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Namibia: Wirtschaftspotential und Entwicklungsperspektiven | APuZ 8/1990 | bpb.de

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APuZ 8/1990 Namibia: Wirtschaftspotential und Entwicklungsperspektiven Die SWAPO als Regierungspartei Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Namibia-Konflikt Südafrika nach der Unabhängigkeit Namibias: Durchbruch zu Verhandlungen?

Namibia: Wirtschaftspotential und Entwicklungsperspektiven

Peter P. Waller

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das unabhängige Namibia soll zu einem Schwerpunkt der bundesdeutschen Entwicklungszusammenarbeit werden, so beschlossen es alle vier im Bundestag vertretenen Fraktionen. Ist diese Hilfe für das an Bevölkerung kleine (1. 4 Mio. Einw.) und mit Ressourcen gut ausgestattete, im afrikanischen Vergleich „reiche“ Land (Pro-Kopf-Einkommen 1 200 US-Dollar) überhaupt nötig? Die künftige Regierungspartei SWAPO hat ein Konzept ausgearbeitet, das vorsieht, aus den produktiven Sektoren wie Bergbau und Fischerei die Mittel abzuziehen, die erforderlich sind, um die bisher vernachlässigten Bereiche, insbesondere die Landwirtschaft, das Bildungs-und das Gesundheitswesen in den peripheren Gebieten, in denen die große Mehrheit der Bevölkerung lebt, zu fördern. Eine genaue Analyse des Potentials der produktiven Sektoren ergibt, daß hier Entwicklungsmöglichkeiten bestehen und auch zusätzliche Mittel zur Konsolidierung des Staatshaushalts abgeschöpft werden können. Die notwendige Hebung des Lebensstandards der Mehrheit der Bevölkerung kann Namibia jedoch zumindest mittelfristig nicht mit eigenen finanziellen und personellen Mitteln bewirken, es wird auf umfangreiche Hilfe von außen angewiesen sein. Hier kommt der Bundesrepublik als dem Land mit der stärksten historischen Beziehung zu Namibia eine zentrale Rolle zu, die es nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, durch eine den Bedürfnissen des Landes angemessene Mischung von Hilfe für den Privatsektor, die Nichtregierungsorganisationen und den Staat, zu erfüllen gilt.

Zum „Schwerpunkt“ und „Modellfall" ihrer Entwicklungszusammenarbeit will die Bundesregierung ein unabhängiges Namibia machen. Nach dem erfolgreichen Abschluß der Wahlen im November 1989 und der Konstituierung der Verfassunggebenden Versammlung ist mit der baldigen Unabhängigkeit des Landes und danach mit Regierungsverhandlungen über Entwicklungszusammenarbeit zu rechnen. Die Bundesregierung ist für diese Verhandlungen gut gerüstet: Ein Rahmenbetrag von 100 Millionen DM ist für 1990 bereits vorgesehen, und ein umfangreiches Gutachten zu den Strukturen, Problemen und Potentialen der wirtschaftlichen Entwicklung Namibias, erarbeitet von 14 Experten aus vier wissenschaftlichen Instituten, liegt vor

Die Begründung für die geplante intensive Zusammenarbeit mit Namibia ist eine politische: Geschichte verpflichtet. So haben in seltener Einigkeit alle vier im Bundestag vertretenen Fraktionen für eine hohe Entwicklungshilfe votiert. Während die Koalitionsparteien auf die Verantwortung als ehemalige Kolonialmacht und die beachtliche deutsche Minderheit (etwa 25 000 Menschen) hinwiesen, betonte die SPD die Signalwirkung Namibias für das Apartheidregime in Südafrika, und die GRÜNEN sprachen von der Pflicht zur Wiedergutmachung für die Greueltaten der deutschen Kolonial-herren. Wie aber stellt sich die Notwendigkeit, Namibia zu helfen, aus entwicklungspolitischer Sicht dar? Sollte eines der an Bevölkerung kleinsten (1, 4 Millionen Einwohner) und mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 1 200 US-Dollar „reichsten“ Länder Afrikas überhaupt Entwicklungshilfe bekommen? Oder trifft die Behauptung Südafrikas zu, daß Namibia gar kein lebensfähiger Staat sei und sich nur dank der südafrikanischen Zuschüsse zum Staatshaushalt (im letzten Jahr 308 Mio. Rand, ca. 231 Mio. DM) über Wasser halten konnte? Tatsächlich ist die Beurteilung des Wirtschaftspotentials und der Entwicklungsperspektiven des Landes immer noch sehr kontrovers, andererseits aber ganz entscheidend für den Umfang und den Inhalt der künftigen Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land.

I. Namibia: günstige Ressourcen, extreme Ungleichheit

Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt (BIP) Namibias nach Sektoren (konst. Preise von 1980) Quelle: A. J. Halbach, Grundlagenstudie Namibia, Bd. 14, (Anm. 1), S. 3; 1 Rand entspricht ca. 0, 70 DM (1988).

Die wichtigsten natürlichen Ressourcen des Landes sind seine vielfältigen Bodenschätze, die es zum viertgrößten Mineralienproduzenten Afrikas machen. Die wichtigsten Exportprodukte sind Dia-manten, die schon in der deutschen Kolonialzeit abgebaut wurden, Uran sowie eine Reihe von Buntmetallen wie Kupfer, Blei und Zink, um nur die wichtigsten zu nennen. Vor der südlichen Küste des Landes wurden umfangreiche Erdgaslager entdeckt, deren wirtschaftliche Erschließung allerdings noch nicht gesichert ist. Der Anteil des Bergbaus am Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug 1988 etwa 34 Prozent und der Anteil an den Exporten sogar 73 Prozent; auf Grund der hohen Kapitalintensität dieses Sektors betrug sein Anteil an den Erwerbstätigen allerdings nur drei Prozent. Die Landwirtschaft Namibias bietet zwar mit Abstand den meisten Menschen Beschäftigung (61 Prozent der Erwerbstätigen), ihr Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt ist jedoch mit 10, 3 Prozent (einschließlich Fischerei) relativ gering. Sie ist gekennzeichnet durch eine extreme Ungleichheit zwischen dem überwiegend von Weißen geführten Großbetriebssektor (Rinder-und Schaffarmen) im südlichen und zentralen Hochland und dem afrikanischen traditionellen, kleinbäuerlichen Sektor, vor allem im nördlichen Teil des Landes. Die Landwirtschaft Namibias wird auf einer äußerst empfindlichen Ressourcengrundlage mit vorwiegend halb-trockenen bis trockenen Boden-Klima-Bedingungen betrieben, nur etwa die Hälfte der Landfläche ist überhaupt landwirtschaftlich nutzbar. Während einerseits über 80 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion in Form von Rind-und Schaffleisch sowie Karakulfellen exportiert wird, müssen andererseits über 90 Prozent der pflanzlichen Nahrungsmittel (Getreide, Obst, Gemüse) eingeführt werden. Hier gilt — wie auch in anderen Bereichen — der typische Satz: „Namibia produziert, was es nicht verbraucht, und es verbraucht, was es nicht produziert.“

Die dritte wichtige natürliche Ressource Namibias ist der Fischfang. Die Küstengewässer des Landes sind für ihren ungewöhnlichen Fischreichtum bekannt, doch hat die bisher ungeklärte völkerrechtliche Situation des Landes die Einführung einer 200-Seemeilen-Wirtschaftszone verhindert, was zu einer exzessiven Nutzung durch Südafrika und durch internationale Fernfischereiflotten führte. Die Gesamtfänge lagen in den sechziger Jahren zeitweise über 2 Mio. Tonnen pro Jahr und gingen durch Überfischung auf derzeit ca. 1, 2 Mio. Tonnen zurück, wobei der Anteil Namibias relativ gering blieb.

Zwei weitere für die Beurteilung des Wirtschaftspotentials wichtige Sektoren sind die verarbeitende Industrie und der Tourismus. Die begrenzten Möglichkeiten der Industrie spiegeln sich in dem selbst für afrikanische Länder geringen Beitrag dieses Sektors von nur rund vier Prozent zum BIP wider (vgl. Tabelle 1). Hauptgründe sind der kleine Binnenmarkt und die Konkurrenz durch die schon stark ausgebauten Industrie Südafrikas. Der Tourismus dagegen hat sich in den letzten Jahren sehr günstig entwickelt. Von den rund 70 000 Touristen kamen rund zwei Drittel aus Südafrika, innerhalb des restlichen Drittels lagen die etwa 20 000 deutschsprachigen Touristen mit Abstand an der Spitze. Es handelt sich dabei nicht um Billigtourismus, sondern um anspruchsvolle Individual-und Gruppenreisende, die vor allem grandiose, unberührte Naturlandschaften, eine vielfach außergewöhnliche Flora und eine abwechslungsreiche Tierwelt (z. B. Naturpark Etoscha-Pfanne) beeindrukken.

Der positive Aspekt einer sehr günstigen, diversifizierten Ressourcenbasis wird durch den negativen Aspekt einer extremen Ungleichheit der Lebensbedingungen der Bevölkerungsgruppen und damit auch der räumlichen Struktur des Landes relativiert. Ähnlich wie in Südafrika ist das Staatsgebiet in genau abgegrenzte Bevölkerungsregionen gegliedert. Dem hochentwickelten, mit einer ausgezeich4 neten Infrastruktur versehenen und von der weißen Minderheit beherrschten zentralen und südlichen Teil des Landes stehen die peripheren Regionen des Nordens gegenüber, in denen die Mehrheit der Bevölkerung lebt, deren Lebensstandard jedoch nicht besser als in den ärmsten Ländern Afrikas ist. Hier sind massive Verbesserungen im Bildungs-und Gesundheitssektor, die Förderung der Landwirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen im kleingewerblichen Sektor für die schnell wachsende Bevölkerung dringend erforderlich. Wie aber soll der Ausgleich zwischen den beiden Namibias bewerkstelligt werden, wie kann der periphere Teil des Landes entwickelt werden, ohne daß die Wirtschaft im zentralen Teil zusammenbricht?

Da es in Namibia noch keine Regierung gibt, sollen hierzu die Vorstellungen der SWAPO (South West African People’s Organization) dargestellt werden — der Partei, die bei den ersten freien Wahlen des Landes Anfang November 1989 mit 57 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit erhielt und somit in jedem Fall — alleine oder mit anderen Parteien — die Regierung stellen wird

II. Die Vorstellungen der SWAPO zur Entwicklung des Landes

Tabelle 2: Staatshaushalt 1989/90 in Mio. Rand Quelle: W. Leibfritz, Sektorstudie öffentliche Finanzen, Bd. 2 der Grundlagenstudie Namibia (Anm. 1).

Die zentrale Aussage der SWAPO zum Wirtschaftssystem lautet, daß sie ihren Glauben an die „moralische“ Überlegenheit des Sozialismus in Form von gemeinschaftlichem Eigentum und der Kontrolle der Wirtschaft nicht „versteckt“, aber realistisch genug denke, um für die nächste Zukunft eine gemischte Ökonomie mit staatlichen, genossenschaftlichen, privaten und joint-venture-Anteilen anzustreben. Pauschale Enteignungen seien nicht vorgesehen. Dieses pragmatische Grundmodell entspricht etwa dem von Simbabwe, das ja damit seit der Unabhängigkeit sehr erfolgreich gewesen ist.

Da die SWAPO aber das gegenwärtige, extrem ungerechte Verteilungssystem nicht akzeptieren kann, ist eine Zunahme der staatlichen Interventionen in der Wirtschaft unvermeidlich. Die Grundstrategie ist dabei, mit den finanziellen Mitteln, die aus dem Bergbau (und der Fischerei) abgeschöpft werden, andere Sektoren, insbesondere die Landwirtschaft, zu entwickeln.

Die notwendigen zusätzlichen Finanzmittel sollen durch Neuverhandlungen im Bergbau in Angleichung an andere afrikanische Länder (z. B. die Regelungen in dem vergleichbaren Nachbarland Botswana) und durch die volle Ausnutzung der Souveränität über die 200-Meilen-Fischereizone aufgebracht werden. Die am stärksten emotional belastete Frage des Landbesitzes wird sehr vorsichtig behandelt. Eine pauschale Enteignung ist nicht vorgesehen, doch sollen Besitzer mehrerer Farmen und Eigentümer, die ihr Land nicht selbst bewirtschaften, gegen Entschädigung ihr Land abgeben müssen. Da damit das Problem der Landzuteilung an die schwarze Bevölkerungsmehrheit nicht annähernd gelöst werden kann, soll eine Ausweitung und Intensivierung der landwirtschaftlichen Flächen im Norden des Landes im Vordergrund stehen. Damit soll es auch möglich werden, genügend Nahrungsmittel zur Versorgung des Landes zu produzieren, um von den Importen aus Südafrika unabhängig zu werden.

Ein weiterer Entwicklungsschwerpunkt soll die verarbeitende Industrie sein, um den Export bisher unbearbeiteter Mineralien und landwirtschaftlicher Erzeugnisse durch verarbeitete Produkte zu ersetzen und somit Arbeitsplätze zu schaffen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit Namibias von Südafrika wird als ein zentrales Problem angesehen, doch ist die SWAPO optimistisch in bezug auf die Möglichkeiten zum Abbau der Importe und Exporte aus und nach Südafrika. Hier werden der Beitritt zur Southern African Development Coordination Conference (SADCC) sowie der Zugang zum europäischen Markt über das Lom-Abkommen als Hilfen genannt. Die Zugehörigkeit zur SACU, der Zollunion mit Südafrika, Botswana, Lesotho und Swasiland wird eher negativ bewertet, es wird aber keine eindeutige Absicht zum Austritt erklärt. Dagegen wird die Absicht bekundet, dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank beizutreten, obwohl deren harte Auflagenpolitik beklagt wird.

Insgesamt ist dieses Programm sicher nicht weit entfernt von den Vorstellungen liberaler Wirtschaftsexperten. und die multinationalen Konzerne sowie die mulitlateralen Institutionen wie IWF und Welt-5 bank dürften keine wesentlichen Ansatzpunkte für Kritik haben. Von der zweitstärksten Partei des Landes, der DTA (Demokratische Turnhallen-Allianz), dürfte gegen dieses Programm ebenfalls kein Widerstand kommen, da diese auch von einem bedeutenden Entwicklungspotential Namibias ausgeht, dessen Nutzung sie allerdings weit stärker als die SWAPO den freien Marktkräften, insbesondere ausländischen Investoren, überlassen will. Andererseits erkennt aber auch die DTA die Verantwortung des Staates für einen sozialen Ausgleich durchaus an, so daß sich eher ein gradueller als ein grundsätzlicher Unterschied zur Strategie der SWAPO ergibt

Die größten Schwierigkeiten könnte die SWAPO mit den eigenen Anhängern bekommen, die große Erwartungen in die Übernahme der Macht setzen und umfangreichere Enteignungen „weißer“ Farmen und direkte Verbesserungen ihres Lebensstandards auf Kosten der privilegierten weißen Minderheit fordern werden. Insbesondere die Gewerkschaften, die zum radikalen Flügel der SWAPO gerechnet werden und noch sehr ideologisch orientiert sind, dürften Forderungen in dieser Richtung geltend machen.

Die entscheidende Frage für die Beurteilung der Chancen einer Umsetzung der skizzierten Strategie ist, ob die Gesamteinschätzung der Situation sowohl durch die SWAPO als auch durch die DTA nicht viel zu optimistisch ist, insbesondere was die Abschöpfung von finanziellen Ressourcen aus Bergbau und Fischerei und was den Abbau der Abhängigkeit von Südafrika, insbesondere in bezug auf Walvis Bay, anbelangt.

III. Möglichkeiten und Grenzen der Realisierung des Entwicklungspotentials

Tabelle 3: Struktur und Entwicklung des Außenhandels (1980-1988) Quelle: A. J. Halbach, Sektorstudie Außenwirtschaft. Bd. 1 der Grundlagenstudie Namibia (Anm. 1).

Zunächst muß erstaunen, daß eine Befreiungsbewegung wie die SWAPO, die einen erbitterten Guerilla-Krieg gegen die „weiße“ Besatzungsmacht Südafrika geführt hat. in bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung so moderate Vorstellungen entwickelt; oder sind diese Bekundungen nur ein Täuschungsmanöver gegenüber den Wählern, um nach der Machtübernahme sich um so brutaler auf den Besitz der Weißen zu stürzen?

In der Tat spricht alles dafür, daß es sich hier nicht um ein Täuschungsmanöver handelt, weil der wirtschaftliche Handlungsspielraum jeder zukünftigen Regierung Namibias äußerst begrenzt ist. Ähnlich wie in Simbabwe wird die schwarze Mehrheit der Bevölkerung zwar die politische Macht übernehmen, die Vorherrschaft der Weißen in der modernen Wirtschaft jedoch auf absehbare Zeit nicht antasten können. Ohne das Verbleiben der weißen Führungs-und Fachkräfte im Lande wäre das Modell der optimalen Nutzung der Ressourcen im modernen Sektor zur beschleunigten Entwicklung der bisher vernachlässigten peripheren Gebiete zugunsten der großen Mehrheit der Bevölkerung nicht realisierbar. Die katastrophalen Folgen des Exodus der weißen Bevölkerung in Angola und Mosambik sind der SWAPO-Führung während ihrer Exilzeit in Angola deutlich vorgeführt worden. Es kann kein Zweifel bestehen, daß nicht nur umfangreiche Enteignungen im Bergbausektor und in der LandWirtschaft, sondern auch ein fühlbares Absinken des Lebensstandards der weißen Bevölkerung zu einer massenhaften Abwanderung nach Südafrika und in die Bundesrepublik — was die etwa 25 000 deutschstämmigen Namibier betrifft — führen würde.

Selbst wenn es gelingt, die SWAPO-Strategie politisch umzusetzen, bleibt die entscheidende Frage, ob die Ressourcen des Landes tatsächlich ausreichen, um die enormen Ausgaben zur Verbesserung des Lebensstandards der Mehrheit der Bevölkerung finanzieren zu können. Ausgangspunkt kann hierbei die Analyse des Staatshaushaltes sein, von dem nicht wenige behaupten, daß er nach Abzug der Südafrikaner vor dem Zusammenbruch stehe. Tatsächlich konnte der Staatshaushalt in den vergangenen Jahren nur durch einen Budgetzuschuß Südafrikas in Höhe von 300— 400 Mio. Rand ausgeglichen werden. Dieser Zuschuß wurde im laufenden Haushalt auf 80 Mio. Rand verringert und wird nach der Unabhängigkeit ganz entfallen. Der Übergangsregierung ist es nun gelungen, duch Kürzung investiver und laufender Ausgaben bei gleichzeitig günstiger Einnahmeentwicklung die Finanzierungslücke auf 134 Mio. Rand zu reduzieren (vgl. Tabelle 2).

Mittelfristige Prognosen lassen erkennen, daß eine Haushaltsgestaltung mit vertretbaren Finanzierungslücken über den Ausbau und die effizientere Besteuerung produktiver Ressourcen sowie über Einsparungen bei den Ausgaben zu erreichen ist. Wie ein Blick auf Tabelle 2 zeigt, sind die Minengesellschaften die wichtigsten Steuerzahler, hier wie im Bereich der Fischerei werden noch erhebliche Reserven für zusätzliche Einnahmen gesehen. Auf der Ausgabenseite werden Möglichkeiten zu Einsparungen bei dem größten Posten, dem Zuschuß für die zweite Verwaltungsebene, gesehen, wenn nach Erlangung der Unabhängigkeit eine Vereinheitlichung des teilweise sehr ineffizienten Verwaltungsapparats durchgeführt wird. Darüber hinaus werden nach Beendigung des Krieges auch die Ausgaben für Polizei und Verteidigung weiter gesenkt werden können. Diesen Einsparungen auf der Ausgabenseite werden jedoch zusätzliche Ausgaben für die Integration von Exilanten in den Staatsapparat gegenüberstehen, so daß eine nachhaltige Konsolidierung des Staatshaushaltes nur über eine Steigerung der Steuereinnahmen aus den produktiven Sektoren möglich sein wird.

An erster Stelle ist dabei an den Bergbau zu denken, der 1988 mit direkten und indirekten Steuer-zahlungen von 302 Mio. Rand einen Anteil von 26 Prozent am gesamten Steueraufkommen des Landes erreichte. Während die tarifliche Steuerbelastung dieses Sektors 42 Prozent beträgt, erreichte die effektive Steuerbelastung vor allem auf Grund besonders günstiger Abschreibungsmöglichkeiten im Durchschnitt der Jahre 1970— 1987 nur rund 31 Prozent. Hätte die effektive Belastungsquote des Bergbausektors beispielsweise bei 40 Prozent gelegen — also immer noch deutlich unter der tariflichen Belastung —, hätte der Staat über durchschnittlich acht Prozent höhere Steuereinnahmen verfügen können. Nicht berücksichtigt sind hierbei die Möglichkeiten, die multilaterale Unternehmen über die Gestaltung von Verrechnungspreisen (Transfer Pricing) besitzen, um Gewinne und damit Steuern zu verringern. Ihre Einschränkung erfordert jedoch eine sehr effiziente Steuerverwaltung.

Wichtig für die Beurteilung des Finanzierungspotentials des Bergbausektors ist die Tatsache, daß die Produktion in den vergangenen Jahren in ihrem Gesamtvolumen ständig abgenommen hat, was zum Teil auf die Erschöpfung abbauwürdiger Lagerstätten (Diamanten) und auf Einflüsse des Weltmarktes (Uran) zurückzuführen ist. Der Diamantengesellschaft CDM (Consolidated Diamond Mines), die zum weltweit führenden De Beers-Kon-zem gehört, wird der Vorwurf eines exzessiven Abbaus in der Vergangenheit gemacht. Tatsächlich hat sich die Produktion von rund zwei Mio. Karat 1977 auf rund eine Mio. Karat halbiert. Sie wird sich jedoch auf diesem Niveau noch zehn bis 15 Jahre halten lassen, allerdings bei erhöhten Kosten durch stetige Zunahme der zu bewegenden Abraum-Massen und einer weiteren Dezentralisierung des Abbaus. Die Produktion von Uranoxid in Namibia wird gegenwärtig noch durch die seitens der UNO gegenüber Südafrika verhängten Handelssanktionen beschränkt, doch wird dieses Hindernis mit der Unabhängigkeit Namibias wegfallen. Die Weltmarktpreise für Uran sind in der Vergangenheit stark zurückgegangen, doch scheint sich in neuester Zeit durch den Abbau der Lagerhaltung die Tendenz wieder zu verbessern. Die Reserven reichen bei voller Kapazitätsauslastung noch für über 20 Jahre, weitere Vorkommen in räumlicher Nähe zur Rössing-Mine sind sehr wahrscheinlich.

Bei den Buntmetallen ist wie in der Vergangenheit mit großen Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten zu rechnen. Der erwartete Rückgang der Bleiproduktion sollte durch eine Steigerung der Kupferproduktion kompensiert werden. Längerfristig wird die Entdeckung des Kudu-Erdgasfeldes 200 km vor der Küste in Höhe der Mündung des südlichen Grenzflusses Oranje von wirtschaftlicher Bedeutung sein. Zur Gewinnung von etwa 400 000 Kubikmeter Gas pro Tag sind jedoch Investitionen in Höhe von mindestens sechs Mrd. Rand sowie eine enge Zusammenarbeit mit Südafrika erforderlich; im günstigsten Fall könnte eine Produktion Ende dieses Jahrhunderts beginnen.

Wichtig für die Zukunft ist. daß in Namibia ein beträchtliches Potential an neuen Lagerstätten besteht, deren Ausschöpfung jedoch erheblicher finanzieller Mittel bedarf, die nur dann zur Verfügung gestellt werden, wenn das Investitionsklima im Bergbau positiv bleibt. Insofern ergibt sich hier eine Grenze für die Strategie der SWAPO, durch Neuverhandlungen mit den Bergbaukonzernen mehr finanzielle Mittel für die Entwicklung der übrigen Sektoren des Landes abzuschöpfen. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, daß das gegenwärtige Produktionsniveau des Bergbausektors auf absehbare Zeit aufrecht erhalten werden kann und eine Steigerung des finanziellen Beitrags dieses Sektors zum Staatshaushalt und damit zur Entwicklung anderer Sektoren möglich ist.

Ein anderes Element der SWAPO-Strategie, der Ausbau der Weiterverarbeitung von im Lande gewonnenen Rohstoffen, scheint dagegen im Bereich des Bergbaus nur in geringem Umfang möglich. Bis auf eine Verhüttung der Bleikonzentrate zu Raffinadeblei und der Kupferkonzentrate zu Blisterkupfer findet eine Weiterverarbeitung bisher nicht statt. Der wichtigste Grund dafür sind die geringen Produktionsmengen. So muß zur Auslastung der bestehenden Verhüttungsanlage in Tsumeb die Hälfte der verarbeiteten Bleikonzentrate importiert werden. Hinzu kommt, daß eine derartige Weiterverarbeitung — wie der moderne Bergbau selbst — höchst kapitalintensiv ist und somit weder größere Beschäftigungseffekte noch sonstige Anstöße für die übrige Wirtschaft des Landes geben könnte.

Die zweitwichtigste Ressource des Landes, die in der Zukunft in erheblichem Ausmaß zur Einnahmenerhöhung des Staatshaushaltes beitragen könnte, ist der Fischfang. Nach Erlangung der Unabhängigkeit kann Namibia seine Rechte in der 200-Seemeilen-Wirtschaftszone geltend machen und insbesondere von den ausländischen Fangflotten, die bisher etwa mit drei Vierteln am Gesamt-fischfang beteiligt waren, Lizenzgebühren verlangen, die allerdings mit etwa fünf Prozent des Weltmarktpreises der gefangenen Fische recht gering sind. Wesentlich komplizierter wird eine Neuregelung des restlichen Viertels werden, das bisher von Namibia/Südafrika bestritten wurde. Bis auf die Langustenfischerei in der Lüderitz-Bucht ist die gesamte Fangflotte wie die fischverarbeitende Industrie in Walvis Bay konzentriert, das von Südafrika als sein eigenes Territorium betrachtet wird. Kurzfristig können auch von der südafrikanischen Fangflotte nur Lizenzgebühren verlangt werden, wobei noch die kuriose völkerrechtliche Situation erwähnt werden muß, daß Südafrika auch die Hoheitsrechte über eine Reihe von unbewohnten kleinen Inseln ausübt, so daß etwa 14 Prozent der Wasserfläche und damit auch des Fischfangs von Südafrika beansprucht werden.

Eine beschäftigungs-, einkommens-und steuer-wirksame Nutzung des Fischpotentials setzt den Aufbau einer eigenen namibischen Fangflotte voraus, die allerdings zunächst in der südafrikanischen Exklave Walvis Bay stationiert werden müßte. Da die gegenwärtig dort stationierte Fangflotte überaltert und für die Befischung der zukünftigen 200-Seemeilen-Zone völlig unzureichend ist, ließe sich eine Vereinbarung mit Südafrika über den schrittweisen Aufbau einer namibischen Flotte einschließlich von Kontrollschiffen durchaus vorstellen. Der enorme Kapitalbedarf (für die gesamte Fangmenge von 1, 3 Mio. Tonnen rechnet man mit ca. 1, 5 Mrd. Rand) sowie die umfangreichen Maßnahmen im Bereich der Ausbildung, der Überwachung und Forschung lassen eine Nutzung der Ressource Fischfang — abgesehen von erhöhten Lizenzgebühren — erst langfristig in größerem Umfang möglich erscheinen. Die Befürchtung, daß die namibischen Gewässer so überfischt seien, daß die Fangmengen wahrscheinlich weiter zurückgingen, erscheint nicht berechtigt, vielmehr kann bei einer verbesserten Bestandspflege eine leichte Steigerung der gegenwärtigen Mengen erzielt werden.

Der Sektor Landwirtschaft umfaßt zwar den größten Teil der erwerbstätigen Bevölkerung Namibias und trägt zehn Prozent zum BIP bei, doch ist er weniger ein Steuerzahler als ein Subventionsempfänger. Während jedoch die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Zukunft verstärkt gefördert werden muß, scheint im „weißen“ Großbetriebssektor das Steuerpotential nicht ausgeschöpft zu werden. So gibt es in Namibia keine Grundsteuer auf landwirtschaftlich genutzte Grundstücke, und die Abschreibungsbedingungen sind sehr günstig. Insgesamt wird jedoch die großbetriebliche Landwirtschaft, die ja auf einer äußerst empfindlichen Ressourcen-grundlage operiert, auch in Zukunft keine wesentlichen Beiträge zum Staatshaushalt liefern können. Ein Ausbau der relativ unbedeutenden verarbeitenden Industrie, wie er in der SWAPO-Strategie vorgesehen ist, wird sich auf absehbare Zeit nur in wenigen Teilbereichen realisieren lassen. Beispielsweise erscheint es durchaus sinnvoll, den Export lebenden Viehs nach Südafrika durch eine Weiterverarbeitung im Lande und den Export von Gefrierfleisch zu ersetzen. Auch ist eine Expansion des kleinindustriellen und informellen Sektors zur Versorgung der ländlichen Bevölkerung mit einfachen Konsumgütern und zur Schaffung von Arbeitsplätzen dringend erforderlich, doch werden diese Sektoren zunächst eher Bereiche der intensiven Förderung sein müssen und kaum zur Finanzierung anderer Sektoren beitragen können. Das gleiche gilt für den Tourismus, für den insbesondere — was den überseeischen Individualtourismus und den Jagd-tourismus anbelangt — noch gute Expansionschancen bestehen. Hier ergeben sich gerade in denjenigen Gebieten gute Ansatzpunkte (Kaokoland, östliches Hereroland), in denen andere ökonomische Nutzungen nur sehr beschränkt möglich sind. Andererseits erfordert die weitere Erschließung des touristischen Potentials Investitionen in die Infrastruktur wie in ein umfassendes und effizientes Naturschutzmanagement, die diesen Sektor ebenfalls eher zu einem Netto-Förderbereich werden lassen.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß für eine Strategie der Abschöpfung finanzieller Mittel aus den produktiven Sektoren mittelfristig nur der Bergbau und — begrenzt auf höhere Lizenzgebühren — die Fischerei in Frage kommen. Berücksichtigt man jedoch die Grenzen, die für eine zusätzliche Abschöpfung des Bergbaus gegeben sind, so kann man zwar für eine zukünftige solide Haushaltspolitik durchaus optimistisch sein, doch wird die massive Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, das Kernstück der SWAPO-Strategie, zumindest mittelfristig ohne zusätzliche Mittel, sprich Entwicklungshilfe, nicht möglich sein. Welches Potential für eine nachhaltige Förderung der afrikanischen Landwirtschaft und damit für eine wesentliche Verbesserung der Einkommen der Mehrheit der Bevölkerung besteht in Namibia?

IV. Die Entwicklung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft

Abbildung 4

In den Siedlungsgebieten des Nordens — Ovambo, Kavango, Caprivi — herrscht bereits heute eine relative Landknappheit. Aufetwa 800 000 Menschen, also die große Mehrheit der Bevölkerung, entfallen nur 2, 3 Mio. Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, das sind 2, 9 Hektar pro Einwohner. Eine naheliegende Lösung des Problems wäre die Enteignung des weißen Farmlandes und Ansiedlung von Kleinbauern aus dem Norden. Daß die SWAPO diese Lösung nicht in Betracht zieht, hat neben Stammesproblemen vor allem eine ökologische Begründung: Die semi-ariden Weidegebiete im zentralen und südlichen Namibia haben eine so geringe Tragfähigkeit, daß eine Umsiedlung von Menschen aus den regenreicheren nördlichen Gebieten nur in ganz begrenztem Umfang möglich wäre und jedenfalls keinen Beitrag zur Linderung der Landnot in den nördlichen Gebieten leisten könnte. Eine Enteignung soll deshalb nur dort vorgenommen werden, wo mehrfacher Farmbesitz vorliegt oder Land brachliegt.

Entscheidend ist, daß im Norden des Landes in räumlicher Nähe zu den besiedelten Gebieten noch erhebliche Landreserven bestehen, die wirtschaftlich nutzbar gemacht werden können, wenn die nötige Infrastruktur, insbesondere Wasserversorgung und Straßen, geschaffen wird. Es handelt sich um mehrere Millionen Hektar Weideland, aber auch um einige zehntausend Hektar, die für den Trockenfeldbau geeignet sind, sowie um etwa 30 000 Hektar potentiell bewässerbarer Fläche zusätzlich zu den gegenwärtig bereits genutzten 7 000 Hektar Bewässerungsfläche.

Gegenwärtig liegt die geschätzte jährliche Getreideproduktion in den nördlichen Trockenfeldbaugebieten bei etwa 80 000 Tonnen, verglichen mit einem Getreidebedarf Namibias von rund 250 000 Tonnen. Langfristig könnte sich die Eigenversorgung mit Getreide, Obst und Gemüse auf mindestens zwei Drittel des Bedarfs erhöhen lassen; Voraussetzung wären allerdings erhebliche Investitionen und Produktionsanreize.

Die Erschließung von Neuland kann nur schrittweise und in enger Verzahnung mit einer nachhaltigen Verbesserung der Förderung der bestehenden Anbaugebiete erfolgen. Während der moderne Farmsektor eine umfassende staatliche Unterstützung sowohl über Subventionen als auch über ein hervorragendes Angebot an Agrardienstleistungen, hauptsächlich in Form von Forschung, Beratung, Ausbildung, Kredit und Vermarktung, erfahren hat, ist dies dem traditionellen Sektor weitgehend vorenthalten worden. Hier besteht also ein erheblicher Nachholbedarf sowohl bei der Erreichung der Mindestflächenausstattung, bei den betrieblichen und öffentlichen Investitionen als auch beim Dienstleistungsangebot Auch das Vermarktungssystem ist überwiegend auf den kommerziellen Farmsektor ausgerichtet, so daß im Rahmen einer neuen Agrarentwicklungsstrategie auch die Neuordnung des gesamten landwirtschaftlichen Vermarktungssystems ansteht.

Die volle Nutzung der Bewässerungsanlagen hängt von der Verfügbarkeit von Wasser, in den nördlichen Gebieten vor allem von Vereinbarungen mit den Nachbarländern Angola und Botswana über die Nutzung der Grenzflüsse Kunene und Okavango, ab. Wasser zur landwirtschaftlichen Nutzung steht aber in Konkurrenz zum Wasserbedarf der wachsenden Bevölkerung, der Viehwirtschaft, des Bergbaus und der Industrie. Auf Grund der extremen klimatischen Bedingungen kann Wasser als die knappste Ressource des Landes bezeichnet werden. So entgehen dem Wasserkreislauf 83 Prozent des Niederschlags durch Verdunstung, nur 17 Prozent verbleiben für den oberirdischen Abfluß, wobei jedoch wiederum der größte Teil verdunstet. Nur zwei Prozent kommen den Flüssen und ein Prozent der Grundwasserneubildung zugute. Dämme und Talsperren schöpfen schon heute das Oberflächenwasserpotential fast vollständig ab. so daß nur noch das Grundwasser und die Ableitung größerer Wassermengen aus den Grenzgewäs-sem — den einzigen das ganze Jahr Wasser führenden Flüssen des Landes — zur Versorgung verfügbar sind. Im Fall des Okavango konkurriert der Bewässerungsbedarf nicht nur mit den Ansprüchen der Anliegerstaaten Angola und Botswana — das Binnendelta des Okavango in Botswana ist eines der letzten großen „Naturwunder“ der Erde sondern auch mit dem geplanten Großprojekt Eastem National Water Carrier, das über ein Kanalsystem jährlich bis zu 60 Mio. Kubikmeter Wasser bis in die Zentralregion Namibias leiten soll.

Die kleinbäuerliche Landwirtschaft Namibias hat also durchaus das Potential, der Mehrheit der Bevölkerung ein höheres Einkommen zu verschaffen und die Versorgung der Bevölkerung mit Grund-nahrungsmitteln wesentlich unabhängiger von Südafrika zu machen, als dies heute der Fall ist. Beschränkungen des Entwicklungspotentials liegen in der Finanzierung und in der Verfügbarkeit von Wasser, der knappsten Ressource des Landes. Bevor ein abschließendes Urteil über die Chancen der SWAPO-Strategie möglich ist, muß noch das politische Problem, die Abhängigkeit Namibias von Südafrika behandelt werden.

V. Die Abhängigkeit Namibias von Südafrika

Namibias Wirtschaft war über 70 Jahre lang voll in die südafrikanische Wirtschaft integriert, was zu einer sehr einseitig auf Südafrika bzw.den Weltmarkt ausgerichteten Handelsstruktur führen mußte. Der zweite entscheidende Bereich der Abhängigkeit besteht im Transportwesen, da Südafrika die Souveränität über den einzigen Überseehafen des Landes, Walvis Bay, ausübt und somit einen Großteil des Außenhandels auch des unabhängigen Namibias weiterhin kontrollieren kann. Die Abhängigkeit konkretisiert sich darüber hinaus in intensiven Kapitalverflechtungen mit südafrikanischen Finnen und in den südafrikanischen Verwaltungsbeamten. die auch nach der Unabhängigkeit in wichtigen Positionen verbleiben werden, da sie kurzfristig nicht zu ersetzen sind.

Der Abbau der Abhängigkeit im Außenhandel wird von der SWAPO mit Hinweis auf den Zugang zum europäischen Markt über einen Beitritt zum Lom-Abkommen und über einen verstärkten Handel mit den afrikanischen Nachbarländern durch den Beitritt Namibias zur SADCC angestrebt. Tatsächlich ist die Abhängigkeit von Südafrika im Export mit 25 Prozent der Ausfuhren relativ gering, da der überwiegende Teil der Exporte aus Mineralien wie Uran und Diamanten besteht, die direkt auf den Weltmarkt gehen (vgl. Tabelle 3). Nach Südafrika werden vor allem Agrarprodukte (Vieh) und Fisch exportiert. Hier zeichnen sich Möglichkeiten der Diversifizierung durch Lieferungen in Nachbarländer wie Angola oder Sambia und vor allem auch in die Europäische Gemeinschaft ab.

Stärker ist die Abhängigkeit auf der Importseite. Obwohl hier noch keine genauen Statistiken vorliegen, kann man davon ausgehen, daß etwa 95 Prozent des Konsum-und Investitionsgüterbedarfs eingeführt werden und davon etwa zwei Drittel auf Südafrika entfallen. Hier ist bereits auf die Möglichkeit der mittelfristigen Substitution von Nah-rungsmitteleinfuhren aus Südafrika durch Eigenproduktion hingewiesen worden. Eine Umlenkung des Handels auf afrikanische Nachbarländer scheint hier kaum möglich (eventuell mit Ausnahme Simbabwes) und auf Europa aus Preisgründen nicht wahrscheinlich.

Damit ist die für Namibia wichtige Frage des Verbleibens in der Südafrikanischen Zollunion (SACU) angesprochen Die Überweisungen der SACU an den namibischen Staatshaushaltbetragen für das laufende Haushaltsjahr 448 Mio. Rand, eine Summe, die wesentlich höher ist als der Betrag, der Namibia als Anteil an den Zoll-und Verbrauchs-steuereinnahmen Südafrikas zustünde. Bei einem Austritt aus der SACU müßte Namibia, um das gleiche Finanzaufkommen zu realisieren, seine Zölle weit über das derzeitige SACU-Niveau anheben, was entsprechende negative Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft hätte.

Während also ein Verbleib in der SACU für Namibia wirtschaftlich von Vorteil wäre, ist die Einführung einer eigenen Währung und die Errichtung, einer eigenen Zentralbank beschlossene Sache. Damit würde Namibia dem Beispiel Botswanas folgen, das bei vergleichbaren strukturellen Voraussetzungen ebenfalls Mitglied der SACU geblieben ist, mit der Einführung einer eigenen Währung, dem Pula, aber so erfolgreich war, daß diese im Laufe der Jahre sogar gegenüber dem Rand um 20 Prozent an Wert gewann. Mit der Errichtung einer eigenen Zentralbank kann auch die Voraussetzung geschaffen werden, die starke Abhängigkeit von Südafrika im Finanzwesen schrittweise abzubauen. Unumgänglich ist dabei eine Namibisierung der privaten Geschäftsbanken durch eine mehrheitlich namibische Kapitalkontrolle sowie strukturelle Veränderungen im Versicherungswesen.

Die empfindlichste Abhängigkeit von Südafrika besteht durch den Entzug der Souveränität über Walvis Bay. Obwohl die Regierung des unabhängigen Namibia sicher sofort ihren Anspruch auf Walvis Bay verkünden wird, dürfte Südafrika dieses Faustpfand nicht so leicht aus der Hand geben. Pläne, den Hafen Lüderitz auszubauen, einen neuen Hafen nördlich von Walvis Bay anzulegen oder den Hafen Namibe (Mocamedes) im südlichen Angola für Namibia nutzbar zu machen, können nicht realisiert werden, da ihre Ausführung entweder riesige Investitionen oder nicht zu verkraftende, erhöhte laufende Kosten bedeuten würde. Damit bleibt als Ausweg zumindest kurz-bis mittelfristig nur eine vertragliche Regelung mit Südafrika über die Nutzung des Hafens Walvis Bay sowohl für den Außenhandel als auch für den Aufbau einer namibischen Fischerei-Flotte.

Für den Abschluß einer für Namibia befriedigenden Regelung bestehen insofern günstige Vorausset-B Zungen, als es in der gegenwärtigen Phase der Entwicklung Südafrikas für die Regierung von großem Interesse ist, mit Namibia gutnachbarliche Beziehungen zu unterhalten, keine Krise dort zu provozieren, die nur zu einem Exodus der weißen Minderheit nach Südafrika führen würde und dort die radikalen Apartheidsparteien auf Kosten der Regierung stärken würden. Eine kontinuierliche, evolutionäre Entwicklung in Südafrika vorausgesetzt, muß sich die zweifellos für Namibia bestehende Abhängigkeit gegenüber seinem großen Nachbarn nicht unbedingt nachteilig auf seine eigene Entwicklung und insbesondere auf die Umsetzung der Entwicklungsstrategie auswirken.

Damit verbleibt als letztes Problem der Realisierbarkeit der SWAPO-Strategie die Frage der Finanzierung der umfangreichen Maßnahmen zugunsten der bisher vernachlässigten nicht-weißen Bevölkerung, die zumindest mittelfristig nur von außen, das heißt über Entwicklungshilfe, erfolgen kann.

VI. Namibia: Schwerpunkt und Modellfall bundesdeutscher Entwicklungszusammenarbeit?

Die Notwendigkeit von Entwicklungshilfe ist in Namibia selbst nicht unumstritten, es gibt einzelne Stimmen, wie die des in der Bundesrepublik ausgebildeten Wirtschaftsprofessors Tjingaete, die öffentlich erklären: „Behaltet euer Geld.“ Entwicklungshilfe mache Namibia, ein an Ressourcen reiches Land, nur abhängig. Entscheidend wäre es, Privatkapital in das Land zu bekommen.

Nun ist es sicher wichtig, Privatkapital zur Exploration im Bergbau oder zum Aufbau einer namibischen Fischereiflotte zu bekommen. Die unbedingt notwendige Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, der Ausbau des Bildungsund Gesundheitswesens für die Mehrheit der Bevölkerung, ja auch der Ausbau des geologischen Dienstes und der Fischerei-Verwaltung wird aber nicht mit Privatkapital, sondern nur mit öffentlicher Entwicklungshilfe möglich sein.

Die in jüngster Zeit häufig zu hörende Meinung, das unabhängige Namibia könnte von Entwicklungshilfe überschwemmt werden, hält einer genaueren Prüfung nicht stand. Nach den derzeit vorliegenden Informationen plant außer der Bundesrepublik Deutschland und den nordischen Ländern keiner der großen bilateralen Geber wie die USA, Japan oder Großbritannien ein größeres Engagement. Wenn ein friedlicher Übergang in die Unabhängigkeit vollzogen und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nicht mehr auf Namibia gerichtet ist, wenn vielmehr die Tatsache allgemein bekannt wird, daß das Land mit einem pro-Kopf-Einkommen von ca. 1 200 US-Dollar zu den „reichsten“ Ländern Afrikas südlich der Sahara zählt, wird es sehr schwer werden, den großen Bedarf an finanzieller und technischer Hilfe, den das Land für die Umsetzung seiner Entwicklungsstrategie braucht, auch zu befriedigen. Auf die Bundesrepublik Deutschland, dem Land mit der stärksten historischen Beziehung zu Namibia, kommt somit eine zentrale Funktion im Rahmen der internationalen Gebergemeinschaft zu.

Der politische Anspruch, Namibia zum Schwerpunkt und Modellfall der Entwicklungszusammenarbeit zu machen, ist erhoben worden. Was den Umfang der vorgesehenen Mittel anbelangt, wird er wohl auch eingelöst werden. Wie aber steht es mit der Ausrichtung der geplanten Programme und Projekte, entsprechen sie den in der Entwicklungsstrategie der SWAPO angelegten Prioritäten? Dem früheren Entwicklungshilfeminister Klein schwebte eine Konzentration der Hilfe auf den privaten Sektor und vor allem der Einsatz eines neuen Instruments vor: ein Kapitalvermögen in nicht-staatlicher namibischer Trägerschaft, aus dem Kleinkredite an private Unternehmen Schwarzer fließen sollten. Nun ist gegen Hilfe für den privaten Sektor und gegen einen Kapitalfonds nichts einzuwenden, wenngleich es im Fall Namibias schwierig werden dürfte, einen geeigneten Träger für den Fonds zu finden. Keineswegs den Prioritäten des Landes entsprechend wäre jedoch eine ausschließliche Konzentration auf den privaten Sektor, da die entscheidend wichtige Förderung der Landwirtschaft, des Bildungs-und des Gesundheitssektors eben nur in Zusammenarbeit mit der künftigen Regierung erfolgen kann, So wird es in Namibia auf eine sinnvolle Mischung neuer und bewährter Instrumente der Hilfe ankommen. Insbesondere die bisher schon geleistete Hilfe an Nichtregierungsorganisationen wie Kirchen. Selbsthilfegruppen und Stiftungen sollte auch nach der Unabhängigkeit fortgesetzt werden, da sie von allen Gruppen positiv bewertet wird und auch einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer pluralistischen Gesellschaft leistet.

„Modellhaft“ könnte die unbedingt notwendige Koordination der Hilfe zwischen den bilateralen und multilateralen Gebern werden. Hier sind bereits erste Kontakte im Vorfeld geknüpft, doch sträubt sich die Bundesregierung noch, die führende Rolle, die in anderen afrikanischen Ländern Frankreich, Großbritannien oder die USA spielen, zu übernehmen. Da aber kein anderes westliches Land ein ähnlich spezielles Interesse an Namibia bekundet hat, wird sich Bonn dieser Aufgabe wohl nicht entziehen können. „Geschichte verpflichtet“, dieses Motto sollte sich nicht nur auf die besondere Quantität der Hilfe für Namibia beziehen, sondern gerade auf die verbesserte Qualität, die nur in enger Abstimmung mit den anderen Partnern und der zukünftigen Regierung erreicht werden kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die nachfolgende Analyse beruht auf diesem Gutachten, insbesondere auf dem zusammenfassenden Bericht von A. J. Halbach. Grundlagenstudie Namibia, Bd. 14: Strukturen, Probleme und Potentiale der wirtschaftlichen Entwicklung, München 1989. Die Zahlenangaben sind, wenn nicht anders vermerkt, diesem Bericht entnommen. Die Federführung des Gutachtens lag beim Ifo-Institut, das auch für die Sektorstudien Außenwirtschaft (A. Halbach), Öffentliche Finanzen (W. Leibfritz), Monetäre und finanzielle Infra-struktur (H. -G. Geis), Ländliche Regionalentwicklung (S. Schönherr), Industrie und Kleingewerbe (Ch. Pollak und KF. Schädler) und Tourismus (A. Halbach) verantwortlich zeichnet. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik in Berlin war für die Bereiche Landwirtschaft (U. Otzen) und Entwicklungszusammenarbeit (P. Waller) zuständig. Die Sektorstudien Fischwirtschaft (R. Lasch) und Fischerei (A. Schumacher) wurden vom Institut für landwirtschaftliche Marktforschung der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig durchgeführt. Mitarbeiter der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover bearbeiteten die Sektorstudien Mineralische Rohstoffe (Ch. Kippenberger und R. Gold), Institutionen und Verbände im Bergbau (K. Fesefeldt) und Wasserwirtschaft (G. Goldberg). Vgl. A. J. Halbach, Namibia nach den Wahlen: Wirtschaftliche Strukturen, Probleme und Perspektiven, in: ifo-schnelldienst, (1989) 33, S. 10— 21.

  2. Die Vorstellungen der SWAPO zur Entwicklung des Lan-des sind in einem Papier mit dem Titel „Namibia's economic prospects brighten up“ dargestellt, das das Politbüro des Zentralkomitees am 28. November 1988 vorgelegt hat. Die Aussagen dieses Dokuments wurden in einer Rede bestätigt, die der Leiter des UN-Namibia Instituts und Wahlkampfleiter der SWAPO, Hage Geingob, im Namen des SWAPO-

  3. Weitere Angaben über die Vorstellungen der Parteien und gesellschaftlichen Gruppen finden sich in P. Waller (Anm. 2), S. 17 ff.

  4. Zu den einzelnen Elementen eines ländlichen Regionalentwicklungsprogramms vgl. U. Otzen, Sektorstudie Landwirtschaft. Bd. 3 der Grundlagenstudie Namibia (Anm. 1).

  5. Mitgliedsländer sind Angola, Botswana, Lesotho, Malawi, Mosambik, Sambia, Simbabwe, Swasiland und Tansania.

  6. Mitgliedsländer sind neben Südafrika, Botswana Lesotho und Swasiland.

Weitere Inhalte

Peter P. Waller, Dr. oec. publ., geb. 1935; stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in Berlin und Professor für Wirtschaftsgeographie an der Freien Universität Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zum südlichen Afrika, insbesondere über Botswana, Simbabwe, Malawi und Sambia; so u. a. Sanktionen und Abbau wirtschaftlicher Abhängigkeit im südlichen Afrika, Berlin 1987.