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Standort Deutschland -neue Herausforderungen angesichts veränderter Wettbewerbsbedingungen? | APuZ 26/1996 | bpb.de

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APuZ 26/1996 Standort Deutschland -neue Herausforderungen angesichts veränderter Wettbewerbsbedingungen? Arbeitslosigkeit oder ungleiche Einkommens-verteilung -ein Dilemma? Das Beschäftigungsproblem der Industriegesellschaften Arbeitsmarktpolitik nach dem Wohlfahrtsstaat Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung

Standort Deutschland -neue Herausforderungen angesichts veränderter Wettbewerbsbedingungen?

Otto G. Mayer

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Angesichts der gegenwärtigen Diskussion um den Standort Deutschland entsteht der Eindruck, daß dieser vor neuen Herausforderungen steht. Zunächst ist aber zu konstatieren, daß derartige Diskussionen konjunkturabhängig sind, d. h. mit dem konjunkturellen Abschwung einsetzen und bis zum Erreichen des Tiefpunkts an Schärfe gewinnen. Ein Vergleich mit der Situation in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zeigt, daß eine ähnliche Diskussion in Deutschland schon einmal stattgefunden hat. Die damals identifizierten grundlegenden Schwächen, insbesondere die Inflexibilität auf den Arbeitsmärkten, sind zwar durch den Vereinigungsboom übertüncht worden, bestehen aber weiterhin. Deutschland steht damit noch vor „alten“ Herausforderungen. Durch weltweite Liberalisierungsmaßnahmen und das Auftauchen neuer Wettbewerber sind mittlerweile „neue“ Herausforderungen hinzugekommen. „Neu“ ist aber vor allem, daß die Unternehmen durch Liberalisierung und Integration an Standortflexibilität gewonnen haben. Regionen mit niedriger interner Flexibilität droht damit der Entzug von Produktion und Arbeitsplätzen. Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist es, die interne Flexibilität zu steigern, d. h., die „alten“, bisher aufgeschobenen Aufgaben in Angriff zu nehmen.

I. Die Standortdebatte -ein konjunkturelles Phänomen?

Schaubild 1: Realeinkommen pro Kopf im internationalen Vergleich 1980-1993 Quelle: HWWA (Anm. 9).

Debatten über den Produktions-und Investitionsstandort Deutschland oder über die „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Wirtschaft unterliegen einer „Diskussionskonjunktur“: Sie pflegen mit dem konjunkturellen Abschwung einzusetzen, auf dem konjunkturellen Tiefpunkt ihren Höhepunkt zu erreichen und mit dem konjunkturellen Aufschwung wieder abzuebben So läßt sich die heutige Diskussion bis hin zu einzelnen Argumenten Anfang der achtziger Jahre (1982) und nach Durchlauf des Konjunkturzyklus im Jahre 1988 wiederfinden. Nur zur Demonstration: Im März 1988 schrieb der Verfasser als Einleitung zu einem entsprechenden Artikel „Der Industriestandort Bundesrepublik Deutschland ist seit kurzem ins Gerede gekommen. Im internationalen Wettbewerb um die günstigsten Bedingungen sei er weit zurückgefallen. Die Arbeitskosten in der Bundesrepublik zählten zu den höchsten der Welt. Die Energiepreise seien besonders hoch, die Kommunikations-und sonstigen Dienstleistungen sehr teuer, nicht zu reden davon, daß die Gewinne der deutschen Unternehmen höheren Steuersätzen als sonstwo unterworfen seien und sie mit dem Konstrukt der Gewerbesteuer eine besondere Bürde zu tragen haben. Kein Wunder also, daß die mangelnde Dynamik der Investitionstätigkeit in der Bundesrepublik allgemein, aber auch der zunehmende Überschuß deutscher Direktinvestitionen im Ausland über die Investitionen ausländi-scher Unternehmen in der Bundesrepublik als Hinweis für eine mangelhafte Attraktivität der Bundesrepublik Deutschland als Investitionsstandort genommen werden.“

Auch zeigen die damaligen Erfahrungen, daß es dann in Deutschland leicht zu einer Überreaktion kommt. Jeder Produktions-und Beschäftigungsrückgang -selbst wenn er konjunktureller Natur ist -wird nunmehr als Zeichen einer Standort-schwäche genommen. Der politische Motor dieser wirtschaftspolitischen Diskussion „sind Verteilungskonflikte. Die Unternehmen versuchen, sich diese Verschnaufpause im härter gewordenen Wettbewerb zu verschaffen, indem sie Lohnkostensenkungen, Steuererleichterungen, Entlastung von Umweltauflagen und Forschungsförderung fordern. Der Staat versucht, sich von Sozialleistungen, Einkommenserhöhungen für öffentlich Bedienstete und anderen Ausgaben zu verabschieden, weil das angeblich den Standort Deutschland gefährdet.“ In ihrer jüngsten Gemeinschaftsdiagnose gehen die Konjunkturforscher der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute davon aus, daß die Bedingungen günstig sind, daß die konjunkturelle Schwächephase zur Jahresmitte 1996 beendet sein wird. „Die gesamtwirtschaftliche Produktion in Deutschland wird sich im weiteren Verlauf des Jahres wieder beleben ... In Westdeutschland wird die Industrieproduktion in der zweiten Jahreshälfte insbesondere bei Verteilungsund Investitionsgütern expandieren.“ Wenn denn die obige These stimmt, dürfte zu erwarten sein, daß die Standortdiskussion etwas an Schärfe verlieren wird.

Die gegenwärtige Wirtschaftsentwicklung weist nicht nur in dieser Hinsicht gewisse Parallelen zu der Situation in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre auf Auch damals trat, beginnend Mitte 1985, eine ausgeprägte konjunkturelle Schwäche-phase ein. die bis zur Mitte des Jahres 1987 dauerte. Wie heute wurden lagerzyklische Effekte (vorrangiger Abbau von Lägern anstelle von Produktion) dadurch verstärkt, daß der Wegfall steuerlicher Fördermaßnahmen zu einer Abnahme der Wohnungsbautätigkeit führte, die Exporte durch eine reale Höherbewertung der D-Mark (sie war jedoch deutlich stärker als jetzt und hielt länger an) gedämpft wurden, wie heute wurde damals der Rückschlag bei der wirtschaftlichen Entwicklung mit der Diagnose einer insgesamt schwachen Konstitution der Wirtschaft begründet, wie sie in einem flachen Wachstumstrend, hartnäckig hoher Arbeitslosigkeit und geringer Investitionstätigkeit im Inland bei gleichzeitig steigenden Direktinvestitionen im Ausland zum Ausdruck kam. Für diese Probleme, unter denen die europäischen Länder mehr oder weniger gemeinsam litten, und für ihre Ursachen wurde schon 1985 von Herbert Giersch der Begriff „Eurosklerose“ geprägt.

Angesichts des Wiedervereinigungsbooms Anfang der neunziger Jahre geriet diese Diskussion jedoch in Deutschland fast in Vergessenheit. Während andere Länder schon Ende der achtziger Jahre konjunkturelle Abschwächungstendenzen zeigten, wurden diese in Deutschland durch den Vereinigungsboom überdeckt. Der kreditfinanzierte Boom endete in höheren Abgaben-und Steuerbelastungen von Haushalten und Unternehmen. Nach dem Boom haben die Unternehmen ihre Investitionen an die niedrigen Renditeerwartungen angepaßt; dieser Prozeß hat sich im zurückliegenden Aufschwung fortgesetzt und kommt erst allmählich zum Stillstand. Die Diskussion der Eurosklerose ist nun erneut aufgekommen, jetzt allerdings unter dem Begriff „Standortschwäche“. „Das schwache Wachstum des Produktionspotentials zeigt, daß die Standortbedingungen derzeit wohl ähnlich ungünstig sind, wie es die zur Mitte der achtziger Jahre waren.“ Im Gegensatz zu damals ist aber nicht zu sehen, daß ein ähnliches Ereignis wie die Wiedervereinigung die strukturell ungünstigen Bedingungen überlagern wird.

Dennoch stellen sich einige Fragen: Wann ist das Wachstum des Produktionspotentials als „schwach“ anzusehen, d. h., wie wird die konstatierte Schwäche gemessen? Was ist der Maßstab für ein hinreichendes, ausreichendes oder höheres Wachstum? Ist es das eigene Wachstum in vergangenen Zeiten? Verglichen mit den fünfziger und sechziger Jahren scheinen sich dann allem Augenschein nach tatsächlich die Standort-bedingungenverschlechtert zu haben. Oder sollte das eigene Wachstum mit dem anderer Länder (mit welchen) verglichen werden? Sollte ein hinreichendes Wachstum daran gemessen werden, ob es ausreicht, einen angemessenen Beschäftigungsstand zu sichern? Bei entsprechend flexiblen Arbeitsmärkten und flexiblen Wechselkursen ist es allerdings theoretisch auch denkbar, daß ein niedriges Wachstum mit Vollbeschäftigung einhergeht.

Unbestritten dürfte sein, daß es das Ziel der Wirtschaftspolitik sein sollte, die am eigenen Standort zur Verfügung stehenden Ressourcen so effizient wie möglich einzusetzen, ihre Produktivität im Laufe der Zeit zu steigern (qualitative Verbesserung von Human-und physischem Kapital), zudem Ressourcen -insbesondere anlagesuchendes Kapital -aus dem Ausland anzuziehen, um die eigenen zu ergänzen, und dadurch insgesamt ein möglichst hohes Pro-Kopf-Einkommen zu erzielen. Umgekehrt sollte es bedenklich stimmen, wenn Ressourcen brachliegen oder abwandern und ausländische Ressourcen nicht in das eigene Land oder die Region gelockt werden können. Das „Marktergebnis“ der betreffenden Wirtschaftspolitik dürfte sich dann in der Entwicklung des Realeinkommens und der Beschäftigung widerspiegeln.

II. Einkommens-und Beschäftigungsentwicklung im internationalen Vergleich

Tabelle: Entwicklung des Realeinkommens und der Beschäftigung im internationalen Vergleich, jährliche durchschnittliche Wachstumsraten Quelle: HWWA (Anm. 9).

Stellt man einen internationalen Vergleich der Realeinkommensentwicklung an (Schaubild 1 und Tabelle), gelangt man zu folgendem kurzen Fazit: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf der Bevölkerung weisen die USA seit 1980 von allen größeren Industrieländern eindeutig das höchste Pro-Kopf-Einkommen auf. Westdeutschland liegt aber deutlich über dem Durchschnitt der gesamten OECD-Länder sowie der EG-Länder und noch vor Japan, Frankreich und Großbritannien. (Das Pro-Kopf-Einkommen Gesamtdeutschlands ist zwar geringer als das Japans und Frankreichs; der statistische Bruch aufgrund der Wiedervereinigung kann aber sicherlich nicht undifferenziert als Indikator für eine allgemeine Verschlechterung des Standortes Deutschland herhalten

Westdeutschland erzielte im Aufschwung 1982 bis 1993 erheblich über dem OECD-Durchschnitt liegende Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens, und auch im Zeitraum von 1987 bis 1993, in dem der reale Außenwert der DM überaus stark gestiegen ist, lag die Realeinkommensentwicklung pro Kopf der Bevölkerung im Durchschnitt deutlich über dem OECD-Durchschnitt In dieser Zeit rangierte die jährliche durchschnittliche Wachstumsrate des realen Pro-Kopf-Einkommens in Westdeutschland mit 3, 1 Prozent nur knapp hinter der Japans (3, 2 Prozent). Frankreich (1, 3), Italien (1, 6), Großbritannien (0, 9) oder die USA (1, 2) folgten doch mit deutlichem Abstand. Natürlich muß hierbei berücksichtigt werden, daß die westdeutsche Wachstumsrate durch den Wiedervereinigungsboom nach oben verzerrt wird. Kurz: Gemessen am „Marktergebnis“ des realen Pro-Kopf-Einkommens -sowohl im Hinblick auf das Niveau als auch auf die Zunahme -kann der Standort (West-) Deutschland in der jüngsten Vergangenheit im internationalen Vergleich so schlecht nicht gewesen sein.

Anders sieht das Bild aus, wenn wir uns die Beschäftigtenentwicklung seit 1980 ansehen (vgl. Tabelle und Schaubild 2). Die Beschäftigtenentwicklung in Westdeutschland lag signifikant unter dem OECD-Durchschnitt. Die höchsten Zuwachsraten der Beschäftigung wurden von 1982 bis 1993 in den außereuropäischen Industrieländern USA,Australien, Neuseeland, Japan und Kanada erzielt. Die Beschäftigtenentwicklung in Westdeutschland entsprach bis zum Jahre 1991 der Entwicklung in der Europäischen Union insgesamt, d. h., auch diese lag also deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Ab 1989 jedoch beschleunigte sich der Anstieg der Beschäftigung in Westdeutschland und übertraf sogar den OECD-Durchschnitt. Im Jahre 1992 profitierte Westdeutschland noch vom Vereinigungsboom, während sich die anderen EU-Länder bereits in einer Rezession befanden. Daher verzeichnete Westdeutschland in diesem Jahr noch einen Beschäftigungszuwachs, wohingegen die anderen EU-Länder einen Beschäftigungsrückgang hinnehmen mußten. Ein Jahr später ging die Beschäftigung auch in Westdeutschland zurück (vgl. auch Schaubild 2).

Es kann wenig tröstlich stimmen, daß Deutschland sich im Hinblick auf die Beschäftigtenentwicklung in der „guten“ Gesellschaft aller EU-Staaten befindet, zumal die Entwicklung in Europa insgesamt und in Deutschland im Gegensatz zu den USA oder bislang auch Japan dadurch gekennzeichnet ist, daß sich die Sockelarbeitslosigkeit von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus erhöht hat, d. h., die Arbeitslosenzahlen gehen auch im ab. konjunkturellen Aufschwung nicht auf das Ausgangsniveau zurück Kurz: Gemessen an dem „Marktergebnis“ Entwicklung der Beschäftigung bzw.der Arbeitslosenzahl schneidet der Standort Deutschland im internationalen Vergleich (wie aber auch die EU-Staaten insgesamt) nicht so gut

III. Wodurch zeichnet sich ein guter Standort aus?

Schaubild 2: Beschäftigtenentwicklung im internationalen Vergleich 1980-1993 Quelle: HWWA (Anm. 9).

Angesichts dieses empirischen Befundes mag man sich zu der resignativen Ansicht durchringen, daß die unzureichende Zahl an rentablen Arbeitsplätzen nur eine Frage der angemessenen oder gerechten Verteilung des international relativ hohen Realeinkommens ist. Eine entsprechende Wirtschaftspolitik sieht sich freilich sofort einigen Fragen gegenüber: Erstens: Wie verhalten sich die inländischen Wirtschaftsakteure angesichts einerrelativ hohen und eventuell zunehmenden Abgaben-und Steuerbelastung, die notwendig ist, um einem entsprechenden Verteilungsziel nachzukommen? Zweitens: Können die mobilen Faktoren (qualifizierte Arbeitnehmer bzw. Forscher), das sogenannte Humankapital, und Kapital schlechthin im Inland gehalten werden? Kann dann noch ausländisches Kapital angezogen werden? Drittens: Reicht dann die Produktion insgesamt noch aus, um die bislang relativ hohen Einkommen zu erzielen, auf denen die Verteilungsabsichten gründen? Oder besteht viertens die Gefahr, daß weitere Arbeitsplätze im internationalen Standort-wettbewerb zur Disposition gestellt werden? Kurz: Es steht die zukünftige oder dauerhafte Eignung Deutschlands als Investitions-und als Produktionsstandort auf dem Prüfstand Besser und sicherer wäre es demnach, eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die eine Verbesserung der Standortbedingungen zum Ziel hat.

Unter Standortqualität versteht man dabei nicht nur die quantitative und qualitative Ausstattung einer Region mit standortgebundenen Ressourcen. Hierzu gehören auch die institutionellen Regelungen, die die Kosten (z. B. Sozialabgaben und Steuern), die Produktivität (z. B. Bildungs-und Infrastruktureinrichtungen) und die Flexibilität der Ressourcen beeinflussen (z. B. die berufliche, sektorale und regionale Mobilität der Arbeitnehmer, aber auch die Flexibilität der Reallöhne im Hinblick auf deren Niveau, insbesondere auf deren sektorale und regionale Struktur, und im Hinblick auf die Qualifikation der Arbeitnehmer). Indem die Qualität der standortgebundenen Ressourcen die Grenzproduktivität -die Produktivität der jeweils zuletzt eingesetzten Faktoreinheit -einer Region für die mobilen Ressourcen festlegt, entscheidet sie auch darüber, in welchem Umfang die mobilen Ressourcen der Region für sie selbst eingesetzt und in welchem Umfang mobile Ressourcen aus anderen Regionen in Anspruch genommen werden können.

Die Standortqualität ist für die Entwicklung wettbewerbsfähiger Strukturen von großer Bedeutung, allerdings nicht unmittelbar, sondern erst im Zusammenwirken mit den Standortbedingungen anderer Regionen. Nur insoweit, wie sich zwischen den Regionen die Zusammensetzung des Ressourcenbestandes und die Relationen der Grenzproduktivitäten der einzelnen Ressourcen unterscheiden, prägen sie auch die Branchenstruktur und das Produktsortiment.

Ein wesentliches Element der Standortqualität ist dabei -wie schon erwähnt -die Flexibilität der Produktionsfaktoren. In einer Region mit hoher Flexibilität werden die Unternehmen, wenn sie aufgrund von Nachfrage-oder Preisänderungen oder aufgrund neuer Wettbewerber an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt haben, mit einem raschen Strukturwandel reagieren. In einer Region mit geringer Flexibilität werden die Unternehmen dagegen bei einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit eher mit Freisetzungen und mit dem Umbau des Bestehenden reagieren. Vor dem Hintergrund des empirischen Befundes und der obigen Überlegungen kann der Schluß gezogen werden, daß Deutschland schon seit längerem unter Inflexibilität leidet.

Das abverlangte Ausmaß an Flexibilität der standortgebundenen Produktionsfaktoren hängt davon ab, welche „Anpassungslasten“ eine Volkswirtschaft bewältigen muß Alle offenen Volkswirtschaften werden mit einer Vielzahl von Datenänderungen konfrontiert, die verarbeitet werden müssen. Neue Strukturen müssen gefunden werden, die eine andere Allokation der Ressourcen notwendig machen. Die entsprechenden Anpassungen verursachen Kosten. Je träger die Anpassungen verlaufen, desto höher sind die Kosten in Form entgangener Einkommen und Arbeitsplätze. Datenänderungen werden aber nicht nur durch außenwirtschaftliche Entwicklungen, sondern auch durch unangemessene Aktivitäten der Politik ausgelöst, weshalb einer stetigen Politik, der Konstanz der Wirtschaftspolitik (Walter Eucken), eine zentrale Rolle zukommt. Ansonsten fallen die Anpassungskosten hoch aus, haben im günstigsten Fall eine abwartende Haltung, im schlimmsten Fall eine Abwanderung der mobilen Faktoren zur Folge.

Auch dies führt zunächst zu der Vermutung, daß die Beschäftigungsprobleme, mit denen die Bundesrepublik sich konfrontiert sieht, -zumindest bislang -weniger etwas mit internationalen Entwicklungen zu tün haben, sondern eher „hausgemacht“ sind. Insbesondere die hohe und steigende Sockelarbeitslosigkeit deutet auf gravierende strukturelle Schwächen der deutschen Wirtschaftspolitik hin. Sie dürften in erster Linie in der Funktionsunfähigkeit der Arbeitsmärkte und der Tarif-politik begründet sein Die Erfahrungen zeigen u. a., daß ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Flexibilität der relativen Preise auf den Arbeitsmärkten und der Höhe der Arbeitslosigkeit existiert. Die Volkswirtschaften, die wie z. B.

die USA oder auch Japan relativ flexible Reallöhne haben, weisen zugleich eine relative geringe Arbeitslosigkeit (insbesondere Sockelarbeitslosigkeit) auf, während Länder wie die Bundesrepublik, aber auch die EU-Länder, deren Reallöhne wenig flexibel sind, die Arbeitskräfte offensichtlich weniger effizient zu nutzen wissen. Des weiteren kann ein unbefangener Beobachter der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik in den letzten Jahren schwerlich zu der Überzeugung gelangen, daß diese sich durch Stetigkeit und Konstanz auszeichnet. Ein nahezu vernichtendes Urteil über die deutsche Wirtschaftspolitik hat erst jüngst der Sachverständigenrat abgegeben: „Große Unsicherheit über die künftige wirtschaftliche Entwicklung, über den Kurs der Wirtschaftspolitik und über das Verhalten der Tarifvertragsparteien hat sich in unserem Lande breitgemacht ... So darf es nicht weitergehen. Die in einem scharfen internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen bedürfen für ihre Investitionsentscheidungen dringend der wirtschaftspolitischen Orientierung. Sie bekommen diese nicht, wenn einer Absichtserklärung stets nur die nächste folgt. Werden wirtschaftspolitische Fehlentwicklungen nicht schleunigst abgestellt, kann sich wirtschaftliche Dynamik nicht entfalten, können sich die Probleme am Arbeitsmarkt nur weiter verhärten.“

IV. Internationalisierungstrends

Schaubild 3: Indikatoren zur „Globalisierung“ der Weltwirtschaft 1980-1994 Quelle: HWWA (Anm. 9).

Nun wird in der gegenwärtigen Diskussion um den „Standort Deutschland“ häufig argumentiert, daß dieser in den letzten Jahren sich besonderen oder neuen Herausforderungen gegenübersieht, die mit besonderen Anpassungslasten verbunden sind; diese werden mit dem Stichwort „Globalisierung“ umschrieben. In der Tat sind im vergangenen Jahrzehnt eine Vielzahl von politischen und ökonomischen Anstößen zu einer Internationalisierung zu verzeichnen

Zu den international bedeutsamen politischen Faktoren zählen u. a.: -Liberalisierung auf Gütermärkten: Der Abbau von Handelshemmnissen senkt die Transaktionskosten im internationalen Handel; ausländisehe Absatz-und Beschaffungsmärkte werden leichter erreichbar. Während somit von zunehmendem Handel auszugehen ist, werden Direktinvestitionen und Auslandsproduktion, die auf das Überspringen von Handelsbarrieren angelegt waren, überflüssig. Soweit im Ausland allerdings Standortvorteile liegen oder entwickelt werden können und die Organisation konzerninterner internationaler Arbeitsteilung effizienter, d. h. zu niedrigeren Transaktionskosten, erfolgen kann als über den Markt, führt die Handelsliberalisierung auch zu steigender Auslandsproduktion. -Liberalisierung der Kapitalmärkte: Der Abbau von Devisen-und Kapitalverkehrsbeschränkungen ist Anfang der achtziger Jahre weltweit deutlich vorangekommen. Globale Finanzmärkte sind entstanden, die Kapitalmobilität im Sinne der Integration der Finanzmärkte hat sich deutlich erhöht. Durch diese Entwicklung haben sich die Möglichkeiten der internationalen Kapitalbeschaffung für multinationale Unternehmen erweitert, die Transaktionskosten sind gesunken. -Niederlassungsfreiheit für Auslandsinvestoren: Nachdem die siebziger Jahre dadurch gekennzeichnet waren, daß die Wirtschaftspolitik in vielen Ländern skeptisch gegenüber dem Nutzen von Direktinvestitionen eingestellt war, gab es in den frühen achtziger Jahren in den Industrie-, vor allem aber in den Entwicklungsländern einen klaren Trendwechsel hin zu einer positiveren Bewertung dieser Investitionen. Der zu konstatierende Wandel fand seinen Niederschlag in einem deutlichen Abbau der Hemmnisse für die Zulassung von Direktinvestitionen und einer zunehmenden Gewährung der Inländerbehandlung von ausländischen Unternehmen. -Liberalisierung der Dienstleistungen: Dieser Trend begann Mitte der siebziger Jahre in den USA, setzte sich Anfang der achtziger Jahre in Großbritannien fort, um dann Mitte der achtziger Jahre auch die anderen Länder Westeuropas und Japan zu erreichen. Zahlreiche Dienstleistungsbereiche wurden dem nationalen und internationalen Wettbewerb stärker geöffnet.

Zu den ökonomischen und technischenl Faktoren zählen u. a.: -Verbesserte Transport-, Informationsund Kommunikationssysteme: Durch den technischen Fortschritt, der durch Deregulierungsmaßnahmen in Transport-und Telekommunikationssektoren ergänzt und gefördert worden ist, hat, beginnend in den achtziger Jahren, bis heute der Trend zum kostengünstigeren und schnelleren Transport von Gütern, Personen und Informationen -auch über Ländergrenzen hinweg -angehalten. Durch die gestiegene Verarbeitungskapazität von Datenverarbeitungsanlagen und die zunehmende Verschmelzung von Informations-und Kommunikationstechnologien hat sich dieser Trend bei der Transmission von Daten noch beschleunigt.

Die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten dürften auch eine wichtige Rolle für die Internationalisierung von Aktivitäten im Bereich der Forschung und Entwicklung (FuE) der Unternehmen spielen. In gleicher Weise haben sie die Realisierung von internationalen Unternehmenskooperationen -gerade auch im FuE-Bereich -leichter gemacht und ihre Erfolgsaussichten erhöht. -Steigender FuE-Aufwa^id bei kürzeren Produkt-zyklen: Die Relation von FuE-Aufwendungen und Bruttowertschöpfung hat sich im vergangenen Jahrzehnt substantiell verbessert. In Deutschland ist sie im Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes zwischen 1979 und 1989 von 4, 5 auf 7 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sind die Produktzyklen kürzer geworden. Aus beiden Entwicklungen resultiert ein Druck zur raschen und möglichst breiten Verwertung des technologischen Wissens, d. h. zur raschen Internationalisierung. -Aufkommen sektorübergreifender Technologien: Neue technologische Entwicklungen, etwa in der EDV und der Telekommunikation, aber auch generell im Zusammenhang mit Mikroelektronik, neuen Werkstoffen und Biotechnologie, betreffen oftmals mehrere Sektoren. Sie führen dazu, daß sich die herkömmlichen Grenzen zwischen den Sektoren verwischen und neue Tätigkeitsfelder entstehen. Für Unternehmen, die in derartigen Grenzbereichen tätig sind, ergeben sich zum einen neue Wachstumschancen. Zum anderen müssen etablierte Anbieter aber auch mit verstärktem Wettbewerb durch das Eindringen von Firmen aus „benachbarten“ Bereichen auf den angestammten Märkten rechnen. -Aufkommen neuer Wettbewerber: Deutsche Unternehmen, wie auch diejenigen aus anderen westlichen Industrieländern, sehen sich seit den frühen achtziger Jahren zunehmend einer Konkurrenz vor allem aus dem asia tisch-pazifischen Raum gegenüber und das sowohl auf dem Heimatmarkt wie auf Dritt-märkten. Japan, die ASEAN (Association of South-East Asian Nations) und die fernöstlichen Schwellenländer haben ihr Gewicht im Weltexport von 1982 bis 1992 von 14 auf 21 Prozent deutlich erhöht. Dabei treten zunehmend technologieintensive Produkte in den Vordergrund. -Neue Standortalternativen: Nicht nur deutsche Unternehmen, sondern auch deutsche Standorte sehen sich einem verstärkten internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Er betrifft ebenso das Absatzpotential wie die Kostensituation:

Die asiatisch-pazifische Region -Japan, China, ASEAN, NIEs (Newly Industrializing Economies) -weist seit geraumer Zeit eine außerordentliche dynamische Wirtschaftsentwicklung auf. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum war dort in den achtziger Jahren zumindest zwei-bis dreimal so hoch wie in Westeuropa. Auch die mittel-bis langfristigen Wachstumsperspektiven werden als weit überdurchschnittlich eingeschätzt. • Die weltwirtschaftlichen Wachstumspole verschieben sich. Dies setzt Anreize für Unternehmen, sich direkt in dieser Region zu engagieren, um weitergehend an der Marktentwicklung zu partizipieren und die dort gegebenen Standortvorteile für exportorientierte Fertigungen zu nutzen.

Auch die Öffnung der europäischen Transformationsländer hat deutschen Unternehmen neue Handlungsoptionen gebracht, vor allem im Hinblick auf neue Investitionsstandorte, an denen Lohnkosten von (bisher noch) weniger als zehn Prozent der deutschen Sätze zu zahlen sind. Diese liegen jetzt direkt „vor der Haustür“. Die Reformländer verfügen gegenüber Entwicklungsländern darüber hinaus über den Standortvorteil der industriellen Tradition und gut ausgebildeter Arbeitskräfte.

V. Anpassungsbedarf durch Internationalisierung

Die oben aufgeführten Entwicklungstrends scheinen auf den ersten Blick auf größere, neue Anpassungsprobleme für die deutsche Wirtschaft hinzudeuten, zumal in der gegenwärtigen Diskussion die Befürchtung mitschwingt, daß die deutsche Industrie auswandert. Einige relativierende Bemerkungen sind da angebracht.

Erstens muß darauf hingewiesen werden, daß die meisten Entwicklungen insofern ambivalent sind, als sie sowohl Risiken beinhalten als auch deutschen Unternehmen Chancen eröffnen.

Zweitens sind diese Globalisierungstendenzen in der Weltwirtschaft keine eigentlich neuen Erscheinungen, sondern die Fortsetzung von Entwicklungen, die schon lange bestehen. Sie sind in den meisten Fällen auch nicht plötzlich oder schubartig aufgetreten, sondern . eher gradueller Natur. Insofern tritt auch der Anpassungsbedarf für die wirtschaftlichen Akteure nicht abrupt oder schockartig auf. Im Vergleich zur Entwicklung des Weltbruttoinlandsproduktes (vgl. Schaubild 3) zeigen die meisten Indikatoren für eine „Globalisierung“ der Weltwirtschaft keine „außergewöhnliche“ Zunahme. Nur die Stromgrößen (flows) der Welt-Direktinvestitionen zeigen nach dem schon erwähnten politischen Wandel seit Mitte der achziger Jahre ein rasantes Wachstum, um sich -wenn auch auf höherem Niveau -in den neunziger Jahren zu „stabilisieren“. Dies mag allerdings auch auf die konjunkturelle Schwäche in den Industrieländern zurückzuführen sein.

Drittens ist auch kaum zu sehen, daß die deutsche Wirtschaft von diesen Tendenzen überdurchschnittlich betroffen ist: Die deutschen Direktinvestitionen haben sich zwar z. B. von 1985 bis 1993 auf 319 Milliarden DM mehr als verdoppelt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (Dl-Bestand/BIP) weisen sie auch mit 11 Prozent eine Quote auf, die diejenige der USA (9 Prozent), Japans (6 Prozent) und Italiens (5 Prozent) übersteigt; sie bleibt jedoch klar hinter den Quoten für Belgien (rd. 21 Prozent), Schweden und Großbritannien (je 26 Prozent) sowie für die Schweiz (31 Prozent) und die Niederlande (38 Prozent) zurück. Anders gewendet: Der Standort „Ausland“ findet in den Expansions-und Investitionsplänen deutscher Unternehmen kaum mehr Berücksichtigung als im Durchschnitt bei den Unternehmen der Industrieländer insgesamt (9 Prozent) Die deutschen Direktinvestitionen -zumal sie sich zum großen Teil auf Europa richten -sind offenbar weniger als Flucht vor ungünstigen Standortbedingungen im Heimatland anzusehen denn als -im internationalen Zusammenhang -normales Element unternehmerischer Wachstumsstrategien. Daher sollte man auch Einjahreswerte wie den kürzlich von der Deutschen Bundesbank für 1995 gemeldeten (Strom-) Wert von 50 Milliarden an Auslandsinvestitionen nicht überinterpretieren, zumal die Stromgrößen zuvor drei Jahre lang rückläufig gewesen waren und verschiedene Sonderfaktoren den sprunghaften Anstieg 1995 großenteils erklären

Viertens setzt zwar die Internationalisierung der Unternehmen und Märkte deutsche und ausländische Standorte in Wettbewerb zueinander. Wenn aber Produktion im Ausland statt in Deutschland erfolgt, so ist dies nicht generell als negativ im Hinblick auf Beschäftigung und Einkommen in Deutschland zu beurteilen. Zu berücksichtigen ist zum einen die Art der Auslandsproduktion. Die Frage ist, könnte sie überhaupt alternativ rentabel in Deutschland erfolgen. Dies hat nicht nur etwas mit den inländischen Kosten zu tun, sondern auch mit regionalen „Zugangsbarrieren“ anderswo sowie mit Unternehmensstrategien. Wenn beispielsweise Vorlieferungen nicht günstiger von anderen Standorten zu beziehen sind, können im Inland Arbeitsplätze in Gefahr geraten, d. h., durch Entkoppelung der Produktionsstufen können sogar Arbeitsplätze im Inland erhalten werden. Zum anderen können durch Zulieferungen an ausländische Tochterunternehmen und Nutzung derer Vertriebswege durch die Auslandsproduktion zusätzliche Exporte angeregt werden.

Fünftens häufen sich zwar Unternehmensmeldungen über lohnkostenbedingte Produktionsverlagerungen, die nicht mehr nur die dafür bekannten Branchen Textil und Bekleidung betreffen. Die Expansion wird primär getragen von Direktinvestitionen in den mittel-und osteuropäischen Ländern (MOEL) Der Auslandsumsatz dortiger deutscher Töchter hat sich zwar von 1989 bis 1993 von einer auf 14 Milliarden erhöht, doch hatten sie auch in diesem Jahr -gemessen am Weltumsatz deutscher Auslandsunternehmen -erst einen Anteil von rund 2 Prozent. Alle Niedriglohnländer zusammengenommen stellen mit 7, 5 Prozent der industriellen Auslandsproduktion im Jahre 1993 bisher und auf absehbare Zeit nur einen kleinen Ausschnitt der Internationalisierung dar. In Relation zum Gesamtumsatz der deutschen Industrie liegt die Produktion in Niedriglohnländern bei unter 2 Prozent.

Sechstens muß diese Entwicklung auch vor dem Hintergrund der Handelsströme gesehen werden. Nach wie vor besteht ein deutscher Exportüberschuß gegenüber den MOE-Ländern und eine annähernd ausgeglichene bilaterale Handelsbilanz gegenüber den Niedriglohnländern insgesamt.

Siebtens könnte ein Problem in einer möglichen Verlagerung von Produktion, die hohe Einkommen ermöglicht, bestehen. Dies betrifft vor allem die Produktion in benachbarten europäischen Ländern, da die dortigen Standortbedingungen als den deutschen vergleichbar angesehen werden müssen und dort das gleiche Produktivitätsniveau erreicht werden kann. Bisher sind jedoch noch keine massiven Produktionsverlagerungen im Hochlohnbereich zu Lasten deutscher Standorte festzustellen. Auch die Internationalisierung der Forschung und Entwicklung ist bislang als durchschnittlich anzusehen. Der Großteil der deutschen Direktinvestitionen ist nach wie vor als absatzorientiert anzusehen. Offenbar findet aber allmählich eine Entkoppelung von Auslandsproduktion und Exporten statt. Der Zusammenhang mit den Importen ist enger. Dies könnte ein Indikator dafür sein, daß auch bei deutschen Unternehmen ein Trend einsetzt zur arbeitsteiligen Organisation der Produktionsstätten in Westeuropa, bei der deutsche Standorte eine weniger zentrale Stellung einnehmen als bisher. Auch qualifizierte Arbeitskräfte in Industrie und im Dienstleistungssektor können dann unter Wettbewerbsdruck ebenso guter, aber billigerer Auslandskonkurrenz geraten. Achtens dürfte als Zeichen einer gesunkenen Standortqualität weniger das Engagement deutscher Unternehmen im Ausland zu werten sein, sondern eher das Fehlen eines entsprechenden Gegenstroms ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland 20auch wenn dieser 1995 seit vier Jahren erstmals wieder kräftig (auf 13 Milliarden DM) gestiegen ist. Allerdings liefern Stromgrößen ein . recht unvollständiges Bild. Die auslandskontrollierten Unternehmen in Deutschland sind oftmals alteingesessen und kaum noch auf die Kapi-talzufuhr ihrer Mütter angewiesen. Gemessen an den Bestandswerten haben ausländische Investoren ihr Engagement im letzten Jahrzehnt deutlich ausgeweitet, so daß deutsche Anlageregionen ihre Position im Rahmen der weltweiten Direktinvestitionen seit Anfang der achtziger Jahre ungefähr gehalten haben. Dennoch bleibt die Frage, weshalb neue Engagements -gemessen an den Zuflüssen in andere europäische Standorte -so rar geworden sind, insbesondere angesichts des Bedarfs unternehmerischer Kapazitäten in Ostdeutschland.

Neuntens wird aufgrund eines sinkenden deutschen Anteils am Weltexport seit 1990 (12, 3 Prozent) auf 10, 5 Prozent (1995) häufig auf eine nachlassende Standortqualität geschlossen. Dies mag so sein. Hierin spiegeln sich jedoch neben der Wechselkursentwicklung auch die Folgen der deutschen Vereinigung wider: Zum einen kam es statistisch durch Wegfall des innerdeutschen Handels von 1989 bis 1992 zu einem drastischen Einbruch der Exportquote von rund sechs Prozentpunkten.

Zum anderen wurden Warenströme, die alternativ für das Ausland bestimmt gewesen wären, in erheblichem Maße nach Ostdeutschland umgelenkt. Hinzu kam, daß auch ausländische Unternehmen die Nachfrage aus Ostdeutschland befriedigen konnten, wodurch die Weltexporte anstiegen Schließlich machte sich die konjunkturelle Schwäche vor allem in Westeuropa bemerkbar, wohin rund zwei Drittel der deutschen Exporte fließen, während in die Wachstumsregionen in Asien z. B. lediglich 11 Prozent des Export-wertes gehen. Verglichen mit der generellen Exportfähigkeit Deutschlands ist die Position auf den asiatischen Märkten jedoch schwach. Bleibt es bei der gegenwärtigen Struktur des deutschen Außenhandels, ist es angesichts der asiatischen Wachstumsdynamik mit den entsprechenden positiven Effekten auf den Welthandel insgesamt wahrscheinlich, daß die deutschen Anteile am Weltexport weiterhin in der Tendenz rückläufig sind -es sei denn, Europa würde zu einem ähnlichen dynamischen Wachstumspfad finden. Gleichwohl bleibt zu konstatieren, daß Wachstumschancen im asiatischen Raum gemessen an anderen OECD-Ländern anscheinend nicht hinreichend wahrgenommen werden. Ob dies als Folge einer Standortschwäche angesehen werden kann, ist eine offene Frage

VI. Zusammenfassung

Steht der Standort Deutschland vor neuen Herausforderungen? Ja und nein! Der mit der zunehmenden außenwirtschaftlichen Verflechtung Deutschlands verbundene Strukturwandel ist prinzipiell keine neue Erscheinung. Auch ist nicht sicher, ob sich das Tempo dieses Wandels tatsächlich -wie häufig behauptet -gravierend beschleunigt hat. Neueren Datums ist, daß die Unternehmen durch die Integration in Europa und die Liberalisierungstendenzen weltweit an Standortflexibilität gewonnen haben. Regionen mit niedriger interner Flexibilität im Falle von Anpassungszwängen droht damit der Entzug von Produktion und Arbeitsplätzen. Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist es daher, die interne Flexibilität zu steigern oder überhaupt erst zuzulassen. Die wichtigsten Politikfelder sind dann die Lohn-und Arbeitsmarktpolitik, die. Abgabenpolitik, die Technologie-, Forschungs-und Ausbildungspolitik. Diese Perspektive der Wirtschaftspolitik ist aber wiederum so neu nicht -Stichwort: Eurosklerose.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ähnlich äußerten sich Hans-Hagen Härtel vom HWWA-Institut und Lutz Hoffmann (Präsident des DIW) auf einer Konferenz, die das HWWA zum Thema Standortwettbewerb 1994 abgehalten hat. Vgl. Hans-Hagen Härtel, Standort-qualität, Wirtschaftswachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit, in: Erhard Kantzenbach/Otto G. Mayer (Hrsg.), Deutschland im internationalen Standortwettbewerb, Veröffentlichungen des HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung-Hamburg, Bd. 18, Baden-Baden 1994/95, S. 13; Lutz Hoffmann, Der Standort Deutschland im internationalen Vergleich, ebd., S. 47.

  2. Otto G. Mayer, In der Diskussion: Der Standort Bundesrepublik, in: Wirtschaftsdienst, 68 (1988) 3, S. 114.

  3. L. Hoffmann (Anm. 1)

  4. Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Frühjahr 1996 (DIW, HWWA, Ifo, IfW, IWH, RWI), 25. April 1996, S. 14.

  5. Vgl. Institut für Weltwirtschaft (IfW), Thesen zum Kieler Konjunkturgespräch. 53. Kieler Konjunkturgespräch vom 18. /19. März 1996, S. 33 f.

  6. Ebd., S. 34.

  7. BIP in konstanten Preisen von 1990, umgerechnet mit Kaufkraftparitäten von 1992.

  8. Zu den Folgen der Einigung siehe Eckhardt Wohlers, Standort Deutschland und die Folgen der deutschen Einigung, in: E. Kantzenbach/O. G. Mayer (Hrsg.) (Anm. 1), S. 91 ff., sowie das Koreferat hierzu von Manfred Wegner, S. 109 ff.

  9. Vgl. HWWA-Institut, Grenzüberschreitende Produktion und Strukturwandel -Globalisierung der deutschen Wirtschaft, Forschungsauftrag des Bundeswirtschaftsministeriums (Bearbeiter: Hans-Hagen Härtel, Rolf Jungnickel, Christine Borrmann, Dirk Lau, Heiko Feber, Dietmar Keller, Diana Winkler-Büttner), Hamburg, Okt. 1995, S. 206ff„ erscheint demnächst bei Nomos, Baden-Baden.

  10. Vgl. zur Beschäftigung in der EU Heinz König (Hrsg.), Bringt die EU-Beschäftigungsoffensive den Aufschwung? Die deutsche Wirtschaftsforschung nimmt Stellung zum Delors-Weißbuch, Baden-Baden 1994.

  11. Vgl. H. -H. Härtel (Anm. 1), S. 15 f.

  12. Vgl. Norbert Berthold, Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft -Gefahr im Verzug?, Berlin 1992, S. 23.

  13. So auch Erhard Kantzenbach, Deutschland im internationalen Wettbewerb. HWWA-Diskussionspapier Nr. 30, Nov. 1995, S. 6.

  14. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zum wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf im Frühjahr 1996, Sondergutachten vom 27. April 1996, S. 2f.

  15. Vgl. HWWA-Institut (Anm. 9), S. 42 ff.

  16. Vgl. ebd.. Tabelle Al.

  17. Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 1996, S. 28 f.

  18. Vgl. HWWA-Institut (Anm. 9), S. 225 ff.

  19. So die Deutsche Bundesbank (Anm. 17), S. 29 f.

  20. Vgl. IWD (Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft), Deutsche Exporte. Der schöne Schein trügt, 22 (1996) 12, S. 8.

  21. Vgl. auch Jacqueline Rothfels, Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der westdeutschen Industrie -kein einheitliches Bild, in: IWH (Institut für Wirtschaftsforschung Halle), Wirtschaft im Wandel, (1996) 4, S. 5 ff.

  22. Für das Jahr 1995 erwartet das DIW im Außenhandel mit einen leichten die nachdem Südostasien Überschuß, Exporte von 34 Mrd. DM 1992 auf 55 Mrd. 1995 gestiegen sind. Vgl. DIW-Wochenbericht, 63 (1996) 12.

Weitere Inhalte

Otto G. Mayer, Dr. rer. pol., geb. 1943; Studium der Volkswirtschaftslehre und Promotion in Hamburg; Abteilungsleiter im HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung-Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Erhard Kantzenbach) Deutschland im internationalen Standortwettbewerb, Veröffentlichungen des HWWA-Instituts für Wirtschaftsforschung -Hamburg, Bd. 18, Baden-Baden 1994/95; (Hrsg, zus. mit Jörn Kruse) Aktuelle Probleme der Wettbewerbs-und Wirtschaftspolitik, Baden-Baden 1996.