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Kulturdialog für das 21. Jahrhundert. Die Arbeit der Goethe-Institute im Ausland: Erfahrungen und Herausforderungen | APuZ 41/1996 | bpb.de

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APuZ 41/1996 Kulturpolitik im Spektrum der Gesellschaftspolitik Kulturpolitik unter Reformdruck Kulturdialog für das 21. Jahrhundert. Die Arbeit der Goethe-Institute im Ausland: Erfahrungen und Herausforderungen Internationaler Wissenschaftleraustausch als Investition in die Zukunft Kultursponsoring aus Sicht der Wirtschaft

Kulturdialog für das 21. Jahrhundert. Die Arbeit der Goethe-Institute im Ausland: Erfahrungen und Herausforderungen

Hilmar Hoffmann

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auswärtige Kulturpolitik ist souverän und komplementär zugleich. Nie ist sie völlig souverän, immer ist sie in der Praxis eingebunden in die sich ständig wandelnde Gesellschaft, die sie im Negativen wie im Positiven als Bestandteil der Politik spiegelt und deren Entwicklung sie in der Welt vertritt. Wir können im Ausland keine grandiose Kunst oder Literatur repräsentieren, wenn „zu Hause“ das kleine Karo triumphiert. Verbunden mit dieser Einsicht ist die Aufforderung, auch die informelle Seite der Kulturbeziehungen wahrzunehmen. Die wichtigsten kulturellen Kontakte finden ohnehin jenseits der offiziellen Bemühungen auf der Ebene der Künste, der Medien, der Wissenschaften und der Unterhaltungsindustrie statt. Für das Goethe-Institut als eine der wichtigsten freien Mittlerorganisationen der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist die Pflege der deutschen Sprache eine der zentralen Aufgaben. Allen Lernwilligen soll die Chance gegeben werden, auf allen Stufen der Perfektion Deutsch zu lernen und dabei mit der deutschen Geistes-und Kulturgeschichte vertraut zu werden. Es ist wichtig, daß eine genügend große Anzahl von Personen unterschiedlicher Staaten jeweils die Sprache des anderen aktiv oder mindestens passiv kennenlernt. Das Interesse an Sprache und Kultur entwickelt sich parallel, aber nicht unbedingt gleichmäßig. Deswegen stehen die Bereiche Informations-und Bibliotheksarbeit sowie „Wortprogramme“, Veranstaltungen und Ausstellungen gemäß dem Rahmenvertrag mit dem Auswärtigen Amt von 1976 prinzipiell gleichberechtigt neben der Spracharbeit. In diesem Rahmen wird es Aufgabe des Goethe-Instituts bleiben, den in Deutschland wirkenden kulturellen Kräften eine Chance zu geben, im Ausland präsent zu sein. Deshalb legt das Goethe-Institut Wert darauf, Repräsentanten der Künste und des Geisteslebens nicht nur in seine Institute überall in der Welt einzuladen, damit sie dort über Kultur und Leben in Deutschland berichten, sondern auch, damit sie „draußen“ Erfahrungen und Anregungen sammeln können, die ihnen sonst nicht so leicht zugänglich wären. Kommunikationsfähigkeit auf der Ebene der Sprache und der Kultur ist das Minimum, das möglichst auch dann noch zu gewährleisten ist, wenn alle anderen Ebenen zwischenstaatlicher Beziehungen schon gefährdet sind. Kultureller Dialog kann auch dann noch wirken, wenn Diplomatie und geordnete Beziehungen nicht mehr funktionieren. In diesem Sinne ist Kulturdialog Teil des Konfliktmanagements.

Unterschiedliche Motive

In einer Phase der Neuorientierung ist es nicht von Nachteil, sich für die künftige Arbeit der historischen Dimensionen zu erinnern. Im Jahre 1912 katapultierte Karl Lamprecht, der als innovativer Historiker gegen den Widerstand seiner Zunft die Sozial-und Kulturgeschichte in Deutschland heimisch machte, mit einer vielzitierten Rede den Begriff „auswärtige Kulturpolitik“ in die politische Landschaft. Damit beginnt die Karriere einer Idee.

Lamprecht definierte sie dezidiert im Sinne der expansiven Hegemonialinteressen des deutschen Kaiserreiches und garnierte sie mit opportunistischen Begründungen vom Anspruch deutscher Weltgeltung und der „besonderen wichtigen Rolle“, die eine „Nation der Philosophen und Pädagogen“ wahrnehmen müsse, die im Wettbewerb um die „höchsten sittlichen und intellektuellen Güter der Menschheit“ obsiegen wolle

Wurden zu Herders Zeiten und in der politischen Romantik die Besonderheiten der Kulturen und Völker vornehmlich defensiv zur Verteidigung gegen fremde Herrschaft instrumentalisiert, so gesellte sich im 20. Jahrhundert eine offensive Komponente hinzu: Kulturgeltung und auswärtige Kulturpolitik dienten vordergründig als Instrumente weltpolitischer Machtexpansion.

Mit der Beschleunigung des Erfahrungswandels sind Machtphantasien und Sendungsbewußtsein, wie sie nach Karl Lamprechts apriorischem Prinzip ein abstraktes Ideal definieren, in der heutigen politischen Landschaft obsolet geworden. Im Schlagabtausch der hegemonialen Ansprüche kam es auf Vereinfachungen an, heute ist differenzierte Reaktionsfähigkeit gefragt.

Ein anderes Ziel aber ist jenseits von Lamprechts Sendungsbewußtsein in dessen politischen Maximen zum auswärtigen Kulturauftrag heute wiederum bedenkenswert: Er plädierte dafür, das Verständnis für andere Kulturen aus ihrer eigenen inneren Logik heraus zu vermitteln. Er empfahl eine „Arbeitsgemeinschaft verschiedener, aus den einzelnen Nationen entnommener Forscher“, die im gemeinschaftlichen Austausch „in eine wahrhaft internationale Auffassung der Menschheit hineinwachsen“. Sie sollten so etwas wie „eine auserlesene geistige Mannschaft internationaler Sympathien und gegenseitigen Verständnisses der Völker“ bilden.

Mit entsprechender semantischer Modifizierung läßt sich daran gedanklich anknüpfen. Solch offener Dialog mit anderen könnte geeignet sein, die approbierte eigene Position im konfliktreichen Miteinander der heutigen Kulturen zu überdenken, zukunftgerecht weiterzuentwickeln und festgefügte Verhaltensmuster einer Gesellschaft aufzubrechen. Die Ethnographie des Alltags tritt an die Stelle vergilbter Weltatlanten.

Heute wird kein Staat mehr auswärtige Kulturpolitik aus dem Kalkül eines reinen nationalen Egoismus betreiben. Erst recht nach den Erfahrungen pervertierter Außenpolitik im Dritten Reich besteht in Deutschland kein umfassender Anspruch auf nationale Signifikanz mehr. Ein Egoismus zweiter Ordnung ist da naheliegender: Wir wissen nicht erst seit Tschernobyl, daß soziale oder ökologische Katastrophen und andere nicht mehr beherrschbare Ereignisse in dem einen Land auch unabsehbare Konsequenzen in anderen Ländern haben. Nur wenn die jeweils anderen sich akzeptiert und gerecht behandelt sehen, läßt sich mit ihnen ein System gemeinsamer Sicherheit und Zukunftsvorsorge entwickeln. Dazu müssen auch wir selber uns zur Erfahrung des anderen befähigen.

Souverän und komplementär zugleich

An jene griffige Formel Walter Scheels von 1971 läßt sich anknüpfen, wonach auswärtige Kultur-politik souverän und komplementär zugleich sei, wenn immer es darum geht, vor Hybris und Über-schätzung zu warnen. Nie ist auswärtige Kulturpolitik völlig souverän, immer ist sie in der Praxis eingebunden in die sich ständig wandelnde Gesellschaft, die sie im Negativen wie im Positiven als Bestandteil der Politik spiegelt und deren wirtschaftliche Entwicklung sie in der Welt vertritt. Deutsche auswärtige Kulturpolitik kann nicht glaubwürdig vom behutsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen im ökologisch sensibilisierten Deutschland reden, wenn gleichzeitig deutsche Unternehmen um Großaufträge buhlen für die Ausrüstung von ökologisch fragwürdigen gigantischen Projekten wie Staudammbauten oder wenn sie Kettensägen für das Roden von Regenwäldern verteilen wollen. Es läßt sich keine überzeugende Menschenrechtsdiskussion führen, solange wirtschaftspolitisch motivierter Opportunismus Kniefälle vor Mörderregimen macht.

Souverän und komplementär zugleich zu sein -dieser Spagat evoziert Konflikte und Probleme. Auch vor solchen Imponderabilien sollten wir uns nicht allzusehr fürchten. Konflikte werden sich fast immer an Einzelfällen entzünden und deswegen manchem ungerechtfertigt erscheinen. Partielle Problemfälle sind noch keine Katastrophe. Sie durchzustehen, ohne das Gesicht zu verlieren, muß als Bestandteil des Tagesgeschäftes einer Weltorganisation wie des Goethe-Instituts akzeptiert werden. Standardmethoden reichen zur Lösung von hochvariablen Problemen jedenfalls nicht aus. Die besondere psychologische Kunst besteht vielmehr darin, mit ihnen so umzugehen, daß den Konfliktpartnern bewußt bleibt, auch danach noch aufeinander angewiesen zu sein.

Auch eine noch so selbstbewußte auswärtige Kulturpolitik kann sich nicht abkoppeln von den Interessen des Landes, das damit in der Welt um Vertrauen wirbt und von dem aus sie praktiziert wird. Im Zweifelsfalle wird der Faktor Kultur immer Geisel der Außenpolitik sein (wie z. B. auch die Goethe-Institute gelegentlich konkret -zuletzt bei einer Minidemonstration von einer Handvoll Demonstranten und Dutzenden von Reportern in Los Angeles anläßlich der Zensurversuche im Internet im Januar 1996 oder bei der Besetzung des Kopenhagener Goethe-Instituts durch rechtsradikale Dänen im Frühsommer 1996). Als Auftragnehmer der Bundesregierung können sich die Mittlerorganisationen über das kulturelle Leben des eigenen Landes nicht freischwebend erheben: Wenn auswärtige Kulturpolitik Dialoge mit anderen Kulturen führen will, aber dazu im eigenen Land keine relevanten Partner findet, dann hat sie schon verloren, bevor ihre Aktivitäten begonnen haben. Deswegen bleibt zu betonen, daß der wichtigste Teil der auswärtigen Kulturpolitik sich im Inneren entwickelt. Wir können im Ausland keine grandiose Kunst oder Literatur repräsentieren, wenn drinnen das kleine Karo triumphiert. Es kann effizienter sein, statt über einen Zustand über die Zustandsveränderung zu berichten.

Verbunden mit dieser Einsicht ist die Aufforderung, auch die informelle Seite der Kulturbeziehungen zu reflektieren. Die wichtigsten kulturellen Kontakte finden ohnehin jenseits der offiziellen Kulturbeziehungen auf der Ebene der Künste, der Medien, der Wissenschaften und der Unterhaltungsindustrie statt -und sie im Inland verantwortungsvoll zu entwickeln ist damit gleichzeitig ein bedeutender Beitrag zur auswärtigen Politik.

Eine neue Weltlage

Wenn immer es darum geht, über solche allgemeinen Überlegungen hinaus die Aufgaben und Möglichkeiten der auswärtigen Kulturpolitik in modernen Staaten zu konkretisieren, dann wird die aktuelle weltpolitische Situation berücksichtigt werden müssen. Sie hat sich durch das Ende der Ost-West-Bipolarität, aber auch durch die nachhaltige Krise des Fortschrittsoptimismus grundlegend verändert. In den sechziger Jahren wurde als Zeichen der Hoffnung gewertet, wie wirkungsvoll in Afghanistan bilaterale Entwicklungsprojekte der USA und der Sowjetunion synergetisch ineinander greifen (damals beflügelt wohl auch wegen der Rivalität China -Sowjetunion). Wenige Jahre später versank dieses Land im Chaos eines barbarischen Stellvertreterkriegs, aus dessen Asche einzig der politisierte Fundamentalismus als Phönix aufstieg.,

Was bedeuten der Zusammenbruch des sowjetischen Machtkartells und seines ideologischen Wertesystems sowie die tiefen Krisen so mancher „westlicher“ Konzeptionen von globalem Fortschritt und weltumspannender Entwicklung in einer Situation, in der auch die ökonomische(nicht einmal militärische) Vorherrschaft des Westens keine Selbstverständlichkeit mehr ist?

Aus der Deckung einer unangefochtenen kulturellen, wirtschaftlichen und militärisch abgesicherten Hegemonie ließ sich einst leicht argumentieren. Heute verspotten Ostasiaten die „alten“ Industriestaaten als die „newly declining (decaying) Countries“. Hat nicht auch Japan, vor Jahrzehnten selbst noch Empfänger von Technischer Hilfe, inzwischen sogar die USA und Deutschland überrundet, und dies nicht nur in bezug auf die Leistungen an ODA (Official Development Assistance) in der Entwicklungshilfe, sondern auch in seinen Beiträgen zur UNESCO? Ist es der Zusammenbruch der abendländischen geistig-kulturellen Präge-kraft, in dessen Folge auch die anderen Komponenten erschüttert werden, oder bewirkt die Relativierung der ökonomischen Vorherrschaft den Zusammenbruch der kulturellen?

Die Leiter unserer Goethe-Institute beobachten in 78 Staaten die Szenen vor Ort und berichten hierzulande über den Stand der Diskussion in ihren Regionen. So macht unser Mann in Jakarta, Rudolf Barth, aufmerksam auf die dynamische „Commission for A New Asia“: Sie identifiziert Asien euphorisch nicht nur als das wirtschaftliche Zentrum des 21. Jahrhunderts; sie prognostiziert auch das Hineinwachsen Asiens in eine globale moralische und politische Führungsrolle innerhalb der nächsten 25 Jahre. Auch die hochrasanten technologischen Entwicklungen in Singapur sind ein Lehrstück für die rapide Verwandlung von Träumen in Realität. Singapur ist inzwischen der einzige Staat, der keine Staatsverschuldung kennt, dafür aber eine rigorose Staatsdisziplin, mit der es seinen Platz in der Hemisphäre der Modernität zu sichern sucht.

Steht zu befürchten, daß die „Verwestlichung der Welt“ demnächst unter asiatischen Vorzeichen weitergeht? Findet die Metamorphose des Weltpolitischen ohne Einfluß der korrekt gewählten Politik-Profis statt?

Wer in Asien von „Entwestlichung" spricht, bezieht das heute weniger auf Technologien und Kommunikationsformen -die werden getrost übernommen, wie auch manche Formen der populären Unterhaltungskultur. Bei der Entertainment-Kultur werden freilich schon andere Akzente gesetzt -nicht nur in der Hardware, sondern zunehmend auch in der Software wie z. B.der japanischen Unterhaltungselektronik, ebenso in populären Musikformen der „Ethno“ -Welle oder des Infotainment. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob der Westen die ökonomische Führungsrolle zu verlieren beginnt, vielleicht auch in seiner militärischen Überlegenheit bald relativiert wird.

Wer sich an die nachhaltigen Auswirkungen des „Sputnik-Schocks“ Ende der fünfziger Jahre erinnert, der begreift die Relativität aller Selbstgewißheit. Nur kurzzeitig schien damals die militärische Hegemonie des Westens gefährdet, aber das genügte manchen schon, das Bildungssystem der Sowjetunion als vorbildlich zu preisen. Das Beispiel dämpft unsere Sicherheit der Überzeugung, die technische Verwestlichung der Welt korrespondiere mit einer allmählichen Verbreitung westlich-liberaler politischer oder ethischer Orientierungen. Derzeit scheinen uns die „ostasiatischen Werte“ noch relativ fremd; erst wenige plädieren bei uns offen dafür, die Werte der Gemeinschaft wie in Ostasien vor diejenigen des Individuums zu setzen -aber was wäre zu erwarten, wenn die Ost-asiaten immer erfolgreicher werden? In der Diskussion um Kulturimport, um Lerngesellschaft müssen wir auch solche unpopulären Fragen stellen, um sie kritisch auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. Es könnte sein, daß uns die unterschiedlichsten Lernempfehlungen zu unreflektierten pragmatischen Entscheidungen zwingen wollen, die in ihrer erhofften Effizienz aber unbewiesen sind. Unsere politisch-moralischen Werte und demokratischen Standards scheinen nicht mehr auf alle Zeit gesichert. Oder sind jene ideologischen Programme von Jang Zemin aus China oder von Lee Kuan Yew aus Singapur bloß Nachhutgefechte autoritärer Systeme, die sich von einer mit der technischinformationellen Modernisierung verbundenen Liberalisierung bedroht sehen?

Vielleicht sollten wir uns in der Demokratie-Diskussion nicht von den autoritären Ostasiaten herausfordern lassen. Eine im positiven Sinne größere Herausforderung sind möglicherweise jene anderen asiatischen oder afrikanischen Traditionen, für die Multikulturalität und wechselseitige Akzeptanz schon immer eine Selbstverständlichkeit waren und bei denen konsensuale Formen statt des Fallbeiles der Mehrheitsentscheidungen praktiziert wurden. Heute werden auf globaler Ebene politische Führungsqualitäten jenseits von Populismus oder Diktatur eingefordert denen auch unsere politischen Systeme nicht mehr überall gerecht werden.

Wer sich erinnert, wie rasch angesichts der Turbulenzen der Epoche allein in den letzten Jahrzehnten vorherrschende Problemlagen und Interpretations-muster gewechselt haben, ja wie schnell Weltreiche zusammengebrochen sind, der sollte seine Kräfte stärker für Offenheit im Denken und für Flexibilität in unseren Reaktionsformen aktivieren.

Viele der die Welt bewegenden Probleme der Modernisierung werden vornehmlich als vom Westen verursachte empfunden, auch wenn hier manche glauben, die Krisensymptome seien solche des Modells der Moderne. Es ist interessant und vielfach schon produktiv geworden, die Erfahrungen und Diskussionen der anderen in unsere kulturelle Öffentlichkeit bereichernd einzubringen.

„Unternehmen Deutschland“

An jenem Grundgesetzauftrag an die Politik, zuvörderst der Wohlfahrt der Menschen zu dienen, wird sich auch die auswärtige Kulturpolitik als zugleich souveräner und komplementärer Teil der Außenpolitik zu orientieren haben. Gesellschaftlicher Reichtum und wirtschaftliche Leistung, damit auch Stärke im weltpolitischen Wettbewerb lassen sich nur legitimieren, sofern sie sich diesen humanen Zielen dauerhaft verpflichten. Wer leichtsinnig und forsch das leicht kritisierbare Bild vom „Unternehmen Deutschland“ verwendet, sollte dabei nicht vergessen, daß es sich gleichwohl um ein Non-Profit-Unternehmen handelt. Der erhoffte Erfolg darf nicht in der bloßen Vermehrung von Gütern und der Optimierung von Reichtum bilanziert werden, sondern in der langfristigen Sicherung von Lebensqualität und in der Ermöglichung von Glückschancen für alle Bürger.

Als eine der Aufgaben für die auswärtige Kultur-politik gilt es, zu aktivieren, was Kultur, Künste und kulturelle Öffentlichkeiten auf der Ebene der internationalen kulturellen Beziehungen beitragen können, um das beschriebene Ziel zu erreichen. Die Arbeit des Goethe-Instituts und der anderen Mittler im Sinne dieser Vorgaben entsprechend zu definieren und zu optimieren, lautet die immer aktuell bleibende Aufgabe. Mehrere Ebenen werden dabei zu berücksichtigen sein.

Eine dieser Ebenen ist für mich zunächst die einfache, aber deutliche Präsenz im Ausland und dort das Beobachten der kulturellen und sozialen Sphäre. Eine weitere Stufe wäre die behutsame Annäherung, um wechselseitige Kommunikationsfähigkeit aufzubauen, und schließlich die Darstellung der eigenen (nationalen) Positionen sowie der Austausch von Erfahrungen, Ansichten und Ideen.

Dabeisein und Beobachten

Als Gegenpart zu Fremdenangst und Abgrenzungseifer gehört Neugier zur psychologischen Grundausstattung des Menschen. Bohrende Neugier auf Lebensmöglichkeiten erhöht die Chancen für deren Erweiterung. Neugier war in anderer Form einst Teil der Triebkräfte kolonialistischer Expansion in der Moderne. Mit dem Ende der imperialistischen Wettläufe um Ausbeutung der Ressourcen wurde ein anderer Aspekt wichtiger: Neugierde bedeutet Sensibilisierung für das, was anderswo von anderen gedacht wird und Veränderungen auslöst. Einst kommandierten die großen Weltreiche ihre Gesandten in fremde Regionen, um Informationen zu sammeln und weniger zum Zwecke der Kulturmissionierung und auch nicht allein zur Steigerung der Handelsquote. Sie wollten sich genauere Kenntnisse über andere Völker verschaffen und ausloten, welche produktiven Chancen die Begegnung für das eigene Land enthält oder welche Gefahren zu gewärtigen wären. Eine offene, nicht vordergründig zweckgerichtete Neugier ist ein legitimes Essential der heutigen auswärtigen Kulturpolitik.

Daß unsere moderne Neugier sich mit dem Streben nach Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit paart, scheint dabei in der Definition eines „Egoismus zweiter Ordnung“ durchaus verständlich. Heute wird in analogem Sinne die auswärtige Kulturpolitik als „Frühwarnsystem“ für die Politik reklamiert.

Besonders nützlich dafür ist die kulturelle Präsenz mit Institutionen sublimer Vermittlungsformen, die von den Gepflogenheiten diplomatischer Vorsicht ungebremst in offener Neugier agieren können. unbelastet auch von Partialinteressen der Wirtschafts-oder Sicherheitspolitik. Wo kulturelle Akteure flexibel und mit langem Atem wirken, statt kurzatmige punktuelle Begegnungen mit Kommunikation zu verwechseln, dort können sie Neugier wecken, Kontakte knüpfen, interkulturelle Kompetenz erwerben, Gastaufenthalte von neugierigen Beobachtern aus unserem Land organisieren. Cross-over-Pro]ekte des Kulturellen finden bilateral starke Resonanz.

Auch manches von dem, was unter dem neuen Stichwort „Kulturimport“ beschrieben wird, bezieht sich auf das sensible, aufmerksame Beobachten dessen, was sich in der Welt ereignet. Nicht nur, um Kreativität und Animation einzuwerben, um davon zu profitieren, sondern um reagieren zukönnen auf das, was anderswo wegen seiner innovativen Qualität Furore macht, brauchen wir den Austausch. Unsere ins Ausland entsandten Mitarbeiter berichten uns von dort über alles Interessante, das sie als Erlebnis verinnerlichten und als Herausforderung für die eigene Entwicklung erkannten. In diesem Sinne bleibt die physische und psychische Präsenz der Goethe-Institute an ihren Standorten auch für die große Politik ein unersetzliches Kapital. Dabei müssen wir uns immer wieder bewußt machen, daß Kulturaustausch nur auf dem Prinzip der Gleichberechtigung Erfolg verspricht.

Deshalb wird das Goethe-Institut in Zukunft mehr als schon bisher Wert darauf legen, Repräsentanten der Künste und des Geisteslebens nicht nur in seine Institute überall in der Welt einzuladen, um dort über Kultur und Leben in Deutschland zu berichten, sondern auch, damit sie draußen Erfahrungen und Anregungen sammeln können, die ihnen sonst nicht so leicht zugänglich wären. Die empfangenen Impulse werden sie in ihren Werken verarbeiten wie weiland Goethe in seiner „Italienischen Reise“, Günter Grass in seinem „Calcutta“ -Buch oder Werner Herzog in seinem Amazonas-Film „Fitzcarraldo". Wäre Hegel in Schwarzafrika gewesen, hätte er den Völkern dort wohl kaum Zivilisation und Geschichte abgesprochen, und ein David Hume hätte so töricht nicht über Kunstwerke „südlich der Sahara“ geurteilt, die diesen Namen seiner Meinung nach nicht verdienten.

Sprache im direkten und im übertragenen Sinne

Neugierde wird erweitert durch Kommunikationsfähigkeit. Auf der vordergründigen Ebene bleibt es wichtig, daß eine genügende Anzahl von Personen unterschiedlicher Staaten jeweils die Sprache des anderen als ältestes Medium der Verständigung und des Verstehens aktiv oder mindestens passiv kennenlernt. Die Pflege der deutschen Sprache, die dem Goethe-Institut vertraglich als Aufgabe zugeschrieben ist, verlangt, allen Lernwilligen die Chance zu geben, auf allen Stufen der Perfektion Deutsch zu lernen.

Aber Sprache ist mit der ihr eng verbundenen Geistesgeschichte auch Medium des Denkens: Deutschsprachige Philosophie und Literatur z. B. haben einflußreiche Paradigmen für die Interpretation von Welt und Menschenleben beigetragen (für die Philosophen Kant, Hegel, Marx, Habermas und für die Klassiker der Literatur Goethe, Schiller, Herder ebenso wie heute beispielsweise Walser oder Durs Grünbein läßt sich das mit gutem Gewissen behaupten). Diese literarische wie philosophische Tradition und Gegenwart gehört auch zur „Sprache“, auf deren ethisch-kulturell und sozial diversifiziertem Niveau wir mit der Welt fortwährend kommunizieren. Die in den Werken der Dichter und Denker entwickelten Vorstellungswelten enthalten oder bilden jene Begriffe, Bilder und Vorstellungen, mit deren Hilfe wir uns mit anderen austauschen. Als Symbole wirken sie oft genug auch dann, wenn ihre Worte nicht nuancengenau übersetzt werden -aber schon bald wird dann auch das Bedürfnis geweckt, in der Originalsprache die begriffliche Feinarbeit nachvollziehen zu können. Das besonders in Deutschland zu beobachtende Problem der erodierenden Sprache steht auf einem anderen Blatt.

Niemand vermöchte zu prognostizieren, wie die Rolle der Sprachen in der Welt von morgen sich verändert. Wir haben mit dem Boom der Sprach-nachfrage in Osteuropa seit 1989 ermutigende Überraschungen erlebt. Wir erfahren das gesteigerte Interesse an den aus „Altbeständen“ der ehemaligen DDR übernommenen Inseln der Deutsch-Kompetenz in Ländern wie Vietnam, wo über hunderttausend Akademiker perfekt Deutsch sprechen, das sie in Ostberlin gelernt haben. Wir werden qualifiziert die materielle und intellektuelle Infrastruktur für „Deutsch als Fremdsprache“ weiterentwickeln, ohne dabei unrealistisch zu werden: Der Kampf um Anteile am Weltsprachen-markt wird nie Deutsch vor Englisch positionieren können. Englisch gilt heute unbestritten als Zweit-Sprache; wir werden uns aber auch nicht ohne Not aus dem Wettkampf mit anderen Sprachen abmelden. Die Anforderungen von Kompetenz in der Computersprache werden möglicherweise einschneidende Veränderungen im Sprachbewußtsein mit sich bringen, sie werden aber das Erlernen von Schrift und Sprachen nicht überflüssig machen. Computerübersetzungen können die lebendige und differenzierte Struktur der Sprache kaum adäquat nachvollziehen. Aber wenn mit Hilfe von Sprachcomputern jeder mühelos über einen riesigen Wortschatz verfügen kann, werden unter den Vokabeln wieder die elementaren Strukturen der Sprache aufscheinen. Die Grundlagenarbeit zur Sprachlehrerfortbildung wird dies zu berücksichtigen haben, ja, sie wird ein Schwerpunkt bleiben müssen.Goethe hatte seinen Mitbürgern empfohlen, sich die Kenntnis von drei Sprachen zur Steigerung ihres Ausdrucksreichtums zu sichern. Die EU diskutiert für ihre Sprachenkonvention ähnliche Standards. Die Dreizahl ist auch deswegen interessant, weil dann neben der Muttersprache und der Computer-und Internetsprache Englisch als Wissenschaftssprache eine dritte Sprache noch eine reelle Chance hat -vielleicht hier Deutsch, dort Französisch, und anderswo Spanisch, Russisch, Arabisch Portugiesisch oder gar Chinesisch.

Zu den anstehenden Innovationen in diesem Bereich gehört die Realisierung europäischer Standards: Sprachenlernen in europäischer Perspektive könnte bedeuten, im Goethe-Institut eines Tages nicht nur Deutsch zu lernen, sondern, wenn dies denn im Rahmen der europäischen Arbeitsteilung an einem Zielort sinnvoll ist, auch Französisch, Englisch oder Italienisch -und in den Kulturinstituten der anderen Staaten dementsprechend auch Deutsch. Dies wäre nur konsequent, wenn wir die EU-Politik in diesem sensiblen Bereich fortdenken. Ob das Ziel, Kommunikationsfähigkeit über Mehrsprachigkeit zu optimieren, dann nicht auch einschließen müßte, in Goethe-Instituten des Auslandes für Deutsche die Wege zum Erlernen der Sprache im fremden Land offen-zuhalten -auch das scheint mir eine bedenkenswerte weitere Frage.

Das Interesse an Sprache und an Kultur entwickelt sich parallel, aber nicht im gleichen Takt. Aufmerksamkeit für die Kulturen kann durch die Sprache geweckt werden, aber auch der umgekehrte Weg ist denkbar. Tieferes Eindringen in die jeweilige Kultur wird nicht ohne Kenntnis ihrer Sprache möglich sein, aber das Interesse wird nicht allein über die Sprache darauf gelenkt. Diese Vielfalt der Annäherungen gilt es zu berücksichtigen, und diesem Kontext entsprechend ist die Spracharbeit zu gewichten.

Jedes Bemühen um Verständigung, um freundschaftlichen Austausch setzt Kommunikationsfähigkeit voraus. Sie ist das Minimum, das möglichst auch dann noch zu gewährleisten ist, wenn alle anderen Ebenen zwischenstaatlicher Beziehungen schon gefährdet sind. Selbst als Minimum kann es auch dann noch wirken, wenn Diplomatie und geordnete Beziehungen nicht mehr funktionieren. Trotz aller globalen Vernetzungen erkennen wir auf den modernen Landkarten immer mehr „weiße Flecken“ vorzüglich in Zonen gesprächs-unwilliger Fundamentalisten, zerfallender staatlicher Ordnung und regionalistischer Abgrenzung. Um so mehr werden die unkonventionellen Formen der Herstellung und Sicherung von Kommunikationsfähigkeit wichtig: Gerade in diesen expandierenden „weißen Flecken“ sind es Kultur und Künste, die oft genug mühsam auch dann noch Verbindungen knüpfen, wenn die Diplomatie längst versagt hat.

Information und Präsentation

Vorsichtiges neugieriges Herantasten an jene Gruppen von Menschen, die außerhalb der eigenen Gemeinschaft und jenseits der eigenen Grenzen leben, war schon immer von dem Wunsch begleitet, von diesen als Individuum und als Partner anerkannt zu werden. Das bleibt auch wesentlich, ja wird noch wichtiger werden im Gefüge der „gemeinsamen Verantwortung“ auf unserer klein gewordenen Welt. Auch für den Handel, der einst unangefochten dominierte, ist die Anerkennung als Partner zentrales Kapital. Das galt früher nicht minder für die Pflege von Bündnispartnern in der Sicherheitspolitik, für die gemeinsame Regelung von heiklen grenzübergreifenden Fragen, für die Politik und die Praxis der Zusammenarbeit in internationalen Organisationen.

Für eine gelingende Kooperation bedarf es des Informationsaustauschs sowie entsprechender Mittel und Wege der schnellen Vermittlung von Informationen. Wir haben wie jedes andere demokratische Land großes Interesse daran, daß die Staaten der Welt uns besser kennen(lernen), und zwar mit einem so überzeugenden Effekt, daß sie uns als verläßliche Partner für Austausch, Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortung akzeptieren. Imagepflege im Ausland kann dabei nur ein Aspekt unter anderen sein. Wenn es darum geht, Deutschland im Ausland zu präsentieren, so bleiben Ehrlichkeit und Offenheit das am meisten erfolgversprechende Prinzip. Potemkinsche Fassaden aufzubauen, hinter denen sich nichts Substantielles findet oder etwas völlig anderes als simuliert, bleibt erfolglos. Daher hängt die Effizienz der auswärtigen Kulturpolitik vom inneren Zustand der Kultur in unserer Republik ab. Da Künste und Literatur aber nicht manipulierbar sind, kann allein ein aufrichtiges Bild von Deutschland und den Deutschen auch der Außenpolitik bei ihrer Sympathiewerbung sekundieren und eben nicht fröhliche Werbung, die bekanntlich mehr verspricht als sie hält. Die Glaubwürdigkeit des außenpolitischen Engagements für Frieden, nachhaltige Entwicklung und Menschenrechtekorrespondiert mit den Diskussionen und Praktiken im Inneren.

Auf der praktischen Ebene wird es daher entscheidend darauf ankommen, wie wirklichkeitsgerecht das von uns vermittelte Bild von Deutschland ist. Kultur und Künste aus Deutschland im Ausland zu präsentieren bleibt zentraler Programmbestandteil. Für das Goethe-Institut stehen die Bereiche Informations-und Bibliotheksarbeit einerseits, andererseits „Wortprogramme“, Veranstaltungen und Ausstellungen gemäß Rahmenvertrag mit dem Auswärtigen Amt von 1976 prinzipiell gleichberechtigt neben der Aufgabe, unsere Sprache zu lehren.

Kulturprojekte sind in diesem Verständnis sehr viel mehr als dekorative Selbstdarstellung. Im Sinne des erweiterten Kulturbegriffs beziehen sie sich auf die Lebenswelt der Gesellschaft und die Lebensform der Individuen einschließlich jener Werte, für die Deutschland in dieser Welt stehen will und in denen die Menschen in Deutschland sich ihre Zukunft vorstellen: Was ihnen wichtig ist, worin sie den Sinn ihrer Tätigkeit sehen, wie sie ihr ethisches Bewußtsein definieren und wieviel und welche Verantwortung sie wahrnehmen. In diesem Sinne meint Kulturarbeit immer mehr als nur Kunstpräsentation und Künstlerkontakt; wir verstehen Kultur als Synonym für die charakteristischen und wertbesetzten Ausprägungen der Lebensweise der Menschen.

Es gehört nicht zu den geringsten Aufgaben der Mittler der auswärtigen Kulturpolitik, allen Interessenten die Wege zur Information darüber zu ebnen, was in unserem Lande geschieht. Dazu bedarf es dringend der technologischen Modernisierung des Informationssektors. Die elektronischen Medien haben neue Ebenen von Realität geschaffen. Entsprechend sollte der Zugriff auf deutsche Informationsmedien in Datenträgern, Datenbanken und im Internet schon bald zur Selbstverständlichkeit für jedes Institut werden. Unsere Goethe-Institute z. B. in Washington, New-York und Hongkong haben bereits jenen Standard erreicht, der selbstverständlich allen, die partizipieren wollen, dies mühelos ermöglicht.

Darüber hinaus wird es unsere Aufgabe bleiben, den in Deutschland wirkenden kulturellen Kräften (unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft) eine Chance zu geben, im Ausland anschaulich präsent zu sein, -um mit ihren Leistungen an vorhandene Interessen anzuknüpfen und um fortzuentwickeln, was im kulturellen „Erbe“ zu reaktivieren lohnt;

um unseren Autoren, Künstlern, Philosophen die Möglichkeit zu geben, sich auf dem internationalen „Markt“ der Ideen und der Nachfrage bekannt zu machen und womöglich zu behaupten und -um ihnen Erfahrungen mit anderen Kulturen zu ermöglichen, damit sie uns von deren Werten berichten und uns entsprechend sensibilisieren können.

Die Mitarbeiter des Goethe-Instituts repräsentieren Deutschland im Ausland nicht nur mit sensiblem Selbstbewußtsein, sondern auch mit all den Verunsicherungen, die sich jeweils aktuell aufdrängen. Sie sind in aller Regel hochmotivierte und von geistes-und kulturwissenschaftlichen Studiengängen geprägte Intellektuelle, die sich nicht beliebig instrumentalisieren lassen. Wer sie Zwecken und Aufgaben unterwerfen wollte, mit denen sie sich nicht identifizieren mögen, der würde die Motivation für ihre Arbeit und damit die wichtigste Grundlage für den Erfolg des Kulturdialogs vernichten. Ähnlich verhält es sich mit den Repräsentanten des kulturellen Lebens in Deutschland, die auf Einladung des Goethe-Instituts oder anderer Mittler ein Deutschlandbild in der Welt präsentieren, das eng an der Realität orientiert ist.

Kulturdialog ist und bleibt personengebunden und personalintensiv. Mittler und Koordinator, vielleicht auch interkultureller „Trainer“ dafür kann das Goethe-Institut sein. In den Menschen anderer Staaten und Kulturen sehen wir vor allem Kultur-partner, nicht nur Wirtschaftspartner.

Um zu nachhaltigem, nüchternem und vorurteilsfreiem Kulturdialog zu ermutigen, um „Mittlertätigkeit zwischen gleichwertigen Kulturen mit ungleichen Traditionen“ zu entwickeln (so die „Grundsätze“ des Präsidiums des Goethe-Instituts von 1995), dazu bedarf es der freien Mittlerorganisationen. Das bewährte System der inhaltlichen Autonomie dieser Institutionen zu vernachlässigen, dazu besteht nicht der mindeste Anlaß. Mehr und mehr wird das dialektische Prinzip des Gebens und Nehmens als Substanz unserer Vermittlerrolle auch von der Politik gewürdigt.

Aus Erfahrung wissen wir, daß Austausch und Dialog ohne begleitende Programme mit dem Charakter von Werkstatt und interkulturellem Training nur halb soviel wert sind. Wenn wir jene oben skizzierten diffizilen Aufgaben für das „Non-ProfitUnternehmen Deutschland“ wahrnehmen wollen, dann gehört in der neuen Weltsituation interkulturelle Sensibilisierung mit dezidiert professionellen Mitteln dazu. Wer interkulturelles „Social Management“ für dieses Unternehmen ernst nimmt, der sollte nach dem Vorbild von transnationalen Unternehmen auch beim Goethe-Institut Orts-kräfte in Führungspositionen aufrücken lassen. Solchen Fragen werden wir nicht mehr ausweichen dürfen.

Das Zukünftige ist immer utopisch

Zu weltweiter Risikogemeinschaft und im ethischen Mimimalkonsens zwangsvereinigt, sind uns die Kulturen und Staaten der Welt Partner bei der Suche nach Sicherheit, Frieden und Zukunft. Ohne Frieden und ohne die Chance zur Sicherung der Lebenswelt gibt es keine Zukunft. Mit dieser Suche nach lebenswerter Zukunft ist der Kultur-dialog nicht nur Teil des Diskurses über das „richtige“ Leben. In unserer Annäherungsarbeit ist es auch wesentlich ein Dialog über die wechselseitige Akzeptanz der Wertungen des anderen Lebens in anderen Ländern und Ethnien in gemeinsamer moralischer Haftung. Erst in zweiter Linie sind für uns die anderen Nationen auch Handelspartner. Auch Wirtschaftspartnerschaft hat auf Dauer nur bei solide gegründeter Kulturpartnerschaft eine reale Chance.

Wenn die Zivilmacht Deutschland „wegen Hitler“ sensibel bestimmte Dinge unterläßt und damit die Angst vor einem neuen deutschen Nationalismus gar nicht erst aufkommen lassen möchte, gleichwohl aber unvermeidlich ernstgenommener Akteur in der Weltpolitik wurde, dann wählt sie damit keinen deutschen „Sonderweg“; sie nimmt schlicht jenen Platz ein, den sie guten Gewissens glaubt besetzen zu sollen.

Gemeinsame Institutionen mit anderen europäischen Staaten werden mitnichten den Anschein erwecken, als würde hier ein sich abschottender europäischer oder europäisch-nordamerikanischer Block gegen den Rest der Welt entstehen. Für wirtschaftliche und für sicherheitspolitische Zukunft sind gute Kontakte zu anderen Kulturen auch unabhängig von den europäischen Partnern wichtig -solange sie nicht die eigene Glaubwürdigkeit gefährden. Europa muß nicht überall mit einer Stimme sprechen (und es gibt Dinge, in denen Deutschland z. B. mit guten Gründen eine andere Sprache als Frankreich oder England spricht). Aber das gemeinsame Interesse am offenen kulturellen Dialog ist ein unverzichtbares Kapital für den Aufbau Europas.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Karl Lamprecht. Über auswärtige Kulturpolitik. 1912, in: Kurt Düwell, Deutschlands auswärtige Kulturpolitik 1918-1932. Grundlinien und Dokumente, Köln -Wien 1976, S. 255-267.

  2. Vgl. Stiftung Entwicklung und Frieden, Nachbarn in Einer Welt. The Commission on Global Governance, Bonn 1995.

Weitere Inhalte

Hilmar Hoffmann, geb. 1925; 1955-1965 Direktor der Volkshochschule Oberhausen; 1965-1970 Kulturdezernent in Oberhausen; 1970-1990 Kulturdezernent in Frankfurt; 1990-1993 Geschäftsführer der Stiftung Lesen, Mainz; Honorarprofessor an der Staatl. Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Frankfurt, sowie an der Philipps-Universität Marburg; seit 1993 Präsident des Goethe-Instituts, München. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kulturpolitischen Themen.