Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kuba: Das Ende des „karibischen Sozialismus“ | APuZ 39/1991 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 39/1991 Reformpolitik in Lateinamerika. Chancen und Risiken des wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsels Kuba: Das Ende des „karibischen Sozialismus“ Zwischen Schuldenerlaß und Staatsbankrott Brasilien in der permanenten Zahlungskrise

Kuba: Das Ende des „karibischen Sozialismus“

Raimund Krämer

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das gegenwärtige politische System Kubas, das in den siebziger Jahren entstand, ist durch geschlossene, streng zentralisierte poststalinistische Herrschaftsstrukturen gekennzeichnet. Dazu gehören vor allem das uneingeschränkte Machtmonopol Fidel Castros, der Herrschaftsapparat der Kommunistischen Partei, die Militarisierung der Gesellschaft, ihre Abgeschlossenheit wie auch die soziale Gleichmacherei und Nivellierung. In diesem System, das primär durch das sowjetische Modell geprägt ist, spielen zugleich traditionelle Einstellungsmuster der politischen Kultur Lateinamerikas, wie z. B. Personalismus, weiterhin eine besondere Rolle. Die kubanische Revolution begann als eine originäre, nationale Erscheinung. Die Versuche einer eigenständigen Entwicklung stießen jedoch schnell an die Grenzen des Kalten Krieges. Die Überwindung der strukturellen Abhängigkeit von den USA wurde mit einer strategischen Abhängigkeit von der UdSSR bezahlt, die in der Folgezeit ideell, materiell und militärisch das „kubanische Modell“ trug. Mit der sog. Korrekturbewegung (rectificacion) sollte ab 1986 das System aus seiner Erstarrung geführt werden. Jedoch konnte die propagierte Rückkehr zu den Konzepten Che Guevaras die Verschärfung der gesellschaftlichen Krise nicht aufhalten, die besonders mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus in Ost-und Mitteleuropa 1989 einsetzte. Erneut zeigt sich die dominante Stellung exogener Faktoren in der kubanischen Entwicklung. Der mögliche Wegfall der schon jetzt verringerten Unterstützung durch die Sowjetunion macht ein Überleben des Systems unwahrscheinlich. Die USA bereiten sich auf eine „Post-Castro-Phase“ vor. Fidel Castro reagiert auf diese äußeren Veränderungen mit einer Verhärtung des Regimes. Die sich formierende Opposition sieht nur im bewaffneten Kampf eine Alternative; die Gefahr gewaltsamer Auseinandersetzungen auf der Karibikinsel wächst.

Das Gesellschaftsmodell des Realsozialismus ist als Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft gescheitert. Es erweist sich immer mehr als historische Sackgasse. Während in der Mehrzahl der ehemaligen realsozialistischen Staaten Reformprozesse in Richtung Demokratisierung der politischen Strukturen und die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen, werden in einigen wenigen Ländern die Zugbrücken hochgezogen, die Tore fester geschlossen und von den Zinnen wird trotzig die Rückkehr zur reinen Lehre des Marxismus/Leninismus verkündet. Neben Nordkorea ist hier vor allem Kuba zu nennen.

Kuba, das in den frühen sechziger Jahren als Verkörperung eines undogmatischen Marxismus galt und dessen Führer zu Leitfiguren europäischer Linker wurden, ist auf dem Wege, zum Exempel erstarrter marxistischer Orthodoxie zu werden. Aus dem unkonventionellen charismatischen Führer Fidel Castro ist ein verbitterter dogmatischer Patriarch geworden, dessen Abtritt nur noch eine. Frage der Zeit zu sein scheint.

I. Das politische System

Das gegenwärtige politische System Kubas hat sich im Zuge der Übernahme des sowjetischen Modells in den siebziger Jahren herausgebildet. Entsprechend der Verfassung von 1976 ist die Nationalversammlung, die alle fünf Jahre gewählt wird, das oberste Organ der Staatsmacht. Sie wählt den Staatsrat (31 Mitglieder), der an der Spitze des Staates stehen soll. Höchstes Exekutivorgan ist der Ministerrat. Dem Staats-wie dem Ministerrat sitzt Fidel Castro vor, Sekretär der Kommunistischen Partei Kubas (KPK), die laut Verfassung die führende Rolle in der Gesellschaft einnimmt. Das Land gliedert sich politisch-administrativ in 14 Provinzen und 169 Gemeinden (Munizipien), in denen jeweils die Provinz-bzw. Gemeindeversammlungen die höchste Instanz sind. Zwar gibt es auf Gemeindeebene, wo z. B. mehrere Kandidaten zur Wahl stehen, demokratische Elemente. Diese werden aber schon auf der nächsten Ebene, den Provinzen, abgeschwächt. In der Nationalversammlung herrscht dann ohne Abstriche der „demokratische Zentralismus“, der durch Castros Spontanität und Paternalismus zwar aufgelockert erscheint, was aber nichts am Wesen dieses Herrschaftsverhältnisses verändert.

Es handelt sich bei der gegenwärtigen politischen Struktur Kubas um ein geschlossenes, streng kontrolliertes poststalinistisches System, dessen totalitärer Charakter in folgenden Elementen zum Ausdruck kommt: -Das Machtmonopol liegt uneingeschränkt in den Händen einer Person. Fidel Castro nimmt die Funktionen des 1. Sekretärs der Kommunistischen Partei Kubas, des Präsidenten, des Regierungschefs mit der Oberaufsicht über die Wirtschaft und des obersten Befehlshabers der Streitkräfte wahr. Um seine Person gruppiert sich eine Führungsschicht aus hohen Militärs, Partei-und Verwaltungsfunktionären 1), die nur sehr begrenzt eine eigenständige Rolle spielen. -Dieser Herrschaft dient ein streng hierarchisch aufgebauter Apparat der Kommunistischen Partei, die die einzige politische Partei des Landes ist und laut Verfassung die Gesellschaft führt. Der KPK gehören gegenwärtig ca.

500000 Mitglieder und Kandidaten, vor allem in der Armee und den Sicherheitskräften, an. -Die Planwirtschaft ist stark zentralisiert; Elemente des Marktes sind nur noch rudimentär vorhanden. -Der Marxismus/Leninismus wird als herrschende Ideologie postuliert und propagiert; jeglicher Ideenpluralismus in der Gesellschaft wird abgelehnt. -Den Massenorganisationen, wird Autonomie abgesprochen, so z. B.der Gewerkschaft CTC in ihrer Rolle als „Transmissionsriemen“ der Kommunistischen Partei. -Die Gesellschaft ist über ein umfassendes Überwachungssystem weitgehend militarisiert, insbesondere in den „Komitees zur Verteidigung der Revolution“ (CDR) mit 5, 5 Mio. Mitgliedern, den Territorialmilizen (MTT) mit 1, 5 Mio. Mitgliedern und einer überdimensionierten Armee von 300000 Mann. Hinzu kommt ein umfassendes Netz des Sicherheitsapparates des Innenministeriums. -Die kubanische Gesellschaft ist durch ein relatives festes Informationsmonopol des Staates abgeschlossen. -Der sozialen Gleichmacherei der Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung steht die Einrichtung von Privilegien für die herrschende Schicht gegenüber. Die Beseitigung der sozialen Extreme war mit einer Nivellierung der Einkommen und der Lebenslage verbunden. Der vormundschaftliche Staat sorgt paternalistisch für seine Bevölkerung. Für die große Masse über ein Rationierungssystem, für die herrschende Schicht über spezielle Versorgungskanäle.

Zwar ist das politische System Kubas eindeutig sowjetischer Prägung, vor allem was die Institutionen und Strukturen betrifft. Zugleich steht dieses System fest in der Traditionslinie sowohl eines lateinamerikanischen Staatsverständnisses, das den Staat als allmächtige Agentur mystifiziert und eine ausufernde Bürokratie legitimiert, als auch einer iberisch-katholisch geprägten politischen Kultur mit Personalismus, Autoritarismus und Untertanengeist. Im realsozialistischen Kuba lebten traditionelle Einstellungsmuster nicht nur fort, sondern wurden für die Etablierung des Systems bewußt genutzt und spielen bis heute eine wichtige Rolle bei der Sicherung des Systems Dazu gehört die Rolle Fidel Castros, des „maximo lider"; er ist zweifellos das Markenzeichen des „kubanischen Sozialismus“. Castro ist ein Moralist, sein Handeln ist von einem starken, katholisch geprägten Sendungsbewußtsein gezeichnet.

Mit seinem temperamentvollen und teilweise unkonventionellen Politikstil entspricht er den Erwartungen der Massen an einen politischen Führer, der die Verwaltung öffentlich kritisiert, von einem Tag auf den anderen Minister absetzt und sich selbst demagogisch vor 100 000 Menschen zur Disposition stellt. Ein Führer, der ihnen mit ausgefeilter Rhetorik Hoffnung und Vision gibt. Um Castro und Che Guevara wurde ein Mythos geschaffen, der in iberisch-katholischen Denkmustem liegt Fidel Castro gilt immer noch, trotz wachsender Probleme, als oberste Berufungsinstanz -auch für Kritiker des Systems.

Die katholische Kirche spielt im gesellschaftlichen Leben Kubas keine besondere Rolle. Das ist nicht allein ein Ergebnis der Entwicklung seit der Revolution von 1959. Verglichen mit dem großen Einfluß des Katholizismus im kontinentalen Lateinamerika war er auf der Karibikinsel auf die herr-gehende weiße Oberschicht begrenzt. Nach 1959 . verließ die Mehrzahl der katholischen Priester das Land. Gegenwärtig rechnet man mit 1, 7 Mio. Katholiken, von denen 200000 aktive Gläubige sind, die von 225 Priestern betreut werden. Im Februar 1986 kam es nach 1959 zum ersten Mal wieder zu einem Treffen zwischen Kirchenführung und Staat. Dabei forderte die katholische Kirche vor allem Zugang zu den Massenmedien, eigene Radiosender und eine ideologisch neutrale Schulbildung.

In den letzten Jahren ist eine deutliche Hinwendung zur Kirche, besonders bei Jugendlichen, zu beobachten. Das gilt sowohl für die katholische als auch für die verschiedenen protestantischen Kirchen. An Prozessionen nehmen immer mehr Menschen teil. Innerhalb der farbigen Bevölkerungsgruppen, 34 Prozent der Gesamtbevölkerung, spielen synkretistische Kulte, die eine Mischung von afrikanischen Religionsformen und christlichen Riten sind, eine besondere Rolle (z. B. Regla Ocha, Regla Conga). Im Unterschied zu den christlichen Kirchen wird diesen Kulten, die eher systemintegrierend sind, in den Medien Raum gegeben.

II. Etappen der kubanischen Revolution

Die kubanische Revolution, die mit dem Sturz des Diktators Batista y Zaldivar 1959 durch das Rebellenheer Fidel Castros begann, war in ihren Ursprüngen eine zutiefst nationale Erscheinung. Sie unterschied sich darin grundlegend von den Entwicklungen in Ost-und Mitteleuropa, wo soziale Umgestaltungen von sowjetischen Panzern eskortiert wurden. Der Versuch, eine eigenständige Entwicklung durchzusetzen, die die Unterentwicklung im Innern überwinden und die Abhängigkeit von den USA in den Außenbeziehungen beseitigen sollte, stieß bald an die Grenzen des Kalten Krieges. Nationalisierungen und Agrarreform führten zur Konfrontation mit den USA, die mit regionaler Isolierung, Wirtschaftsblockade und der Hilfestellung für bewaffnete Aktionen den Sturz Castros betrieben. Das radikalisierte den politischen Prozeß in Kuba und hatte die Hinwendung des Landes zur Sowjetunion zur Folge. Diese wurde als einziger Garant des Überlebens gesehen. Einer autonomen Entwicklung war damit sehr frühzeitig der Weg verstellt.

Die kubanische Entwicklung durchlief seit 1959 mehrere Etappen, die zum Teil sehnwidersprüchlichen Charakter trugen. Der Experimentierfreudigkeit der Comandantes standen jedoch bald die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Sachzwänge gegenüber. Anfang und Ende der einzelnen Etappen sind im wesentlichen mit dem Scheitern eines bestimmten Entwicklungsmodells und der Suche nach einem neuen verbunden. Bis Mitte der achtziger Jahre lassen sich folgende Etappen bestimmen a) 1959-1961:

Nach der Machtübernahme wurden durch radikal-demokratische Schritte die Eigentums-und Einkommensverhältnisse verändert (Agrarreform, Stadtreform, Nationalisierungen). Der Politik der USA, die die diplomatischen Beziehungen abbrachen und eine Wirtschaftsblockade über Kuba verhängten, wurde die Verkündung des „sozialistischen Charakters“ der Revolution entgegengestellt (15. April 1961). b) 1961-1963/64:

Kuba übernahm das „klassische Sozialismusmodell“ der UdSSR mit einer forcierten Industrialisierung. Entsprechend diesem Modell sollten alle Kräfte auf die Schwerindustrie konzentriert werden. Damit wurde zugleich die Überwindung der Abhängigkeit von der Monokultur Zucker angestrebt. c) 1964-1970:

Die Revolution durchlebt ihre „romantische Phase“. Mit der Mobilisierung der Massen, vor allem in der „revolutionären Offensive“ 1968, sollten die anspruchsvollen Ziele in der Zuckerproduktion, die wieder ins Zentrum der Wirtschaftspolitik gerückt war, erreicht werden. An die Stelle von ökonomischen Kriterien traten moralische Stimuli und die Erziehung des „neuen Menschen“. Ähnlichkeiten mit der chinesischen Kulturrevolution waren unübersehbar. d) 1970-1986:

Übernahme des sowjetischen Modells der „Staatlichen Planung und Leitung der Volkswirtschaft“. Bis 1975 (1. Parteitag der KPK) wurden die administrativen und institutionellen Grundlagen geschaffen und darauf aufbauend in der Folgezeit die wirtschaftliche Rechnungsführung eingeführt. Ab 1980 kam es zur partiellen Einführung marktwirtschaftlicher Elemente.

III. Die Korrekturbewegung

1. Rückkehr zu Che?

Mitte der achtziger Jahre wurde ein erneuter politischer Kurswechsel vollzogen, der eine neue Etap-pe der kubanischen Entwicklung einleitete. Die rectificacion, die Korrekturbewegung, sollte das System aus der Erstarrung führen. Auf dem 3. Parteitag der KPK 1986 rief Castro zur „Korrektur der Fehler und negativen Tendenzen in Politik und Wirtschaft“ auf. Besonders kritisierte er das „blinde Vertrauen in die Mechanismen der Planung und Leitung“. Die tieferen Ursachen für diesen Wechsel lagen zwar in den inneren wirtschaftlichen Problemen realsozialistischer Entwicklung; mit der Einführung der „Staatlichen Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ hatten sich die Probleme je- doch zugespitzt, und die Überzentralisation verlangte dringend nach Veränderungen

Aber diese Kursänderung sollte auch, wenn nicht sogar vor allem, im Zusammenhang mit grundsätzlichen ideologischen Positionen Castros gesehen werden. Dieser hatte 1970 nach dem offensichtlichen Scheitern des Konzeptes von Industrieminister Guevara das sowjetische Wirtschaftsmodell übernommen. Das geschah nur mit Widerwillen. Nach dem Massenexodus von 125000 Kubanern im Jahre 1980 wurden zudem Zugeständnisse bei der Einführung marktwirtschaftlicher Elemente (Bauernmärkte) gemacht. Diese hatten neben einer gewissen Entspannung der Versorgungslage aber auch zu einer stärkeren sozialen Differenzierung geführt. Die herrschende Kaste sah bestimmte Privilegien und Castro die reine Lehre gefährdet. Ernsthafte Probleme, die aus der Überzentralisation der Wirtschaft und der ausgeprägten Bürokratie herrührten, wurden zu einer generellen Ablehnung des bisherigen Wirtschaftsmodells genutzt. 1986 verkündete Castro, daß „ab jetzt tatsächlich der Sozialismus aufgebaut werde“ und stellte damit die 11 Mio. Kubaner und die politischen Beobachter im Lande vor die diffizile Frage, was in den vergangenen 25 Jahren gemacht worden sei.

Im gleichen Zuge wurden Elemente einer Marktwirtschaft, die Anfang der achtziger Jahre vorsichtig eingeführt worden waren, als „kapitalistische Formeln“ diffamiert und beseitigt. Der Leiter der Staatlichen Plankommission, Humberto Perez, wurde abgelöst und Castro übernahm an der Spitze der „Nationalen Wirtschaftskommission“ selbst die Leitung der Wirtschaft. Damit ging eine erneute Hinwendung zu Che Guevara einher, dessen Ideen und Konzepte nun zum Leitfaden der Korrekturbewegung gemacht wurden. „Die Zeit der Korrektur ist die Zeit Che Guevaras.“ Guevara wurde zum neuen Theoretiker des Sozialismus und der Entwicklungsländer hochstilisiert. Wieder sollte an die Stelle von materiellen Stimuli, von Effektivitätskriterien und Rechnungsführung „die revolutionäre Moral und Disziplin des neuen Menschen“ treten.

Zum 30. Jahrestag des Sieges von Castros Rebellion breitete der „maximo lider" sein Konzept einfach, aber prägnant aus. „Es gibt wichtigere Faktoren als die materiellen Anreize. Die ganze kapitalistische Gesellschaft kreist um diese materiellen Anreize, und sie widmet den moralischen Anreizen keinerlei Aufmerksamkeit. ... Man kann nicht vom Aufbau des Sozialismus sprechen, wenn man nicht das Hauptgewicht auf die Moral und das Bewußtsein legt.“ Nicht „Möhren oder Stockhiebe“, die ein Tier in Bewegung setzen, könnten die Prinzipien sozialistischer Produktion sein, sondern „Bewußtsein und Solidarität“ Es mag altersbedingte Realitätsfeme oder doppelte Moral dabei sein, wenn Castro unter anderem als Beweis seiner „Theorie“ jene Stoßbrigaden (contingentes) anführt, die eben gerade durch „Möhren und Stockhiebe“ bewegt werden.

Diese Brigaden, in denen ca. 20000 ausgesuchte Arbeiter, vor allem im Bauwesen, organisiert sind, orientieren sich an nordkoreanischen Vorbildern. Sie sind paramilitärisch aufgebaut und das generell wenig bedeutsame Arbeitsrecht ist für diese Brigaden außer Kraft gesetzt. Über zentrale Fonds erhalten sie Arbeitsmaterialien und Technik, was angesichts der Probleme der Zulieferindustrie von ausschlaggebender Bedeutung ist. Zugleich erhalten diese Arbeiter eine überdurchschnittlich hohe materielle Versorgung und finanzielle Vergütung. Die andere von Castro hervorgehobene „neue“ Arbeitsform, die „Mikrobrigaden“, wurden durch Auflagen aus den überbesetzten Büros rekrutiert. Ausgestattet mit primitiver Technik und mangelhaft mit Material versorgt, war ihre wirtschaftliche Effektivität äußerst gering. Angesichts der hohen verdeckten Arbeitslosigkeit lag ihre Bedeutung offenbar mehr in der Massenbeschäftigung.

Die gesamtwirtschaftlichen Effekte waren, abgesehen von einigen Prestigeprojekten, äußerst spärlich. Im Juli 1988 mußte Fidel Castro feststellen,daß Kuba die schwerste wirtschaftliche Krise seit 1959 durchlebte. Das Wachstum der Produktion, die Investitionen, die Akkumulationsrate und die Arbeitsproduktivität waren seit 1986 rückläufig Die Zuckerproduktion reichte nicht mehr aus, um die Exportverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion zu erfüllen -Kuba kaufte jährlich 1, 5 Mio. t Zucker auf dem Weltmarkt. Der Verfall der Erdölpreise reduzierte drastisch die Deviseneinnahmen aus dem Reexport sowjetischen Erdöls, der zur zweitwichtigsten Devisenquelle des Landes geworden war. Die Verschuldung gegenüber dem Westen erhöhte sich auf 6, 4 Mrd. US-Dollar (1988). Weitere Kredite wurden verweigert, da Kuba seit 1986 keine Schulden zurückzahlt.

Die kubanische Führung versuchte, der Krise durch eine strenge Austeritätspolitik und eine verstärkte Autarkie zu begegnen. Importsperren haben jedoch bei den importabhängigen Zweigen die bereits vorhandenen Produktionsstörungen verschärft. Zugleich suchte die kubanische Führung pragmatisch alternative Devisenquellen. 1990 wurden etwa 20 gemischte Gesellschaften mit ausländischem Kapital, vor allem aus Spanien, gegründet. Es handelt sich primär um Gemeinschaftsunternehmen (joint ventures) im Tourismus (der für die Wirtschaft des Landes mittlerweile erstrangige Bedeutung hat), in der Erdölförderung, im Fernmeldewesen und in der Fischereiindustrie.

Jedoch bringt die Zusammenarbeit mit ausländischem Kapital, vor allem im Tourismus, zunehmend ideologische Schwierigkeiten für die propagierte Rückkehr zu den „reinen Prinzipien“. Die beabsichtigte Abschottung der Bevölkerung gelang immer weniger. Die Kritik an der Privilegierung der Touristen, für die Luxusoasen fernab der kubanischen Realität errichtet werden, wuchs in der Bevölkerung und auch unter den Parteimitgliedern. 2. Verschärfung der Krise Das Jahr 1989 (mit dem 30. Jahrestag der Revolution) brachte eine Verschärfung der gesellschaftlichen Krise in Kuba. Ihre politische Dimension wuchs damit deutlich an. Die Lage der Bevölkerung verschlechterte sich dramatisch. Anfang 1990 waren 35 der wichtigsten Grundnahrungsmittel bzw. Haushaltsprodukte, darunter Fleisch, Milch, Öl, Seife, Waschpulver rationiert, wobei die geringen Rationen zum Teil noch nicht einmal gesichert wurden.

Es kam zu spontanen Protesten angesichts der katastrophalen Versorgungsprobleme. Bei Jugendlichen und Intellektuellen wuchsen Enttäuschung und Resignation über die zunehmende Erstarrung des Regimes, die Mißwirtschaft und die Privilegien. „Niemand kann das vernichten, aber auch niemand kann das in Ordnung bringen“ schrieb resignierend im September 1988 die kubanische Jugendzeitung „Juventud Rebeide“. Den sozialen Zustand beschrieb sie mit den Worten „Mangel ohne Hunger, Armut ohne Not“

In vereinzelten kritischen Wortmeldungen, wie z. B.des Intellektuellen Eduardo Lopez Morales in der Kulturzeitschrift „El Caiman Barbudo“ im Juni 1990, wird eine „sozialistische, demokratische, produktive Gesellschaft“ gefordert, die zu den nationalen Wurzeln zurückkehren, die Pluralität des Denkens anerkennen und die Informationskanäle für alle öffnen solle. „Eine gewisse Anzahl von Utopien sind zu Diskursen verkommen, deren rhetorische Überladenheit durch eine faktische Ineffizienz kontrastiert wird“, schreibt er Noch haben kritische Intellektuelle die Illusion, daß mit Castro an der Spitze das aufgedrückte Modell des Realsozialismus überwunden werden könne. Mit der Rückkehr zur „Frische und Spontanität der 60er Jahre“ sollen Erstarrung, Formalismus und Bürokratie beseitigt werden.

Der angekündigte 4. Parteitag der KPK, der nach mehrfachen Terminverschiebungen nun für Anfang Oktober 1991 festgesetzt wurde, auf den man diese Erwartungen projiziert, wirft seine lähmenden Schatten voraus. In der herrschenden Schicht häuften sich Korruptionsfälle und Flucht in die USA. Die Menschenrechtsgruppen verstärken ihre Aktivitäten, obwohl sie noch weitgehend vereinzelt handeln und von der Masse der Bevölkerung isoliert sind. Im Ausland formieren sich die Gegner des Regimes, die nur in einem gewaltsamen Sturz eine Alternative sehen

Fidel Castro reagierte auf diese neue Situation mit der Proklamierung einer „Spezialperiode“, die eine Kriegsordnung in Friedenszeiten bedeute. Für ihn ist der Kalte Krieg nicht zu Ende. Er betont ausdrücklich sein Bekenntnis zum Sozialismus auf der Grundlage des Marxismus/Leninismus. Dem verstärkten Druck des Imperialismus stelle Kuba die ideologische Festigkeit, die erhöhte militärische Kampfbereitschaft und die Mobilisierung der Massen in der Volkswirtschaft entgegen Kuba -so Castro im Dezember 1990 -müsse sich auf die Situation vorbereiten, da es die UdSSR als Bündnispartner nicht mehr gebe Innenpolitisch ist eine Verhärtung des Systems sichtbar. Ein Mehrparteiensystem wird strikt abgelehnt, da es die Gesellschaft spalte und das Volk „impotent und unfähig“ mache.

Mit der Reduzierung und Umstrukturierung des Zentralkomitees sowie der Provinz-und Stadtkomitees der KPK im Oktober 1990, die offiziell als Schritte gegen die Bürokratie und für mehr Effektivität deklariert wurden, straffte Castro die zentralistische Machtstruktur erneut. Vor allem wurde die Kontrolle über das Militär, das Castro immer wieder Anlaß zu Mißtrauen gab, verstärkt

Die wirtschaftlichen Probleme sollen durch verstärkte Autarkiebestrebungen und die Mobilisierung der Massen, speziell bei der Durchsetzung des Nahrungsmittelprogramms vom Dezember 1990 überwunden werden. Der Import von 500000 Fahrrädern aus China soll die Transport-probleme lösen helfen. Fehlender Treibstoff auf dem Lande soll durch massiven Einsatz von Ochsen kompensiert werden. Dies geht einher mit einer verschärften ideologischen Indoktrination. Aus der Formel „Vaterland oder Tod“, mit der man jede Rede in den letzten drei Jahrzehnten beendete, wurde nun die Losung „Sozialismus oder Tod“.

Immer mehr Kubaner entziehen sich dieser Entwicklung durch die Flucht in die USA. Castro hatte Anfang 1991 das Mindestalter für Auslandsreisen gesenkt, um den Druck auf das System abzubauen. Diese Reisen, die in der Regel von Verwandten in den USA bezahlt werden, dienen heute vor allem dazu, das Land für immer zu verlassen. Nach Angaben der US-amerikanischen Behörden beantragten im ersten Halbjahr 1991 über 70000 Kubaner ein Einreisevisum. Gleichzeitig häufen sich die Fälle abenteuerlicher Landes-flucht.

IV. Äußere Faktoren der Krise

1. Zunehmende Isolation Kubas In der historischen Entwicklung Kubas waren oft äußere Faktoren die ausschlaggebenden. 1898 unterzeichneten Spanien und die USA in Paris einen Friedensvertrag, in dem die bisherige Kolonialmacht Kubas ihre Rechte an die USA abtrat. Vertreter des kubanischen Volkes, das nach mehrjährigem bewaffneten Kampf gegen die Spanier kurz vor der politischen Unabhängigkeit stand, waren dabei nicht zugelassen. 1962 stationierte die UdSSR auf der Karibikinsel Mittelstreckenraketen. Die Kennedy-Administration reagierte mit Härte. Ultimativ wurde der Abzug dieser Raketen gefordert, die als die bis dahin schwerste Bedrohung der USA empfunden wurden. Chruschtschow schwenkte ein und zog die Raketen ab. Die kubanische Regierung erfuhr davon erst über die internationalen Medien; die sowjetische Seite hatte die Kubaner weder konsultiert noch informiert.

Auch gegenwärtig haben die äußeren Faktoren einen besonders hohen Stellenwert für die kubanischen Entwicklungen. Sie müssen als entscheidend für die Zuspitzung der heutigen wirtschaftlichen und politischen Probleme angesehen werden und können sich als ausschlaggebend für einen künftigen Systemwandel erweisen.

Mit dem Ende des Kalten Krieges sank der strategische Stellenwert des Landes für die UdSSR. Zusammen mit der Zuspitzung der politischen und wirtschaftlichen Situation in der Sowjetunion vermindern sich sowohl deren Bereitschaft als auch Fähigkeit, die massive Unterstützung Kubas fortzusetzen. Der Umbruch in Ost-und Mitteleuropa brachte wichtige Hilfsquellen zum Versiegen. Die DDR, die der drittgrößte Handelspartner Kubas war und sich an der Errichtung einer Reihe wichtiger Industrialisierungsprojekte beteiligte, verschwand, ohne daß dies von der Bundesrepublik kompensiert wurde.

Mit der Wahlniederlage der Sandinisten in Nicaragua Anfang 1990, dem Sturz Noriegas in Panama 1989 durch die USA und der sich festigenden Demokratisierung in Lateinamerika verstärkte sich die regionale Isolierung Castros. Auch bei linken Kräften in der Region, für die eine traditionelle Sympathie für Kuba charakteristisch war, wächst die Enttäuschung über die Unfähigkeit des kubanischen Systems, auf die gegenwärtigen Prozesse realistisch zu reagieren. Die Demokratiediskussion unter den verschiedenen politischen Kräften Lateinamerikas, bei der die grundsätzliche Bedeutung der Demokratie für jegliche Entwicklung hervorgehoben wird, hat die kritische Distanz zu Castros Regime in Lateinamerika akzentuiert. Enttäuscht wendete sich die kubanische Führung, die sich als Anwalt der Völker Afrikas verstand, auch vom afrikanischen Kontinent ab. Dies führte gleichzeitig zu einer weiteren Anlehnung an politisch gleichgeartete Staaten wie Nordkorea, China und Vietnam.

Besonders zu Nordkorea hat Fidel Castro ein enges Verhältnis hergestellt. Von Diktator Kim II Sung bekommt er großzügig ideologischen Beistand und auch militärische Ausrüstung. Die Kontakte zu China, die in den vergangenen Jahren aus Rücksicht zu Vietnam gedrosselt wurden, erlebten seit dem Frühjahr 1989 einen Aufschwung. China ist heute der zweitwichtigste Handelspartner Kubas. 2. Beziehungen zur Sowjetunion und Verhältnis zur Perestrojka Die Revolution wurde unter Castro begonnen, das Land aus der Abhängigkeit von den USA zu führen. Das gelang. Der Preis war eine neue, strategische Abhängigkeit von der Sowjetunion. Diesen Preis bezahlte man nicht gern, aber es war die einzige Chance für ein politisches Überleben. Das Verhältnis zwischen Havanna und Moskau war in der Folgezeit spannungsvoll und ambivalent.

Jährlich erhielt Kuba seit den siebziger Jahren Unterstützung im Wert von 4, 5 Mrd. US-Dollar aus der Sowjetunion Ende der achtziger Jahre waren 3500 Experten der UdSSR an der Errichtung von 235 Projekten beteiligt. Im Außenhandel zeigte sich die Abhängigkeit Kubas von der UdSSR besonders deutlich. 75 Prozent des kubanischen Außenhandels entfielen auf die Sowjetunion, 84 Prozent auf die Staaten des östlichen Wirtschaftsblocks RGW. Die UdSSR importierte 1987 4, 1 Mio. t Zucker. Kuba erhielt 13 Mio. t Erdöl. Von diesen Wirtschaftsbeziehungen profitierte jedoch nicht nur Kuba, was das heute weiterbestehende Interesse der sowjetischen Seite am beiderseitigen Handel mit erklärt.

Der hohe Stellenwert Kubas für die UdSSR resultierte aber vor allem aus der geostrategischen Lage der Insel, die 90 Meilen vor der Küste der USA liegt. Dies sollte strategisch frühzeitig genutzt werden, was 1962 mit der Raketenstationierung auf Kuba zur gefährlichsten Situation des Kalten Krieges führte. Kuba war als Flottenstützpunkt und Horchposten vor der Haustür des Rivalen USA in den Zeiten des Kalten Krieges für die UdSSR unersetzbar. Dafür lieferte man kostenlos Waffen und militärische Ausrüstung; zusätzlich erhielt Kuba den größten Anteil aus der Entwicklungsländerhilfe der Sowjetunion.

Diese Unterstützung ermöglichte letztlich auch die Leistungen des kubanischen Bildungs-und Gesundheitswesens, die zweifellos im lateinamerikanischen Maßstab (und sogar weltweit) beachtenswert sind. Da sie in manchen Disputen über das „kubanische Modell“ gern herangezogen werden, um dessen Erfolg zu belegen, muß gesagt werden, daß die Sowjetunion primär an der sozialen und politischen Stabilität ihres wichtigsten westlichen Vorpostens interessiert war. Sicherlich sollte damit auch die Attraktivität des Realsozialismus in Lateinamerika und innerhalb der Entwicklungsländer erhöht werden; aber bereits Anfang der achtziger Jahre war man sich in Moskau im klaren, daß sich der Realsozialismus kein „zweites Kuba“ leisten könne. Das wurde auch unmißverständlich den Sandinisten in Nicaragua gesagt. Die soziale Entwicklung Kubas wurde nicht durch die eigene ökonomische Entwicklung, sondern durch externe Faktoren ermöglicht eine Tatsache, die für die weitere Stabilität des Systems von entscheidender Bedeutung sein kann.

Trotz der erdrückenden Abhängigkeit war Fidel Castro nie eine Marionette Moskaus, sondern stets ein eigenwilliger, manchmal auch unberechenbarer Partner, der seinen Wert kannte. Unsensibles Verhalten der Großmacht UdSSR führte immer wieder zu ablehnenden Reaktionen gegenüber dem „großen Bruder“. Eine nationalistische Grundstimmung war und ist in der Bevölkerung generell und in der politischen und militärischen Elite speziell stets vorhanden Diese konnte Castro auch nutzen, als er seine ablehnende Haltung zur Perestrojka Gorbatschows in verschiedenen Formen immer deutlicher zum Ausdruck brachte.

Zunehmend wurde die Politik der rectificacion auch zur Antwort Castros auf die Politik des sowjetischen „Umbaus“, die die kubanische Führung vor eine grundlegend neue strategische Situation stellte. Zwar begrüßte man offiziell den Reformprozeß in der Sowjetunion, jedoch äußerten die politischen und militärischen Eliten ihr tiefes Mißtrauen und große Besorgnis über Perestrojka und Glasnost. Castro, nun dienstälter als die sowjetischen Führer, hob die eigenständigen Positionen des Landes hervor. Die Zeit des Kopierens sei nun endgültig vorbei und man kehre zu den eigenen nationalen Wurzeln zurück. „Einige glauben, das, was man andernorts macht, müßten wir hier ebenfalls sofort durchführen; es gibt auch Köpfe, Leute ohne Vertrauen in sich selbst, ohne Vertrauen in ihr Volk, ohne Vertrauen in die Revolution, die sofort sagen, daß man kopieren muß. Das ist eine falsche Haltung, eine irrige Haltung.“ Seit 1988 mehrten sich die polemischen Artikel in der Presse gegen die UdSSR und einzelne Staaten des Ostblocks. Kritik wurde an Reformkonzepten und internationalen Positionen geübt. Wirtschaftliche Probleme lastete man bestimmten RGW-Staaten an.

Immer offener stellte Castro dem Reformwillen und der Offenheit Moskaus die Rückkehr zu den “ reinen Prinzipien“ des Marxismus/Leninismus und die verstärkte Abschottung des Landes entgegen. Sowjetische Zeitungen verschwanden zunehmend aus den Zeitungsständen.

Gleichklang gab es zu dieser Zeit vor allem mit der DDR, Nordkorea, Vietnam, Rumänien und auch schon wieder mit China. Zwar blieb während des Besuches von Gorbatschow im April 1989 ein offener Bruch aus, es wurde sogar ein neuer Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit (wenngleich ohne militärische Beistandsklausel) abgeschlossen aber die grundlegenden Unterschiede zwischen Havanna und Moskau traten offen zutage.

In der Folgezeit wurden die sowjetisch-kubanischen Beziehungen durch zwei Momente bestimmt. Einerseits behielten sie ihren Sonderstatus. Dafür waren sowohl wirtschaftliche Gründe als auch die Interessen und der weiterhin bestehende Einfluß militärischer Kreise in der Sowjetunion ausschlaggebend. Gleichzeitig wuchs dort angesichts der dramatischen Entwicklungen im Land der politische Druck, die Sonderbeziehungen zu Kuba zu beenden und die massive Wirtschaftshilfe stark zu reduzieren bzw. ganz einzustellen. Das führte zu wesentlichen Veränderungen in den Wirtschaftsbeziehungen, die mittelfristig einen Abbau des Sonderstatus zur Folge haben. Beide Momente finden sich besonders deutlich in dem neuen Handelsabkommen vom Dezember 1990 wieder 3. Kuba und d•ie USA Für die kubanische Revolution war und ist das Verhältnis zu den USA von wesentlicher Bedeutung. Dieses Verhältnis, das mystifiziert ist und teilweise irrationale Züge angenommen hat, ist in allen Fragen kubanischer Politik direkt oder indirekt präsent. Auf die Nationalisierung und die Agrarreform der neuen Regierung Castro reagierten die USA 1960 mit Wirtschaftsembargo, Abbruch der diplomatischen Beziehungen und Invasion in der Schweinebucht. Das bilaterale Verhältnis Kuba -USA war seit dieser Zeit ein getreues Spiegelbild der Ost-West-Beziehungen. Eine Auflockerung im bilateralen Verhältnis erfolgte erstmals in den siebziger Jahren unter US-Präsident Carter. Ihr folgte aber eine erneute Verschärfung in den achtziger Jahren, die 1987 ihren Höhepunkt erreichte. In den folgenden zwei Jahren war eine Verbesserung in den Beziehungen augenscheinlich (unter anderem Neubesetzung der im Rahmen der Schweizer Botschaft tätigen USA-Interessenvertretung). Neben politischen Kontakten kam es zur Verständigung in Teilfragen, die zu vertraglichen Vereinbarungen führten (Migrationsabkommen 1987 Kontrollbesuche im kubanischen Kern-kraftwerk). Auch das mehrseitige Abkommen über Namibia von 1988 muß dazu gezählt werden.

Trotz Beibehaltung der offiziellen Anti-USA-Rhetorik -„wenn notwendig“, werde man den Kampf gegen die USA „weitere 100 Jahre führen“ -suchte Castro aus eigenen politischen und vor allem wirtschaftlichen Interessen eine Verbesserung der Beziehungen. Zugleich entsprach er damit dem sowjetischen Vorhaben, schrittweise die Hindernisse auszuräumen, die der Annäherung zwischen den beiden Großmächten entgegenstehen.

Von kubanischer Seite wurden für eine Normalisierung des Verhältnisses drei Voraussetzungen genannt: 1. die Anerkennung des sozialistischen Systems in Kuba durch die USA, 2. die Rückgabe des von den USA benutzten Marinestützpunktes Guantanamo und 3. die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Kuba stellte propagandistisch die Frage des Stützpunktes Guantanamo weiterhin als zentral für das bilaterale Verhältnis heraus jedoch machte es inoffiziell deutlich, daß es besonders an der Beendigung der Wirtschaftsblockade interessiert ist.

Die Bush-Administration thematisierte in ihrer Politik gegenüber Kuba ebenfalls drei Probleme:

-das Sonderverhältnis Kubas mit der Sowjetunion, -die Unterstützung revolutionärer Kräfte in Lateinamerika und -die Verletzung der Menschenrechte in Kuba.

Davon ausgehend sah man zwar die Möglichkeit für Lösungen in Detailfragen, jedoch machte die Administration eine Veränderung ihrer grundsätzlichen Politik, insbesondere in der Frage des Wirtschaftsembargos, von einem substantiellen Wandel in den drei Feldern abhängig. Besonders die Menschenrechtsproblematik und die beabsichtigte Installierung eines Fernsehsenders (TV Marti) für Kuba in den USA, der nach der Errichtung des Radiosenders Marti (1985) das staatliche Informationsmonopol weiter brechen soll, führten bereits 1988/89 zu heftigen Kontroversen. Seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus in Ost-und Mitteleuropa Ende 1989 haben die USA ihren Druck auf Kuba verstärkt (Verschärfung des Handelsboykotts, Verringerung der Einreisemöglichkeiten).

Obwohl die Bush-Administration von Kuba kooperatives Entgegenkommen bei der Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels erwartet, sind die USA offensichtlich gegenwärtig an keiner Verbesserung der bilateralen Beziehungen interessiert und bereiten sich offen auf eine „Post-Castro-Phase“ vor

V. Perspektiven

Der „kubanische Sozialismus“ als Teil des zusammenbrechenden Realsozialismus sowjetischer Prägung ist am Ende. Da dieses Modell primär von außen erhalten wurde und es nicht gelang, eigene innere Grundlagen ausreichend zu schaffen, ist sein Überleben angesichts des veränderten Um-felds schwer vorstellbar. Fidel Castro scheint -auch unter dem Eindruck der Entwicklungen in Ost-und Mitteleuropa -zu spüren, daß dieser Sozialismus nicht reformierbar ist. Er ahnt, daß der Beginn von Reformen das Ende des Systems bedeutet. Deshalb lehnt er bis heute konsequent Marktwirtschaft und Mehrparteiensystem ab. Seine Alternative heißt Rückkehr zu den sechziger Jahren. Ein abgeschlossenes, autarkes System, das von einem charismatischen Führer gesteuert und vom Enthusiasmus der Massen getragen wird, soll eine der letzten Zufluchtstätten revolutionärer Ideen sein.

Aber die revolutionären Mythen verblassen auch in Kuba, vor allem bei jenen 55 Prozent der Bevölkerung, die nach 1959 geboren wurden. Die Legitimität, das heißt die Anerkennungswürdigkeit einer politischen Ordnung (Jürgen Habermas), schwindet. Das kann auch nicht durch organisierte Aufmärsche und rhetorische Glanzleistungen des „maximo lider" aufgehalten werden. Der mögliche Wegfall der schon jetzt verringerten sowjetischen Unterstützung macht die Fortsetzung bisheriger Sozialpolitik fraglich. Damit wird auch die Popularität Castros, der heute selbst der wichtigste Stützpfeiler des Systems ist, schwinden. „Die politisch-pluralistische, das heißt demokratische Öffnung ist unausbleiblich“ schreibt Manfred Kossok mit Recht über das kubanische Dilemma Aber dem steht der unbedingte Wille Castros zur Macht entgegen. So ließ er bereits durch den Verteidigungsminister, seinen Bruder Raul Castro, 1989 verkün-den, daß Kuba eher als zweites Atlantis versinke, als daß der Kapitalismus zurückkehre. Der 4. Parteitag Anfang Oktober soll eine Antwort auf die neue Lage geben.

Möglicherweise wird durch die Person Fidel Castros die karibische Version des Zusammenbruchs des Realsozialismus noch auf sich warten lassen, eine politische und ökonomische Eiszeit steht der Insel aber auf jeden Fall bevor.

Die Opposition, zwar noch zersplittert, aber im Aufwind, hält den bewaffneten Aufstand für die einzige verbleibende Alternative. In dieser Situation sind Kompromisse, die einen schrittweisen, kontrollierten Wandel einleiten, eher unwahrscheinlich. Die Gefahr einer gewaltsamen Auseinandersetzung ist daher groß.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Karin Stahl, Kuba -eine neue Klassengesellschaft?, in: Heidelberger Dritte Welt Studien, 23 (1987).

  2. Vgl. H. C. F. Mansilla, Neopatrimonialistische Aspekte von Staat und Gesellschaft in Lateinamerika. Machtelite und Bürokratismus in einer politischen Kultur des Autoritarismus, in: Politische Vierteljahresschrift, 31 (1990) 1.

  3. Vgl. Frauke Gewecke, Mythen als Begründungs-und Beglaubigungsrede. Das Beispiel der Kubanischen Revolution, in: Perspektiven, (1991) 1.

  4. Zur Periodisierung der kubanischen Revolution vgl. Dieter Nohlen/Karin Stahl, El curso del cambio de rumbo de Cuba. Un balance, in: Revista de Estudios Politicos, 67 (1990); Peter Gey, Kuba: Krise des sowjetischen Entwick-lungsmodells, in: Klaus Fritsche (Hrsg.), Verlorene Träume? Sozialistische Entwicklungsstrategien in der dritten Welt, Stuttgart 1989; Horst Fabian, Der kubanische Entwicklungsweg, ein Beitrag zum Konzept autozentrierter Entwicklung, Opladen 1981; Robert K. Furtak, Kuba: Dreißig Jahre Revolution, in: Jahrbuch Dritte Welt, München 1990.

  5. Vgl. Jose Luis Rodriguez, El desarrollo economico y social en Cuba: resultado de 30 anos de Revolucion, in: Cuba Socialista, 39 (1989).

  6. Zwischen Che Guevara und einer Gruppe pragmatischer Politiker um den KP-Führer C. R. Rodriguez wurde in den sechziger Jahren eine heftige Debatte um die Wirtschaftspolitik geführt. Guevara lehnte die Ware-Geld-Beziehungen im Sozialismus grundsätzlich als Relikt des Kapitalismus ab. An die Stelle ökonomischer Mechanismen und Kriterien der Wirtschaftsführung sollten moralische Stimuli und die Erziehung zum „neuen Menschen“ stehen. In dieser Auseinandersetzung siegte vorerst Guevara, was 1968 in Kuba zur „revolutionären Offensive“ führte und eine Verschlechterung des Verhältnisses zu Moskau zur Folge hatte. Eine offiziös gefärbte, aber doch interessante Darstellung dieser Debatte gibt C. R. Rodriguez, Sobre la contribucion del Che al desarrollo de la economia cubana, in: Cuba Socialista, 33 (1988).

  7. Carlos Tablada, La Creatividad en el pensamiento economico del Che, in: Cuba Socialista, 39 (1989), S. 94; vgl. Luis Suarez Salazar, Che: un Creador heroico, in: Cuba Socialista, 31 (1988).

  8. Fidel Castro, Rede am 8. Januar 1989, zitiert nach Horst-Eckart Gross/Klaus Thüsing (Hrsg.), Adelante Kuba! Wege einer Revolution, Neuss 1989, S. 465.

  9. Vgl. J. L. Rodriguez (Anm. 5), S. 62.

  10. Juventud Rebeide vom 4. September 1988.

  11. Eduardo Lopez Morales, Mythos und Revolution, in: Perspektiven, 1 (1991), S. 3.

  12. Im August 1990 erklärten Vertreter der „Demokratischen Partei Kubas“ in Managua, Nicaragua, daß der bewaffnete Aufstand im Lande selbst der einzige Weg sei. Der frühere Kampfgefährte Castros, Huber Matos, der über 20 Jahre in kubanischer Haft saß, erwartete einen Volksaufstand, da die Bedingungen für einen Systemwandel gegeben seien.

  13. Vgl. die Reden Fidel Castros am 26. Juli 1988, in: Granma vom 27. Juli 1988, und zum Abschluß des 4. Kongresses der Studentenorganisation FEU im Dezember 1990, in: Granma vom 24. Dezember 1990.

  14. Vgl. Granma vom 24. Dezember 1990, S. 4.

  15. Es verfestigt sich in Havanna die Auffassung, daß die eilig durchgeführten Schauprozesse gegen General Ochoa, der die kubanischen Truppen in Angola führte und bei den Militärs große Popularität genoß, und gegen Funktionäre des Innenministeriums wegen Rauschgiftschmuggels sowie deren sofortige Hinrichtung eher Ausdruck politischer Auseinandersetzungen waren und der Disziplinierung dienten.

  16. Mit diesem Programm sollen Nahrungsmittelimporte im Wert von 1 Mrd. Dollar schrittweise abgelöst werden. Vor allem durch sogenannte Agrar-Camps um die Zwei-Millionen-Stadt Havanna sollen die extrem zugespitzten Versorgungsprobleme gelöst werden. Im zweiten Halbjahr 1990 arbeiteten ca. 20000 Kubaner zeitweise in diesen Lagern. Vgl. Castro unter Zugzwang, in: Frankfurter Rundschau vom 3. April 1991.

  17. Vgl. Susan Kaufmann Purcell, Kuba auf neuen Wegen?, in: Europäische Rundschau, (1989) 2.

  18. Vgl. D. Nohlen/K. Stahl (Anm. 4), S. 27.

  19. Dies wurde auch in der erneuten Diskussion um die Ursachen und den Verlauf der Kuba-Krise 1962 sichtbar; vgl. Crisis de Octubre. Origen y Lecciones, in: Bohemia, (1989) 6, S. 72ff.

  20. Fidel Castro, Rede am 26. Juli 1988, zitiert nach H. -E. Gross/K. Thüsing (Anm. 8), S. 450.

  21. Vgl. Granma vom 5. April 1989.

  22. Entsprechend diesem Abkommen liefert die UdSSR 10 Mio. t Erdöl bzw. Erdölprodukte (in den vergangenen Jahren waren es jährlich 13 Mio. t). Kuba wird 1991 4 Mio. t Zucker sowie Nickel und Zitrusfrüchte liefern. Im Gegensatz zu früheren Fünfjahresabkommen gilt diese Vereinbarung nur ein Jahr. Zwar zahlt die UdSSR für Zucker weiterhin einen Vorzugspreis, der über dem Weltmarktpreis liegt, jedoch erfolgt der übrige Handel zu Weltmarktpreisen in Devisen.

  23. Mit dem Migrationsabkommen von 1987 existiert erstmals eine rechtliche Grundlage für die Ausreise von jährlich ca. 20000 Kubanern in die USA. Wurden in der Vergangenheit Kubaner generell als politische Flüchtlinge eingestuft, so unterliegen sie jetzt der restriktiven Immigrationsgesetzge-bung der USA. Nach inoffiziellen kubanischen Angaben gab es 1989 ca. 60 000 Antragsteller.

  24. Die Regierung Kubas betrachtet die 1903 und 1934 zwischen Kuba und den USA abgeschlossenen Verträge über die Nutzung des Marinestützpunktes Guantanamo als völkerrechtswidrig, da sie Kuba durch die USA aufgezwungen worden seien. Zur kubanischen Position siehe Rafael Hernandez, La Seguridad Nacional de Cuba y la Base Naval de Guantanamo, Cuademos CEA, (1988) 2.

  25. Vgl. M. G. Kozak, Cuba: A Threat to Peace and Security in our Hemisphere, in: Department of State Bulletin, Washington, Nr. 2152 (November 1989). In dem sogenannten Santa-Fe-II-Papier vom August 1988, in dem von konservativer Seite eine Lateinamerikapolitik der USA für die neunziger Jahre entworfen wurde, wird bezüglich der weiteren Entwicklung in Kuba auf eine mögliche Situation verwiesen, die vergleichbar mit der mexikanischen Geschichte zu Beginn dieses Jahrhunderts ist. Nach drei Jahrzehnten Herrschaft von General Porfirio Diaz brach dessen Regime 1910 sehr schnell zusammen, als der Diktator auch physisch am Ende war. Vgl. Santa Fe II: A Strategy for Latin America in the Nineties, Committee of Santa Fe (Memo), S. 33.

  26. Manfred Kossok, Das kubanische Dilemma, in: Welt-bühne, 85 (1990).

Weitere Inhalte

Raimund Krämer, Dr. rer. pol. habil., geb. 1952; 1987 bis 1989 Mitarbeiter in der Botschaft der DDR in Kuba; Hochschuldozent an der Universität Potsdam, Fachbereich Politikwissenschaft. Veröffentlichungen zur Politik der peruanischen Militärs in den siebziger Jahren, zur Außenpolitik lateinamerikanischer Staaten, zur Politik der USA gegenüber Lateinamerika und zum Konflikt in Mittelamerika.