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Wirtschafts-und Finanzreform im Zeichen der Perestroika | APuZ 19-20/1990 | bpb.de

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APuZ 19-20/1990 Der Umbruch des politischen Systems in der Sowjetunion Soziale Aspekte der Perestroika in der UdSSR Wirtschafts-und Finanzreform im Zeichen der Perestroika Michail Gorbatschow und die engere „sozialistische Gemeinschaft“

Wirtschafts-und Finanzreform im Zeichen der Perestroika

Nikolai Schmeljow

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die sowjetische Wirtschaft steht am Rande des Bankrotts: Inflation, die Diskrepanz von Angebot und Nachfrage, ein Haushaltsdefizit von 120 Mrd. Rubel 1989 kennzeichnen die Krise. Zu ihrer Behebung muß das Finanzwesen reformiert werden: Kommerzbanken sollen künftig als Grundeinheiten des Kreditsystems fungieren. Die Staatsbank sollte unabhängig werden und durch eine restriktive Kreditpolitik der Inflation entgegenwirken. Der Staat sollte sich allmählich aus der Wirtschaft zurückziehen, seine Subventionen reduzieren und umstrukturieren. Schließlich sollten die Deviseneinnahmen durch Exportförderung. Joint venturcs und Direktinvestitionen von Ausländem in der UdSSR erhöht werden. Langfristiges Ziel der Sanierung ist die Konvertierbarkeit des Rubels und die Zusammenarbeit mit Weltwirtschaftsorganisationen.

I. Problemübersicht

Als Wirtschaftswissenschaftler empfinde ich heute im Hinblick auf unsere langfristigen Entwicklungsperspektiven keine große Besorgnis, da ich voraussetze, daß wir keinen nationalen Selbstmord begehen wollen. Wir haben in unserer kurzen Geschichte alle denkbaren und undenkbaren organisatorischen Methoden des Wirtschaftslebens erprobt und werden zwangsläufig den Weg beschreiten müssen, den uns W. I. Lenin noch in den zwanziger Jahren, in seinen zwei letzten Lebensjahren, gewiesen und definiert hat.

In unserer siebzigjährigen Geschichte gab es nur sieben bis acht Jahre, in denen wir eine wirklich effektive Wirtschaft betrieben haben, und wir müssen den Weg dieser Jahre unvermeidlich wieder beschreiten, weil es zu ihm schlechterdings keine Alternative gibt. Hierfür brauchen wir allerdings Zeit. Eine bankrotte oder verfallende Firma wird im Westen im Durchschnitt in acht bis zehn Jahren saniert. Die Sanierung des riesigen ökonomischen Organismus, den unsere Volkswirtschaft darstellt, erfordert natürlich viel mehr Zeit.

Andererseits sind unsere kurzfristigen Perspektiven erschreckend. Wir stehen am Rand eines Bankrotts. Warum? Das könnte man mit verschiedenen Faktoren erklären: Inflation, zunehmende Unausgeglichenheit von Angebot und Nachfrage, Haushaltsdefizit, fieberhafte Geldemission. Das alles bedeutet nur eins: zunehmende Zerrüttung unseres Geld-und Finanzsystems und eine herannahende Krise, ähnlich wie wir sie Anfang der zwanziger Jahre und gleich nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben.

Jetzt ist es Mode, von der schwierigen Situation zu sprechen, die uns die Vergangenheit überliefert hat. Tatsächlich wirken die traditionellen Faktoren des Haushaltsdefizits aus der Stagnationszeit noch nach. Zugleich darf man aber auch nicht übersehen, daß das Haushaltsdefizit 1970 bis 1985 im Durchschnitt 20 Mrd. Rubel betragen hat und 1989 bereits auf 120 Mrd. Rubel anstieg. Das ist eine neue Qualität, durch neue Faktoren ausgelöst, die nicht mehr mit der Stagnationszeit Zusammenhängen.

Welches sind die Fehler, die in den letzten Jahren unseren Haushalt und den Verbrauchermarkt zerrüttet und die Inflationsraten gravierend beschleunigt haben? Zunächst einmal — so seltsam dies sich anhören mag — war es das unqualifizierte Alkohol-verbot. Diese Maßnahme beruhte natürlich auf erhabenen Absichten, aber naives Denken ist schlimmer als Raub. Mit vornehmen Absichten haben wir den Verbrauchermarkt und zugleich den Staatshaushalt auf einen Schlag aus dem Gleichgewicht gebracht. Der zweite Fehler war eine kurzfristige, jedoch sehr schmerzhafte Aktion im Jahre 1986 zur Bekämpfung der sogenannten nichterarbeiteten Einkommen, die unsere Agrarwirtschaft stark beeinträchtigt hat. Der dritte Fehler hängt mit den sinkenden Erdölpreisen zusammen, die uns zwangen, unsere Importe zu vermindern. Die Regierung reduzierte jedoch vorzugsweise nicht die Importe von Getreide oder Ausrüstungen für die Schwerindustrie, sondern ruinierte die Grundlage unseres Staatshaushalts, indem sie die Konsumwarenimporte, die dem Fiskus Einnahmen sicherten, die mit denen aus dem staatlichen Alkoholverkauf vergleichbar waren, gravierend verminderte. Dazu kommt schließlich der letzte und folgenschwerste Fehler, den ich durch keinerlei vernünftige Argumentation rechtfertigen kann. Wenn das Haushalts-defizit 1987 bis 1988 langsam auf 60 Mrd. Rubel anstieg, so schnellte es 1989 (planmäßig!) blitzartig auf 120 Mrd. Rubel. Zugleich beschleunigten sich auch unsere Investitionsbedürfnisse. Wo aber sollte die Regierung das Geld dafür hernehmen? Vermutlich wollte sie diese Ausgaben bewußt durch zunehmende Geldemission und Zwangsanleihen bei der Bevölkerung decken. Das war eine offene Politik der Inflation. Wir bezahlen heute den vollen Preis für diese und andere Schritte. ,

II. Maßnahmen zur Sanierung der sowjetischen Wirtschaft

Die Inflationsraten, die sich in letzter Zeit, insbesondere 1989, beschleunigt haben, weitere Verknappungen auf dem Verbrauchermarkt und das sprunghaft wachsende Haushaltsdefizit werden die gesamte sowjetische Wirtschaft unvermeidlich — wenn diese ruinierenden Trends nicht unterbunden werden — in eine tiefe Krise stürzen. Diese Krise wird für die Bevölkerung vermutlich besonders schmerzhaft im Übergang zu einer umfassenden Rationierung, im endgültigen Zerfall des Ver- brauchermarktes, in der gravierenden Entwertung des Rubels und letztendlich in den unkontrollierbaren sozialen Folgen all dessen zum Ausdruck kommen. Dieser Zerfall des sowjetischen Marktes wird wahrscheinlich alle Maßnahmen zur Reorganisierung des bestehenden Wirtschaftsmechanismus durchkreuzen. Selbstverwaltung, Kostendeckung, Eigenfinanzierung, die Marktmechanismen sowie die Effektivierung der ökonomischen Arbeitsstimulierung werden vorübergehend jeden realen Sinn einbüßen. Der Rubel wird endgültig aufhören, sowohl im Produktions-als auch im Konsumtionsbereich seine Indikatorfunktion für Knappheitsverhältnisse zu erfüllen, und wir werden uns nolens volens für die Rückkehr zur Befehlswirtschaft entscheiden müssen. Mit Rücksicht auf eventuelle politische und soziale Folgen der anbrechenden Wirtschaftskrise kann dieser Zustand relativ lange andauern.

Die Regierung sieht in ihrem Programm das Wesen des Problems nicht in der bestehenden Differenz zwischen der Geldmenge im Lande und dem Warenangebot, d. h. nicht in der Unausgeglichenheit des Marktes, sondern vor allem in der Notwendigkeit, die sich vergrößernden Einnahmen der Bevölkerung und Betriebe einerseits und das nicht so stark wachsende Warenangebot aufdem Markt auszugleichen. Der Markt ist inzwischen bereits zerrüttet. Die Bevölkerung und Betriebe besitzen im Vergleich zum bestehenden Warenangebot 500 Mrd. Rubel (einschließlich Geld „im Sparstrumpf“) mehr; die Struktur des aktuellen und des angestauten Bedarfs stimmt nicht mit der Struktur des Warenangebots überein; das ausgebrochene und sich beschleunigende Kauffieber steigert noch die Nachfrage gegenüber dem Normalzustand. All diese Aspekte rücken die Verminderung der im Lande bereits vorhandenen Geldmenge in den Vordergrund der Wirtschafts-und Finanzpolitik.

Die Regierung hat in ihrem Programm diese vordringliche Aufgabe jedoch praktisch ausgeklammert. Auch im Hinblick auf die Zunahmeraten der Geldmenge scheint das Programm zumindest unangemessen zu reagieren. Zugleich bedeutet die strikte Besteuerung der Verdienste und anderer Einnahmen angesichts der leeren Geschäfte, daß der einzige, wenn auch illusorische Anstoß, initiativreicher und gewissenhaft zu arbeiten, in unserer Wirtschaft völlig — zumindest für die nächsten zwei bis drei Jahre — ausgeschaltet wird. Dazu muß man noch die reale Bedrohung einer gravierenden Zunahme der Arbeitslosigkeit durch die Kürzung der Investitionsprogramme, die Umstrukturierung der Industrie, den Abbau der Streitkräfte und die Konversion der Rüstungsbetriebe hinzufügen. Schließlich kommt noch eine unbedachte restriktive Politik gegenüber dem kooperativen Sektor hinzu, die sich in der letzten Zeit besonders verdeutlicht hat: In diesem Jahr dürfen wir vermutlich weder auf zusätzliche Ausweitung des Warenangebotes noch auf eine Vermehrung der Arbeitsplätze in diesem Sektor rechnen. Uns verbleibt höchstens noch ein Jahr, um die Krise zu meistem. Was kann man in diesem Jahr unternehmen, um den Zusammenbruch zu verhindern, den Markt auszugleichen, den Rubel kaufkräftig zu machen und dadurch die Wirtschaftsreform aus dem Bereich frommer Wünsche in den realer Möglichkeiten zu versetzen? Meiner Ansicht nach können dabei drei Grundversionen der politischen Entscheidungen und praktischen Handlungen in Frage kommen.

1. Erhöhung der Preise und Entwertung der Ersparnisse

Eine gravierende Steigerung der Einzelhandels-preise und eine wesentliche Entwertung der Ersparnisse der Bevölkerung müssen als Maßnahmen zur Sanierung rundweg abgelehnt werden, da das Land diese angesichts der bestehenden sozialen Spannungen und der Geisteshaltung der Bevölkerung, zumindest heute, nicht überstehen wird. Zudem würden die finanzpolitischen Ergebnisse dieser Maßnahmen offensichtlich ungenügend sein. Bestenfalls könnte man dadurch das Haushaltsdefizit beseitigen und auf eine zusätzliche Geldmengenerweiterung verzichten. Die Hauptprobleme — das Ausmaß der angestauten Nachfrage, die enormen Ersparnisse und die Kaufsucht der Bevölkerung — wären damit allerdings nur teilweise gelöst. Die Beseitigung der Subventionen für Lebens-und Verkehrsmittel, für Wohnraum und in der Kommunal-wirtschaft würde die Kaufkraft der Bevölkerung kaum mehr als um 50 Mrd. Rubel verringern, da die Ersparnisse auf ihren Bankkonten und in „Sparstrümpfen“ bekanntlich mindestens 500 Mrd. Rubel ausmachen.

Der Staat könnte eventuell Preissubventionen für die Agrarerzeugnisse unrentabler und hoffnungslos rückständiger Agrarbetriebe aufheben. Es sei hierbei darauf verwiesen, daß nur 30 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe (die meisten erhalten keine solche Preissubventionen) heute 80 Prozent der Agrarerzeugnisse auf den Markt liefern. Die Streichung solcher Preissubventionen ist allerdings eine äußerst umstrittene politische Maßnahme, und ich bin nicht sicher, ob sich der Staat im laufenden Jahr dafür entscheiden kann. Andererseits ist nicht klar, ob der Staat die dann unvermeidliche Verminderung der Produktion von Agrarerzeugnissen infolge der Subventionskürzungen aus anderen Ressourcen auszugleichen vermag. Und was soll mit diesen Landwirtschaftsbetrieben in Zukunft geschehen? Sollen sie sich selbst auflösen und die Anbauflächen an die Landarbeiter verteilen (falls diese überhaupt Ackerland übernehmen wollen)? Jedenfalls kann eine solche Maßnahme die Inflation nur teilweise stoppen und den Verbrauchermarkt nur unbedeutend stabilisieren.

2. Währungsreform und Abwertung

Unser Land erlebt eigentlich keine einmalige, neue Situation. Bei derartiger Geldfülle griffen die Re-gierungen schon immer zu dem Regulativ, die Ersparnisse der Bevölkerung zu beschlagnahmen. Das veranschaulichen z. B. die Währungsreform 1947 in der UdSSR und die 1948 in der entstehenden Bundesrepublik Deutschland. Die allgemeinen politischen und sozialen Bedingungen, unter denen in der Vergangenheit Währungsreformen durchgeführt wurden, unterscheiden sich allerdings grundsätzlich von den heutigen Verhältnissen. Da der Krieg vor 45 Jahren beendet wurde, kann ein harter Währungsschnitt mit tragischen historischen Umständen nicht mehr erklärt werden.

In der Sowjetunion gibt es heute etwa 200 Millionen Bankkonten, wobei aufjedes Konto im Durchschnitt cirka 1 500 Rubel entfallen. Mit Rücksicht auf die bestehende Armutsgrenze und die sozialen Spannungen ist das zweifellos die Mindestgrenze, die beim Austausch des alten Geldes gegen das neue etwa im Verhältnis 10: 1 nicht unterschritten werden sollte. Daher dürfen die meisten Spareinlagen nicht abgewertet werden. Schätzungen zufolge besitzen heute weniger als zehn Prozent der Kontoinhaber über 40 Prozent der gesamten Ersparnisse, die sich auf 160 bis 170 Mrd. Rubel belaufen. Diese „reichsten“ Sparer (unsere „Mittelklasse“) dürften offensichtlich die Betroffenen sein, wenn das alte Geld gegen das neue im Verhältnis 1: 1 bis 1 500 Rubel (sozial ungefährliche Mindestmenge) und über diese Summe hinaus im Verhältnis 10: 1 umgetauscht wird.

In diesem Fall kann der Fiskus (vorausgesetzt, daß die Ersparnisse im „Sparstrumpf“ auch umgetauscht werden) eine einmalige Reduzierung der im Umlauf befindlichen Geldmenge in Höhe von 100 Mrd. Rubel erzielen. Bei so einer dimensionierten Reduzierung der Ersparnisse kann der Staat die gesetzte Aufgabe erfüllen und den Verbrauchermarkt zweifellos für eine bestimmte Zeit ausgleichen. Im Land wird die Situation entstehen, in der das Angebot die Nachfrage allgemein übersteigen wird und Voraussetzungen für das Vorankommen der Wirtschaftsreform geschaffen werden. Der Rubel wird endlich kaufkräftig. Man fragt sich aber: Wird die Perestroika als eine mächtige, umfassende gesellschaftliche Bewegung für die Erneuerung des Landes diesen chirurgischen Eingriff überleben? Aber selbst wenn sie allen Widerständen trotzt, droht die Gefahr, daß die Perestroika und ihre Führung langfristig (vermutlich für die Lebenszeit einer Generation oder sogar noch mehr) die Unterstützung des aktivsten Bevölkerungsteils — der „Mittelklasse“ — einbüßen könnte.

3. „Geldabkauf und Immobilisierung der Ersparnisse

Mit Rücksicht auf die heutige Situation im Lande wäre eine massierte staatliche Intervention zur Stabilisierung des Rubels, d. h. eine Art Abkauf des Geldüberschusses, der politisch und sozial denkbar sichere Weg zum Ausgleich des Verbrauchermarktes. Diese „Intervention“ sollte hauptsächlich nach geltenden Preisen und ohne Veränderung des offiziellen, für den Haushalt günstigen Rubelkurses vorgenommen werden, wobei die eingenommenen Summen anschließend größtenteils vernichtet (abgeschrieben) werden. Der „Abkauf“ muß verständlicherweise mit den geringsten staatlichen Ausgaben durchgeführt werden. Das überschüssige Geld, das nicht „abgekauft“ werden kann, muß immobilisiert, d. h. in verschiedene langfristige Aktiva einbezogen werden.

Das Geld der Bevölkerung und der Betriebe kann man in zwei Kategorien gliedern: konsumtives Geld, das sofort auf dem Markt für benötigte Waren ausgegeben werden kann, und „Kapital“, d. h. Ersparnisse, die in Produktionsmittel, Finanzaktiva oder diverse Immobilien investiert werden können. Es gibt schätzungsweise (unter Berücksichtigung der Ersparnisse im „Sparstrumpf“) maximal 150 bis 200 Mrd. Rubel konsumtives Geld. Das in den Betrieben verfügbare, jedoch brachliegende und ungebundene „Kapital“ kann auf 300 bis 350 Mrd. Rubel geschätzt werden.

Wie sehen heute die realen Möglichkeiten des Staates aus, das konsumtive Geld der Bevölkerung „abzukaufen“ (oder mit Waren zu decken) und das verfügbare betriebliche „Kapital“ zu immobilisieren?

a) Interne Quellen

Die entscheidenden Möglichkeiten wären hier:

— Die Kooperativen, die Waren erzeugen und Dienstleistungen erweisen, nicht niederzuhalten, sondern sie im Gegenteil zu fördern und höchstmöglich zu begünstigen. Diese Maßnahmen würden dem kooperativen Sektor gestatten, den für 1990 prognostizierten Kaufkraftzuwachs mit Waren reichlich zu decken; in diesem Fall kann der Staat den ganzen Zuwachs der Konsumwarenproduktion und dementsprechend auch die Umsatzsteuern zum Ausgleich der Ersparnisse der Bevölkerung verwenden.

— Verkauf oder immerwährende Verpachtung von Grundstücken an die Bevölkerung (vor allem in den Städten); Verkauf staatlicher Wohnungen, die allerdings unbedingt vom Staat nach den Prinzipien der Rentabilitätsrechnung betreut werden müssen; Verkauf überschüssiger Bestände an Material, nichtinstallierter Ausrüstungen und beliebiger Produktionstechnik. Diese Maßnahmen bedeuten natürlich Investitionen, die allerdings zu einem Großteil auch konsumtives Geld binden werden, wenn dessen Besitzer vor die Wahl gestellt werden, ihr Geld entweder für die laufenden oder für die langfristigen Bedürfnisse auszugeben;

— Vergleichbar mit diesen Maßnahmen ist die Ausgabe von Anleihen für den Bau kooperativer Wohnungen und genormter Datschen, für den garantierten Erwerb von Pkw, Möbeln, Videorecordem, Personalcomputern, Waschmaschinen usw. Wenn man die Verminderung der eingeplanten investiven Bautätigkeit in der Produktion und die dementspre-chend freigesetzten Baukapazitäten und Arbeitskräfte berücksichtigt, könnte sich der Staat verpflichten, in den nächsten fünf Jahren zusätzlich Wohnungen für zwei bis drei Millionen Familien unter der Bedingung zu bauen, daß sie der Regierung einen zinsfreien Kredit für diese Bauarbeiten gewähren. Allein diese Maßnahme könnte mindestens 75 Mrd. Rubel aus dem Verkehr ziehen. Eine ähnliche Wirkung hätte auch die Ausgabe einer „Auto-Anleihe“, wobei sich der Staat verpflichten müßte, Mitte der neunziger Jahre zwei neue Automobilwerke zu bauen, die insgesamt zwei bis zweieinhalb Millionen Pkw im Jahr liefern würden.

-Emission gewinnbringender staatlicher Wertpapiere (Anleihen) für eine Frist zwischen 30 Tagen und 30 Jahren; die Zinssätze sollten dabei die Inflationsraten zumindest um zwei Prozent übersteigen, d. h. sieben bis acht Prozent im Jahr ausmachen. Ähnliche Zinssätze sollten auch für befristete Einlagen der Bevölkerung in den Sparbanken vorgesehen werden. Die Emission von Aktien und Obligationen der bestehenden und neuen Betriebe an die Bevölkerung und juristische Personen (d. h. Betriebe und Banken) könnten ebenso einen bestimmten. wenn auch begrenzten Effekt der Geldmengen-reduzierung sowie der Schaffung von Investivkapital sichern.

-Versteigerung von Investitionsgütern und Werkstoffen (einschließlich importierter Produktionsmittel und Werkstoffe) an Betriebe ohne jegliche Preisbeschränkung, wobei der Erlös teilweise an den Staatshaushalt abgeführt und vernichtet wird. Eine ähnliche Rolle könnten auch staatliche Devisenversteigerungen — Verkauf von Devisen an Betriebe und eventuell an Privatpersonen zu freien Marktpreisen — spielen; diese Versteigerungen könnten in Verbindung mit den bereits genannten staatlichen Anleihen (Einbeziehung freier betriebs-eigener Finanzen zu günstigen Bedingungen) überschüssiges Geld im bargeldlosen Verkehr praktisch völlig beseitigen.

-Vorübergehende Reduzierung des Exports sowjetischer Konsumgüter, die eine große Bedeutung für den Staatshaushalt der UdSSR haben (vor allem Pkw), jedoch keinen entscheidenden Devisenerlös sichern, andererseits bei der Sättigung des sowjetischen Marktes eine wichtige Rolle spielen können. -Normalisierung des staatlichen Spirituosenhandels und Verdrängen der Schwarzbrenner durch ökonomische Maßnahmen, vor allem durch weitgehenden Verkauf von Alkoholgetränken im staatlichen Handelsnetz zu gesenkten Preisen. Die jetzige Situation, in der die Schwarzbrenner zumindest 50 Prozent aller Spirituosen unversteuert verkaufen, ist nicht mehr tragbar; der „Schwarzbrennersektor“ ist heute ein beträchtlicher Faktor des Schwarzhandels, des Marktverfalls und der organisierten Kriminalität.

Man muß allerdings unterstreichen, daß die Durchführung der meisten genannten Maßnahmen im Rahmen des riesigen und schwerfälligen bürokratischen Staatsapparates gewisse Zeit erfordert. Ich befürchte, daß die uns verbleibenden ein bis eineinhalb Jahre nicht genügen, selbst wenn wir diese Maßnahmen buchstäblich morgen beschließen und durchführen würden. Angesichts der sich zuspitzenden sozialen Spannungen müssen wir unverzüglich einen Effekt erzielen, die Lage auf dem Markt praktisch sofort verbessern und den Rubel wenigstens geringfügig stabilisieren. Unter diesem Blickwinkel verbleiben dem Staat (wobei eine schnelle Verbesserung in der Landwirtschaft vermutlich irreal ist) im Grunde genommen nur drei Möglichkeiten, den Markt und das „heiße Geld“ sofort, ökonomisch und sozusagen natürlich zu beeinflussen: die Entwicklung des kooperativen Sektors, die Ausdehnung des staatlichen Spirituosenhandels und eine gravierende Steigerung des Konsumwarenimports.

b) Äußere Quellen

Um das konsumtive Geld mit Waren zu decken und den Markt auszugleichen, braucht man mit Rücksicht auf die heutige Effizienz des sowjetischen Imports höchstens 20 bis 25 Mrd. US-Dollar, wobei der Fiskus für jeden für den Import ausgegebenen US-Dollar acht bis zehn sowjetische Rubel und bei entsprechender Manövrierfähigkeit sogar mehr erhalten kann. Unter mehr oder weniger normalen Bedingungen wäre das der billigste Weg, auf dem der Fiskus das überschüssige Geld der Bevölkerung „abkaufen“ könnte, ohne jemanden zu beeinträchtigen. Nach dieser für zwei bis drei Jahre ausgelegten einmaligen Maßnahme könnten wir dann den stabilen Konsumwarenimport gegen Devisen als einen ausgleichenden und konkurrierenden Faktor zur Förderung unserer Betriebe nutzen. Wenn der kooperative Sektor nicht erstickt wird und die Industrie-betriebe, wie geplant, auf die sozialen Ziele um-orientiert werden, könnten wir in Zukunft den jährlichen Konsumwarenimport auf einem Stand von drei bis fünf Mrd. US-Dollar (je nach Rubelkurs) aufrechterhalten. Das ist ein durchaus reales Ziel, wenn man berücksichtigt, daß unser heutiger Gesamtimport gegen Devisen 31 Mrd. US-Dollar im Jahr ausmacht.

Können wir heute Devisen finden, einsparen oder borgen, um das Problem überschüssigen Geldes denkbar schnell und kostengünstig — vorwiegend durch Importe gegen Devisen — zu lösen? Ich befürchte, daß wir in diesem Bereich Zeit und Möglichkeiten in bedeutendem Maße verpaßt haben. 1989 wurde unter anderem die Möglichkeit, unsere Devisenreserven durch westliche mittel-und langfristige Kredite von Privatbanken zu ergänzen, praktisch durchkreuzt. Angesichts der politischen Erschütterungen haben die internationalen Banken uns in die Kategorie der potentiell unzuverlässigen Kreditnehmer eingestuft. Die internationalen Praktiken beweisen, daß in diesem Fall die Kreditzinsen bereits in einer Höhe von 15 bis 16 Prozent gefor-dert werden, wodurch die Kredite vom wirtschaftlichen Standpunkt aus absolut sinnlos werden. Andererseits haben wir immer noch bestimmte Reserven, die wir meiner Überzeugung nach bei entsprechender Kühnheit und Phantasie nutzen könnten. Zunächst einmal sind das unsere nach wie vor bedeutenden Goldbestände. Wir können sie natürlich nicht auf einmal verkaufen, denn dann würde der gesamte internationale Goldmarkt zusammenbrechen. Wir können aber (mit Rücksicht auf andere Möglichkeiten) zehn bis zwanzig Mrd. US-Dollar Kredite nehmen, die durch unsere Goldbestände gesichert wären. Wir haben diese vermutlich für den „schwarzen Tag“ reserviert. Aber auf welchen anderen „schwarzen Tag“ sollen wir noch warten? Zum zweiten müssen wir unsere Hilfe an andere Staaten, insbesondere an die „Dritte Welt“, wesentlich kürzen, die vorwiegend in Rubeln, aber teilweise auch in vollwertigen Devisen geleistet wird. Ist es nicht an der Zeit, die gewohnten Zielsetzungen und Vorstellungen auch in diesem Bereich zu revidieren? Ich denke, daß unser Volk diese Last unter den bestehenden Verhältnissen nicht mehr tragen kann.

Viele Devisen könnten wir ferner aus dem Verkauf von Grundstücken, Wohnungen, Büros, Industrie-und Handelsbetrieben an Ausländer erhalten. Auch in diesem Bereich kann man kaum einen sofortigen Nutzeffekt erzielen, aber bestimmte Valutamittel könnten wir trotzdem schon in nächster Zukunft aufdiese Art erwirtschaften. Zudem könnten entsprechende neue Gesetze die Aussichten einer Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern verbessern und unser in letzter Zeit ins Schwanken geratenes Ansehen auf den internationalen Finanzmärkten festigen. Schließlich verbleibt noch eine weitere Möglichkeit, die zwar vorhanden ist, auf deren Mobilisierung wir aber nur geringen Einfluß haben: die offizielle staatliche Hilfe der westlichen Regierungen, die uns wohlgesonnen sind. Deren Hilfe ist aber auch eine politische Frage, und ich wage nicht, hier alle „Für“ und „Wider“ abzuwägen. Aufgrund einiger Argumente oder vielleicht eher intuitiv glaube ich nicht, daß aus den drei dargelegten Wegen zur Stabilisierung des Marktes bzw.der Verhinderung seines Zusammenbruchs die dritte, günstigste Version gewählt wird. Es wäre kaum erstaunlich, wenn wir uns für die zweite Version entscheiden (oder werden entscheiden müssen) und die Ersparnisse der Bevölkerung und Betriebe zu einem bedeutenden Teil reduzieren. Anders gesagt sind ein allgemeines Rationierungssystem und die anschließende Geldreform, die der Bevölkerung harte Opfer abverlangt, in der heutigen Situation durchaus vorstellbar. Ich wiederhole: Wir haben immer noch die Möglichkeit, dies zu vermeiden, aber ich bezweifle, daß wir das schaffen.

III. Möglichkeiten zur Umgestaltung des Geld-und Finanzsystems

In dieser historischen Zeitspanne müssen wir vor allem das Geld-und Finanzsystem sanieren. Ich bin überzeugt, daß wir heute und auch in Zukunft vor allem einen vollwertigen Rubel brauchen. Die Sanierung setzt ein System sich wechselseitig bedingender Maßnahmen voraus, die nicht nur den Markt schnellstmöglich ausgleichen und die Finanzen stabilisieren, sondern auch den gesamten Geldverkehr, Kredite und Finanzen des Landes, umgestalten. Beschränkt man sich nur auf kurzfristige (wenn auch radikale) Maßnahmen, wird sich die Situation nach einiger Zeit wiederholen. Der Marktausgleich ist die vordringlichste, wichtigste, allerdings nur die erste Maßnahme.

Die Geld-und Finanzreform muß auf zwei Grundprinzipien beruhen: Zunächst einmal muß die zentralgesteuerte Umverteilung der Geldressourcen, vor allem über den Staatshaushalt, in größtmöglichem Umfang reduziert und vorwiegend „horizontal“, d. h. über den Kreditmarkt, abgewickelt werden. Zum zweiten müssen die Ausgaben einzelner Personen, der Betriebe und des Staates ausschließlich durch ihre realen Ersparnisse und nicht durch Geldemission gedeckt werden.

1. Das Bankensystem

Kommerzbanken, die nach den Prinzipien der Rentabilitätsrechnung arbeiten, Betriebe und Privatpersonen bei Verrechnungen betreuen, freies Geld einbeziehen, Kredite gewähren und Operationen mit Wertpapieren ausführen, müssen in Zukunft die Grundeinheit des Kreditsystems darstellen. Die Kreditquellen müssen sich hauptsächlich aus freiwilligen Einlagen (Depositen) der Betriebe und der Bevölkerung in den Banken und nicht aus Haushaltsmitteln zusammensetzen. Die letztgenannten werden hauptsächlich dann zur Subventionierung von Bankkrediten verwendet, wenn staatliche Schwerpunktprojekte finanziert werden müssen. Investitionsbanken, die sich in ihrer Tätigkeit vornehmlich auf kommerzielle Depositenbanken und nur nötigenfalls auf Haushaltsmittel stützen, würden langfristige Kredite zu Investitionszwecken gewähren.

Die Kredit-und Finanzinstitute müssen miteinander um Einlagen und Kreditnehmer konkurrieren. Daher ist es kaum zweckmäßig, die Anzahl ähnlicher Banken (im Hinblick auf Finanzoperationen und Industriezweige) zu beschränken und die Finanz-und Kreditinstitutionen zur Spezialisierung zu nötigen. Das widerspricht dem weltweiten Trend nach universeller Banktätigkeit. Alle Kredit-und Finanzinstitutionen des Landes müssen unter gleichen Bedingungen funktionieren und durch die einheitlichen Finanz-und Kreditbestimmungen der Staatsbank der UdSSR geregelt werden. Die Staats-bank der UdSSR muß Geld emittieren, das Geld-und Kreditsystem (vor allem die Geldmenge, d. h. Bargeld und unterschiedlich befristete Einlagen) regeln sowie Devisenoperationen kontrollieren. Zu diesem Zweck muß die Staatsbank vom Ministerium für Finanzen der UdSSR getrennt werden. Die Zentralbank darf sogar nicht einmal dem Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR, sondern ausschließlich dem Obersten Sowjet der UdSSR unterstehen.

Die Staatsbank darf Banknoten nicht nach dem Kassenplan, sondern ausschließlich gegen Verpfändung von materiellen und Fondswerten — Waren-dokumente, Grundschuldbriefe für Immobilien, Wechsel, Aktien, Obligationen usw. — emittieren. In diesem Fall wird die Staatsbank vor allem die Geldmenge sowie ihre Zuwachsraten regeln und aufdiese Weise die Wirtschaft lenken. Unter diesen Bedingungen verwandelt sich die Kreditregelung in einen wichtigen Hebel der Wirtschaftspolitik, der effektiv die Grundparameter der Volkswirtschaft (Investitionsumfang, Verbrauchemachfrage, Devisenkurs usw.) beeinflussen kann.

In der heutigen Etappe ihrer Politik muß die Staats-bank die Kreditrestriktion, d. h. die Kreditbeschränkung, in den Vordergrund rücken, um den Nährboden der Inflation zu beseitigen. Nur in diesem Fall (aber sicherlich erst nach dem Einzug eines bedeutenden Teils der Geldmenge und in der Situation, in der das Warenangebot die Nachfrage übersteigt) wird es möglich und notwendig sein, auf eine Preisregelung für die meisten Waren und Dienstleistungen zu verzichten. Das betrifft auch die Löhne. Die Preise werden unter diesen Bedingungen die objektiven Kostenrelationen viel genauer und schneller widerspiegeln als dies eine beliebige Preis-reform und Verwaltungskontrolle der Preise und Löhne erreichen könnte.

2. Der Staatshaushalt

Unter den konkreten Bedingungen unseres Landes werden die Sachverhalte im Finanzbereich in vielerlei Hinsicht, wenn nicht hauptsächlich, durch die Haushaltspolitik bestimmt. In diesem Zusammenhang muß vor allem der Anteil des Haushalts am Nationaleinkommen wesentlich reduziert werden. In den vergangenen 20 Jahren stieg dieser Anteil stets an. 1970 wurden über den Haushalt 54 Prozent, 1980 64 Prozent, 1985 67 Prozent und 1989 76 Prozent umverteilt. Somit entwickeln sich die realen Wirtschaftsprozesse ungeachtet der Diskussionen über die Wirtschaftsreform, Rentabilitätsrechnung, Unabhängigkeit der Betriebe usw. in Richtung zunehmender Zentralisierung. In dieser Situation ist die ökonomische Unabhängigkeit der Betriebe eine Täuschung. Zugleich kann die Inflation beim heutigen Anteil des Haushalts am Nationaleinkommen, seiner Einnahmen-und Ausgaben-struktur, der vorherrschenden Finanzierung aus dem Haushalt und den Methoden zur Deckung des Haushaltsdefizits unmöglich bekämpft werden.

Um die Lage zu verbessern, muß man — sowohl einmalig als auch langfristig — den Umfang zentralisierter Investitionen gravierend reduzieren. Die Finanzierung von Investitionen aus dem Staatshaushalt muß eine Ausnahme bleiben. In der Regel sollen sie vorwiegend aus den Mitteln der Betriebe (Eigenmittel und Anleihen) und der örtlichen Machtorgane finanziert werden. Die Handhabung der Subventionen (21 Prozent aller Haushaltsausgaben) muß wesentlich verändert werden. Neben der Reduzierung der Subventionsmittel (das ist möglich, wenn unrentable Industrie-und Agrarbetriebe verpachtet, aufgelöst oder beseitigt sowie die Preisverhältnisse verändert werden) muß man das eigentliche Subventionsprinzip revidieren und nicht Produzenten, sondern hauptsächlich Verbraucher damit unterstützen.

Aus dem Staatshaushalt darf man nur die gesamtstaatlichen Aufgaben (Verteidigung, Außenpolitik usw.) und Programme (Infrastruktur, Bildungsund Gesundheitswesen, einige Zuwendungen und Subventionen) sowie die Errichtung einiger für das gesamte Land wichtiger großer Industrieobjekte finanzieren. Man könnte jetzt die Ausgaben des Staatshaushalts vor allem durch eine gravierende Kürzung der Investitionen in Projekte, die sich nur nach langer Zeit rentieren (keinerlei „Großprojekte“ zumindest in den nächsten fünf bis zehn Jahren). ferner durch eine weitere Reduzierung der Mittel für die Verteidigung und internationale Verpflichtungen, die Reduzierung des Staatsapparats und durch Verzicht auf künstliche staatliche Unterstützung verlustbringender Betriebe vermindern. Unter den heutigen inflationsgeprägten Bedingungen muß man auch die Investitionen der Betriebe durch höhere Kreditzinsen beschränken.

Die Kürzung der Haushaltsausgaben wird zugleich auch eine Verringerung der Einnahmen des Haushalts verursachen. Dem kann entgegengewirkt werden, indem man sich einer neuartigen Mobilisierung der Einnahmen bedient, nämlich der progressiven Besteuerung der Gewinne und individuellen Einkommen. Indirekte Steuern werden eine zweitrangige Rolle spielen. Sie gestatten, auch die Preise auszugleichen, die bei uns durch Umverteilungsfunktionen belastet sind und somit die realen Kostenverhältnisse nicht widerspiegeln. In diesem Fall wird man eine Grenznorm zur Gesamtbesteuerung der Gewinne der Betriebe (örtliche, republikanische und Unionssteuem) im Maßstab des ganzen Landes, unabhängig vom Tätigkeitsbereich und — was besonders wichtig ist — von Eigentumsformen einführen. Die Besteuerung der Kooperativen nicht nach dem Gewinn, sondern nach dem Einkommen verwandelt alle Ausführungen über die Gleichschaltung verschiedener Eigentumsformen in eine unverhohlene Heuchelei.

In den Industriestaaten liegen die Gesamtsteuem der Betriebe in der Regel nicht über 50 Prozent (in der UdSSR sind es 70 Prozent). Bei höherer Besteuerung vermindert sich drastisch das Interesse des Produzenten. Bei uns darf die Unionssteuer 25 bis 30 Prozent nicht übersteigen, wobei alle Abschreibungen bei den Betrieben bleiben. Der Rest wird an die republikanischen und örtlichen Haushalte abgeführt. Den Kem des Einnahmenanteils am Haushalt bildet die Umsatzsteuer. Wir werden ein normales Preissystem und normale, d. h. die wirtschaftlichen Realitäten nicht entstellende Preis-relationen nur dann haben, wenn wir einerseits den Großteil der Subventionen für Lebensmittel, Wohnraum, Verkehrsmittel, Kommunalleistungen und andererseits die Umsatzsteuer für Industriewaren aufheben. In Zukunft wäre es zweckmäßig, auf die Umsatzsteuer überhaupt zu verzichten und eine Kostensteuer, z. B. Verkaufssteuer, einzuführen. Diese Steuer sollte wesentlich unter der Umsatzsteuer (acht bis zehn Prozent) liegen und nicht in den Preis aufgenommen werden, was für reale Haushaltseinnahmen eine entscheidende Rolle spielt. Nach der Aufhebung der Umsatzsteuer muß man Verbrauchssteuern für Spirituosen, Tabakwaren, Benzin usw. einführen. Man könnte die aufgehobene Umsatzsteuer teilweise auch durch andere Maßnahmen ausgleichen.

Das persönliche Einkommen sollte als Besteuerungsgrundlage nur in dem Fall eine größere Rolle spielen, in dem sich der Anteil des Lohnfonds am Nationaleinkommen vergrößern wird. In den Industriestaaten liegt heute dieser Anteil bei 60 bis 80 Prozent, in der Sowjetunion bei 37 Prozent. Die Gewinne und persönlichen Einkommen müssen auf gleicher Grundlage unabhängig von Eigentumsformen.der Tätigkeit und der Einkommensquelle besteuert werden. Die Besteuerungsbedingungen müssen für staatliche, kooperative, individuelle und Pachtbetriebe gleich sein. Parallel dazu könnten verschiedene Steuervergünstigungen die Wirtschaftspolitik effektivieren.

Gesetzgeberisch muß man auch die Möglichkeit einschränken, das Haushaltsdefizit durch Kredit-ressourcen der Staatsbank, d. h. durch Emissionen, zu decken. Das Haushaltsdefizit selbst stellt noch kein Mißverhältnis in der Wirtschaft dar, darf jedoch nicht durch Emissionen, sondern muß durch reale Ersparnisse, d. h. durch Verkauf staatlicher Wertpapiere an die Bevölkerung, an Betriebe und Banken, die der Staat frei verkaufen und kaufen soll, auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden. An die Stelle der zwangsweisen Umverteilung tritt der freie Verkauf. Die bestehende inländische Staats-schuld (etwa 400 Mrd. Rubel) muß in unterschiedlich befristete und verzinste Wertpapiere überführt werden.

3. Der Devisenbereich

Devisenmaßnahmen spielen eine bedeutende Rolle bei der Gesundung der Wirtschaft und der Entwicklung eines vollwertigen Kredit-und Geldsystems. Zu den vordringlichen Sanierungsmaßnahmen gehören vor allem:

— zielgerichtete Förderung des Exports nicht nur von Hightech-Erzeugnissen, sondern vor allem von arbeits-und materialaufwendigen Waren, bei denen wir einen Preisvorteil (vor allem durch billige Arbeitskräfte) erzielen. Mit Rücksicht darauf, daß diese Erzeugnisse im Unterschied zu Rohstoffen nicht massenweise geliefert werden können und sehr vielfältig sind, muß der Staat den Unternehmen bei den Exportgeschäften eine größtmögliche Unabhängigkeit gewähren. Die bürokratische Lizenzierung (d. h. vor allem Ausfuhrverbot) muß soweit wie möglich beschränkt werden;

— sorgfältige Umstrukturierung unserer Importe, um den Ankauf von Getreide, einigen Ausrüstungs-, Rohstoff-und Werkstoffarten zu vermindern und statt dessen Devisen für den Erwerb von Konsumgütem, Arzneimitteln und effizienter Industrietechnik bereitzustellen. Auch die vorsichtigsten Berechnungen beweisen, daß der Konsumgüterimport bei bestehenden sowjetischen Preisen im Vergleich z. B. zum Getreideimport dem Staatshaushalt einen um das zwanzigfache größeren Nutzen sichert;

— zusätzliche Lieferungen (über den Durchschnitt-stand hinaus) nicht lediglich unserer Agrarbetriebe, sondern auch der Brenn-und Mineralstoffproduzenten müssen in Devisen, jedoch wesentlich unter den Weltpreisen verrechnet werden, wobei die Produzenten die erwirtschafteten Devisen nach eigenem Ermessen verbrauchen dürfen;

— die Unterstützung der mit uns freundschaftlich verbundenen Länder muß mit unseren realen Möglichkeiten und Interessen abgestimmt werden. Die künstliche Finanzierung dieser Staaten durch Ex-und Importpreise muß eingestellt werden;

— Verminderung der Devisenabführungen vom Erlös unserer Exporteure an den Staat und Einführung einer für alle Wirtschaftszweige und Tätigkeitsbereiche einheitlichen Abführungsquote; vollständige Befreiung von Devisenabführungen in Einzelfällen (für besonders aussichtsreiche Export-betriebe); unbegrenzte Berechtigung der Devisen-besitzer, die Gewinne in ausländischer Währung nach eigenem Ermessen zu verbrauchen;

— Beseitigung des Monopolrechtes der Vnesheconombank der UdSSR auf internationale Verrechnungen und Kreditoperationen;

— freier Umtausch des Bargeldes der Ausländer (mit Ausnahme der kaufmännischen Zahlungen) gegen sowjetische Rubel nach dem Weltkurs. Dadurch wird der „Schwarzmarkt“ beträchtlich reduziert. wobei die Valutaerlöse dem Staat zufließen werden; das wird auch ein Schritt zu einem realen Rubelkurs und zu seiner künftigen Konvertierbarkeit sein;

— vollständige Liberalisierung der Devisenkonten der sowjetischen Bürger, freie Einzahlung und Abhebung von Devisen; Verzinsung dieser Konten in Devisen oder Rubeln nach einem freien Kurs;

— Einräumung denkbar günstiger Bedingungen für die Deviseneinbeziehung in Organisationsformen, die die Verschuldung nicht vergrößern (vor allem Joint Ventures und direkte ausländische Privatinvestitionen); -Ausreiseerlaubnis für sowjetische Bürger, die ein befristetes Arbeitsverhältnis im Ausland eingehen wollen;

-in dem Maße, wie der Bedarf an Importkonsumgütern durch Importrationalisierungen, Kürzungen unserer internationalen Verpflichtungen, Einbeziehung von Devisen der Ausländer und sowjetischen Bürger sowie durch Anleihen, die durch unsere Goldbestände gesichert sind, nicht gedeckt werden kann, muß man sich um neue ausländische Kredite zu annehmbaren Bedingungen bemühen.

Neben den außerordentlichen Maßnahmen muß man auch umfassende langfristige Maßnahmen, die einen schrittweisen Übergang zur Konvertierbarkeit des Rubels und zu einer vollwertigen Einschaltung der Sowjetunion ins internationale Währungssystem erleichtern, treffen. Solche Maßnahmen müssen vorsehen:

— Einführung eines ökonomisch begründeten und einheitlichen Rubelkurses, durch den der Rubel zunächst wesentlich entwertet wird; im weiteren Verlauf muß der Kurs der sowjetischen Währung unter Berücksichtigung der relativen Preissteigerungen, der Preisstruktur und der Zahlungsbilanz regelmäßig korrigiert werden;

— Erweiterung des Großhandels mit Investitionsgütern und dadurch der Rechte der sowjetischen und ausländischen Rubelbesitzer, die sowjetische Währung nach eigenem Ermessen zu verbrauchen;

— Erarbeitung und Durchführung von Maßnahmen zur Einführung der gegenseitigen Konvertierbarkeit der Währungen der RGW-Mitgliedstaaten; Verwendung harter Währungen als Wertnorm und Verrechnungsmittel bei den meisten gegenseitigen Geschäften (als erste Etappe);

— Bildung eines durch die Staatsbank regulierbaren Devisenmarktes in der UdSSR. Es wäre zweckmäßig, mit Rücksicht auf die Erfahrungen aus den Jahren 1922 bis 1924 bereits demnächst eine zweite Rubel-Währung („Tscherwonez“), parallel zur ersten und durch unsere Goldbestände sowie durch internationale Kredite gesichert, einzuführen. In der ersten Etappe könnte man mit „Tscherwonez“ der Bevölkerung und den Betrieben das überschüssige Geld nach einem Markt-bzw. Versteigerungspreis abkaufen und vernichten; in dem Maße, wie die erste fieberhafte Nachfrage nach „Tscherwonzen“ abflaut, wird ihr Preis auf einen mehr oder weniger natürlichen Stand sinken; zudem könnte der „Tscherwonez“ zur Haupteinheit des Geldverkehrs und der Verrechnung in vorgesehenen freien Wirtschaftszonen und vielleicht auch in freien Zweigen werden. Im Ergebnis könnte „gutes Geld“, d. h. Tscherwonez, ebenso wie in den zwanziger Jahren „schlechtes Geld“ verdrängen. Das Aufsteigen des heutigen Rubels zu einer vollwertigen, konvertierbaren Geldeinheit ist ein langer Prozeß, der Jahrzehnte erfordern kann.

Neben den Maßnahmen zum schrittweisen Über-gang zu einem konvertierbaren Rubel muß man auch eine enge Zusammenarbeit mit Weltwirtschaftsorganisationen wie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der International Bank for Reconstruction and Development (IBRD) sowie eine Mitgliedschaft in diesen Organisationen anstreben. Mit Rücksicht auf die besondere Rolle des Internationalen Währungsfonds, der heute zunehmend die Wirtschaftspolitik verschiedener Staaten koordiniert, braucht man eine entsprechende sowjetische Institution, die ständige Kontakte mit ihm unterhalten und später auch intensiv in ihm mitwirken könnte. Diese Institution könnte auch mit der „Gruppe der Sieben“, den OECD-Ausschüssen und anderen ähnlichen internationalen Organisationen Kontakt aufnehmen. Ich möchte unterstreichen, daß eine effektive Arbeit im Geld-und Finanzbereich nur mit Hilfe umfassender und glaubwürdiger Statistiken, darunter über die Geldmenge, die Passiva der Staatsbank der UdSSR, die Gold-und Devisenbestände, die Handels-und Zahlungsbilanz, die internationalen Kredite und Investitionen, die in-und ausländische Schulden usw. betrieben werden kann.

Soweit meiner Ansicht nach die wichtigsten Bedingungen zur Sanierung der Finanzen und zur Etablierung eines Geldsystems, das der heutigen Etappe der ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklung des Landes entspricht. Wenn diese Maßnahmen unterbleiben, werden wir in nächster Zukunft eine Finanzkrise nicht vermeiden können. Die Durchführung dieser Maßnahmen kann den Geld-und Finanzbereich in ein wirksames Instrumentarium zur Umgestaltung der sowjetischen Wirtschaft, die durch Konkurrenzfähigkeit. Effizienz und Übereinstimmung mit den Anforderungen der Weltwirtschaft gekennzeichnet sein soll, verwandeln. Der Rubel wird dann endlich wirklich kaufkräftig sein.

Fussnoten

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Nikolai Schmeljow, geb. 1936 in Moskau; Doktor der Ökonomie, Professor; wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Wirtschaftswissenschaften, im Institut für die Ökonomie des sozialistischen Weltsystems sowie Lektor des ZK der KPdSU; von 1983 bis heute zuerst Sektorenleiter, dann Abteilungsleiterim Institut für die USA und Kanada der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Veröffentlichungen u. a.: Die Strategie der Entwicklung und die Probleme der Perestroika in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 1980; Die Probleme der gesamteuropäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, 1982; Die USA in der kapitalistischen Weltwirtschaft, 1986.