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Sozialpolitik und arbeitsmarktbedingte Armut. Strukturmängel und Reformbedarf in der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit | APuZ 31-32/1995 | bpb.de

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APuZ 31-32/1995 Das empirische Bild der Armut in der Bundesrepublik Deutschland -ein Überblick Sozialpolitik und arbeitsmarktbedingte Armut. Strukturmängel und Reformbedarf in der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit Armut verstehen Betrachtungen vor dem Hintergrund der Bremer Langzeitstudie Was gehört zum notwendigen Lebensstandard und wer kann ihn sich leisten? Ein neues Konzept zur Armutsmessung „Stadt“ als Ort und als Ursache von Armut und sozialer Ausgrenzung

Sozialpolitik und arbeitsmarktbedingte Armut. Strukturmängel und Reformbedarf in der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit

Walter Hanesch

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Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund eines beschleunigten sozialökonomischen Wandels steht das deutsche Sozialstaatsmodell gegenwärtig vor seiner bisher größten Herausforderung. Sie resultiert vor allem aus einem Strukturwandel im Arbeitsmarkt-und Beschäftigungssystem, der mit einer Aktualisierung von materiellen Existenzrisiken von bisher im Nachkriegsdeutschland nicht gekannten Ausmaßen einhergeht. Im Anstieg arbeitsmarktbedingter Einkommensarmut im Sinne von Sozialhilfebedürftigkeit kommt zum Ausdruck, daß die materiellen Folgen von Arbeitslosigkeit im dafür primär zuständigen Sozialleistungssystem der Arbeitslosenversicherung nur höchst unzureichend aufgefangen werden. Der Beitrag untersucht die dafür maßgeblichen Strukturmängel dieses Sicherungssystems und setzt sich mit der Frage auseinander, durch welche Reformstrategien arbeitslosigkeitsbedingte Armut vermieden werden könnte. Als mögliche Optionen werden der Ausbau versicherungsförmiger Lohnersatzleistungen, die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung sowie die Einkommenssicherung für Arbeitslose im Rahmen einer negativen Einkommensteuer erörtert. Da der Ausbau versicherungsförmiger Leistungen wenig zielgenau und daher vergleichsweise teuer ist, scheint unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen ihre Ergänzung durch bedarfsgeprüfte Grundsicherungsleistungen am ehesten geeignet, diesen Zweig des Sozialversicherungssystems „armutsfest“ zu machen. Demgegenüber beinhaltet das Konzept des Bürgergelds als spezielle Variante einer Negativsteuer unter armutspolitischen Gesichtspunkten erhebliche Risiken. Vor allem soweit diese Transferleistung zur Flankierung eines Ausbaus niedrigentlohnter Beschäftigungsverhältnisse dienen soll, wäre davon nicht eine Überwindung, sondern eine weitere Zunahme arbeitsmarktbedingter Armut zu erwarten.

I. Arbeitsmarktbedingte Armut als Herausforderung für das deutsche Sozialstaatsmodell

Charakteristisch für das deutsche Sozialstaatsmodell ist die Verpflichtung, den eigenen Lebensunterhalt und den Unterhalt der Kernfamilie auf der Grundlage von Erwerbsarbeit zu bestreiten. Grundsätzlich hat damit eine Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit Vorrang vor sozialstaatlichen Leistungsansprüchen. Die Funktionsfähigkeit dieses Modells ist an die Voraussetzung eines Arbeitsmarktes gebunden, auf dem eine im Verhältnis zur Zahl der Erwerbsfähigen ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen verfügbar ist, die die Chance zu einer materiell gesicherten Lebensführung bieten. Die Existenz von Vollbeschäftigung und die Sicherung und Erhaltung von existenzsichemden Beschäftigungsverhältnissen am Arbeitsmarkt stellt daher einen zentralen Eckpfeiler für die Aufrechterhaltung dieses Sozialstaatsmodells dar.

Auf dieser Grundlage liegt die Aufgabe der Sozialpolitik im engeren Sinne zum einen darin, das Eintreten allgemeiner Lebensrisiken oder besonderer Notsituationen durch präventive Maßnahmen zu verhindern; zum anderen soll sie bei Ausfall oder unzureichender Höhe des Erwerbseinkommens und/oder beim Auftreten besonderer Bedarfssituationen kompensatorische Geld-, Sach-oder Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Den Kernbereich des deutschen Systems sozialer Sicherung bilden dabei die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung, die eine Absicherung gegenüber allgemeinen Lebensrisiken bereitstellen. Sie gehen von der Idee eines Risikoausgleichs innerhalb von begrenzten Versichertengemeinschaften aus und basieren insbesondere auf den Prinzipien der Äquivalenz und der Solidarität. Charakteristisch für die Lohnersatzleistungen in der Sozialversicherung ist die Anknüpfung am Normalarbeitsverhältnis und die Ausrichtung am Prinzip der Lebensstandardsicherung in Verbindung mit dem Kausalprinzip, wogegen das Bedarfsprinzip kaum zur Geltung kommt. Als notwendige Ergänzung zu den so gestalteten Sozialversicherungssystemen bietet daher -neben weiteren Transferleistungen wie Kindergeld, Wohngeld etc. -die Sozialhilfe eine primär am Bedarfsprinzip ausgerichtete Basis-sicherung. Die Aufgabe dieses letzten Netzes sozialer Sicherung liegt darin, die Teilhabe an einem menschenwürdigen Leben zu garantieren. Da ein Anspruch auf Sozialhilfe nur dann besteht, wenn keine ausreichenden Ressourcen (Einkommen und Vermögen) vorhanden sind, um davon den Lebensunterhalt bestreiten zu können, gilt das Niveau der Hilfe zum Lebensunterhalt im Rahmen der Sozialhilfe als quasi-offizielle Armutsgrenze in der Bundesrepublik. Allerdings ist die Sozialhilfe derzeit immer weniger in der Lage, dieser sozial-staatlichen Aufgabe gerecht zu werden

Das beschriebene Sozialstaatsmodell steht gegenwärtig und in den kommenden Jahren vor bisher nicht gekannten Herausforderungen. Diese sind vor allem auf einen sozialökonomischen Struktur-wandel zurückzuführen, der sich in den beiden letzten Jahrzehnten im alten Bundesgebiet abzeichnet und auch die absehbare Zukunft des neuen Gesamtdeutschlands bestimmen wird. Neben Veränderungen in den privaten Lebensformen ist es vor allem ein Strukturwandel im Arbeitsmarkt-und Beschäftigungssystem, der mit einer Aktualisierung von materiellen Existenzrisiken von bisher im Nachkriegsdeutschland nicht gekannten Ausmaßen einhergeht.

So wird die Gesamtzahl der Erwerbslosen vom Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung derzeit auf sechs bis sieben Millionen Menschen geschätzt Das Problem der Arbeitslosigkeit hat damit eine Größenordnung erreicht, wie sie in Deutschland zuletzt im Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre anzutreffen war. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit ist eine zunehmende Un­ gleichverteilung von Arbeitsmarktrisiken zu beobachten. Sie kommt nicht zuletzt in einer „Strukturalisierung“ von Arbeitslosigkeit, d. h. in der Verfestigung eines „harten Kerns“ von Mehrfach-und Dauerarbeitslosigkeit im alten Bundesgebiet, zum Ausdruck: Während die Zugangsrisiken in die Arbeitslosigkeit nach wie vor relativ breit streuen, konzentriert sich das Risiko des Verbleibs in Arbeitslosigkeit in zunehmendem Maße auf soge-nannte Problemgruppen des Arbeitsmarktes. Je länger die Beschäftigungskrise anhält, um so geringer werden für diese Gruppen die Chancen, einen Zugang zu regulärer Erwerbsarbeit zu finden; um so größer wird das Risiko, dauerhaft am Arbeitsmarkt ausgegrenzt und auf staatliche Transferleistungen verwiesen zu sein.

Im Gefolge dieser Entwicklung hat das Problem der arbeitsmarktbedingten Armut im Sinne von Sozialhilfebedürftigkeit dramatische Ausmaße angenommen. Das System der Arbeitslosenversicherung scheint immer weniger in der Lage, eine sozialstaatlich angemessene Schutzfunktion gegenüber materiellen Folgen von Arbeitslosigkeit wahrnehmen zu können: Zum einen verbleibt ein beträchtlicher Teil der registrierten Arbeitslosen während der gesamten Dauer oder in bestimmten Phasen der Arbeitslosigkeit ohne materielle Sicherungsleistungen. Fehlende oder auslaufende Ansprüche auf Lohnersatzleistungen sind zudem ein wichtiger Grund dafür, daß Erwerbslose darauf verzichten, sich als Arbeitslose registrieren zu lassen und sich in die sogenannte „Stille Reserve“ zurückziehen. Zum anderen liegen die ausgezahlten Lohnersatz-leistungen zum Teil unter dem Niveau der Hilfe zum Lebensunterhalt, was zur Folge hat, daß eine zunehmende Zahl von Erwerbslosen ergänzende Sozialhilfeleistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts in Anspruch nehmen muß.

Zwar erlaubt zumindest die Höhe des bezogenen Arbeitslosengelds noch keine Rückschlüsse auf die Höhe des gesamten verfügbaren Einkommens von Arbeitslosenhaushalten; können doch die unzureichenden AFG-Leistungen durch Einkommen anderer Haushaltsmitglieder oder durch Ansprüche auf weitere Sozialleistungen wie Wohn-und Kindergeld aufgestockt werden. Dennoch ist festzustellen, daß seit Anfang der 80er Jahre die Zahl der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt dramatisch gestiegen ist, wobei sich Arbeitslosigkeit zur Hauptursache des Sozialhilfebezugs entwickelt hat. Insgesamt lag der Anteil der Erwerbslosen im Sozialhilfebezug im alten Bundesgebiet Anfang der 90er Jahre bei rund 13 Prozent. Betrachtet man die gesamte Dauer der jeweiligen Arbeitslosigkeitsphase, haben ca. 17 Prozent der Arbeitslosen im Laufe ihrer Arbeitslosigkeit zumindest zeitweilig Sozialhilfe bezogen Der Strukturwandel des Arbeitsmarktes drückt sich jedoch nicht allein im Umfang und in der Verteilung der Arbeitslosigkeit aus, sondern erfaßt in zunehmendem Maße auch diejenigen, die im Beschäftigungssystem (noch oder wieder) integriert sind. Flankiert durch eine Politik der schrittweisen Deregulierung des Arbeitsrechts gewinnen Bestrebungen der Arbeitgeber an Bedeutung, die Schutzwirkungen des bisherigen Tarifvertragssystems einzuschränken und eine weitere Ausdifferenzierung der Lohnstruktur nach unten durchzusetzen (z. B. durch die Vereinbarung von Öffnungsklauseln in Tarifverträgen für bestimmte Regionen und Gruppen). Als Folge davon wächst die Gefahr, daß das in der Bundesrepublik bisher kaum existente Problem der Armut bei Erwerbstätigkeit künftig an Verbreitung gewinnt Dazu dürfte auch beitragen, daß der Anteil der Beschäftigten zurückgeht, die in einem unbefristeten Vollzeitbeschäftigungsverhältnis mit vollem arbeits-, tarif-und sozialrechtlichen Schutz tätig sind; umgekehrt nimmt der Anteil derer zu, die in atypischen und häufig zugleich prekären Formen der Erwerbsarbeit beschäftigt sind. Das armutspolitische Risiko der darin zum Ausdruck kommenden „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ liegt darin, daß in diesen Beschäftigungsformen die Verbindung von Erwerbsarbeit und einer auskömmlichen Existenzsicherung vielfach in Frage gestellt ist. Da zumeist keine oder keine ausreichenden Ansprüche auf Lohnersatzleistungen erworben werden konnten, tritt das Verarmungsrisiko vor allem dann auf, wenn eine Unterbrechung oder Beendigung der Erwerbstätigkeit eintritt. Wenngleich somit auch das Problem der Armut bei Erwerbstätigkeit zunehmend an Bedeutung zu gewinnen droht, soll im folgenden die unzureichende Absicherung des Armutsrisikos beim Eintreten von Arbeitslosigkeit im Mittelpunkt stehen. Ausgehend von einem Überblick über Strukturmängel der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit sollen alternative Reformstrategien für einen Ausbau des sozial-staatlichen Schutzstandards erörtert werden. Die Analyse konzentriert sich dabei auf Konstruktionsprinzipien der sozialen Sicherung, dennoch bleibt zu beachten, daß erst die Gesamtheit der verfügbaren Einkommen eines Haushalts Rückschlüsse auf die materielle Lage und den Armutsstatus eines Haushalts zuläßt.

II. Strukturmängel der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit und arbeitsmarktbedingte Armut

Welches sind die Ursachen dafür, daß die Arbeitslosenversicherung in zunehmendem Maße Sicherungsdefizite aufweist und eine wachsende Zahl von Arbeitslosenhaushalten auf die Leistungen der Sozialhilfe angewiesen ist?

Erstens: Die Lohnersatzleistungen der Arbeitslosenversicherung -insbesondere Arbeitslosengeld und -hilfe -sind an eine Reihe von Voraussetzungen gebunden; sind diese nicht erfüllt, kann kein Anspruch geltend gemacht werden. Neben dem Tatbestand der Arbeitslosigkeit, der Arbeitslosmeldung beim Arbeitsamt und der Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt müssen vor allem bestimmte Mindestzeiten einer Beitragszahlung als Anwartschaftszeit nachgewiesen werden. Ein Leistungsanspruch auf Arbeitslosenhilfe besteht allerdings nur bei Bedürftigkeit des Antragstellers; insofern liegt hier eine spezifische Verbindung von versicherungs-und fürsorgerechtlichen Anforderungen vor. Die Existenz von Anwartschaftszeiten im Arbeitsförderungsgesetz (AEG) hat zur Folge, daß Arbeitslose ohne bzw. mit zu kurzen Zeiten versicherungspflichtiger Beschäftigung über keine Leistungsansprüche verfügen; sie sind arbeitslos ohne jegliche Arbeitslosenunterstützung. Die ergänzende Voraussetzung der Bedürftigkeit bewirkt, daß beim Übergang in die Arbeitslosenhilfe ein weiteres Aussteuerungsprinzip in Kraft tritt. Vor allem viele weibliche Arbeitslose verlieren dadurch spätestens beim Auslaufen des Arbeitslosengelds einen Anspruch auf weitere Arbeitslosenunterstützung.

Zweitens: Die Ausgestaltung der Lohnersatzleistungen im AEG wird vor allem durch das Äquivalenzprinzip bestimmt: So sind Höhe und Dauer des Arbeitslosengeldes direkt an Höhe und Dauer der früheren Beitragszahlungen gekoppelt (die maximale Leistungsdauer von einem Jahr erhöht sich für ältere Arbeitslose bei entsprechend langer Beitragszahlung auf bis zu 32 Monate). Im Falle der Arbeitslosenhilfe existiert eine Koppelung an die frühere Beitragsleistung nur hinsichtlich der Höhe der Leistung, während die Leistungsdauer bei der Anwartschafts-Arbeitslosenhilfe (seit 1994) ein Jahr beträgt und bei der Anschluß-Arbeitslosenhilfe unbegrenzt ist. Die Höhe der Leistungen bemißt sich prozentual am früheren Nettoeinkommen. Die im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 eingeführte selektive Absenkung der Leistungssätze für Erwerbslose ohne Kinder wie auch die 1994 erneut vorgenommene Absenkung der Lohnersatzleistungen auf breiter Front (Arbeitslosengeld von 68 bzw. 63 Prozent auf 67 bzw. 60 Prozent; Arbeitslosenhilfe von 58 bzw. 56 Prozent auf 57 bzw. 53 Prozent) haben bewirkt, daß von einer Lebensstandardsicherung durch die AFG-Lohnersatzleistungen heute kaum mehr gesprochen werden kann. Hinzu kommt, daß sich die Leistungssätze nicht auf das tatsächliche, sondern auf das „bereinigte“ Nettoeinkommen beziehen, bei dem bestimmte Einkommens-bestandteile unberücksichtigt bleiben. Insgesamt spiegelt die Struktur der Lohnersatzleistungen die Berufs-und Einkommenspyramide im Beschäftigungssystem weitgehend wider; sie wird somit geprägt von der Primärverteilung der abhängigen Erwerbseinkommen. Wegen des Verzichts auf eine bedarfsorientierte Gestaltung der Leistungen kann dadurch für ehemalige Bezieher niedriger Erwerbseinkommen bereits beim Bezug von Arbeitslosengeld ein Absinken des Lebensstandards unter die Armutsgrenze auftreten und Sozialhilfebedürftigkeit entstehen -vor allem dann, wenn besondere Bedarfstatbestände vorliegen. Lediglich in den neuen Bundesländern wurde als Übergangsregelung bis zum Aufbau einer leistungsfähigen Sozialhilfeverwaltung im Zeitraum von 1990 bis 1995 ein sogenannter Sozialzuschlag eingeführt, durch den das Eintreten von Sozialhilfebedürftigkeit vermieden werden sollte. Allerdings war dieser Sozialzuschlag so unzulänglich ausgestaltet, daß eine Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts dadurch nicht gewährleistet war.

Drittens: Die Tatsache, daß das Leistungssystem der Arbeitslosenunterstützung zweigeteilt und abgestuft ist, hat zur Folge, daß nach Auslaufen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld mit dem Übergang in die Arbeitslosenhilfe die reduzierten Leistungssätze und die ergänzende Bedürftigkeitsprüfung das Risiko verschärfen, auf ein unzureichendes Versorgungsniveau zurückgestuft oder gar völlig aus dem Leistungssystem der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert zu werden. Mit wachsender Dauer der individuellen Arbeitslosigkeit und/oder mit dem Auftreten wiederholter Arbeitslosigkeit sinkt also auch der Schutz des AFG gegenüber arbeitslosigkeitsbedingten Verarmungsrisiken. Zudem besitzt die Arbeitsverwaltung bei Langzeitarbeitslosen die Möglichkeit, die Berechnungsgrundlage der Arbeitslosenhilfe abzusenken, indem nicht mehr das frühere Erwerbs-einkommen zugrunde gelegt wird, sondern dasEinkommen, das der Arbeitslose auf dem Arbeitsmarkt erzielen könnte.

Viertens: Die Lohnersatzleistungen des AFG sind insbesondere an die Bedingung geknüpft, daß Leistungsempfänger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und bereit sind, eine zumutbare Arbeit anzunehmen oder an zumutbaren beruflichen Beschäftigungs-oder Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Das Gebot des vorrangigen Einsatzes der eigenen Arbeitskraft zum Einkommens-erwerb wird hierbei durch Regelungen zum Schutze des erworbenen beruflichen Status modifiziert (im Unterschied zum Leistungssystem der Sozialhilfe, wo ein solcher Berufsschutz weitgehend aufgehoben ist). Allerdings sind die Regelungen zur Verfügbarkeit und Zumutbarkeit seit Beginn der gegenwärtigen Arbeitsmarktkrise mehrfach verschärft worden, so daß auch hier von einem Berufsschutz nur in sehr eingeschränktem Sinne gesprochen werden kann.

Insgesamt führen die genannten Konstruktionsprinzipien der Arbeitslosenversicherung dazu, daß eine weitgehende materielle Absicherung nur für die Kemgruppe der ehemals besserverdienenden, langjährig beschäftigten Arbeitnehmer in Normal-arbeitsverhältnissen erreicht wird, während Angehörige der Randbelegschaften bzw.der sogenannten Problemgruppen des Arbeitsmarktes entweder überhaupt keine Ansprüche besitzen oder durch ein (absolut) niedriges Leistungsniveau auf armutsnahe Lebenslagen verwiesen sind. Benachteiligte Positionen im Beschäftigungssystem werden also in der Arbeitslosenversicherung lediglich reproduziert: Je niedriger die ursprüngliche Stellung in der Berufs-und Einkommenshierarchie, je kürzer die vorangegangene Zeit der Erwerbstätigkeit, je länger die individuelle Dauer der Arbeitslosigkeit und je häufiger der erzwungene Wechsel zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit, desto größer wird das Risiko, mit Einkommensarmut konfrontiert zu werden.

Von diesen Ausgrenzungsprozessen in der Arbeitslosenversicherung sind wiederum die gleichen Gruppen in besonderem Maße betroffen, die bereits im Arbeitsmarkt-und Beschäftigungssystem überdurchschnittlich hohe Beschäftigungsrisiken tragen. Insofern wirken Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung bei der Erzeugung und Verfestigung von Armutskarrieren durch Arbeitslosigkeit in fataler Weise zusammen. Nur wer auf der Basis eines Normalarbeitsverhältnisses eine qualifizierte und vergleichsweise gut bezahlte Tätigkeit ausübt und eine „normale“, das heißt ununterbrochene Erwerbsbiographie aufweist, kann beim Eintreten von allgemeinen Existenzrisiken davon ausgehen, einen ausreichenden Schutz zu finden. Alle anderen Gruppen -und dazu zählen in besonderem Maße Frauen und Ausländer -sind nur höchst unzureichend geschützt und laufen aufgrund weitgehend fehlender Mindestsicherungselemente Gefahr, beim Eintritt des Risikofalls Verarmungsprozesse hinnehmen zu müssen. Durch die sich abzeichnende Erosion des Normal-arbeitsverhältnisses wird das Fundament der Arbeitslosenversicherung (wie auch des Gesamtsystems der Sozialversicherung) zunehmend schmaler. Es wächst die Zahl derer, die keinen ausreichenden Schutz in der Sozialversicherung erhalten und die beim Eintreten allgemeiner Existenzrisiken auf Sozialhilfe verwiesen sind.

Die Arbeitslosenversicherung ist folglich keineswegs in der Lage, alle Erwerbslosen vor den materiellen Folgen der Arbeitslosigkeit zu schützen: Ihre strukturellen Konstruktionsmängel bewirken vielmehr, daß in der aktuellen Phase anhaltender Massenarbeitslosigkeit in Verbindung mit der Ausbreitung atypischer Beschäftigungsformen für wachsende Teilgruppen der Erwerbsfähigen die mit der Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt verbundenen existentiellen Risiken durch Lohnersatz-leistungen nur unzureichend kompensiert werden. Diese aus der versicherungsförmigen Struktur resultierenden Konstruktionsmängel wurden im Verlauf der gegenwärtigen Beschäftigungskrise durch wiederholte politische Eingriffe in das Leistungsrecht des Arbeitsförderungsgesetzes verstärkt.

III. Ansatzpunkte für eine Reform der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit

Indem durch die Lohnersatzleistungen der Arbeitslosenversicherung Benachteiligungen am Arbeitsmarkt tendenziell reproduziert werden, kann für bestimmte Gruppen von Arbeitslosen keine ausreichende Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos erreicht werden. Vor allem das Eintreten von Arbeitslosigkeit beim Berufsanfang oder beim Wiedereinstieg in das Berufsleben, Arbeitslosigkeit bei randständigen Positionen im Beschäftigungssystem sowie schließlich Dauer-und Mehrfacharbeitslosigkeit sind typische Problemkonstellationen, die im vorhandenen Sicherungssystem nicht oder doch nur höchst unzulänglich aufgefangen werden.Anspruch und Aufgabe des bestehenden Systems der Sozialversicherung liegen darin, allgemeine, standardisierbare Lebensrisiken im Rahmen des jeweils zuständigen Sicherungszweigs in vollem Umfang abzudecken. Lediglich in besonderen, nichtstandardisierbaren Not-und Bedarfslagen soll ersatzweise oder ergänzend das letzte Netz der Sozialhilfe zur Verfügung stehen. Bei einer zunehmenden Zahl von Personen, die keinen bzw. keinen ausreichenden Schutz im Leistungssystem der Arbeitslosenversicherung finden, wird dieser Anspruch nicht mehr eingelöst. Damit stellt sich die Frage, durch welche Reformmaßnahmen die soziale Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung (wieder-) hergestellt werden kann. Ausgehend von dieser Zielsetzung sind grundsätzlich zwei Reform-strategien denkbar: Zum einen können die bestehenden Lohnersatzleistungen selbst umgestaltet bzw. ausgebaut werden (Ausbau der versicherungsrechtlichen Lohnersatzleistungeu). Zum anderen wird von verschiedenen Seiten die Einführung einer Mindest-oder Gruhdsicherung innerhalb der (Renten-und) Arbeitslosenversicherung vorgeschlagen (Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung in der Arbeitslosenversicherung). Diesen beiden Reformvarianten soll ein gegenübergestellt werden, durch den dritter Ansatz eine Absicherung im Rahmen eines grundlegend reformierten letzten Netzes sozialer Sicherung vorgeschlagen wird (Ersetzung der Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine negative Einkommensteuer). 1. Ausbau der versicherungsrechtlichen Lohnersatzleistungen Die erstgenannte Strategie setzt darauf, über den Ausbau der versicherungsrechtlichen Lohnersatz-leistungen -insbesondere Arbeitslosengeld und -hilfe -eine effektive Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos zu erreichen. Will man die im Leistungsrecht des AFG vorhandenen Strukturmängel und Aussteuerungsmechanismen zumindest teilweise abbauen, sind insbesondere folgende Reformschritte von Bedeutung, mit denen die im bisherigen Verlauf der Arbeitsmarktkrise vorgenommenen Leistungseinschnitte im AFG z. T. zurückgenommen würden:

Erstens: Der Zugang zu Arbeitslosengeld und -hilfe durch Verringerung der Mindestanwartschaften und Verlängerung der Rahmenfristen für diese beiden Lohnersatzleistungen müßte erleichtert werden. Durch eine Verkürzung der Anwartschaftszeiten beim Arbeitslosengeld und bei der originären Arbeitslosenhilfe würden die Zugangs-möglichkeiten in den Leistungsbereich der Arbeitslosenversicherung für jugendliche Berufseinsteiger, für berufliche Wiedereinsteiger -insbesondere für Frauen und Mehrfacharbeitslose -verbessert. Eine Verlängerung der Rahmenfristen würde vor allem denjenigen zugute kommen, die nach einer zeitweiligen Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen. Allerdings bliebe bei diesen Reformschritten eine freilich zahlenmäßig geringere Gruppe von Arbeitslosen vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Selbst bei einer völligen Aufhebung der Anwartschaftsregelung bliebe der freie Zugang zu Lohnersatzleistungen solange ohne Folgen, wie nicht auch die übrigen Leistungsvoraussetzungen mitverändert würden.

Zweitens: Eine Verbesserung des AFG-Schutzstandards würde auch durch eine Verlängerung der Leistungsdauer beim Arbeitslosengeld und die Aufhebung der seit 1994 neu eingeführten Befristung bei der originären bzw. Anwartschafts-Arbeitslosenhilfe erreicht. Durch Ausweitung der Leistungsdauer beim Arbeitslosengeld würde den Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt, bei entsprechenden Beitragszeiten länger im besseren Schutzstandard des Arbeitslosengeldbezugs verbleiben zu können. Der Übergang in die Arbeitslosenhilfe würde zumindest zeitlich hinausgeschoben. Durch die Wiederherstellung der unbefristeten Leistungsdauer in der Arbeitslosenhilfe soll dagegen verhindert werden, daß Arbeitslose allein wegen des Auslaufens ihres Leistungsanspruchs aus dem Leistungsbereich der Arbeitslosenversicherung herausfallen. Empfänger der Anwartschafts-Arbeitslosenhilfe blieben ebenso wie Bezieher der Anschluß-Arbeitslosenhilfe anspruchsberechtigt, solange die Arbeitslosigkeit anhält und sie die Bedingungen der Leistungsgewährung erfüllen. Darüber hinaus sollte die Praxis der Herabstufung des Arbeitslosenhilfeniveaus bei Langzeitarbeitslosen durch gezielte Förder-und Integrationsangebote ersetzt werden. Schließlich sollten der Bedürftigkeitsprüfung regelmäßig an die allgemeine Einkommensentwicklung angepaßte Freibeträge zugrunde gelegt werden.

Drittens: Der Höhe der Lohnersatzleistungen kommt entscheidende Bedeutung im Hinblick darauf zu, inwieweit durch Arbeitslosengeld oder -hilfe eine Lebensstandardsicherung garantiert und zugleich ein Absinken unter die Sozialhilfe-schwelle vermieden werden kann. Generell kann durch den bisherigen Verzicht auf eine bedarfsorientierte Ausgestaltung der Leistungshöhe das Verarmungsrisiko durch die Arbeitslosenversicherung nicht ausgeschlossen werden. Durch die Absenkung der Leistungssätze ist dieses Risiko jedoch zusätzlich verschärft worden. Ihre Wiederanhe-bung -auf welches Niveau auch immer -würde insofern die Gefahr materieller Notlagen durch Arbeitslosigkeit zumindest verringern. Unabhängig davon sollten der Bemessung der Lohnersatz-leistungen grundsätzlich alle Lohn-und Gehaltsbestandteile zugrunde gelegt werden, um die bisher existierende Ungleichbehandlung unterschiedlicher Entlohnungsformen zu korrigieren und die damit einhergehende versteckte Leistungssenkung zurückzunehmen.

Viertens: Notwendig ist eine Überprüfung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen und Leistungsbedingungen sowie der Angemessenheit des am Leistungsbezug ansetzenden Sanktionskatalogs. Da sich -entgegen weitverbreiteten Befürchtungen -in empirischen Untersuchungen wie auch im Rahmen der verschärften Mißbrauchskontrollen durch die Arbeitsämter ein Schwinden der Arbeitsbereitschaft bei Arbeitslosen in größerem Umfang nicht nachweisen läßt, wäre eine Lockerung der heutigen restriktiven Bedingungen ohne negative Folgen für Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung realisierbar. So könnte etwa ein Übergang zu einer wöchentlichen Verfügbarkeit, die Einführung bzw. Erweiterung fiktiver Verfügbarkeitstatbestände wie auch ein verbesserter Berufs-und Statusschutz vorgesehen werden.

Mit den angesprochenen Reformmaßnahmen ist sicherlich nicht die gesamte Palette möglicher bzw. notwendiger Korrekturen bei den AFG-Lohnersatzleistungen benannt; vielmehr wurden nur die wichtigsten Stellgrößen für das Niveau sozialen Schutzes bei Arbeitslosengeld und -hilfe hervorgehoben. Die Rückkehr zu früher bestehenden Regelungen durch Zurücknahme der inzwischen erfolgten Leistungskürzungen oder auch die Ausweitung des ursprünglichen Schutzstandards durch weiterreichende Leistungsverbesserungen müßten allerdings -wenn Ungerechtigkeiten vermieden werden sollen -in einem Zuge erfolgen. Denn jede Maßnahme würde bestimmte Aspekte der gegenwärtig bestehenden Leistungsmängel korrigieren und damit zugleich jeweils bestimmte Gruppen von potentiellen und/oder tatsächlichen Leistungsbeziehern besserstellen. Bei Durchführung der gesamten Palette von Maßnahmen muß bedacht werden, daß jede einzelne dieser Maßnahmen vergleichsweise teuer wäre, da Verbesserungen des Leistungsstandards in der Regel einem breiten Personenkreis zugute kämen. Das gilt vor allem beim rein kausal ausgerichteten Arbeitslosengeld, für die Arbeitslosenhilfe dagegen nur mit Einschränkungen, da diese Leistung ja einkommens-abhängig gewährt wird. Dennoch wäre auch bei einer Reform unter Einbeziehung sämtlicher genannter Elemente nicht sichergestellt, daß tatsächlich alle dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Gruppen von Erwerbslosen in ausreichendem Umfang abgesichert sind. Dies ließe sich nur dann erreichen, wenn allen Arbeitslosen ein dauerhafter Leistungsanspruch eingeräumt würde und die Leistungen bedarfsorientiert ausgestaltet würden. Eine solche Reform wäre allerdings mit dem Äquivalenzprinzip als Rückgrad der deutschen Sozialversicherung kaum zu vereinbaren. Vieles spricht daher dafür, die bestehenden Versicherungsleistungen durch eine weitere, auf anderen Prinzipien basierende Leistung zu ergänzen. 2. Bedarfsorientierte Grundsicherung in der Arbeitslosenversicherung Seit mehr als einem Jahrzehnt werden in der Bundesrepublik Vorschläge zu einer Grundsicherung im Rahmen der Arbeitslosenversicherung diskutiert Grundsätzlich sieht dieser Ansatz vor, eine bedarfsorientierte Sockelung des sozialen Sicherungssystems im Vorfeld der heutigen Sozialhilfe einzuführen, wobei -zumindest als ein erster Schritt -in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung die bisher bestehenden versicherungsrechtlichen Lohnersatzleistungen durch bedarfsbezogene, d. h. einkommensabhängige und zugleich bedarfsdeckende Grundsicherungsleistungen zu ergänzen sind. Damit soll sichergestellt werden, daß die Zuständigkeit für die Absicherung allgemeiner Lebensrisiken systemgerecht bei dem jeweiligen Sozialversicherungszweig verbleibt und eine Ausgrenzung in die Sozialhilfe verhindert oder zumindest erschwert wird. Soll allerdings vermieden werden, daß mit der Grundsicherung zwei letzte Netze sozialer Sicherung nebeneinander existieren, muß die Grundsicherung innerhalb derSozialversicherung mit der -bedarfsgerecht weiterzuentwickelnden -Hilfe zum Lebensunterhalt in Niveau und Vergabebedingungen harmonisiert werden.

Die Einführung einer solchen integrierten bedarfs-bezogenen Grundsicherung würde eine Erweiterung und Ergänzung der bisherigen Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung (wie auch der Rentenversicherung) bedeuten und damit zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit dieses Sicherungssystems beitragen. Die Grundsicherung sollte, da sie mit Versicherungs-und Äquivalenzprinzip nicht zu vereinbaren ist, generell aus Steuermitteln finanziert werden, dadurch würden also der Arbeitslosenversicherung bzw.den Beitragszahlem keine zusätzlichen Lasten aufgebürdet. Und da sämtliche Modelle davon ausgehen, daß die finanzielle Zuständigkeit für eine solche nationale Grundsicherungsleistung beim Bund liegen sollte, würden die Kommunen im Bereich der Kosten der Hilfe zum Lebensunterhalt entlastet. Der Anreiz für den Bund, durch Leistungskürzungen in der Arbeitslosenversicherung Teilgruppen von Arbeitslosen in die Sozialhilfe auszusteuern und damit die finanziellen Lasten auf die Kommunen abzuwälzen, wäre aufgehoben. Dies gilt freilich nur dann, wenn Leistungsniveau und Leistungsbedingungen einer Grundsicherung im AEG mit der Grundsicherung im Bereich der Sozialhilfe harmonisiert wären und der Bund generell die finanziellen Lasten dieses letzten Netzes sozialer Sicherung zu tragen hätte.

Welche Gruppen allerdings in welchem Maße von der Einführung einer solchen Grundsicherung im Vergleich zum Status quo profitieren würden, hängt von der konkreten Ausgestaltung einer solchen Leistung ab, insbesondere von Modellvariablen wie Höhe und Struktur der Grundsicherungsleistung, Anspruchsvoraussetzungen, Anrechnung vorhandenen Einkommens und Vermögens, Definition der Bezugseinheit und Regelung der Familiensubsidiarität. Tatsächlich existieren große Unterschiede zwischen den verschiedenen Modell-varianten, die in derartigen Detailfragen angelegt sind. Letztlich würde erst eine deutliche Anhebung des Leistungsniveaus, aber auch ein gegenüber der heutigen Sozialhilfe „liberalisierter“ Modus der Leistungsgewährung eine -über die veränderte administrative Zuordnung hinausgehende -substantielle Besserstellung der bisher auf Hilfe zum Lebensunterhalt Angewiesenen zur Folge haben. Auch wenn eine solche Reform nicht umsonst zu haben ist, würden sich wegen der bedarfsorientierten Ausgestaltung die zusätzlichen Kosten in überschaubaren Grenzen halten.

Eine Strategie zur Verbesserung der sozialen Absicherung bei Arbeitslosigkeit über einen Ausbau der Lohnersatzleistungen hat in der öffentlichen Auseinandersetzung um Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarktpolitik zumindest in den letzten Jahren kaum eine Rolle gespielt. Der Vorteil einer solchen Strategie liegt darin, daß es sich bei diesen Leistungen um das klassische Instrumentarium der Sozialversicherung handelt. Eine Ausweitung bzw. Wiederherstellung des Schutzstandards kann sich somit auf die systemgerechte Schutzfunktion dieses Leistungssystems -der Sicherung des Lebensstandards bei Eintritt des Arbeitslosigkeitsrisikos -berufen. Der Nachteil liegt in den hohen Kosten bei vergleichsweise geringer Zielgenauigkeit. Demgegenüber sichert die bedarfsbezogene Ausrichtung der Grundsicherung den zielgenauen Einsatz eines begrenzten Volumens einzusetzender Mittel; allerdings um den Preis, daß die Sozialversicherungszweige, die ja auch bisher schon nicht nur „reine“ Versicherungsleistungen umfaßten, noch stärker finalisiert werden. Geht man davon aus, daß künftig die finanziellen Handlungsspielräume für Transferleistungen enger werden, scheint es sozialstaatlich angemessen, der Forderung nach einer bedarfsbezogenen Grundsicherung gegenüber dem Ausbau der „reinen“ Versicherungsleistungen höhere Priorität einzuräumen.

Auch wenn durch die ergänzende Einführung einer Grundsicherung in der Arbeitslosenversicherung wie auch in den anderen Zweigen der Sozialversicherung künftig das Gewicht einkommensabhängiger Transfers verstärkt werden sollte, darf das Ziel der Lebensstandardsicherung, das die Ausgestaltung der bestehenden Sozialversicherung bisher bestimmt hat, nicht ohne Not preisgegeben werden. Die Beschränkung des Sozialstaates ausschließlich auf Leistungen an die Bedürftigsten bzw. auf Grundsicherungselemente scheint mir weder von den aktuellen Problemstellungen noch von den künftigen Herausforderungen her gerechtfertigt zu sein. Insofern bliebe eine derartige bedarfsorientierte Grundsicherung lediglich ein sozialstaatlich angemessener „Unterstock“ des Systems sozialer Sicherung im allgemeinen und der Arbeitslosenversicherung im besonderen.

Solange sich allerdings die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses fortsetzt und die Massenarbeitslosigkeit weiter anhält, bleibt das Problem bestehen, daß die Zahl derer weiter zunehmen wird, die im Falle von Arbeitslosigkeit zwar im Zuständigkeitsbereich der Arbeitslosenversicherung verbleiben, jedoch ausschließlich oder doch sehr weitgehend auf die Grundsicherung angewiesen bleiben. Ein zunehmender Bedeutungsverlust derVersicherungsleistungen wäre damit nicht korrigiert. Während das Ziel der Lebensstandardsicherung mehr und mehr in den Hintergrund träte, bliebe zumindest der Schutz vor Einkommens-armut gewahrt. Insofern kann die Einkommens-sicherung im Rahmen der bedarfsorientierten Grundsicherung im Verhältnis zum Arbeitsmarkt lediglich ergänzenden Charakter haben; vorrangig gefordert bleiben Strategien der Arbeitsmarktintegration. 3. Exkurs; Einkommenssicherung für Arbeitslose im Rahmen der negativen Einkommensteuer Stand in der bisherigen Darstellung das Postulat im Vordergrund, eine ausreichende Absicherung des Arbeitslosigkeitsrisikos „systemgerecht“ im zuständigen Zweig des Sozialversicherungssystems sicherzustellen, so soll im folgenden eine weitere Reformvariante vorgestellt werden, mit der eine solche Absicherung in einem grundlegend reformierten letzten Netz vorgeschlagen wird. Einen solchen Reformansatz, der in jüngster Zeit in Wissenschaft und Politik auf zunehmendes Interesse gestoßen ist, stellt die sogenannte negative Einkommensteuer dar. Charakteristisches Element einer solchen Negativsteuer ist eine Integration des Steuer-und des Transfersystems, wobei eine einkommensabhängige Grundsicherungsleistung rechtlich und administrativ mit der heutigen Einkommensteuer verknüpft werden soll. Nicht zuletzt die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts an die Bundesregierung, das sozialhilferechtliche Existenzminimum bis spätestens Anfang 1996 von der Einkommensbesteuerung freizustellen, hat der Diskussion zu diesem Ansatz neuen Auftrieb gegeben.

Grundsätzlich lassen sich mit einer negativen Einkommensteuer durch jeweils unterschiedliche Ausgestaltung der Modelle sehr verschiedene Ziele verfolgen. Entscheidend für eine Bewertung unter dem Gesichtspunkt der sozialpolitischen Schutzfunktion sind daher -ähnlich wie im Falle der bedarfsbezogenen Grundsicherung -die konkreten Modellparameter wie Höhe und Struktur der Grundsicherungsleistung, Höhe des Anrechnungssatzes, Definition der Bezugseinheit, Abgrenzung der anzurechnenden Einkommen, Berücksichtigung besonderer Bedarfe, Koppelung des Transferanspruchs an weitere Voraussetzungen, Art und Umfang der dadurch zu ersetzenden Sozialleistungen etc.

Als eine spezielle Form der Negativsteuer wird derzeit vor allem von seiten der FDP ein sogenanntes Bürgergeld propagiert; ein vergleichbarer Ansatz hat aber auch im neuen Grundsatzprogramm der CDU seinen Niederschlag gefunden. Bei diesem Bürgergeld handelt es sich um die modifizierte Form eines Mitte der achtziger Jahre entwickelten Vorschlags des Kronberger Kreises Bei diesem Modell wird zum einen das Ziel verfolgt, ein möglichst einfaches und transparentes System von Steuern und Transferleistungen herzustellen; zugleich soll das Bürgergeld bei Arbeitslosen, die bisher auf Sozialhilfe angewiesen sind, die Bereitschaft stärken, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Unter Verzicht auf den Nachweis der Arbeitsbereitschaft soll dieses Ziel insbesondere durch einen niedrigen Anrechnungssatz für Erwerbseinkommen auf die Negativsteuer erreicht werden. Daß der Armutsbekämpfung bzw. Existenzsicherung dabei nur ein nachrangiger Stellenwert eingeräumt wird, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß die Höhe des Bürgergelds am heutigen Niveau der Hilfe zum Lebensunterhalt orientiert ist. Das Bürgergeld ist als Ersatz für Kindergeld, Kinderfreibeträge und Erziehungsgeld, BAföG, Wohngeld, Sozial-und Arbeitslosenhilfe sowie steuerfinanzierte Beitrags-zuschüsse zu sozialen Sicherungssystemen vorgesehen und soll damit wesentliche Teile des bestehenden Sozialleistungssystems ersetzen. Tatsächlich würde bei dieser Variante einer Negativsteuer durch die Kombination von niedrigem Leistungsniveau und niedrigem Anrechnungssatz nicht nur ein Anreiz, sondern ein faktischer Zwang ausgeübt, durch eine -auch noch so gering bezahlte -Erwerbsarbeit den Lebensstandard auf ein auskömmliches Niveau aufzustocken. Eine Prüfung der Arbeitsbereitschaft wäre daher nicht erforderlich. Indem das Leistungsniveau gegenüber der heutigen Hilfe zum Lebensunterhalt unverändert bliebe, würde eine Verbesserung gegenüber dem Status quo lediglich in Form erweiterter Zuverdienstmöglichkeiten unter Wegfall der Arbeitspflicht eintreten (Reformen, die man im Prinzip auch in der heutigen Sozialhilfe einführen könnte).

Der Vorrang der arbeitsmarkt-und beschäftigungspolitischen Zielsetzung der Negativsteuer wird am pointiertesten von Fritz W. Scharpf formuliert: Er plädiert dafür, eine solche Transferlei­ stung dafür einzusetzen, niedrig entlohnte Formen der Erwerbsarbeit für Erwerbslose dadurch attraktiver zu machen, daß diese Niedriglöhne durch die Negativsteuer aufgestockt werden. Auch dieses Modell geht von einem niedrigen Transferniveau und einem niedrigen Anrechnungssatz (50 Prozent) aus. Scharpf erhofft sich davon eine Expansion eines Niedriglohn-Beschäftigungssektors nach US-amerikanischem Vorbild. Als Voraussetzung hierfür sollten die Gewerkschaften darauf verzichten, in diesem Beschäftigungssegment existenz-sichernde Arbeitseinkommen einzufordern oder gar tariflich festzuschreiben; die Existenzsicherung würde statt dessen durch die Negativsteuer sichergestellt.

In einer kritischen Würdigung dieses Konzepts, das bei den politischen Parteien auf beträchtliche Resonanz gestoßen ist, habe ich zusammen mit Gerhard Bäcker darauf hingewiesen, daß der von Scharpf propagierte Niedriglohnsektor kaum eindeutig eingrenzbar wäre; vielmehr bestünde die Gefahr, daß zunehmend weitere Branchen und Sektoren dahin tendierten, die Segnungen dieser indirekten Lohnsubvention in Anspruch zu nehmen -sei es auf dem Wege der Absenkung unterer Erwerbseinkommen oder sei es durch die Umwandlung von Normalarbeitsverhältnissen in Formen atypischer bzw. prekärer Arbeit. Generell würde die garantierte Aufstockung von Niedrig-löhnen viele Unternehmen dazu veranlassen, die Löhne in den untersten Tarifgruppen abzusenken.

Da der Finanzierungsbedarf für den Staat um so größer würde, je mehr die Erwerbseinkommen abgesenkt würden, wären die fiskalischen Lasten einer solchen Transferleistung nicht mehr kalkulierbar. Zudem dürfte die doppelte Tendenz zu einer Absenkung unterer Erwerbseinkommen nicht ohne Rückwirkungen auf das gesamte Lohn-gefüge wie auf das volkswirtschaftliche Lohn-niveau bleiben. Insofern träfe die Einführung einer solchen Negativsteuer nicht nur die bislang Erwerbslosen oder die Beschäftigten in untersten Tarifgruppen; die Gesamtheit aller Erwerbstätigen in ihren Einkommens-und Lebensbedingungen wäre negativ tangiert -eine aus neoliberaler Sicht durchaus erwünschte Wirkung der Negativsteuer.

Ob dagegen der erhoffte bzw. versprochene Effekt in Richtung der Entstehung zusätzlicher Beschäfti­ gungsmöglichkeiten tatsächlich eintreten würde, ist sehr zu bezweifeln. Vielmehr ist zu vermuten, daß ein Substitutionseffekt von „guter“ bzw. teurer durch „schlechte“ bzw. billige Arbeit eintritt. Unabhängig davon würde die Förderung des Wachstums eines Niedriglohnsektors zur Ausbreitung des in Deutschland bislang kaum existenten Problems der „working poor“ beitragen und somit die Armutsproblematik eher verschärfen als vermindern. Solange ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt nicht erreicht wäre, würde sich der Zugang zu diesen marginalisierten Arbeits-und Lebensformen ebenso unfreiwillig vollziehen wie die heutige Ausgrenzung in die Arbeitslosigkeit. Charakteristisches Element des Bürgergelds bliebe also die fehlende Wahlmöglichkeit beim Zugang zu privilegierten Beschäftigungs-und Lebenschancen ebenso wie bei der Aussteuerung in die Sekundär-bzw. Armutsökonomie.

Ein weiteres Bündel von Problemen einer negativen Einkommensteuer liegt in der Verzahnung von Grundsicherung und Einkommensteuer, zweier bislang durch sehr unterschiedliche Prinzipien gekennzeichneter Bereiche: Als Problemfelder sind die unterschiedlichen Einkommensbegriffe, die verschieden definierten Bezugseinheiten zu nennen. Bei einer Verzahnung von Transfer-und Steuersystem wird zudem die Frage aufgeworfen, in welchem Maße Differenzen in den Lebens-und Bedarfslagen im Leistungsniveau der Negativ-steuer Berücksichtigung finden sollten.

Schließlich ein letzter Punkt: Im Vergleich zu Grundsicherungsmodellen würde das Element der Einkommenssicherung im Rahmen eines integrierten Steuer-Transfer-Systems darunter leiden, daß die Negativsteuer als Teil der Einkommensteuer mit größter Wahrscheinlichkeit ausschließlich von fiskalischen (und ggf. arbeitsmarktpolitischen) Erwägungen bestimmt würde, während das Ziel einer sozialstaatlich vertretbaren, unter Teilhabegesichtspunkten zu bemessenden Existenzsicherung noch stärker als bisher in den Hintergrund treten würde. Diese Gefahr besteht -nicht erst seit dem erwähnten Bundesverfassungsgerichtsurteil -zwar auch im heutigen System, wie jahrzehntelange leidvolle Erfahrungen mit Warenkorbreform, Statistikmodell und Regelsatzanpassungen gezeigt haben. Mit der vorgesehenen Integration würde aber die heutige Hilfe zum Lebensunterhalt zu einem vergleichsweise marginalen Element des Steuersystems umgewandelt, das der sozialpolitischen Debatte weitgehend entzogen und primär Gegenstand fiskalischer Entscheidungen würde. Als Fazit läßt sich festhalten: Soweit die in der neoliberalen Tradition stehenden Vorschläge zu einem Bürgergeld von vornherein mit der Intention konzipiert sind, das sozialstaatliche Leistungssystem nicht zu erhalten, sondern auf das Unumgängliche -im Sinne der bisherigen Sozialhilfe -zurückzuführen, würde ein solcher Umbau für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit einem erheblichen Verlust an sozialer Sicherheit erkauft. Zweifellos lassen sich andere Varianten einer Negativsteuer denken, die an einer vergleichbaren Zielsetzung wie die Modelle zu einer bedarfsorientierten Grundsicherung orientiert sind. Die mit der anvisierten Steuer-Transfer-Integration verbundenen Probleme sprechen allerdings m. E. dafür, das Ziel einer sozialstaatlich angemessenen Existenzsicherung eher im Rahmen eines eigenständigen Transfersystems anzustreben. Letztlich bildet auch eine modifizierte Negativsteuer ein nachrangiges Sicherungsnetz, das erst in den Fällen ansetzt, in denen das vorgelagerte Sozialversicherungssystem versagt. Vorrang sollte daher die Befestigung dieses vorgelagerten Sicherungsnetzes haben.

IV. Ausblick: Eine integrierte Strategie zur Bekämpfung arbeitsmarktbedingter Existenzrisiken

Soll das deutsche Sozialstaatsmodell auch in der gegenwärtigen Phase eines beschleunigten sozialökonomischen Wandels überlebensfähig bleiben, ist ein radikaler Kurswechsel in der gegenwärtigen Arbeitsmarkt-und Sozialpolitik notwendig Da davon auszugehen ist, daß mittelfristig selbst ein verstärktes Wirtschaftswachstum die vorhandene Arbeitsplatzlücke nicht beseitigen und die Vollbeschäftigung wiederherstellen kann, setzt die Über-windung arbeitslosigkeitsbedingter Armut eine gezielte Strategie der Arbeitsmarktintegration für die von Ausgrenzung und Verarmung Bedrohten und Betroffenen voraus.

Auf mittlere Sicht ist die Einlösung der Zielsetzung, jedem Erwerbsfähigen einen Zugang zu Erwerbsarbeit in sozialstaatlich angemessener Weise zu erhalten bzw. wiederzugeben, allerdings nur im Rahmen einer kombinierten Strategie vorstellbar; nur durch den gleichzeitigen und aufeinander abgestimmten Einsatz arbeitszeit-, beschäftigungsund arbeitsmarktpolitischer Instrumente könnte es möglich werden, den bislang vom Arbeitsmarkt Ausgegrenzten die Chance zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Normalität einer Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit -zumindest auf Zeit -wieder zu eröffnen. In der arbeitsmarktpolitischen Reformdiskussion der letzten Jahre standen vor allem Überlegungen im Vordergrund, den Einsatz der Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik auszubauen und zu effektivieren Den Leitgedanken dieser Reformüberlegungen bildete die Überzeugung, daß der Vorrang einer Finanzierung von Arbeit gegenüber der Finanzierung von Arbeitslosigkeit zum einen den Interessen der am Arbeitsmarkt Ausgegrenzten entgegenkommt, daß sie es zum anderen ermöglicht, das brachliegende Arbeitsvermögen der Erwerbslosen volkswirtschaftlich sinnvoll zu nutzen und daß sie schließlich dank hoher Refinanzierungsquoten auch gesamt-fiskalisch kaum teurer kommt.

Strategien zu einer Reform der Lohnersatzleistungen im Arbeitsförderungsgesetz und/oder zur Einführung einer bedarfsbezogenen Grundsicherung im genannten Sinne müssen daher durch Strategien der Arbeitsmarktintegration zu normalen Bedingungen des Arbeitsmarktes ergänzt werden. Je mehr es gelingt, eine größere Zahl von bislang Erwerbslosen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse (wieder-) einzugliedem, um so eher wird es möglich sein, die Leistungsfähigkeit des Transfer-systems als Ganzes zu erhalten; um so eher wird auch die Finanzierbarkeit einer bedarfsgerechten sozialen Sicherung nicht nur bei Arbeitslosigkeit zu gewährleisten sein. Gerade weil durch die veränderten ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen im vereinten Deutschland der finanzielle Handlungsspielraum für Reformprojekte enger geworden ist, muß die Frage der Verteilungsgerechtigkeit und der Solidarität der wirtschaftlich Stärkeren mit den Schwächeren stärker in den Vordergrund des wirtschafts-und sozialpolitischen Handelns treten. Nur wenn es in den kommenden Jahren gelingt, ein ausgewogenes Verhältnis bei der Verteilung der Vorteile wie der Lasten des sozialökonomischen Strukturwandels herbeizuführen, hat der deutsche Sozialstaat eine Chance, seine bisher größte Bewährungsprobe zu bestehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Walter Hanesch, Reformbedarf und Reformstrategien in der Sozialhilfe, in: WSI-Mitteilungen, 48 (1995) 6 (WSI = Wirtschafts-und Sozialwissenschaftliches Institut des DGB).

  2. Vgl. Autorengemeinschaft, Der Arbeitsmarkt 1994 und 1995 in der Bundesrepublik Deutschland, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, (1994) 4.

  3. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.), Arbeitsvermittlung zwischen Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel, Bonn 1990.

  4. Vgl. hierzu Walter Hanesch, Sozialhilfe und Niedrigeinkommen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1995) 3, und ders., Reform der Sozialhilfe vor dem Hintergrund arbeitsmarktbedingter Armut, in: WSI-Mitteilungen, (1995) 6.

  5. Vgl. z. B. Transfer-Enquete-Kommission, Das Transfer-system in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1981; Richard Hauser, Armut im Wohlfahrtsstaat -empirischer Befund und Lösungsansätze, in: Heinz Lampert/Gerhard Kühlewind (Hrsg.), Das Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland, Beiträge aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, Bd. 83, Nürnberg 1984; WSI (Hrsg.), Bedarfsorientierte Grundsicherung, WSI-Arbeitsmaterialien, Nr. 15, Düsseldorf 1987; SPD-Bundestagsfraktion (Arbeitskreis „Sozialpolitik“), Diskussionspapier „Soziale Grundsicherung“, Bonn 1987; Walter Hanesch/Thomas Klein, Eine integrierte bedarfsbezogene Grundsicherung in AEG und BSHG, in: Michael Opielka/Margerita Zander (Hrsg), Freiheit von Armut, Essen 1988; Eberhard Bueb u. a., Das grüne Modell einer bedarfsorientierten Grundsicherung in allen Lebenslagen, in: ebd.; Paritätischer Wohlfahrtsverband, Bedarfsorientierte Grundsicherung. Für eine Weiterentwicklung der Hilfe zum Lebensunterhalt in der Sozialhilfe -Beschluß des Vorstandes des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes -Gesamtverband e. V., in: Blätter der Wohlfahrtspflege, (1993)

  6. Vgl. Joachim Mitschke, Steuer-und Transferordnung aus einem Guß, Baden-Baden 1985; Kronberger Kreis, Bürgersteuer -Entwurf einer Neuordnung von direkten Steuern und Sozialleistungen, Bad Homburg 1986.

  7. Vgl. Fritz W. Scharpf, Umbau des Sozialstaats: Von der Finanzierung der Arbeitslosigkeit zur Subventionierung niedriger Erwerbseinkommen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1993) 7; ders., Nicht Arbeitslosigkeit, sondern Beschäftigung fördern -Einkommenshilfen für niedrige Erwerbseinkommen, in: Den zweiten Arbeitsmarkt fördern, hrsg. v. Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Arbeits-und Sozialforschung, Bonn 1994; ders., Für eine Subventionierung niedriger Erwerbseinkommen, in: Wirtschaftsdienst, (1994) 3.

  8. Vgl. Gerhard Bäcker/Walter Hanesch, Nicht den Kern-bestand des Sozialstaates in Frage stellen, in: Frankfurter Rundschau vom 11. 8. 1993.

  9. Vgl. Walter Hanesch, Optionen der Armutspolitik im Umbau des Sozialstaats, in: ders. (Hrsg.), Sozialpolitische Strategien gegen Armut, Opladen 1995.

  10. Vgl. z. B. Arbeitskreis AFG-Reform (Hrsg.), Memorandum für ein neues Arbeitsförderungsgesetz, Düsseldorf 1994.

Weitere Inhalte

Walter Hanesch, Dr. rer. pol., geb. 1947; 1979 bis 1993 Professor für Politische Ökonomie am Fachbereich Sozial-wesen der Fachhochschule Niederrhein, Abteilung Mönchengladbach; seit 1993 Professor für Sozialverwaltung am Fachbereich Sozialpädagogik der Fachhochschule Darmstadt. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Diether Döring und Emst-Ulrich Huster) Armut im Wohlstand, Frankfurt a. M. 1990; (zusammen mit Wilhelm Adamy u. a.) Armut in Deutschland. Der Armutsbericht des DGB und des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Reinbek 1994; (Hrsg.) Sozialpolitische Strategien gegen Armut, Opladen 1995.