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Wahlen und Regierungswechsel auf den Philippinen. Die politische Wettbewerbsgesellschaft in der Ära nach Marcos | APuZ 27/1992 | bpb.de

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Wahlen und Regierungswechsel auf den Philippinen. Die politische Wettbewerbsgesellschaft in der Ära nach Marcos

Rolf Hanisch

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auf den Philippinen fanden am 11. Mai 1992 umfassende Wahlen statt, in denen nahezu alle Wahlämter erneuert wurden. Seit dem Sturz des autoritären Marcos-Regimes (1986) ist ein freier politischer Wettbewerb möglich. Dieser wird durch Politiker gestaltet, die sich kaum ideologisch-programmatisch voneinander unterscheiden. Die „freien Wähler“, die nicht durch Klientelbeziehungen eingebunden, durch Gewaltverhältnisse eingezwängt und durch materielle Zuwendungen gekauft werden, befinden sich vermutlich noch in der Minderheit, nehmen aber an Bedeutung zu. Die fehlende Institutionalisierung und die Fragmentierung des Parteiensystems lassen keine eindeutigen Mehrheiten zu, verursachen jedoch ein politisches Vakuum und trägt damit nicht zur Stabilität des demokratischen Regimes bei.

I. Vorbemerkung

Am 11. Mai 1992 fanden Wahlen auf den Philippinen statt. Es wurden nicht nur der Präsident und der Vizepräsident durch das Volk neu gewählt, sondern auch 24 Senatoren, 200 Kongreßabgeordnete, 78 Gouverneure und deren Stellvertreter, jeweils acht bis zehn Provinzräte, die Bürgermeister und deren Stellvertreter sowie die Gemeindevertreter. 17284 Wahlämter wurden neu besetzt.

Damit war ein „Etappenziel“ in einer Entwicklung erreicht, die im Februar 1986 durch den Sturz und die Vertreibung des autoritären Regimes von Ferdinand Marcos und mit der Übernahme der Präsidentschaft durch Corazon Aquino ihren Ausgangspunkt genommen hatte. Nach dem Sturz des autokratischen Systems wurde eine neue demokratische Verfassung ausgearbeitet und durch Volksentscheid am 7. Februar 1987 ratifiziert. Im Mai 1987 wurde ein neuer Kongreß, im Januar 1988 die Wahlämter in den Provinzen und Städten und im März 1989 in den Gemeinden gewählt. All diese Mandate wurden nun im Mai 1992 an einem Tag erneuert.

Es soll im folgendem der Frage nachgegangen werden, wie frei der politische Wettbewerb in dieser zweiten Demokratie auf den Philippinen ist. Stehen Alternativen zur Wahl, haben nicht-etablierte politische Kräfte Chancen, sich bei Wahlen durchzusetzen und in das politische System einzubringen, oder vermögen -wie schon in der ersten Demokratie (1935-1972) -die etablierten wirtschaftlichen und politischen Eliten durch subtile Mittel sich nach außen abzuschotten und den Wettbewerb unter sich auszumachen? Welche Gründe sind hierfür verantwortlich und welche Entwicklungstrends sind auszumachen?

Das Material für die vorliegende Untersuchung wurde im wesentlichen während eines Philippinen-Aufenthaltes im März/April 1992 gesammelt. Der Verfasser dankt zahlreichen Gesprächspartnern, darunter den Kollegen Froilan Bacungan, Alex Brillantes und Kurt Nass.

II. Die Meinungs-und Organisationsfreiheit

Die formalen Bedingungen für eine freie Wettbewerbsgesellschaft wurden in der Verfassung von 1987 zum Teil minutiös festgelegt. In ihr wird den Menschen-und Bürgerrechten ein breiter Raum eingeräumt, die Gewaltenteilung festgeschrieben und werden die Ausnahmerechte der Präsidentschaft erheblich eingeschränkt.

Die Medienlandschaft ist frei und vielfältig. Es gibt 28 Tageszeitungen mit nationaler Reichweite und mit Schwerpunkt in Manila, ferner 48 kleinere Lokalzeitungen in den Provinzen, außerdem einige hundert Wochenzeitungen und Zeitschriften, fünf TV-Netzwerke und 329 Radiostationen.

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NRO) publizieren eigene Periodika und Mitteilungsblätter. Es gibt eine vielfältige Buchproduktion. Die letzten Jahre waren die Zeit der Symposien und akademischen Round-Table-Diskussionen, in denen die öffentlichen Angelegenheiten kritisch diskutiert und begleitet wurden.

Durch Umfragen versucht man, Meinungen und Einstellungen der Bürger zu ergründen. Die Philippinen sind auch eine Umfragedemokratie, in der Umfrageergebnisse beachtet, diskutiert und „verarbeitet“ werden. Diese werden durchaus nicht immer mit wissenschaftlichen Methoden erhoben, sondern beruhen nicht selten auf nicht unproblematischen Zufallsergebnissen (etwa Radiohörerbefragungen). Trotzdem wird durch diese Umfragen das Wissen über die philippinische Gesellschaft erweitert. Das Volk wird befragt, der Bürger bekommt eine Stimme nicht nur zur Wahlzeit.

In diesem Zusammenhang sei auf einige Probleme hingewiesen: Die großen Zeitungen und Sender werden von der wirtschaftlichen Oligarchie kontrolliert. Vielleicht gibt es sogar eine interne Selbstzensur in einzelnen Medien. Nicht selten gehen dürftig bezahlte Journalisten Klientelverhältnisse mit den Reichen und Mächtigen ein, die ihnen ein zweites Einkommen ermöglichen. Weithin wird ein Verlautbarungs-, gekoppelt mit einem Kommentarjournalismus gepflegt. Dennoch: Die großen Medien sind keine kontrolliert einsetzbaren Intrumente der Regierung, auch nicht der Oligarchie, in Einzelfällen vielleicht, in ihrer Gesamtheit jedoch nicht. Alle großen Fragen des Landes finden Erwähnung und werden kritisch begleitet. Es gibt einen investigativen Journalismus: Über Mißstände, Probleme und Verfehlungen wird nicht nur reaktiv berichtet, diese werden auch aktiv recherchiert.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß durch eine vielfältige, breite Medienlandschaft eine freie politische Kommunikation möglich ist, daß eine gute Chance besteht, sich über die öffentlichen Angelegenheiten des Landes zu informieren und, bei allgemein bedeutsamen Aktionen, Öffentlichkeit zu finden. In dieser Hinsicht stehen die Philippinen einzigartig in Südostasien und weit vorn in der Dritten Welt da.

Die Parteien haben nahezu völlige Organisationsfreiheit -mit plausiblen Einschränkungen. Sie müssen die Verfassung anerkennen, dürfen nicht durch Gewalt und andere ungesetzliche Maßnahmen ihre Ziele verfolgen oder eine (religiöse) Sekte vertreten, und sie dürfen keine finanziellen Zuwendungen von einer ausländischen Regierung oder Agentur erhalten.

Verboten sind praktisch nur die Kommunistische Partei (CPP) und die von ihr kontrollierte Volksfrontorganisation (NDF), da diese durch ihre Guerilla (NPA) den Krieg gegen den Staat fortsetzt. Damit wurde jedoch nicht „der Marxismus“ per se legal ausgeschaltet. Es gibt alte (PKP) und neue (u. a. BISIG) marxistische Parteien und Organisationen, die nicht eine gewaltsame Transformation der Gesellschaft anstreben, sondern auf außerparlamentarische Basisarbeit setzen und die legal agieren können. Hier beteiligen sich viele ehemaligen CPP/NPA-Mitglieder, die nach dem Umsturz 1986 freigelassen worden waren.

Bei der Wahlbehörde (COMELEC) waren im März 1992 nicht weniger als 51 Parteien mit nationalem, 26 mit regionalem und 43 mit kommunalem Anspruch registriert. Kandidieren für ein Wahlamt kann fast jeder, also nicht nur Vertreter von Parteien, sondern auch unabhängige Kandidaten. Es gibt keinen Depositzwang für Kandidaten, der -wie in anderen Ländern mit Mehrheitswahlrecht -verfällt, wenn eine nur marginale Stimmen-zahl erreicht wird

Dementsprechend zahlreich sind die Kandidaten: Für die Kongreßwahlen 1987 kandidierten 132 Bewerber für den Senat (24 Sitze) und 1739 Bewerber für das Repräsentantenhaus (200). Bei den Wahlen im Mai 1992 kandidierten ca. 80000 Bewerber für 17 000 Wahlämter. Die COMELEC sucht daher die Ernsthaftigkeit der Kandidaten für die nationalen Wahlämter zu prüfen. Für Mai 1992 wurden je acht Kandidaten für die Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft zugelassen und 68 bzw. zehn abgelehnt. Für die 24 Senatorenmandate wurden 161 Kandidaten der Parteien der Präsidentschaftskandidaten und vier Unabhängige zugelassen und 105 abgelehnt

Schon in der Marcos-Zeit entwickelte sich -trotz der Versuche einer korporatistischen Vereinnahmung -eine bunte Gewerkschaftsszene, in der ein marxistischer Gewerkschaftsdachverband, die 1980 gegründete KMU, es verstand, gelbe und konservative und auf Marcos orientierte Gewerkschaften zunehmend in Bedrängnis zu bringen. Daneben schossen NRO unterschiedlicher Zielsetzung, Organisations-und Institutionalisierungsgrades, Größe und mit unterschiedlicher Klientel und Basis nahezu wie Pilze aus dem Boden Sie alle waren zu einem guten Teil in ihren proklamierten Zielsetzungen armutsorientiert und Marcos-kritisch und trugen nicht unwesentlich zum Sturz des autoritären Regimes bei. Sie sollten in der neuen Ordnung nicht nur mißtrauisch toleriert werden, sondern zunächst auch besondere Anerkennung finden.

Die Verfassung von 1987 bekennt sich zur sozialen Demokratie: Den Arbeitern wird das Recht zur Selbstorganisation, zu friedlichen Arbeitskampfmaßnahmen, inklusive des Streikrechts, und zu Tarifverhandlungen garantiert. Sie werden aufgefordert, sich am Willensbildungsprozeß für die Bereiche, die sie betreffen, zu beteiligen. Als Staatsziele gelten die „Sicherheit am Arbeitsplatz, humane Arbeitsbedingungen und ein lebensnotwendiger Lohn“ (Art. XIII, See. 3). Den NRO („people’s organizations“) wird versichert, daß sie ihre Rechte „effektiv und angemessen“ auf allen Ebenen des sozialen, politischen und ökonomischen Willensbildungsprozesses wahrnehmen können sollen, daß der Staat diese Bemühungen zu respektieren und durch die Einrichtung angemessener Konsultationsmechanismen zu fördern habe (Art. XIII, See. 15, 16). So steht es in der Verfassung.

III. Militarisierung und die Verletzung der Menschenrechte

Die praktische Arbeit kritischer, oppositioneller sozialer Bewegungen und Gewerkschaften vollzieht sich hingegen in einem Klima der zunehmenden Militarisierung der Gesamtgesellschaft. Deren Wurzeln reichen zum Teil weit in die Zeit vor der Machtübernahme durch Aquino zurück. Es scheint aber, daß Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in den letzten sechs Jahren weiter außer Kontrolle geraten sind. Der Staat besitzt kein Gewaltmonopol, die zivile Kontrolle der staatlichen bewaffneten Kräfte ist erheblich eingeschränkt, die staatlichen Organe, die für den Schutz und die Durchsetzung des Rechts verantwortlich sind, arbeiten bestenfalls dubios.

Die philippinische Gesellschaft ist bewaffnet. Mehr als 500 000 Handfeuerwaffen befinden sich mit staatlicher Lizenz in privaten Händen. Wer wagt zu mutmaßen, wie viele sich illegal im Umlauf befinden? Wohlhabende und Geschäftsleute, die es sich leisten können, lassen sich durch (uniformierte) bewaffnete Wächter schützen. Es soll immer noch 145 „Bosse“ geben, die regelrechte Privatarmeen unterhalten. 1200 organisierte Gangsterbanden und Syndikate machen das Land unsicher. Die Kriminalität steigt und obwohl die Polizeistatistik seit 1990 einen Rückgang verzeichnet, wächst die Unsicherheit in der Bevölkerung. Man kann auch vor (den schlecht bezahlten) Polizisten und Militärs nicht sicher sein, geschweige denn auf deren Schutz vertrauen. Viele sind bestechlich, nicht wenige beteiligen sich an illegalen Aktivitäten, ja Gewalt-verbrechen -auf eigene Rechnung oder im Solde anderer.

Die gewöhnliche Kriminalität verschränkt sich -oder ist doch oft schwer von ihr zu trennen -mit der gesellschaftspolitisch motivierten Gewaltkriminalität als Ausdruck der Klassenkämpfe (würden Marxisten sagen). Landarbeiter und Pächter, Gewerkschaftler und Bauernführer, Sozialarbeiter und Priester, Anwälte und Journalisten sowie politische Gefolgsleute sehen sich immer wieder gewaltsamen Einschüchterungs-und Drangsalierungsversuchen ausgesetzt -bis hin zu Entführung, Folterung und Ermordung. Diese gesellschaftspolitische Gewalt existiert unabhängig vom Bürgerkrieg im Lande, erfährt aber durch die kommunistische Guerilla und die counter-insurgency eine erhebliche Ausweitung.

Es ist eine Dialektik der Gewalt festzustellen: Je erfolgreicher eine Guerilla operiert, desto brutaler werden auch die Sicherheitskräfte reagieren. Wo Kombattanten nicht eindeutig identifizierbar sind, werden Unbeteiligte unweigerlich in die Auseinandersetzungen mit hineingezogen werden, wo eine Guerilla ihren militärisch-terroristischen Kampf durch Gründung oder Unterwanderung von legal operierenden Massenorganisationen politisch zu verstärken versucht, werden diese in das Visier des Militärs geraten, wo die Guerilla (angebliche) Spione in ihren Reihen exekutieren, wird man die Folterung und Ermordung legal operierender linker Aktivisten, die zu Recht oder zu Unrecht mit dem kommunistischen Untergrund in Verbindung gebracht werden, in einem demokratischen Rechtsstaat nicht tolerieren können. Die Handlungszwänge sind jedoch eindeutig, werden allerdings häufig übersehen. Der demokratische Rechtsstaat wird hier in eine Streßsituation versetzt, die er selten völlig unbeschadet überstanden hat.

Der Handlungsspielraum des Aquino-Regimes wurde zusätzlich durch ein weiteres Erbe der Marcos-Zeit eingeschränkt: durch die Politisierung der Armee, die nun in mehrere Faktionen zerfällt und die in sieben Rebellionen, davon zwei ernsthaften (1987, 1989), die demokratische Ordnung in Frage stellte Es gelang zwar, diese Putschversuche mit Hilfe der loyalen Armeeführung niederzuschlagen. Diese rückte damit allerdings in eine Schlüsselrolle, die es ihr weithin ermöglicht, den Krieg so zu führen, wie sie es für richtig hält.

Die paramilitärischen Verbände, Hauptzielscheiben der NPA-Attacken und Hauptquelle von Disziplinlosigkeiten und von Menschenrechtsverletzungen, konnten nicht aufgelöst werden. Sie wurden 1987/88 faktisch nur umgruppiert und mit einem neuen Etikett versehen. Auf Gegenterror spezialisierte Banden („Vigilantes") suchte die Aquino-Regierung durch die Formulierung von „Richtlinien“ (im Oktober 1987) zu „domestizieren“, was nicht gelang. Auf Druck des Menschen-rechtsausschusses des Senats wurde im Juli 1988 schließlich deren Auflösung angeordnet, die jedoch weithin ignoriert wurde.

Eine eher unrühmliche Rolle spielt auch eine 1987 eingerichtete Menschenrechtskommission der Regierung. Obwohl sie nur mit knappen Mitteln ausgestattet ist, sucht sie die Menschenrechtsfrage möglichst weit zu fassen und verzettelt sich so in allerlei Aktivitäten wie z. B.der Durchführung von Menschenrechtsseminaren. Eine unabhängige Ju-ristenkommission fand heraus daß 6638 Beschwerden an die Kommission bis zum September 1990 herangetragen worden seien, von denen 881 an die Gerichte und zuständigen Behörden weitergeleitet und 53 abschließend geklärt worden sein sollen. Neun Übeltäter wurden schließlich bestraft, davon einige aus dem Dienst entlassen. Dieses kümmerliche Ergebnis steht in scharfem Kontrast zu jährlich mehreren hundert neuen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Die Kommission selbst notierte für 1991 277 Morde/Exekutionen, acht Fälle von Folter, 26 (meist tödlich ausgehende) Kidnappings, 135 (zweifelhafte) Verhaftungen sowie 569 (wohl überwiegend) leichterd Menschenrechtsverletzungen. Die staatliche Menschenrechtspolitik blieb auch nach der Berufung einer weiteren Präsidialkommission für Menschenrechte, an der auch Vertreter privater NRO mitwirken, unbefriedigend. Das liegt nicht zuletzt am unzureichenden Justizsystem.

Das Militär verteidigte zäh sein erst 1981 errungenes Recht, Rechtsverletzungen von Angehörigen der Sicherheitsdienste vor eigenen Militärgerichten abzuurteilen. Erst im Juni 1991 wurde diese Befugnis wieder weitgehend auf Zivilgerichte übertragen.

Die Justiz ist heute unabhängig von den politischen Instanzen, was immer wieder durch unbequeme Entscheidungen (etwa des Obersten Gerichts) demonstriert wird. Auf der anderen Seite kann einem Sozialarbeiter, Gewerkschaftler usw., der in Verdacht gerät, die Guerilla zu unterstützen, übel mitgespielt werden. Verhaftungen werden häufig ohne richterliche Voruntersuchungen und ohne Haftbefehl durchgeführt. Im Gefängnis müssen Angeschuldigte zwar innerhalb einer kurzen Frist einem Richter vorgeführt werden, es gibt aber keine Vollzugsinstanz, die darüber wacht. Bis zu einem Prozeß kann es dann sehr lange dauern, die Gerichte sind hoffnungslos überlastet, das Ergebnis ist nicht selten unbefriedigend und problematisch. Wohlhabende können sich durch eine Kaution freikaufen, Arme und des Terrorismus (der Mitgliedschaft in der NPA) Verdächtigte können dies in der Regel nicht.

Für unseren Zusammenhang bleibt festzuhalten: Durch Krieg und Militarisierung wird der freie politische Wettbewerb eingeschränkt. Davon ist in erster Linie die legal operierende Linke betroffen. Deren Entfaltungsspielraum wird zwar beschnitten, nicht jedoch beseitig. Sie ist in der Lage, Basisarbeit unter Arbeitern, Landbewirtschaftern und städtischen Armen zu leisten, durch politische Aktionen (Demonstrationen, Streiks, Generalstreiks) und Beteiligung an Wahlen sich im politischen System zu artikulieren. Sie hat dabei durchaus punktuelle Erfolge erzielen können. Sie wird jedoch durch Unterwanderung durch die Militanten auf der einen und rechten Terror auf der anderen Seite geschwächt und politisch in Flügel gespalten. Sie wird gehindert, ihre (knappen) politischen Ressourcen optimal im System zu mobilisieren, sie ist bisher nicht in der Lage, diese zielgerichtet gebündelt einzubringen.

IV. Die politischen Kräfte im Wettstreit

Es gibt keine institutionalisierten Parteien mit einer Massen-und verläßlichen Mitgliederbasis. Die Parteien werden in der Regel vom „Kopf“ gegründet, geleitet und gespalten. Führende Politiker fühlen sich frei, diese oder jene Partei zu gründen, aufzulösen oder zu verlassen. Es gibt so gut wie keine sach-, Ideologie-oder traditionsbezogenen Loyalitäten gegenüber den Parteien, die allein funktional gesehen werden: als Wahlmaschine zur Besetzung öffentlicher Ämter.

Sie werden organisiert von Honoratioren, überwiegend aus dem Besitz-und Bildungsbürgertum. Familienklane spielen nach wie vor eine große Rolle. Sie gestalten zum Teil schon seit mehreren Generationen die Politik mit und dominieren sie in ihren Heimatprovinzen. Angelpunkte der Partei-organisationen sind meist Amts-und Mandatsträger. Es ist daher für Politiker mit nationalem Anspruch in Wahlzeiten wichtig, möglichst viele Provinzgouverneure, Bürgermeister, Provinz-und Stadträte hinter sich zu wissen. Bausteine der Parteien sind Faktionen: Gruppierungen auf der Basis von Verwandtschaft, Freundschaft und von Klientelbeziehungen, die dyadisch aufeinander bezogen sind. Sie werden nicht zusammengehalten durch ideologische oder allgemein politisch-pragmatische Zielsetzungen und Interessen, sondern durch persönliche Beziehungen zur Durchsetzung unmittelbar realisierbarer individueller Ziele. „Politik“ wird nicht von „den Parteien“ gemacht, sondern von Einzelpersönlichkeiten, die meist recht mobile Faktionen um sich zu scharen vermögen, die, als Parteien etikettiert, horizontale und vertikale Koalitionen eingehen. Es ist eine Proliferation von selbständig agierenden Politikern und ihren Parteien festzustellen, die nicht mehr an das Zweiparteiensystem der Vor-Marcos-Zeit anknüpfen. Die Aquino-Koalition vermochte als Oppositionsbewegung diese Kräfte noch mit Mühe zu bündeln. Sie zerfiel dann sehr rasch, zunächst an den Rändern: Linke und Linksliberale auf der einen, die (rechten) Präsidentschaftsaspiranten (Verteidigungsminister) Enrile und (Vize-Präsident) Laurel auf der anderen Seite wurden schon 1986/87 aus der Regierung gedrängt bzw. schieden aus.

Bei den Kongreßwahlen 1987 stellte die Aquino-Koalition noch eine gemeinsame Liste für die 24 Senatsmandate auf (wovon sie 22 gewann). Gegen sie trat auf der Rechten die Marcos-Partei KBL und ein Parteienbündnis, GAD, überwiegend ehemalige Marcos-Anhänger und Dissidenten um den Finanzmagnaten Puyat, Verteidigungsminister Enrile und den ehemaligen Filmschauspieler und (erfolgreichen) Bürgermeister Estrada, an. Estrada und Enrile (ganz knapp) wurden in den Senat gewählt. Ein Linksbündnis, die ANP, war selbst nicht einmal so erfolgreich. Ihre sieben Kandidaten erhielten zwischen 1-1, 5 Mio. Stimmen -maximal 1/6 der Stimmen, die notwendig waren, um einen Senatssitz zu erhalten.

Die Wahl zum Repräsentantenhaus war für alle Mitglieder der Aquino-Koalition freigegeben, deren Parteien und Politiker folglich gegeneinander konkurrierten. Eine Richtungs(aus) wahl war nur bedingt möglich. Die Linke (103 Kandidaten) und die gespaltene (Marcos-) Rechte waren nicht überall in der Lage, Kandidaten aufzustellen. Die Mehrheit der 1800 Kandidaten waren Mitglieder der Aquino-Koalition, die ihre Wahlchancen durch den offiziellen „Segen“ der Präsidentin zu verbessern suchten und nicht selten die Unterstützung gleich mehrerer Parteien beanspruchten. Die Linke vermochte nur zwei Kandidaten durchzusetzen, die später zur LDP überwechselten. Bei den Kommunalwahlen 1988 war sie nicht erfolgreicher: Nur 18 ihrer 144 Kandidaten wurden gewählt

Ihre Niederlage kann nicht allein durch Schikanen des Militärs und örtlicher Amts-und Machthaber erklärt werden, auch nicht durch das (Mehrheits-) Wahlrecht, das kleine Parteien benachteiligt. Andere Faktoren sind zu nennen: knappe materielle Ressourcen, der unentschlossene Wahlkampf des NDF-nahen Flügels, das Fehlen charismatischer Persönlichkeiten. Noch entscheidender scheint zu sein, daß die „Massenbasis“ der Linken möglicherweise nicht so groß ist, wie von ihr behauptet und von ihren Sympathisanten angenommen wird. So beansprucht die NDF eine Massenbasis zwischen sechs bis elf Mio. -damit könnte man durchaus nachhaltig Einfluß auf die Wahlen nehmen

Viele tausend NRO müßten Millionen Unterprivilegierte auf die Straße und an die Wahlurnen bringen können, zumal alle linken und zielorientierten Organisationen mit einem alternativen -nicht unbedingt praktikablen und „die Armutsgruppen“ ansprechenden -Sachprogramm aufwarten und sich um die politische Bildung und Politisierung ihrer Mitglieder bemühen. Tatsächlich scheint ihnen dies nur begrenzt gelungen zu sein. Es wird häufig übersehen, daß diese Organisationen -selbst der linke Gewerkschaftsdachverband, die KMU (mit angeblich 750000 Mitgliedern) -meist fast vollständig von außen finanziert werden. Die Binnen-strukturen „progressiver“ Organisationen ähneln daher nicht selten traditionellen Klientelstrukturen. Die Mobilisierungsfähigkeit wird bei vielen Mitgliedern nicht allein auf deren aufgeklärtes Bewußtsein setzen können.

Nach der Wahlniederlage 1987/88 fielen die Parteien der Linken -Bayan, PNB -praktisch in einen Dornröschenschlaf. Sie hatten nicht die Kraft, einen landesweit funktionierenden Parteiapparat aufzubauen, den im Untergrund nur die CPP (mit gegenwärtig etwa 15 000 Mitgliedern) unterhält. Zu den Wahlen 1992 trat die Linke nicht mehr an. Sie beschränkte sich auf Wahlempfehlungen für das linksliberale Bündnis unter dem Präsidentschaftskandidaten Jovito Salonga.

An den Wahlen 1992 beteiligten sich sieben Parteien(koalitionen). Fünf gingen aus der Aquino-Koalition hervor, die im wesentlichen aufgrund der Präsidentschaftsambitionen ihrer führenden Mitglieder auseinanderfiel: Der ehemalige Verteidigungsminister Eddie Ramos vermochte nicht die Unterstützung der wichtigsten Regierungspartei, der LDP, zu erhalten, in der sich der Sprecher des Repräsentantenhauses, Ramon Mitra, durchsetzen konnte. Er trat daher mit Unterstützung Corazon Aquinos mit einer, um seinen Anhang erweiterten, christdemokratischen Partei (Lakas Edsa-NUCD) an. Der ehemalige Senatspräsident Jovito Salonga führte eine linksliberale Koalition (LD-PDPLaban), Vize-Präsident Laurel die Nacionalistas, Miriam Defensor Santiago, ein Mitglied früherer Aquino-Regierungen, betrieb ihre politischen Ambitionen mit einer Eigengründung (People’s Reform Party: PRP). Aus dem Exil kehrten zurück die Marcos-Witwe Imelda, die sich der Marcos-Partei KBL bediente, und der Marcos-Kumpan und Geschäftsmann Eduardo Cojuangco, der sich einen neuen Parteiapparat zusammenkaufte (Nationalist People’s Coalition), nachdem er die Nominierung bei den Nacionalistas nicht hatte durchsetzen können.

V. Wahlkampf und Faktoren der Wahlentscheidung

1. Waffen, gedungene Schläger, Geld Das Grundmuster der Wahlkämpfe und der Wahl-entscheidungen in den Philippinen ist traditionell geprägt durch die Einbindung eines großen Teils der Wähler in gesellschaftlich-ökonomische Patron-Klientel-Beziehungen. Kandidaten, die über keine politischen Organisationen, Schlägerbanden, ökonomische Ressourcen und frei verfügbares Geld verfügen, hatten meist keine Chancen, Wahlen zu gewinnen. Nationale Wahlkampagnen sind kaum -auch von wohlhabenden Bewerbern -nur aus der eigenen Tasche zu bestreiten. Für die Kampagne 1992 wurde geschätzt, daß ein aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat 1, 5 bis 2 Mrd. Peso (100 bis 130 Mio. DM) benötigt, bekannte und populäre Kandidaten immerhin noch 0, 7-0, 8 Mrd. Peso (ca. 50 Mio. DM)

Um aussichtsreich zu sein, sind Kandidaten also auf Parteiapparate, die Unterstützung durch die Administration und auf private Spenden angewiesen. Als Hauptspender treten vermögende Privatleute auf, die auf ein harmonisches Verhältnis zum politisch-administrativen Bereich angewiesen sind. Es werden hier immer wieder die sino-philippinisehen Unternehmer, Angehörige der Untergrundökonomie, große Schmuggler, Holzunternehmer (mit oft illegalem Einschlag), Landbesitzer und sonstige Unternehmer genannt.

Die Wahlkämpfe sind in den letzten Jahren deutlich teurer geworden, da die festgefügten traditionellen Patron-Klientel-Verhältnisse durch den Bevölkerungsdruck, den Agrarwandel und die Agrarreform sowie durch die Stadtwanderung deutlich an Bedeutung verloren haben Damit erhielt der ungebundene Wähler (in den Philippinen nennt man ihn die „free market vote“) mehr Gewicht. Er muß durch Wahlpropaganda erreicht und gewonnen werden, wenn seine Stimme nicht sogar direkt gekauft werden muß, die er aber nun dem Meistbietenden, möglicherweise als Mitglied einer kleineren, mobilen Faktion, gibt. Man hat durch Gesetz versucht, die Bedeutung von „guns, goons and gold" für die Wahlentscheidung einzuschränken. Das Tragen von Waffen während des Wahlkampfes wurde verboten. Ausgenommen sind nur Polizisten und Armeeangehörige im Dienst sowie Personen mit Sondergenehmigung durch die Wahl-behörde. Im März 1992 wurden Straßenkontrollstellen von der COMELEC und der Polizei errichtet, um das Waffenverbot durchzusetzen. Angeblich sollen 120 der 143 bekannten Privatarmeen von Politikern entwaffnet bzw. aufgelöst worden und 2 429 Festnahmen wegen illegalen Waffen-besitzes erfolgt sein

Nicht selten stehen Polizisten und Militärs im (privaten) Sold von Politikern und verhalten sich dabei kaum rechtsbewußter als andere gedungene Leibwächter und Killer. Die Wahlkommission erwirkte die Versetzung von 300 Polizisten und 880 Soldaten und Offizieren, darunter zehn Generälen, um dieses privat nutzbare Gewaltpotential auf lokaler Ebene zu entflechten

Die Präsidentschaftskandidaten (erst Ende April 92) sowie die politischen Wettbewerber in mehreren Provinzen verpflichteten sich gegenseitig (in „Friedensabkommen“), sich gewaltsamer Mittel zu enthalten. Dennoch waren wieder zahlreiche, zum Teil spektakuläre Morde und Entführungen zu beklagen, aber offenbar deutlich weniger als zu früheren Wahlen, wobei die die Wahlen beeinflussende Gewalt nicht nur an der Zahl der Kapitalverbrechen gemessen werden kann. Die Wahlkampfausgaben wurden gesetzlich beschränkt (für nationale Kandidaten auf 310 Mio. Peso = 20 Mio. DM). In der Wahl erfolgreiche Bewerber müssen ihre Einnahmen und Ausgaben abrechnen, bevor sie anerkannt werden. Man wird von dieser Bestimmung nichts erwarten können (und ist sich dessen auch bewußt). Wichtiger ist das Verbot der bezahlten Wahlkampfanzeigen in den Medien. Alle Präsidentschaftsbewerber und ihre Parteien erhalten statt dessen -auf gleicher Basis -Raum zur Eigen-werbung durch die COMELEC reserviert.

Die Ressourcen des Staatsapparates dürfen nicht parteipolitisch eingesetzt werden. Dennoch erhielt Ramos und seine Lakas Edsa-NUCD vielfältige (auch materielle) Unterstützung durch die Aquino-Regierung. Behördenchefs, die Mitra unterstützten, wurden entlassen. Mitra selbst ließ seine Wahlbroschüren in der Kongreßdruckerei herstellen. Über die den Kandidaten zur Verfügung stehenden Geldmittel ist (bisher) wenig bekannt. Man nimmt an, daß Mitra und Ramos als aussichtsreichste Kandidaten die meisten Spenden einzutreiben vermochten, während Salonga, Defensor und Laurel unter Geldmangel litten. Estrada mußte deshalb seine Kandidatur sogar zurückziehen und sich dem potentesten Bewerber anschließen: Eduardo Cojuangco. Obwohl der größte Teil von dessen (unter Marcos zusammengerafften) Unternehmen noch unter staatlicher Zwangsverwaltung steht, dürfte es diesem nicht schwer fallen, zwei bis drei Mrd. Peso (130-200 Mio. DM) aus der eigenen Tasche aufzubringen und aus seinem im Ausland versteckten Besitz zurückzuführen. Entgegen dem ökonomischen Trend ist in den Monaten vor den Wahlen erstmals eine Aufwertung des Peso gegenüber dem US-Dollar zu verzeichnen gewesen.

Den Kandidaten standen unterschiedlich starke Wahl-und Parteiapparate zur Verfügung: Die LDP Mitras wußte die meisten Abgeordneten und lokalen Amtsträger hinter sich. Salongas Parteien-koalition hatte jedoch -zur Überraschung vieler Beobachter -die meisten örtlichen Parteizellen organisiert und wurde von der Wahlbehörde noch vor der LDP, der Nationalist People’s Coalition von Cojuangco und der Lakas Edsa-NUCD von Ramos eingestuft. Über deutlich schwächere Organisationen verfügten Laurel und Imelda Marcos und -als Schlußlicht -Miriam Defensor Santiago. Begünstigt durch die gleichen Medienquoten, vermochte letztere sich jedoch kaum weniger Gehör zu verschaffen, als die anderen Spitzenbewerber 2. Der „freie Wähler“ auf der Suche nach Programmen und Persönlichkeiten Es gibt keine Untersuchungen, die es erlauben würden, die Zahl der „freien Wähler“ zu bestimmen, also derjenigen Wähler, die nicht aufgrund des unmittelbaren individuellen Vorteils, der persönlichen Beziehung und Verpflichtung oder der Gewaltverhältnisse ihre Stimme abgeben, sondern frei entscheiden. Ihr Anteil an der Gesamtwählerschaft scheint allerdings deutlich zuzunehmen. Für viele sozial engagierte Aktivisten allerdings nicht schnell genug. Es gibt zahlreiche Initiativeix der Kirchen und von NRO, die sich die „Erziehung der Wähler“ zu bewußter, politischer Wahlentscheidung zur Aufgabe gemacht haben. Das „Project 2001“ -ein Zusammenschluß von 21 großen NRO-Netzwerken, Gewerkschaften und Institutionen -erwartet erst nach zehn Jahren Tätigkeit, in diesem Sinne die Wahlen signifikant beeinflussen zu können. Tabellarische Gegenüberstellungen der programmatischen Aussagen der Kandidaten sollen die inhaltlichen Auswahlmöglichkeiten fördern. Ca. 80 NRO formulierten mit Unterstützung des Ateneo Center for Social Policy and Public Affairs ein umfangreiches Aktionsprogramm mit kurz-, mittel-und langfristig anzugehenden Aufgaben, das sie den Kandidaten vorlegten Selbst der oberste Wahlbeamte, Christian Monsod, mochte nicht in der eigentlich gebotenen Neutralität seines Amtes verharren: Zwei Vizepräsidentschaftskandidaten, die Osmenas, wurden von ihm abgekanzelt, „der Politik der Elite zu frönen“, weil sie nicht -gegeneinander -in seiner TV-Debatte auftreten wollten Den TV-Auftritt von Mitra, Laurel und Cojuangco kritisierte er, er sei durch „Ignoranz und Vermeidung der Hauptfragen“ geprägt gewesen, die Wähler könnten sich aber nun ein Bild machen, „ob die Kandidaten die notwendige Tiefe“ besitzen würden

Es half nichts: Der Wahlkampf wurde weitgehend als Personality-Show aufgezogen. Unterhaltungskünstler und musikalische Einlagen der Kandidaten oder deren Angehöriger suchten die Wähler zu erfreuen, nicht wenige Filmschauspieler wurden auf die Kandidatenlisten gesetzt. Die Integrität, Vergangenheit, Gesundheit und Zurechnungsfähigkeit der Gegner wurde aufgespießt. Programmatische Unterschiede gibt es zwischen den Kandidaten allenfalls in Nuancen. Man ist sich in der Entwicklungsstrategie für die Wirtschaft weithin einig, die durch die Stichworte freier Markt, Exportorientierung, Hoffnung auf ausländisches Risikokapital, die die Schuldenlast vermindern sollen, umrissen werden kann. Man bekennt sich zur „sozialen Gerechtigkeit“ und zur Notwendigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen. Damit werden zwar die Grundmuster der bisherigen Entwicklungspolitik umschrieben, die in den Philippinen, anders als in vielen Nachbarländern, bisher nicht besonders erfolgreich war. Aber: Wo sind die grundsätzlichen Alternativen geblieben, nachdem die Illusion der geplanten, sozial gerechten Entwicklungsstrategie überall zusammengebrochen ist? Für intellektuelle Beobachter sind Wahlkämpfe zwischen Personality-Show und Schlammschlacht ein Greuel. Aber meint der (linke) scharfsichtige Geschichts-und Philosophieprofessor Renato Constantino wirklich, daß Kandidaten mit einer historischen Analyse „der Ursachen der nationalen Malaise, der sozialen und ökonomischen Strukturen, die die Entwicklung behindern“ aufwarten müssen, um „die Wähler“ zu erreichen die armen Fischer, die unterbeschäftigten Squatter, die kleinen Reisbauem? Wahrscheinlich kommt es nicht auf grundsätzliche programmatische Alternativen an, sondern auf ein gutes und effizientes Regieren. Genau daran mangelt es in den Philippinen, und dies ist für viele Leute spürbar.

Alle Kandidaten bekannten sich daher folgerichtig zu einer starken präsidialen Führerschaft und zum Kampf gegen die Korruption. Corazon Aquino hat, nach allgemeiner Auffassung, die Dinge zu sehr schleifen lassen und keine Führungskraft bewiesen. Die kleine und große Korruption hat eher zu-als abgenommen, die Verwaltung ist überbesetzt und lethargisch, die materielle Infrastruktur zerfällt, die interne Verschuldung ist kräftig ausgeweitet worden, da der Staat nur unzureichend in der Lage ist, die ihm zustehenden Steuern einzutreiben. Die Agrarreform ist bisher kaum über das hinausgekommen, was Marcos schon eingeleitet hatte.

Diese Probleme sind alle offensichtlich und -bis auf die Agrarreform -eigentlich nicht kontrovers. Die Frage war nur, ob die „richtigen Kandidaten“ zur Wahl standen, sie auch effizient anzupacken. Den „alten“ Politikern, die schon vor Marcos gewirkt hatten -Mitra, Laurel, auch Salonga -traute man dies offenbar am wenigsten zu (auch wenn sie, wie die beiden letzteren, als unbescholten gelten). Cojuangco verkörpert eine starke Persönlichkeit -aber von der Art von Ferdinand Marcos: klug, entscheidungsfreudig, nur wenn nötig brutal, aber geschäftstüchtig. Der autoritäre Staat, der zum persönlichen Patrimonium umgestaltet wird, mag mit diesem starken Präsidenten wieder in Sichtweite geraten. Auch Ramos wirkte auf die freien Wähler nicht unbedingt elektrisierend. Er ist zwar neu in der Politik, aber als Mitglied der Marcos-wie der Aquino-Administration mag er für viele frustrierte Bürger belastet sein. Was immer Corazon Aquino von ihrem einst sehr populären Charisma bis an das Ende ihrer Präsidentschaft gerettet haben mag, wird ihm durch ihre Wahlempfehlung zugute gekommen sein.

Die Wahl der freien Wähler dürfte vor allem auf Miriam Defensor Santiago gefallen sein. Seit ihrer Zeit als Chefin der Ein-und Auswanderungsbehörde vermochte sie ihr Image als erfolgreiche Korruptionsbekämpferin zu pflegen und ihr Wahlkampf war ganz darauf abgestellt. Durch ihren aggressiv-überhasteten Sprachstil vermochte sie vermutlich, den Eindruck von Durchsetzungskraft und Führungsqualitäten zu vermitteln.

VI. Die Wahlen

Die Wahlen am 11. Mai verliefen weithin ruhig und ohne größere Zwischenfälle. Die Wähler hatten nicht weniger als 40 bis 44 Namen von Kandidaten auf ihre Wahlzettel einzutragen, u. a. für das Amt des Präsidenten, des Vizepräsidenten, für 24 Senatoren und einen Abgeordneten des Repräsentantenhauses. Die Auszählung wurde von Vertretern der sechs stärksten Parteien und von zahlreichen amtlich zugelassenen Nichtregierungsorganisationen offiziell beobachtet. Mit einer nichtamtlichen „Schnellzählung“ wurde ein von den Medien gegründeter „Media-Citizens Quick Count“ (MCQC) beauftragt. Schon im Vorfeld der Wahlen wurde der Strom mehrmals abgeschaltet, um wenigstens am Wahltag und den folgenden Auszähltagen nicht im Dunkeln (und ohne funktionierenden Computer) dazustehen. Es half nichts. Die Auszählung der Stimmen wurde durch Stromausfälle behindert, die umfangreichen Wahlzettel brauchten ihre Zeit, es gab logistische Probleme.

Nach acht Tagen waren gerade 36 Prozent der Stimmen (nichtamtlich) ausgezählt, nach 14 Tagen 73 Prozent und nach 23 Tagen (dem Redaktionsschluß dieser Ausgabe) 91 Prozent. General Ramos vermochte sich mit 24 Prozent der abgegebenen Stimmen durchzusetzen. Der Wahlausgang wurde lange nur zwischen ihm, Miriam Defensor Santiago (ca. 19 Prozent) und Eduardo Cojuangco (ca. 18 Prozent) ausgemacht. Die übrigen Bewerber hatten keine Chance: Mitra erhielt knapp 15 Prozent, Marcos und Salonga gut zehn, Laurel gerade 3, 3 Prozent.

Strahlende Sieger wurden jedoch drei ehemalige Filmschauspieler: Als Vizepräsidentschaftskandidat erhielt J. Estrada fünf Prozent mehr Stimmen als Ramos, dessen Vize, E. Osmena, nur auf dem dritten Platz landete. Die Senatswahlen gewannen V. Sotto und R. Revilla mit deutlichem Abstand vor den Nächstplazierten, dem Anwalt und früheren Universitätspräsidenten E. Angara sowie dem (rechten) Gewerkschaftler E. Herrera.

Cojuangcos Geld hat ihn gewiß so weit nach vorn gebracht, wie auch die Wahlempfehlung einer na-tional-philippinischen Sekte, der Iglesio ni Christo, und der größten Rebellenorganisation der Muslime in Mindanao. Hätte Imelda Marcos sich ihm angeschlossen, hätte er Ramos möglicherweise sogar geschlagen. Das Bündnis scheiterte angeblich wegen Zwistigkeiten über die im Ausland versteckte Marcos-Beute.

Miriam spielte mit dem Feuer. Seit über einem Jahr lag sie in (fast) allen Meinungsumfragen vorn, so auch noch an den ersten vier Auszähltagen. Als zunehmend Stimmen aus den Provinzen und vom Lande berücksichtigt wurden, fiel sie zurück. Schon Monate vor der Wahl hatte sie angekündigt, eine Wahlniederlage nicht akzeptieren zu wollen, da diese nur durch Wahlbetrug zustande kommen könne. Sie ging nun drei Tage in den Hungerstreik, wovon sie Kardinal Sin mit Mühe wieder abbringen konnte. Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung und dem Transport der Stimmen waren gewiß auch dieses Mal nicht auszuschließen. Sie konnten aber kaum von nur einer Seite betrieben werden, wahlentscheidend waren sie sicher nicht. Schon vor den Wahlen war Manila voller Gerüchte, daß Unklarheiten und Unsicherheiten beim Wahlverlauf und beim Wahlausgang Teile des Militärs ermutigen könnten, einen weiteren Putsch zu versuchen. Der Generalstabschef fühlte sich genötigt, wiederholt zu erklären, daß die Armee jedes Wahlergebnis akzeptieren würde.

General Ramos wird ein Minderheitenpräsident sein. Seine Macht wird durch einen Vize-Präsidenten sowie durch einen Senat und ein Repräsentantenhaus eingegrenzt sein, in denen Vertreter der anderen Parteien die Mehrheit haben. Mitras LDP vermochte im Senat eine absolute, im Repräsentantenhaus eine relative Mehrheit zu erzielen (umso erstaunlicher ist seine eigene deutliche Niederlage). Das wird eine aktive, problemlösende Politik der neuen Administration nicht unbedingt erleichtern. Andererseits sollte dieser Umstand nicht überbewertet werden. Es werden einerseits Überläufer zur Siegerseite sich einfinden, andererseits bedeutet die Mitgliedschaft in einer Partei oder Koalition noch nicht viel, da es keinen Partei-bzw. Fraktionszwang und kaum Parteiloyalität oder -disziplin gibt. Die Zerklüftung und nahezu völlig fehlende Institutionalisierung des Parteien-systems, die verstärkt wurde durch deutliche Niederlagen der alten politischen Dynastien und ihrer Faktionen, schafft jedoch ein politisches Vakuum, das für die Stabilität des Systems bedrohlich werden kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Senatskandidaten 1987 mußten allerdings noch 200000 Kopien ihrer Kandidaturbescheinigung beibringen. 47 Aspiranten vermochten dies nicht und wurden daher nicht zugelassen.

  2. Resolutionen No. 2368, 2369, 2382, 2403 der COME-LEC, Februar-März 1992.

  3. Zu diesem Bereich erscheint demnächst eine umfangreiche Studie von Rodger Wegner, Nichtregierungsorganisationen als alternative Entwicklungsträger?

  4. Umfassend und ausführlich zur Rolle des Militärs und zu den Putschversuchen ist der amtliche Untersuchungsbericht: Hilario G. Davide (chairman), The Final Report of the Fact-Finding Commission, Manila, October 1990.

  5. Ausführlicher zur Kritik an der Kommission und zur Analyse der Menschenrechtssituation jüngst: David Bitei u. a., The Failed Promise: Human Rights in the Philippines since the Revolution of 1986. Geneva: The International Commission of Jurists 1991.

  6. Vgl. Y. Arquiza, Wiser, Gentier Politics, in: L. Kalaw-Tirol/Sheila S. Coronel (eds.), 1992 & Beyond: Forces and Issues in Philippine Elections, Quezon City 1992, S. 250.

  7. Vgl. David Würfel, Filipino Politics. Developement and Decay, Ithaca u. a., 1988, S. 266; Jose M. Sison/Rainer Werning, Das Projekt der Befreiung. Widerstand auf den Philippinen, Köln 1988, S. 148, 230.

  8. Vgl. Rene E. Ofreneo u. a., State of the Trade Union Movement in the Philippines, o. O., (1988), S. 103.

  9. Vgl. Isagani de Castro, Money and Moguls: Oiling the Campaign Machinery, in: L. Kalaw-Tirol (Anm. 6), S. 46.

  10. Wichtig sind die Fallstudien, die die durchaus örtlich sehr unterschiedlichen (Wahl-) Verhältnisse verdeutlichen, in: Benedict J. Kerkvliet/Resil B. Mojares (eds.), From Marcos to Aquino. Local Perspectives on Political Transition in the Philippines, Manila 1991.

  11. Vgl. Philippine Daily Globe vom 23. 4. 1992 und 24. 4. 1992.

  12. Vgl. Philippine Daily Globe vom 5. 5. 1992.

  13. Nach einer Umfrage der Social Wheather Stations Ende März/Anfang April gab folgender Anteil der befragten Wahlberechtigten an, einem Kandidaten (über TV, Radio, in Person) zugehört zu haben (in Klammern: Der Anteil der Zuhörer, die angaben, den Kandidaten wählen zu wollen) Ramos 40% (30%), Mitra 40% (10%), Santiago 37% (33 %), Cojuangco 36 % (21 %), Marcos 23 % (11 %), Laurel 16 % (11 %), Salonga 14 % (23 %), keinem/keiner 22 % (38 %), in: The Manila Chronicle vom 4. 5. 1992.

  14. Vgl. Ateneo Center für Social Policy and Public Affairs, People’s Agenda for Development and Democracy, Quezon City 1992.

  15. Vgl. The Manila Times vom 21. 3. 1992.

  16. Vgl. ebd. vom 24. 3. 1992.

  17. Philippine Daily Globe vom 5. 5. 1992.

Weitere Inhalte

Rolf Hanisch Dr. rer. pol., geb. 1942; Dozent und Privatdozent für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Die Philippinen. Aktuelle Länderkunde, München 1989; (Hrsg. zus. mit C. Jakobeit) Der Kakaoweltmarkt. Weltmarktintegrierte Entwicklung und nationale Steuerungspolitik der Produzentenländer, Bd. 1: Weltmarkt, Malaysia, Brasilien, Bd. 2: Afrika, Hamburg 1991.