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Multilaterale Entwicklungspolitik | APuZ 12/1993 | bpb.de

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APuZ 12/1993 Schutz der Menschenrechte durch humanitäre Intervention? Chancen und Voraussetzungen der Demokratisierung Afrikas Multilaterale Entwicklungspolitik Multilaterale Entwicklungspolitik Wirtschaftsreformen in Lateinamerika

Multilaterale Entwicklungspolitik

Stephan Klingebiel

/ 13 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Den überwiegenden Teil der Mittel für Entwicklungshilfe setzen die Geberländer für die bilaterale Zusammenarbeit ein. Multilaterale Einrichtungen verfügen aber über zahlreiche potentielle Vorteile, die nur unzureichend genutzt werden. Besonders die Entwicklungshilfe der Vereinten Nationen könnte eine größere Rolle spielen. Voraussetzung für einen Bedeutungszuwachs der UN sind Strukturen zur Koordinierung der verschiedenen Aktivitäten. Das UNDP (United Nations Development Programme) hat zwar ein Mandat, die Führungsrolle im UN-System für die Entwicklungszusammenarbeit zu übernehmen. Bisher fehlt aber die politische Bereitschaft vieler Staaten, das Gewicht der UN zu vergrößern und die Leitungsfunktion des UNDP anzuerkennen. Die großen Geberstaaten zeigen kein Interesse an einer Umgestaltung des Systems der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Sie verfolgen eine Politik, die die dominierende Position der Weltbank sichert.

I. Einleitung lungshilfeausschuß der OECD (DAC) spricht von einer Art des kollektiven Bilateralismus.

Quelle: Daten aus (z. T. berechnet nach): OECD 1992: A-39.

III. Bilaterale versus multilaterale Entwicklungszusammenarbeit

Tabelle 1: Die potentiellen, komparativen Vorteile multilateraler Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit Quelle: DANIDA (Anm. 22), S. 7.

Bereits in den sechziger und siebziger Jahren gab es eine Diskussion um die Frage, ob die multilaterale Entwicklungshilfe „besser“ als die bilaterale und deshalb eine weitere Internationalisierung wünschenswert sei Der Pearson-Bericht von 1969 erkannte in der multilateralen Hilfe einige Vorteile. Er plädierte aber dafür, „daß der bilaterale Verteilerweg weiterhin vorgezogen wird“

Verschiedene entwicklungspolitische Experten leiten heute von der Zunahme globaler Herausforde­ rungen die Notwendigkeit ab, die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit auszubauen. In der Beendigung des Ost-West-Konflikts, der die Arbeit vieler internationaler Einrichtungen blockierte oder erschwerte, erkennen sie die Chance, daß die multilaterale Arbeit auch für die Entwicklungspolitik eine größere Rolle spielen könnte Vor allem die Entwicklungsländer plädieren dafür, die neue weltpolitische Situation zu nutzen, um auch in der Entwicklungspolitik den Multilateralismus zu fördern während die Regierungen und Parlamente insbesondere der großen Geberstaaten an bilateralen Handlungsspielräumen zur Durchsetzung der jeweiligen Interessen festhalten wollen. Die Meinungen darüber, welche Qualität die Arbeit internationaler Institutionen besitzt, gehen allerdings weit auseinander. Grundsätzliche Skepsis gegenüber der Effizienz von multilateralen Organisationen ist nicht nur in der öffentlichen Meinung weit verbreitet Während zahlreiche westliche Industrieländer zwar die von ihnen dominierten Institutionen wie Weltbank und EG als geeignet betrachten, entwicklungspolitisch tätig zu sein, sehen sie aber häufig Überbürokratisierung und Inkompetenz als die herausragenden Merkmale der Entwicklungszusammenarbeit der Vereinten Nationen an. Die Bundesregierung stellt beispielsweise ein deutliches Leistungsgefälle zwischen den multilateralen Entwicklungsbanken (insbesondere der Weltbank) und den UN-Einrichtungen fest. In den geringen Einflußmöglichkeiten der Haüptbeitragszahler sieht sie den Grund für die schwache Finanzierungsbereitschaft für UN-Institutionen Demgegenüber stellt der Beigeordnete Generalsekretär (Assistant Secretary General) van Arendonk für die achtziger Jahre eine gravierende Verbesserung der Qualität der UN-Arbeit fest. Die Entwicklungszusammenarbeit der UN sei heute nicht weniger effizient und effektiv als die der bilateralen Geber und der großen Finanzinstitutionen

IV. Bedeutung der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit

Den überwiegenden Teil der Mittel für öffentliche Entwicklungshilfe setzen die Geberländer für die bilaterale Zusammenarbeit ein. Nur 21 Prozent (bzw. unter Berücksichtigung der Mittel für die EG-Entwicklungspolitik 28 Prozent) ihrer ODA führten die Industrieländer, die dem DAC angehören 1989-1991 an multilaterale Stellen ab Traditionell gelten die skandinavischen Staaten und die Niederlande (sowie mit Einschränkung Kanada) als besonders aufgeschlossen gegenüber den Aktivitäten von (zumindest einigen) multilateralen Institutionen. Sie führen weit mehr als 30 Prozent ihrer öffentlichen Entwicklungshilfe an diese Stellen ab. Auffällig ist, daß die Entwicklungszusammenarbeit dieser Länder im Vergleich zu anderen Gebern unter verschiedenen Kriterien positiv heraussticht: Der Umfang ihrer Leistungen gemessen am BSP und der Anteil, den die ärmsten Entwicklungsländer von ihrer ODA erhalten, ist besonders hoch. Auch der Anteil der Aufwendungen zur Grundbedürfnisbefriedigung liegt deutlich über dem DAC-Durchschnitt

Geringe eigene administrative Kapazitäten können bei kleinen und mittleren Entwicklungshilfegebern ein wichtiges Motiv sein, auf multilaterale Einrichtungen zurückzugreifen Dieses Argument trifft aber nur zu einem geringen Teil auf die hohe Bedeutung der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit in der Politik der skandinavischen Staaten, der Niederlande und Kanadas zu. Während vor allem die USA und einige weitere große Geberstaaten immer wieder die mangelhafte Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit besonders der UN beklagen betonen diese Staaten gerade die Notwendigkeit, die Arbeit der UN-Stellen zu fördern. Die stärkere multilaterale Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit von „Mittelmächten“ verstößt dabei nicht gegen die Eigeninteressen des jeweiligen Landes. Vielmehr liegt gerade die Erhaltung und Schaffung von multilateralen Strukturen in allen Politikbereichen im Interesse dieser Staaten: Multilaterale Verhandlungswege eröffnen Beteiligungsmöglichkeiten für „Mittelmächte“ Das relativ hohe finanzielle Engagement der nordischen Staaten und der Niederlande insbesondere für das UNDP und andere UN-Fonds und -Programme ermöglicht diesen Staaten eine deutlich größere Einflußnahme in diesen Institutionen, als dies bei den multilateralen Entwicklungsbanken möglich wäre

Die unterschiedlichen Prioritäten der DAC-Länder gegenüber den verschiedenen multilateralen Institutionen spiegeln sich auch bei der Aufteilung der finanziellen Mittel deutlich wider. Während die „UN-freundlichen“ Länder Finnland, Norwegen und Schweden mehr als 60 Prozent (Dänemark 47, Kanada 41 Prozent) ihrer multilateralen ODA 1991 an UN-Stellen abführten, beliefen sich diese Werte für die Bundesrepublik und Großbritannien auf nur 16 und für Frankreich auf neun Prozent

V. Komparative Vorteile

Die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit weist eine Reihe von Besonderheiten auf, die sie von der bilateralen Zusammenarbeit unterscheidet und damit auch teilweise legitimiert. In den vergangenen Jahren wurden verschiedene detaillierte Studien durchgeführt, die sich mit den wichtigsten Merkmalen der multilateralen Arbeit auseinander-setzen. Die Studien analysieren nicht primär die Unterschiede zwischen der bi-und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit, sondern versuchen, die speziellen Vorteile („comparative advantages“) multilateraler Stellen gegenüber anderen internationalen Einrichtungen herauszuarbeiten. Die potentiellen, komparativen Vorteile von multilateralen Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit können folgendermaßen zusammengefaßt werden - Der universelle! globale Charakter der Entwicklungszusammenarbeit:Die hierarchische Struktur der bilateralen Arbeit („Geber -Nehmer“) tritt in den Hintergrund. Die Entwicklungsländer sind an der Gestaltung der Arbeit der multilateralen Institutionen wesentlich beteiligt. - Wegfall von Eigeninteressen der Geber:

Außen-, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Eigeninteressen bei der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit führen dazu, daß entwicklungspolitische Ziele mit anderen Interessen der Geberstaaten konkurrieren. Die multilaterale Arbeit kann die dadurch entstehenden regionalen und sektoralen Verzerrungen korrigieren. Kommerzielle Interessen (z. B. in Form von Lieferbindungen) werden ausgeschaltet. - Koordination der Entwicklungszusammenarbeit:Multilaterale Stellen sind „natürliche“ Instanzen zur Koordination entwicklungspolitischer Aktivitäten. Sie entlasten die Administrationen der Geber-wie der Empfängerländer und bündeln die Ressourcen. - Einbettung in Entwicklungsstrategien: Multilaterale Stellen verfügen über die Kapazität, Projekte und Programme mit analytischen Elementen zu verbinden. Die Aktivitäten werden in eine Entwicklungsstrategie eingebunden. - Präsenz in den Entwicklungsländern: Multilaterale Einrichtungen verfügen über ein Vertretungsnetz „vor Ort“. Dadurch können sie die jeweiligen Bedingungen und Bedürfnisse besser einschätzen. - Zugang zu Know-how: Die bestehenden internationalen Facheinrichtungen sichern den Zugang zu dem jeweils erforderlichen Spezial-wissen.

Komparative Vorteile der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit müssen nicht zwangsläufig auf jede internationale Einrichtung zutreffen. Die globale Struktur einer multilateralen Institution, die auch durch gleichberechtigte Mit-wirkungsmöglichkeiten gekennzeichnet ist, ist zwar bei den UN-Stellen, nicht aber bei der EG und der Weltbank gesichert. In einigen internationalen Einrichtungen ist es den Geberländem möglich, auch ihre kommerziellen Interessen durchzusetzen. Mechanismen, die de facto zur Lieferbindung führen, setzen den DAC-Grundsatz der ungebundenen multilateralen Hilfe oftmals außer Kraft

VI. Weltbank versus Vereinte Nationen?

Viele der neueren Studien die sich mit komparativen Vorteilen multilateraler Institutionen auseinandersetzen, entstanden im Auftrag der Geber-länder, die eine besonders engagierte Politik gegenüber der UN-Entwicklungszusammenarbeit verfolgen. Trotz der Unterschiede im Vorgehen und bei den Schlußfolgerungen der nordischen, niederländischen und dänischen Untersuchungen sind eine Reihe von übereinstimmenden Motiven zu erkennen. Die Intention der Studien ist es, aus einem systematischen Vergleich der einzelnen multilateralen Agenturen Argumente zu entwikkeln für die Diskussion um -die stärkere Nutzung von multilateralen Stellen im Hinblick auf deren tatsächliche komparativen Vorteile; -die Reformierung des UN-Wirtschafts-und Sozialbereichs; -die bestehende Arbeits-und Kompetenzverteilung zwischen den multilateralen Stellen. Dabei ist besonders die Rollenverteilung zwischen den multilateralen Entwicklungsbanken und den UN-Stellen von Bedeutung; -die finanziellen Mittel, die für die entwicklungs­politischen Aktivitäten der UN-Einrichtungen zur Verfügung stehen;

-eine gerechtere Lastenverteilung („burdensharing“) zwischen den Geberstaaten bei der Mittelausstattung der UN-Stellen.

Die Diskussionsstränge führen letztlich zu der Frage nach der Notwendigkeit einer Umgestaltung des Systems der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Ein Haupthindernis für solche Bemühungen ist auf der einen Seite die dominierende Rolle der Weltbank, auf der anderen Seite die damit einhergehende schwache Stellung der UN-Einrichtungen. Angesichts der Stärke der Weltbank ist es für andere multilaterale Stellen schwer, ein eigenes Profil zu entwickeln und über „comparative advantages“ zu verfügen, die die eigene Arbeit legitimieren. Ihre Bedeutung erstreckt sich nicht nur auf das Finanzvolumen, wie es von der Nordic-Studie betont wird Vielmehr liegt die führende Rolle der Weltbank auch darin begründet, daß es ihr gelungen ist, ihre Aufgabengebiete ständig zu erweitern und ihre analytischen Fähigkeiten so einzusetzen, daß sie die politischen Strategien und Prioritäten der Entwicklungsländer erheblich beeinflussen kann. Sie konnte deshalb entscheidend zur Durchsetzung des Konzepts der „Strukturanpassungspolitik“ beitragen, das wegen seiner negativen sozialen Auswirkungen zu heftigen Kontroversen in der entwicklungspolitischen Diskussion geführt hat

Die Weltbank ist heute nicht mehr allein auf dem Gebiet der Entwicklungsfinanzierung tätig, das ursprünglich auch ein Aufgabenbereich der UN sein sollte Die Technische Zusammenarbeit (TZ), die im Mittelpunkt der UN-Arbeit steht, ist zunehmend auch ein Aufgabenfeld, auf dem die Weltbank tätig wird. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, das die zentrale Finanzierungs-und Koordinierungsstelle für die Technische Hilfe sein soll, gab 1969 für die TZ noch viermal mehr Gelder als die Weltbank aus; heute ist das Volumen der TZ der Weltbank um ein Vielfaches höher

Die wichtigsten Schwächen der UN-Entwicklungsarbeit hat bereits 1969 der sogenannte Jackson-Bericht aufgezeigt dessen Empfehlungen 1970 zur „Konsensus Resolution“ der Generalversammlung (GA res. 2688 [XXV]) geführt haben. Das UNDP hat zwar dadurch das Mandat erhalten, die Führungsrolle im UN-System zu übernehmen. Es hat allerdings nie die Chance erhalten, eine wirkliche Bedeutung zu erlangen Die unzureichende finanzielle Austattung des Programms, die fehlenden Möglichkeiten, ein angepaßtes und flexibles Instrumentarium entwickeln zu können, sowie die mangelnde politische Bereitschaft vieler Staaten, das Gewicht des UNDP zu erhöhen und seine Leitungsfunktion anzuerkennen, haben dies verhindert.

Die Entwicklungsländer besitzen zwar ein Interesse an einer finanziell und politisch bedeutsameren UN-Entwicklungshilfe. Zugleich verhindern sie aber auch eine Gewichtsverlagerung zugunsten der Vereinten Nationen. Meist ist das relativ schwache Planungsministerium Ansprechpartner für das UNDP und anderer UN-Stellen in den Entwicklungsländern, während die multilateralen Entwicklungsbanken in der Regel mit dem wesentlich mächtigeren Finanzministerium Zusammenarbeiten. Die Möglichkeiten, Einfluß auf die Entwicklungsstrategie und -Prioritäten eines Landes auszuüben, sind folglich geringer. Fallstudien bestätigen, daß die Regierungen der Entwicklungsländer das UNDP nicht als Partner für den „politischen Dialog“ und als Entwicklungshilfe-Koordinator akzeptieren. Sie nehmen das Entwicklungsprogramm vielmehr vorrangig als Institution wahr, die zur Finanzierung von Maßnahmen dient. Die konzeptionelle Monopolstellung der Weltbank wird dadurch auch von den Ländern der Dritten Welt verfestigt.

Die Entwicklungsländer schwächen das UNDP zusätzlich, indem sie dafür mitverantwortlich sind, daß die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit oftmals in den Hintergrund tritt. Häufig nutzen sie es dann, wenn andere Geber nicht bereit sind, die Finanzierung von Maßnahmen zu übernehmen. Mit dem Ruf, „donor of last resort“ zu sein, konterkariert das UNDP nicht nur selbst sein Bemühen, „entwicklungspolitischer Ratgeber“ zu sein, sondern auch den Versuch, mehr Gelder bei den Gebern einzuwerben.

Die geringe finanzielle Ausstattung ist wiederum eine wesentliche Ursache auch für die schwache Stellung des Entwicklungsprogramms als Koordi-nator für Entwicklungshilfe, wozu nur ein Geber mit einem umfangreichen Ressourcenpotential in der Lage ist. Auch innerhalb des UN-Systems tritt das UNDP als Koordinator kaum in Erscheinung. Jede UN-Einrichtung verfolgt daher ihre eigenen Interessen, so daß „agency salesmanship“ zu den Haupthindernissen einer abgestimmten Entwicklungspolitik zählt

Die wichtigste Warnung des Jackson-Reports hat seit der Veröffentlichung des Berichts anhaltende Aktualität: Ohne ein zentrales „Hirn“ des UN-Entwicklungshilfesystems könnte sich leicht die Geschichte der Dinosaurier wiederholen

VII. Die künftige Rolle der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit

Das bilaterale Vorgehen ist noch immer die wichtigste Form der Entwicklungszusammenarbeit. Auch für die nächsten Jahre ist nicht zu erwarten, daß die DAC-Länder den Anteil der multilateralen zu Lasten der bilateralen Arbeit ausbauen werden. Aus Sicht der meisten Geber-Länder sind die Interessen, die sie mit der Entwicklungshilfe verfolgen, bilateral besser durchzusetzen als multilateral.

Die großen Geberländer haben in der Vergangenheit nur die multilateralen Stellen gestärkt, bei denen sie alleine oder wesentlich die politische Ausrichtung bestimmten konnten. Der Weltbank ist es dadurch gelungen, die wichtigste multilaterale Institution für die Entwicklungszusammenarbeit zu werden. Ihr werden auch weiterhin neue Aufgabenbereiche zugewiesen (z. B. Strukturanpassung der ehemals sozialistischen Staaten).

Die Position der EG-Entwicklungspolitik ist zwar bei weitem nicht so stark wie die der Weltbank. Die EG hat aber als Geber eine gesicherte Rolle. Eine Europäisierung der Entwicklungspolitik, die das System der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit merklich verändern würde, ist trotz der allgemeinen Bestrebungen zur europäischen Integration nicht in Sicht.

An einem wirklichen Bedeutungszuwachs der UN-Stellen waren und sind bisher die meisten westlichen Industrieländer nicht interessiert. Zu Beginn der neunziger Jahre wurden zahlreiche neue Vorschläge zur Reform des Wirtschafts-und Sozialbereichs der UN vorgelegt. Die Umsetzung der detail­ lierten Vorschläge beispielsweise der Nordic-und der Danida-Studien könnte die Effizienz der UN-Entwicklungshilfe gravierend erhöhen. Voraussetzung für einen Bedeutungszuwachs der UN-Entwicklungszusammenarbeit ist die politische Bereitschaft zu einer Umgestaltung des Systems der multilateralen Entwicklungspolitik. Nur dann sind Reformen und eine Politik denkbar, die den UN-Stellen mehr und wichtigere Funktionen und eine klare Rolle neben den mächtigeren multilateralen Institutionen zukommen lassen würde und schließlich eine ausreichende finanzielle Basis sichert. Die Vorschläge der Nordic-Gruppe zielen auf eine solche Stärkung ab, indem sie beispielsweise fordert, den UN eine „global watch“ -Funktion in allen wichtigen Wirtschafts-und Sozialbereichen zu geben, einen UN-Rat für Internationale Entwicklung (International Development Council) einzurichten und die bisher freiwilligen Zusagen durch ein dreigeteiltes Finanzierungssystem auf eine stabilere Basis zu stellen

Universalität und gleichberechtigte Mitwirkungsmöglichkeiten sind Grundprinzipien der Vereinten Nationen. Darin liegen ihre speziellen Vorzüge, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts den UN auch in der Entwicklungszusammenarbeit eine größere Bedeutung erlauben könnten. Zugleich sind diese Prinzipien aber auch die Haupthindernisse für einen Bedeutungszuwachs. Solange aus Sicht der Geber eine „Mehrheit der Nichtzahler“ die Politik wesentlich beeinflußt, werden sie nicht von ihrer bisherigen Haltung abweichen, die UN-Stellen als wenig geeignet für ihre Ziele zu betrachten. Auch eine deutliche Steigerung der Effizienz der UN-Entwicklungszusammenarbeit beseitigt nicht den Widerspruch zwischen dem universellen Anspruch der Vereinten Nationen und dem Anspruch der großen Beitragszahler auf mehr Einfluß bei höheren Leistungen.

Multilaterale Entwicklungspolitik ist keine interessenfreie Politik. Sie ist nicht losgelöst von anderen politischen Faktoren und Rahmenbedingungen und muß deshalb nicht zwangsläufig eine geringere oder höhere Qualität besitzen als die bilaterale Entwicklungspolitik. Gegenüber dem bilateralen Vorgehen besitzt sie dennoch viele potentielle Vorzüge, die genutzt werden könnten. Die sehr unterschiedlichen internen Strukturen und von außen gesetzten Bedingungen führen dazu, daß große Unterschiede zwischen den einzelnen internationalen Institutionen bestehen. Die multilaterale Arbeit bietet aber im Grundsatz bessere Voraussetzungen für eine transparente, abgestimmte und effiziente Entwicklungszusammenarbeit, wenn die politische Unterstützung vorhanden ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. OECD, Rückblick auf fünfundzwanzig Jahre der Zusammenarbeit im Dienst der Entwicklung. Politik und Leistungen der Mitglieder des Ausschusses für Entwicklungshilfe, Bericht 1985, Paris 1985, S. 225.

  2. Vgl. H. Bräker, Multilaterale Hilfeleistung für Entwicklungsländer, Köln-Opladen 1968; J. Betz, Die Intemationalisierung der Entwicklungshilfe, Baden-Baden 1978.

  3. L. B. Pearson, Der Pearson-Bericht. Bestandsaufnahme und Vorschläge zur Entwicklungspolitik. Berichte der Kommission für Internationale Entwicklung, Wien u. a. 1969, S. 255. Der Pearson-Bericht empfahl aber, den damaligen Anteil der multilateralen Entwicklungshilfe von 10 auf mindestens 20 Prozent auszuweiten.

  4. Vgl. F. Nuscheler, in: Deutscher Bundestag (Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit): öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Grundsätze und Strategien für die Entwicklungspolitik in den 90er Jahren“, Stenographisches Protokoll Nr. 12/21, Bonn 1991, S. 106ff.; A. G. Koetz/M. Otte, Krise und Reform der UN-Entwicklungshilfe, in: Außenpolitik, (1992) 2, S. 185f.

  5. Siehe z. B. die Jakarta-Erklärung der Blockfreien-Bewegung, abgedruckt in: epd-Entwicklungspolitik, (1992) 20/21, S. g-i.

  6. Vgl. A. G. Koetz/M. Otte (Anm. 9), S. 185.

  7. Vgl. Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Perspektiven der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit einschließlich der parlamentarischen Kontrolle, (Informationsvermerk 11/92), Bonn 1992, S. 6.

  8. Vgl. J. van Arendonk, in: Deutscher Bundestag (Anm. 9), S. 99.

  9. Bis auf Griechenland, Island, Luxemburg und die Türkei gehören alle OECD-Mitglieder dem DAC (Development Assistance Committee) an.

  10. Vgl. OECD (Anm. 3), S. 92.

  11. Vgl. ebd.; UNICEF, Zur Situation der Kinder in der Welt 1993, Köln 1992, S. 13. Während nach UNICEF-Berechnungen z. B. Norwegen 19, 7 Prozent seiner bilateralen Entwicklungshilfe für die Grundbedürfnisbefriedigung einsetzt, beträgt dieser Anteil für Deutschland nur 1, 9 Prozent.

  12. Dies war über einen längeren Zeitraum einer der wichtigsten Gründe für die multilaterale Ausrichtung z. B.der italienischen Entwicklungspolitik. Vgl. D. Kebschull, Italien, in: M. Holthus/D. Kebschull (Hrsg.), Die Entwicklungspolitik wichtiger OECD-Länder, Bd. 1, Hamburg 1985, S. 697ff.

  13. Siehe zur Haltung der USA gegenüber der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit und den UN z. B. M. P. Kams/K. A. Mingst (Hrsg.), The United States and Multilateral Institutions, London u. a. 1990; M. Williams, U S. Multilateral Development Assistance Policy. A Report Prepared as a Contribution to a Comparative Study by The North-South Institute (Ottawa), Washington, D. C. 1989.

  14. Siehe hierzu ausführlich: O. Stokke (Hrsg.), Western Middle Powers and Global Poverty, Uppsala -Stockholm 1989; B. Mothander/K. Flodman, Swedish Multilateral Development Assistance. A report prepared as contribution to a study by the North-South Institut (Ottawa), Canada, on Donor Countries and Multilateral Aid, (Studie im Auftrag des schwedischen Außenministeriums), Stockholm 1989; D. R. Protheroe, Canada and Multilateral Aid. A Report Prepared as a Contribution to a Comparative Study on Donor Countries and Multilateral Development Aid by the North-South Institute (Ottawa), Ottawa 1991.

  15. Diese vier Länder zählten beispielsweise 1991 zu den sechs Hauptbeitragszahlem des UNDP. Vgl. UNDP, 1991 UNDP Annual Report, New York 1992.

  16. Vgl. OECD (Anm. 3), S. A-36.

  17. Vgl. Danida (Department of International Cooperation, Danish Ministry of Foreign Affairs), Effectiveness of Multilateral Agencies at Country Level. Case Study of 11 Agencies in Kenya, Nepal, Sudan and Thailand, 11 Bde., Copenhagen 1991, hier: Bd. 1, S. 8ff.; Ministry of Foreign Affairs (Niederlande), Policy document on multilateral development Coop­ eration. An evaluation of the multilateral organisations as a channel for Dutch aid, The Hague 1992, S. 129ff.; A. G. Koetz/M. Otte (Anm. 9); R. Gassen (Anm. 5), S. 395f.; L. B. Pearson (Anm. 8), S. 260ff.

  18. Siehe zur Lieferbindung von multilateraler Entwicklungshilfe z. B.: C. J. Jepma, The Tying of Aid, Development Centre Studies (OECD), Paris 1991, S. 37ff.

  19. Vgl. insbesondere: Danida (Anm. 22); Ministry of Foreign Affairs (Niederlande) (Anm. 22); The Nordic UN Project, The United Nations in Development. Reform Issues in the Economic and Social Fields. A Nordic Perspective. Final report by the Nordic UN Project, Stockholm 1991. Siehe auch die zahlreichen Studien, die für das Nordic UN Project angefertigt wurden und im Abschlußbericht aufgeführt sind.

  20. Vgl. The Nordic UN Project, Perspectives on Multilateral Assistance, Stockholm 1990, S. 13ff.

  21. Siehe zur Diskussion um das Konzept der Strukturanpassung z. B.: R. Tetzlaff, Strukturanpassung -das kontroverse entwicklungspolitische Paradigma in den Nord-Süd-Beziehungen, in: D. Nohlen/F. Nuscheler (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, Bd. 1, Bonn 19923, S. 420-445.

  22. Vor der Gründung der „Weltbanktochter“ IDA gab es konkrete Planungen, die UN mit dem Bereich der finanziellen Zusammenarbeit zu „weichen“ Bedingungen zu beauftragen. Vgl. H. W. Singer, The Terms of Trade Controversy and the Evolution of Soft Financing: Early Years in the U. N., in: G. M. Meier/D. Seers (Hrsg.), Pioneers in Development, Oxford 1984, S. 275-314.

  23. Vgl. A. G. Koetz/M. Otte (Anm. 9), S. 190; Kienbaum & Partners, A Strategy-Based Senior Management Structure for the United Nations Development Programme (UNDP), New York 1991, S. 2ff.

  24. United Nations, A Study of the Capacity of The United Nations Development System, 2 Bde., Genf 1969.

  25. Vgl. The Nordic UN Project 1991 (Anm. 24), S. 57f.

  26. Vgl. The Nordic UN Project 1990 (Anm. 25).

  27. Vgl. Kienbaum & Partners (Anm. 28); Danida (Anm. 22), Bd. 1, Annex 2. 2; The Nordic UN Project 1991 (Anm. 24), S. 16, 25ff.

  28. Vgl. United Nations (Anm. 29), Bd. 1, S. 13.

  29. Vgl. The Nordic UN Project 1991 (Anm. 24), S. 13f.

Weitere Inhalte

Stephan Klingebiel, Dipl. -Soz. -Wiss., geb. 1962; wissenschaftlicher Angestellter an der Universität-Gesamt-hochschule-Duisburg im Institut für Entwicklung und Frieden. Veröffentlichungen u. a.: Entwicklungsindikatoren in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion: Der Human Development Index, der Human Freedom Index und andere neuere Indikatorenkonzepte, in: INEF-Report (1992) 2; Fünfzehn Jahre AKP-EWG-Zusammenarbeit: Zielsetzungen, Instrumente, Ergebnisse, in: F. Nuscheler/O. Schmuck (Hrsg.), Die Süd-Politik der EG, Bonn 1992.