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Medienwirklichkeit und Medienwirkung Aktuelle Entwicklungen der Massenkommunikation und ihre Folgen | APuZ 40/1993 | bpb.de

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APuZ 40/1993 Aufstieg und Fall der Frankfurter Kulturpolitik Zwanzig Jahre Soziokultur in der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen jugendlichem Aufbruch und vorzeitiger Vergreisung? Medienwirklichkeit und Medienwirkung Aktuelle Entwicklungen der Massenkommunikation und ihre Folgen Ohnmacht der Medien Die Kapitulation der Medien vor der Wirklichkeit Die Umgestaltung des Mediensystems in Ostdeutschland. Strukturwandel und medienpolitische Neuorientierung in Rundfunk und Presse seit 1989

Medienwirklichkeit und Medienwirkung Aktuelle Entwicklungen der Massenkommunikation und ihre Folgen

Winfried Schulz

/ 30 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Entwicklung der Massenmedien in der letzten Dekade weist eine neue Qualität auf. Sie läßt sich kennzeichnen mit den Stichworten technologische Integration, Internationalisierung, Kommerzialisierung und Angebotsexplosion. Diese Tendenzen verstärken sich wechselseitig, so daß die weitere Entwicklung nur noch schwer steuerbar ist. Als Folge der Veränderungen im Mediensystem haben sich die Nutzungsmuster des Publikums gewandelt. Die beobachtbaren Folgen für Denken und Handeln der Menschen, für den Zustand der Gesellschaft und für das Funktionieren unserer Demokratie lassen sich zu drei Thesen verdichten: 1. Die Medien erweitern unser Weltwissen durch synthetische Erfahrung erheblich und verwischen dabei zugleich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. 2. Die Medien sind Stimulans und Sedativum; sie ermöglichen ihren Nutzem eine beliebige Kontrolle von Stimmungen und Gefühlen. 3. Der moderne Öffentlichkeitsprozeß erhöht das Risiko des kollektiven Irrtums. Die Gefahren des Wirklichkeitsverlustes, eines exzessiven Hedonismus oder risikoreicher Öffentlichkeitsprozesse lassen sich weder durch Marktkräfte noch durch gesetzliche Regelungen abwenden. Möglichkeiten werden jedoch darin gesehen, die Selbstkontrolle und Selbststeuerung des Mediensystems zu verbessern. Diese Prozesse und vor allem auch die öffentliche Diskussion über erwünschte und bedenkliche Folgen der Medienentwicklung können befördert werden durch: 1. systematische Beobachtung des Mediensystems mit wissenschaftlichen Methoden, 2. professionelle Medienkritik, 3. Nutzerkritik und medienpolitische Bürgerinitiativen sowie 4. Einrichtung eines Sachverständigenrats zur Begutachtung der Medienentwicklung.

„Heute 22 Uhr: Selbstmord im TV“ -so lautete am 5. August 1992 die Schlagzeile der BildZeitung. Das Blatt empörte sich scheinheilig über eine Fernsehsendung im SAT. 1-Magazin „Akut“ und schlachtete zugleich genüßlich-sensationsheischend die Szene aus, die am Abend über den Sender ging: Ein Selbstmörder dokumentiert seinen Freitod mit einer Video-Aufzeichnung, und der SAT. l-Beitrag benutzt diese als emotionalen „Einstieg“ in das Thema Sterbehilfe.

Angesichts des vielfachen Sterbens, dem wir täglich in den Medien begegnen, ist ein einzelner Selbstmord keine Sensation. Der Vorgang ist jedoch exemplarisch für gegenwärtige Tendenzen in der Massenkommunikation, die zu einem Qualitätsverlust unserer öffentlichen Kommunikation führen.

$I. Tendenzen der gegenwärtigen Medienentwicklung

Die Entwicklung, die uns hier interessiert, soll zum einen in der Perspektive auf mehrere Jahrzehnte, zum anderen aus der Nähe mit Blick auf die letzte Dekade betrachtet werden. Im Verlauf der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts stieg das Angebot an Information zur Befriedigung der Bedürfnisse nach Orientierung, Bildung, Beratung und Unterhaltung exponentiell an. Längst übersteigt das Angebot bei weitem die Nachfrage, obwohl auch die Nachfrage -teils angebotsinduziert -ständig zunimmt. Die Ausgaben privater Haushalte für Information und Kommunikation wachsen stetig, sowohl absolut als auch relativ, d. h. berechnet als Anteil am Familien-budget. Einen immer größeren Anteil ihres täglichen Zeitbudgets widmen die Menschen dem Umgang mit Kommunikationsmedien, also mit technisch vermittelter Kommunikation.

Die letzte Dekade weist einige Merkmale auf, die der Entwicklung eine neue Qualität zu geben scheinen. Sie lassen sich kennzeichnen mit den Stichworten technologische Integration, Internationalisierung, Kommerzialisierung und Angebots-explosion

1. Technologische Integration Die wichtigsten Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnik -Datenverarbeitung, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik -durchdringen sich zunehmend. Dadurch kommt es zu qualitativen Sprüngen und Synergie-Effekten mit enormen Entwicklungsfortschritten. Beispiele sind die unvorstellbaren Informationsmöglichkeiten über die weltweit verfügbaren wissenschaftlichen und Nachrichtendatenbanken, der gegenwärtige Wandel von EDV-Geräten und Programmen zu Multimedia-Systemen sowie das High-Definition-Fernsehen, um das hinter den Kulissen noch der Kampf der Systeme und Elektronikriesen tobt und das in wenigen Jahren das, was herkömmlich als Fernsehen bekannt ist, ziemlich alt aussehen lassen wird. 2. Internationalisierung Parallel zur internationalen politischen Zusammenarbeit, zur Herausbildung einer weltpolitischen Ordnung und zur Integration regionaler Märkte wie in Europa und in Nordamerika kommt es immer mehr zu Verflechtungen nicht nur der verschiedenen Volkswirtschaften, sondern auch einzelner Unternehmen. Dies trifft vielleicht mehr noch als auf andere Wirtschaftsbereiche auf den Kommunikationssektor zu. Da es -teils als Folge der Internationalisierung selbst, teils auf Grund anderer Faktoren -inzwischen zu erheblichen Konzentrationsprozessen gekommen ist, dominieren vor allem einige multinationale Konzerne die Szene weltweit und beschleunigen wiederum, weil es ihren Interessen dient, den Prozeß der Internationalisierung.

Den Hardwarebereich bestimmen Multis wie Matsushita, Sony, Philips, Siemens, ITT-Nokia, Thomson, AT& T und IBM; den Softwarebereich Giganten wie Time Warner, CBS-Sony, Bertelsmann, Murdock, Berlusconi, die luxemburgische CLT, der Amerikaner Ted Turner (CNN), der deutsche Leo Kirch. Wesentliche Folge der Inter-nationalisierung ist, daß der Gestaltungsspielraum nationaler Regierungen in der Technologie-, Wirtschafts- und Medienpolitik immer geringer wird, daß auf nationalen Märkten immer mehr ausländische Kommunikationsangebote (Radio-und Fernsehprogramme, Kinofilme, Zeitschriften, CDs und Videos) verfügbar sind, wodurch das Angebot im nationalen Rahmen betrachtet vielfältiger, aber international gesehen gleichförmiger wird. 3. Kommerzialisierung Bis in die siebziger Jahre waren, zumal in Europa, die meisten nationalen Kommunikationssysteme weitgehend abgeschottet und reglementiert. Das galt vor allem für den Rundfunk, d. h. für Radio und Fernsehen. Im letzten Jahrzehnt hat sich in Europa und weltweit das Prinzip der medienpolitischen Deregulierung durchgesetzt, teils als Ausfluß einer allgemein auf Deregulierung angelegten liberal-konservativen Wirtschaftspolitik, teils unter dem Zwang der wirtschaftlichen Internationalisierung und einer supranationalen Wirtschaftspolitik, insbesondere der Europäischen Kommission.

Zur Deregulierung im Bereich von Information und Kommunikation gehört, daß Wettbewerbsbeschränkungen und kartellrechtliche Vorschriften, die eine Konzentration verhindern sollen, gelokkert werden und daß öffentliche Einrichtungen (Beispiel: Telekom) privatisiert oder teilprivatisiert werden, daß ferner der Staat die Nutzungsrechte für neue Techniken (z. B. Frequenzen, Satellitenkanäle) privaten Interessenten überläßt und ihnen die Finanzierung durch Werbung gestattet.

Die Folge ist, daß die Marktmacht der Medienmultis und ganz allgemein der auf dem Medienmarkt bereits gut etablierten Unternehmen wächst, daß also die Konzentration zunimmt, daß öffentliche Kommunikation mehr und mehr mit Werbung durchsetzt, ja geradezu überschwemmt wird, daß Entscheidungen über die Hardware-Entwicklung und vor allem über das Software-Angebot -speziell über Medieninhalte -vorwiegend von Gesichtspunkten der Marktfähigkeit und Nutzer-akzeptanz bestimmt werden. Das hat, wie wir alle beobachten konnten, in kürzester Zeit zu einer sehr weitgehenden Kommerzialisierung von Radio und Fernsehen geführt. 4. Angebotsexplosion Die sechziger und siebziger Jahre waren in den meisten entwickelten Industrieländern gekennzeichnet durch eine bemerkenswerte Ausweitung des Kommunikationssektors und eine stetige Expansion der Massenmedien. Diese Entwicklung wird nun aber seit den achtziger Jahren völlig in den Schatten gestellt durch die dramatische Angebotsexplosion vor allem von Radio-und Fernsehprogrammen -eine unmittelbare Folge der Deregulierung und Kommerzialisierung wie auch der Internationalisierung. Was wir beim Rundfunk beobachten, ist aber nur der besonders auffällige Teil der Angebotsexplosion. Kaum weniger dramatisch ist die expansive Entwicklung bei den Publikumszeitschriften, bei den CDs und Videos, bei den Nachrichtenagenturen und Datenbanken.

Die Trends der Gegenwart folgen einer Gesetzmäßigkeit, die von Anfang an typisch war für die Entwicklung der Kommunikationsmedien: Neue Medien verdrängen in der Regel die älteren Medien nicht, sondern wirken eher stimulierend, begünstigen die Weiterentwicklung (teils auch die funktionale Differenzierung) älterer Medien und das Aufkommen besser an den verschärften Wettbewerb angepaßter Angebote Ein gutes Beispiel dafür sind die modernen „Hybridmedien“, die inhaltlich auf andere Medien bezogen sind, wie z. B. Rundfunkprogrammzeitschriften, Computer-zeitschriften, Literaturdatenbanken und Medien-fachzeitschriften.

Dieses Phänomen der Selbstverstärkung oder „positiven Rückkopplung“, wie es in der Sprache der Kybernetik heißt, finden wir gleich mehrfach vor. Deregulierung und Kommerzialisierung sind zugleich Ursachen und Folgen der Medienentwicklung. Denn mit der steigenden Zahl der Marktteilnehmer und der Verschärfung des Wettbewerbs um die knappen Finanzressourcen wächst der Zwang zu immer aufdringlicheren Formen der Werbung, mit denen sich die einzelnen Medien einen Vorsprung als Werbeträger und damit bessere Einnahmen verschaffen wollen. Wir beobachten das an der teils aufdringlichen, teils subtilen Vermischung von Werbung und Programm bei den Radio-und Fernsehsendern, die damit nicht selten gegen die geltenden Fernsehgesetze verstoßen, ohne daß dies von den Aufsichtsinstanzen entschieden genug gerügt und unterbunden wird.

Die zunehmende Durchdringung der Medien mit Werbung ist deutliches Zeichen dafür, daß die Werbeträgerfunktion andere, vor allem publizistische Funktionen der Medien in den Hintergrund drängt. Das hat weitreichende Folgen für die Medieninhalte. So werden beispielsweise Radio-und Fernsehprogramme -wie das bei den Publikumszeitschriften schon längst der Fall ist -mehr und mehr unter dem Gesichtspunkt ihrer Tauglichkeit als Werbeumfeld ausgewählt, gestaltet und plaziert. Wir machen die Bekanntschaft ganzneuer Programmformen wie Game-Shows oder Teleshopping, die zu nichts anderem erfunden wurden als zur Anpreisung oder sogar zum direkten Verkauf von Produkten. Am konsequentesten in diese Richtung geht das Angebot des Fernsehsenders MTV, das fast nur aus Werbung besteht (für Pop-und Rockmusik, Interpreten, Platten-Labels, Konzertveranstaltungen etc.).

Die gegenwärtige Medienentwicklung ist ferner dadurch gekennzeichnet, daß Verdrängungs-und Konzentrationstendenzen zunehmen, weil der verschärfte Wettbewerb die Starken begünstigt und die Schwachen aus dem Markt wirft. Bei den Publikumszeitschriften wird in der Bundesrepublik das Feld schon seit längerem durch vier Riesen beherrscht, die zusammen einen Marktanteil von rund 65 Prozent haben: die Verlage Bauer, Burda, Springer sowie Gruner+Jahr (der zum Medien-giganten Bertelsmann gehört) Beim privaten Fernsehen stehen inzwischen fast alle überregionalen Sender unter dem Einfluß von zwei Medien-multi-Gruppen, nämlich Bertelsmann/CLT und dem Axel Springer/Leo Kirch-Konglomerat Durch die multimedialen Verflechtungen, etwa zwischen dem Springer-Verlag und SAT. l, kommt es immer häufiger zu einem medienübergreifenden Verbund nicht nur im Geschäftlichen, sondern auch im Journalistischen. So eine journalistische Verbundaktion war die öffentlichkeitswirksame Scheinempörung in der Bild-Zeitung des Springer-Verlags mit dem Ziel, dem Fernsehsender SAT. l Zuschauer zuzuführen und damit dessen Attraktivität als Werbeträger zu erhöhen.

Prozesse der Selbstverstärkung lassen sich auch im Publikumsverhalten feststellen. So erhöht nicht nur das Mehr an Medien mit ihren immer besser auch auf spezielle Publikumswünsche zugeschnittenen Angeboten den Umfang der Mediennutzung; Mediennutzung stimuliert auch das Interesse der Nutzer und weckt Bedürfnisse nach weiterer Kommunikation. So haben die Publikumszeitschriften ganz erheblich von der Expansion im Rundfunksektor profitiert. Nicht zuletzt tun die Medien selbst eine ganze Menge dafür, um ihre Klientel zu binden und zu mehr Mediennutzung zu verführen -mit Jingles und Trailern, mit Werbung der Radio-und Fernsehanbieter für ihre Programme in Zeitungen und Zeitschriften und umgekehrt der Printmedien in Funk und Fernsehen. Die Massenmedien selbst sind in der Bundesrepublik drittgrößter Auftraggeber für Werbung in Massenmedien

Mit Mediennutzung verbringt der Bundesbürger/West über sechs Stunden an einem durchschnittlichen Werktag, der Bundesbürger/Ost kommt sogar auf noch etwas höhere Werte. Dabei entfallen auf audiovisuelle Medien (TV, Video) rund zweieinviertel Stunden (2: 17), auf auditive Medien (Radio, CD, Kassetten) knapp dreieinviertel Stunden (3: 11) und auf Printmedien eine Stunde (59 Minuten). Mediennutzung ist daher in der heutigen Gesellschaft die häufigste und für viele auch wichtigste Beschäftigung. Den über sechs Stunden Massenkommunikation stehen pro Tag knapp eineinhalb Stunden personale Kommunikation gegenüber Die Menschen widmen der technisch vermittelten Kommunikation -neben Schlafen und Arbeiten -die bei weitem meiste Zeit in ihrem Leben.

Die Entwicklung in jüngster Zeit, Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre, ist wie folgt gekennzeichnet: Nachdem der Umfang der Fernsehnutzung von Mitte der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre nahezu konstant blieb und viele Beobachter -je nach Standpunkt erfreut oder irritiert -die Faszination des Fernsehens schwinden sahen, hat dieses Medium seit dem Aufkommen der privaten Anbieter einen kräftigen Nutzungsschub erfahren. Zugleich gewinnt das Radio -ebenfalls dank der neuen Angebote der Privat-sender -seit 1970 stetig und unvermindert an Attraktivität. Das Radio wird heute von allen Medien am meisten genutzt.

Aber nicht so sehr die quantitative Ausweitung der Mediennutzung ist das Bemerkenswerte an der neueren Entwicklung, sondern die Änderung der Nutzungsmuster -Fernsehen, das traditionell als Freizeitvergnügen am Abend genutzt wurde, expandiert in den Nachmittag und späten Abend und ist auf dem Weg, zum Ganztagsmedium zu werden; Radio und Fernsehen wachsen auch mehr und mehr in den Arbeitsalltag hinein. -Vor allem Jugendliche, die sonst eher unterdurchschnittlich viel fernsehen, haben ihren Fernsehkonsum massiv ausgeweitet und gehören zu den bevorzugten Nachmittags-und Spätabendfernsehem; sie sind auch die größten Fans der privaten Programme. -Mit dem Wandel zum Ganztagsmedium wird Fernsehen auch zunehmend flüchtiger und beiläufiger genutzt; wie es längst für das Radio typisch ist, verliert Fernsehen den Charakter einer ausschließlichen, konzentrierten Beschäftigung; zugleich begünstigt die Fernbedienung ein äußerst flexibles Programmwahlverhalten, begünstigt „Zapping“ und „Grazing“ begünstigt damit auch ein Ausweichen vor anspruchsvollen und politischen Programmen. -Die Angebotsvielfalt nicht nur beim Fernsehen, sondern bei den Medienangeboten insgesamt, die Mehrfachausstattung vieler Haushalte mit Radio-und Fernsehgeräten und nicht zuletzt die „Zeitmaschine“ Video-Recorder ermöglicht den Nutzem eine sehr individuelle und situationsgerechte Befriedigung ihrer Kommunikationsbedürfnisse; vor allem Freunde der trivialen Unterhaltung kommen heute zu jeder Tages-und Nachtzeit voll auf ihre Kosten. -Diese Individualisierung der Wahlmöglichkeiten bringt eine zunehmende Segmentierung des Publikums mit sich, d. h., die von einzelnen Sendungen erreichten Zuschauergruppen werden immer kleiner. Die Zeiten, da die halbe Nation am Abend vor dem Fernseher versammelt war, dieselbe Sendung verfolgte und am nächsten Tag im Betrieb oder Büro darüber sprach, gehören der Vergangenheit an.

II. Medienentwicklung und Medienwirkung

Welche Folgen hat der skizzierte Wandel, hat spe-, ziell die neuere Medienentwicklung für Denken und Handeln der Menschen, für den Zustand der Gesellschaft und insbesondere für das Funktionieren unserer Demokratie? Es gibt auf diese komplexe Frage keine einfache Antwort. Die Kommunikationsforschung hat eine Vielzahl von Medienwirkungen mehr oder weniger zweifelsfrei nachgewiesen, die an dieser Stelle auch nicht annähernd vollständig ausgebreitet werden können

Ich will einige wichtige Wirkungsmuster und -gesetzmäßigkeiten der Massenkommunikation herausarbeiten und dabei auf mir besonders bedeutsam erscheinende Beobachtungen und Forschungsergebnisse hinweisen.

Drei Vorbemerkungen sind angebracht: 1. Die Wirkung der Massenmedien, insbesondere die Wirkung des Fernsehens auf Individuum und Gesellschaft, wird oft überschätzt, und -so merkwürdig es vielleicht klingt -diese Überschätzung selbst ist Ursache für einen Teil der Medienwirkungen. Vor allem politische Akteure unterstellen bei ihrem Handeln oft eine starke Medienwirkung und führen durch die unbeabsichtigten Folgen dieser Unterstellung bestimmte „Drittwirkungen“ der Massenmedien herbei. 2. Die Massenmedien haben keineswegs nur negative Wirkungen, wie die öffentlich geführte Diskussion nahezulegen scheint, sondern auch eine Reihe von positiv zu beurteilende Wirkungen. Allerdings -die Frage, wie bestimmte Wirkungen zu beurteilen sind, ist in der Wissenschaft höchst umstritten und kann letztlich mit wissenschaftlichen Methoden nicht entschieden werden. In dieser Hinsicht ist eine öffentliche Diskussion über die Bewertung von Wirkungen notwendig. 3. Der Terminus „Medienwirkungen“ selbst ist problematisch. Er geht von einer ganz bestimmten Sichtweise des Verhältnisses von Medien und Gesellschaft aus, der Vorstellung nämlich, daß die Medien ein Fremdkörper sind, eine neumodische Erfindung, durch die -wie bei der Vertreibung aus dem Paradies -die heile Welt einer vormedialen Epoche beendet wurde. Bei dieser Sichtweise werden zwangsläufig nur negative Medienwirkungen erwartet. Tatsächlich aber sind Medien ein untrennbarer Bestandteil der kulturellen Entwicklung des Homo sapiens, sie sind notwendige Voraussetzungen dieser Entwicklung. Denn nur durch die technischen Mittel der Informationsverarbeitung -durch die Erfindung der Schrift, des Alphabets, der verschiedensten Techniken bildlicher Aufzeichnung und Gestaltung sowie vor allem durch den Buchdruck -ist die Entwicklung der abendländisch-atlantischen Hochkultur möglich geworden.

Um uns also nicht von vornherein den Blick auf die Vielfalt des Phänomens Massenkommunikation mit seinen negativen und positiven Seiten zu verstellen, ist es wichtig, die modernen Massenmedien in ihrer historischen Kontinuität zu sehen und sie als hochentwickelte Techniken der Informationsverarbeitung zu begreifen, d. h. als Techniken zur Erweiterung der natürlichen menschlichen Fähigkeiten zur Wahrnehmung, Codierung, Übertragung und Speicherung von Information. Dadurch werden zum einen eine Reihe von scheinbaren Besonderheiten der Massenmedien, die uns auf den ersten Blick neu-und fremdartig vorkommen, als ganz selbstverständliche Merkmale von Kommunikation erklärlich. Zum anderen wird der Fehlinterpretation vorgebeugt, Massenmedien als Fremdkörper zu begreifen, als Fehlentwicklung der modernen Gesellschaft. Sie sind vielmehr in der Kontinuität der „Stammesgeschichte“ von Informations-und Kommunikationstechniken zu sehen, die mit dem Alphabet und der Schrift beginnt.

Nur so kann auch der Blick frei bleiben für die Erkenntnis dessen, was wirklich neu und was wirklich bedenklich oder gar bedrohlich ist an der Medien-entwicklung.

Im folgenden will ich einige wichtige Gesetzmäßigkeiten der Medienwirkung zu drei Thesen verdichten und diese dann erläutern. 1. Die Medien erweitern unser Weltwissen durch synthetische Erfahrung erheblich und verwischen dabei zugleich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion.

Durch Massenkommunikation wurden die Möglichkeiten der Teilhabe am weltweiten Geschehen außerordentlich gesteigert. Kontinuierliche Live-Berichterstattung über Satellitenverbindungen und das weltumspannende Korrespondentennetz der Agenturen und Nachrichtensender wie z. B. CNN und ntv machen Vorgänge an den entlegensten Schauplätzen augenblicklich und unmittelbar weltweit bekannt, und zwar mitunter schneller, als es die Anwesenden am Ort des Geschehens selbst erfahren. General Schwartzkopf beschreibt in seinen Erinnerungen vom Golf-Krieg, daß er bestimmte Frontsituationen zuerst über die CNN-Berichterstattung erfuhr und erst danach über die militärische Nachrichtenlogistik

Das mediale Informationsangebot hat noch keineswegs sein Maximum erreicht. Die Agenturen bauen ihre Dienste und Nachrichtendatenbanken weiter aus, neue Nachrichtenkanäle in Hörfunk und Fernsehen sind in Planung. Für die Interessierten entstanden und entstehen ungeahnte Informationsmöglichkeiten. Sie verbessern weiter die Teilhabe am Weltgeschehen, vergrößern aber auch die Kluft zwischen den bereits gut Informierten und den weniger Informierten, weil der Zuwachs an Informationsmöglichkeiten vor allem denen zugute kommt, die über die kognitiven Voraussetzungen zur Verarbeitung der Informationsfülle verfügen -das sind vor allem die bereits gut Informierten und politisch Interessierten Dennoch entsteht gerade bei diesen Personen das Gefühl der Informationsüberlastung.

Was unsere Wahrnehmung so enorm erweitert, hat eine neue Qualität: Es ist synthetische Erfahrung, die obendrein oft synthetische Ereignisse betrifft Daß Medien Erfahrung aus „zweiter Hand“ vermitteln und eine eigene Realität kreieren, ist eines ihrer Wesensmerkmale und gehört zu den Errungenschaften, die unsere Kultur am stärksten geprägt haben. Medien codieren einen Ausschnitt der Wirklichkeit oder der Vorstellung von Wirklichkeit oder auch eine Fiktion und übersetzen diese in eine spezifische Zeichensprache. Das codierte Phänomen steht zwar in Beziehung sowohl zum bezeichneten Phänomen wie auch zum codierenden Kommunikator, zugleich aber entsteht auch eine neue Wirklichkeit -die Wirklichkeit der Zeichen. Verhältnismäßig leicht nachvollziehbar ist das am Medium der Schrift.

Der schriftliche Bericht über ein Ereignis ist, auch wenn er noch so akribisch verfaßt wird, eine hoch-selektive, perspektivisch verkürzte und interpretative Übersetzung eines Realitätsausschnitts in die Zeichensprache der Buchstaben, Wörter und Sätze, die auf völlig andere Wahmehmungsbedingungen angewiesen ist als die Beobachtung des realen Ereignisses. Noch weiter entfernt von der wahrnehmbaren Welt sind schriftliche Fiktionen, Romane, Krimis, Science-Fiction-Literatur, Theaterstücke.

Weniger offensichtlich ist der synthetische Charakter der Darstellung bei den modernen audiovisuellen Medien des Kinofilms und des Fernsehens. Sie lösen das zu codierende Ereignis in einzelne Einstellungen auf, verwenden dabei unterschiedliche Schnittlängen, Kameradistanzen, Ausschnittvergrößerungen, Drauf-und Druntersicht, Schwenks, Zooms, Slow-motion und Zeitraffer und montieren die Einstellungen -oft unter Anwendung von Blenden, Kontrast-, Parallel-oder auch Sukzessiv-Anordnungen -zu Szenen mit einer ausgeklügelten Bilderfolge, die von den Wahmehmungsbedin-gungen in realen Situationen stark abweicht. Es entsteht damit eine räumlich und zeitlich synthetische Zeichen-bzw. Ereignisstruktur mit einer eigenen Wirkungsgesetzlichkeit Wer einmal Gelegenheit hatte, ein Ereignis als Beobachter und die Darstellung des Ereignisses im Fernsehen zu vergleichen, z. B. eine politische Veranstaltung oder ein Fußballspiel, wird überrascht gewesen sein über das Ausmaß der Verfremdung der Realität durch das Fernsehen Welche Möglichkeiten neuer sinnlicher Erfahrung dadurch geschaffen werden, demonstrieren besonders eindrucksvoll die Musikvideos, wie man sie auf dem Fernsehkanal MTV beobachten kann.

Vielleicht noch eindrucksvoller sind die virtuellen Welten, die sich allein durch Computer-Animation kreieren lassen und die -unter Einbeziehung von motorischen Reaktionen der Rezipienten -zum „Cyberspace“ weiterentwickelt wurden, einer künstlichen Welt, die „natürliche“ Wahrnehmungsreaktionen und den Eindruck simuliert, daß man sich mitten in einer künstlich geschaffenen Welt befindet. Noch ist das eine Art Jahrmarkt-attraktion. Doch auch die besondere Wirkung des Fernsehens beruhte schon immer darauf, daß es den Eindruck der Authentizität, der Augenzeugenschaft -synthetisch -hervorrufen kann. Dabei ist es ohne weiteres möglich, Elemente aus verschiedenen, räumlich und zeitlich getrennten Ereignissen zu kombinieren, Ereignisse ganz oder teilweise zu inszenieren oder tatsächliches und fiktives, inszeniertes Geschehen zu vermischen, ohne daß der Zuschauer das erkennen kann. Von dieser Möglichkeit, eine virtuelle Welt zu synthetisieren, wird seit jeher und neuerdings zunehmend im Fernsehen Gebrauch gemacht, etwa durch Verschnitt von aktuellen Berichten mit Archivmaterial, durch Nachstellen von Geschehnissen (bei Sendungen wie „Aktenzeichen XY... ungelöst“, „Polizeireport Deutschland“ und „Notruf“) oder durch Eingriffe in das zu berichtende Ereignis

Ein typisches Beispiel -eines von vielen -ist der Eingriff des Fernsehens in die Übertragung eines Gottesdienstes vom Gelände der KZ-Gedenk-StätteDachau, den die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 25. August 1988 so beschreibt: „Aus dem vorgesehenen Ablauf wurde kurzerhand das Glaubensbekenntnis gestrichen, weil es nicht mehr in die Zeit der Live-Übertragung gepaßt hätte. Zudem wurden die Kirchgänger nach einer Liedprobe aufgefordert, ein bißchen schneller zu singen -wegen der Übertragungszeit.“ Noch weiter ging der Eingriff des Fernsehens in die Realität am Ende des Gottesdienstes: „Die Besucher zogen von der Versöhnungskirche zur Jüdischen Gebets-stätte, wurden jedoch unterwegs gestoppt. Erst mußte eine Kamera umgebaut werden. Die Gemeinde nutzte die unfreiwillige Pause zu einem unvorhergesehenen Gebet an der katholischen Todesangst-Christi-Kapelle. Als der Kamera-Umbau dann immer noch nicht beendet war, ging die ganze Prozession noch einmal zurück zur Versöhnungskirche und startete von neuem -diesmal auf die bildgerecht ausgerichtete Kamera zu.“

Eine andere Form von synthetischer Realität entsteht ohne aktives Zutun der Medien, durch ihre bloße Existenz bzw. durch den bloßen Vorgang der Berichterstattung. Um von den Medien beachtet zu werden und Zugang zur Öffentlichkeit zu erhalten, ist es üblich geworden, Pseudo-Ereignisse oder Medien-Ereignisse zu inszenieren. Presse-konferenzen, Interviews, Kundgebungen, Wahlveranstaltungen, Tagungen, Demonstrationen und die spektakulären Formen unkonventionellen Pro-tests, wie sie besonders wirksam Greenpeace und Robin Wood einsetzen, werden oft nur zu dem einzigen Zweck durchgeführt, um in die Medien zu kommen

Ein großer Teil dessen, was uns tagtäglich in Presse, Radio und Fernsehen begegnet, ist ganz oder teilweise im Hinblick auf die Medienberichterstattung inszeniert. Es würde ohne die Existenz der Massenmedien überhaupt nicht oder doch in anderer Form stattfinden. Antriebskraft ist dabei die Unterstellung einer großen Wirksamkeit der Massenmedien, insbesondere des Fernsehens. Politiker und andere nach öffentlichem Einfluß trachtende Akteure glauben, wenn sie Zugang zu den Medien haben, haben sie auch schon die Köpfe und Herzen der Bevölkerung erobert. Das tritt nicht unbedingt ein. Aber was eintritt, ist eine massive Beeinflussung und Veränderung derMedienwirklichkeit und -mittelbar oder unmittelbar -der „wirklichen Wirklichkeit".

Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion werden durch die Medienentwicklung immer ungewisser, die Raum-Zeit-Koordinaten der berichteten Wirklichkeit immer unabhängiger von den tatsächlichen Ereignissen. Zwar rufen die Medien immer perfekter den Eindruck größerer Teilhabe und Wirklichkeitstreue hervor, doch tatsächlich kreieren sie immer öfter eine fiktive Welt und vermindern so den Bezug und den Zugang zur Wirklichkeit. 2. Die Medien sind Stimulans und Sedativum; sie ermöglichen ihren Nutzem eine beliebige Kontrolle von Stimmungen und Gefühlen.

Es wäre zu einseitig, Medien nur als Informationsmittel zu sehen. Sie sind -schon in ihren einfachsten, historisch frühen Formen -ebenso Mittel zur Manipulation von Emotionen. In diesem Sinn sind Medien auch eine Droge. Noch bevor die ersten Periodika zu Anfang des Jahrhunderts erschienen, diente Gutenbergs Erfindung der Druckkunst zur Publikation von billiger Unterhaltungsware, von Flugblättern, Bilderbogen und allerhand „sehr grewlichen, erschröcklichen newen Zeyttungen", wie die Sensationsblätter zum Teil betitelt waren. Was wir als „Unterhaltung“ bezeichnen, dient in erster Linie dazu, unser unausgelastetes emotionales Empfinden zu stimulieren und zu beschäftigen, Spannung und Erregung zu erzeugen, Gefühle wie Freude und Angst, Mitleid und Aversion, erotische oder aggressive Reaktionen hervorzurufen. Ein trivialer Comic ist dazu genauso in der Lage wie ein anspruchsvoller Roman, eine Fernsehserie genauso wie ein Theaterstück, ein Schlager oder eine Rocknummer genauso wie Schubert-Lieder. Die Unterschiede sind Unterschiede der Stillage, des Anspruchsniveaus, der spezifischen medialen Darstellungsmittel.

Die Medienentwicklung hat die Bandbreite der Darstellungsmittel erheblich erweitert und somit auch das Angebot für die verschiedensten Stil-und Interessenlagen. Die modernen auditiven und audiovisuellen Medien haben ganz neue ästhetische Ausdrucksmittel hervorgebracht -Video-kunst, elektronische Musik, eine eigene Foto-, Film-und Femsehästhetik -und neue und viel wirksamere Möglichkeiten der Stimulation emotionaler Befindlichkeiten. Sie haben vor allem diese Möglichkeiten allgegenwärtig und beliebig verfügbar gemacht. Wer einigermaßen leistungsfähige Empfänger und womöglich auch noch Kabel-oder Satellitenanschluß hat, kann zu jeder Zeit unter Dutzenden von Radio-und Femsehkanälen mit den unterschiedlichsten Programmangeboten wählen. Die Schallplattenspieler, Kassetten-, CD-und Video-Geräte machen ihn obendrein zeitlich unabhängig vom On-Line-Angebot der Sender. Durch Autoradios und portable Geräte werden Empfang bzw. Wiedergabe auch ortsunabhängig. Nicht zu vergessen die Vielfalt an Publikumszeitschriften, Romanheften, Comics und belletristischer Literatur, die ja nichts anderes sind als auf verschiedene spezifische Geschmacksvarianten abgestimmte Formen der Unterhaltung. Der Mediennutzer kann sich nahezu überall und jederzeit die zu seiner augenblicklichen Stimmungslage und emotionalen Befindlichkeit passende „Mediendiät“ zuführen, kann für Aufheiterung oder Melancholie, für Erregung oder Betäubung, für Dramatik oder Besinnung sorgen, und alles das ohne nennenswerte Anstrengung und zu geringen Kosten.

Die Vielfalt der Medien mit ihrer ganzen Bandbreite von avantgardistischer Kunst über konventionelle oder sensationelle Unterhaltung bis hin zu trivialer oder gar roher und obszöner Zerstreuung ist zweifellos eine Bereicherung unserer Hoch-und Populärkultur. Sie begünstigt die Geschmacks-differenzierung, die Herausbildung vielfältiger ästhetischer und hedonistischer Milieus, die Pluralisierung der Lebensstile, den Wandel von der vertikalen zur horizontalen sozialen Gliederung. Sie bietet eine historisch bisher nie gekannte Fülle von Möglichkeiten der Erbauung und der Zerstreuung. Zwar amüsieren wir uns nicht zu Tode, wie der amerikanische Kulturkritiker Neil Postman meint 17, aber wir können unsere Neigung zum Amüsement voll und bis zum Exzeß ausleben.

An den neuen und vielfältigen Unterhaltungsangeboten wird ganz besonders die Ambivalenz der Medienentwicklung deutlich: Auf der einen Seite können wir über das Fernsehen an einer vorzüglichen Opernaufführung mit künstlerischen Spitzenkräften teilhaben, denen wir in unserem Opernhaus vor Ort nie begegnen würden. Auf der anderen Seite bieten mindestens fünf andere Fernsehkanäle zur gleichen Zeit eine triviale Seifen-oper, eine amerikanische Krimiserie, eine Game-Show, einen Softporno, einen Horrorfilm. Leider lassen sich die Mediennutzer bei diesem Angebot nicht dazu verleiten, die Opernaufführung einzuschalten, wenn sie nicht schon ausgemachte Opernfreunde sind. Es ist weltfremd anzunehmen, die Massenmedien könnten eine eigene pädagogische Aufgabe übernehmen. Sie können allenfalls pädagogische Bemühungen anderer Institutionen -der Familie, der Schule, der Kirchen -unterstützen, wenn das geschickt genug angestellt wird. Vielwahrscheinlicher ist, daß die pädagogischen Bemühungen anderer Institutionen unterlaufen oder konterkariert, die Mängel und Defizite dieser Institutionen verschärft werden.

Unter diesem Aspekt ist auch die Frage zu beantworten, ob Gewalt im Fernsehen sozialschädlich ist, ob die Eskalation der Gewalt im Fernsehen, insbesondere in den Programmen der privaten Anbieter, etwas mit der zunehmenden Gewalt in den Schulen und gegen Ausländer zu tun hat. Tatsächlich hat Femsehgewalt etwas damit zu tun, aber sie ist nicht die einzige und wohl auch nicht die entscheidende Ursache. Femsehgewalt stellt die Handlungsmodelle bereit für Kinder und Jugendliche, die auf Grund anderer sozialer Faktoren gewaltbereit sind, sie legitimiert Gewalt als Mittel der Konfliktlösung und sie trägt vor allem dazu bei, daß die moralischen Barrieren gegen die Anwendung von Gewalt niedriger werden. Fernsehgewalt stumpft ab, so daß auch eine immer größere Reizintensivität geboten werden muß, um den gleichen Erregungseffekt beim Rezipienten zu erzielen Schließlich fördert und beschleunigt das Fernsehen den „Werther-Effekt“, die Nachahmung besonders spektakulärer krimineller Handlungen durch Anschlußtäter und Trittbrett-fahrer. 3. Der moderne Öffentlichkeitsprozeß erhöht das Risiko des kollektiven Irrtums.

Am Beginn des demokratischen Zeitalters steht eine grandiose Idee. Es ist die Idee der Meinungsund Pressefreiheit als Verfahren zur Selbstregulierung des Gemeinwohls. Nach dieser Vorstellung, theoretisch begründet von dem englischen Dichter und Politiker John Milton in seiner 1644 erschienenen „Areopagitica“, sind Meinungs-und Pressefreiheit die Voraussetzung für einen öffentlichen Diskurs, in dessen Verlauf sich die Wahrheit durchsetzt und die für das Gemeinwohl jeweils richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden. Es ist die erzliberale Idee, daß sich politische Irrtümer nur durch den Prozeß des freien Diskurses, durch den Streit der Meinungen vermeiden lassen. In den Augen Miltons und der meisten anderen Demokratietheoretiker -bis auf den heutigen Tag -kommt den Medien dabei die Rolle zu, ein Forum für die öffentliche Diskussion bereitzustellen, den vielfältigen in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen und Interessen eine Artikulationsmöglichkeit zu bieten

Diese Sicht von der eher passiven, dienenden Rolle der Medien stimmte aber von Anfang an nicht und stimmt heute mehr denn je nicht mit dem tatsächlichen Verhalten der Medien überein. Die moderne Theorie der Pressefreiheit hat dies inzwischen berücksichtigt. So spricht etwa das Bundesverfassungsgericht davon, daß die Mittel der Massenkommunikation eine „Medium-und Faktor-funktion“ haben, d. h., daß sie auch eine aktive Rolle im Öffentlichkeitsprozeß spielen, ein Faktor der Meinungsbildung sind Journalisten begreifen sich, zumal in der Bundesrepublik, erst in zweiter Linie als „neutrale Berichterstatter“; wichtiger oder zumindest ähnlich wichtig ist ihnen die Aufgabe des „Kritikers an Mißständen“ und des „Wächters der Demokratie“

Zu den am besten gesicherten Befunden der Medienwirkungsforschung gehört, daß die Massenmedien eine aktive Rolle bei der Selektion und Definition politischer Probleme spielen Das ergibt sich zwangsläufig aus der Struktur entwickelter Industriegesellschaften und des modernen Öffentlichkeitsprozesses. Diese Gesellschaften sind inzwischen so hochgradig differenziert, in ihren Einzelbereichen so komplex und von hochspezialisiertem Expertenwissen abhängig, daß es für Außenstehende immer schwieriger wird, die Besonderheiten bestimmter Wissenschafts-und Technologiebereiche, einzelner Industrien, Branchen und Betriebe, die Vielfalt von Berufen, den Kunst und Literaturbetrieb, die verschiedenen Sportarten, Hobbies und Lebensstile oder gar die unterschiedlichen Subkulturen der Jugendlichen zu begreifen. Die Massenmedien haben hier die Aufgabe übernommen, durch Selektion der wichtigsten Ereignisse, Themen und Probleme die Komplexität der Verhältnisse auf ein überschaubares Maß zu reduzieren und die politischen Problemprioritäten mitzubestimmen

Aber auch ein so weitentwickeltes System der Massenkommunikation, wie wir es inzwischen haben, ist immer weniger in der Lage, die Komplexität und Differenziertheit der Probleme in den verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen angemessen zu berücksichtigen und die Selbstregulierung des Gemeinwohls herbeizuführen. Das liegtan bestimmten systemimmanenten Deformierungen der Massenkommunikation, die eine solche Selbstregulierung erschweren und damit das Risiko des kollektiven Irrtums erhöhen.

Ein großes Problem ist die wachsende Diskrepanz zwischen dem immens gestiegenen Informationsaufkommen einerseits und der begrenzten Verarbeitungskapazität der Medien und Mediennutzer andererseits. Scheinbar nimmt auch die Verarbeitungskapazität der Medien zu, zumindest gibt es immer mehr und immer spezialisiertere Kommunikationsangebote. Aber die vielen Spezialmedien -Zielgruppen-und Spartenprogramme sowie Special-Interest-Zeitschriften, vor allem Fachzeitschriften, Datenbanken, Videos, Videotext, Bildschirmext usw. -erweitern nicht eigentlich die Sphäre der Öffentlichkeit, das Forum des gesellschaftlichen Diskurses, auf dem über die politischen Prioritäten gestritten wird. Sie haben vielmehr zu einer enormen Segmentierung des Publikums geführt, zu seiner Aufspaltung in eine Vielzahl gegeneinander abgeschotteter Teil-und Unterforen. Die Spezialmedien sorgen ihrerseits dafür, daß sich die Teilpublika weiter spezialisieren und differenzieren, indem sie den Fachjargon, den esoterischen Diskurs pflegen und zur Ausbildung spezieller Normsysteme und eigentümlicher Weltsichten beitragen.

Zugleich vervielfältigen die Spezialmedien das Informationsaufkommen, und das gilt genauso für die Universalmedien, also die Tages-und Wochen-zeitungen, die Publikumszeitschriften und Magazine, die Massenprogramme von Radio-und Fernsehen. Denn öffentliche Kommunikation hat die Tendenz zur Selbstverstärkung und damit zu einer fortgesetzten Vervielfältigung: Medien gebären neue Medien, Massenkommunikation stimuliert immer neue Massenkommunikation; erfolgreiche Zeitschriftenkonzepte oder Fernsehsendungen werden kopiert und vervielfältigt, Veröffentlichungen provozieren Folgemeldungen, ein Beitrag hier regt einen anderen Beitrag da an, eine sensationelle Fernsehsendung ruft die Bild-Zeitung und die Publikumszeitschriften auf den Plan und so weiter.

Ein Motor dieser Entwicklung ist die immer schärfere Konkurrenz auf dem expandierenden, deregu• lierten Medienmarkt. Ein anderer Faktor ist, daß Menschen (und besonders Journalisten) auf intellektuelle Stimulation vorwiegend mit Kommunikation und -langfristig -auch mit einer Erweiterung des Interessenhorizonts reagieren, wodurch wiederum neue Kommunikationsaktivitäten angeregt werden. Wir sind es inzwischen gewohnt, weit über die Grenzen unseres Landes hinauszublicken und erwarten ganz selbstverständlich eine laufende Information über das Weltgeschehen. Nicht zuletzt birgt das gewachsene Kommunikationsaufkommen im politischen Raum in sich die Tendenz zur Selbstverstärkung: Eine veröffentlichte Politikeräußerung provoziert Gegenmeinungen und Kommentare von anderen Politikern; Pressestellen werden tätig, PR-Maßnahmen werden in Gang gebracht, Aktionen inszeniert; dies alles ist wieder Anlaß für die Berichterstattung in den Medien und erhöht somit das Informationsaufkommen weiter.

Trotz der Expansion der Massenmedien steigt das Informationsaufkommen im vormedialen Raum insgesamt viel stärker als die Verarbeitungskapazität der Medien, und noch größer ist die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage, wenn man die Verarbeitungskapazität der Mediennutzer betrachtet. Zwar wurde das Zeitbudget für Medien-nutzung, wie beschrieben, deutlich ausgeweitet, aber im Verhältnis zur Steigerung des Medien-und Medieninhaltsangebots ist diese Ausweitung verschwindend gering. Es gibt Berechnungen, wonach vom gesamten Informationsangebot der Medien Presse, Radio und Fernsehen in der Bundesrepublik nur 1, 7 Prozent genutzt werden. Der enorme Angebotsüberhang wird als „Informationsüberlastung“ bezeichnet

Das breite Angebot erfordert einerseits größere Selektionsanstrengungen der Mediennutzer und führt nicht selten dazu, daß viele Bürger die für sie wirklich wichtigen Informationen gar nicht finden. Andererseits sehen sich auch die Massenmedien einem immer größeren Selektionszwang ausgesetzt, um mit der Fülle des Informationsaufkommens, der Vorprodukte und Halbfertigwaren, wie sie die Agenturen, Pressedienste und PR-Abteilungen anbieten, fertig zu werden und um den Interessen ihrer Nutzer nach Aufbereitung und Zu-richtung der Informationsvielfalt zu entsprechen.

Die Medien entledigen sich dieser Aufgabe anhand professioneller Standards für Nachrichten-wert. Nachrichtenwert hat eine Information u. a. dann, wenn sie überraschend ist (allerdings nur innerhalb eines bereits existierenden Erwartungsrahmens, eines Schemas oder Rituals), wenn sie sich auf das Handeln oder Leiden von Personen bezieht, Konflikte, Kontroversen, Schaden oder andere Negativismen betrifft, Dramatik oder zumindest einen hohen Intensitätsgrad besitzt Der verschärfte Wettbewerb durch die Etablierungneuer Medien, vor allem durch die Einführung von kommerziellem Rundfunk, hat den Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums erheblich gesteigert und damit auch die Notwendigkeit, die Reiz-intensität der Nachrichten zu erhöhen. Eine Folge davon ist die zunehmende Boulevardisierung des Nachrichtenstils und die Vermischung von Information mit Unterhaltung zum „Infotainment“.

Aber die erwähnten Nachrichtenwert-Kriterien gelten nicht nur für den Boulevardjoumalismus, sondern auch für seriöse Medien. Das Ergebnis der Selektion bekommen wir täglich in den Zeitungen und Nachrichtensendungen präsentiert: Krieg und Folter, Mord und Totschlag, Politikerstreit und Politikrituale. Und vor allem: Die Nachrichtenwert-Hierarchie wird jeden Tag, bei den elektronischen Medien sogar mehrmals am Tag neu festgelegt. Neue Meldungen mit höherem Nachrichtenwert verdrängen dabei Meldungen mit geringerem Nachrichtenwert. So entsteht ein äußerst fragmentiertes, diskontinuierliches Bild des Geschehens. Ursachen und Folgen der Ereignisse bleiben -im Dunkeln, Zusammenhänge werden nicht sichtbar. Massenkommunikation trägt zur politischen Bildung nicht bei

III. Fazit und Forderungen

Es ist offensichtlich, daß die Medien bei vielen Erscheinungen der Gegenwart, die wir vielleicht kritisieren, nicht die einzige und oft nicht die entscheidende Ursache sind. Es wäre daher falsch, die Massenmedien zum Sündenbock der gesellschaftlich oder politisch problematischen Entwicklungen zu machen. Vielfach sind die Medien nur einer unter mehreren Faktoren, die an der Entwicklung beteiligt sind, diese begünstigen, verstärken, mitunter auch auslösen oder in eine ganz bestimmte Richtung lenken.

Eine Verteufelung der Massenmedien hilft auch deshalb nicht weiter, weil es völlig unrealistisch wäre anzunehmen, die Medienentwicklung könnte rückgängig gemacht oder auch nur gestoppt werden. Wir können sie nicht einmal verlangsamen. Die Medienentwicklung hat eine Eigendynamik erreicht, die sie nur noch schwer beherrschbar macht. Wir müssen uns in die Rolle des Zauberlehrlings fügen, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wird.

In einer undifferenzierten Medienkritik liegt die Gefahr, daß sie in den Ruf nach dem Zensor, nach mehr Staat mündet, wie es in letzter Zeit schon mehrfach zu beobachten war. Schärfere Gesetze oder andere Kontrollmaßnahmen sind jedoch nur bedingt geeignet, die negativen Folgen der gegenwärtigen Medienentwicklung zu begrenzen. Sie können in einigen Bereichen krasse Fehlentwicklungen vermeiden helfen, etwa Verstöße gegen Werberegelungen und Jugendschutzbestimmungen sowie Einschränkungen der publizistischen Vielfalt durch wirtschaftliche Verflechtung und Konzentration. Die wirklich bedenklichen Folgen der Entwicklung lassen sich durch systemkonforme gesetzliche Regelungen nicht beherrschen. Zudem ist das Risiko staatlicher Eingriffe sehr hoch: Es droht eine Einschränkung der Autonomie des Mediensystems -der wesentlichen Grundbedingung eines freiheitlichen, demokratischen Gemeinwesens.

Auch die vielfach beschworenen „Kräfte des Marktes“ bringen keine Problemlösung -eher im Gegenteil. Marktmechanismen bieten sich vor allem an, wenn es um die nachfragegerechte Verteilung begrenzt verfügbarer Güter (oder Dienstleistungen) und um die Allokation knapper Ressourcen geht. Der Markt kann aber nicht einmal das für Kommunikationsvorgänge zentrale Problem der Distribution von Medien und Mitteilungen adäquat lösen. Das liegt einmal daran, daß sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage nicht in den Preisen der Medienangebote ausdrückt, weil Medien in der Regel auf zwei Märkten operieren: auf dem Nutzer-und dem Werbemarkt.

Gefahren des Wirklichkeitsverlustes, eines exzessiven Hedonismus oder risikoreicher Öffentlichkeitsprozesse lassen sich durch Marktkräfte ebensowenig abwenden wie durch gesetzliche Regelungen. Das Denken in der Alternative Markt versus Staat, das die medienpolitische Diskussion bestimmt, führt offenbar in den hier angesprochenen Fragen nicht weiter. Das liegt nicht nur daran, daß staatliche Gesetze und Marktgesetze nicht oder nicht ohne riskante Nebenwirkungen greifen. Es hat auch damit zu tun, daß die Frage, welche Medienentwicklung erwünscht oder bedenklich und welche Folgen der Entwicklung positiv oder negativ sind, politisch umstritten ist. Als ein dritter Weg der Problemlösung bietet sich unter diesen Voraussetzungen an, die Selbstkontrolle und Selbststeuerung des Mediensystems zu verbessern. Dazu ist eine Forcierung der Kontroverse nützlich,damit die strittigen Punkte öffentlich ausdiskutiert, die Fakten transparenter und die Argumente deutlicher werden.

Dieser Prozeß kann durch folgende Maßnahmen und Methoden gefördert werden: 1. Systematische Beobachtung der Medienmärkte, Medienorganisationen und Medieninhalte mit wissenschaftlichen Methoden. In dieser Hinsicht haben in den letzten Jahren einige Aufsichtsorgane des privaten Rundfunks -vor allem die Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen und die Bayerische Landeszentrale für neue Medien -wie auch die Arbeitsgemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften einiges getan, indem sie wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben haben. Daneben ist die universitäre Medienforschung intensiviert worden, und zwar neuerdings auch zu Fragen der Qualität von Massenkommunikation Es gibt allerdings noch erhebliche Defizite der Forschung und vor allem der öffentlichen Wahrnehmung der Forschungsergebnisse. 2. Professionelle Medienkritik, d. h. Medienkritik in den Medien. Die früher von den Tageszeitungen und vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen gepflegte Fernsehkritik bedarf einer Wiederbelebung und Erweiterung auf alle wichtigen Massenmedien. Dabei könnten entsprechende Rubriken bzw. Sendungen auch etwas für den Transfer von Ergebnissen der Medienforschung leisten. 3. Nutzerkritik und medienpolitische Bürgerinitiativen. Den Mediennutzem ist viel zu wenig bewußt, daß sie durch Anrufe bei den Medien, durch Leserbriefe und Hörer-bzw. Zuschauerpost die Journalisten und Medienverantwortlichen erheblich beeindrucken können. Kritische Rückäußerungen der Mediennutzer werden im allgemeinen stark beachtet, da die Redaktionen, Verlage und Rundfunkanstalten relativ wenig Möglichkeiten haben, ihr Handeln und den Erfolg ihrer Bemü-hungen zu kontrollieren (außer durch Daten der Reichweitenforschung, die allerdings nur sehr bedingt Aufschluß geben über das Publikumsurteil). Die Kritik der Nutzer ist noch wirkungsvoller, wenn sie nach Art einer Bürgerinitiative organisiert wird. Die Bayerischen Landfrauen und andere Frauenorganisationen haben hier mit ihren Unterschriftenaktionen gegen Gewalt im Fernsehen ein Beispiel gegeben. 4. Einrichtung eines Sachverständigenrats zur Begutachtung der Medienentwicklung. Ein solches Gremium von unabhängigen Wissenschaftlern nach dem Vorbild der „Fünf Weisen“ sollte zur Aufgabe haben, jährlich über die aktuelle Entwicklung der verschiedenen Medien zu berichten und dabei vor allem Gefährdungen von Grundwerten und Standards des Mediensystems -wie u. a. Vielfalt, Professionalität und Rechtmäßigkeit -öffentlich anzuprangern. Die Wirksamkeit eines solchen Gremiums bemißt sich nach der Kompetenz und Integrität seiner Mitglieder. Es müßte daher unabhängig sein sowohl von parteipolitischen Interessen und Proporzgesichtspunkten als auch von den Interessen der Massenmedien. Am ehesten ließe sich dies erreichen, wenn der Rat dem Bundespräsidenten berichten und von diesem ernannt würde und wenn er weder Politiker noch Medienangehörige als Mitglieder hätte

Diese Vorschläge, die sich sicher noch ergänzen ließen, gehen von der Überzeugung aus, daß weder gesetzliche Kontrollen, noch das freie Spiel von Marktkräften oder gar die Arbeitsroutine der Journalisten und Programmacher jeweils allein ausreichen, um Qualität und Sozialverträglichkeit der Massenkommunikation zufriedenstellend zu sichern. Es wäre zu wünschen, daß die öffentliche Diskussion über die Selektionsregeln der Massenmedien, über journalistische Qualitätsstandards und über medienethische Standards intensiviert wird. Solche Standards sind in Gesetzen, in Gerichtsurteilen, Satzungen und Berufskodizes enthalten und müßten deutlicher expliziert und angemahnt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Darstellung folgt hier einer an anderer Stelle ausführlicher ausgebreiteten Argumentation; vgl. Winfried Schulz,

  2. Vgl. Winfried B. Lerg, Verdrängen oder ergänzen die Medien einander? Innovation und Wandel in Kommunikationssystemen, in: Publizistik, 26 (1981), S. 193-201.

  3. Vgl. Horst Röper, Daten zur Konzentration der Publikumszeitschriften in Deutschland im 1. Quartal 1992, in: Media Perspektiven, (1992) 7, S. 416-427.

  4. Vgl. Jürgen Heinrich, ökonomische und publizistische Konzentration im deutschen Femsehsektor. Dominanz der Kirch-Gruppe weiter gestiegen, in: Media Perspektiven, (1993) 6, S. 267-277.

  5. Im Jahr 1992 betrugen die Brutto-Investitionen der Massenmedien für Werbung 1, 039 Milliarden DM. Übertroffen wurden die Medien nur noch von der Autobranche und den Handelsorganisationen; vgl. Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (Hrsg.), Werbung in Deutschland 1992, Bonn 1993, S. 10.

  6. Vgl. Klaus Berg/Marie-Luise Kiefer (Hrsg.), Massen-kommunikation IV. Eine Langzeitstudie zur Mediennutzung und Medienbewertung 1964-1990, Baden-Baden 1992, S. 328.

  7. Vgl. ebd., insbes. S. 274ff.

  8. „Zapping“ wird das „Wegdrücken“ von Programmen -insbesondere von Werbung -durch Umschalten mit Hilfe der Fernbedienung genannt, „Grazing“ das ziellose Herumschalten in den Programmangeboten.

  9. Es sei statt dessen auf die neuere einschlägige Literatur verwiesen: Vgl. u. a. Elisabeth Noelle-Neumann, Wirkung der Massenmedien, in: Elisabeth Noelle-Neumann/Winfried Schulz/Jürgen Wilke, Fischer Lexikon Publizistik Massen-kommunikation, Frankfurt a. M. 1989, S. 360-400; Max Kaase/Winfried Schulz, Massenkommunikation. Theorien, Methoden, Befunde, Opladen 1989; Michael Schenk, Medienwirkungsforschung, Tübingen 1987; Winfried Schulz (Hrsg.), Medienwirkung. Einflüsse von Presse, Radio und Fernsehen auf Individuum und Gesellschaft, Weinheim 1992.

  10. Vgl. Der Spiegel, Nr. 40 vom 28. 9. 1992, S. 179.

  11. Vgl. Reinhold Horstmann, Medieneinflüsse auf politisches Wissen. Zur Tragfähigkeit der Wissenskluft-Hypothese, Wiesbaden 1991.

  12. Vgl. G. Ray Funkhouser/Eugene F. Shaw, How synthetic experience shape social reality, in: Journal of Communication, 40 (1990) 2, S. 75-87.

  13. Vgl. dazu Hans Mathias Kepplinger, Darstellungseffekte. Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung von Pressefotos und Fernsehfilmen, Freiburg-München 1987.

  14. Es gibt eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen mit einem Vergleich zwischen Realität und Medien-realität; vgl. zusammenfassend Hans Mathias Kepplinger, Ereignismanagement. Wirklichkeit und Massenmedien, Zürich 1992; Winfried Schulz, Massenmedien und Realität. Die „ptolemäische" und die „kopernikanische" Auffassung, in: M. Kaase/W. Schulz (Anm. 9), S. 135-149.

  15. Weitere Beispiele bei: Christoph Neuberger, Acht Tricks, die Wirklichkeit zu überlisten. Wie die Massenmedien den Bedarf an Unglücksmeldungen stillen, in: Medium, 23 (1993) 2, S. 12-15.

  16. Über das große Ausmaß, in dem Journalismus durch Öffentlichkeitsarbeit beeinflußt wird, liegen u. a. Analysen vor von Peter Nissen/Walter Menningen. Der Einfluß der Gatekeeper auf die Themenstruktur der Öffentlichkeit, in: Publizistik, 22 (1977), S. 159-180; Barbara Baems, Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus? Zum Einfluß im Medien-system, Köln 1985; Torsten Rossmann, Öffentlichkeitsarbeit und ihr Einfluß auf die Medien. Das Beispiel Greenpeace, in: Media Perspektiven, (1993) 2, S. 85-94.

  17. Vgl. Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, Frankfurt a. M. 1985.

  18. Vgl. dazu Jo Groebel, Mediengewalt im Spiegel der Öffentlichkeit, in: Bulletin des Europäischen Medieninstituts, 10 (1993) 2, S. 1-3.

  19. So beispielsweise Peter Schneider, Pressefreiheit und Staatssicherheit, Mainz 1968, S. 95.

  20. Zuletzt etwa -mit konkretem Bezug auf den Rundfunk -im sogenannten 4. Rundfunkurteil vom 4. 11. 1986 (BVerfGE 73, 118).

  21. Wolfgang Donsbach, Legitimationsprobleme des Journalismus, Freiburg-München 1982, S. 180.

  22. Vgl. die relativ aktuelle Übersicht bei: Everett M. Rogers/James W. Dearing, Agenda-setting research: Where has it been, where is it going? in: James A. Anderson (Hrsg.), Communication Yearbook 11, Newbury Park 1988, S. 555-594.

  23. Vgl. Niklas Luhmann, Öffenfliche Meinung, in: Politische Vierteljahresschrift, (1970) 11, S. 2-28.

  24. Vgl. Werner Kroeber-Riel, Informationsüberlastung durch Massenmedien und Werbung in Deutschland. Messung -Interpretation -Folgen, in: Die Betriebswirtschaft, 47 (1987), S. 257-264.

  25. Vgl. Winfried Schulz, Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Analyse der aktuellen Berichterstattung, Freiburg-München 19902.

  26. Dieses pessimistische Fazit läßt sich aus amerikanischen Langzeituntersuchungen ableiten; vgl. Michael X. Delli Carpini/Scott and change in public’ the s Stability U. S. knowledge of politics, in: Public Opinion Quarterly, 55 (1991), S. 583-612. Für Deutschland gibt es keine vergleichbaren Studien; einige Anzeichen deuten allerdings darauf hin, daß die Verhältnisse hier nicht anders liegen als in den USA; vgl. Elisabeth Noelle-Neumann, Fernsehen und Lesen. Ein Werkstatt-Bericht, in: Gutenberg-Gesellschaft (Hrsg.), Gutenberg-Jahrbuch 1982, S. 35-46.

  27. Vgl. Denis McQuail, Media performance. Mass communication and the public interest, London-Newbury Park-New Delhi 1992; Stephan Russ-Mohl, „Am eigenen Schopfe...“. Qualitätssicherung im Journalismus -Grundfragen, Ansätze, Näherungsversuche in: Publizistik, 37 (1992), S. 83-96; Heribert Schatz/Winfried Schulz, Qualität von Fernsehpogrammen. Kriterien und Methoden zur Beurteilung von Programmqualität im dualen Femsehsystem, in: Media Perspektiven, (1992) 11, S. 690-712; Michael Schenk/Susanne Gralla, Qualitätsfernsehen aus der Sicht des Publikums. Literaturrecherche zum Forschungsstand, in: Media Perspektiven, (1993) 1, S. 8-13; Lennart Weibull/Britt Börjesson, The Swedish media accountability System: A research perspective, in: European Journal of Communication, (1992) 7, S. 121-139.

  28. Ein ähnlicher Vorschlag wurde vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und vom Vorsitzenden des Bundesfachausschusses Medien der CDU, Bernd Neumann, gemacht.

  29. Einschlägig sind hier u. a. die Rundfunkgesetze und -staatsverträge, die Landespressegesetze, die Presse-und Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts, die Publizistischen Grundsätze (Pressekodex) des Deutschen Presserats sowie entsprechende Kodizes des Deutschen Werberats und der Deutschen Public-Relations-Gesellschaft.

Weitere Inhalte

Winfried Schulz, Dr. rer. pol., geb. 1938; o. Professor für Kommunikations-und Politikwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Veröffentlichungen u. a.: Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien, Freiburg-München, 19902; (Mitherausgeber und -autor) Das Fischer Lexikon Publizistik/Massenkommunikation, Frankfurt 1989; (Mithrsg.) Massenkommunikation -Theorien, Methoden, Befunde, Opladen 1989; (Hrsg.) Medienwirkungen. Einflüsse von Presse, Radio und Fernsehen auf Individuum und Gesellschaft, Weinheim 1992.