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Neue Medien -Chancen und Risiken. Tendenzen der Medienentwicklung und ihre Folgen | APuZ 42/1997 | bpb.de

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APuZ 42/1997 Neue Medien -Chancen und Risiken. Tendenzen der Medienentwicklung und ihre Folgen Das fragmentierte Medien-Publikum Folgen für das politische System Über die Demokratie in der vernetzten Gesellschaft. Das Internet als Medium politischer Kommunikation Globalisierung, elektronische Netze und der Export von Arbeit

Neue Medien -Chancen und Risiken. Tendenzen der Medienentwicklung und ihre Folgen

Winfried Schulz

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die wesentlichen Tendenzen der gegenwärtigen Medienentwicklung lassen sich zusammenfassen mit den Begriffen: Angebotswachstum und Diversifikation, Digitalisierung und technische Integration, Globalisierung und Konzentration der Unternehmen sowie medienpolitische Deregulierung. Die Folgen dieser Entwicklung bergen Chancen und Risiken. Argumente dazu, die in der öffentlichen Diskussion und in der Diskussion unter Experten eine Rolle spielen, werden im Beitrag für folgende Lebensbereiche aufgeführt: Wirtschaft und Arbeit, Wissenschaft und Bildung, Kunst und Unterhaltung, Öffentlichkeit und politische Prozesse. Aussagen über die Chancen und Risiken der neuen Medien haben allerdings kaum prognostische Gültigkeit. Sie können sich erfüllen, wenn die allgemeine Überzeugung von ihrer Richtigkeit groß ist. Sie können sich als falsch erweisen, wenn sie angezweifelt oder als unerwünscht eingestuft werden. An Prognosen zur Medienentwicklung und ihren Folgen ist nicht die Frage zu richten, ob sie zutreffend sind, sondern ob das entworfene Zukunftsbild gesellschaftlich und politisch wünschenswert ist.

I. Tendenzen der Medienentwicklung

Mitte der achtziger Jahre hatten Fernsehzuschauer in der Bundesrepublik Deutschland im allgemeinen drei Programme zur Auswahl, heute sind es -je nach Empfangssituation -meist zwischen 30 und über 50. Das Angebot an Radioprogrammen hat in ähnlicher Weise zugenommen. Erhebliches Wachstum gab es auch bei anderen Medien, vor allem bei der Zahl der Publikumszeitschriften, bei Videos und Tonträgern, bei den Nachrichtenagenturen und -diensten, beim Informationsangebot über Datenbanken, Internet und Online-Dienste, bei Computer-Software und -Spielen.

Mit dem Wachstum des Angebots geht einher dessen inhaltliche Diversifizierung. Ein großer Teil der zusätzlich angebotenen Medien und Inhalte richtet sich an zunehmend kleinere und homogenere Publikumssegmente und Zielgruppen. Beispiele dafür sind die sogenannten Formatradios, TV-Spartenkanäle, Special-Interest-Zeitschriften und thematisch höchst spezielle Angebote in Internet und Online-Diensten.

Wachstum und Wandel der Kommunikation haben ihre Hauptursache in einem beispiellosen Entwicklungsschub der Medientechnik. Digitalisierung und Datenkompression erweitern alle wichtigen Kapazitätsparameter bei der Produktion, Speicherung und Verbreitung insbesondere der audiovisuellen Medien. Der Wandel ist ferner bestimmt durch Neu-und Weiterentwicklungen bei der Satelliten-und Kabeltechnik (u. a. Glasfaser-, ISDN-Technik), durch erhebliche Fortschritte in der Computertechnik und bei den opto-elektronischen Speichermedien (u. a. CD, CD-ROM) Neue Informations-und Kommunikationstechni-ken verändern aber auch die Organisation, die Produktionsprozesse und die Vertriebswege der Printmedien

Durch Zusammenführung verschiedener Informations-und Kommunikationstechniken, die sich bisher weitgehend getrennt entwickelten -Rundfunk, Unterhaltungselektronik, Telekommunikation und Datenverarbeitung -, kommt es zu sprunghaften Entwicklungsfortschritten. Ein einigermaßen vollständig für die Nutzung von Internet und Online-Diensten ausgestattetes Endgerät ist heute eine Kombination aus Computer, CD-Player, Telefon und Faxgerät, TV-und Radiogerät. Unsere Sprache hält mit der Entwicklung nicht Schritt und bietet für das neuartige Phänomen nur Verlegenheitslösungen wie „neue Medien“ und „Multimedia“ oder die Sammelbezeichnung „IuK“ (für Information und Kommunikation, z. B. in der Wortverbindung „IuK-Technik“)

Die Entwicklung und Einführung neuer Medien und IuK-Techniken erfordern hohe Investitionen und ein extensives Marketing. Dies führt zu Erscheinungen der Kommerzialisierung der Medien, die -zumindest für Europäer -ungewohnt sind, wie die Ausweitung der Werbung in Radio und Fernsehen oder die Vermischung von Werbung und redaktionellen Inhalten. Die Medienbranche selbst ist einer der größten Auftraggeber für Werbung in Massenmedien

Die hohen Investitionen und die damit verbundenen Risiken sind um so eher tragbar, je kapitalkräftiger die Unternehmen sind und je größer ihr Markt ist. Daher streben viele Unternehmen eine Internationalisierung oder Globalisierung ihrer Tätigkeit an. Auch die erstaunliche und zugleich beunruhigende Unternehmenskonzentration, die wir seit einiger Zeit im Medienbereich beobachten, läßt sich so erklären. Inzwischen dominieren einige „Global Players“ wie Time Warner Inc., Walt Disney Co., Bertelsmann AG, Viacom Inc. und News Corporation Ltd.den Weltmarkt der Massenkommunikation und Unterhaltungselektronik

In Europa und weltweit hat sich das Prinzip der medienpolitischen Deregulierung durchgesetzt. Der Staat zieht sich aus der unmittelbaren Medienkontrolle zurück und beschränkt sich auf die Vorgabe von rechtlichen Rahmenordnungen. Medienpolitik wird zunehmend der Technologie-und Standortpolitik untergeordnet IuK gilt als die neue „Schlüsselindustrie“.

Die wesentlichen Tendenzen der Medienentwicklung lassen sich zusammenfassen mit den Schlagwörtern: Angebotswachstum und Diversifikation, Digitalisierung und technische Integration, Globalisierung und Konzentration der Unternehmen sowie medienpolitische Deregulierung. Die Folgen dieser Entwicklung bleiben nicht auf den IuK-Sektor beschränkt. In dem Maße, in dem die Medien kommunikative Bedürfnisse befriedigen und zur sozialen Kommunikation beitragen, prägen sie das gesellschaftliche Leben und das Leben des einzelnen. Wenn sich die Medien verändern, betrifft dies auch den einzelnen und die Gesellschaft. Die Entwicklung birgt Chancen und Risiken. Für einige wichtige Lebensbereiche sollen dazu im folgenden die Argumente aufgeführt werden, die in der öffentlichen Diskussion und in der Diskussion unter Experten eine Rolle spielen

II. Wirtschaft und Arbeit

Neue Medien und IuK-Techniken sind ein Wirtschaftsfaktor. Sie tragen nicht nur in steigendem Maße zur Wirtschaftsleistung bei, sie führen darüber hinaus zu erheblichen Veränderungen in Wirtschaft und Arbeit. Etikettierungen wie „Mediengesellschaft“ und „Informationsgesellschaft“ verweisen auf gesamtwirtschaftliche Folgen der Entwicklung. Die industrielle Produktion verliert weiter an Bedeutung für den wirtschaftlichen Wohlstand zugunsten des zunehmend informatisierten Dienstleistungssektors, insbesondere zugunsten der Medien-und Kommunikationswirtschaft 1. Chancen Der Medienbericht ‘ 94 der Bundesregierung weist für den Mediensektor -einschließlich Unterhaltungselektronik -eine Bruttowertschöpfung von 55, 45 Mrd. DM im Jahr 1992 aus, das entspricht 1, 83 Prozent des Bruttosozialprodukts. Eindrucksvoller ist die dort mitgeteilte Wachstumsrate von 63, 2 Prozent von 1982 bis 1990, die deutlich über dem Wachstum der Gesamtwirtschaft liegt. Noch weit positiver hebt sich die Zunahme der Beschäftigtenzahl im Mediensektor von der Gesamtentwicklung ab

Die IuK-Technologien gelten als die Basisinnovation an der Wende zum 21. Jahrhundert, die Kommunikationswirtschaft als die neue Schlüsselindustrie Die EU-Kommission erwartet von den IuK-Techniken eine beträchtliche Steigerung der Produktivität und eine erhebliche Verbesserung der Qualität und Leistungsfähigkeit von Diensten

Neue Techniken und Dienste wie Internet, ISDN, Mobilfunk, Telefax, E-Mail, Videokonferenz und elektronische Verkehrsleitsysteme verbessern die Kommunikationsinfrastruktur für die Wirtschaft, machen den Transport von Gütern und Menschen teilweise überflüssig oder optimieren ihn soweit, daß Zeit und Kosten gespart, Standortnachteile ausgeglichen und Umweltbelastungen vermindert werden

Durch Telearbeit wird dezentrale Berufstätigkeit in häuslicher Umgebung möglich. Dadurch können Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen, Beruf und Familie lassen sich besser vereinbaren, für einige Bevölkerungsgruppen -z. B. Frauen mit Kleinkindern oder Behinderte -verbessert sich der Zugang zum Arbeitsmarkt, vor allem flexible Teilzeitarbeit wird erleichtert; Wege zu einer Arbeitsstätte erübrigen sich oder können reduziert werden, und daraus entstehen ökologisehe Vorteile; Unternehmen können spezialisierte Fertigkeiten und Know-how auf einem weltweiten Arbeitsmarkt nachfragen.

Die neuen Medien und Kommunikationstechniken haben eine Reihe neuer Wege des Vertriebs, des Angebots von Dienstleistungen und des Marketings eröffnet. Telebanking über Online-Dienste, Shopping über das Fernsehen, über Kataloge auf CD-ROM oder über Angebote im Internet kommen den Kunden entgegen und helfen den Unternehmen, Kosten zu reduzieren. Nicht zuletzt sind die neuen Medien auch neue Werbeträger, die oft einen zielgruppengenaueren, kostengünstigeren und erfolgreicheren Einsatz ermöglichen. Sie tragen dazu bei, daß die Werbeinvestitionen im Vergleich zur Wirtschaftsleistung überproportional steigen 2. Risiken Skeptiker warnen vor überzogenen Erwartungen in bezug auf die wirtschaftlich günstigen Folgen der Einführung neuer Medien und IuK-Techniken. Sie verweisen darauf, daß die Informatisierung nur zur Verschiebung von Leistungen und Wertschöpfungen aus einem Sektor in einen anderen führt. IuK-Techniken steigern zwar die Rationalisierungsmöglichkeiten und können somit produktivitätssteigernd wirken. In der Regel führt dies aber auch zur Beseitigung von Arbeitsplätzen und zu mehr struktureller Arbeitslosigkeit. Die Zunahme von Beschäftigten bei den neuen Medien wird zum Teil durch Rückgänge bei den herkömmlichen Medien aufgezehrt

Negative Beschäftigungseffekte werden z. B. auch dadurch erwartet, daß „mentale Dienstleistungen“ wie Informieren und Ausbilden auf Videokassetten, Disketten oder CDs industriell vervielfältigt werden Der Einsatz von Personal für solche Dienstleistungen erübrigt sich dann oder wird reduziert. Ein weiterer Negativeffekt entsteht durch Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland und „grenzüberschreitendes Sozial-Dumping“, sofern die Arbeitsaufträge und -ergebnisse über weltumspannende Datennetze transportiert werden können Arbeit wird jeweils dort nachgefragt, wo sie am billigsten ist (z. B. Programmierung und Datenverarbeitung in Entwicklungsländern).

Teleshopping begünstigt unüberlegte Impulskäufe und die Verschuldung einkommensschwacher Bevölkerungskreise. Telearbeit birgt das Risiko der sozialen Isolierung, der Aushebelung des Arbeits-und Sozialrechts, der Diskriminierung von Arbeitnehmern -vor allem Frauen -mit einfachen Tätigkeiten (z. B. Dateneingabe, Schreibarbeiten), da solche am ehesten in Telearbeit vergeben werden können. Wer „fernab vom Betrieb arbeitet, ist, abgehängt“

Die neuen Medien und Techniken schaffen elektronische Steuerungs-und Kontrollmöglichkeiten, die erhebliche Datenschutzprobleme aufwerfen und elementare Persönlichkeitsrechte -vor allem die informationelle Selbstbestimmung -einschränken können Zugriffe auf die Kommunikationsendgeräte in den Haushalten (z. B. bei der Nutzung von Pay-TV, Video-On-Demand, Teleshopping, Telebanking) lassen sich zentral registrieren und in Nutzerprofile umsetzen, die für Marketingzwecke (im Prinzip auch für eine polizeiliche Überwachung) eingesetzt werden können. Teleshopping über Fernsehen oder Internet wirft eine Reihe noch ungelöster Probleme des Daten-und Verbraucherschutzes, der Sicherheit des Zahlungsverkehrs mit „Cyber-Geld“ sowie des Vertrags-und Haftungsrechts auf

III. Wissenschaft und Bildung

Technologische Innovationen und deren Anwendung hängen eng mit dem Niveau von Bildung und Wissenschaft zusammen. Sie sind Folge der fortgeschrittenen Entwicklung von Forschung und Technik im ausgehenden Jahrhundert und stimulieren wiederum deren Weiterentwicklung. Das gilt in besonderem Maße für die neuen Medien und IuK-Techniken. 1. Chancen In den entwickelten Ländern gehört der Umgang mit Telefon, Computern, Fernsehern und Fernbedienung, Videotext, Internet und Online-Diensten, Videorecordern, CDs und CD-ROMs mehr und mehr zu den selbstverständlichen und allgemein verbreiteten Kulturtechniken. Hard-und Software -vor allem für Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Businessgraphik, Datenbanken und Online-Recherche -sind kostengünstig verfügbar und werden immer leichter handhabbar. Vor allem Angehörige der jüngeren Generation, die bereits mit den meisten der neuen Medien aufgewachsen sind, und Personen in qualifizierten Berufen, die mit moderner IuK-Technik am Arbeitsplatz umgehen, verfügen über eine hohe Medien-und Technik-Kompetenz. Mit der Expansion der Medien nehmen absolut auch die Bildungs-und populärwissenschaftlichen Angebote beträchtlich zu, z. B. pädagogische Kindersendungen, dokumentarische und populärwissenschaftliche Sendungen bzw. Spartenkanäle im Fernsehen, Schulfunk und Telekollegs, populärwissenschaftliche und Fachzeitschriften sowie Kassetten, Videos, Disketten und CDs als Teachware und Informationsressource (Lexika, Wörterbücher, Kataloge usw.). Besonders dramatisch ist die Angebotserweiterung des Wissens durch Datenbanken, Internet und Online-Dienste.

Die neuen Medien bieten die Chance einer Bildungsrevolution 20. Ihr Einsatz in Schulen und Hochschulen kann den Unterricht anschaulicher und für die Lernenden interessanter machen, die Lernmotivation stärken und den Lernerfolg erhöhen. Vor allem komplizierte Wissensmaterien lassen sich durch geschickten Einsatz der Darstellungsmöglichkeiten audiovisueller Medien Infographik, Filme, Videos, Computeranimation und -Simulation -didaktisch wirksam aufbereiten. Mit Hilfe programmierten Lernens und interaktiver Teachware kann das Lernpensum -z. B. beim Fremdsprachenlernen -den individuellen Lernmöglichkeiten und der jeweiligen Lernmotivation angepaßt werden Vor allem für Blinde bzw. stark Sehbehinderte verbessern sich erheblich die Lernmöglichkeiten durch den Einsatz neuer Audio-Medien, Computer und Software, die Text in Sprache und Sprache in Text umwandeln Neue elektronische Speichersysteme und Datennetze, insbesondere das Internet und Online-Dienste, machen sehr große Wissensbestände wie Lexika, Bibliographien, Bibliothekskataloge, Fachbücher, Datenbanken wie auch die Wort-, Bild-und Tonbestände einer Vielzahl publizistischer Medien relativ leicht und kostengünstig zugänglich und effektiv auswertbar. Besonders nützlich ist für den Anwender die Volltextrecherche mit Schlagwörtern, durch die sehr große Kataloge, Bibliographien und Textbestände thematisch schnell erschlossen werden können. Dieser Zugang zu Bibliotheken und anderen Dokumentenbeständen wird noch weit komfortabler, wenn erst eine größere Zahl von Werken digitalisiert ist, so daß sie direkt auf den Computer am Arbeitsplatz oder zu Hause heruntergeladen werden können. Große Bibliotheken -wie etwa die Französische Nationalbibliothek -schaffen dafür gegenwärtig die Voraussetzungen 2. Risiken Die in der Medienentwicklung angelegte Tendenz der Selbstverstärkung kann vorhandene Wissens-klüfte, kann das Bildungs-und Kompetenzgefälle innerhalb der Gesellschaft wie auch zwischen verschiedenen Ländern vergrößern Dieses Risiko besteht auch für verhältnismäßig reiche Länder mit hohem Bildungsniveau, wenn nicht rechtzeitig in die Medienausstattung der Schulen und Universitäten investiert wird Allgemein profitieren entwickelte Länder mit guter Bildungs-und Forschungsinfrastruktur deutlich mehr vom Fortschritt der IuK-Techniken als unterentwickelte Länder, reiche und angesehene Universitäten mehr als arme und unbedeutende, Wissenschaftsgebiete mit einer „natürlichen“ Nähe zum Computer wie Natur-und empirische Sozialwissenschaften mehr als z. B. Geisteswissenschaften.

Ebenso können Personen, die bereits gut vorgebildet sind und eine entsprechende Medienkompetenz besitzen, die Möglichkeiten neuer Medien und Techniken besser nutzen als die in dieser Hinsicht Unterprivilegierten. Ungleichheiten der Medienkompetenz und im Zugang zu neuen Medien gibt es nicht nur zwischen den sozialen Schichten, sondern in starkem Maße auch zwischen Männern und Frauen. Wer mit den neuen Kulturtechniken nicht umzugehen lernt, bleibt „Analphabit“ -das ist die moderne Form des Analphabetismus

Der durch die IuK-Techniken auf exponentielle Raten gesteigerte Zuwachs des Wissens führt zu Unübersichtlichkeit und Informationsüberlastung Die Informationsfülle macht es immer schwieriger, das Wichtige und Relevante vom Unwichtigen und Irrelevanten zu unterscheiden, die Integrität der Quellen und die Zuverlässigkeit der Information einzuschätzen. Mit der Beschleunigung des Wissenszuwachses erhöht sich zugleich die Verfallsrate des Wissens. Einmal angeeignetes Wissen wird schnell überflüssig oder inaktuell.

Die Digitalisierung der Bibliotheksbestände und der Textkommunikation allgemein birgt nicht nur Chancen, sondern auch Risiken Zum einen verlieren digital gespeicherte Texte gegenüber dem gedruckten Text einen mitunter wesentlichen Anteil ihrer Botschaft, der sich in Typographie und Layout, Bebilderung, Arten des Papiers und des Einbandes manifestiert. Es entsteht nicht nur ein ästhetischer Verlust, sondern auch ein Verlust an kunst-und kulturhistorischer Information. Zum anderen sind die in Datenbanken gespeicherten Informationen leicht und spurenlos manipulierbar. Der Siegeszug audiovisueller Medien bedroht die Kulturtechnik Lesen und hat bei den jüngeren Generationen zu einem Rückgang der Lesekompetenz und der Nutzung von Printmedien -vor allem von Tageszeitungen -geführt Der Umgang mit Video-und Computerspielen, aber auch programmiertes Lernen am Computer und Teleteaching begünstigen Individualisierung und soziale Isolation. Das kann Kreativitäts-und Leistungseinbußen zur Folge haben auf Grund eines Mangels an spontaner Kommunikation, sozialer Kontrolle, gegenseitiger Beobachtung und Anregung und anspornendem Wettbewerb.

IV. Kunst und Unterhaltung

Seit den Anfängen der Kommunikationstechnik wird diese für Zwecke des Zeitvertreibs und der Zerstreuung, der ästhetischen Erbauung und Anregung, zur Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten wie auch zur Kommerzialisierung von Kunst und Populärkultur eingesetzt. Neue Techniken und Multimedia steigern diese Möglichkeiten beträchtlich. 1. Chancen Die moderne Audiotechnik ermöglicht den individuellen Zugriff auf die verschiedensten Musikgenres und Produktionen, macht künstlerische Spitzenleistungen für jedermann, zu jeder Zeit und kostengünstig verfügbar. Die Auswahl -auch an historischen Aufnahmen -ist gewaltig und nimmt ständig weiter zu. Dem Musikinteressierten bescherte die Entwicklung von der Schellack-und Vinyl-Schallplatte über Tonband und Tonkassetten zur CD technisch immer bessere, kostengünstigere und leichter zu handhabende Tonträger. Mit der bevorstehenden allgemeinen Einführung von digitalem Radio (DAB) wird sich die Breite der Musikangebote und deren Qualität weiter erhöhen Die Erweiterung der CD zur Video-CD macht Musikhören zum Multimediaerlebnis. Trotz erheblicher Ausweitung der Fernsehprogramme und anderer AV-Medien wächst auch der Tonträgermarkt seit Mitte der achtziger Jahre beträchtlich

Die Expansion der Audio-und AV-Medien sowie der Multimedia-und Internetangebote begünstigt einerseits die Differenzierung und Individualisierung der Kommunikation, so daß immer speziellere Geschmäcker und Zielgruppen bedient werden können. Das gilt ebenso für die gegenwärtige und wohl auch zukünftige Entwicklung der Print-medien: Das Angebot an Literatur, Sachbüchern, Unterhaltungs-und Special-Interest-Zeitschriften wird immer breiter und differenzierter

Neue Medien schaffen andererseits auch neue künstlerische Ausdrucks-und Darstellungsformen -wie in der Vergangenheit z. B. Foto-und Film-kunst, Hörspiel und Fernsehspiel, elektronische Musik und das Jugendgenre „Techno“, Video-skulpturen und Videoclips Nicht zuletzt ergeben sich durch die Medienexpansion zusätzliche Publikations-, Darbietungs-und auch Verdienstmöglichkeiten für immer mehr Autoren, Komponisten, Darsteller und Interpreten. Auch sehr ungewöhnliche, esoterische, avantgardistische, selbst tabuisierte Sujets und Künstler finden ihr Publikum. Das Internet sorgt für eine weltweite und kostengünstige Verbreitung ihrer Werke.

Vor allem aber erweitern neue Medien die Breite und Differenziertheit der Unterhaltungsangebote. In einer Gesellschaft mit relativ viel Freizeit und Wohlstand gibt es eine starke Nachfrage nach Unterhaltungsangeboten und eine entsprechend große Bereitschaft, diese durch Werbung zu finanzieren. Die Möglichkeiten, sich je nach Stimmung, Geschmack, Anspruchsniveau, einsetzbarem Geld-und Zeitaufwand unterhalten, anregen und zerstreuen zu lassen, nehmen erheblich zu.

Davon profitieren besonders Zielgruppen, die im bisherigen Angebot relativ wenig berücksichtigt sind, etwa ältere Leute sowie Kinder und Jugendliche. Kinder und Jugendliche finden in den neuen Medien spezielle Musik im Radio, Kinder-und Video-Kanäle im Fernsehen, Video-und Computerspiele auf Kassetten bzw. Datenträgern und in Datennetzen. Diese Angebote kommen ihrem Bedürfnis entgegen, kognitive Fähigkeiten zu erproben und zu entwickeln, ihre persönliche Identität zu finden, einen eigenen Lebensstil sowie eine „Jugendkultur“ zu definieren 2. Risiken Die zunehmende Differenziertheit kultureller Angebote in den Massenmedien birgt die Gefahr der kulturellen Fragmentierung. Die Vielfalt unterschiedlicher Medien konstituiert esoterische Zirkel, immer enger definierte Milieus und Subkulturen mit jeweils sehr unterschiedlichen Interessen, Erfahrungen und ästhetischen Kriterien Das immer umfangreichere Angebot an oft trivialer Unterhaltung überlagert und verdrängt die anspruchsvolleren kulturellen Angebote in den Medien. Da anspruchslose Unterhaltung leichter konsumierbar ist, wird sie weit mehr genutzt, findet ein weit größeres Publikum, eignet sich viel besser als Werbeumfeld und hat daher viel mehr finanzielle Ressourcen verfügbar als Darbietungen der Kunst und „Hochkultur“.

Der Kunst-und Unterhaltungsbetrieb wird zunehmend kommerzialisiert. Die Marktgesetze, die den Wettbewerb um Werbebudgets und passende Zielgruppen bestimmen, treiben die Gagen von Stardirigenten, -interpreten, -schauspielern, -regisseuren in die Höhe. Vor allem in der Unterhaltungsindustrie und im „Unterhaltungssport“ wie Tennis, Autorennen und Fußball führt die Medienkonkurrenz zu sich ständig übersteigernden Gagen, Honoraren und Rechtekosten Die Kosten können nur sehr begrenzt auf die Produkte bzw. Nutzer abgewälzt werden, da die Haushaltsausgaben für Massenmedien sehr inflexibel sind. Die Expansion der Medien muß daher vor allem durch mehr Werbung finanziert werden. Die „Kommunikationsverschmutzung“ durch Werbung nimmt zu.

Zu den problematischen Begleiterscheinungen dieser Entwicklung gehört, daß Entscheidungen über die Einführung von neuen Techniken und Diensten in erster Linie unter Gesichtspunkten der breiten Publikumsakzeptanz und der Finanzierung durch Werbung getroffen werden, daß der Wettbewerb um Publikumsakzeptanz zu Qualitätseinbußen im Journalismus und bei medialen Unterhaltungsangeboten führt. Die Anbieter müssen ständig die Reizintensität der Medieninhalte erhöhen, um sich in der zunehmenden Konkurrenz durchsetzen zu können. Das geschieht häufig durch die Darstellung von Gewalt und Sexualität, durch sensationelle und tabuverletzende Themen. Der harte Kampf um Werbebudgets führt zu einer Mißachtung von Geboten, die dem Schutz der persönlichen Ehre, dem Jugendschutz sowie dem Daten-und Verbraucherschutz dienen Von diesen Risiken sind Kinder und Jugendliche besonders betroffen.

V. Öffentlichkeit und politische Prozesse

Die Massenmedien liefern den Bürgern wie auch den Politikern eine Informationsgrundlage für die politische Meinungsbildung und für politische Entscheidungen. Sie konstituieren eine politische Öffentlichkeit und schaffen damit ein Forum zur Auseinandersetzung über politische Prioritäten. Die Medien wirken selbst mit an der Meinungsbildung und ergänzen als „vierte Gewalt“ -durch Kontrolle und Kritik mächtiger Personen und Institutionen -die politischen Funktionen der drei klassischen Gewalten. 1. Chancen Neue Medien kommen der Wahrnehmung dieser politischen Funktionen zugute. So steigern Verbesserungen der Nachrichtentechnik durch Satellitenkommunikation, Faxgeräte, Mobilfunk, miniaturisierte Bild-und Tonaufzeichnungsgeräte, Notebook-Computer und Bilddigitalisierung erheblich die Leistungsfähigkeit -vor allem Aktualität und Authentizität -des Journalismus. Der weltweite Zugang über Internet zu den verschiedensten politischen Organisationen undQuellen, Dokumenten und Datenbanken verbessert erheblich die Recherchemöglichkeiten der Journalisten.

Das Angebotswachstum aller Arten von Medien erhöht nicht nur die Menge, sondern auch die Vielfalt der für die Bürger verfügbaren Information. Die Bürger können sich ihren individuellen Interessen entsprechend immer umfassender, immer unabhängiger von zeitlichen und räumlichen Beschränkungen informieren. Internet und Online-Dienste ermöglichen einen direkten und individualisierten Zugang zu den verschiedensten politischen Quellen weltweit, eröffnen neue Formen der politischen Beteiligung, der Meinungsund Willensbildung, z. B. über News Groups Die Möglichkeit politischer Manipulation und Indoktrination durch einseitige Information wird deutlich verringert, das Überleben von Diktaturen immer schwieriger

Politiker und Interessenvertreter haben durch das Wachstum des Mediensystems mehr und unterschiedlichere Sprachrohre und Podien zur Verfügung. Auch für nicht etablierte Parteien, kleine Minderheiten und Gruppen mit Sonderinteressen verbessern sich die Chancen, im öffentlichen Diskurs zur Geltung zu kommen.

Mit der Erweiterung des Mediensystems verschärft sich allgemein der Wettbewerb unter den Medien und speziell der publizistische Wettbewerb um die aktuellsten Ereignisse, die attraktivsten Themen und die kompetentesten Interviewpartner, um besonders schnelle Übermittlung, um aufklärende Recherche und enthüllende Hintergrund-berichte. Dies ist auch Folge davon, daß mehr Medien mehr Journalisten beschäftigen, die ihre Karrierechancen durch die Profilierung im investigativen und kritischen Journalismus zu verbessern suchen. Die Wahrnehmung der Kritik-und Kontrollfunktion der Medien wird dadurch gefördert, ebenso ihre Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung. 2. Risiken Die Verbesserung der Nachrichtentechnik im professionellen wie auch im privaten Bereich läßt das Informationsangebot weiter lawinenartig anschwellen. Die Medien können aus der Fülle der von Agenturen und Diensten, von Informanten und eigenen Korrespondenten stammenden Nachrichten nur einen winzigen Bruchteil auswählen. Mit der Erhöhung des Selektionsdrucks werden vor allem Nachrichtenwert-Kriterien wie Neuigkeit, Überraschung, Dramatik und Negativismus für die Nachrichtenauswahl bedeutsam, und damit steigt auch das Risiko der Verzerrung von Nachrichten. Die Medien werden verleitet, die brandaktuelle Sensation der sorgfältig recherchierten Nachricht vorzuziehen, Persönlichkeitsrechte zu verletzen, unsichere Nachrichtenquellen zu benutzen oder sogar auf Nachrichtenfälscher hereinzufallen, wie der Fall Michael Born gezeigt hat

Die Menge und Vielfalt der Angebote ist auch von den Mediennutzern nur noch schwer beherrschbar. Es macht zunehmend Mühe, in der Fülle der Informationen die wirklich wichtigen und nützlichen zu erkennen, zumal vieles nur der Befriedigung von Neugier, Sensationslust und Voyeurismus dient. Die vielfach kritische, den Konfliktaspekt von Politik betonende Berichterstattung ist der politischen Bildung nicht förderlich, begünstigt Politik-verdrossenheit und eine negative Weitsicht

Durch die Erweiterung des Informationsangebots vergrößert sich die Kluft zwischen den gut informierten und den schlecht informierten Bürgern. Wer eine gute Ausbildung und hohe Medienkompetenz besitzt, politisch interessiert und vorgebildet ist, kann das erweiterte Medienangebot am besten nutzen. Sein Wissen und sein politisches Interesse nehmen weiter zu, sein Engagement wächst. Wer bisher schon in dieser Hinsicht unterprivilegiert ist, wird durch ein vermehrtes Informationsangebot nur überfordert. Er nutzt eher die besseren Unterhaltungsmöglichkeiten durch neue Medien und bleibt politisch abstinent. Die Kluft zwischen den politisch Aktiven und Passiven wird größer

Neue Medien verbessern die Möglichkeiten, auf künstliche Weise realitätsgetreue Eindrücke und eine synthetische Wirklichkeit zu erzeugen. Davon wird zunehmend auch im Journalismus Gebrauchgemacht, z. B. mit der Bearbeitung digitalisierter Fotos, Computeranimation, Bluebox-und Paintbox-Techniken im Fernsehen. Die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Fiktion, zwischen Wahrheit und Täuschung, wird dadurch immer schwieriger. Regierungen, Parteien und Interessengruppen verstehen es immer geschickter, durch professionelles Themenmanagement und Ereignis-inszenierungen die Medien zu instrumentalisieren und die Öffentlichkeit für ihre Absichten zu mobilisieren. Das Risiko wächst, daß politisch weitreichende Entscheidungen auf der Grundlage von inszenierter Wirklichkeit und einer manipulierten Öffentlichkeit gefällt werden.

VI. Der politische Charakter der Prognosen

Aussagen über Technikfolgen stehen grundsätzlich auf unsicherem Grund. Besonders unsicher sind Aussagen über Folgen der Medienentwicklung, und zwar aus mindestens drei Gründen:

1. Das Handeln der Anbieter multimedialer Technologien ist nicht vorhersehbar. Man kann daher nicht wissen, welche Hard-und Software wann, für wen, mit welchen Eigenschaften, zu welchen Preisen usw. verfügbar sein werden.

2. Das Handeln der Nutzer multimedialer Technologien ist nicht vorhersehbar. Man kann daher nicht wissen, welche der verfügbaren Hardware-und Softwareangebote wann, von wem, wofür und in welchem Umfang tatsächlich erworben, installiert und genutzt werden.

3. Die Rahmenbedingungen, von denen Einführung und Akzeptanz multimedialer Technologien abhängen, sind nicht vorhersehbar. Zu den entscheidenden Rahmenbedingungen gehören:

-die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung; sie bestimmt ganz wesentlich die Investitionsbereitschäft der Anbieter in neue Technologien und das Nachfrageverhalten der Nutzer nach neuen Technologien; -die zukünftigen medienpolitischen Entscheidungen und medienrechtlichen Regelungen; sie beeinflussen die Einführung und Akzeptanz unterschiedlicher Hardware-und Softwarevarianten.

Für das Scheitern von Prognosen über die medien-technische Entwicklung gibt es einige spektakuläre Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit. Um 1980 wurde dem Teletex-Dienst eine rosige Zukunft vorausgesagt; tatsächlich hat er sich so gut wie gar nicht entwickelt. Andererseits hat niemand den riesigen Erfolg des Telefax-Dienstes vorhergesehen. Die Entwicklung des Btx-Dienstes wurde völlig überschätzt, und auf ähnliche Weise haben sich die Vorhersage-Experten getäuscht, was die Entwicklung von ISDN betrifft. Auf der anderen Seite sah niemand den fulminanten Erfolg des Mobilfunks und der CD voraus Augenblicklich zeichnet sich ab, daß auch die hohen Erwartungen, die sich auf das interaktive Fernsehen richteten, unrealistisch waren Da nicht einmal die Entwicklung der Technologien selbst, ihre Einführung und Akzeptanz prognostiziert werden können, sind erst recht alle Aussagen über ihre voraussichtlichen Folgen weitgehend Spekulation.

Die Technologieentwicklung und ihre Folgen sind nicht nur deshalb kaum prognostizierbar, weil das Handeln der Anbieter und Nutzer und die Rahmenbedingungen ihres Handelns nicht vorhersehbar sind, sondern oft auch deshalb, weil die Akteure -Anbieter, Nutzer, Medienpolitiker usw. -die Prognose ins Kalkül ziehen und es darauf anlegen können, daß Prognosen scheitern oder in Erfüllung gehen.

Daraus läßt sich allerdings auch ableiten, daß Prognosen durchaus einen Sinn haben -so paradox das zunächst klingt. Ihre Funktion liegt in der sozialen Selbststeuerung. Sie gehen als Erwartungen, als anzustrebende oder zu vermeidende zukünftige gesellschaftliche Zustände in das Handeln der Akteure ein. Sie können sich erfüllen, wenn die allgemeine Überzeugung von ihrer Richtigkeit und das Vertrauen in die wissenschaftlichen Fähigkeiten der Prognostiker groß sind. Sie können scheitern, wenn sie angezweifelt oder als unerwünscht eingestuft werden.

Aussagen über die Chancen und Risiken der neuen Medien haben zwar kaum prognostische Gültigkeit, wie man es von wissenschaftlichen . Aussagen erwartet; sie haben aber durchaus soziale und politische Folgen.

Prognosen über die medientechnische Entwicklung und deren Auswirkungen stehen oft im Dienst bestimmter medien-bzw. technologiepolitischer Zielvorstellungen. Positive Prognosen solleneine technologiefreundliche Politik unterstützen, negative Prognosen eine technologiekritische oder -feindliche Orientierung. Positive Prognosen sollen die Anbieter ermutigen, in die neuen Technologien zu investieren und ihre Entwicklung voranzutreiben, sollen die Akzeptanzbereitschaft der Nutzer erhöhen und insgesamt ein günstiges gesellschaftliches und wirtschaftliches Klima schaffen. Negative Prognosen bezwecken genau das Gegenteil.

Nur wenn man den politischen Charakter wissenschaftlicher Prognosen berücksichtigt, wenn man sie als Erwartungen zukünftiger gesellschaftlicher Zustände begreift, die eintreten können, aber genauso gut auch nicht, kann man mit ihnen adäquat umgehen, nämlich politisch. An Prognosen zur Medienentwicklung und ihren Folgen ist demnach nicht die Frage zu richten, ob sie zutreffend sind, sondern ob das entworfene Zukunftsbild gesellschaftlich und politisch wünschenswert ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Beitrag ist die überarbeitete Fassung einer Vorlage für die Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu „Chancen und Risiken der Mediengesellschaft“ (Bonn -Flannover, 15. April 1997). Vgl. Jürgen Wilke/Christiane Imhof (Hrsg.), Multimedia. Voraussetzungen -Anwendungen -Probleme, Berlin 1996.

  2. Vgl. Hans-Joachim Fuhrmann, Die Zukunft der Zeitung zwischen Elektronik und Print, in: Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (Hrsg.), Zeitungen ‘ 94, Bonn 1994, S. 214227; Wolfgang Schöhl, Organisatorische Veränderungen in den Medien durch neue Informations-und Kommunikationstechnologie, in: Claudia Mast (Hrsg.), Markt -Macht -Medien. Publizistik zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und ökonomischen Zielen, Konstanz 1996, S. 89103.

  3. Es gibt einige -auch für den Laien -verständliche und hilfreiche Versuche, die Entwicklung begrifflich und sachlich einzukreisen; vgl. etwa Klaus Brepohl, Lexikon der neuen Medien, Köln 19936; Sissi Pitzer, Stichwort Neue Medien, München 1995; Jürgen Wilke, Multimedia. Strukturwandel durch neue Kommunikationstechnologien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 32/96, S. 3-15; Rene Zey, Neue Medien. Informations-und Unterhaltungselektronik von A-Z, Reinbek 1995; Nicholas Negroponte, Total digital. Die Welt zwischen 0 und 1 oder Die Zukunft der Kommunikation, München 1995.

  4. Im Jahr 1996 standen die Massenmedien mit einer Brutto-Werbeinvestition von 2, 2 Mrd. DM in der Rangfolge der werbestärksten Branchen an zweiter Position mit nur geringem Abstand hinter dem Automarkt; vgl. Werbung in Deutschland 1997, herausgegeben vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft, Bonn 1997, S. 13.

  5. Vgl. Lutz M. Hagen, Die großen internationalen Medien-konzerne, in: C. Mast (Anm. 2), S. 119-130.

  6. Im Gegensatz dazu orientierte sich die Medienpolitik der Nachkriegszeit jahrzehntelang an kultur-und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen wie z. B. Informations-und Meinungsfreiheit, Bildung und Aufklärung, gesellschaftliche Integration und kulturelle Identität.

  7. Es handelt sich um eine Zusammenstellung von Prognosen, Erwartungen und plausiblen Thesen. Da die empirische Gültigkeit der Aussagen ungeklärt ist, enthalten sie keine Angaben über den Zeithorizont der Entwicklung (vgl. dazu Abschnitt IV). Es wird daher auch kein Versuch unternommen, Chancen und Risiken zu gewichten oder gegeneinander abzuwägen. Das relative Gewicht der einzelnen positiven und negativen Aspekte ist weitgehend abhängig vom sozialen Standpunkt und von den Wertmaßstäben des Betrachters. Häufig stehen dabei verschiedene Wertorientierungen miteinander im Konflikt. Zu den Schwierigkeiten einer Abwägung zwischen den Chancen und Risiken der Medienentwicklung sowie zu den Wertkollisionen und Ziel-konflikten, die dabei auftreten, vgl. Jürgen Wilke, Massenmedien im Spannungsfeld von Grundwerten und Wert-kollisionen, in: C. Mast (Anm. 2), S. 17-33.

  8. Vgl. Werner Dostal, Der Informationssektor und seine Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Thomas Schnöring (Hrsg.), Gesamtwirtschaftliche Effekte der Informations-und Kommunikationstechnologien, Berlin 1986, S. 69-94; Zukunft Multimedia. Grundlagen, Märkte und Perspektiven in Deutschland, herausgegeben von Booz, Allen & Hamilton in Zusammenarbeit mit dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Frankfurt a. M. 1996; Digitales Fernsehen -Marktchancen und ordnungspolitischer Regelungsbedarf, München 1995; Hörfunk und Fernsehen als Wirtschaftsfaktor. Beschäftigte und wirtschaftliche Bedeutung des Rundfunks und der Programmzulieferer in Deutschland, München 1995; Beschäftigte und wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 1995/96, Berlin 1997. Versuche, die Medien-und Kommunikationswirtschaft -etwa für statistische Zwecke -von anderen Wirtschaftszweigen abzugrenzen, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Im allgemeinen werden dazu Massenmedien, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik gerechnet, oft auch Informationsdienstleistungen wie Werbung, PR, Markt-und Meinungsforschung, die gleichsam symbiotisch auf die Publikationsleistung der Massenmedien bezogen sind; vgl. dazu die Diskussion bei Stefan Hanke, Der Standortwettbewerb um die Medienwirtschaft. Kommunale Handlungsmöglichkeiten am Beispiel der Region Nürnberg, Wiesbaden 1996, S. 24 ff., 228 f.

  9. Vgl. Bericht der Bundesregierung über die Lage der Medien in der Bundesrepublik Deutschland 1994 -Medienbericht ’ 94, herausgegeben vom Presse-und Informationsamt der Bundesregierung, Drucksache 12/8587 des Deutschen Bundestages, 12. Wahlperiode, vom 20. Oktober 1994, S. 60 ff. Der Bericht betrachtet in diesem Teil nur die konventionellen Massenmedien und berücksichtigt noch nicht die wirtschaftliche Bedeutung neuer Medien und IuK-Techniken.

  10. Vgl. Die Informationsgesellschaft -Fakten, Analysen, Trends. BMWi-Report, herausgegeben vom Bundesministerium für Wirtschaft, Bonn 1995.

  11. Vgl. Wachstum, Wettbewerb, Beschäftigung. Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert. Weißbuch, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg 1993.

  12. Eine Reihe weiterer Vorteile ans volkswirtschaftlicher Sicht, aus Sicht der Arbeitgeber und Arbeitnehmer führt Lenk auf; vgl. Martin Lenk, Wirtschaftliche und humanitäre Auswirkungen des Einsatzes moderner Telekommunikations-Technik. Eine empirische Untersuchung am teilweise formalisierten Arbeitsplatz in mittleren und großen Privatunternehmen, Frankfurt a. M. 1994, S. 90.

  13. Während das Bruttoinlandsprodukt in den Jahren 1994, 1995 und 1996 Wachstumsraten von 5, 1 Prozent, 4, 1 Prozent und 2, 4 Prozent aufwies (Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in jeweiligen Preisen), betrugen die entsprechenden Wachstumsraten der Werbeinvestitionen (Netto-Werbeeinnahmen erfaßbarer Werbeträger) in diesen Jahren 6, 4 Prozent, 7, 1 Prozent und 3, 1 Prozent; vgl. Werbung in Deutschland 1997 (Anm. 4), S. 15.

  14. Vgl. Wolfgang Seufert, Beschäftigungswachstum in der Informationsgesellschaft? Forschungsbefunde zu den Arbeitsmarkteffekten digitaler Informationstechniken, in: Media Perspektiven, (1996) 9, S. 499-506; Barbara Thomaß, Arbeitsmarkteffekte des kommerziellen Fernsehens. Eine Studie über Deutschland und vier europäische Länder, in: Media Perspektiven, (1993) 6, S. 290-298.

  15. Vgl. Wachstum, Wettbewerb, Beschäftigung (Anm. 11), S. 19.

  16. Vgl. Detlef Hensche, Telearbeit -Die soziale Herausforderung, in: Die Informationsgesellschaft (Anm. 10), S. 44 f.

  17. Ebd., S. 45.

  18. Vgl. Hans Peter Bull, Telekommunikative Traum-Demokratie? Auswirkungen der Informationstechnik auf die verfassungsmäßige Ordnung, in: Universitas, 44 (1989) 2, S. 128-135.

  19. Vgl. Heiko Steffens, Gefahren für den Verbraucher? Mehr Schutz für Teleshopper auf virtuellen Märkten, in: Die Informationsgesellschaft (Anm. 10), S. 56 f.

  20. Vgl. Ansley T. Erickson/Theodore R. Sizer/Elliot Washor, Bildungsrevolution dank neuer Medien, in: Bertelsmann Briefe, Heft 135, Frühling/Sommer 1996, S. 42-45; Medienkompetenz als Herausforderung an Schule und Bildung. Ein deutsch-amerikanischer Dialog, Gütersloh 1992.

  21. Vgl. Ludwig J. Issing/Robert Strzebkowski, Lehren und Lernen mit Multimedia, in: Medienpsychologie, 7 (1995), S. 286-319.

  22. Vgl. Tom Vincent/Mary Taylor, Access to books for visually impaired learner. An investigation into the use of compact disc technology (CD-ROM), in: Nick Heap u. a. (Hrsg.), Information technology and society. A reader, London 1995, S. 224-236.

  23. Vgl. Gerald Grunberg, Multimedia in französischen Bibliotheken. Das Beispiel der Französischen Nationalbibliothek, in: Bertelsmann Briefe, Heft 134, Herbst/Winter 1995, S. 10-13.

  24. Vgl. Christiano German, Politische (Irr-) Wege in die globale Informationsgesellschaft, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 32/96, S. 16-25.

  25. Vgl. Ingrid Hamm, Promises, promises. Der gebremste Einzug der Medien in die Bildung, in: Bertelsmann Briefe, Heft 135, Frühling/Sommer 1996, S. 48-51.

  26. Vgl. Peter Otto/Philipp Sonntag, Wege in die Informationsgesellschaft. Steuerungsprobleme in Wirtschaft und Gesellschaft, München 1985, S. 263.

  27. Vgl. Karl W. Deutsch, Einige Grundprobleme der Demokratie in der Informationsgesellschaft, in: Max Kaase (Hrsg.), Politische Wissenschaft und politische Ordnung, Opladen 1986, S. 40-51; Werner Kroeber-Riel, Informationsüberlastung durch Massenmedien und Werbung in Deutschland. Messung -Interpretation -Folgen, in: Die Betriebswirtschaft, 47 (1987), S. 257-264.

  28. Vgl. Franz Georg Kaltwasser, Verliert die Menschheit ihr Gedächtnis? Welche Gefahren sich für die Bibliotheken durch die moderne Informationstechnologie ergeben, in: Süddeutsche Zeitung vom 17. 5. 1997.

  29. Vgl. Helmut von der Lahr, Lesen: Verlust einer Schlüsselqualifikation für die Informationsgesellschaft. Forschungsergebnisse zu Leseverständnis und Sprachentwicklung von Kindern und Jugendlichen, in: Media Perspektiven, (1996) 1, S. 2-7; Inez Bauer, Jugend und Tageszeitung. Ergebnisse quantitativer und qualitativer Studien, in: Media Perspektiven, (1996) 1, S. 8-17; Bodo Franzmann, Diagnosen zur Lesekultur beim Übergang in die Informationsgesellschaft. Ergebnisse einer internationalen Vergleichsstudie der Stiftung Lesen und der IEA Reading Literacy Study, in: Medien-psychologie, 8 (1996), S. 81 -89.

  30. Vgl. Christian Breunig, Digitales Radio: Industriepolitik gibt den Ton an. Neue Übertragungswege im Hörfunk und ihre Perspektiven, in: Media Perspektiven, (1995) 10, S. 462475.

  31. Vgl. Peter Zombik, Tonträger im Markt der Zukunft. Strukturen und Entwicklungsperspektiven auf dem Weg ins digitale Zeitalter, in: Media Perspektiven, (1995) 10, S. 496511.

  32. Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V (Hrsg.), Buch und Buchhandel in Zahlen, Frankfurt a. M. 1996.

  33. Vgl. Wulf Herzogenrath, Kunst der Medien -Medien-kunst, in: Bertelsmann Briefe, Heft 135, Frühling/Sommer 1996, S. 56-58.

  34. Vgl. Sabine Jörg, Kindliche Entwicklung und die Rolle des Fernsehens, in: Media Perspektiven, (1994) 5, S. 28-34; Stefan Weiler, Computerkids und elektronische Medien. Ergebnisse einer qualitativ-empirischen Studie, in: Media Perspektiven, (1995) 5, S. 228-234.

  35. Vgl. Gerhard Maletzke, Aspekte der Medienzukunft: Wertewandel, Nutzungstrends, Veränderungen im Angebot, in: Marianne Grewe-Partsch/Jo Groebel (Hrsg.), Mensch und Medien. Zum Stand von Wissenschaft und Praxis in nationaler und internationaler Perspektive. Zu Ehren von Hertha Sturm, München 1987, S. 239-251.

  36. Vgl. Ed van Westerloh, Sportrechte: Preisskala nach oben offen? Der Kampf um die Sportrechte im Fernsehen, in: Media Perspektiven, (1996) 10, S. 514-520.

  37. Vgl. Bericht zur Lage des Fernsehens für den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Gütersloh 1995.

  38. Vgl. Kevin A. Hill/John E. Hughes, Computer-mediated political communication: The USENET and political communities, in: Political Communication, 14 (1997), S. 3-27.

  39. Vgl. Klaus Haefner, Grundrechtsentfaltung durch Informationstechnik, in: Universitas, 44 (1989), S. 118-127; Jürgen Domes, Diktaturen im Zeitalter der neuen Medien, in: Bertelsmann Briefe, Heft 135, Frühling/Sommer 1996, S. 14-16.

  40. Vgl. etwa Rudolph Chimelli, Als Frau Calderons Hund noch bellte. Nachtrag zu den Fälschungen im Fernsehen: eine wehmütige Erinnerung an die Steinzeit des Journalismus, in: Süddeutsche Zeitung vom 30. /31. 3. 1996 (Feuilleton-Beilage „SZ am Wochenende“).

  41. Vgl. Winfried Schulz, Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse der empirischen Forschung zur Rolle der Massenmedien in der Politik, Opladen 1997, S. 132 ff. und 145 ff.

  42. Vgl. Steven Barnett, New media, old problems. New technology and the political process, in: European Journal of Communication, 12 (1997), S. 193-218.

  43. Vgl. Gert Lorenz, Marktprognosen: Kunst oder Wissenschaft?, in: ders. (Hrsg.), Wachstumsmarkt Telekommunikation. Fakten und Prognosen, Berlin -Heidelberg 1995, S. 131-146.

  44. Vgl. Wolfgang J. Koschnick, Beeindruckend -aber niemand macht mit. Das grandiose Scheitern des interaktiven Fernsehens. Beispiele aus den USA und Spanien, in: Der Tagesspiegel vom 1. 6. 1997.

Weitere Inhalte

Winfried Schulz, Dr. rer. pol, geb. 1938; Professor für Politik-und Kommunikationswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit M. Kaase) Massenkommunikation. Theorien -Methoden -Befunde, Opladen 1989; Medienwirklichkeit und Medienwirkung. Aktuelle Entwicklungen der Massen-kommunikation und ihre Folgen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 40/93; (Hrsg. zus. mit E. Noelle-Neumann und J. Wilke) Das Fischer Lexikon Publizistik/Massenkommunikation, Frankfurt a. M. 1994; Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung zur Rolle der Massenmedien in der Politik, Opladen 1997.