick über die Berechnungen dieses Handels-potentials gibt Volkhart Vincentz, Auswirkungen der wachsenden Arbeitsteilung zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn auf Arbeitsmarkt, Investitionen und Güterströme, Arbeiten aus dem Osteuropa-Institut München, Nr. 188, Dezember 1995, S. 3-6.

  4. Vgl. u. a. Hermann Clement, Zusammenarbeit zwischen den ehemaligen RGW-Staaten, Arbeiten aus dem Osteuropa-Institut München, Nr. 172, Dez. 1994, und ders., Integrationsund Desintegrationstendenzen in Osteuropa und der GUS, Arbeiten aus dem Osteuropa-Institut München, Nr. 186, Dezember 1995. ,

  5. Vgl. z. B. Michael Landesmann/Johann Burgstaller, Vertical Product Differentiation in the EU Markets: the Relative Position of East European Producers, Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, (1997) Nr. 234 a; B. Hoeckmann/S. Djankov, Intra-Industry Trade, Foreign Direct Investment and the Reorientation of East European Exports, CEPR Working Paper, (1996), No. 1377.

  6. Vgl. IMF, World Economic Outlook, Globalization Opportunities and Challenges. International Monetary Fund (1997), S. 106; ECE, Economic Survey of Europe in 1996 -1997, New York -Geneva 1996, S. 116; United Nations (1994), World Investment Report 1995, Transnational Corporations, Employment and the Workplace, New York -Geneva 1995, S. 99.

  7. Vgl. Mattew J. Slaughter/Phillip Swagel, The Effect of Globalization on wages in the Advanced Economies, IMF Working Paper No. 43, April 1997, und Damien Neuen/Charles Wyplosz, Relative Prices, Trade and Restructuring in European Industry, CEPR Discussion Paper, (1996) No. 1451.

Weitere Inhalte

Hermann Clement, Dipl. -Hdl., Dr. rer. pol., geb. 1940; 1970-1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung Hamburg, Referent für die Sowjetunion; seit 1977 Stellvertretender Direktor des Osteuropa-Instituts München. Zahlreiche Buch-und Zeitschriftenveröffentlichungen zur Wirtschaftsentwicklung und Transformation in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion sowie zu den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen und der Des-/Integration zwischen den Staaten des ehemaligen RGW und der GUS. Volkhart Vincentz, Dr. phil., geb. 1946; seit 1973 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Osteuropa-Instituts München; Mitglied des Beratungsteams für die ukrainische Regierung im Auftrag der Bundesregierung seit 1994, zuletzt als Teamleiter. Zahlreiche Veröffentlichungen zu planwirtschaftlichen Volkswirtschaften und Systemen, zu Transformationsstrategien und -entwicklungen, Technologieentwicklung und Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen sowie deren Einfluß auf Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigung in den beteiligten Staaten.