Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Treuhandanstalt: Bilanz und Perspektiven | APuZ 43-44/1994 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 43-44/1994 Das zentralistische Erbe. Die institutioneile Entwicklung der Treuhandanstalt und die Nachhaltigkeit ihrer Auswirkungen auf die bundesstaatlichen Verfassungsstrukturen Treuhandanstalt: Bilanz und Perspektiven Die Folgen der schnellen Privatisierung der Treuhandanstalt. Eine vorläufige Schlußbilanz Die Treuhandanstalt im politischen System der Bundesrepublik Strukturpolitik wider Willen?. Die regionalpolitischen Dimensionen der Treuhandpolitik

Treuhandanstalt: Bilanz und Perspektiven

Birgit Breuel

/ 16 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Sommer 1990 wurde die Treuhandanstalt in Berlin durch Beschluß der ersten frei gewählten Volkskammer der damals noch existierenden DDR vorübergehend zum gewaltigsten Unternehmen der Welt. Vier Jahre später ist der größte Teil des übernommenen ehemals volkseigenen Vermögens entstaatlicht, um-strukturiert und privatisiert. Bundestag und Bundesrat haben inzwischen die Auflösung und die Nachfolge der Treuhandanstalt beschlossen. Durch die zügige Privatisierung wurden die Weichen für den Übergang von der Plan-zur Marktwirtschaft, für einen erfolgreichen Aufholprozeß, für zukunftsorientierte Standorte und Beschäftigungsmöglichkeiten in Ostdeutschland gestellt. Die von der Treuhand getätigten Restrukturierungshilfen werden sich langfristig amortisieren. Bereits heute tragen sie zum sozialen Frieden bei.

I. Auf dem Weg zur sozialen Marktwirtschaft

Treuhand erreicht Zielgerade

Der Treuhandanstalt wurde im Sommer 1990 unter der ersten demokratisch gewählten Regierung der DDR auf Beschluß der Volkskammer nahezu das gesamte verstaatlichte industrielle Vermögen der damals noch existierenden DDR zur Verwaltung und Verwertung übertragen. Dabei handelte es sich nicht nur um die Kombinate und volkseigenen Betriebe (VEB), sondern u. a. auch um Grundstücke sowie um Sondervermögen der Parteien und Massenorganisationen. Der Treuhandanstalt wurden vom Parlament rd. 8500 Staatsbetriebe mit rd. vier Millionen Arbeitnehmern anvertraut. Auf die seinerzeit „größte Staatsholding der Welt“ kam eine einmalige Herausforderung zu.

Wer hätte es damals für möglich gehalten, daß Bundestag und Bundesrat bereits vier Jahre später -im Sommer 1994 -die Auflösung und Nachfolge für die verbleibenden Aufgaben der Treuhandanstalt beschließen würden? Die Zielgerade ist erreicht: Zur Jahresmitte 1994 waren in den neuen Ländern über 95 Prozent des industriell-gewerblich genutzten Vermögens -namentlich der ehemals volkseigenen Betriebe -privatwirtschaftlich restrukturiert und in Privateigentum überführt. Weniger als ein Prozent der Erwerbstätigen in Ostdeutschland ist in den verbliebenen Treuhandfirmen tätig.

In diesen vier Jahren wurden über 14000 Unternehmen und Unternehmensteile privatisiert und 4300 reprivatisiert. Im Rahmen der kleinen Privatisierung wurden bis Ende 1991 bereits über 20000 Einzelhandelsgeschäfte, Apotheken, Buchläden, Gaststätten u. a. m. in privates Eigentum überführt. Mehr als 30000 Liegenschaften wurden insbesondere für gewerbliche Zwecke veräußert. Rund 80000 Privatisierungs-und etwa 100000 Pachtverträge mußten von den Treuhandmitarbeitern hierzu ausgehandelt werden. Die aktuellen Wirtschaftsdaten und Erwartungen der privatisierten Unternehmen belegen, daß der Aufhol-, Erholungs-und Expansionsprozeß in Ostdeutschland in vollem Gang ist.

2. Treuhandauftrag: Schlüsselrolle im Transformationsprozeß

Der Gesetzgeber erwartete von der Treuhandanstalt, die „unternehmerische Tätigkeit des Staates durch Privatisierung so rasch und so weit wie möglich zurückzuführen“. Die ehemalige volkseigene Wirtschaft sollte rasch enfstaatlicht werden. Ziel war es, die Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen herzustellen, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen und zum Aufbau einer auf Privateigentum beruhenden, effizienten Wirtschaftsstruktur in Ostdeutschland beizutragen. Die Erfüllung der Privatisierungsaufgabe hat nach den „Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft“ zu erfolgen, das impliziert die soziale Verträglichkeit der Privatisierung (Präambel, §§ 1, 2, Treuhandgesetz; Artikel 25 Einigungsvertrag).

Rückblickend kann gesagt werden, daß die der Treuhandanstalt zugewiesene Schlüsselrolle und ihre Unabhängigkeit vom politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehen die schnellen Privatisierungserfolge erst ermöglicht haben. Dabei wurden in Einzelfällen Fehler gemacht, die nicht zuletzt darauf zurückzuführen sind, daß die Treuhand institutionell und personell erst einmal aufgebaut werden und dann sofort effizient arbeiten mußte 1.

3. Aufbau der Treuhand aus dem Nichts

Zur Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen der Treuhand gegenüber dem Staat und der Gesellschaft, d. h. konkret gegenüber dem Parlament, mußten die Organisationsstruktur der Treuhand-anstalt geschaffen, Verwaltungsrat und Vorstand bestellt, eine Geschäftsverteilung und geschäftspolitische Leitlinien erarbeitet werden. Der Stamm an Mitarbeitern und Führungskräften aus den alten und neuen Bundesländern war zudem kurzfristig auszubauen: von rund 400 Mitarbeitern und Führungskräften im Juni 1990 auf maximal 4600 bis Ende 1993. Heute kann festgestellt werden, daß auch die Kooperation zwischen Ost und West in der Berliner Zentrale und den 15 Niederlassungen gelungen ist.

II. Arbeit der Treuhand

1. Treuhand im Kreuzfeuer der Kritik

Die Geschäftspolitik der Treuhand steht und stand seit ihrer Gründung vor rund vier Jahren im Kreuz-feuer der Kritik. Den Westdeutschen gingen Privatisierung und Umstrukturierung der Staatsbetriebe viel zu langsam, den Ostdeutschen ging hingegen die Anpassung viel zu schnell. Viele empfanden sie als „Schocktherapie“, und viele fürchteten Arbeitslosigkeit und soziale Desintegration. Und mancher Ostdeutsche beklagt die vermeintliche Verschleuderung von „Volksvermögen“. Er sieht sich übervorteilt, da bislang keine „verbrieften Anteils-rechte“ zugeteilt wurden, wie man sie nach der Diskussion im Frühjahr 1990 erwartet hatte. Hingegen haben westliche Investoren oftmals versucht, die ihrer Ansicht nach überhöhten Kaufpreise für Treuhandfirmen zu drücken.

Aus der Sicht der Wissenschaft bestand zwischen Auftrag und Handlungsmöglichkeiten der Treuhand sowie den Erwartungen der Betroffenen und der Öffentlichkeit eine unauflösbar erscheinende Spannung -„die Treuhand wagte das Unmögliche“ -, sachgerechte Lösungen auszuloten

Von vielen Kritikern der Treuhand wird übersehen, daß an den nicht selten umstrittenen Entscheidungen über das Schicksal der Firmen die Repräsentanten wichtiger Gesellschaftsgruppen im Verwaltungsrat meist einstimmig mitwirken: führende Gewerkschaftsvertreter, die Ministerpräsidenten der neuen Länder, die Staatssekretäre der Bundesministerien für Wirtschaft und Finanzen.

2. Manager-Transfer -ein Erfolgsschlüssel

Die Anpassung der Unternehmen an die institutioneilen Erfordernisse der sozialen Marktwirtschaft stellte die Treuhand vor eine Mammutaufgabe. Die ehemals volkseigenen Betriebe und Kombinate mußten an das westdeutsche Handels-und Gesellschaftsrecht angepaßt und in Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung umgewandelt werden. Für die Treuhandanstalt war dies lediglich die Vorstufe der späteren Überführung in Privateigentum bzw.der Privatisierung. In vielen Ländern Zentral-und Osteuropas gilt dies demgegenüber bereits als Privatisierung, da die neue Rechtsform die unternehmerische Freiheit in den ehemaligen Staatsbetrieben begründet.

Zur notwendigen Umwandlung gehörten die Aufstellung einer Eröffnungsbilanz auf DM-Basis, die Erstellung eines Unternehmenskonzepts für die Privatisierung und Umstrukturierung, das auch über das zukünftige Schicksal der Unternehmen entschied. An die Stelle zentraler Leitungen -genannt seien z. B. die Generaldirektoren der Kombinate und Direktoren der VEB -traten jetzt Geschäftsführer, Vorstände, Aufsichtsräte und erstmals frei gewählte Betriebsräte.

Umfragen des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln zufolge war das technische Know-how der ostdeutschen Manager zufriedenstellend. Es mangelte allerdings an Know-how im Marketing und Vertrieb, Controlling und Einkauf. Dies konnte auch nicht überraschen, weil diese unternehmerischen Funktionen bislang zentralistisch wahrgenommen worden waren. Daher war es besonders wichtig, daß sich mehrere Tausend Manager und Experten aus den alten Bundesländern bereit erklärten, in den ostdeutschen Firmen Aufsichtsrats-und Vorstandspositionen zu besetzen und ihr Know-how einzubringen. Dieser „Manager-Transfer“ hat den notwendigen Lernprozeß der ostdeutschen Manager, die Umstrukturierung der Betriebe und die Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit entscheidend beschleunigt und die Verhandlungsposition der Treuhandanstalt gegenüber den Investoren wesentlich verbessert. Er erwies sich als Erfolgs-schlüssel im deutschen Transformationsprozeß.

3. Privatisierung: Auswahl der besten Investoren

Der Hauptweg zur Etablierung der sozialen Marktwirtschaft in den neuen Bundesländern war und ist die Übernahme der Treuhandunternehmen durch risikobereite, innovations-und investitionsaktive private Eigentümer. Hierzu prägte Detlev Karsten Rohwedder im März 1991 den Grundsatz: Schnelle Privatisierung, entschlossene Sanierung und (in aussichtslosen Fällen) behutsame Stillegung.

Die Treuhandanstalt stand vor einem Such-und Auswahlproblem mit mehreren Unbekannten. Gewünscht waren Investoren, die die Fähigkeit und das Kapital mitbrachten, ein Unternehmen im Markt erfolgreich zu etablieren und Dauerarbeitsplätze zu schaffen, die ferner Vertriebswege kannten und die in der Lage waren, die Innovations-und Technologielücken ostdeutscher Unternehmen möglichst schnell zu schließen. In Westdeutschland haben bekanntlich ausländische Direktinvestitionen entscheidend zum Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung betrieb die Treuhandanstalt daher zur Beschleunigung und Internationalisierung der Privatisierung frühzeitig ein weltweites Privatisierungsmarketing. Dazu gehörte ein internationales Kontaktnetz mit eigenen Stützpunkten in Über-see (New York, Tokio) und hochrangigen Treuhandbeauftragten in vielen Ländern (z. B. in Frankreich, Italien, Großbritannien und Österreich), die die Akquisition von Investoren maßgeblich unterstützten.

Durch den hierfür geschaffenen Bereich Investor Services und durch die Einrichtung eines Zentralen Ausschreibungsbüros erreichte die Treuhand in kurzer Zeit zahlreiche in-und ausländische Investoren; sie nahmen durch Gebote mit Angaben über Preisvorstellung, Investitionsvorhaben, Arbeitsplatzzusagen und Umstrukturierungspläne an den Ausschreibungen teil. In der Rangliste der wichtigsten ausländischen Investoren liegen Länder der Europäischen Union, wie Frankreich, Großbritannien und die Niederlande, ganz vorn. Nicht zuletzt Deutschlands wichtigster Handelspartner, Frankreich, hat die mittel-und langfristigen Chancen, auf den neuen Märkten in Ostdeutschland Fuß zu fassen, frühzeitig genutzt. Investoren aus den USA und Kanada erkannten die Vorteile, durch Direktinvestitionen in den neuen Ländern im EU-Binnenmarkt stärker präsent zu sein. Investoren aus Japan zogen dagegen „Greenfield-Investment“ (Gewerbeneuansiedlung) in den neuen Ländern vor.

4. Mittelstandsorientierte Privatisierung: Motor des Aufholprozesses

Die ineffizienten Strukturen der großen Kombinate blockierten anfangs die Entfaltung eines gewerblich-industriellen Mittelstandes. Zudem erwiesen sich die ehemaligen Kombinate in ihrer Gesamtheit als praktisch unverkäuflich. In der DDR war der Mittelstand durch Verstaatlichungsaktionen und durch den Aufbau einer eigenen Großindustrie bis auf einige Rudimente beseitigt worden. 1972 wurden fast alle der bis dahin noch halbstaatlichen Klein-und Mittelbetriebe, der privaten Industrie-und Baubetriebe sowie der industriell produzierenden Handwerksbetriebe in staatliches Eigentum überführt. In der „Stunde Null“ fiel daher der Mittelstand als wichtigster Motor des Transformations-und Aufholprozesses zunächst aus.

Eine mittelstandsorientierte Privatisierung und Sanierung der Kombinate und der großen VEB war erst nach der Entflechtung der „Kombinats-Dinosaurier“, die sich insbesondere auf das Unternehmensspaltungsgesetz stützte, möglich. Das Portfolio, also der Unternehmensbestand, der Treuhandanstalt erhöhte sich durch Entflechtung, Auf-und Abspaltung bis Mitte 1994 auf 13 700 Unternehmen. Diese Politik erleichterte auch den Firmenverkauf an ostdeutsche Führungskräfte und Mitarbeiter in Form eines Management-Buy-Out (MBO). Ostdeutsche haben so dazu beigetragen, den Aufholprozeß unternehmerisch erfolgreich mitzugestalten. 41000 von 51000 seit 1990 geförderten Mittelständlern sind Ostdeutsche.

Als Investitionshemmnis erwiesen sich die Restitutionsansprüche, die Privatisierungen und Reprivatisierungen durch die Treuhandanstalt zunächst erschwerten. Klarheit in die Alteigentümerproblematik brachten schließlich das Gesetz zum Abbau von Investitionshemmnissen bei der Privatisierung und das Investitionsvorranggesetz. Seitdem haben Käufer Vorfahrt, die Investitionen und den Erhalt von Arbeitsplätzen Zusagen können: Investoren, die im Vergleich zum Alteigentümer das bessere Unternehmenskonzept nachweisen, bekommen den Zuschlag. In diesen Fällen erhalten frühere Eigentümer, die das Unternehmen nicht fortführen oder die für ein Grundstück kein geeignetes Investitionskonzept vorweisen können, den Erlös für die veräußerten Gesellschafteranteile und gegebenenfalls eine Ausgleichszahlung.

5. Sanierungsumfang

Das Ausmaß des Aufwandes zur Sanierung einer ganzen Wirtschaft war in Expertenkreisen umstritten. DDR-Statistiken zur Wirtschaftslage waren unbrauchbar, weil sie nicht nur den ökonomischen Bedingungen, sondern auch den politischen Vorgaben folgten und kein Bild über eine weltwirtschaftlich geprägte Wettbewerbsfähigkeit lieferten. Erst nach der Komplettierung aller DM-Eröffnungsbilanzen der Treuhandfirmen wurde das Ausmaß der Lasten aus der Zeit der staatlichen Kommandowirtschaft bekannt. Die DDR hinterließ viele nicht wettbewerbsfähige Unternehmen mit ebenso vielen nicht wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen.

Die verdeckte Arbeitslosigkeit schätzte das ifo-Institut München auf 1, 4 Millionen Erwerbspersonen. Unter Berücksichtigung des notwendigen Strukturwandels bezifferte das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) das Freisetzungspotential auf knapp vier Millionen Beschäftigte. Auf über 1000 Milliarden DM schätzte das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn den Sanierungsaufwand für die gesamte ehemals volkseigene Wirtschaft, einschließlich der anfangs ziemlich desolaten Infrastruktur. Die ökologischen Altlasten kämen noch dazu.

Die Währungsumstellung vom Sommer 1990 kam einer Aufwertung der Ostmark, d. h. einer Verteuerung der bisherigen DDR-Währung um annähernd 400 Prozent gleich, was nichts über die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Menschen aussagt. Aber man kann sich gut vorstellen, wie sich ein solcher „Aufwertungsschock“ auf die Absatzchancen selbst von gesunden westdeutschen Betrieben auswirken würde.

Als Haupthindernis der Privatisierung bewerteten amerikanische Wissenschaftler (University of Berkeley) die Tatsache, daß die meisten Unternehmen der Treuhand hatten, „a negative value“ da die Kosten die Erlöse überstiegen.

Die Absatzchancen der Treuhandunternehmen verschlechterten sich auch durch die zeitweilig in den neuen Ländern herrschende „Westpräferenz“: Konsumenten und Investoren in den neuen Bundesländern, aber auch die öffentliche Hand bevorzugten anfangs so eindeutig West-Produkte, daß es fast einem Boykott von Produkten aus Ostdeutschland gleichkam. Dieses Verhalten erleichterte es den westlichen Unternehmen, den ostdeutschen Binnenmarkt zu erobern und die gestiegene Kaufkraft in den neuen Ländern für sich zu nutzen.

Der politische und wirtschaftliche Zusammenbruch der COMECON-Staaten bzw. Länder des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ließ zudem das Ostgeschäft der ostdeutschen Firmen trotz traditioneller Handelsverflechtung drastisch schrumpfen. Darüber hinaus stiegen die Lohnkosten durch die zwar menschlich verständliche, aber betriebswirtschaftlich enorm belastende schnelle Angleichung von Löhnen und Gehältern an das Westniveau auf der Grundlage von Tarifverträgen, die von den Tarifpartnern im Sommer 1990 abgeschlossen worden waren. Die Treuhand-unternehmen arbeiteten mit anhaltend hohen Verlusten. Die ostdeutsche Chemieindustrie, darunter Chemieriesen wie Buna, Leuna und Bitterfeld, mußte trotz Personalabbaus und anderer Kosteneinsparungen von 1991 bis 1993 Betriebsverluste von rund 4, 5 Milliarden DM hinnehmen.

Das verdeutlicht, wie schwer es die Privatisierer hatten, Investoren für solche Betriebe zu gewinnen und dann noch möglichst hohe Verkaufspreise zu erzielen, sowie Investitions-und Arbeitsplatz-zusagenzu erhalten. Es belegt außerdem, in welcher Weise und in welch hohem Maße die Treuhand durch die Betreuung der Unternehmen auf dem Weg zur Privatisierung in Anspruch genommen wurde.

Zur Abwendung von Konkursen und der sich daraus ergebenden besonders nachteiligen Folgen für die Arbeitnehmer bediente sich die Treuhandanstalt des Instruments der „stillen Liquidation“. Die in dieser Form behutsam betriebenen Stillegungen von rund 3500 nicht sanierungsfähigen Betrieben verhinderten Dauersubventionierungen einerseits und anhaltenden Vermögensverzehr bis zur Zwangsversteigerung andererseits. Zudem konnten aus der „stillen Liquidation“ heraus über 600 überlebensfähige Betriebsteile privatisiert und vielfach Grundstücke für Gewerbeneuansiedlungen verkauft werden. Etwa ein Drittel der betroffenen Arbeitsplätze ist auf diese Weise gerettet worden.

6. Sanierung sichert Beschäftigung und fördert Umsätze

Sanierungsmaßnahmen wurden für solche Treuhandbetriebe beschlossen, deren Sanierungsfähigkeit anhand von Unternehmens-bzw. Sanierungskonzepten von unabhängigen Experten und Prüfern festgestellt worden war. Die Treuhand unterstützte diese Betriebe u. a. durch die Übernahme von finanziellen und ökologischen Altlasten, durch die Verbesserung der Eigenkapitalbasis, aber auch durch Liquiditäts-und Finanzhilfen für Investitionen. Ohne diese Unterstützung hätten die meisten Unternehmen weder am Leben erhalten noch privatisiert werden können. Zudem wurden die Treuhandunternehmen auch durch Anregung und Förderung von Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung, im High-Tech-Bereich und zur Produktinnovation unterstützt.

In Zusammenarbeit und mit Genehmigung der Europäischen Kommission wurden von der Treuhandanstalt auch einige größere Umstrukturierungsmaßnahmen vorgenommen, die unmittelbar zur regionalen und lokalen Sicherung von Arbeitsplätzen und Betrieben beitrugen: Umstrukturierung der Ostsee-Werften, Zusammenführung der ost-und westdeutschen Kaliindustrie, völlige Restrukturierung der Chemie und der Braunkohle (Vereinigte Mitteldeutsche Braunkohlenwerke: MIBRAG, Lausitzer Braunkohle AG: LAU-BAG). Hierzu entwickelte die Treuhand ein Konzept zur Aufspaltung von LAUBAG und MIBRAG in Zukunftsbergbau, Auslauf-und Sanierungsbergbau, verbunden mit einem Privatisie-rungskonzept. Der entscheidende Durchbruch zum Erhalt der ostdeutschen Montanindustrie kam für die Treuhand jedoch erst, als es gelang, ein anglo-amerikanisches Konsortium als Investor und Käufer der MIBRAG zu gewinnen.

Nur durch Umsätze, nicht durch Subventionen können die Betriebe und Arbeitsplätze in Ostdeutschland gesichert werden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Treuhandanstalt starteten eine „Einkaufsoffensive für die neuen Bundesländer“, der sich viele große Konzerne anschlossen.

Die Treuhand half ostdeutschen Managern durch weitere Aktivitäten, wie das „Behördenmarketing“, öffentliche Aufträge von den Beschaffungsstellen der Behörden (z. B. Bundeswehr) und der großen Bundesuntemehmen (z. B. Telekom) zu erhalten. Ferner hat sie sich bemüht, den Waren-und Dienstleistungsaustausch der ostdeutschen Firmen mit Osteuropas Reformstaaten wieder in Gang zu bringen: Mit den Gebietsverwaltungen von Tjumen und Perm in der Russischen Föderation wurden Ende 1993 Rahmenvereinbarungen zur Zusammenarbeit abgeschlossen. Es ging um die Hermes-gedeckte Exportfinanzierung auf Gegengeschäftsbasis. Außerdem wurde eine Reihe von Joint-venture-Projekten mit Firmen der GUS-Staaten vorbereitet und angeschoben.

7. Soziale Abfederung

Die schwierige wirtschaftliche Lage vieler Firmen ließ eine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer in den ostdeutschen Unternehmen oft nicht zu. Dabei kam es darauf an, die notwendigen Maßnahmen sozial verträglich zu gestalten. Drohende Massenentlassungen konnten in der Anfangsphase nach der Währungsunion nur durch flankierende Maßnahmen, etwa die formale Weiterbeschäftigung von zwei Millionen Kurzarbeitern, z. T. mit Null Stunden Kurzarbeit, vermieden werden. Mit den Gewerkschaften waren bereits 1991 Rahmenverträge zur Umschulung und Qualifizierung von Arbeitslosen geschlossen worden. Ebenfalls 1991 wurden mit den Gewerkschaften, den Arbeitgeberverbänden und den Länderregierungen Rahmenvereinbarungen über die Bildung von Arbeitsfördergesellschaften getroffen. Die Treuhandanstalt hatte sich u. a. zur Bereitstellung von Räumen und Sachmitteln, zu befristeter Finanzierung von Geschäftsführerkosten usw. verpflichtet. Für mehr als eine Million Arbeitnehmer wurden auf der Grundlage des Arbeitsförderungsgesetzes Sozialpläne entwickelt. Die soziale Abfederung wurde von der Treuhand mit mehr als sieben Milliarden DM finanziert. So gelang es 80 Prozent der aus Treuhandunternehmen ausgeschiedenen Mitarbeitern, ein neues Arbeitsverhältnis aufzunehmen.

III. Vierjahres-Bilanz der Treuhand

1. Entschlossenheit der Menschen

Für die ostdeutschen Führungskräfte, die westdeutschen Manager, die ostdeutschen Arbeitnehmer und die Investoren war die komplette Umstrukturierung der ehemaligen Staatswirtschaft eine gewaltige Herausforderung. Den arbeitenden Menschen und ihren Familien, die zum Weiterkommen vielfach ihr bekanntes soziales und berufliches Umfeld, aber auch liebgewonnene Gewohnheiten und Besitzstände aufgeben mußten, wurde viel abverlangt. Ohne den Mut zum Neuaufbau und ohne die Einsicht in die Notwendigkeit der schnellen Anpassung wäre die gesamte ostdeutsche Wirtschaft nicht weit gekommen.

Die Entschlossenheit der Menschen, die sich von der jahrzehntelangen Gängelung und Bevormundung durch die SED-Machthaber freimachen konnten, zeigt sich in vielfacher Weise. Sie wird ersichtlich in der Vielzahl von Existenzgründungen im Handwerk, in der Gastronomie und bei den freien Berufen und in der gewerblichen Wirtschaft, und sie zeigt sich im Interesse von Managern und Arbeitnehmern für Management-Buy-Out-Projekte, die von der Treuhandanstalt besonders unterstützt wurden. Dieses Engagement der früheren Kombinatsangehörigen hat auch maßgeblich zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes beigetragen.

2. Investition: -und Arbeitsplatzzusagen übertroffen

Mit den neuen -den ostdeutschen, westdeutschen und ausländischen -Eigentümern konnten bis Ende Juni 1994 insgesamt fast 200 Milliarden DM Investitionszusagen und rund 1, 5 Millionen Arbeitsplatzzusagen vereinbart werden. Die Übernahme von etwa 840 Treuhandbeteiligungen durch ausländische Investoren hat den Privatisierungsprozeß maßgeblich beschleunigt. Ausländische Investoren sichern Investitionen von rund 20 Milliarden DM und erhalten rund 150 000 ostdeutsche Arbeitsplätze. Es waren Impulse, die die ostdeutsche Wirtschaft, Unternehmer wie Arbeitnehmer, dringend benötigte. In den meisten Privatisierungsverträgen, die die Treuhandanstalt aushandeln konnte, wurden die neuen Eigentümer zu Investitionen und zur Erhaltung von Arbeitsplätzen verpflichtet. Darüber hinaus wurden bei Nichteinhaltung der Zusagen vielfach Pönalien (Geldstrafen) festgelegt. Diese sollen die Investoren daran hindern, sich vorschnell von den übernommenen Verpflichtungen zu lösen. Das Vertragsmanagement der Treuhand, das die Einhaltung der Verträge auch in den kommenden Jahren kontrolliert, hat sogar feststellen können, daß die tatsächlich vorgenommenen Investitionen das zugesagte Volumen übertreffen. Beim gegenwärtigen Stand der Prüfung z. B.der Verträge des Jahres 1993 konnte eine Übererfüllung von rund drei Milliarden DM registriert werden. Ein ähnliches Resultat konnte bei Arbeitsplatzzusagen festgestellt werden; danach überschreitet die Zahl der Beschäftigten in den Ex-Treuhandbetrieben die Zahl der vereinbarten Arbeitsplatzzusagen um etwa 60000 Arbeitsplätze.

3. Treuhandfinanzen: Weichenstellung für den Neubeginn

Alle Maßnahmen der Treuhand zur Beseitigung der übernommenen Lasten und zur Weichenstellung für einen Neubeginn spiegeln sich in den in vier Jahren aufgelaufenen Bruttoausgaben von 344 Milliarden DM wider. Allein die Übernahme von Altkrediten durch Entschuldung der Unternehmen und die Übernahme der Zinslasten beläuft sich auf 105 Milliarden DM. Erst durch eine weitgehende Entschuldung konnte erreicht werden, daß sich die finanziellen Altlasten der Treuhandfirmen nicht als Privatisierungs-und Sanierungshemmnis auswirkten. Die ökologische Sanierung macht darüber hinaus Ausgaben von rd. 44 Milliarden DM erforderlich.

Durch die Zuführung von neuem Kapital für Treuhandunternehmen in Form von Investitionszuschüssen, Eigenkapitalerhöhung, Verlustausgleichsdarlehen, Zweckzuwendungen für Sozial-pläne entstanden Ausgaben von weiteren 154 Milliarden DM. Wenn hiervon die Privatisierungseinnahmen von etwa 74 Milliarden DM abgezogen werden, ergibt sich aus heutiger Sicht ein Netto-aufwand, d. h. ein Defizit, von maximal 270 Milliarden DM für die Treuhandanstalt und ihre Nachfolgeeinrichtungen. Damit bleibt die Treuhand im Rahmen des vom Gesetzgeber vorgegebenen Finanzlimits, das es der Treuhand zur Refinanzierung gestattet, Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen.

IV. Perspektive

1. Die Nachfolger der Treuhand

Im Gegensatz zu den anderen ehemaligen COMECON-Ländern ist in Ostdeutschland die Ziellinie nach vierjähriger Treuhandtätigkeit in Sichtweite Gegenwärtig hält die Treuhand in ihrem Angebotsportfolio rund 140 Unternehmen mit etwa 40000 Beschäftigten. Davon sind lediglich fünf Unternehmen und ihre Töchter von überregionaler Bedeutung. Die übrigen ca. 100 Unternehmen sind Kleinunternehmen. Die meisten sind in übersichtlichen Management-KGs unternehmerisch „gebündelt“, die bereits mit meßbarem Erfolg eine Art Holding-Funktion ausüben und ab 1. Januar 1995 in eine Beteiligungs-Management-Gesellschaft übergehen. Auch diese Unternehmen sollen so schnell wie möglich privatisiert werden. „Überleben“ wird die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft (TLG), die auch künftig zuständig für die Vermarktung von Grundstücken und Immobilien ist. Das war bereits zu Beginn der Treuhandtätigkeit erwartet worden. Bestehen bleibt außerdem ein Bereich Landwirtschaft und Forsten, der land-und forstwirtschaftlich genutzte Flächen verpachtet und veräußert. Und es bleiben eine Zeitlang die Bereiche Abwicklung, Reprivatisierung und das Vertragsmanagement, die in die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS) übergeleitet werden. Die BVS wird vor allem dafür Sorge tragen, daß beide Seiten ihre vertraglichen Rechte und Pflichten vor allem hinsichtlich Investitionsvorhaben und Arbeitsplatzzusagen einhalten.

2. Ostdeutschland: Aufholprozeß ist in vollem Gange

Der Aufholprozeß gewinnt in Ostdeutschland an Tempo und Breite: der Wirtschaftsstandort Ostdeutschland wird attraktiver. So erwarten die Wirtschaftsforschungsinstitute für die neuen Bundesländer in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von über 8 Prozent. Ab 1994/95 greift die Masse der vertraglich zugesicherten Investitionen. Diese führen zu Folgeinvestitionen bei Lieferanten und Abnehmern in Ostdeutschland; das bestätigen die neuesten Umfragedaten. Die Gewinnerwartungen der ostdeutschen Unternehmen haben sich eben-falls deutlich verbessert und zeigen eine anhaltend positive Tendenz. Die Infrastruktur der neuen Länder ist in wenigen Jahren ganz entscheidend vorangekommen: Telekommunikation, Verkehr, Verwaltung und Ökologie sind vorrangig zu nennen. Hohe Zuwachsraten werden vom ostdeutschen Handwerk und aus der privatisierten ostdeutschen Bauindustrie gemeldet. Viele Arbeitnehmer haben in diesen expandierenden Bereichen einen neuen modernen Arbeitsplatz gefunden. Darüber hinaus meldet die Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg den Stillstand des bisherigen Erwerbstätigenrückgangs im Bergbau und im Verarbeitenden Gewerbe.

Die positiven wie negativen Erfahrungen der Treuhandanstalt bei der Begleitung ihrer Firmen auf dem Weg in die soziale Marktwirtschaft werden von den mittel-und osteuropäischen Reformstaaten mit großem Interesse verfolgt. Zum Transfer des Privatisierungs-Know-how und zur Unterstützung des Reform-und Privatisierungsprozesses hat die Treuhandanstalt die Treuhand Osteuropa Beratungsgesellschaft (TOB) gegründet, die z. Z. in 16 Ländern aktiv ist und beispielsweise die Privatisierungsprojekte in Estland und in Moskau abschließen konnte. Die TOB ihrerseits wurde im Sommer 1994 privatisiert.

Die Resultate der deutschen Privatisierungsagentur hatten für die Reformer in Mittel-und Osteuropa, bei allerdings weitaus schwierigeren Ausgangsbedingungen, eine positive Signalfunktion. Sie hilft, die Privatisierung in den Reformstaaten des ehemaligen COMECON im Mittelpunkt des Interesses zu halten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Treuhandvorgängerin hatte hingegen wenig bewirkt. Das lag u. a. an der unklaren Aufgabenstellung und der fehlenden parlamentarischen Legitimierung.

  2. Vgl. Wolfram Fischer/Herbert Hax/Hans Karl Schneider (Hrsg.), Treuhandanstalt. Das Unmögliche wagen, Berlin 1993. Anmerkung der Redaktion: Siehe auch die Beiträge von Jan Priewe, Frank Nägele und Roland Czada in diesem Heft.

  3. Anmerkung der Redaktion: Zu den Nachfolgeeinrichtungen der Treuhandanstalt siehe den Beitrag von Wolfgang Seibel in diesem Heft.

Weitere Inhalte

Birgit Breuel, Dr. h. c., geb. 1937; Studium der Politischen Wissenschaften an den Universitäten Hamburg, Oxford und Genf; 1970 bis 1978 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und CDU-Fraktionssprecherin für Wirtschaft; 1978 bis 1986 Ministerin für Wirtschaft und Verkehr des Landes Niedersachsen; 1986 bis 1990 Ministerin der Finanzen des Landes Niedersachsen; 1990 Mitglied des Vorstandes der Treuhand-anstalt, seit 1991 Präsidentin der Treuhandanstalt.