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Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte | APuZ 36/1991 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 36/1991 Die Aufgaben der Vereinten Nationen im Wandel Zur Politik Deutschlands in den Vereinten Nationen Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte Die neue Welt der Supermächte

Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte

Otto Kimminich

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Absicht, den Menschenrechtsschutz zu fördern, kommt bereits in der Satzung der Vereinten Nationen zum Ausdruck. Die Organisation der Vereinten Nationen begann unverzüglich nach Inkrafttreten ihrer Satzung mit der Verwirklichung dieser Absicht. Sie errichtete eine Menschenrechtskommission und verabschiedete die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948. Beim Aufbau eines effektiven Menschenrechtsschutzes konnten die Vereinten Nationen auf Ansätze zurückgreifen, die bereits in der Zeit des Völkerbunds vorhanden gewesen waren. Die Fortführung der damals begonnenen Arbeit (vor allem im Bereich des internationalen Flüchtlingsrechts) fügte sich in den Aufbau eines neuen Menschenrechtsschutzsystems ein. Mit den Menschenrechtspakten von 1966 wurde eine universale Rechtsgrundlage für den Menschenrechtsschutz geschaffen. An ihrer Verbesserung wird unablässig weitergearbeitet. Schwachstelle des internationalen Menschenrechtsschutzes ist der Vollzug, der nach wie vor weitgehend den Organen der souveränen Staaten überlassen bleibt. Internationale Kontrollsysteme sind nur schwach ausgebildet.

I. Die Menschenrechte in der Satzung der Vereinten Nationen

1. Zielvorstellungen Der Menschenrechtsschutz gehört zu den Hauptzielen der Vereinten Nationen. Schon die Präambel nennt ihn nach der Bewahrung des Friedens an zweiter Stelle. In ihrem zweiten Absatz bekennt sie sich zum „Glauben an die Grundrechte der Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit“. Einer der ersten Kommentatoren dieser Textstelle erblickt darin das „Erbe aller großen historischen Bewegungen, die die Freiheit des Individuums anstreben“ In der gesamten Fachliteratur kommt die Überzeugung zum Ausdruck, daß mit der Gründung der Vereinten Nationen das jahrhundertelange Ringen um die Menschenrechte in ein neues Stadium getreten ist: Die organisierte Staatengemeinschaft hat die Idee der Menschenrechte auf die zwischenstaatliche Ebene gehoben.

Aber bei der Menschenrechtsarbeit der Vereinten Nationen geht es nicht nur um den Schutz der Menschenrechte gegenüber völkerrechtlichen Instanzen -solche sind bisher nur in geringem Ausmaß vorhanden -, sondern vor allem wie seit eh und je um den Schutz gegenüber den Staaten. Die eigentliche Wirkung des neuen Schutzsystems soll sich daher auf der gleichen Ebene entfalten wie bisher, nämlich auf der staatlichen. Das Neue, das in dieser fortgeschrittenen Phase der Menschen-rechtsentwicklung hinzukommt, ist die völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten zum Menschenrechtsschutz. Die Staaten übernehmen die Gewährleistung der Menschenrechte nicht mehr lediglich aus eigenem Recht. „Durch die Einschaltung des Völkerrechts kommt eine neue Form der Gewährleistung zustande, welche neben die staatliche Gewährleistung tritt und diese überlagert.“ 2. Rechtsdogmatische Schwierigkeiten Eine solche völkerrechtliche Gewährleistung wird vor allen Dingen dann von Bedeutung sein, wenn der einzelne Staat die verfassungsrechtliche Gewährleistung unterläßt oder nicht ernst nimmt. Genau an dieser Stelle beginnen auch die Probleme des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes. Denn noch immer beruht die Völkerrechtsordnung auf der Anerkennung der „souveränen Gleichheit“ aller Staaten, wie Art. 2 Ziffer 1 der Satzung der Vereinten Nationen betont. Nur ein winziger Bruchteil der Völkerrechtsnormen wird unmittelbar von internationalen Organen vollzogen. Der weitaus größte Teil des Völkerrechtsvollzugs ist den Organen der souveränen Staaten anvertraut. Zum Zwecke des Vollzugs müssen die völkerrechtlichen Normen in innerstaatliches Recht transformiert werden. Das Völkerrecht genießt keinen automatischen Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht; es kann nicht einmal von sich aus die Gleichrangigkeit im innerstaatlichen Bereich verlangen. Vielmehr steht es auf einer anderen Ebene und erzeugt auf dieser Rechte und Pflichten für seine Subjekte, d. h. grundsätzlich nur die souveränen Staaten. Die Umsetzung in innerstaatliches Recht ist Sache der Staaten selbst. Die Einzelheiten dieser Umsetzung regeln die Verfassungen.

Die in der Satzung der Vereinten Nationen ausdrücklich verankerte Anerkennung der souveränen Gleichheit aller Staaten steht im Einklang mit dem Interventionsverbot, das auch für die Vereinten Nationen gilt. Art. 2 Ziffer 7 der Satzung der Vereinten Nationen legt es für das Verhältnis der UNO zu ihren Mitgliedern ausdrücklich fest. Eine Ausnahme zugunsten der Menschenrechte ist nicht vorgesehen.

In der Abhängigkeit der Vereinten Nationen von der Kooperation ihrer Mitglieder wird oft eine entscheidende Schwäche der Weltorganisation gesehen. Aber sie gehört zur Struktur des Völker-rechts als eines Rechts unter Gleichen, das sich wesensmäßig von der Struktur eines Weltstaats unterscheidet. Die Problematik des Vollzugs völkerrechtlicher Normen taucht nicht nur beim Menschenrechtsschutz auf, sondern in allen Tätigkeitsbereichen der Vereinten Nationen. Nur ein einziges Organ der Vereinten Nationen ist befugt, bindende Entscheidungen zu treffen, nämlich der Weltsicherheitsrat in Fragen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. In allen anderen Fragen kann die Organisation der Vereinten Nationen nur auf folgenden drei Ebenen wirken:

1. durch Empfehlungen der Generalversammlung,

2. durch die Vorbereitung und Förderung des Abschlusses multilateraler Verträge sowie 3. durch die Tätigkeit von Spezialorganisationen im Rahmen von deren Zuständigkeit.

In bezug auf die Menschenrechte ist der dritte Weg für die UNO bisher nur in beschränktem Maße gangbar. Zwar berührt die Tätigkeit mehrerer Organe und Spezialorganisationen der UNO eine Reihe von Menschenrechten (Beispiele sind der Treuhandrat, der Wirtschafts-und Sozialrat, der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, das Internationale Arbeitsamt), und sie alle haben beachtliche Leistungen auf ihren Arbeitsgebieten erbracht, aber es gibt noch keine Spezialorganisation für den Menschenrechtsschutz. Somit verbleiben der UNO zunächst nur die beiden ersten Wege: der moralische Appell durch Empfehlungen der Generalversammlung und der Versuch, die Staaten vertraglich an die Beachtung von Menschenrechten zu binden. 3. Arbeitsprogramm Im operativen Teil der Satzung der Vereinten Nationen werden zunächst die Zielvorstellungen der Präambel wiederholt. Art. 1 Abs. 3 der Satzung erklärt die internationale Zusammenarbeit zum Zwecke der Förderung und Festigung der „Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ zu einem der Ziele der UNO. Art. 13, der sich mit den Einzelmaßnahmen zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit und der Kodifzierung des Völkerrechts befaßt, verpflichtet die Generalversammlung unter anderem, Untersuchungen zu veranlassen und Empfehlungen abzugeben, um „zur Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion beizutragen“. Die gleiche Formulierung findet sich in Art. 55c bei der Aufzählung der wirtschaftlichen und sozialen Ziele der UNO. Ausdrücklich spricht dort die Satzung von der „allgemeinen Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte“. In Art. 56 der Satzung verpflichteten sich die Mitgliedstaaten, „gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Art. 55 dargelegten Ziele zu erreichen“.

Obwohl die verpflichtende Wirkung dieser Satzungsnorm offenkundig ist, hat ein Teil der Völkerrechtslehre lange Zeit die Auffassung vertreten, die Satzung der Vereinten Nationen verpflichte die Mitgliedstaaten nicht auf die Menschenrechte, sondern enthalte nur Grundsatzerklärungen, die rechtlich unverbindlich seien Allerdings muß zugegeben werden, daß sämtliche Formulierungen der Satzung der Vereinten Nationen in bezug auf die Menschenrechte vage sind und die Mitgliedstaaten nur verpflichten, etwas zu unternehmen, um die Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte zu sichern, ohne im einzelnen darzulegen, was zu tun ist und um welche Menschenrechte es sich handelt. Aber daraus kann nur gefolgert werden, daß es zu den Pflichten der Mitgliedstaaten der UNO selbst gehört, den Inhalt der Menschenrechte zu präzisieren und verbindlich zu machen. Ob die Weltorganisation und ihre Mitglieder diese Pflicht in den ersten 45 Jahren des Bestehens der UNO wirklich erfüllt haben, wird noch zu prüfen sein. An der Existenz dieser Pflicht und ihrer Verankerung in der Satzung der Vereinten Nationen kann nicht gezweifelt werden. 4. Anknüpfung an Vorhandenes Niemand bezweifelt, daß die Schöpfer der Satzung der Vereinten Nationen mit dem von ihnen beabsichtigten Menschenrechtsschutz etwas Neues schaffen wollten. Ebenso unbestritten ist es, daß ein internationaler Menschenrechtsschutz erst nach dem Ende der klassischen Epoche des Völkerrechts möglich geworden ist. Aber jene Epoche war mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende gegangen. Der Völkerbundpakt -die Satzung einer Weltorganisation, die ähnlich wie die Vereinten Nationen nach Universalität strebte -war bereits Ausdruck einer neuen Epoche des Völkerrechts. Zwar konnte im Zeitpunkt der Ausarbeitung des Völkerbundpakts noch nicht von einer Hinwendung zu den Menschenrechten gesprochen werden. Aber das Völkerrecht war jedenfalls in die -heute noch immer nicht ganz beendete -Umbruchphase eingetreten, in der einzelne und Gruppen deutlicher auf der internationalen Ebene in Erscheinung treten Auf dieser Grundlage konnte sich der Völkerbund mit einer Reihe von Problemen beschäftigen, die gerade damals zum ersten Mal deutlich machten, daß einzelne und Gruppen auch ohne Mediatisierung durch einen bestimmten Staat -oder gegen den Willen des sie mediatisierendenStaates -auf der Ebene des Völkerrechts geschützt werden müssen.

An erster Stelle ist hier das Flüchtlingsproblem zu nennen, das der Völkerbund bei seiner Gründung vorfand. Es waren vor allem Flüchtlinge aus Ruß-land und aus der Türkei, für die ein internationaler Rechtsschutz geschaffen werden mußte. Der Völkerbund brachte internationale Vereinbarungen zustande, die den Kern eines internationalen Flüchtlingsrechts schufen Sogar ein internationales Vollzugsorgan, der Hohe Kommissar des Völkerbunds für Flüchtlinge, wurde eingesetzt. Auch der Minderheitenschutz kann in diesem Zusammenhang erwähnt werden, obwohl er nicht eigentlich eine Schöpfung des Völkerbunds ist, sondern diesem im Vollzug der Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg, die institutionell mit dem Völkerbund verbunden waren, übertragen wurde

Ein weiteres Spezialgebiet des Menschenrechts-schutzes, dem der Völkerbund seine Aufmerksamkeit zuwandte, war die Bekämpfung des Frauen-und Kinderhandels. Auf diesem Gebiet bestanden bereits zwei Abkommen aus den Jahren 1904 und 1910, über die der Völkerbund aufgrund des Art. 23c seiner Satzung die Aufsicht übernahm. Neue internationale Verträge wurden in den Jahren 1921 und 1933 abgeschlossen. Schließlich fallen in die Völkerbundära auch die Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Feldheere und über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929, die auf Veranlassung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz ausgearbeitet worden waren.

Die Schöpfer der Satzung der Vereinten Nationen machten es sich zur Aufgabe, nicht nur die Bemühungen um den Menschenrechtsschutz auf einzelnen Gebieten fortzusetzen, sondern den internationalen Menschenrechtsschutz auf eine einheitliche völkerrechtliche Grundlage zu stellen und ihn zum Katalysator der gesamten Völkerrechtsentwicklung zu machen.

II. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Die Gründungsväter der Vereinten Nationen wußten sehr wohl, daß die Menschenrechtsbestimmungen der Satzung nur dann ihre Wirkung entfalten können, wenn die Menschenrechte inhaltlich umrissen sind. Deshalb begann unverzüglich nach der Gründung der Weltorganisation die Arbeit an einem Menschenrechtskatalog. Das Ergebnis war die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 Sie zählt die von der Satzung der Vereinten Nationen gemeinten Menschenrechte auf, definiert sie und bekräftigt, daß die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen durch die Satzung verpflichtet sind, „in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durchzusetzen“. Nach der Aufzählung der einzelnen Rechte, die im wesentlichen den klassischen Freiheitsrechten entsprechen, folgt noch ein zusammenfassendes Recht: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegenden Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können“ (Art. 28). Als Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen kann die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte keine Rechtsbindung erzeugen. Vielmehr hat sie nur den Charakter einer Empfehlung. Darauf haben sich Staaten, denen Menschenrechtsverletzungen unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung vorgeworfen wurden, häufig berufen.

Das Urteil über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist heute noch immer nicht einheitlich. Aber im Laufe der Zeit haben sich deutliche Akzentverschiebungen ergeben. Heute wird kaum noch versucht, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unter Hinweis auf ihren lediglich empfehlenden Charakter praktisch ganz bei-seitige zu schieben. Als Minimum wird zugegeben, daß eine derartige feierliche Erklärung der in der Generalversammlung der Vereinten Nationen vertretenen Staaten -sie ist ohne Gegenstimme, wenn auch bei Stimmenthaltung der sozialistischen Staaten, Saudi-Arabiens und Südafrikas, angenommen worden -zumindest ein Indiz für die Rechtsüberzeugungen ist, die in bezug auf die Menschenrechte in allen Teilen der Welt vertreten werden.

Als Rechtsquelle sind die Erklärungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen freilich noch nicht anerkannt, und es ist fraglich, ob dies jemals der Fall sein wird. Viele Autoren argumentieren aber, daß die politisch-moralische Wirkung solcher Erklärungen in der Praxis sogar bedeutsa-mer sei als eine formale Rechtsbindung. Über diese Meinung könnte gestritten werden. Doch unbestreitbar ist die Rechtsentwicklung, die auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in der Zwischenzeit stattgefunden hat. Von großer Bedeutung ist die Tatsache, daß sich viele spätere amtliche Erklärungen, darunter insbesondere die Schlußakte der Internationalen Menschenrechtskonferenz in Teheran vom 13. Mai 1968, die von der Generalversammlung am 19. Dezember 1968 bestätigt wurde auf sie berufen haben. Ferner haben auch Verfassungen, Gesetze und innerstaatliche Gerichtsentscheidungen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Bezug genommen. Daraus wird geschlossen: „Man kann daher annehmen, daß die in der Deklaration formulie Mai 1968, die von der Generalversammlung am 19. Dezember 1968 bestätigt wurde 8), auf sie berufen haben. Ferner haben auch Verfassungen, Gesetze und innerstaatliche Gerichtsentscheidungen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Bezug genommen. Daraus wird geschlossen: „Man kann daher annehmen, daß die in der Deklaration formulierten elementaren Menschenrechte durch diese Erklärungen und andere staatliche Akte un-abhängig von vertraglichen Verbürgungen völkerrechtlich verbindlich geworden sind.“ 9)

Jedoch soll nicht verschwiegen werden, daß auch Kritik an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geübt worden ist. Vor allen Dingen ist darauf hingewiesen worden, daß die Allgemeine Erklärung bereits zum Zeitpunkt ihrer Verkündung veraltet war. In den Vereinten Nationen waren damals noch relativ wenige Staaten vertreten; 63 Prozent der Mitgliedstaaten lagen in Amerika und Europa, nur sechs in Afrika und 24 Prozent in Asien. Der Inhalt der Erklärung „entspricht weitgehend den klassischen menschen-rechtlichen Vorstellungen, wie sie in den Staaten des westlichen Kulturkreises vorherrschten. Es sind das die auf internationale Verhältnisse abgestellten Deklarationen des Jahres 1789!“ 10)

III. Die Menschenrechtspakte

Diejenigen, die aus der bisherigen Handhabung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einen gewohnheitsrechtlichen Komplex von Rechtsnormen ableiten wollen, müssen eine einheitliche, von Rechtsüberzeugung getragene Staatenpraxis nachweisen 11). Obwohl die Bezugnahmen auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte häufig sind, ist die Staatenpraxis insgesamt enttäuschend. So haben es die Leugner eines gewohnheitsrechtlichen internationalen Menschen-rechtsschutzes leicht, ihren Standpunkt zu vertreten. Dieser Schwierigkeit waren sich die Schöpfer der Satzung der Vereinten Nationen und die Autoren der Allgemeinen Menschenrechtserklärung bewußt. Sie wollten auch nicht so lange warten, bis völkerrechtliches Gewohnheitsrecht auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung entstehen würde. Deshalb versuchten sie von Anfang an, Rechtsbindungen durch Verträge zu erzeugen.

Da es in der Praxis kaum möglich sein wird, alle Staaten der Erde zur Unterzeichnung eines bestimmten multilateralen Vertrags zu bewegen, begnügt sich die Völkerrechtslehre mit der „QuasiEinmütigkeit“ und konstruiert Rechtswirkungen aus einem von fast allen Staaten der Erde unterzeichneten (und ggf. ratifizierten) multilateralen Vertrag auch für die kleine Zahl von Nichtunter

Zeichnern 12). Multilaterale Verträge, an denen fast alle Staaten beteiligt sind und in denen jeweils für ein bestimmtes Gebiet völkerrechtliche Normen aufgestellt werden, tragen die Bezeichnung „Konvention“. Die Konvention erfüllt im internationalen Bereich die Funktion der Gesetzgebung. Auf diese Art der Rechtsnormerzeugung konzentrierten sich die Bemühungen der Vereinten Nationen im Bereich des internationalen Menschenrechts-schutzes.

Bereits im Jahre 1950 behandelte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Entwurf einer Konvention über die Menschenrechte, den die Menschenrechtskommission 13) ausgearbeitet hatte. Nach langen Debatten erhielt die Kommission den Auftrag, zwei getrennte Konventionsentwürfe auszuarbeiten, von denen der eine die Freiheitsrechte im engeren Sinn, einschließlich der politischen Rechte, der andere die Wirtschaftsund Sozialrechte enthalten sollte.

Bereits 1954 konnten die Entwürfe den Staaten zur Stellungnahme vorgelegt und anschließend der Generalversammlung unterbreitet werden. Aber es dauerte noch zwölf Jahre, bis am 16. Dezember 1966 beide Konventionen von der Generalversammlung ohne Gegenstimmen angenommen wurden. Die Unterzeichnung erfolgte am 19. Dezember 1966. Beide Konventionen konnten erst nach der Ratifikation durch 35 Staaten in Kraft treten.Es ist kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Menschheit, daß noch einmal mehr als neun Jahre vergingen, bis diese Bedingung erfüllt war. Daß die Konventionen auch danach nur für diejenigen Staaten in Kraft traten, die ratifiziert hatten, bedarf keiner Erwähnung.

Um den Menschenrechtskonventionen einen besonderen Rang zu verleihen, gab man ihnen die Bezeichnung „Pakt“ (covenant). In der Alltags-sprache werden häufig die Worte „Menschenrechtspakte“ und „Weltpakte“ verwendet. Die amtliche deutsche Bezeichnung lautet: „Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ und „Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“. Letzterer trat am 23. Januar 1976 in Kraft, ersterer am 23. März 1976. Die Bundesrepublik Deutschland ist beiden Weltpakten beigetreten

Da Konventionen stets eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner beinhalten, ist es nicht verwunderlich, daß die Menschenrechtskataloge der beiden Weltpakte hinter dem Standard Zurückbleiben, der in den Verfassungen der meisten westlichen Industriestaaten erreicht worden ist. Dies schadet der Entwicklung der Menschenrechte nicht. Das Völkerrecht ist eine Minimalordnung. Die über den völkerrechtlichen Standard hinausgehende Rechtsgewährung im innerstaatlichen Recht wird vom Völkerrecht nicht berührt. Wenn also den beiden Menschenrechtspakten vorgeworfen wird, sie hätten inhaltlich gegenüber der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kaum einen Fortschritt gebracht, so geht diese Kritik ins Leere. Der tatsächlich bewirkte Fortschritt liegt darin, daß die Menschenrechtspakte für diejenigen Staaten, die ihnen beigetreten sind, bindende Wirkung haben.

Die grundsätzliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist in beiden Pakten jeweils in Art. 2 niedergelegt: Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in der Konvention anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied zu gewährleisten. Eine Ausnahme hiervon enthält Art. 2 Abs. 3 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Diese Vorschrift gestattet es den Entwicklungsländern bis zu einem gewissen Grade, die von der Konvention anerkannten wirtschaftlichen Rechte auf Inländer zu beschränken.

Für Staaten, deren Rechtsordnung dem Standard des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte noch nicht entspricht, normiert Art. 2 Abs. 2 dieses Pakts die Pflicht, diejenigen „gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen“. Einen geringeren Grad der Unmittelbarkeit weist die korrespondierende Verpflichtung in Art. 2 Abs. 1 der Konvention für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte auf. Dort werden die Vertragsstaaten verpflichtet, unter Ausschöpfung aller ihrer Möglichkeiten „Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen“.

IV. Vollzugsorgane

Der Grundkonstruktion des geltenen Völkerrechts entsprechend, überlassen die beiden Menschenrechtspakte die Durchführung des internationalen Menschenrechtsschutzes den Organen der Signatarstaaten der Pakte. Doch gibt es auf globaler Ebene kein einheitliches Menschenrechtsverständnis. Verschiedene Kulturkreise, aber auch verschiedene Staatsverfassungen und Ideologien, hängen mit unterschiedlichem Menschenrechtsverständnis zusammen. Deshalb wird geklagt: „Es fehlt an einer wirksamen einheitlichen Anwendungsmöglichkeit der Menschenrechte.“

Die große Variationsbreite bei der Interpretation von Völkerrechtsnormen aufgrund von unterschiedlichem Verständnis der in diesen Rechtsnormen zum Ausdruck kommenden ethischen Werte ist keine Besonderheit des internationalen Menschenrechtsschutzes. Sie erschwert den Vollzug des Völkerrechts in allen Lebensbereichen. Für den Menschenrechtsschutz aber ist sie von besonderer Tragik; denn das gesamte gegenwärtige System des Völkerrechts muß aus der Sicht desinternationalen Menschenrechtsschutzes als unbefriedigend empfunden werden. Trotz aller hoffnungsvollen Ansätze kann doch die bittere Wahrheit nicht verschwiegen werden: Selbst dann, wenn die Staaten bereits eine Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte übernommen haben, ist der Vollzug der betreffenden Rechtsnormen den souveränen Staaten anvertraut.

Die Überwindung der Souveränitätsschwelle, die das geltende Völkerrecht bisher nur geringfügig gesenkt hat, wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Die Satzung der Vereinten Nationen kann dazu wenig beitragen; denn auch bei weitester Auslegung der menschenrechtsrelevanten Bestimmung der Satzung ist das Grundprinzip der souveränen Gleichheit (im Klartext: Souveränität und Gleichheit) der Staaten zu beachten. Deshalb kommt einer der hervorragendsten Kenner der Materie, der selbst jahrzehntelang Mitglied der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen gewesen ist, zu folgendem Ergebnis: „So zeichnet sich schon in der Charta deutlich ab, daß die Vereinten Nationen als Organisation nicht von sich aus, kraft der Bedeutung oder der Natur der Menschenrechte, vollziehende Maßnahmen ergreifen können. Es sind immer nur die Staaten, die durch die politische Maschinerie der Rechtssetzung, wie sie in der Charta vorgezeichnet ist, das Mandat aussprechen könnten, die Vereinten Nationen als internationale Organisation selbst zum Menschenrechtsschutz zu berufen.“

Gemäß Art. 62 der Satzung der Vereinten Nationen kann der Wirtschafts-und Sozialrat „Empfehlungen abgeben, um die Achtung der Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle zu fördern“. Art. 68 der Satzung gibt dem Wirtschafts-und Sozialrat die Befugnis zur Einsetzung von Kommissionen zu den dort näher bezeichneten Zwecken, darunter auch „für die Förderung der Menschenrechte“. In Erfüllung dieser Aufgabe und unter Berufung auf diese Kompetenzen hat der Wirtschafts-und Sozialrat durch eine Resolution vom 16. Februar 1946 die Menschenrechtskommission eingesetzt, die seit Januar 1947 tätig ist. Alsbald gingen bei ihr Informationen und Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen aus aller Welt ein, auf die aber nicht reagiert werden konnte, weil die Kommission keine Vollzugskompetenzen besitzt. Sie nimmt Petitionen entgegen, sammelt periodische Berichte der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und diskutiert sie. Nach einem Rückblick auf die Tätigkeit der Kommission in ihren ersten 25 Jahren gab ihr einer der führenden amerikanischen Völkerrechtler eine verachtungsvolle Bezeichnung: „der größte Papierkorb der Welt“

Der Wirtschafts-und Sozialrat hat sich wiederholt mit den Möglichkeiten beschäftigt, die der von ihm eingesetzten Menschenrechtskommission im Falle von bekanntgewordenen Menschenrechtsverletzungen offenstehen. Immer wieder kam er zu dem Ergebnis, daß die Kommission „keinerlei Befugnisse hat, hinsichtlich von Beschwerden betreffend Menschenrechte irgendeine Maßnahme zu treffen“ Doch gerade diejenige Resolution, der das vorstehende Zitat entnommen ist, markiert den Anfang eines neuen Bemühens um die Bewältigung des Arbeitspensums der Kommission, ohne Rücksicht auf die fehlende Exekutivgewalt. Es sollte wenigstens ein Verfahren zur Behandlung der bei der Kommission einlaufenden Beschwerden aufgebaut werden. Zunächst wurde die Menschenrechtskommission angewiesen, ein Ad-hoc-Komitee zu ernennen, das jeweils kurz vor der Vollsitzung der Kommission zusammentritt, „um die von dem Generalsekretär vorbereitete Liste von Mitteilungen zu prüfen und zu empfehlen, welche dieser Mitteilungen der Kommission auf Wunsch im Original zugänglich gemacht werden sollten“. Auf der Grundlage der Erfahrungen, die mit dieser Verfahrensweise gemacht wurden, konnte der Wirtschafts-und Sozialrat schließlich das gesamte Verfahren in allen Einzelheiten regeln. Dies geschah durch zwei Resolutionen aus den Jahren 1967 und 1970 Nach der Nummer der letztgenannten Resolution vom 27. Mai 1970 werden seither die Menschenrechtsverfahren, die von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen durchgeführt werden, als „ 1503-Verfahren“ bezeichnet.

Eine Statistik über die Arbeit der Menschenrechts-kommission ist bisher noch nicht veröffentlicht worden. Die regelmäßig herausgegebenen Sitzungsberichte füllen jedoch lange Regale in den Spezialbibliotheken und bieten interessante, aber deprimierende Einblicke in die Menschenrechtssituation unserer Zeit. Bereits vor mehreren Jahren sprach ein Mitglied der Kommission von „jährlich etwa 70000 bis 100000 bei den UN einlangenden Petitionen“ Nach sorgfältiger Filterung in einer Arbeitsgruppe und einer Unterkommission bei Einschaltung des betroffenen Mitgliedstaats endet das Verfahren mit einem Bericht an den Wirtschafts-und Sozialrat. Gemäß Art. 7 der Resolu-tion 1503 kann die Menschenrechtskommission auch ein Ad-hoc-Komitee ernennen, das einen Bericht an die Kommission zu verfertigen hat und sich „während und sogar nach der Untersuchung um freundschaftliche Lösungen“ bemüht. Befugnisse gegenüber demjenigen Mitgliedstaat der Vereinten Nationen, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, besitzten aber weder das Ad-hoc-Komitee und die Menschenrechtskommission noch der Wirtschafts-und Sozialrat, der ebenfalls nur Empfehlungen aussprechen kann.

In der Völkerrechtswissenschaft hat sich die Auffassung durchgesetzt, die vorgenannten Resolutionen des Wirtschafts-und Sozialrats, insbesondere aber die Resolution 1503, seien zumindest ein Indiz dafür, daß schwerwiegende und kontinuierliche Menschenrechtsverletzungen durch einen Staat auf jeden Fall die Schranke der inneren Zuständigkeit durchbrechen So können sich die Vereinten Nationen mit solchen Menschenrechtsverletzungen beschäftigen, ohne gegen das auch für sie geltende Interventionsverbot (Art. 2 Ziffer 7 der Satzung) zu verstoßen. Daher ist das „ 1503-Verfahren“ trotz fehlender Durchsetzungsmöglichkeiten der UN-Organe nicht ganz bedeutungslos. Zwar „handelt es sich nicht um ein Verfahren zur Untersuchung, Verhinderung oder Beendigung bestimmter einzelner Menschenrechtsverletzungen“, aber es dient doch der „Identifizierung menschenrechtsfeindlicher politischer Systeme"

Nur selten erntet die Menschenrechtskommission Lob in der Öffentlichkeit. Dabei fällt auf, daß dies noch am häufigsten dann der Fall ist, wenn die Menschenrechtskommission einen Sonderberichterstatter ernannt hat, der beauftragt ist, die jeweils aktuelle Menschenrechtssituation in einem bestimmten Land oder einer bestimmten Region zu untersuchen. Ein Beispiel hierfür ist der Afghanistankonflikt, über den der österreichische Völkerrechtler Ermacora zu berichten hatte Ein besonders gutes Echo fand die 47. Sitzung der Menschenrechtskonvention im Frühjahr 1991. Bereits am 7. Februar 1991 erörterte die Kommission einen ausführlichen Bericht der Ständigen Vertretungen Kuweits bei den Vereinten Nationen in Genf über die Menschenrechtsverletzungen durch die irakische Armee nach der Besetzung Kuweits am 2. August 1990 Das Ergebnis der gesamten Tagung sei „unerwartet gut gewesen, sagen westliche Diplomaten. Manche scheuen sich nicht, die Resolutionen, die von den Delegierten der 43 Staaten verabschiedet wurden, als atemberaubend zu bezeichen... Die Sitzung hat gezeigt, daß der politische und moralische Druck größer geworden ist, eine möglichst saubere Menschenrechtsbilanz vorzuweisen und gegebenenfalls die Lage durch einen Sonderberichterstatter überprüfen zu lassen.“ Solche Beurteilungen lassen hoffen, daß die für 1993 geplante „Weltkonferenz über Menschenrechte“, für die gegenwärtig ein Konferenzort noch nicht feststeht, endlich über die Lippenbekenntnisse zu den Texten der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und der Menschenrechtspakte hinausführen wird.

Auch die Menschenrechtspakte sehen lediglich ein Berichtssystem vor, und zwar mit unterschiedlichen Befugnissen. Gemäß Art. 28 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ist ein Ausschuß für Menschenrechte gebildet worden, der am 20. September 1976 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat. Diesem Ausschuß berichten die Vertragsstaaten über die Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung der in der Konvention anerkannten Rechte getroffen haben. Umgekehrt übersendet der Ausschuß den Vertragsstaaten seine eigenen Berichte „sowie ihm geeignet erscheinende allgemeine Bemerkungen“ (Art. 40 Abs. 4 dieses Pakts). Darüber hinaus kann jeder Vertragsstaat gemäß Art. 41 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte erklären, „daß er die Zuständigkeit des Ausschusses zur Entgegennahme und Prüfung von Mitteilungen anerkennt, in denen ein Vertragsstaat geltend macht, ein anderer Vertragsstaat komme seinen Verpflichtungen aus diesem Pakt nicht nach“.

Für die Beschwerde von Einzelpersonen ist zugleich mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ein „Fakultativprotokoll“, d. h. ein Zusatzprotokoll, das der gesonderten Unterzeichnung und Ratifikation bedarf, aufgelegt worden. Von den 90 Signatarstaaten desMenschenrechtspakts haben 49 das Fakultativprotokoll akzeptiert. Das Fakultativprotokoll gestattet die Individualbeschwerde, d. h. die schriftliche Mitteilung einer Einzelperson über Menschenrechtsverletzungen, jedoch erst nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs. Die Mitteilung darf nicht anonym sein oder einen Mißbrauch der Bestimmungen des Menschenrechtspakts darstellen.

Soweit das Fakultativprotokoll mangels Ratifikation nicht anwendbar ist, verbleibt es bei der soge-nannten Staatenbeschwerde gemäß Art. 41, d. h.der Mitteilung eines Vertragsstaates über Menschenrechtsverletzungen eines anderen Vertragsstaates. In jedem Fall kann der Ausschuß keinerlei verbindliche Entscheidungen fällen. Er kann lediglich den beteiligten Vertragsstaaten seine guten Dienste zur Verfügung stellen, „um eine gütliche Regelung der Sache auf der Grundlage der Achtung der in dieser Konvention anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten herbeizuführen“ (Art. 41 Abs. le). Innerhalb von zwölf Monaten nach Eingang der Mitteilung legt der Ausschuß einen Bericht vor, der „eine kurze Darstellung des Sachverhalts“ (Art. 41 h) enthält. Sofern eine gütliche Einigung zustandegekommen ist, wird diese im Bericht erwähnt. Zu weiteren Maßnahmen ist der Ausschuß nicht befugt. Er kann nur -mit vorheriger Zustimmung der beteiligten Vertragsstaaten -eine Ad-hoc-Vergleichskommission einsetzen, die ihrerseits innerhalb von zwölf Monaten zu berichten hat (Art. 42).

Im Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte -der bis Ende 1990 von 95 Staaten unterzeichnet worden ist -ist überhaupt nur ein Berichtssystem vorgesehen. Die Berichte gelangen zum Wirtschafts-und Sozialrat, zu den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen und gelegentlich (gemäß Art. 21) sogar zur Generalversammlung der Vereinten Nationen, führen aber in jedem Fall höchstens zu „Empfehlungen allgemeiner Art“. Es darf nicht verschwiegen werden, daß die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zunehmend in den Vordergrund treten. Im Vergleich zu den klassischen Freiheitsrechten, deren Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden können, haben diese relativ jungen Menschenrechte die Bezeichnung „Menschenrechte der zweiten Generation“ erhalten. Eines der jüngsten Menschenrechte dieser Art, das in den Menschenrechtspakten noch nicht erwähnt ist, sich aber in zahlreichen Völkerrechtsnormen aufspüren läßt, ist das „Recht auf Ernährung“ Als „Menschenrechte der dritten Generation“ werden die Rechte auf Entwicklung auf eine saubere Umwelt und auf Frieden bezeichnet. Sie haben in den Menschenrechtspakten noch keinen Ausdruck gefunden. Aber bei ihrer rechtsdogmatischen Konstruktion wird stets auf die Satzung der Vereinten Nationen Bezug genommen.

V. Sonderbereiche

Ein Bericht über die Menschenrechtsarbeit der Vereinten Nationen wäre nicht vollständig, ohne einen Blick auf die Tätigkeit der Spezialorganisationen zu werfen, die zwar nicht die gesamte Menschenrechtsproblematik, wohl aber einzelne ihrer Sektoren betrifft. Diejenige Situation, in welcher der Mensch den umfassendsten Schutz benötigt, ist die des politischen Flüchtlings. Im Bereich des Flüchtlingsschutzes konnten die Vereinten Nationen auf Rechtsinstrumente und Organisationsformen zurückgreifen, die schon vom Völkerbund entwickelt worden waren. Die nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Flüchtlingsprobleme waren noch immer nicht gelöst, in der Zwischenkriegszeit und in der Kriegszeit schwollen die Flüchtlingsströme weiter an. So mußte die Flüchtlingsarbeit der Vereinten Nationen sogar noch vor Inkrafttreten der Satzung, als die Organisation sich noch im Vorstadium der Gründung befand, einsetzen. Die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) ist eine der erstenHilfseinrichtungen der Vereinten Nationen gewesen. Neben der Repatriierung von Flüchtlingen sah sie ihre Aufgabe auch darin, sich um das Los derjenigen zu kümmern, die nicht repatriiert werden konnten oder wollten. Das Werk wurde später von der International Refugee Organization (IRO) fortgeführt und schließlich vom Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) übernommen. Hauptinstrument des Flüchtlingsschutzes der Vereinten Nationen ist die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 Zusammen mit einer Reihe anderer Vereinbarungen, welche die Vereinten Nationen zur Regelung von Einzelfragen des Flüchtlingsschutzes zustandegebracht haben, bildet sie den Kern eines sich immer mehr verfestigenden internationalen Flüchtlingsrechts Mit 102 Ratifikationen gehört sie zu den meistratifizierten völkerrechtlichen Verträgen der Gegenwart. Im Laufe der Zeit verlagerte sich der Schwerpunkt der Tätigkeit des Amtes des UNHCR vom Rechtsschutz auf die humanitäre Hilfe. Seit vielen Jahren liegt die Zahl der von diesem Amt -das gemäß Art. 22 der Satzung der Vereinten Nationen direkt der Generalversammlung als „Nebenorgan“ verantwortlich ist -betreuten Personen bei mehr als zehn Millionen.

Von den zahlreichen anderen Konventionen der Vereinten Nationen, die ebenfalls Produkte der Menschenrechtsarbeit dieser Weltorganisation sind, können hier nur die wichtigsten genannt werden. An ihrer Spitze steht die Konvention über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 Ihrem Vollzug dient ein eigens dafür geschaffenes internationales Organ, nämlich der Internationale Ausschuß zur Beseitigung der Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination [CERD]), der aus 18 Sachverständigen besteht. Er ist ein Organ der Vertragspartner der Konvention (gegenwärtig 129). Die Vertragsstaaten müssen alle zwei Jahre über die Erfüllung ihrer Vertrags-pflichten berichten. Der Ausschuß prüft die Berichte und berichtet seinerseits der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Art. 11 der Konvention eröffnet auch die Möglichkeit der Staatenbeschwerde. Exekutivbefugnisse besitzt die Kommission jedoch in keinem Fall.

Die Apartheid-Politik der Republik Südafrika verstieß gegen die Rassendiskriminierungskonven-tion. Darüber hinaus hat nicht nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Apartheid mehrfach als „ernste Störung des internationalen Friedens“ gebrandmarkt sondern auch die General-versammlung hat die Apartheid als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt Eine am 30. November 1973 von der Generalversammlung angenommene und zur Unterzeichnung aufgelegte Konvention zur Unterdrückung und Bestrafung der Apartheid ist am 18. Juli 1976 in Kraft getreten. Weitere Konventionen, die Zeugnis von dem unablässigen Bemühen der Vereinten Nationen um den weiteren Ausbau des internationalen Menschenrechtsschutzes geben, sind: die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 11. Dezember 1946 die Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 die Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Antifolterkonvention) vom 4. Februar 1985 und die Zusatzkonvention über die Beseitigung der Sklaverei, des Sklavenhandels und aller sklavereiähnlichen Einrichtungen und Praktiken vom 7. September 1956

Die Generalversammlung hat am 25. November 1981 die Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Überzeugung verabschiedet Das intensive Ringen um die Religionsfreiheit, das in den zuständigen Gremien der Vereinten Nationen seit Jahren geführt wird, widerlegt die Behauptung, daß die Menschenrechte der „ersten Generation“ in den Hintergrund getreten seien. Die Vereinten Nationen haben bei ihrer Menschenrechtsarbeit ein Gespür für die Bedürfnisse der Zukunft gezeigt. Trotz der Langsamkeit der Gesamtentwicklung des Menschenrechtsschutzes und trotz vieler Enttäuschungen haben die Vereinten Nationen auf diesem Gebiet Beachtliches geleistet. Dank der Menschenrechtsarbeit der Vereinten Nationen sieht die Völkerrechtsordnung heute anders als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Myres S. McDougal, Die Menschenrechte in den Vereinten Nationen, in: Die Grundrechte, Bd. 1/1, Berlin 1966, S. 498.

  2. Wilfried Schaumann, Die Menschen-und Freiheitsrechte in der UNO, in: Theodor Veiter/Friedrich Klein (Hrsg.), Die Menschenrechte, Wien 1966, S. 20.

  3. So z. B. W. Schaumann, ebd., S. 22.

  4. Vgl. Otto Kimminich, Der internationale Schutz des einzelnen, in: Archiv des Völkerrechts, 11 (1972), S. 420ff.; ders., Internationaler Volksgruppenschutz. Eine Zukunftsaufgabe des Völkerrechts von welthistorischer Bedeutung, in: Politische Studien, (1977), S. 391ff.; ders., Ansätze für ein europäisches Volksgruppenrecht, in: Archiv des Völker-rechts, 28 (1990), S. 1 ff.

  5. Vgl.ders., Der internationale Rechtsstatus des Flüchtlings, Köln-Berlin 1962, S. 215 ff.

  6. Vgl.ders., Regelungen der Minderheiten-und Volksgruppenprobleme in der Vergangenheit, in: Fritz Wittmann/Stefan Graf Bethlen (Hrsg.), Volksgruppenrecht -Ein Beitrag zur Friedenssicherung, München 1980, S. 37ff.

  7. Universal Declaration of Human Rights, Resolution 217 (HI).

  8. UNO-Resolution 2442 (XXIII).

  9. Vgl. unten Abschnitt IV.

  10. Der Text des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ist veröffentlicht in: Bundesgesetzblatt (BGBl). 1973 II, 1534, derjenige des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in: BGBl. 1973II, 1570.

  11. Felix Ermacora, Menschenrechte -weltweiter Anspruch und Wirklichkeit, in: Johannes Schwartländer (Hrsg.), Menschenrechte, Tübingen 1978, S. 174.

  12. Ders. (Anm. 10), S. 534.

  13. John P. Humphrey, The Right of Petition in the United Nations, in: Revue des Droits de l’Homme, 4 (1971), S. 470.

  14. UNO-Resolution 728 F, XVIII vom 30. Juli 1959.

  15. UNO-Resolution 1235 (XLII) vom 6. Juli 1967 und Resolution 1503 (XLVIII) vom 27. Mai 1970.

  16. Felix Ermacora, Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht, Bd. II, München 1978, S. 95.

  17. Vgl. Bruno Simma, Souveräntität und Menschenrechts-schutz nach westlichem Völkerrechtsverständnis, in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift, 4 (1977), S. 235ff.

  18. Bruno Simma, Völkerrechtliche Möglichkeiten der Durchsetzung vertraglich garantierter Menschenrechte für Deutsche gegenüber den Staaten Osteuropas, in: ders. /Steiner/Martin Kriele, Menschenrechte für Deutsche in Osteuropa, Bonn 1980, S. 41. Zur gesamten Problematik vgl. auch Otto Kimminich, Menschenrechte im Völkerrecht und die Möglichkeit ihrer Durchsetzung, in: Rudolf Uertz (Hrsg.), Menschenrechte in Ost und West, Bonn 1989, S. 149 ff.

  19. Vgl. Felix Ermacora, Bericht über Lage der Menschenrechte in Afghanistan -Vereinte Nationen, Wirtschafts-und Sozialrat -, in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift, 12 (1985), S. 249ff.; ders. Afghanistan und das Weltgewissen. Sieben Jahre afghanischer Widerstand, in: Europa-Archiv, 41 (1986), S. 503ff.; ders., Der Afghanistankonflikt im Lichte des humanitären Völkerrechts, in: Festschrift für Dietrich Schindler, Basel-Frankfurt a. M. 1989, S. 201 ff.

  20. UN-Doc. E/CN. 4/1991/70.

  21. Konrad Mrusek, Alte Seilschaften fallen auseinander. Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen macht Fortschritte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. März 1991, S. 10.

  22. Katarina Tomasevski (Hrsg.), The Right to Food, Dordrecht u. a. 1987.

  23. Vgl. Otto Wulff, Entwicklungshilfe zwischen Völker-rechtsordnung und Weltwirtschaftssystem, Baden-Baden 1986.

  24. Vgl. Eberhard Klein, Recht auf Umweltschutz als völkerrechtliches Individualgrundrecht?, in: Festschrift für Werner von Simson, Baden-Baden 1983, S. 251ff.; Hans Huber, Umwelt und Umweltschutz als Rechtsbegriffe, in: Festschrift für Hans Klecatsky, Wien 1980, S. 369f. bewertet dieses Menschenrecht als eine der „heute üblich gewordenen Vorwegnahmen politischer Entscheidungen“.

  25. Vgl. Asbjörn Eide, The Right to Peace, in: Bulletin of Peace Pröposals, 2 (1979), S. 157ff.; Janusz Golebiowski, The Right to Life in Peace, in: ebd., 18 (1987), S. 315ff.; Walter Lewald. Das Recht der Völker auf Frieden, in: Neue Juristische Wochenschrift, 39 (1986), S. 638ff.; Frank Przetacznik, The Philosophical and Legal Concept of Genuine and Just Peace as a Basic Collective Human Right, in: Revue de Droit International, 68 (1990), S. 75ff.; Heinrich Schneider, Probleme des Menschenrechts auf Frieden und seiner Verwirklichung, in: Wiener Blätter zur Friedensforschung, (1989) 1, S. 19ff.; Christian Tomuschat, Recht auf Frieden. Ein neues Menschenrecht der dritten Generation?, in: Europa-Archiv, 40 (1985), S. 271 ff.

  26. Da die Konvention auf einer diplomatischen Konferenz in Genf zustandegekommen ist, wird sie auch als „Genfer Flüchtlingskonvention“ bezeichnet. Ihr amtlicher Name lautet: „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, in: BGBl. 1953 II, 560.

  27. Vgl. Otto Kimminich, Die Entwicklung des internationalen Flüchtlingsrechts -faktischer und rechtsdogmatischer Rahmen, in: Archiv des Völkerrechts, 20 (1982), S. 369ff.

  28. Text in: BGBl. 1969 II, 961.

  29. Z. B. in der Resolution 181/XVIII vom 7. August 1963 und in der Resolution 181/XIX vom 18. Juni 1964.

  30. Z. B. in der Resolution 2202/XXI vom 16. Dezember 1966 und in der Resolution 3324 E/XXIX vom 16. Dezember 1974.

  31. UNTS. Bd. 1015, S. 243.

  32. Text in: BGBl. 1954 II, 730.

  33. Text in: Vereinte Nationen, 38 (1990), S. 112ff.

  34. Text in: BGBl. 1989 II, 947. Die Antifolterkonvention hat insofern einen Markstein in der Entwicklung des Menschenrechtsschutzes gesetzt, als sie einen Sachverständigenausschuß mit Inspektionsrechten vorsieht. Vgl. Christian Tomuschat, Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49/88, S. 23.

  35. Text in: BGBl. 1958 II, 205.

  36. UNO-Resolution 36/55.

Weitere Inhalte

Otto Kimminich, Dr. jur., M. A., geb. 1932; o. Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht, Staatsrecht und Politik an der Universität Regensburg. Veröffentlichungen u. a.: Der internationale Rechtsstatus des Flüchtlings, Köln 1962; Völkerrecht im Atomzeitalter, Freiburg 1969; Humanitäres Völkerrecht, München-Mainz 1972; Die Menschenrechte, München 1973; Deutsche Verfassungsgeschichte, Baden-Baden 19872; Das Recht auf die Heimat, Bonn 19893; Einführung in das Völkerrecht, Münchenl 9904; Religionsfreiheit als Menschenrecht, München-Mainz 1990; Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 1990.