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Makedonien -der jüngste Staat auf der europäischen Landkarte | APuZ 37/1993 | bpb.de

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Makedonien -der jüngste Staat auf der europäischen Landkarte

Jens Reuter

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Zusammenfassung

Durch den Zerfall Jugoslawiens ist die „Makedonische Frage“ erneut virulent geworden, die seit Beginn der fünfziger Jahre gleichsam eingefroren war, zementiert durch Ost-West-Gegensatz und Blockdisziplin. Der neue Staat mit seinen zwei Millionen Einwohnern ist nicht nur durch die „Vier Wölfe“ -seine unmittelbaren Nachbarn -bedroht. Gefahren für seine innere Stabilität gehen auch von der starken albanischen Minderheit aus, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung bei ca. 25 Prozent liegen dürfte. Makedonier wie Albaner haben noch nicht akzeptiert, daß sie in einem multinationalen Staat leben. Wechselseitige Vorurteile und Mißtrauen bis zum Haß erschweren das Zusammenleben. Die makedonische Wirtschaft -traditionell ein Sorgenkind -hat sich widrigen Umständen zum Trotz relativ gut behauptet. Durch die Präsenz amerikanischer Soldaten hat sich die Sicherheitslage Makedoniens stark verbessert, die größte Gefahr geht vom Krisenherd Kosovo aus.

I. Historischer Rückblick

Das ehemalige Jugoslawien

Am 8. April 1993 wurde der jüngste Staat Europas unter dem provisorischen Namen „Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien“ (EJRM) international anerkannt und in die Gemeinschaft der Vereinten Nationen aufgenommen. Erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen trat jedoch ein Mitglied ohne eine eigene Flagge bei. Heftiger griechischer Widerstand war dafür ausschlaggebend, daß die makedonische Flagge, die den Stern von Vergina zeigt, zumindest vorläufig nicht zugelassen wurde. Der sechzehnstrahlige Stern -vermutlich das Wappen Philipps II. von Makedonien -wurde vor 16 Jahren bei Ausgrabungen in Vergina (Griechisch-Makedonien) entdeckt. Die „Usurpation“ dieses Symbols durch den neuen Staat auf ehemals jugoslawischem Boden scheint den Griechen nicht hinnehmbar

Griechenland beansprucht das Monopol auf den Namen Makedonien und hat dem provisorischen Kompromiß in dieser Frage nur widerstrebend zugestimmt. Die bisherige Nichtanerkennung Makedoniens durch die EG ist auf den Einfluß Athens zurückzuführen. Aufgrund des Zerfalls von Jugoslawien gibt es wieder einen Konfliktherd Makedonien, nachdem die traditionelle „Makedonische Frage“, mit Beginn der fünfziger Jahre entschärft zu sein schien.

Die Region Makedonien -damals ein geographischer Begriff mit fließenden Grenzen und bunter ethnischer Gemengelage -wurde nach dem Russisch-Türkischen Krieg von 1877/78 zum politischen Streitobjekt. Nach dem Frieden von San Stefano sollte ganz Makedonien, d. h. das Territorium der heutigen Republik sowie die beiden Regionen, die heute Teile Bulgariens und Griechenlands sind, an das zu schaffende Großbulgarien fallen. Dieses Vertragsdokument wirkte wie ein Sprengsatz in der von Expansionsgelüsten und Mißtrauen vergifteten Atmosphäre auf dem Balkan. Nur drei Monate später revidierte der Berliner Kongreß diese Entscheidung und beließ Makedonien beim Osmanischen Reich.

Eine wichtige Rolle in den nun folgenden Auseinandersetzungen spielte die 1893 in Thessaloniki gegründete Makedonische Revolutionäre Organisation, die später mit dem Namenszusatz „Innere“ als IMRO bekannt wurde. Diese Organisation kämpfte nicht nur gegen die osmanische Herrschaft, sondern auch gegen die griechischen und serbischen Ansprüche auf Makedonien. Damals verfolgte die IMRO im Kern das Ziel, ein Groß-bulgarien zu schaffen, wie im Vertrag von San Stefano vorgesehen. Das in einem großen Teil der Bevölkerung vorhandene slawisch-makedonische Bewußtsein blieb folglich über Jahrzehnte auf Bulgarien fixiert

Zu Beginn unseres Jahrhunderts war Makedonien nicht nur ein Symbol für bunte ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt, sondern die „makedonischen Zustände“ wurden auch zum Synonym für Chaos, Anarchie und Terror Die glimmende Lunte am Pulverfaß entzündete sich in den Balkankriegen. Nach 1912/13 wurde das heftig umkämpfte Gebiet aufgeteilt. Griechenland erhielt mit Ägäis-Makedonien mehr als die Hälfte, während sich Bulgarien mit Pirin-Makedonien begnügen mußte, das nur zehn Prozent des Gesamtgebiets ausmachte. Die verbleibenden knapp 40 Prozent gingen in Form von Vardar-Makedonien an Serbien.

Die nach dem ersten Weltkrieg wiedergegründete IMRO widersetzte sich der Dreiteilung. In Bulgarien wurde sie bis zum Beginn der dreißiger Jahre wegen ihrer probulgarischen Haltung ausgesprochen hofiert, während sie in Griechenland kaum in Erscheinung trat. Ihr Hauptaktionsfeld war Jugoslawien, wo sie auch mit der rechtsradikalen kroatischen Ustascha zusammenarbeitete. Das Attentat von Marseille, dem 1934 der jugoslawische König Alexander und der französischeAußenminister Barthou zum Opfer fielen, ging auf das Konto dieser beiden Organisationen. In den dreißiger Jahren spaltete sich die IMRO. Ein einflußreicher Flügel verwarf die großbulgarische Orientierung und proklamierte ein spezifisch makedonisches Nationalbewußtsein, das die drei Teile zu einem vereinten und unabhängigen Makedonien zusammenfügen wollte.

Doch dieses Bewußtsein hatte längst nicht alle Makedonier erfaßt. Zum Geburtshelfer eines makedonischen Nationalgefühls wurde die jugoslawische KP, die am Ende des zweiten Weltkriegs eine makedonische Teilrepublik installierte. Dieser Akt der Schaffung einer eigenen Nation mit dem Recht auf einen vereinigten Nationalstaat hatte nach Troebst zur Folge, daß die neue makedonische Nationalideologie im Volk verankert wurde -obwohl die jugoslawische KP-Führung ihre anfänglich offensive Makedonienpolitik im Hinblick auf Griechenland und Bulgarien aufgeben mußte. Später wurde die Errichtung der Republik Makedonien in offiziellen jugoslawischen Darstellungen als die „endgültige Lösung der makedonischen nationalen Frage“ gefeiert

Obwohl es in der Nachkriegszeit wegen Makedonien immer wieder Kontroversen zwischen Jugoslawien auf der einen und Bulgarien oder Griechenland auf der anderen Seite gab, kann man sagen, daß die vier Jahrzehnte zwischen 1950 und 1990 eine Periode waren, in der die Makedonische Frage gleichsam „eingefroren“ war -zementiert durch den Ost-West-Gegensatz und die Blockdisziplin, und nicht zuletzt durch die Existenz eines relativ starken jugoslawischen Staates. Dieser konnte hierbei zwar nicht offensiv oder aggressiv werden, war jedoch in der Lage, potentielle gegen Vardar-Makedonien gerichtete Aspirationen gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Als sich das Auseinanderbrechen des jugoslawischen Staates bereits abzeichnete, regte sich der makedonische Nationalismus ziemlich ungehemmt. 1990 kam es wiederholt zu Demonstrationen und Blockaden der Grenzübergänge nach Griechenland, die von jungen Makedoniern organisiert wurden. Die Demonstranten protestierten dagegen, daß der makedonischen Minderheit in Nordgriechenland alle nationalen Rechte verweigert würden. Dem jugoslawischen Außenministerium waren diese Aktivitäten höchst unwillkommen, stellten sie doch ein schweres Hindernis für die offiziell proklamierte Annäherung an die Europäische Gemeinschaft dar

Der Zerfall Jugoslawiens hat die „vier Wölfe“ wieder zum Leben erweckt, wie die Nachbarn Makedoniens traditionell genannt werden. Ohne den Schutz des jugoslawischen Staates mit seinen 24 Mio. Einwohnern und seiner (damals) 200000 Mann zählenden Armee scheint die Republik Makedonien nicht länger unangreifbar. Griechenland beansprucht das Monopol auf den Namen Makedonien und hat die Anerkennung dieser Republik durch die Europäische Gemeinschaft bisher verhindert. Albanien unterhält diplomatische Beziehungen zu Makedonien, doch das bilaterale Verhältnis zwischen Skopje und Tirana wird durch das Problem der albanischen Minderheit belastet. Bulgarien hat Makedonien diplomatisch anerkannt, bestreitet jedoch nach wie vor die Existenz einer makedonischen Nation. Das offizielle Serbien erhebt zwar keine Ansprüche auf makedonisches Territorium, konnte sich jedoch zu einer diplomatischen Anerkennung nicht durchringen. Extreme serbische Nationalisten wie der Führer der radikalen Partei Vojislav Seselj fordern unverblümt eine Aufteilung Makedoniens unter seine vier Nachbarn. Die vier Wölfe zeigen demnach unterschiedlich großen Appetit, halten sich jedoch auf absehbare Zeit gegenseitig in Schach.

Andererseits finden sich Expansionsgelüste auch innerhalb der ehemals jugoslawischen Republik. Wichtigster und stärkster Exponent dieser politischen Richtung ist die innere Makedonische Revolutionäre Organisation, eine Partei, die an die alte IMRO anknüpft, sich aber mit dem Zusatz „Demokratische Partei für die Makedonische Nationale Einheit“ (IMRO-DPMNE) schmückt. Die Bewegung, die nach eigenen Angaben über 100000 Mitglieder verfügt, hat die „geistige und territoriale Vereinigung Makedoniens“ auf ihre Fahnen geschrieben. Sie fordert offen, die Grenzen Makedoniens zu Bulgarien, Albanien und Griechenland müßten neu gezogen werden.

Inzwischen jedoch weist die IMRO-DPMNE zwei Fraktionen auf, eine probulgarische und eine großmakedonische. Das einigende Band zwischen diesen beiden Flügeln besteht im wesentlichen aus dem prononcierten Antikommunismus. Der großmakedonische Flügel hat naturgemäß in Bulgarien und Griechenland die Furcht vor einer irredentistisehen Bewegung hervorgerufen.

II. Zwischen Demokratie und Neosozialismus

Im November und Dezember 1990 fanden nach 45 Jahren totalitärer Herrschaft die ersten freien Wahlen in Makedonien statt. Stärkste Fraktion im 120 Sitze umfassenden Parlament wurde die IMRO-DPMNE mit 37 Mandaten. 25 Sitze eroberte die „Partei der Demokratischen Prosperität“, die nationale Partei der Albaner, die in Makedonien ca. 25 Prozent der Bevölkerung stellen. Zwei weitere Parteien der Albaner blieben ohne nennenswerten Erfolg. Inzwischen wurde eine vierte Partei der Albaner gegründet, die jedoch über die Rolle einer Splittergruppe nicht hinauszukommen scheint.

Die gewendeten Kommunisten gewannen zusammen nicht weniger als 50 Mandate. Sie traten mit zwei Parteien an: der „Partei der Demokratischen Erneuerung“ (31 Sitze), die jetzt „Sozialdemokratische Union Makedoniens“ heißt, sowie dem „Bund der Reformkräfte“ (19 Sitze). Beide kommunistischen Wendeparteien erreichten somit fast die Hälfte der Mandate und verpaßten nur knapp die absolute Mehrheit

Ende Januar 1991 wurde der 73jährige Reform-kommunist Kiro Gligorov zum Staatspräsidenten gewählt. Der Politiker, der früher stellvertretender Ministerpräsident Jugoslawiens und Bundesfinanzminister war, erhielt sogar die Stimmen der IMRO. Die Regierungsbildung erwies sich als ungemein schwierig. Nach zweieinhalbmonatigen Verhandlungen entschied man sich für eine „überparteiliche“ Regierung von Fachleuten, an deren Spitze Nikola Kljusev trat, ein emeritierter Professor für Ökonomie, der parteipolitisch nicht gebunden war

Am 25. Januar verabschiedete das Parlament die „Deklaration der makedonischen Souveränität“, in der es sich für die Unabhängigkeit und territoriale Integrität, aber auch das Recht auf Sezession aussprach. Es wurde beschlossen, über die Frage des Verbleibs oder der Sezession von dem jugoslawischen Staatsverband ein Referendum abzuhalten. Kiro Gligorov, dessen politischer Einfluß den des Kabinetts der Fachleute bei weitem überragte -so daß man schon von der makedonischen Präsidialdemokratie sprach -votierte für eine „Gemeinschaft souveräner jugoslawischer Republiken“. Der erfahrene Politiker wußte, daß Makedonien aus sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Gründen darauf verwiesen war, eine wenn auch lockere Gemeinschaft mit den übrigen jugoslawischen Republiken anzustreben. Zwischen 50 und 60 Prozent des makedonischen Handels entfielen damals auf diese Region. Daher setzte Gligorov auf eine Allianz souveräner jugoslawischer Nachfolgestaaten -einen Staatenbund geprägt durch Marktwirtschaft, Respektierung der Menschenrechte, gemeinsame Verteidigung (für Makedonien ein besonders wichtiger Punkt) und eine gemeinsame Außenpolitik. Wie Umfragen im April 1991 ergaben, waren 60 Prozent der makedonischen Bevölkerung für ein Bündnis souveräner Nachfolgestaaten, lediglich die Anhänger der IMRO sprachen sich für einen in jeder Hinsicht unabhängigen Nationalstaat aus

Der Weg in die staatliche Unabhängigkeit, den Makedonien dann tatsächlich gegangen ist, wurde der Republik praktisch aufgezwungen. Nachdem der Versuch, ein neues, auf gleichberechtigte Zusammenarbeit gegründetes Jugoslawien zu schaffen, gescheitert war, hatte Makedonien nur noch zwei Optionen: sich entweder dem neuen Jugoslawien anzuschließen und sich damit der serbischen Hegemonie zu unterwerfen oder den dornigen Weg der staatlichen Unabhängigkeit zu gehen.

Makedonische Politiker aller Parteien betonten immer wieder, man wolle zwar Partner des serbischen Nachbarn sein, nicht aber dessen Untertan. Dem geschickten Taktiker Gligorov gelang es in zähen Verhandlungen, den Abzug der jugoslawischen Bundesarmee aus Makedonien zu erreichen, wodurch sich Makedoniens Position gegenüber Serbien verbesserte

Im Juli 1992 war das Ende der Regierung Nikola Kljusev gekommen. Dem Wirtschaftsfachmann wurde vorgeworfen, gerade auf seinem Spezialgebiet kläglich versagt zu haben. Das Parlament sprach ihm und seiner Regierung mit überwältigender Mehrheit (zwei Gegenstimmen, sieben Enthaltungen) das Mißtrauen aus. Der Versuch der IMRO, auch Präsident Gligorov zu stürzen, scheiterte hingegen. Es ist nicht ohne Ironie, daß das Kabinett Kljusev letztlich für die wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht wurde, die in erster Linie durch die Blockade von Seiten Griechenlands und Serbiens hervorgerufen worden war Die Bildung eines neuen Kabinetts stieß, wie nicht anders zu erwarten, auf einige Schwierigkeiten. Nach zweimonatigen Verhandlungen war eine Vierparteienkoalition geschmiedet, bestehend aus der Albanischen Partei der Demokratischen Prosperität und drei exkommunistischen Parteien: der Sozialdemokratischen Union, den Reformliberalen (früher Bund der Reformkräfte) und der kleinen Sozialistischen Partei. Regierungschef ist der erst 30 Jahre alte Branko Crvenkovski, Ingenieur und Computerspezialist. Im Kabinett sitzen u. a. fünf albanische Minister und ein Türke. Ein Novum im konservativen Makedonien ist auch, daß dem Kabinett zwei Frauen angehören. Das deutliche Übergewicht der gewendeten Kommunisten trug der Regierung den Vorwurf ein, sie strebe danach, das alte kommunistische System durch ein neosozialistisches zu ersetzen. Die Regierung bestreitet ihre straff zentralistische Orientierung nicht, sagt aber, die gegenwärtige Übergangszeit gestatte noch keine Demokratie im wünschenswerten Ausmaß. Ein offeneres und demokratischeres System könne erst bei verbesserten äußeren Bedingungen eingeführt werden Die Symbole des alten sozialistischen Systems bestehen z. T. unverändert weiter. In Skopje gibt es nach wie vor die „Straße der Jugoslawischen Volksarmee“ und den „Platz der Brüderlichkeit und Einheit“. Auch Tito-Bilder hängen überall dort, wo sie schon in der „guten alten Zeit“ zu finden waren

Der junge Regierungschef tritt trotz seiner sozialistischen Orientierung für die möglichst rasche Privatisierung des ehemals gesellschaftlichen Eigentums ein. Die möglichst harmonische Regelung der komplizierten interethnischen Beziehungen in der Republik ist ein weiteres Ziel. Gerade dieses stößt auf Schwierigkeiten. Am 28. Oktober 1992 verabschiedete das Parlament nach lebhaften und langwierigen Auseinandersetzungen ein Gesetz über die makedonische Staatsbürgerschaft. Nur wer mindestens fünfzehn Jahre lang in Makedonien gelebt hat, hat Anspruch auf die makedonische Staatsbürgerschaft. Diese Regelung trifft die Albaner Makedoniens hart. Man schätzt, daß ca. 150000 von ihnen in den letzten 15 Jahren insbesondere aus Kosovo und Serbien eingewandert sind. Ohne die Staatsbürgerschaft müssen sie nicht nur auf alle politischen Rechte verzichten, auch ihr Eigentum an Grund und Boden ist damit in Frage gestellt

III. Die albanische Minderheit

Nach den Ergebnissen der Volkszählung von 1991 hatte Makedonien eine Gesamtbevölkerung von 2033964 Personen. Knapp zwei Drittel von ihnen, 1, 314 Mio., sind ethnische Makedonier, während die Albaner mit 427313 ca.

21 Prozent der Bevölkerung stellen. Die politischen Führer der Albaner bestreiten diese Zahlen heftig. Sie sagen, der Anteil der Albaner an der Bevölkerung Makedoniens betrage 35 oder sogar 40 Prozent. Zur Begründung führen sie an, zahlreiche Albaner hätten die Volkszählung von 1991 boykottiert. Stein des Anstoßes waren die Formulare, die in makedonischer Sprache geschrieben und denen lediglich einige erklärende Richtlinien in albanischer Sprache beigefügt waren. Ein zweites Argument war, in den Zählkommissionen hätten nur Makedonier gesessen, so daß die Zahl der Albaner durch Manipulation reduziert worden sei. Von makedonischer Seite wurde gesagt, die Albaner hätten zum Mittel des Boykotts gegriffen, damit nicht an den Tag käme, daß sie weit weniger seien, als immer von ihnen behauptet Um den Streit endgültig zu entscheiden, haben die Albaner nach einer international überwachten Volkszählung verlangt, die im April 1994 stattfinden soll. Die Vereinten Nationen scheinen dieser Idee positiv gegenüberzustehen und bereit zu sein, die voraussichtlichen Kosten in Höhe von 1, 5 Mio. US-Dollar zu tragen

Die Albaner haben ihren Siedlungsschwerpunkt in Westmakedonien. Hier haben sie in den Landkreisen Tetovo und Gostivar die absolute, in Kicevo und Debar die relative Mehrheit. In Struga und Kumanovo stellen sie starke Minderheiten von einem Drittel bzw. von mehr als 40 Prozent. Wesentlich ist, daß die genannten Landkreise ein kompaktes Ganzes bilden und an Kosovo bzw. Albanien angrenzen. Eine Sezession aus dem makedonischen Staatsverband und der Anschluß an ein Großalbanien würden folglich durch die geographischen Gegebenheiten begünstigt.

Der anerkannte Führer der makedonischen Albaner, der Chef der Partei der Demokratischen Prosperität Nevzat Halili, wies zu Jahresbeginn 1992 das Ziel der Sezession weit von sich. Dennoch unternahmen die Albaner gerade zu dieser Zeit einen Schritt, der von vielen als die erste Stufe zur Sezession interpretiert wurde. Sie veranstalteten einenicht genehmigte Volksabstimmung über eine territoriale und politische Autonomie in Westmakedonien. Wie immer bei derartigen Projekten entsprach das Ergebnis den Erwartungen: eine überwältigende Mehrheit stimmte für ein eigenes, autonomes Gebiet Nevzat Halili begründete die Volksabstimmung mit folgenden Worten: „Wir wollen damit der Welt zeigen, daß eine staatliche Anerkennung Makedoniens durch die Völkergemeinschaft verfrüht kommt, denn die Rechte unserer Minderheit werden in diesem Lande mit Füßen getreten.“

Gerade in der äußerst sensitiven Frage der internationalen Anerkennung von den albanischen Mitbürgern im Stich gelassen zu werden, war für viele Makedonier schwer erträglich. Makedonische Politiker weisen deshalb darauf hin, daß die Albaner noch nicht die richtige Einstellung zum makedonischen Staat gefunden hätten. Sie hätten gegenüber diesem Staat kein Wir-Gefühl entwickelt und dokumentierten dies unentwegt. So zeigten sie demonstrativ Verachtung für legale Institutionen und Verwaltungskörperschaften, indem sie Parlamentssitzungen einfach verließen oder sich weigerten, Steuern sowie Gebühren für kommunale Dienstleistungen zu zahlen

Die Albaner wiederum klagen über ihre Diskriminierung. Sie beanspruchen den Status einer staatsbildenden Nation, den ihnen die makedonische Verfassung nicht zubilligt. So erwähnt die Präambel die „geschichtliche Tatsache, daß Makedonien als Nationalstaat des makedonischen Volkes konstituiert ist“ Den Albanern, Türken und anderen Minderheiten wird lediglich die vollständige bürgerliche Gleichheit und Koexistenz mit dem makedonischen Volk zugesichert. Die Albaner fühlen sich durch die Verfassung zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Die „Partei der Demokratischen Prosperität“ richtete eine Petition an die Vereinten Nationen und bat darum, die Aufnahme Makedoniens solange zurückzustellen, bis dieses Problem gelöst sei. Weitere Petitionen an die KSZE und die EG suchten Unterstützung für die Idee, den Albanern in Makedonien den Status einer staatstragenden Nation zu sichern

Ein anderer wesentlicher Konfliktpunkt ist die Sprache. Hierzu heißt es in Art. 7 der Verfassung, Amtssprache sei das Makedonische in seiner kyrillischen Schreibweise. Absatz 2 legt fest, daß in mehrheitlich von den Nationalitäten bewohnten Bezirken neben der makedonischen Sprache und der kyrillischen Schrift auch die Sprache dieser Minderheiten unter gesetzlich festgelegtem Verfahren im öffentlichen Gebrauch sei.

Mit dieser eher restriktiven Regelung wollen sich die Albaner nicht abfinden. Sie weisen darauf hin, daß es selbst in den westmakedonischen Bezirken mit hohem Albaneranteil, also etwa in Kumanovo, Kicevo, Struga und Tetovo, Unterricht in albanischer Sprache nur in der Grundschule gebe. Im Schuljahr 1989/90 weigerten sich albanische Studenten, ihre Diplome entgegenzunehmen, weil diese in makedonischer Sprache ausgestellt waren. Eine von 119000 Albanern unterzeichnete Petition an das makedonische Parlament forderte die Einrichtung von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen und einer Universität mit Albanisch als Unterrichtssprache. Dieser Gedanke, nämlich ein komplettes albanisches Erziehungs-und Unterrichtssystem einzurichten, stieß bei den zuständigen Stellen zunächst auf taube Ohren

Wie unterrepräsentiert die Albaner im Bildungswesen Makedoniens sind, belegen einige Zahlen: Kein einziger Albaner ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften Makedoniens. Von den 71505 Oberschülern, die die höheren Schulen der Republik im Schuljahr 1989/90 besuchten, waren ganze 2 794 Albaner. Auf der Universitätsebene war das Verhältnis noch negativer. Von den 22 994 Studenten, die sich im Studienjahr 1991/92 eingeschrieben hatten, waren lediglich 386 ethnische Albaner. Die Vorlesungen und Übungen fanden ausschließlich in makedonischer Sprache statt

Gegenwärtig diskutiert man im makedonischen Parlament über die Errichtung einer albanischen Fakultät an der Universität Skopje. Albanische Abgeordnete im makedonischen Parlament stellten die Forderung, Geburtsurkunden müßten in albanischer Sprache ausgestellt werden und jeder Albaner sollte vor Gericht das Recht haben, seine Muttersprache zu benutzen. Im Februar 1992 protestierte der Vorsitzende der „Partei der Demokratischen Prosperität“ Halili gegen die Benachteiligung der Albaner bei der Vergabe öffentlicher Ämter. So würden Spitzenpositionen in der Republik fast ausschließlich mit Makedoniern besetzt Heute hört man Albaner klagen, anstelle der relativ bedeutungslosen fünf Ministerposten in der Regierung hätten die Albaner lieber fünf Spitzen-positionen in der Wirtschaft inne. Im Juli dieses Jahres veröffentlichte die Zeitung „Nova Makedonija" eine vierteilige Artikelfolge, die sich mit den Rechten der Albaner in Makedonien befaßte. Zitiert wurde eine Umfrage des „Zentrums für interethnische Beziehungen“, der zufolge sich die Albaner bedroht fühlen und als Bürger zweiter Klasse betrachten. Die Makedonier wiederum sehen die Albaner nicht nur als mindere ethnische Gruppe an, sondern auch als sozial zweitklassig. Die Ergebnisse früherer Umfragen, die das Vorhandensein erheblicher Vorurteile gegen die Albaner ergeben hatten, wurden nachdrücklich bestätigt. Auf die Frage: „Wie steht es ihrer Meinung nach bei uns mit den Rechten nationaler Minderheiten?“ antworteten 47 Prozent der ethnischen Makedonier, diese seien „zu groß“, während 49 Prozent sagten, sie seien angemessen. 91 Prozent der ethnischen Albaner hingegen sagten, diese Rechte seien zu gering. Makedonier (88 Prozent) wie Albaner (96 Prozent) waren sich darüber einig, daß die zwischennationalen Beziehungen in der Republik zum Zweck politischer Propaganda mißbraucht würden. Auf die Frage, ob sie den Worten der politischen Führer der jeweils anderen Nationalitäten mißtrauten, antworteten 62 Prozent der Makedonier und 67 Prozent der Albaner mit „ja“

Die Makedonier betrachten die Forderungen der Albaner nach Gleichstellung im Bereich von Politik, Kultur und Bildung auch deshalb mit besonderem Mißtrauen, weil sie unterschwellig von einer Art Verdrängungsangst geplagt werden. Die Albaner haben die höchste Geburtenrate in Europa, und demographische Hochrechnungen besagen, daß sie innerhalb von drei oder vier Jahrzehnten durchaus die Mehrheit in Makedonien sein könnten. Hinzu kommt, daß sich die Albaner in ihrem Lebensstil, ihrer Religion und Kultur kraß von den Makedoniern unterscheiden. Eine Verschmelzung etwa durch Mischehen ist von beiden Seiten nicht erwünscht

Generell läßt sich feststellen, daß Makedonien zwar ein multinationaler Staat ist, daß diese Tatsache jedoch besonders von den Anhängern der IMRO-DPMNE nur zögernd oder gar nicht akzeptiert wird. Da sich diese Partei derzeit in der Opposition befindet, wirkt das auf ihre makedonischnationalistische Agitation eher beflügelnd. Die größte und bei weitem stärkste Partei der Albaner ist in die Regierungsverantwortung eingebunden, kann jedoch kaum Erfolge für die „albanische Sache“ vorweisen. Es zeichnet sich deutlich ab, daß die Loyalität dieser Partei nicht dem makedonischen Staat, sondern der „albanischen Sache“ gilt.

Die Kontakte zu Albanien und zum inoffiziellen Präsidenten von Kosovo Ibrahim Rugova sind sehr eng. Ein koordiniertes politisches Handeln der Albaner im Mutterland und in der Diaspora ist das offenkundige Ziel. Aus dieser engen Verbindung resultieren naturgemäß Gefahren für den inneren Zusammenhalt des makedonischen Staats.

IV. Die wirtschaftliche Situation

Im November vergangenen Jahres schrieb der makedonische Präsident Kiro Gligorov einen offenen Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros Ghali. Darin hieß es u. a., die Haupthandelswege Makedoniens seien vollständig blockiert. Von Norden wegen des durch den Sicherheitsrat verhängten Embargos gegen das neue Jugoslawien, von Süden wegen der willkürlich von Griechenland verhängten Wirtschaftsblockade. Die wenigen Straßen nach Westen und Osten seien inadäquat und unterentwickelt, im Winter sogar unbrauchbar. Gligorov appellierte an die Vereinten Nationen, sie möchten Druck auf Griechenland ausüben, damit Athen die Wirtschaftsblockade gegen Makedonien beendet. Makedonien, das keinerlei Zugang zum Meer habe, sei auf die Nutzung des griechischen Hafens Thessaloniki dringend angewiesen

Wie Eberhard Rondholz nachweist, ist der Hafen Thessaloniki entgegen anderslautenden Meldungen und Statements mit Abstand der wichtigste Umschlagplatz für alle Importe und Exporte der Republik Makedonien. Seit 1990 sei der makedonische Warenumschlag in diesem Hafen um fast 75 Prozent gestiegen. Im zweiten Halbjahr 1992 exportierte die Republik Makedonien via Thessaloniki u. a. 133950t Stahlbleche, 14160t Holz und 54478 t Erze (Zinkblende, Blei etc.). Importiert wurden via Thessaloniki neben Erdöl vor allem Phosphate aus Israel sowie Kohle und Eisenerz

Zu Beginn dieses Jahres erklärte Premierminister Branko Crvenkovski: „Die Wirtschaftsblockade von Norden und Süden, die man uns aufgezwungen hat, bedeutet einen schweren Schlag für die Wirtschaft und die Bürger. Allein durch die Sanktionen der UN-Resolution 577 erlitt die makedonische Wirtschaft einen Schaden von 1, 3 Milliarden Dollar. Die durch das griechische Embargo hervorgerufenen Schäden betragen eine weitere Milliarde Dollar.“ Diese Aussage wird nicht nur durch die obigen An-, gaben über den Hafen Thessaloniki als Umschlagplatz makedonischer Im-und Exporte erschüttert. Auch die Wirtschaftsblockade gegen das neue Jugoslawien wurde von makedonischer Seite -aus verständlichen Gründen -eher lax gehandhabt, wie zahlreiche Pressemeldungen bestätigten. Dieser Trend dauert an. Nach Angaben aus Washington kommen aus Makedonien wöchentlich bis zu 3000 Lastwagen und 15 Eisenbahnzüge nach Serbien Offizielle Vertreter Makedoniens versichern zwar stets, Makedonien unterstütze die UN-Blockade gegen Serbien und schirme seine nördliche Grenze gegen den unerlaubten Warenverkehr ab. Inoffiziell ist aber zu erfahren, daß Makedonien die Blockade brechen muß, um selbst wirtschaftlich zu überleben. Makedonien ist die Drehscheibe für die illegalen Treibstoffimporte des „neuen Jugoslawien“ aus Griechenland. Gerüchteweise verlautete, daß die makedonischen Zöllner 50 Prozent des Warenwerts als „Zoll" kassierten. Es ist einleuchtend, daß die Behinderung des Handels trotz erfolgreicher Umgehungsversuche negative Auswirkungen hat, zumal wenn man sich vergegenwärtigt, daß Makedoniens wirtschaftliche Leistungskraft selbst unter den Bedingungen intakter Güterströme eher bescheiden war. Im alten Jugoslawien zählte die Republik neben Montenegro und Kosovo zu den ärmsten Landesteilen. 1990 erwirtschaftete sie weniger als sechs Prozent des gesamtjugoslawischen Sozialprodukts, während sie neun Prozent der Bevölkerung und zehn Prozent des Territoriums ausmachte

Die auf die Hauptstad Skopje konzentrierte Industrie hatte 1991 einen Anteil von 41 Prozent am makedonischen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Es folgte die Landwirtschaft mit 25 Prozent des BIP. Tourismus und Transport sind weitere Wirtschaftszweige. Metallverarbeitung, Maschinenbau, Chemie, Textil-und Tabakerzeugung finden vorwiegend in relativ kleinen Betrieben statt, die oft auf den lokalen Markt konzentriert sind. Kein makedonisches Industrieunternehmen konnte internationale Bedeutung erlangen. Die Stahlindustrie steht vor dem Zusammenbruch, weil sie mit dem früheren Jugoslawien 75 Prozent ihres Marktes eingebüßt hat. Zudem sind 50 Prozent der 9000 Beschäftigten in dieser Branche dem „technologischen Überschuß“ zuzurechnen

Die generellen Rahmenbedingungen für die makedonische Wirtschaft sind wenig günstig: Veraltete Produktionsverfahren und ein völlig unterentwikkelter Dienstleistungssektor werden noch längere Zeit ein Hemmnis für das angestrebte Wirtschaftswachstum sein Die makedonische Industrie ist weder modern noch konkurrenzfähig. Die Landwirtschaft wird von einer Monokultur -dem Tabakanbau -beherrscht. Der makedonische Tabak ist aber besonders teerreich und hat keinerlei Absatzchancen in der EG, wo es auf diesem Sektor ohnehin ein Überangebot gibt. Generell ist der Boden durch Raubbau und Erosion ausgelaugt, so daß erhebliche Investitionen zu seiner Verbesserung notwendig wären. Die hierzu erforderlichen Mittel stehen aber nicht zur Verfügung

Die Devisenreserven zur Deckung des neugeschaffenen Denar sind äußerst bescheiden. Sie betrugen zu Beginn dieses Jahres 59 Mio. US-Dollar, eine eher symbolische Summe in diesem Kontext. Mitte Mai 1993 wurde die makedonische Währung im Verhältnis zur DM abgewertet. Der offizielle Kurs von 8, 03 Denar für eine DM wurde auf 12, 94 erhöht, um eine Anpassung an den Schwarzmarkt-kurs zu erreichen 1990 lagen die Überweisungen der makedonischen Gastarbeiter noch bei 168 Mio. US-Dollar, 1992 sanken sie wegen der unsicheren politischen Lage auf 8, 6 Mio. Dennoch ist der Beitrag der Gastarbeiter zur Aufrechterhaltung des in aller Regel bescheidenen Lebensstandards erheblich. Viele Familien wären ohne die jetzt auf inoffiziellen Wegen übermittelten Geldbeträge von den Verwandten in Westeuropa verloren. Man kann sogar sagen, daß die makedonische Bevölkerung nur durch die Geldspritzen der Gastarbeiter ihren halbwegs erträglichen Lebensstandard wahrt. Äußerst optimistische Schätzungen gehen davon aus, daß sich insgesamt eine Mrd. US-Dollar in den Händen der Bevölkerung befindet

Das Jahr 1992 war alles andere als erfolgreich für Makedonien. Das Bruttoinlandsprodukt fiel um 15 Prozent, die Investitionen sanken um 24, während die Löhne real um 34 Prozent zurückgingen. Im ersten Quartal 1993 lag die monatliche Inflationsrate bei 25 Prozent, während die Arbeitslosenrate 20 Prozent betrug. Dennoch war die Situation verglichen mit dem neuen Jugoslawien gut. Der monatliche Durchschnitts-verdienst lag in Makedonien bei 100 DM, während er in Serbien und Montenegro nur 30 bzw. 20 DM ausmachte Gegenwärtig ist Makedonien aus verständlichen Gründen nicht in der Lage, seine fälligen Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland in Höhe von 288 Mio. US-Dollar zu begleichen. Diese Schwierigkeiten sollen durch ein „stand-by“ -Arrangement und durch Umschuldung geregelt werden. Die direkten Auslandsschulden Makedoniens liegen bei 1, 2 Mrd. US-Dollar. Hinzu kommt der Anteil an den jugoslawischen Auslandsschulden.

Von der EG erhielt Makedonien bisher Finanzhilfe in Höhe von 100 Mio. ECU (124 Mio. US-Dollar), was im Lichte der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Republik nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Die Aufnahme in die Vereinten Nationen sichert Makedonien den langerhofften Zugang zu den internationalen Finanzmärkten. Nachdem die Republik bereits im Dezember 1992 in die „Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“ aufgenommen wurde, besuchten in diesem Jahr Delegationen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds die Hauptstadt Skopje. Die Aufnahme in diese beiden Institutionen dürfte in Kürze erfolgen.

V. Die internationale Position

Die Aufnahme in die Vereinten Nationen im April 1993 bedeutete für Makedonien den Durchbruch auf der internationalen Bühne. Zwar steht die Anerkennung durch die Europäische Gemeinschaft wegen des griechischen Widerstands noch immer aus, aber dieses Hindernis dürfte in absehbarer Zeit überwunden werden. Dänemark ist der erste EG-Staat, der Makedonien diplomatisch anerkannt hat (am 14. April 1993). Das neutrale Österreich eröffnet ein Konsulat in Skopje

Die griechische Politik der allseitigen internationalen Blockierung Makedoniens hatte lediglich begrenzten Erfolg. Sie konnte nicht verhindern, daß -neben Dänemark -folgende Länder die Republik Makedonien anerkannten: Türkei, Rußland, Bulgarien, Weißrußland, Litauen, die Philippinen, die Türkische Republik Nordzypern, Kroatien und Slowenien.

Die Motive für die griechische Blockade-Politik liegen nicht etwa in der Furcht vor expansionistischen Bestrebungen des kleinen Makedoniens mit seinen zwei Mio. Einwohnern. Es ist die Furcht vor dem Erzfeind Türkei, der verdächtigt wird, die muslimische Umzingelung Griechenlands zu betreiben. Nachdem die Türkei mit dem überwiegend muslimischen Albanien ein Wirtschaftsabkommen und ein Abkommen über militärische Kooperation geschlossen hat, fürchtet man jetzt den „islamischen Bogen“, der von Istanbul bis Sarajevo reichen würde. Makedonien mit seiner beträchtlichen albanischen Minderheit, die in ihrer großen Mehrheit islamischen Glaubens ist, wäre Teil dieses Bogens, aus griechischer Sicht ein „Bauer auf dem türkischen Schachbrett“ 39.

Die Sicherheitslage Makedoniens hat sich durch die kürzlich erfolgte Entsendung von 300 amerikanischen UN-Soldaten entscheidend gebessert. Während die zuvor entsandten 700 UN-Blauhelme kaum einen Schutz darstellten, wie das Beispiel Bosnien-Herzegowina zeigt, ist die amerikanische Präsenz eine recht gute Gewähr, daß Serbien eventuelle Expansionspläne in Richtung Makedonien fallenläßt.

General Dragoljub Bocinov, Oberbefehlshaber der kleinen makedonischen Armee von 10000 Mann, schätzt die Sicherheit der makedonischen Grenzen wie folgt ein Die Grenze zu Albanien wird zwar oft illegal überschritten, doch handelt es sich hier um Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Nachbarland, die die 30 DM Gebühr für den legalen Grenzübertritt nicht bezahlen können. Die Zusammenarbeit mit den albanischen Grenzbehörden wurde kürzlich durch Abschluß einer Konvention verbessert. Eine Gefahr für die makedonische Sicherheit besteht an dieser Grenze nicht.

An der Grenze zu Griechenland finden nach Angaben Bocinovs immer wieder Provokationen statt. Griechische Phantom-Flugzeuge verletzen immer wieder den makedonischen Luftraum und dringen bis zu fünf Kilometer tief ein. Ansonsten aber ist auch diese Grenze sicher.

An der Grenze zu Bulgarien gibt es nicht die geringsten Probleme, während die Grenze zu Serbien als neuralgischer Punkt gilt. Hier kommt es immer wieder vor, daß serbische Truppen auf makedonisches Gebiet vordringen und die UN-Blauhelme mit dem Argument von dort vertreiben, sie befänden sich auf serbischem Gebiet. Eine schwedische Patrouille wurde von den Serben gefangengenommen, und es bedurfte großer diplomatischer Anstrengungen, sie freizubekommen. Das Problem besteht darin, daß Makedonien und Serbien höchst unterschiedliche Vorstellungen vom Verlauf der gemeinsamen Grenze haben. Nach den Worten des makedonischen Generals könnten sich hieraus schwerwiegende Zwischenfälle entwickeln. Die äußere Bedrohung Makedoniens durch die „vier Wölfe“ -seine unmittelbaren Nachbarn -scheint in naher Zukunft eher gering zu sein. Dennoch gibt es ein Schreckensszenario für den jüngsten Staat Europas: Sollte es in dem zu 90 Prozent von Albanern bewohnten Kosovo zu bewaffneten Konflikten kommen, dann würde das Mutterland Albanien dem nicht tatenlos zusehen, und mehr oder weniger automatisch würden auch die Albaner Makedoniens in den Strudel der Ereignisse gerissen. Folglich könnte die größte Gefahr für die Sicherheit Makedoniens von dem Krisenherd Kosovo ausgehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Eberhard Rondholz, Zankapfel, Makedonien, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (1993) 7, S. 871-881.

  2. Vgl. Ekkehard Kraft, Die Entstehung der makedonischen Frage, in: Neue Zürcher Zeitung, vom 13. Februar 1992.

  3. Vgl. Michael W. Weithmann, Chaos seit über 1000 Jahren, in: Damals, (1993) 4, S. 27-29.

  4. Vgl. Stefan Troebst, Makedonische Antworten auf die „Makedonische Frage“ 1944-1992: Nationalismus, Republikgründung, nationbuilding, in: Südosteuropa, 41 (1992) 7-8, S. 423-442.

  5. Politicka Enciklopedija, Belgrad 1975, S. 526.

  6. So Viktor Meier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. Juni 1990.

  7. Vgl. Henrik Bischof, Systemkrise in Jugoslawien (Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung), Bonn 1991, S. 23 f.

  8. Vgl. Thomas Brey, Jugoslawien: Der Vielvölkerstaat zerfällt, in: Osteuropa, (1991) 7, S. 709-724.

  9. Vgl. Milan Andrejevich, Macedonia’s New Political Leadership, in: RFE/RL Report on Eastem Europe, II (1991) 20.

  10. Vgl. Viktor Meier, Mazedoniens Unabhängigkeit nur halb gewollt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. März 1992.

  11. Vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 10. Juli 1992; Nova Makedonija vom 10. Juli 1992.

  12. Vgl. Hugh Poulton, The Republic of Macedonia after UN Recognition, in: RFE/RL Research Report vom 27. März 1993.

  13. Vgl. Norbert Mappes-Niediek, Folgeszenarien der jugoslawischen Auflösungskriege, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (1993) 8.

  14. Vgl. Nova Makedonija vom 29. /30. Oktober 1992.

  15. Vgl. Duncan M. Perry, The Republic of Macedonia and the Odds for Survival, in: RFE/RL Research Report, 1 (1992) 46, S. 12-19; s. a. zu den hier angeführten Zahlen: Jugoslovenski Pregled, (1992) 1.

  16. Vgl. H. Poulton (Arun. 12)., S. 25.

  17. Vgl. Nova Makedonija vom 13. /14. Januar 1992.

  18. Die Tageszeitung (Berlin) vom 13. Januar 1992.

  19. Vgl. Anton Parvanov, „Albanian Syndrome“ in the Republic of Macedonia, in: Krastjo Mancev u. a. (Hrsg.), National Problems in the Balkans, Sofia 1992, S. 140-158.

  20. Verfassung der Republik Makedonien, Skopje 1992, S. 3.

  21. Vgl. H. Poulton (Anm. 12), S. 24.

  22. Vgl. ebd.

  23. Vgl. ebd.

  24. Vgl. Vjesnik vom 10. Februar 1992.

  25. Nova Makedonija, 19. Juli 1993.

  26. D. M. Perry (Anm. 15), S. 17.

  27. Vgl. Borba vom 20. November 1992.

  28. Vgl. E. Rondholz (Anm. 1).

  29. Ekonomska Politika vom 25. Januar 1993.

  30. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 29. Juli 1993.

  31. Vgl. Informationsdienst der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Juli 1992, S. 25.

  32. Vgl. H. Poulton (Anm. 12), S. 28.

  33. Vgl. ebd.

  34. Vgl. James Pattifer, Die neue Makedonienfrage, in: Europäische Rundschau, 20 (1992) 4, S. 49.

  35. Vgl. Nova Makedonija vom 17. Mai 1993.

  36. Vgl. Ekonomska Politika vom 25. Januar 1993.

  37. Vgl. Nova Makedonija, 18. April 1993.

  38. Vgl. Nova Makedonija vom 18. Juli 1993.

  39. Vgl. Slobodna Dalmacija vom 20. Juli 1993.

Weitere Inhalte

Jens Reuter, geb. 1942; Wissenschaftlicher Referent für die Republiken des ehemaligen Jugoslawien und Albanien (kommiss.) am Südost-Institut, München. Veröffentlichungen u. a.: Die Albaner in Jugoslawien, München 1982; Yugoslavia, in: Richard E. Bissell/Curt Gasteyger (Hrsg.), The Missing Link: West European Neutrais and Regional Security, Durham-London 1990; Die politische Entwicklung in Bosnien-Herzegovina, in: Südosteuropa, (1992) 11-12; Ein serbischer Mythos: Die Schlacht auf dem Amselfeld, in: Damals, (1993) 4.