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Ökonomische Aspekte des Nahost-Friedensprozesses | APuZ 21-22/1994 | bpb.de

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APuZ 21-22/1994 Das Gaza-Jericho-Abkommen Wegmarke im Friedensprozeß Ökonomische Aspekte des Nahost-Friedensprozesses Syrien, der Libanon und Jordanien im Nahost-Friedensprozeß Israel zwischen Krieg und Frieden. Zur Stimmung in Israel nach dem Gaza-Jericho-Abkommen

Ökonomische Aspekte des Nahost-Friedensprozesses

Aziz Alkazaz

/ 15 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die unterschriebene Grundkonzeption der bilateralen Wirtschaftskooperation legt alle relevanten wirtschaftspolitischen Richtlinien und Entscheidungen in die Hände eines „Ständigen Israelisch-Palästinensischen Ausschusses“, dessen Existenz zeitlich nicht begrenzt ist. Für die Palästinenser sind damit zahlreiche Restriktionen hinsichtlich der Gestaltung ihrer Wirtschafts-und Finanzpolitik sowie hinsichtlich ihrer Beziehungen zu den Partnerländern innerhalb und außerhalb der Region verbunden. Im Handelsbereich ist die entstehende Ordnung eine Mischung von Freihandel und Zollunion. Im Finanzbereich dürfen die Palästinenser eine Finanzbehörde gründen, die zwar auch für Banken zuständig ist, aber keine eigene Währung herausgeben darf. Angesichts der noch vielen offenen Fragen ist das Investitionsklima und der Rechts-rahmen noch nicht so klar, daß die angebotenen Investitionsanreize im erhofften Ausmaß wirken. Immerhin erhielten die Palästinenser erste Ansätze für eine begrenzte Selbstverwaltung und die Schaffung eines eigenen Verwaltungsapparates. Sie können Angelegenheiten des täglichen Lebens selbst regeln. Auf der anderen Seite blieben die äußere Sicherheit, die Kontrolle über die Grenzen zu Jordanien und Ägypten sowie die Rahmenbedingungen für die Gestaltung der auswärtigen Beziehungen (einschließlich der Wirtschaftsbeziehungen) in israelischer Hand. Solange eine umfassende Friedensregelung fehlt und die palästinensische Autonomie geographisch und inhaltlich begrenzt bleibt sowie die Grundinteressen der beteiligten Regionalstaaten nicht gleichgewichtig berücksichtigt sind, besteht die Gefahr empfindlicher Rückschläge auch für den wirtschaftlichen Aufbau. Die Region hatte in der Vergangenheit viele Pläne für eine „Middle East Community“ erlebt, die mit finanziellen Anreizen verbunden waren, aber aufgrund der Furcht vor ausländischer Hegemonie scheitern mußten.

I. Grundkonzeption der bilateralen und regionalen Wirtschaftskooperation und ihre Implikationen

Die am 13. September 1993 in Washington unterzeichnete israelisch-palästinensische Prinzipien-erklärung enthält Grundkonzeptionen nicht nur für eine politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes auf der Grundlage der Resolutionen 242 und 338 des UNO-Sicherheitsrates, sondern auch für eine bilaterale und regionale Wirtschaftskooperation, die über den Rahmen der genannten Resolutionen hinausgeht. Gemäß dem Protokoll über israelisch-palästinensische Zusammenarbeit bei Wirtschafts-und Entwicklungsprogrammen wurden alle relevanten wirtschaftspolitischen Richtlinien und Entscheidungen, die die besetzten Gebiete (BG) betreffen, in die Hände eines ständigen israelisch-palästinensischen Ausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit gelegt. Die Existenz dieses Ausschusses ist nicht auf die fünfjährige Übergangsperiode beschränkt. Sie ist zeitlich unbegrenzt. Bereits hier ist festzustellen, daß die Palästinenser über die Gestaltung der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung der BG nicht autonom entscheiden können, obwohl sie bestrebt sind, die während der 27jährigen Besetzung entstandene und vertiefte Abhängigkeit von der israelischen Wirtschaft zu lockern. Das Protokoll nennt elf Kooperationsbereiche: Wasser, Elektrizität, Energie, Finanzen, Verkehr und Verbindungswesen, Handel, Industrie, Arbeitsbeziehungen, menschliche Ressourcen, Umweltschutz und Massenmedien. Die Art der Zusammenarbeit läßt sich an einigen Beispielen veranschaulichen:

Im Bereich Wasser geht es um eine langfristige wasserwirtschaftliche Planung, in der die „Wasserrechte jeder Partei und die Nutzung gemeinsamer Wasservorräte“ festzulegen sind. Gegenstand der Verhandlungen sind nicht die israelischen Wasser-Dieser Beitrag ist ein Vorabdruck aus: Thomas Koszinowski/Hanspeter Mattes, Nahost-Jahrbuch 1993, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten, hrsg. vom Deutschen Orient-Institut, Hamburg, Opladen 1994.

Vorräte, sondern die palästinensischen Vorräte in den BG, die gegenwärtig zu 80 Prozent von Israel genutzt werden.

Im Bereich Elektrizität bezieht sich die projektierte Zusammenarbeit auf Erzeugung, Erhaltung, Kauf und Verkauf von Elektrizität. Das Energieentwicklungsprogramm sieht die Förderung von Erdöl und Erdgas im Gaza-Streifen sowie im Negev und die Erschließung anderer Energiequellen sowie den Bau eines petrochemischen Industrie-komplexes in Gaza und einer Anzahl von Öl-und Gasleitungen vor.

Die Zusammenarbeit im Bereich Finanzen bezieht sich nicht nur auf die öffentliche Finanzwirtschaft, sondern auch auf ausländische Investitionen und die Einrichtung einer Entwicklungsbank. Die Palästinenser werden also über ausländische Investitionen nicht allein entscheiden können.

Im Bereich Verkehr und Verbindungswesen soll gemeinsam entschieden werden über die Einrichtung von Verkehrs-und Kommunikationswegen von und nach den BG sowie über den Bau eines Seehafens in Gaza und der erforderlichen Straßen, Eisenbahnen und Kommunikationslinien. Das gilt nicht nur für die Verbindungen zwischen den BG und Israel, sondern auch für die Verbindungen zwischen den BG und anderen Regionalstaaten wie Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien und der Türkei, die nach amerikanisch-israelischen Vorstellungen eine Middle East Community bilden sollen. Ferner sollen der „lokale, regionale und internationale Handel“ gemeinsam gefördert und „Freihandelszonen im Gaza-Streifen und in Israel mit allseitigem Zugang“ geschaffen werden. Die Israelis streben darüber hinaus einen gemeinsamen Markt und eine Zollunion mit den BG an, während die Palästinenser an den Schutz ihres verarbeitenden Gewerbes gegen die überlegene israelische Konkurrenz denken.

Im Industriebereich sieht das Protokoll die Förderung israelisch-palästinensischer Gemeinschaftsunternehmen und Leitlinien für die Zusammenarbeit in der Textil-, Lebensmittel-, Pharma-, Elektro-, Diamanten-, Computerindustrie und in den wissenschaftlich-technischen Industrien vor. Da alldiese Industrien schon in Israel bestehen, könnten die „Leitlinien der Zusammenarbeit“ bedeuten, daß der Aufbau gleichgearteter Industrien in den BG so gestaltet wird, daß er mit israelischen Interessen nicht kollidiert.

Die vorgesehene Regulierung der Arbeitsbeziehungen und des Sozialversicherungssystems betrifft die (billigen) palästinensischen Arbeitskräfte, die auf Arbeitsplätze in Israel angewiesen sind. Sie machen gegenwärtig 39 Prozent der gesamten Arbeitskräfte in den BG aus und bedeuten für viele israelische Unternehmen komparative Kostenvorteile. Hinzu kommt ein Kooperationsplan für menschliche Ressourcen, der u. a. die Einrichtung gemeinsamer Berufsbildungszentren, Forschungsinstitute und Datenbanken vorsieht.

Ein weiterer spezieller Plan soll für den Umweltschutz gelten; er beinhaltet gemeinsame und/oder koordinierende Maßnahmen. Die im Protokoll vorgeschriebene Zusammenarbeit und Koordination beschränkt sich nicht auf rein wirtschaftliche Bereiche, sondern bezieht sich auch auf den Bereich Massenkommunikationssysteme und Medien.

Aus dieser Grundkonzeption sind zwei wesentliche Schlußfolgerungen zu ziehen: 1. Wenn all diese relevanten Wirtschaftsbereiche gemeinsamen israelisch-palästinensischen Entscheidungen unterliegen, was bleibt dann für die Autonomie, d. h. für die Palästinensische Interims-behörde (PIB) bzw. die nach der fünfjährigen Übergangsperiode zu bildende Behörde? Nach Artikel VI der Prinzipienerklärung wird an die PIB bzw.den zu wählenden Palästinensischen Rat die Zuständigkeit für folgende Bereiche übertragen: Bildungswesen und Kultur, Gesundheitswesen, Sozialfürsorge, direkte Besteuerung und Tourismus. Nur die beiden letztgenannten Bereiche gehören zur Wirtschaft. Für alle anderen Bereiche ist der Gemeinsame Ständige Ausschuß zuständig. 2. Die fast vollständige Verflechtung mit der mächtigeren und entwickelteren israelischen Wirtschaft wird den Aufbau einer autozentrierten palästinensischen Wirtschaft erschweren. Die Palästinenser würden nicht in der Lage sein, eine autonome Wirtschaft zu entwickeln und frei zu wählen, mit welchem benachbarten arabischen Land sie sich wirtschaftlich stärker integrieren wollen. Hier liegt ein Grundproblem. Wenn die Palästinenser unter diesen Rahmenbedingungen mit Jordanien zusammenarbeiten, entsteht zugleich eine Verflechtung zwischen der jordanischen und der israelischen Wirtschaft, die Jordanien hinsichtlich seiner Beziehungen mit den arabischen Nachbarstaaten Irak, Syrien und Libanon in ein Dilemma bringt. Das gilt insbesondere für die Zeit, in der noch keine „gerechte umfassende Friedensregelung“ verwirklicht ist. Außerdem wird die jordanische Regierung überlegen müssen, wie sie ihre junge Industrie vor der überlegenen israelischen Konkurrenz schützen und gleichzeitig ihre eigene Konkurrenzfähigkeit steigern kann. Das erklärt, warum das Aushandeln eines Wirtschaftsabkommens zwischen der PLO und Jordanien so schwierig war.

Die Konzeption über die regionale Zusammenarbeit ist im Protokoll über israelisch-palästinensische Kooperation in regionalen Entwicklungsprogrammen verankert. Israelis und Palästinenser sollen die von den G-7-Staaten (USA, England, Frankreich, Deutschland, Italien, Australien und Japan) eingeleiteten regionalen Entwicklungsprogramme fördern und diese Staaten ersuchen, sich um die Teilnahme arabischer Staaten und ihrer Institutionen zu bemühen. Sie sollen auch die multilateralen Arbeitsgruppen fördern und zu ihrem Erfolg koordiniert beitragen. Das Entwicklungsprogramm besteht aus zwei Teilen, von denen der erste sich auf die BG, der zweite auf die Region bezieht:

Der erste Teil umfaßt Programme für a) soziale Rehabilitierung und Wohnungsbau, b) Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen, c) Aufbau der Infrastruktur und d) menschliche Ressourcen.

Der zweite Teil umfaßt Pläne für a) Gründung einer Nahost-Entwicklungsbank, b) gemeinsame israelisch-palästinensisch-jordanische Nutzung der Region des Toten Meeres, c) Bau eines Kanals, der das Tote Meer mit dem Gaza-Streifen und dem Mittelmeer verbindet, d) regionale Entsalzungsund andere wasserwirtschaftliche Projekte, e) regionale landwirtschaftliche Entwicklung und Bekämpfung der Desertifikation, f) Verbund der Stromleitungsnetze, g) regionale Kooperation in den Bereichen Transport, Verteilung und industrielle Nutzung von Öl-, Gas-und anderen Energiequellen, h) Entwicklung der Bereiche Tourismus, Verkehr und Telekommunikation.

Parallel zur Proklamierung der regionalen Entwicklungsprogramme wurde vom Aufbau einer Middle East Economic Community gesprochen, die neben Israel und den BG wahrscheinlich Jordanien, Ägypten, Syrien, Libanon und die Golfstaaten sowie die Türkei umfassen soll. Gleichzeitig wurden die Araber (insbesondere von den USA) gedrängt, ihren Israelboykott aufzuheben.Abgesehen von der Türkei standen fast alle arabischen Staaten dieser Grundkonzeption bisher überwiegend skeptisch gegenüber. Für sie bedeutete die Verwirklichung der Konzeption in erster Linie die Etablierung Israels in der Region als dominierende Wirtschaftsmacht sowie die Erschließung arabischer Absatzmärkte, Naturressourcen und Ersparnisse zugunsten Israels. Viele Kritiker im arabischen Raum stellten u. a. die Frage: Warum sollen die Golfstaaten den Israelboykott aufheben, obwohl sie nicht an Israel grenzen und das unterzeichnete Abkommen ein bilaterales Abkommen zwischen Israel und der PLO und nicht etwa ein Abkommen zwischen Israel und der Arabischen Liga ist? Insbesondere wurde befürchtet, daß die dem israelisch-palästinensischen Abkommen zugrunde gelegte regionale Konzeption zu neuen politischen und wirtschaftspolitischen Spaltungen und Konflikten im arabischen Raum führen könnte.

II. Was wurde von den Vereinbarungen bisher in die Praxis umgesetzt?

1. Internationale Hilfe

Die politische und wirtschaftliche Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft spielte beim angestrebten Aufbau der Wirtschaft in den BG eine entscheidende Rolle. Im Rahmen der multilateralen Gespräche befaßten sich mehrere Arbeitsgruppen mit Rüstungskontrolle und regionaler Sicherheit, Wasser, Flüchtlingsfragen, Umweltschutz und regionaler Wirtschaftsentwicklung. Es wurden mehrere Untersuchungen und Studien durchgeführt. Die Weltbank konzentrierte sich auf Entwicklungsbedarf allgemein, Untersuchung der Kapitalflüsse in der Region und den künftigen Finanzbedarf. Die EU befaßte sich mit Aspekten der physischen, institutionellen und finanziellen Infrastruktur in den BG, mit den Voraussetzungen für eine palästinensische Verwaltung und mit den Möglichkeiten landwirtschaftlicher Kooperation. Bilateral konzentrierten sich die USA auf den Ausbildungsbereich, Frankreich auf Verkehr und Kommunikation sowie Japan auf den Tourismus. Innerhalb der Arbeitsgruppe „regionale wirtschaftliche Entwicklung“ setzte sich die Bundesrepublik Deutschland für eine Untersuchung und Förderung des Waren-und Dienstleistungsverkehrs ein.

Der Finanzbedarf für öffentliche Investitionen wurde von der Weltbank auf 1, 35 Mrd. US-Dollar für die Jahre 1994-1998 und auf 1, 6 Mrd. US-Dollar für die Jahre 1999-2000 geschätzt. Es handelt sich hier um die Investitionsbereiche Wasserversorgung, Kanalisation, Elektrizität, Naturressourcen, Transport, Landwirtschaft, Management, Erziehung und Gesundheit. Insgesamt wurden von der Staatengemeinschaft 2, 1 Mrd. US-Dollar zugesagt, davon 1, 38 Mrd. günstige Kredite und Schenkungen und 525 Mio. Kreditgarantien. Die einzelnen Beiträge verteilten sich wie folgt (in Mio. US-Dollar): EU 600, USA 500, Japan 195, Norwegen 150, Italien 77, Israel 75, Deutschland 61, 5, Türkei 52, Schweiz und Dänemark je 40. Die Beiträge arabischer Länder summierten sich zu 165 Mio. US-Dollar, davon 100 Mio. US-Dollar von Saudi-Arabien sowie je 25 Mio. US-Dollar von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Kuwait. Angesichts der unterschiedlichen Interessen der Geberländer war die Koordinierung ein schwieriges Problem. Gegen die Wünsche der EU und einzelner Geber-staaten übernahm die Weltbank die Kontrolle. Allerdings konnten einige Geberländer die Weltbank-Kontrolle umgehen und direkt mit der PLO koordinieren (z. B. Holland bei der Finanzierung des Hafenprojektes im Gaza-Streifen). Die PLO plädierte für den direkten Weg, um „eine schnelle Implementierung der Hilfe“ zu gewährleisten. Demgegenüber empfahlen Harvard-Teams die Bildung von vier Arbeitsgruppen, die regelmäßig in Jerusalem tagen und Projektarbeiten im Rahmen verteilter Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten laufend beaufsichtigen. Schließlich bildeten die EU, USA, Kanada, Japan, Rußland, Norwegen und Saudi-Arabien einen Koordinierungsausschuß.

Auf ihrer Konferenz im Dezember 1993 in Paris sagten die Geberländer für das erste Jahr (1994) der begrenzten palästinensischen Autonomie 570 Mio. US-Dollar zu. Die tatsächliche Zahlung von 300 Mio. US-Dollar, mit der gerechnet wurde, würde die Implementierung der ersten Phase des dreijährigen Soforthilfeprogramms sowie der dringend benötigten technischen Hilfe (35 Mio. US-Dollar) ermöglichen. Beide Programme wurden von der Weltbank aufgestellt. Für das Soforthilfeprogramm waren 1, 1 Mrd. US-Dollar vorgesehen, davon 600 Mio. für Infrastruktur, 300 Mio. für die Entwicklung des privaten Sektors und 200 Mio. für Verwaltungskosten. Die PLO ersuchte die Geber-staaten um mehr Flexibilität bezüglich der Dekkung ihrer laufenden Verwaltungskosten, denn die Palästinenser hätten zunächst einen Verwaltungsapparat und neue Institutionen zu schaffen. Hier zögerten einige Geberstaaten. 2. Israelisch-palästinensische Verhandlungen und ihre Ergebnisse

Die Sicherung finanzieller Beiträge war zwar wichtig, konnte aber allein die Frustration und Skepsis der Einwohner der BG nicht überwinden. Dringend notwendig war eine schnelle Verbesserung der Lebensbedingungen durch Wohnungsbau und Schaffung neuer Arbeitsplätze (Verminderung der erschreckenden 54prozentigen Arbeitslosigkeit) sowie durch Übertragung der Kompetenzen an die palästinensischen Vertreter. Für die Palästinenser ist der Wiederaufbau eine große Herausforderung, denn die Wirtschaft der BG hatte sehr stark unter der 27jährigen Besetzung und der Intifada gelitten. Die Infrastruktur ist zu einem großen Teil zerstört. Die Entwicklung des Schulwesens stagniert seit 1967. Viele Dörfer sind ohne Strom, Wasser und Kanalisation. In manchem Bereich (insbesondere im Gaza-Streifen) muß bei Null begonnen werden. Auf der anderen Seite geben solche Faktoren wie Standortvorteile der BG, Qualifikation und Motivation der palästinensischen Arbeitskräfte und Möglichkeiten der Mobilisierung des eigenen und arabischen Kapitals Anlaß zu einem bedingten Optimismus.

Allerdings stießen die israelisch-palästinensischen Verhandlungen auf vielfältige Schwierigkeiten und Hindernisse. Die anfängliche, mit dem historischen Händedruck von Rabin und Arafat in Washington verbundene Euphorie war relativ schnell verflogen. Der für den 13. Dezember 1993 angesetzte Abzug der Isarelis aus dem Gaza-Streifen und Jericho wurde verschoben. Dann kam das Massaker von Hebron (25. Februar 1994) und die darauf folgenden blutigen Zusammenstöße. So verzögerte sich die Umsetzung der Prinzipienerklärung um mehrere Monate. Nach Wiederaufnahme der Verhandlungen wurde vereinbart, daß die Lage von Mitte April 1994 an durch die palästinensische Polizei mit kontrolliert würde.

Bei den Wirtschaftsverhandlungen in Paris versuchte die palästinensische Delegation, die seit 27 Jahren bestehende Abhängigkeit von der israelischen Wirtschaft zu lockern und Spielraum für die Entwicklung eigenständiger Beziehungen zu arabischen und anderen Ländern zu gewinnen. Demgegenüber waren die Israelis bestrebt, gerade diese Bindungen zu vertiefen und zu einem zentralen Bestandteil des Halbautonomiesystems zu machen. Die bisherigen Ergebnisse dieser monatelangen Verhandlungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Handel: Die entstehende Handelsordnung ist eine Mischung von Freihandel und Zollunion. Der Warenverkehr wird generell auf keine Hemmnisse stoßen, ausgenommen die israelischen Quoten für fünf palästinensische Produkte, um die eigenen Produzenten zu schützen. Die Israelis setzten sich für einen gemeinsamen Außenzolltarif ein, während die Palästinenser hierin eine Behinderung ihres Handels mit anderen Regionalstaaten sahen. Schließlich wurde vereinbart, daß die Zölle nur für sechs bestimmte Warengruppen reduziert werden dürfen, während sie für alle anderen Importprodukte die geltenden israelischen Zollsätze nicht unterschreiten dürfen. Außerdem sind die Israelis bei allen Zollkontrollen vertreten. Sie kontrollieren darüber hinaus die Importmengen, die aufgrund von Schätzungen des palästinensischen Bedarfs ermittelt werden.

Wanderarbeiter: Grundsätzlich waren die Israelis für eine Begrenzung der Zahl der palästinensischen Wanderarbeiter, obwohl ihre Firmen vom Einsatz billiger Arbeitskräfte profitieren. Demgegenüber plädierten die Palästinenser für freien Verkehr und behaupteten, daß Israel die Philosophie des Liberalismus und des Freihandels predige, wenn sie den Absatzinteressen seiner Industrie diene, nicht aber, wenn sie gleichzeitig die Nutzung komperativer Kostenvorteile der palästinensischen Exportprodukte (Agrarerzeugnisse, Arbeitskräfte) ermögliche. Als Ergebnis wird Israel zwar die gegenwärtige Zahl der palästinensischen Wanderarbeiter (50000) etwas erhöhen, aber praktisch nach oben begrenzen.

Geld-und Kreditpolitik: Die Palästinenser wollten eine eigene Währung und eine eigene Zentralbank schaffen, die die Aufsicht über den Bankensektor ausübt und die Geld-und Kreditpolitik mit gestaltet. Das stieß auf israelische Ablehnung, denn eine eigene Zentralbank und Währung wären Symbole der Souveränität. Vor diesem Hintergrund mußte die PLO auf sie vorläufig verzichten. Im Protokoll vom 29. April 1994 wurde die Gründung einer „Palästinensischen Finanzbehörde“ vereinbart, die die Interimsbehörde in allen Wirtschafts-und Finanz-fragen berät, ihre Devisenreserven verwaltet und gewisse Zentralbankfunktionen ausübt wie die Herausgabe von Lizenzen, Bankenaufsicht und Refinanzierung der Geschäftsbanken. Die Aufsicht über israelische'Banken in den BG erfolgt im Rahmen des Baseler Abkommens. Die Palästinensische Finanzbehörde muß sich mit der israelischen Zentralbank im Rahmen eines institutionalisierten Kooperationsmechanismus abstimmen. Die PLO hatte vor Unterzeichnung des Protokolls vom 29. April 1994 mit Jordanien eine Zusammenarbeit im Bankensektor vereinbart. Die jordaniB sehe Zentralbank übernahm die Regelung der Wiedereröffnung der 1967 geschlossenen Banken. Jordanien ist also mit den BG u. a. durch zwei Tatbestände verbunden: Erstens ist der Jordanische Dinar (neben dem Neuen Israelischen Shekel) gesetzliches Zahlungsmittel, und zweitens arbeiten die wiedereröffneten Filialen jordanischer Banken unter Aufsicht der Jordanischen Zentralbank und im Rahmen jordanischer Gesetze, wobei diese Aktivitäten mit der israelischen Zentralbank abgestimmt werden.

Steuern: Die israelische Zivilverwaltung wird im Juli 1994 die Kontrolle über direkte Steuern an die Palästinenser übergeben. Nach langen, kontroversen Diskussionen erlaubten die Israelis die von den Palästinensern gewünschte Senkung des geltenden Mehrwertsteuersatzes von 17 Prozent. Allerdings darf der neue Steuersatz nur zwischen 15 und 16 Prozent liegen. Das Aufkommen der von den in Israel arbeitenden Palästinensern erhobenen Einkommensteuer wird zwischen Israel und der Palästinensischen Interimsbehörde im Verhältnis 25 Prozent zu 75 Prozent geteilt. Die Sozialversicherungsbeiträge sollen an die palästinensische Seite abgeführt werden. Das Steueraufkommen der BG (etwa 400 Mio. US-Dollar) ist für die Deckung der laufenden Verwaltungskosten wichtig. Die Interimsbehörde wird angesichts der angespannten finanziellen Situation und der zu bewältigenden Aufgaben die Steuerlast wahrscheinlich nicht reduzieren können.

Diese Vereinbarungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß noch viele grundlegende Fragen offen sind. Dazu gehören: die Festlegung der Grenzen und Zonen im Gaza-Streifen, die umstrittene Ausdehnung des Jericho-Gebietes (hier sprechen die Palästinenser von 240 qkm, während die Israelis maximal 58 qkm anbieten); Umfang der Territorialgewässer (die Palästinenser fordern 12 Meilen, während die Israelis nur 3 Meilen einräumen wollen); die Frage, wann und inwieweit die Kompetenzen für Gaza und Jericho auf andere Städte der BG ausgedehnt werden, ferner inwieweit palästinensische Gerichte für Israelis und Ausländer in den BG zuständig sind und solche Angelegenheiten wie Reisepässe, Postgebühren und Telegraphenschlüssel.

3. Erste administrative Institutionen Im Zentrum der zu gründenden palästinensischen Institutionen steht der Palestine Economic Council for Development and Reconstruction (PECDR), der seine Arbeit im Januar 1994 aufnahm. Vorsitzender seines Gouverneursrates ist Arafat. Generaldirektor ist Ahmad Qurai’ Abu al-‘Ala’, der in seiner Eigenschaft als Generaldirektor für Wirtschaft und Planung bei der PLO die Verhandlungen mit den Israelis führte. Der PECDR soll rund 40 höhere Beamte erhalten. Er besteht aus sechs Abteilungen für Finanzen, Verwaltung, ProjektManagement, Wirtschaftspolitik, Koordinierung mit Nichtregierungsorganisationen und technische Hilfe. In der gegenwärtigen Phase sind „project management“ und „sectoral management“ die wichtigsten Abteilungen. Sie werden von internationalen Beratern beherrscht, die regelmäßig und direkt an die Geberstaaten berichten. Der PECDR strebt zwar Autonomie an und ist an der Projekt-wahl beteiligt, darf aber über die internationale Finanzhilfe nicht selbständig verfügen. Die Geber-staaten behalten die Kontrolle in eigener Hand. Der PECDR legte den Geldgebern am 27. Januar 1994 in Paris das erste Budget (1994) für die palästinensische Selbstverwaltung vor. Es wies bei Ausgaben in Höhe von 405 Mio. US-Dollar ein Defizit von 158 Mio. US-Dollar auf. Die Geber-staaten zögerten zunächst, laufende Ausgaben zu decken, sagten aber schließlich 120 Mio. US-Dollar (76 Prozent des Defizits) zu. Die Gesamtausgaben setzten sich wie folgt zusammen: 114 Mio. US-Dollar für neue Institutionen, hauptsächlich die palästinensische Polizei, 137 Mio. US-Dollar für die Interimsbehörde und die Rehabilitierung freigelassener palästinensischer Häftlinge sowie 154 Mio. US-Dollar für Löhne und Gehälter der Beamten und Angestellten.

PECDR und Palestine National Authority schufen drei neue Einrichtungen für den Energiesektor, Kleinprojekte und die Vorbereitung der Wahlen, die von der EU finanziell unterstützt werden. Das Palestine Energy Center, das von der EU 0, 5 Mio. ECU erhielt und seine Arbeit im Mai 1994 beginnen soll, ist für Öl, Gas, Stromversorgung, alternative Energien und regionale Energiezusammenarbeit zuständig. Die EU ist in seinem Gouverneursrat vertreten. Die Agency for Small Projects soll Kleinunternehmer fördern, Prioritäten setzen und die internationale Hilfe für diesen Bereich koordinieren. Dabei bedeutet Kleinprojekt eine Investition von bis zu 100000 ECU. In diesem Bereich stellte die EU für 1994 rund 7 Mio. ECU (7, 9 Mio. US-Dollar) in Aussicht. In Damaskus existiert das Palestine Bureau of Statistics. Ferner sind ein Palestine Development Institute für angewandte Wirtschaftsforschung sowie eine Palestine Development Bank mit einem Anfangskapital von 200 Mio. US-Dollar geplant. 4. In Angriffgenommene Projekte

Die bisher tatsächlich in Angriff genommenen Projekte sind hinsichtlich ihrer Zahl und ihres Umfangs noch sehr bescheiden. Zwar sammelte der PECDR in der Westbank über 2400 Projektvorschläge, die vom Bau eines Klassenraums in einer Schule bis zum Gaza-Hafen reichen. Diese Vorhaben befinden sich jedoch größtenteils noch im Planungsstadium. Demgegenüber begannen bestimmte Geberstaaten mit der Implementierung ihrer bilateral zugesagten Projekte. So begannen die Franzosen mit dem Bau einer Rundfunk-und Fernsehstation in Ramallah, für die sie 90 Mio. FF zugesagt hatten. Diese Station soll noch vor den Wahlen (13. Juli 1994) fertiggestellt werden. Die Deutschen nahmen im Rahmen ihrer für 1994 zugesagten Entwicklungszusammenarbeit (20 Mio. DM) drei Projekte in Angriff: Unterstützung des Palästinensischen Statistischen Amtes, Wasserverund Abwasserentsorgung für die Stadt Nablus sowie Wasserversorgung der Stadt Ramallah. Im Februar 1994 wurden zwei vom United Nations Development Programme (UNDP) geförderte Industriebetriebe (eine Zitrusfrüchte-Bearbeitungsanlage und eine Gemüse-Verpackungsanlage) fertiggestellt. UNDP hat seine Hilfe für die BG 1993-1994 von 13 auf 40 Mio. US-Dollar erweitert. Sie umfaßt nunmehr die Unterstützung der Selbstverwaltung, Wasserver-und Abwasserentsorgungsprojekte in Kleinstädten sowie Frauen-hilfe. Im privaten Sektor gründeten am 24. März 1994 in Amman 141 palästinensische Geschäftsleute eine Holdinggesellschaft mit einem Kapital von 200 Mio. US-Dollar, die in den BG Tochtergesellschaften gründen und vorwiegend in den Bereichen Wohnungsbau und Industrie investieren will. Sie ist bezeichnenderweise in Liberia registriert. Ihre erste Tochtergesellschaft, das Bauunternehmen al-Ruwad (50 Mio. US-Dollar Kapital), arbeitet schon in den BG. Zahlreiche westliche Firmen bekundeten zwar Interesse an den BG, hielten sich jedoch in der Praxis zurück. Generell sind für in-und ausländische Investoren politische Stabilität, Rechtssicherheit und institutionelle Rahmenbedingungen von entscheidender Bedeutung. Hier ist vor allem auf die notwendige Vereinheitlichung und Reformierung der Investitionsgesetze in Richtung von mehr Liberalismus und steuerliche Anreize hinzuweisen.

III. Zusammenfassung

Der Grundgedanke, daß ohne Abbau der Frustrationen und Verbesserung der Lebensbedingungen der betroffenen Bevölkerung kein stabiler Frieden zu erreichen ist, ist richtig. Die entworfenen Programme enthalten manchen hoffnungsvollen Ansatz. Sie schufen in der Region eine neue Atmosphäre. Hilfszusagen und Hoffnungen sind groß, die Möglichkeiten, sie zu erfüllen, sind jedoch angesichts der vielen noch offenen Fragen begrenzt.

Solange eine umfassende Friedensregelung fehlt und die palästinensische Autonomie geographisch und inhaltlich begrenzt bleibt und solange die Grundinteressen der beteiligten Regionalstaaten nicht gleichgewichtig berücksichtigt sind, besteht die Gefahr empfindlicher Rückschläge auch für den wirtschaftlichen Aufbau. Es ist kein Zufall, daß die arabischen Staaten ihren Israelboykott trotz amerikanischen Drucks beibehielten, daß Syrien und Libanon den multilateralen Gesprächen fernblieben und daß bisher keine konkreten Projekte im Rahmen der multilateralen Gespräche realisiert wurden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Aziz Alkazaz, Diplomvolkswirt, geb. 1942 im Irak; Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Soziologie an den Universitäten Berlin, Kiel und Hamburg; seit 1968 im Deutschen Orient-Institut in Hamburg zuständig für die Wirtschaftsforschung über die arabischen Länder. Zahlreiche Veröffentlichungen über den Nahen und Mittleren Osten.