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Mobile Jugendarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen in Baden-Württemberg. Ein sozialpädagogischer Ansatz zur Konfliktbearbeitung | APuZ 46-47/1993 | bpb.de

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APuZ 46-47/1993 Zusammenhänge der Modernisierung des Rechtsextremismus mit der Modernisierung der Gesellschaft Jugend -Gewalt -Extremismus in Sachsen-Anhalt. Ergebnisse eines Forschungs-und Bildungsprojektes Deeskalation von Jugendgewalt. Praktische Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt Mobile Jugendarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen in Baden-Württemberg. Ein sozialpädagogischer Ansatz zur Konfliktbearbeitung

Mobile Jugendarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen in Baden-Württemberg. Ein sozialpädagogischer Ansatz zur Konfliktbearbeitung

Ulrich Piaszczynski

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Beitrag wird ein Modellprojekt Mobiler Jugendarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen vorgestellt, das an einem sozialen Brennpunkt -der Parksiedlung Ostfildern bei Stuttgart -realisiert worden ist. Beschrieben wird die vorsichtige Kontaktaufnahme der beiden Projektmitarbeiter und die sich daran anschließende konkrete, einen Zeitraum von fünf Jahren umfassende Arbeit mit den Jugendlichen: Einzelfallhilfe, Entwicklung alternativer Freizeitangebote, sukzessive Stabilisierung der Gruppe, Gemeinwesen-arbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Kooperation mit anderen sozialen Einrichtungen. Im Ergebnis des Projektes hat in der betroffenen Region die Jugenddelinquenz abgenommen, können einige der betreuten Jugendlichen, die zu Beginn des Projektes keine Perspektive hatten, als resozialisiert bezeichnet werden, sind andere bereit und motiviert, eine Ausbildung zu absolvieren oder die Bewährungsauflagen durchzuhalten, werden nicht mehr so radikale politische Meinungen vertreten.

I. Mobile Jugendarbeit

1. Zu den Hintergründen Mobile Jugendarbeit basiert auf einem sozialpädagogischen Handlungsansatz, der unterschiedliche Methoden sozialer Arbeit innerhalb eines Gesamtkonzeptes vereint. Vier Hauptstränge -Street Work, Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit -werden dabei so miteinander verwoben, daß dieser Ansatz Möglichkeiten bietet, das jugendliche Klientel innerhalb seiner mannigfaltigen Dimensionen (Peergroup, Familie, Nachbarschaft, Schule, Betrieb, Stadtteil, Kommune etc.) ganzheitlich wahrzunehmen. Auf der Basis dieser vernetzten Sichtweise werden gemeinsam mit den Betroffenen der je spezifischen Dimension entsprechende Konfliktbearbeitungsmöglichkeiten entwickelt, die sich im Idealfall aufeinander beziehen lassen. Mobile Jugendarbeit ist ein sogenannter niedrigschwelliger Arbeitsansatz; die Sozialpädagogen begeben sich direkt in die Lebenswelt der Jugendlichen und knüpfen in einer lockeren Atmosphäre auf der Straße, in der Disko oder im Park die ersten Kontakte zu diesen.

Mobile Jugendarbeit in Deutschland, speziell in Baden-Württemberg, hat eine mehr als fünfundzwanzigjährige Tradition. Sie wurde als notwendige Ergänzung zur Offenen Jugendarbeit und stationären Heimerziehung entwickelt, unter Rückbezug auf amerikanische Projekte der fünfziger und sechziger Jahre (Street Work, Community Work). Dieser Arbeitsansatz wurde in Baden-Württemberg anhand verschiedener Modellprojekte mehrfach erprobt und weiterentwickelt. 2. Zielgruppen Mobiler Jugendarbeit Projekte Mobiler Jugendarbeit werden meist in sozialen Brennpunkten realisiert. Theoretische Basis ist eine sozialpädagogische Feldanalyse, in deren Rahmen die konkreten Ausgangsbedingungen untersucht werden. Das Konzept der Mobilen Jugendarbeit zielt in erster Linie auf delinquenzbelastete oder -gefährdete Kinder und Jugendliche, die den unterschiedlichsten Problem-bzw. Verhaltenssituationen ausgesetzt sind oder waren, also Jugendliche, die sich zum Beispiel beschreiben lassen als: arbeitslos, wohnungslos, suchtgefährdet, alleingelassen, sexuell mißbraucht, geschlagen, vorbestraft, hyperaktiv, vereinsamt, bzw. Jugendliche, die durch aggressives oder autoaggressives Verhalten auffällig werden. Dabei ist Mobile Jugendarbeit -wie oben schon erwähnt -keine reine Jugendarbeit, sondern bezieht Lehrer, Eltern, Erzieher, Behörden, Nachbarn und Stadtteilbewohner in die jeweiligen Konfliktlösungsstrategien ein.

II. Der Stadtteil Parksiedlung in Ostfildern bei Stuttgart -ein sozialer Brennpunkt

In der Jugendszene in Ostfildern, unweit von Esslingen und Stuttgart, welche regional in die Jugendszene des Ballungsgebietes Mittlerer-Neckar-Raum einzuordnen ist, sind seit Mitte der achtziger Jahre Skinheads, Hooligans, gewaltbereite Fußballfans und Anhänger rechtsextremer Parteien verstärkt vertreten. In der Szene vermischten sich immer wieder die unterschiedlichsten Stile, Subkulturen und Organisationen bei gleichzeitiger Orientierung an der Stuttgarter Szene (Großstadt). Es war normal, daß sich in einer Gruppe neben Skinheads auch Hooligans, Anhänger rechtsextremer Parteien und „normale“ Stadtteil-jugendliche zusammenfanden. Erst seit Anfang der neunziger Jahre wird innerhalb der Szene in Ostfildern Parksiedlung zwischen Skinheads, Hooligans und Anhängern rechtsextremer Parteien differenziert.

In den Jahren 1986/87 trafen sich immer wieder Skins an bestimmten Plätzen in Stuttgart, die unter dem Druck der Anwohner systematisch von der Polizei verfolgt und vertrieben wurden. Schließlich suchten sich die Skins Ausweichmöglichkeiten, um -von der Polizei ungestört -ihre Freizeit verbringen zu können. Jugendliche der Stuttgarter Skinhead-Szene lernten über ihre Freunde aus der Parksiedlung den Herzog-Philipp-Platz in Ostfildern kennen, der zentral innerhalb der Siedlung liegt. Dort fanden die Skins zunächst einen überwachungsfreien Raum. Nach und nach verbrachten immer mehr Skinheads und deren Freunde aus dem Stadtteil und aus der Umgebung ihre Freizeit an diesem Ort. Indem sie sich mit bis zu vierzig Mann auf dem Rasen breitmachten, den gesamten Platz und die umliegenden Wohnblocks mit Musik aus Autoanlagen beschallten und durch Bierdosen, Zigarettenstummel und Graffitis ihr „Revier“ auch optisch einnahmen und markierten, haben sie den Herzog-Philipp-Platz regelrecht besetzt.

Die Parksiedlung galt seit ihrer Entstehung Ende der fünfziger Jahre als sozialer Brennpunkt. Die Wohnblöcke dienten hauptsächlich dazu, Wohnraum für sozial Schwache und für Heimatvertriebene bereitzustellen. Viele der dort angesiedelten Menschen waren Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus den früheren deutschen Ostgebieten. Dieses an sich schon spannungsreiche „Bevölkerungsgemisch“ wurde durch amerikanische Soldaten -eine große amerikanische Kaserne befindet sich in direkter Nachbarschaft, Luftlinie ca. 50 Meter -„angereichert“.

Die Integration der Bewohner der Parksiedlung in die umliegenden Ortschaften gestaltete sich allein schon aufgrund der räumlichen Isolation recht schwierig. Das gleiche galt für die Amerikaner in der Kaserne. Durch das gemeinsame Problem und die direkte Nachbarschaft ergaben sich zwangsläufig verstärkt Kontakte zwischen den Bewohnern der Kaserne und der Parksiedlung, was einerseits zu Annäherungen (z. B. Freundschaften, Ehe-schließungen), andererseits zu starken Spannungen führte. In den sechziger Jahren ging dies bis hin zu Schießereien auf offener Straße. Als in den siebziger Jahren der Herzog-Philipp-Platz zeitweise regelrecht von Rockergruppen in Beschlag genommen wurde, hatte dies ebenfalls erhebliche Auseinandersetzungen zur Folge.

Die Wohnbevölkerung der Parksiedlung fühlte sich durch die lärmenden Jugendlichen gestört. Ab und zu wurden Anwohner beim Gang zum Einkäufen von betrunkenen Jugendlichen angepöbelt. Das Outfit und das mitunter ungewöhnliche Aussehen der Jugendlichen (z. B. Tätowierungen, teils Glatze, große Muskelpakete, ungewöhnliche Bekleidung) wirkte auf viele befremdlich und bedrohlich. Bei Ruhestörungen und Sachbeschädigungen wurde immer wieder die Polizei alarmiert. Je mehr die Anwohner Angst vor den Jugendlichen hatten, um so schneller riefen sie die Polizei. Die öffentliche Hand reagierte stärker und stärker mit Repression: verstärkten Polizeistreifen und Kontrollen, Führerscheinentzug, Heimeinweisungen, Strafverfolgung, Verurteilungen, Jugendarrest, Jugendstrafvollzug, Einzelüberwachung und stigmatisierenden Presseberichten in der regionalen und überregionalen Presse. Der Bürgermeister, die Polizei, Jugendamt, Jugendgerichtshilfe und die Staatsanwaltschaft koordinierten ein Verbund-system der gezielten Überwachung; auch das Innenministerium des Landes Baden-Württemberg wurde informiert.

III. Das Modellprojekt „Mobile Jugendarbeit Parksiedlung“ des Landesjugendamtes/Landeswohlfahrtsverbandes Württemberg Hohenzollern

Entstehung Nachdem Polizei und Jugendamt im Rahmen der oben angedeuteten Möglichkeiten versucht hatten, alles zu tun, um dem Treiben der Skinhead-Gruppe in Ostfildern Einhalt zu gebieten, die Jugendgruppe sich jedoch durch neu hinzukommende Mitglieder, die sich am Herzog-Philipp-Platz niederließen und häufig ebenfalls straffällig wurden, immer wieder rekrutierte, wandten sich Polizei und Jugendamt im Herbst 1987 an die Fachhochschule für Sozialwesen (FHS) in Esslingen mit der Frage, ob man von dort Hilfestellung bekommen könnte.

An der FHS Esslingen begann man sich daraufhin mit dem Problem zu beschäftigen. Im Herbst 1987 wurde unter der Leitung des Dozenten Professor Dr. Walther Specht gemeinsam mit Studenten ein Modellprojekt konzipiert. Zwar stieß Walther Specht zunächst bei vielen Studenten auf Ablehnung -mit „Rechtsradikalen“ wollten sie nichts zu tun haben -, aber nach der Lektüre von Wilhelm Heitmeyers damals gerade erschienenem Buch „Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen“ 1 wurde ein Ansatz gefunden, der sich an dem Konzept der Mobilen Jugendarbeit, unter besonderer Berücksichtigung der Skinheads als Zielgruppe, orientierte.

Die praktische Umsetzung des theoretischen Konzeptes erfolgte durch zwei Hochschulabgänger der Universität Tübingen (Institut für Erziehungswissenschaft) -den Autor dieses Beitrages und die Diplompädagogin Heike Füssenhäuser. Erste Abstimmungsgespräche, die wir mit dem Jugendamt Esslingen führten, mündeten in einen Förderantrag für ein Modellprojekt an das Landesjugendamt. Da die Erfahrungen der Mobilen Jugendarbeit mit öffentlichen Trägern eher negativ waren, bemühten wir uns darum, einen freien Träger vor Ort zu finden, der sich dieses Projektes annahm. Ein kleiner, noch junger Verein -der „Bürgerverein Parksiedlung e. V.“ -, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, die bauliche und soziale Infrastruktur der Parksiedlung zu verbessern, kam dafür in Frage. Parallel dazu mußte die Planung der Finanzen erfolgen, was Verhandlungen mit der Kommune Ostfildern, mit dem Landkreis Esslingen und mit dem Arbeitsamt notwendig machte. Am l. Juh 1988 war es schließlich soweit: Die Finanzierung war zugesichert, wir wurden offiziell als Mitarbeiter eingestellt, der „Bürgerverein e. V.“ hatte die Trägerschaft übernommen Zwischenzeitlich hatten wir zudem erste Kontakte zu den Jugendlichen geknüpft. 2. Umsetzung Die Kontaktaufnahme zu den Jugendlichen aus der Parksiedlung gelang über eine „Schlüsselfigur“, einen der „informellen Führer“ der Jugendgruppe. Mit ihm und weiteren Jugendlichen verabredeten wir uns gemeinsam mit Professor Dr. Walther Specht in einer Kneipe namens „Caf". Bei diesem ersten gemeinsamen Treffen kamen bereits ausführliche Gespräche über die Situation der Jugendlichen in Gang. Einige berichteten über die Raumknappheit, einige über ihre Angst vor dem Strafvollzug, andere über die Probleme mit den Anwohnern. Es wurde deutlich, wie stark sich die Jugendlichen ausgegrenzt fühlten. Sie sagten zu uns: „Ihr seid die ersten Erwachsenen, die sich zu uns an den Tisch setzen und uns fragen, was wir anderen sagen uns immer nur, wollen. Alle was wir nicht dürfen!“

Nach diesem ersten Treffen besuchten wir die Jugendlichen mindestens einmal wöchentlich am Herzog-Philipp-Platz. Die Gespräche fanden dann in lockerem Rahmen auf der Parkbank, auf dem Rasen, auf der Straße oder in der Kneipe statt. Nach und nach konnten wir Kontakte zur ganzen Gruppe herstellen. Die ersten Kommunikationsformen waren Blickkontakte, formelle Begrüßung wie „Guten-Tag-Sagen“ oder Händeschütteln. Es genügte auch, nur so dabeizustehen, vielleicht etwas zu trinken, eine Zigarette zu rauchen. In den ersten zwei Monaten unserer Arbeit waren wir an vier Abenden in der Woche jeweils von 18 bis 22 Uhr mit den Jugendlichen in der Kneipe oder auf dem Herzog-Philipp-Platz.

Am Anfang waren die Jugendlichen sehr mißtrauisch. Sie wollten zwar für sich einen Raum -als Jugendtreff und Fitneßraum zum Trainieren -, aber uns, die Sozialpädagogen, die ihnen bei der Umsetzung dieser Wünsche helfen wollten (bspw. Anträge schreiben, Vorlagen für die Gemeinde-ratssitzung erarbeiten, mit den Stadträten verhandeln, mit der Polizei sprechen) wollten sie nicht. Auf das Projekt ließen sie sich nur ein, weil sie hofften, auf diese Weise ihren Raum zu bekommen. Aber die Jugendlichen blieben skeptisch:

.. hier hat sich dreißig Jahre lang nichts verändert, da werdet ihr auch nichts verändern!“ hieß es. Diejenigen, mit denen wir von Anfang und regelmäßig in Kontakt waren, ließen sich schließlich überzeugen, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Diese Jugendlichen stellten sich nach und nach auf unsere Seite und unterstützten das geplante Vorhaben.

Von Beginn an spielte das gegenseitige Abtasten, auch der politischen Orientierungen, eine große Rolle. Wir versuchten nicht, unsere Meinungen zu verbergen, stellten sie allerdings auch nicht in den Vordergrund. Die Jugendlichen waren übrigens sehr daran interessiert, uns ihre Auffassungen zu bestimmten Themen nahezubringen, und immer wieder fragten sie uns, wie wir darüber dächten. Das betraf solche brisanten Themen wie die Aufnahme von Asylbewerbern, die Wohnungsproblematik, Aussiedlerzuwanderung, die Drogenproblematik, Kriminalität von Ausländern u. a. m. Unsere Schwierigkeit bestand darin, konstruktive Diskussionen mit der Gruppe zu führen, dabei jedoch Verhärtungen möglichst zu vermeiden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, den Jugendlichen nicht das Gefühl der absoluten Ohnmacht gegenüber den Worten des Sozialpädagogen zu geben, was unter Umständen zu einer Verlagerung der „Diskussion“ auf eine andere, die nonverbale Ebene des Handelns mit den „Argumenten“ der Faust führt. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, daß Jugendliche in solchen Fällen nichteinfach losschlagen; es erfolgt vorher immer eine Warnung etwa in diesem Stil: „Hör jetzt auf, du nervst“ -oder „Dein Gesülze geht mir auf den Geist."

Viele Erwachsene, auch Sozialpädagogen, sind in einer heftigen Diskussion über politische Ziele jedoch so stark emotional beteiligt, daß sie nicht mehr in der Lage sind, diese Warnungen wahrzunehmen und zu beachten. Dies führt dann nicht selten zu Aggressivität auf Seiten der Jugendlichen, die schnell unkontrollierbar werden kann; die Erwachsenen fühlen sich bestätigt in ihrem Vorurteil über diese „kriminellen, aggressiven Radikalen“, mit denen man keine Diskussion führen kann. Sie merken nicht, daß sie selbst der Auslöser für die Aggressionen waren. Wird dagegen die Diskussion nach den ersten „Warnsignalen“ abgebrochen, läßt sich der Gesprächsfaden meist am nächsten Tag wieder knüpfen.

Nach den ersten Treffen wurden wir einer Reihe von „Tests“ unterzogen, die dazu dienten, unsere Integrität sicherzustellen. Die Jugendlichen suchten auf diese Weise herauszufinden, ob wir nicht vielleicht doch Polizeispitzel seien oder ob wir sie „politisch missionieren“ wollten. Sie wollten wissen, ob wir sie akzeptieren oder ob wir bestimmte Angaben etwa über fingierte Straftaten weiterleiten würden, ob und wie man uns provozieren könnte und welche Reaktionen wir zeigen würden. Nachdem wir ungefähr zwei, drei Monate lang immer wieder mit angeblich geplanten Überfällen auf Türken und mit abscheulichen Juden-und Türken-witzen konfrontiert worden waren und uns trotzdem noch regelmäßig am Herzog-Philipp-Platz einfanden, ohne jedoch jemals selbst rechtsextremen Äußerungen zuzustimmen, änderte sich die Situation. Zunehmend standen jetzt nicht mehr politische Bekenntnisse im Vordergrund; die Jugendlichen bezogen uns nun mehr und mehr in die Diskussion ihrer Alltagsprobleme ein. Probleme aus dem Freundes-und Familienkreis, Probleme mit Polizei und Justiz, Probleme am Arbeitsplatz und in der Schule usw., also die Probleme, die die Jugendlichen tagtäglich beschäftigten, wurden schließlich Gegenstand der Unterhaltungen. Nun hatten wir einen idealen Ausgangspunkt für gezielte Einzelfallhilfen. 3. Projektarbeit a) Einzelfallhilfe Auf der Basis der Kontakte auf der Straße und in der Kneipe faßten die Jugendlichen nach und nach Vertrauen zu uns. Sie erzählten uns von ihren Problemen oder von den Problemen anderer Jugendlicher. Vielfach geschah dies zunächst einfach um des Erzählens willen; wir waren nicht gefragt als die „professionellen Helfer“, sondern als Erwachsene, die einfach mal zuhörten und eventuell ihre Meinung dazu sagten. Als wir dann mit einigen Jugendlichen erste Versuche der Einzelfallhilfe -Jobsuche, Gespräche mit Jugendgerichtshilfe, Begleitung zu Gerichtsverhandlungen usw. -unternahmen, stießen wir zunächst auf große Skepsis. Zwar nutzten die Jugendlichen gern den Vorteil, daß wir ein Auto hatten und sie zu den entsprechenden Terminen hinfahren konnten, aber sie glaubten nicht, daß wir ihnen helfen könnten, an ihrer verfahrenen Lebenssituation etwas zu ändern. Als jedoch einige Jugendliche konkrete Verbesserungen durch unsere Beratung und Begleitung erfahren hatten, was sich langsam in der Gruppe herumsprach, wurden wir verstärkt bei Problemen zu Rate gezogen. b) Entwicklung alternativer Freizeitangebote Um delinquenten Handlungen und der oft belastenden Langeweile entgegenzuwirken, war es von Anfang an sehr wichtig, alternative Möglichkeiten zur Gestaltung der Freizeit zu finden und gemeinsam mit den Jugendlichen zu entwickeln. Die kleinsten Hinweise aus der Gruppe griffen wir auf, versuchten die Jugendlichen zu animieren und zu motivieren, sich auf neue geplante Formen der Freizeitgestaltung einzulassen und sie mitzugestalten. In der Folge entstanden daraus eine Reihe von sozial anerkannten Freizeitaktivitäten, die mit Spaß, Action und Spannung verbunden waren, ohne den negativen Beigeschmack krimineller Handlungen zu haben. Wir veranstalteten gemeinsam mit den Jugendlichen Wochenendfahrten, Fußballturniere, Dart-Turniere, Skattumiere, Parties, Silvester-und Faschingsfeten, Freizeiten und Tagesausflüge. Nach anfänglichem Zögern wirkten mehr und mehr Jugendliche begeistert an den Aktionen mit. c) Stabilisierung der Gruppe Neben der Einzelfallhilfe und der Gestaltung der Freizeitaktivitäten versuchten wir, die bestehende Gruppe zu stabilisieren und zu stärken, zogen doch die einzelnen Jugendlichen viel Positives aus der Zugehörigkeit zur Gruppe: Akzeptanz der eigenen Person, das Gefühl der Geborgenheit innerhalb eines Schutzraumes, soziale Anerkennung, das Gefühl der Macht anstelle von Ohnmacht, die Möglichkeit, bestimmte Rollen einnehmen zu können etc. Durch die etwa auf unsere Anregung durchgeführten Vollversammlungen, die zwar anfangs ausgesprochen chaotisch verliefen, deren Ablauf sich aber bald normalisierte, erlernten die Jugendlichen demokratische Umgangsformen: Jeder kann mitreden und jeder kann mitbestimmen.Die Besprechungen haben einen hohen Grad an Verbindlichkeit. Wir haben zudem erreicht, daß auch Schwächere ihre Meinung einbringen können. Die Vollversammlungen der Gruppe stellen eine wichtige Ausgangsbasis für die Planung und Durchführung von Freizeit dar. d) Gemeinwesenarbeit Da wir die ersten zwei Jahre in Ermangelung geeigneter Clubräume hauptsächlich in den beiden zentral gelegenen Kneipen am Herzog-Philipp-Platz arbeiteten, bekamen wir viele Kontakte zu Erwachsenen, auch zu den Eltern der Jugendlichen. Ein Großteil der Stammgäste hatte erhebliche Vorurteile gegenüber dem „Bürgerverein Parksiedlung e. V.“, dem Träger, bei dem wir angestellt waren, wodurch eine Reihe von Anknüpfungspunkten für ausführliche Gespräche gegeben waren. Dabei mußten wir enorme Kommunikationsblockaden zwischen den verschiedenen Milieus in der Parksiedlung feststellen.

Mit dem Ziel der Verbesserung der Kommunikation wirkten wir im Rahmen unseres Projektes beim jährlich stattfindenden Stadtteilfest mit. Es gelang uns, von Jahr zu Jahr mehr Jugendliche und deren soziales Umfeld in die Planung und Gestaltung dieser Veranstaltung einzubinden. Der „Bürgerverein Parksiedlung e. V.“ und seine Mitglieder -Rechtsanwälte, Selbständige und Angestellte -waren zunächst die Hauptinitiatoren dieses „Gemeinwesenspektakels“. Über die Planung und Umsetzung des Festes kam es tatsächlich zu einer gewissen Aufhebung der „Sprachlosigkeit“, wenngleich natürlich die je spezifischen, einander fremden Gewohnheiten und die festverankerten Vorurteile auf beiden Seiten immer wieder für Kommunikationsprobleme sorgten. e) Offensive Öffentlichkeitsarbeit Die Parksiedlung Ostfildern hatte jahrzehntelang eine schlechte Presse. Immer wieder war sie als sozialer Brennpunkt in die Aufmerksamkeit der Region gerückt worden. Entsprechend hafteten Vorurteile auch an den Personen, die in der Parksiedlung aufwuchsen: „Was, du kommst aus der Parksiedlung, na da kommt nichts Gutes her!“ Mit solchen und ähnlichen stigmatisierenden Sprüchen wurden viele Jugendliche konfrontiert. Durch das Auftreten der Skinheads bekam die Parksiedlung erneut ein negatives Stigma: „Dort sind die rechtsradikalen Schläger!“ Der „Bürgerverein Parksiedlung e. V.“ versuchte, dem durch eine eigene Stadtteilzeitung entgegenzuwirken, in der die Probleme der Parksiedlung aufgegriffen und im Spannungsfeld von Bürgern, Gemeinderat und Verwaltung diskutiert wurden. Wir konnten an der Gestaltung dieser Zeitung mitwirken und über Aktivitäten der Mobilen Jugendarbeit berichten. Zugleich versuchten wir, durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit die positiven Aktivitäten von Jugendlichen aus der Parksiedlung in die Presse zu bringen, was uns häufig gelang, da die örtlichen Zeitungen einen relativ umfangreichen Regionalteil besitzen und Meldungen wie „Skinheads und Arzt verkaufen gemeinsam Steaks und Würstchen“ eine gewisse Medienwirkung versprachen. Durch diese offensiv betriebene Öffentlichkeitsarbeit erschienen mit einem Male Berichte über die sozial anerkannten Aktivitäten der Jugendlichen in den Zeitungen. Sie konnten sich plötzlich mit positiven Schlagzeilen in der Presse wiederfinden, durch die ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, Selbstwertgefühl zu entwickeln, und zwar aufgrund von positiven Aktivitäten, nicht -wie bisher -aufgrund von Meldungen über Straftaten. f) Kooperation und Vernetzung Um dem ganzheitlichen Ansatz der Mobilen Jugendarbeit gerecht zu werden, ist es notwendig, mit den unterschiedlichsten sozialen Einrichtungen zu kooperieren und eine effektive Vernetzung zugunsten der betroffenen Jugendlichen aufzubauen. Bereits 1958 wies Walter B. Miller darauf hin, daß das größte Hindernis einer effektiven Jugendhilfe die inner-institutionellen Konflikte der Jugendhilfeeinrichtungen und ihre durch Konkurrenz bedingte gegenseitige Behinderung seien Auch heute ist die Situation innerhalb der Jugendhilfe noch zu stark geprägt von Konkurrenz anstelle von Kooperation, von Abgrenzungen anstelle von Öffnung und Kommunikation. Mit Hilfe eines Stadtteilarbeitskreises, dem Angestellte aller wichtigen sozialen Institutionen angehörten, haben wir in der Parksiedlung versucht, diesen Zustand zu verändern So bemühten wir uns beispielsweise,gemeinsame Aktionen -etwa Kinderfeste -zu planen und zu organisieren, wodurch die Kooperation konkrete Ansatzpunkte bekam. Die vielfältigen Beziehungen, die wir durch unsere Bemühungen um Vernetzung knüpfen konnten, erwiesen sich als vorteilhaft bei der Regelung aller Angelegenheiten, in denen wir uns für die Belange der Jugendlichen bzw. für eine Verbesserung ihrer Lebenssituation einsetzten. Dieser Prozeß entwickelte schließlich Eigendynamik: Einige der in Anmerkung 4 aufgeführten Institutionen entwickelten, nachdem wir sie mit den Problemen in der Parksiedlung konfrontiert hatten, eigene Aktivitäten, um bestimmte Probleme zu entschärfen.

Bereits sechs Monate nach Arbeitsbeginn, also ca. neun Monate, nachdem wir erste Kontakte zu den Jugendlichen geknüpft hatten, gab es erste Anzeichen für eine Entspannung der Situation in der Parksiedlung: Die Jugendlichen wählten demokratisch eine Art Clubrat, nahmen aktiv am Stadtteil-fest teil, die Polizei mußte nicht mehr ständig präsent sein, die Schwere und Häufigkeit von Straftaten der Jugendlichen in der Parksiedlung ging laut Statistik der Jugendgerichtshilfe zurück; ebenfalls zurückgegangen ist die Zahl der Heimunterbringungen. Das Verhältnis zwischen Anwohnern und Jugendlichen zeigte erste Verbesserungen. Dies waren hoffnungsvolle Anzeichen für einen erfolgreichen Start des Projektes. In den folgenden Jahren mußten die Mitarbeiter und auch die Jugendlichen immer wieder teils leichte, teils aber auch schwere Rückschläge einstecken. Allen Widerständen zum Trotz konnte sich das Projekt Mobile Jugendarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen jedoch bis zum heutigen Tag nicht nur halten, sondern sogar stabilisieren. Welche mittel-bis langfristigen Auswirkungen das Projekt aus unserer Sicht hat, soll abschließend dargestellt werden.

IV. Schlußbetrachtungen

1. Kann die Sozialpädagogik im Bereich der Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen erfolgreich sein?

Wir meinen ja. Allerdings ist bei der Konzeption entsprechender Projekte sehr großer Wert auf die vorfindbaren Rahmenbedingungen zu legen.

Im Falle der Mobilen Jugendarbeit Parksiedlung waren diese nahezu ideal: Wir fanden ein klar abgegrenztes, kleines, überschaubares Wohngebiet mit nur ca. 3500 Einwohnern vor, konnten einen engagierten Bürgerverein für die Trägerschaft gewinnen, eine Stadtteilzeitung als ideales Medium zur Übermittlung von Ideen an die Wohnbevölkerung war vorhanden, es gab informelle Gruppenführer, die ein gewisses Verständnis für soziale Ursachen bestimmter Problem-lagen hatten; die Projektmitarbeiter besitzen eine gute Ausbildung und wurden durch erfahrene Kollegen aus Stuttgart sowie durch einen qualifizierten Fachbeirat -bestehend aus Mitarbeitern der FHS Esslingen, des Landesjugendamtes/Landeswohlfahrtsverbandes Württemberg-Hohenzollem, des Kreisjugendamtes Esslingen und des Diakonischen Werkes Württemberg -unterstützt. Ein Teil der notwendigen Rahmenbedingungen war nicht vorhanden, sondern mußte erst mühsam aufgebaut werden. Im Folgenden möchten wir einige Ergebnisse des Projektes darstellen, müssen jedoch einschränkend darauf hinweisen, daß nicht alle der beschriebenen Entwicklungen auf die von der Mobilen Jugendarbeit initiierten Prozesse zurückzuführen sind, sondern daß sie zum Teil auch als eine quasi natürliche Folge des Erwachsenwerdens der Kinder und Jugendlichen betrachtet werden können.

2. Zu den Auswirkungen der Projektarbeit

a) Jugenddelinquenz

Im Zeitraum von Juli 1988 bis Juli 1993 hat die Jugenddelinquenz in der Parksiedlung Ostfildern, insgesamt gesehen, abgenommen. Sowohl die Zahl der Anzeigen gegen Jugendliche als auch die der Verurteilungen war rückläufig. Dies konnten wir den Statistiken der Jugendgerichtshilfe und Aussagen der Polizei entnehmen. In den ersten eineinhalb Jahren erhöhte sich zwar die Zahl der Straftaten noch leicht, sank aber gegen Ende 1989 auf ein Niveau, das -gemessen an der Jugendgerichtshilfestatistik -unter dem Durchschnitt liegt. Auch die Zahl der Verurteilungen stieg noch bis 1989 an, blieb auch 1990 noch auf einem relativ hohen Niveau, sank danach jedoch auf ein durchschnittliches Maß. Dies läßt sich auf den oft sehr langen Zeitraum (der bis zu zwei Jahre betrug), der zwischen Anzeige und Gerichtsverhandlung mit anschließender Verurteilung lag, zurückführen. Von den ca. 30 bis 40 Jugendlichen der Gruppe waren 16 vorbestraft, davon zwölf wegen schwerwiegender Vergehen wie schwerer Raub, Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt, schwere Körperverletzung und fahrlässige Tötung. Von den Vorbestraften mit Bewährung haben alle bis auf zwei Jugendliche ihre Bewährungszeit erfolgreich überstanden. Bei einem Jugendlichen läuft sie noch, ein anderer hat so massiv gegen die Auflagen verstoßen, daß er wohl mehrere Jahre im Strafvollzug verbringen muß.b) Politische Orientierung Die Jugendlichen der Parksiedlung Ostfildern bezeichnen sich nach fünf Jahren Projektarbeit nach wie vor als rechtsorientiert; wir würden sie sogar eher als rechtsextrem orientiert bezeichnen. Ihre Art zu reden hat sich kaum verändert, worauf sie sehr stolz sind: „Uns kann man nicht umkrempeln!“ -„Wir haben unsere feste Meinung, da nützt auch Mobile Jugendarbeit nichts!“

Wenn wir allerdings das Leben einiger Jugendlicher einmal etwas genauer betrachten, so kommen wir doch zu der Vermutung, daß sich im Denken dieser Jugendlichen etwas verändert hat. Gewalt wird nicht mehr als „Allheilmittel“ zur Konfliktbewältigung betrachtet. Für einige der ehemals Jugendlichen, die, als wir sie kennenlernten, keinerlei Perspektive hatten, die vorbestraft, arbeitslos, nicht krankenversichert waren, keinen festen Partner, keinen Führerschein, keine Ausbildung, keine eigene Wohnung, kein eigenes Zimmer, kein eigenes Einkommen besaßen, hat sich viel verändert: Sie haben heute eine Ausbildung, einen festen Job, ein geregeltes Einkommen, einen festen Partner, eine eigene Wohnung, keine Bewährungsauflage, einen Führerschein und ein Auto. Auch sind ihre politischen Meinungen nicht mehr ganz so radikal -und die Gefahr, daß die ehemaligen Skinheads in eine rechtsextreme Partei eintreten oder dort gar aktiv mitarbeiten werden, ist wesentlich geringer zu veranschlagen. Mehr noch -einige der Jugendlichen, die wir betreut haben, sind inzwischen aus rechtsextremen Parteien ausgetreten. c) Ausbildung Eine gute Berufsausbildung hat eine enorme Bedeutung für die Zukunft Jugendlicher, für ihre spätere Integration in die Gesellschaft. Aus diesem Grund legten wir großen Wert auf die Unterstützung der Jugendlichen bei Ausbildungs-und Berufsfragen. Voraussetzung dafür, daß wir diese Hilfe überhaupt leisten konnten, war die oben beschriebene Stabilisierung der Persönlichkeit der Jugendlichen. Soweit sie gelang, gab es auch positive Ergebnisse im Bereich der Ausbildung. Nach vier Jahren konnten wir bei 17 von insgesamt 20 beobachteten Ausbildungsverläufen deutliche Fortschritte feststellen. Jeder der 17 Jugendlichen hatte sich auf folgender aufsteigender Skala um eine Stelle verbessert: 1. Strafvollzug; 2. arbeitslos; 3. Gelegenheitsarbeiter; 4. Hilfsarbeiter; 5. Berufsvorbereitungsjahr oder andere Integrationshilfen in die Arbeitswelt; 6. Lehre/Ausbildüng; 7. abgeschlossene Lehre; 8. Facharbeiter oder Angestellter; 9. zweiter Bildungsweg z. B. Fachabitur. d) Familie Aus innerfamiliären Konflikten der Jugendlichen der Parksiedlung Ostfildern, über die wir gelegentlich in Kenntnis gesetzt wurden, versuchten wir uns in der Regel herauszuhalten. In einigen Fällen wurden wir jedoch um Rat gebeten, entweder von den Jugendlichen selbst oder von deren Eltern. Gewöhnlich führten wir dann mit beiden Seiten Einzelgespräche, um im Anschluß daran ein Treffen mit allen Beteiligten herbeizuführen. In vielen Fällen hatte dies eine mittelfristig entspannende Wirkung, in einigen Fällen konnten die Konflikt-punkte -Ausbildung des Jugendlichen, Gerichtsverfahren, Wohnung, Strafvollzug etc. -so bearbeitet werden, daß Lösungen gefunden wurden. e) Psychosoziale Entwicklung der Jugendlichen Die oben beschriebene Mitwirkung im Projekt Mobile Jugendarbeit Parksiedlung -Freizeitaktivitäten, Gruppenarbeit, Gemeinwesenarbeit, Öffentlichkeitsarbeit -hat bei vielen Jugendlichen auch eine Verbesserung ihrer psychosozialen Entwicklung bewirkt. Darauf kann hier nur stichwort-artig verwiesen werden: Die integrierten Jugendlichen zeigten sich bspw. stärker motiviert, eine Ausbildung zu absolvieren oder die Bewährungsauflagen durchzuhalten, ihr Selbstbewußtsein und die Frustrationstoleranzen nahmen zu, sie zeigten mit einem Male ein stärkeres Engagement für andere, z. B. jüngere Jugendliche, waren zur Übernahme von Verantwortung bereit, änderten ihr Selbstbild usw. f) Auswirkungen im Bereich der Freizeitgestaltung Nach zwei Jahre zähen Ringens mit der Stadtverwaltung wurde den Jugendlichen und der Mobilen Jugendarbeit 1990 direkt am Herzog-Philipp-Platz ein Gebäude als Jugendtreff zur Verfügung gestellt. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten (Aneignung durch Zerstörung) übernahmen die Jugendlichen Verantwortung für die Renovierung und den jugendgerechten Um-und Ausbau des Gebäudes. Wir Sozialpädagogen fungierten dabei eher als Berater, denn als Jugendtreffleiter. Allerdings verlangten wir klare Absprachen mit dem Clubrat. Einige Jugendliche, die älter als 18 Jahre waren, wurden als Vertrauenspersonen gewählt und erhielten jeweils einen Schlüssel. Trotz einiger Rückschläge und Schwierigkeiten hat sich dieses System inzwischen seit mehr als drei Jahren bewährt. Die jüngeren Jugendlichen können zweimal pro Woche gemeinsam mit den Projektmitarbeitem einen eigenen Clubabend dort gestalten, den Rest der Woche können die älteren Jugendlichen den Raum zur Freizeitgestaltung nutzen, unter Einhaltungder gemeinsam entworfenen und vom Clubrat verabschiedeten Hausordnung. g) Wohnumfeld.

Während der Renovierung des Jugendtreffs entwickelte sich bei uns die Idee, das Umfeld des Treffs, die kleine Ladenzeile nebenan, einzubeziehen. Sie war äußerst unansehnlich und über und über mit Graffiti beschmiert. Unter der Annahme, daß die Jugendlichen ein berechtigtes Bedürfnis zur Mitgestaltung ihres Lebensumfeldes haben, führten wir Gespräche und Verhandlungen mit der Stadtverwaltung, mit den Jugendlichen und mit den Ladenbesitzem. Im Ergebnis stand eine sehr erfolgreiche Säuberungs-und Renovierungsaktion mitten im Zentrum der Parksiedlung. Jugendliche und Eltern erneuerten gemeinsam den kompletten Fassadenanstrich der Ladenzeile. Schließlich wurden auch noch mit Hilfe einer Spezialtechnik verschiedene Bilder an den Fronten des Jugendtreffs und eines Friseursalons angebracht. Diese Fassaden sind von den Jugendlichen nicht mehr besprüht worden. h) Prophylaxe Seit Anfang 1989 gibt es in der Parksiedlung Ostfildern von der Mobilen Jugendarbeit entwickelte Freizeitangebote für die neu zur Gruppe hinzustoßenden Jugendlichen. Fußballtumiere werden besucht und durchgeführt, einmal die Woche wird ein Sportnachmittag in der Schulsporthalle organisiert, und zweimal wöchentlich ist der Jugendtreff für die jüngeren, zum Projekt Mobile Jugendarbeit gehörenden Jugendlichen geöffnet. Eine Gruppe von ungefähr acht Jungen und vier Mädchen wird von uns seit ca. fünf Jahren betreut. Diese ehemals elf-bis dreizehnjährigen Jugendlichen sind heute sechszehn bis achtzehn Jahre alt. Die intensive Betreuung hatte insofern eine stark vorbeugende Wirkung, als keiner dieser von der Mobilen Jugendarbeit betreuten Jugendlichen Skinhead geworden ist und die Quote der verübten Straftaten sich auf relativ durchschnittlichem Niveau bewegt.

Bei einer vergleichbaren Gruppe im Nachbarstadt-teil, die nicht betreut wurde, eskalierten Jugenddelinquenz und Gewalt dagegen signifikant. Aufgrund dieser Erfahrungen wurde dort inzwischen ein ähnliches Projekt gestartet. 3. Resümee Vieles mußte in diesem Beitrag unerwähnt und ausgespart bleiben, wie z. B. die Rolle der Mädchen, die genauere Darstellung des alltäglichen Umgangs mit den Jugendlichen, die Bewältigung und die Art der Anforderungen, mit denen Sozial-pädagogen konfrontiert waren etc. Wir hoffen dennoch, daß dieser Beitrag ein wenig dazu anregt, darüber nachzudenken, welche Chancen in sozialpädagogischen, gemeinwesenorientierten Ansätzen für die Konfliktbearbeitung und -lösung wie z. B.der Mobilen Jugendarbeit liegen. Mit Blick auf die enorm angestiegene Gewalt gerade von rechtsextrem orientierten Jugendlichen sollte dieses Feld nicht einfach Polizei und Justiz überlassen werden. Da wir uns immer wieder damit auseinandersetzen mußten, daß die Jugendlichen in der Parksiedlung angeblich gar nicht so extrem und so gewalttätig gewesen seien, möchte ich hier noch kurz klarstellen: Einige der von uns betreuten Jugendlichen sorgten in der Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen (erster Verhafteter der Fußball-WM in Italien, Randale in Fußballstadien, Mord an einem Ausländer), und einige waren Mitglied in rechtsextrem orientierten Parteigruppierungen wie Freiheitliche Arbeiter Partei (FAP) oder Nationalistische Front (NF). Daß die Arbeit mit diesen Jugendlichen trotzdem in gewissem Sinne erfolgreich verlaufen ist, ist aus unserer Sicht ein kleiner Hoffnungsschimmer. Natürlich kann und darf deshalb Jugendhilfe nicht als Allheilmittel gegen Rechtsextremismus angepriesen werden. Das wäre unangemessen angesichts der vielfältigen Ursachen für rechtsextremes Gedankengut in unserer Gesellschaft

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Wilhelm Heitmeyer, Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklärungsmuster einer Untersuchung zur politischen Sozialisation, Bielefeld 1987.

  2. Das Projekt Mobile Jugendarbeit wurde über eine Mischfinanzierung realisiert. Die notwendigen Gelder kamen vom Landesjugendamt, vom Landkreis Esslingen, von der Stadt Ostfildern, von der Evangelischen und Katholischen Kirche, vom Arbeitsamt, Bußgelder vom Amtsgericht, Spenden und Zuschüsse von Stadt-, Kreis-und Landesjugendringen und von Stiftungen. Die Stadt Ostfildern trägt inzwischen den größten Anteil der Kosten. Für die Trägerschaft wurde 1992 eine BGB-Gesellschaft gegründet mit mehr als sieben verschiedenen Gesellschaftern (alle juristische Personen), wie z. B. Bürgerverein, Kirchengemeinden und Kommune. Mit der regionalen Polizeibehörde wurden gezielte Absprachen getroffen zur Durchführung des Projekts. Die Jugendlichen wurden darüber informiert. Zur fachlichen Begleitung wurde die ersten drei Jahre ein Fachbeirat gebildet mit Fachleuten der Jugendhilfe. Die Mitarbeiter hatten darüber hinaus regelmäßige Praxisberatung bei einer erfahrenen Kollegin von der Mobilen Jugendarbeit Stuttgart-Birkach/Plieningen.

  3. Vgl. Walter B. Miller, Inter-Institutional Conflict as a Major Impediment to Delinquency Prevention, in: Human Organisation, 17 (1958) 3, in: Walter Specht, Jugendkriminalität und mobile Jugendarbeit, Neuwied-Darmstadt 1979, S. 17.

  4. Insgesamt suchten wir die Kommunikation und Kooperation mit Jugendgerichtshilfe, Jugendamt, Sozialamt, Bewährungshelfern, Jugenddezemat der Polizei, Allgemeinem Sozialen Dienst, Sonderschulen, Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien, Kindergärten, Ev. und Kath. Kirchengemeinde, Sportvereinen, Technischem Hilfswerk, Bürger-vereinen, Ordnungsamt, Verwaltung der Kommune, Hoch-bauamt, Friedhofs-und Gartenbauamt, Gemeinderat, Jugendhaus, Übergangswohnheim für Spätaussiedler, ökumenischem Arbeitskreis, Fachhochschule für Sozialwesen Esslingen, Amtsgericht, Staatsanwaltschaft, Rechtsanwälten, Arbeitsamt, Internationalem Bund für Sozialarbeit, Diakonischem Werk, Deutschem Roten Kreuz, Landkreisverwaltung, Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit Baden-Württemberg, Landesjugendamt, Landtagsfraktionen, Stadtjugendring, Kreisjugendring.

  5. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Kurt Möller in diesem Heft.

Weitere Inhalte

Ulrich Piaszczynski; Dipl. -Päd., geb. 1961; bis 1991 Projektmitarbeiter im Projekt Mobile Jugendarbeit Parksiedlung, Ostfildern; seit 1992 Projektberater beim Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Grundsatz-und Forschungsabteilung, in Stuttgart; seit 1992 Projektberater in Sachsen innerhalb des Aktionsprogrammes des Bundesministeriums für Frauen und Jugend gegen Aggression und Gewalt. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. Walther Specht) Sozialraum Hoyerswerda. Sozialpädagogische Feld-analyse zur Vorbereitung eines gemeinwesenorientierten Jugendarbeits-und Jugendberatungsprojektes, Stuttgart 1992; (zus. mit Heike Füssenhäuser) Mobile Jugendarbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen, in: Diakonie, Zeitschrift des Diakonischen Werkes der EKD, (1992) 2; (zus. mit Forschungsgruppe) Situationsanalyse des Görlitzer Stadtteils Königshufen (Hrsg. Diakonisches Werk der EKD), Stuttgart 1992.