Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Beitrag der Währungspolitik zum Binnenmarkt Zur Rolle der Notenbanken in Europa | APuZ 20-21/1989 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 20-21/1989 Artikel 1 Das Europäische Währungssystem Funktionsweise — Erfahrungen — Perspektiven Der Beitrag der Währungspolitik zum Binnenmarkt Zur Rolle der Notenbanken in Europa Die Bundesrepublik Deutschland als internationale „Konjunkturlokomotive“? Ansätze zur Neuordnung des internationalen W ährungssystems

Der Beitrag der Währungspolitik zum Binnenmarkt Zur Rolle der Notenbanken in Europa

Wolfgang Schmitz

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Unterschied zu anderen europäischen politischen Absichtserklärungen ist die Idee einer Integration der europäischen Wirtschaft ihrer Verwirklichung ein gutes Stück näher gekommen. Ein fortschreitender Lernprozeß zeigt seine Folgen, auch und gerade in den ordnungspolitischen Vorstellungen, die für den Beitrag der Währungspolitik zur Schaffung und zur Funktionsfähigkeit eines Binnenmarktes notwendig und darüber hinaus wünschenswert sind. Einen besonderen Anteil an diesem Lernprozeß hatten das deutsch-französische Protokoll zur Errichtung eines gemeinsamen Finanz-und Wirtschaftsrates sowie das Komitee unter dem Vorsitz des Präsidenten der EG-Kommission Jaques Delors (Delors-Komitee). Die mit dem deutsch-französischen Protokoll verbundene öffentliche wie nicht-öffentliche Diskussion hat wahrscheinlich viel mehr bewirkt, als bloß die Sicherung der Unabhängigkeit der Bundesbank. Die Erkenntnis der Bedeutung der Unabhängigkeit einer Zentralbank von Weisungen politischer Exekutivorgane dürfte Anerkennung weit über den Kreis derjenigen hinaus gewonnen haben, in deren Ländern die Notenbanken auf gesetzlicher Basis oder aufgrund einer „ungeschriebenen Währungsverfassung“ weisungsungebunden operieren. Wie der Delors-Bericht zeigt, konnte gerade in den sachlich sensibelsten Problemen ein für viele überraschendes Ergebnis erzielt werden: Daß die Preisstabilität das vorrangige Entscheidungskriterium der Europäischen Geld-und Währungsbehörde werden soll mit den dazu notwendigen Voraussetzungen der Unabhängigkeit von politischen Weisungen, mit der Sicherung der Mitglieder der Entscheidungsgremien durch längerfristige Verträge und mit der Sperre des Zugangs der öffentlichen Hand zu Notenbank-krediten. Um die ordnungspolitische und die ordnungsethische Bedeutung der Geldwertstabilität und der freien Konvertierbarkeit der Währungen voll zu erkennen, muß man sich vor Augen halten, daß die klassischen Funktionen des Geldes von der Währungsordnung garantiert sein müssen und daß die Ordnungsfunktion des Geldes eine Voraussetzung für die Sozialfunktion des Wettbewerbs in einer über den Markt koordinierten arbeitsteiligen Wirtschaft ist. Auch vorrangige politische Motivationen dürfen diese Zusammenhänge nicht übersehen.

I. Die „Europäische Idee“

„Ein Fortschritt zieht den anderen nach sich.“ So zitierte der Präsident der Deutschen Bundesbank, Karl Otto Pöhl, die von Jean Monnet, dem großen Verfechter der „Europäischen Idee“, so sehr geschätzte (und für die Dynamik dieser Idee zu nützende) „Dialektik der Notwendigkeiten“. Das Ziel liege zwar noch in weiter Ferne und seine Konturen seien noch nicht klar erkennbar, die „Europäische Idee“ sei aber nicht mehr aufzuhalten: „Wir sind im Begriff, in Europa die Leinen zu kappen und Kurs auf das nächste Jahrhundert zu nehmen.“ Und der Executive Director der niederländischen Zentralbank meinte sogar: „Europessimism has been replaced by europhoria.“ Die feste Absicht, den Binnenmarkt innerhalb der EG bis etwa 1992 zu schaffen, habe die Vorstellungskraft der Politiker und der Wirtschaft beflügelt: „This is in marked contrast to political declarations in the past.“ Den Grund dafür sah er darin, daß die zugrundeliegenden Pläne diesmal sehr konkret und ihre Realisierung in der „relativ nahen Zukunft“ glaubwürdig seien

Die Idee einer Integration der europäischen Wirtschaft ist ihrer Verwirklichung ein gutes Stück näher gekommen, zunächst noch beschränkt auf die derzeitigen Länder der EG und damit auf den Westen und den Süden Europas; ein fortschreitender Lernprozeß aber zeigt seine Folgen, auch und gerade in den ordnungspolitischen Vorstellungen, wenn wir die von der damaligen französischen Planifikation geprägte Gedankenwelt Jean Monnets vor Augen haben, auch und nicht zuletzt in der fortschreitenden Erkenntnis dessen, was die Währungspolitik dazu beitragen muß und auch tatsächlich beitragen kann.

Der Fortgang im Prozeß der europäischen Meinungs-und Willensbildung gleicht einem Quanten-sprung. Das Ziel der Integration bisher noch vielfach einzelstaatlich geprägter Volkswirtschaften zu einem gemeinsamen Binnenmarkt der EG-Mitgliedsländer etwa um das Jahr 1992 scheint realistisch, und die Zielvorstellungen sind ausreichend konkret: Die Vervollständigung des gemeinsamen Marktes zum Binnenmarkt bedeutet einen freien, durch nationale Vorschriften unbehinderten Austausch von Waren und Dienstleistungen auch auf dem Gebiet der Banken und Versicherungen, Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Niederlassung von Unternehmungen sowie des lang-und kurzfristigen Kapitalverkehrs. Damit wird dem Rechnung getragen, was nach dem heutigen und durch lange geschichtliche Erfahrung gestützten Wissensstand die Voraussetzungen für eine optimale Nutzung der Ressourcen der beteiligten Länder sind.

II, Der Beitrag der Währungspolitik

Vergleichsweise geringere, in der Sache aber absolut substanzielle Fortschritte zeigen die Einsichten in die Zusammenhänge, die für den Beitrag der Währungspolitik zur Schaffung und für eine optimale Funktionsfähigkeit eines solchen Binnenmarktes notwendig und wünschenswert sind. Auch in diesen Fragen hat eine sehr konsequente und intensive Zusammenarbeit auf hoher Qualifika-tionsebene zu Konvergenzen geführt, die vor noch nicht allzu langer Zeit kaum für möglich gehalten worden sind.

Da der Waren-und Leistungsaustausch über das Geld erfolgt, ist es schon seit langem allen Beteiligten einsichtig, daß auch die Geld-und Währungspolitik (verstanden als inneres und äußeres Management der Währungsbehörden) eine wichtige Rolle zu spielen hat. Der Stufenplan der Expertenkommission unter der Leitung des damaligen Luxemburger Ministerpräsidenten und Finanzministers Pierre Werner aus dem Jahre 1972, der die Errichtung einer Wirtschafts-und Währungsunion innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren vorsah, ist als eine Frucht dieser Entwicklung zu sehen, die offenbar der damaligen Vorstellungskraft anderer Beteiligter noch zu viel zugemutet hatte. Der Beitrag des „Werner-Planes“ zum Lernprozeß kann heute dennoch nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die heutigen Einsichten in die Art und Weise der Verschränkung von Außenhandelspolitik und Devisenpolitik'(als Liberalisierung des Zahlungsverkehrs) mit der Geldpolitik (als Politik zur Beeinflussung der inneren Kaufkraft der Währung) und der Wechselkurspolitik (zur Beeinflussung des Außenwertes einer Währung) und in die Notwendigkeit einer möglichst schrittweise homogene Vorgehensweise auf allen diesen Gebieten wären ohne dem seit damals ausgelösten Lernprozeß kaum möglich. Dazu habenjedenfalls auch die inzwischen zu Institutionen gewordenen Konsultationsgremien der Finanzminister und vor allem der Notenbank-präsidenten im Rahmen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel und natürlich im Bereich der EG selbst wie auch nicht zuletzt die intensive internationale Forschungsarbeit auf dem Gebiete der Geld-und Währungstheorie sehr Wesentliches beigetragen. Einen besonderen Anteil am Lernprozeß haben zwei Einrichtungen — jede auf ihre Weise —, die das „Lernprogramm" der letzten eineinhalb Jahre nachhaltig mitbestimmt haben: Das Deutsch-französische Protokoll zur Errichtung eines gemeinsamen Finanz-und Wirtschaftsrates sowie das Komitee hochrangiger Experten unter dem Vorsitz des Präsidenten der EG-Kommission Jaques Delors (Delors-Komitee).

III. Das Deutsch-französische Protokoll

Die heute wohl als positiv zu bewertende Bedeutung des Deutsch-französischen Vertrags vom 22. Januar 1988 liegt — was die Währungspolitik betrifft — vor allem in den Folgewirkungen der Provokation, als die dieses Protokoll von allen (nicht bloß in der Deutschen Bundesbank!) empfunden wurde, die die Unabhängigkeit einer Zentralbank von Weisungen politischer Exekutiven (nationalen Regierungen bzw. europäischer Institutionen) als eine notwendige Voraussetzung für eine Geld-und Währungspolitik betrachten, die nachhaltig erfolgversprechend sein soll. Die Entwicklung dieses Instrumentes zeigt zugleich, über welche Stolpersteine schon nationale — geschweige denn übernationale — Erkenntnisfortschritte oft vorankommen müssen.

Das Deutsch-französische Abkommen zur Schaffung eines gemeinsamen Finanz-und Wirtschaftsrates, wie es vom damaligen französischen Ministerpräsidenten anläßlich seines Besuches beim deutschen Bundeskanzler vorgelegt worden ist, ist zunächst vom Gastgeber als Propagandabedürfnis im Rahmen des französischen Präsidentschaftswahlkampfes in seinen Intensionen fehlinterprediert worden. Die deutsche Bundesregierung ist dann in eine unangenehme Lage gekommen, als der von der deutschen und der französischen Regierung unterzeichnete Text der Protokolle, die neben dem Finanz-und Wirtschaftsrat auch einen gemeinsamen Verteidigungs-und Sicherheitsrat konstituieren, der Bundesbank Anlaß zu der Sorge gab, der Rat werde Paris eine Möglichkeit eröffnen, Einfluß auf die Politik der Bundesbank zu nehmen. Diese Sorge wurde erhöht durch den erst unmittelbar vor der Unterzeichnung der Protokolle vorgetragenen Wunsch der Franzosen, dem Vertrag mit einer Ratifizierung durch die Parlamente einen gegenüber einem Regierungsabkommen herausgehobenen völkerrechtlichen Rang zu geben.

Unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten sah die Bundesbank — deren Auffassung sich auch Politiker der Koalitionsfraktionen anschlossen — vor allem bei der Passage: Der Rat „erörtert regelmäßig die Währungspolitik beider Länder... mit dem Ziel einer möglichst weitgehenden Abstimmung“ (Art. 4, 3. Tiret); der französische Text spricht von der Erörterung „en vue d’une coordination aussi etroite que possible". Die Bundesbank befürchtete, daß die französische Seite vor allem die Abstimmung im Sinne einer Einflußnahme betonen würde, was mehr bedeutet als die reine Kooperation, die die Bundesregierung als Vertragsinhalt ansah. Auf deutscher Seite sind Regierungsvertreter auch zu einer Abstimmung währungspolitischer Maßnahmen nicht zuständig.

Zunächst hatte die Bundesregierung wenig Veranlassung gesehen, die Bedenken der Bundesbank zu teilen, die ja auch eine Kritik an der nicht ausreichend sorgfältigen Formulierung des Vertragswerks bedeuteten, und eine Klarstellung überhaupt zu erwägen. Unterstützung erhielt die Bundesbank aus dem Parlament, so daß die Bundesregierung schließlich einlenkte. In den der Beschlußfassung vorausgegangenen Monaten gab es hinter den Kulissen der beteiligten Bonner Ministerien — Auswärtiges Amt — Finanz-und Wirtschaftsministerium — ein zähes Ringen um die Art und Weise, wie den Bedenken der Bundesbank Rechnung geB tragen werden könne, ohne den französischen Partner zu verärgern. Aus Rücksicht auf Paris wurde von einer Klarstellung der Bundesbank-Autonomie in der Präambel abgesehen und die ebenfalls verbindliche, aber weniger auffällige Form der vom Parlament zu billigenden Denkschrift gewählt, in der an nicht gerade herausragender Stelle, aber mit klaren Worten die unveränderlichen Charakteristika der Bundesbank aufgezeigt werden

Der (deutsche) Bundestag hat dann im Dezember 1988 durch die Verabschiedung des Gesetzes über die Errichtung eines Deutsch-französischen Finanz-und Wirtschaftsrats mit der umfangreichen begleitenden Denkschrift innenpolitisch den Schlußpunkt der Diskussion über die Wahrung der Unabhängigkeit der Bundesbank gegenüber Beschlüssen dieses Gremiums gesetzt. In dieser Denkschrift heißt es ausdrücklich, daß die Rechtsstellung der Bundesbank durch das Protokoll (über die Errichtung des Rats) nicht berührt wird. Der Rat sei kein Entscheidungs-, sondern ein Konsultationsorgan, von dessen Ergebnissen keine unmittelbaren Rechtswirkungen ausgehen könnten. Die Tätigkeit des Rats schränke somit weder den Handlungsspielraum der Bundesbank ein, noch berühre er ihre Aufgaben, ihreUnabhängigkeit und die Zuständigkeit ihrer Organe.

IV. Die Bedeutung der Unabhängigkeit der Zentralbanken

Mit der damit verbundenen öffentlichen und nicht öffentlichen Diskussion ist wahrscheinlich viel mehr erreicht worden als bloß die Sicherung der Unabhängigkeit der Bundesbank. Die Erkenntnis der Bedeutung der Unabhängigkeit einer Zentralbank von Weisungen politischer Exekutivorgane dürfte die Anerkennung der Regierungen gewonnen haben. in deren Ländern die Notenbanken auf gesetzlicher Basis oder auch aufgrund einer „ungeschriebenen Währungsverfassung“ (Wolfgang Stützel) weisungsungebunden operieren.

Diese Frage ist selbst für die Bank von Frankreich insofern interessant, als diese von der Position als Sektion des Finanzministeriums (seit ihrer Verstaatlichung im Jahre 1945) durch einen (halbherzigen) Schritt der Regierung Chirac mit einer größeren Autonomie gegenüber der Regierung ausgestattet werden sollte. Nach einer Gesetzesvorlage der Regierung Chirac sollte die bisher alleinige Einflußnahme der Regierung auf die Ernennung bzw. Abberufung des Präsidenten und des (zehnköpfigen) Generalrates zunächst eingeschränkt und der Bank eine größere Verantwortung bei der Verteidigung der französischen Währung nach innen und nach außen eingeräumt werden. Ihr Status sollte -nach der erklärten Absicht der damaligen Regierung — allmählich dem des amerikanischen Zentralbanksystems oder der Deutschen Bundesbank angepaßt werden. Damit scheint jedenfalls auf der Seite der französischen Währungspolitik doch einiges in Bewegung gekommen sein, auch wenn Beobachter der Szene Zweifel anmelden gegenüber Beteuerungen aus den Kreisen der EG-Kommission und den EWS-Partnerländern, eine Europäische Zentralbank müsse „weitgehend autonom gegenüber der politischen Gewalt“ sein, wie kürzlich der Präsident der Kommission formulierte; ähnlich äußerte sich etwa der italienische Außenhandelsminister R. Ruggiero in einem Interview. Auch er meinte, daß eine solche Zentralbank „mehr oder weniger regierungsunabhängig sein sollte“. Die scheinbar unwesentlichen Einschränkungen „weitgehend“ bzw. „mehr oder weniger“ sind jedoch bereits verräterisch genug. Und ein Blick auf die Verhältnisse in den übrigen EG-Ländern zeigt, daß dort immer noch ein fundamental anderes Verständnis von der Rolle einer Notenbank im politischen Willensbildungsprozeß vorherrscht.

So ist beispielsweise die Bank von Frankreich de jure und vor allem de facto ein ausführendes Organ des Finanzministeriums. Die französische Regierung hat zwar vor den letzten Parlamentswahlen angekündigt, ihrer Notenbank ein größeres Maß an Unabhängigkeit geben zu wollen, auch hat das Ziel der Preisniveaustabilität seit 1983 in Frankreich einen deutlich höheren Stellenwert erhalten, und eine stärkere marktwirtschaftliche Orientierung der französischen Wirtschaftspolitik ist unverkennbar. Etwaige Erwartungen aber, die Bank von Frankreich werde nun zu einer unabhängigen, primär der Geldwertstabilität verpflichteten Notenbank wären wenig realistisch — die angeblichen Pläne für die größere „Unabhängigkeit“ sind bezeichnenderweise nach der seinerzeitigen Wahl von J. Chirac wieder in der Versenkung verschwunden. Ähnliches gilt für die Bank von England, deren ohnehin traditionell auf ausführende Aufgaben beschränkte Rolle in der Geldpolitik in den letzten Jahren noch weiter reduziert worden ist. Über alle wesentlichen Fragen der britischen Geld-und Währungspolitik entscheidet nicht die Notenbank, so dem das Schatzamt, und es ist kaum vorstellbar, daß die britischen Regierungsbehörden hier zu nennenswerten Konzessionen „für Europa“ bereit wären. Und was die Bank von Italien, de jure ebenfalls eine der Regierung unterstellte Institution, betrifft, so hat sie zwar in den sechziger Jahren zeitweise einen bemerkenswerten Handlungsspielraum besessen und sich auch seither wiederholt als Mahner zu einer soliden Wirtschafts-und Finanzpolitik verstanden; in Konfliktsituationen hat sie jedoch in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder nachgeben und das italienische Budgetdefizit mit inflationären Mitteln finanzieren müssen

Daß die Staatslehre mit ihrer Jahrtausende alten Tradition erst seit relativ junger Zeit — und da nicht sehr häufig — die staats-und insbesondere verfassungsrechtliche Stellung einer Zentralbank zum Gegenstand ihrer Fragestellung macht, ist an sich wenig erstaunlich, da die Notenbanken relativ junge Organe staatlicher Tätigkeit sind und auch in manchen Ländern in der privatrechtlichen Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführt werden, wie z. B. in der Schweiz und in Österreich, wo gerade ihrer Unabhängigkeit wegen diese Rechtsform im Jahre 1922 gewählt und damit wiedereingeführt worden ist, die sie schon bei ihrer Gründung im Jahre 1816 hatte

Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Integration der europäischen Länder zählt die Entscheidung über die staatsrechtliche Stellung der Notenbanken und über die Art ihrer Kooperation mit den anderen Institutionen der Wirtschaftspolitik zu den ordnungspolitisch wichtigsten Fragen. Im Zusammenhang mit dieser Debatte war es Markus Lusser, Präsident der Schweizerischen Nationalbank, der die konsequenteste Positionierung der Zentralbank in einer modernen gewaltenteiligen Demokratie als „vierte Gewalt“ in Erinnerung gerufen hat.

Für eine seiner Meinung nach eher zunehmende politische Bedrohung der Unabhängigkeit der Notenbanken sieht er folgende Ursachen: — Der Erfolg der Notenbanken in den letzten Jahren, mit ihrer Geldpolitik, die Inflationsraten generell zu drücken, weckt neuerdings wieder den Wunsch der Politiker, die Geldpolitik auch zur Förderung des Wirtschaftswachstums und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einzusetzen. — Die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit zwischen den großen Industrieländern trägt ein zusätzliches Konfliktpotential zwischen Regierung und Notenbank in sich, da die Geld-und Währungspolitik bei den wirtschaftspolitischen Verhandlungen naheliegender Weise immer wieder zur Debatte steht. — Der größere Freiraum, den die Notenbanken seit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen (seit 1971) zur Beeinflussung des Wechselkurses gewonnen haben, hat das Unbehagen verstärkt, mit welchem die Notenbanken im Dilemma zwischen innerer und äußerer (relativer) Stabilität immer wieder gesehen werden -

V. Die Notenbankautonomie in der Wissenschaft

Was spricht für oder gegen die Unabhängigkeit einer Notenbank? Für die Unabhängigkeit von Regierungsweisungen sprechen der Schutz vor den Kreditansprüchen des Staates (ökonomisches Argument), eine von den Erfordernissen derTagespolitik nicht beeinträchtigte kontinuierliche Geldpolitik (politisches Argument) sowie die rasche Entscheidungsfindung im täglichen Instrumenteneinsatz bei rasch wechselnden Szenarien (technisches Argument). Gegner der Unabhängigkeit der Notenbanken gehen von der Vorstellung aus, daß mittels der Geldpolitik auch beschäftigungs-, wachstums-und verteilungspolitische Zielsetzungen verfolgt werden können, womit notwendigerweise laufend Entscheidungen über Zielprioritäten verbunden sind (Prioritätenargument), was insbesondere eine Koordinierung zwischen der (Finanzpolitik) und der Geldpolitik im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik die Einordnung der Notenbank in die Hierarchie von Gesetzgebung und Verwaltung notwendig macht (Koordinationsargument) und die Weisungsungebundenheit die Tätigkeit der Notenbank jeder politischen Kontrolle entzieht, sie daher ein Fremdkörper in der Demokratie wäre (staatspolitisches oder Demokratieargument).

Gegen das Prioritätenargument kann eingewendet werden, daß es allen Erfahrungen nach kein festes Verhältnis zwischen der Erreichbarkeit der wichtigsten globalen Zielsetzungen gibt, insbesondere kein „trade off“ zwischen Inflations-und Arbeitslosenrate. Schon auf mittlere Sicht ist die Geldwertstabi-B lität die beste Basis auch für alle anderen unter Umständen kurzfristig konkurrierenden Zielsetzungen. Gegen das Koordinationsargument spricht die Tatsache, daß eine Koordinierung von einzelnen Institutionen, die jeweils die Aufgabe haben, für welche die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente am wirksamsten sind, leichter zustande kommt als zwischen solchen, denen es an eindeutiger Verantwortung fehlt. Gegen das staatspolitische Argument spricht der Umstand, daß das Prinzip der bürokratischen Weisung nicht für alle Probleme der Gesetzesvollziehung der geeignetste Problemlösungsmechanismus ist

Für die Geldschöpfung ist dies eine von Regierung und Wirtschaftsmächten und in der Tagespolitik auch vom Parlament unabhängige Notenbank. Die Stellung der Notenbank wird daher auch mit der Unabhängigkeit der obersten Gerichtshöfe verglichen. Nicht zuletzt steht die Notenbank unter einer sehr wirkungsvollen Kontrolle einer sensiblen Öffentlichkeit. In den USA gibt es heute zusätzlich eine laufende parlamentarische Informationskontrolle: Der Zentralbankrat muß zweimal jährlich in Hearings vor einem Kongreßausschuß seine Politik erläutern, ohne daß dessen Mitglieder in die Geldpolitik des Zentralbanksystems eingreifen dürfen. Die erforderliche Bereitschaft, nationale Souveränitätsrechte abzutreten, bezieht sich also nicht nur auf die nationalen Regierungen im Verhältnis zu supranationalen Behörden, sondern ebenso auf die nationalen Regierungen gegenüber ihren Notenbanken und auf die Exekutivorgane beider Ebenen sowie auf das künftige Europäische Zentralbanksystem. 1. Zweck der Unabhängigkeit:

Stabile Währungen Die Unabhängigkeit der Notenbank ist eine Forderung, die stillschweigend voraussetzt, daß die Organe, wenn sie nur eigenverantwortlich handeln, von sich äus das Richtige wollen und auch das Richtige tun. Nach einem neuen realistischen Paradigma der politischen Ökonomie sind die Wirtschaftspolitiker — wie die Unternehmer als Forschungsobjekt der Volkswirtschaftslehre — nicht uneigennützige Idealisten, die nichts anderes als das Gemeinwohl anstreben, sondern Personen, die wiedergewählt bzw. an der Macht bleiben wollen. Auch die Funktionäre der Währungsbehörden sind von Eigeninteresse nicht frei. Auch ihnen muß es — wie es die Public Choice-Schule fordert — durch Regeln und Institutionen gesetzlicher oder noch besser verfassungsrechtlicher Art erleichtert werden, Versuchungen aus dem Weg zu gehen und ihren Ehrgeiz allein als erfolgreichen „Hüter der Währung“ zu kanalisieren.

Markus Lusser hat dieses Argument damit aktualisiert und begründet, daß wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt hätten, daß auch die Notenbanken Konflikten mit den Regierungen möglichst aus dem Wege gehen. Notenbanken sind deshalb auch oft zu Kompromissen bereit, die dem Ziel der Preisstabilität nicht immer förderlich sind. Unabhängige Notenbanken verhalten sich — alles in allem — aber doch vergleichsweise stabilitätsbewußt. Wie erklärt sich dies? Die Lösung des Problems liegt seines Erachtens darin, daß Eigeninteresse und Gesamt-wohl für unabhängige Notenbanken letztlich zusammenfallen. Dafür sprechen drei Gründe: — Der Aufgabenbereich einer Notenbank ist im Gegensatz zu den vielfältigen Aufgaben, die die Regierung zu erfüllen hat, begrenzt. Er ist in der Regel auch klar umschrieben. Das Verhalten der Notenbank läßt sich deshalb vergleichsweise gut kontrollieren. — Der autonome Status verleiht der Notenbank zwar Einfluß. Sie kann diesen Einfluß aber nur solange bewahren, als sie eine Politik, die von einer breiten Öffentlichkeit akzeptiert wird, führt. Dies zwingt die Notenbank, sich — auch aus eigenem Interesse — für das Gesamtwohl der Wirtschaft einzusetzen. — Die Notenbank steht schließlich nicht unmittelbar im politischen Rampenlicht. Sie kann sich besser für längerfristige Ziele einsetzen als Regierungen, die sich in relativ kurzen Abständen der Wiederwahl stellen müssen. Die Nationalbank hat den Auftrag, eine Geld-und Währungspolitik, die im Gesamtinteresse des Landes liegt, zu führen. Sie wird nach allgemein akzeptierter — und durch den Konjunkturartikel der Bundesverfassung untermauerter — Auffassung dieser Aufgabe gerecht, wenn sie sich für die Wahrung der Preisstabilität einsetzt. 2. Priorität der Geldwerterhaltung als Notenbankauftrag Um die öffentliche Kontrolle ihrer Tätigkeit zweifelsfrei zu ermöglichen, muß den Notenbankfunktionären zunächst die Geldwertstabilität zur ausdrücklichen und alleinigen Pflicht gemacht werden.

Die Aufgaben der Notenbank sind mitunter überhaupt nicht kodifiziert (z. B. in England) oder nur sehr allgemein umschrieben (z. B. in Frankreich seit 1973). Während einige Notenbankgesetze schon seit längerem die Stabilität des inneren und äußeren Wertes der Währung und den Ausgleich der Zahlungsbilanz als zentrale Ziele der Währungspolitik vorschreiben (z. B. Österreich 1922 und 1955, Deutschland 1924 und 1957), wurden unter dem Einfluß Keynesianischer Nachfrage-steuerung vielfach auch von der Notenbank antizyklische Zielprioritäten verlangt. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen spricht jedoch wieder viel für die alte Rollenverteilung, der zufolge eine Notenbank nur für die Geldwertstabilität verantwortlich gemacht werden kann, wenn man davon absieht, daß ein Verfehlen dieser Zielsetzung auf die Dauer auch einem hohen Beschäftigungsgrad und einem optimalen realen Wirtschaftswachstum im Wege steht. Inflationäre Bewegungen können sich auf Dauer nur dann wirklich durchsetzen, wenn sie von der Notenbank alimentiert werden.

Das Deutsch-französische Protokoll zum Finanz-und Wirtschaftsrat wurde mit Recht auch deshalb einer starken Kritik unterzogen, weil damit wohl die Abstimmung der Politik vereinbart werden soll, nicht aber das Ziel genannt wird, dem diese Politik dienen soll. Selbst wenn man in der postkeynesianischen Zeit davon ausgeht, daß die Vollbeschäftigung und das Wirtschaftswachstum nicht die unmittelbaren Aufgaben der Notenbank sind, so läßt die Forderung nach einer Stabilisierung zwei Optionen zu, die offenbar auch hinter der Formulierung des Protokolles sichtbar werden: Geht es um die Stabilisierung der inneren Kaufkraft der Währung oder um die Stabilisierung des Wertes in anderen Währungen (d. h.des Wechselkurses), um die innere oder um die äußere Stabilität?

Im österreichischen Nationalbankgesetz von 1955 werden der Notenbank beide Aufgaben — in ihrem inneren Zusammenhang formuliert — anvertraut: „Sie hat mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln dahin zu wirken, daß der Wert des österreichischen Geldes in seiner Kaufkraft im Inland sowie in seinem Verhältnis zu den wertbeständigen Währungen des Auslandes erhalten bleibt.“ Das deutsche Bundesbankgesetz von 1957 beschränkt sich auf den Auftrag, „die Währung zu sichern“.

In diesem Zusammenhang verdient Beachtung, daß das Europäische Währungssystem (EWS) keine Vereinbarung auf Regierungsebene, sondern allein ein Abkommen zwischen Notenbanken darstellt. Es könnte also im Falle geldwertschädlicher Konflikte — formal gesehen — von der Bundesbank wieder aufgekündigt werden, ohne daß die Bundesregierung zustimmen müßte Solange die Bundesbank Mitglied des EWS ist, gelten keine juristischen Bindungen mit den sich daraus ergebenden ökonomischen Restriktionen, auch nicht für die Bundesbank, ihr Ausscheiden ist aber nicht ohne Beachtung der politischen Komponenten möglich.

Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß der Bank von Frankreich in dem schon erwähnten Gesetzentwurf der Regierung Chirac der Schutz der Währung als oberstes Ziel gesteckt werden sollte. Im Deutsch-französischen Protokoll scheint den französischen Partnern aber doch noch die äußere und den deutschen die innere Stabilität als vorrangig vor Augen zu schweben.

Im Interesse einer optimalen Allokation der Ressourcen muß der Stabilität der inneren Kaufkraft der Währung absoluter Vorrang gegeben werden. Differenzen in den Inflationsraten dürfen daher nicht zugunsten einer harmonisierten durchschnittlichen Inflationsrate beseitigt werden, sondern zugunsten der niedrigsten. Die stärkste Währung muß den Stabilitätsstandard der Währungsunion bestimmen.

Solange nicht garantiert werden kann, daß dies das Ziel der Harmonisierung der Geldpolitik ist. ist es auch für den Integrationsvorgang selbst besser, die stärkste Währung bei ihrem ambitionierten Ziel zu belassen. Dies wird auch das wirksamste Mittel sein, auch die anderen Währungsbehörden zu einer ehrgeizigeren Politik zu veranlassen. Solange der Wert des ECU auf einem Korb unterschiedlich stabiler Währungen beruht und daher definitionsgemäß schwächer ist als die stärkste Währung des Verbundes, ist er als gemeinsame Währung ungeeignet. Eine „Weichwährungsunion“ wäre für die Zielsetzung der Wirtschafts-und Währungsunion kontraproduktiv! Das gilt erst recht für die Zielsetzung des Aufbaues Europas zur „dritten Großmacht“! 3. Verbot der Finanzierung der öffentlichen Hand Eine besondere wirksame Einrichtung zum Schutz der Notenbankfunktionäre vor eigennützigen Fehlgriffen ist das Verbot der Finanzierung des Staates durch Geldschöpfung. Ein treffendes Beispiel dafür, daß die Unterlassung der Staatsfinanzierung nicht die automatische Folge der Unabhängigkeit einer Notenbank ist, liefert die Geschichte der Deutschen Reichsbank nach dem Ersten Weltkrieg. Auf Druck der Alliierten, die eine Störung der Reparationszahlungen bei Deroutierung der deutschen Währung befürchteten, erhielt im Mai 1922 auch dort die Reichsbank die Entscheidungsautonomie gegenüber der deutschen Regierung. Da sie jedoch die Finanzierung des Staatshaushaltes uneingeschränkt fortsetzte (aufgrund der geldtheore-tischen Einstellung des damaligen Präsidenten Havenstein, der seit 1908 im Amt war und der dem Wunsch der Regierung vor dem Ziel der Geldwerterhaltung Vorrang gab 9), blieb ihre Autonomie ohne Einfluß auf die weitere Akzeleration der Inflation. Die Hyperinflation des Jahres 1923 führte dann zu einem Zusammenbruch des deutschen Währungssystems. Erst die Währungsreform der Regierung im November 1923 machte im Zusammenwirken mit einer drastischen Restriktion der Notenbankkredite an die Regierung (Reichsbank-gesetz 1924) der Inflation ein Ende. Es war dies eine der wenigen Fälle in der Geschichte, in welchen die Regierung in ihrem Kampf gegen die Inflation entschlossener handelte als die Zentralbank 10).

blieb ihre Autonomie ohne Einfluß auf die weitere Akzeleration der Inflation. Die Hyperinflation des Jahres 1923 führte dann zu einem Zusammenbruch des deutschen Währungssystems. Erst die Währungsreform der Regierung im November 1923 machte im Zusammenwirken mit einer drastischen Restriktion der Notenbankkredite an die Regierung (Reichsbank-gesetz 1924) der Inflation ein Ende. Es war dies eine der wenigen Fälle in der Geschichte, in welchen die Regierung in ihrem Kampf gegen die Inflation entschlossener handelte als die Zentralbank

Gerade das aber läßt das Entscheidende an der 1 Notenbankgesetzgebung erkennen: Daß ihre Autonomie — in ihrem eigenen Interesse — durch ein Staatsfinanzierungsverbot eingeschränkt und damit eigentlich erst wirklich abgesichert sein muß. Daß auch eine autonome Notenbank mangels eines ausdrücklichen Staatsfinanzierungsverbotes in Wahrheit von der Finanzpolitik der Regierung doch nicht ganz unabhängig ist, lehren die Erfahrungen in den USA. Eine Untersuchung der Zusammenhänge zwischen den Budgetdefiziten der USA von 1947 bis 1974 und den Veränderungen der Geldmenge haben ergeben, daß das Federal Reserve System auf Budgetdefizite (-Überschüsse) mit einer Vergrößerung (Verringerung) ihres Bestandes an Regierungspapieren reagiert hat. Das Bundesbanksystem in den USA scheint also die wichtigste Finanzierungsquelle der Bundesbudgetdefizite zu sein

Auch von zwei betont unabhängigen und selbstbewußten Notenbankpräsidenten wie Wilhelm Vocke (Deutsche Bundesbank) und Reinhard Karnitz (Österreichische Nationalbank) wurde wiederholt beklagt, daß die Zentralbanken Geldwertstabilität nur so lange wirklich garantieren können, wie die Staatsfinanzen relativ in Ordnung sind. Mit der Frage nach der Position der Notenbank im demokratischen Staatsgefüge wird wohl die Unabhängigkeit der Zentralbank angesprochen, die Verhinderung einer Staatsfinanzierung durch Geldschöpfung aber wirklich gemeint.

Das Verbot eines Europäischen Zentralbanksystems, die öffentliche Hand zu finanzieren, wird für eine europäische Währung um so notwendiger sein, als die steigenden Schwierigkeiten der Finanzierung des Budget der EG früher oder später einen Ruf nach Zentralbankmittel befürchten lassen.

VI. Die zweite Linie des Lernprozesses: Das Delors-Komitee

Die zweite Institution, die neben dem Deutsch-französischen Protokoll zur Errichtung eines gemeinsamen Finanz-und Wirtschaftsrates zum Fortgang des Lernprozesses über den Beitrag der Währungspolitik zum Binnenmarkt einen entscheidenden Beitrag geleistet hat, ist die Expertengruppe unter dem Vorsitz des Präsidenten der EG-Kommission Jaques Delors, die im Juni 1988 vom EG-Gipfel in Hannover beauftragt wurde, bis zur Sitzung des Europäischen Rates in Madrid im Juni 1989 den Weg in die EG-Wirtschafts-und Währungsunion zu studieren.

Wie der seit April 1989 vorliegende Bericht dieses Komitees zeigt, konnten die daran beteiligten Gouverneure der zwölf europäischen Notenbanken und die vier unabhängigen Experten gerade in den sachlich sensibelsten Problemen ein für viele überraschendes einstimmiges Ergebnis erzielen: An verschiedenen Stellen des Berichtes wird erkennbar, daß die Preisstabilität das vorrangige Entscheidungskriterium der europäischen Geld-und Währungsbehörde werden soll. Als notwendige Voraussetzung dafür wird die Unabhängigkeit von politischen Weisungen hervorgehoben. An zwei Beispielen wird erläutert, wodurch die Unabhängigkeit der zentralen Geldinstanz gesichert oder mindestens gefördert werden kann: Die Mitglieder der Entscheidungsgremien sollen durch längerfristige Verträge von Pressionen freigehalten werden, und die öffentliche Hand soll keinen Zugang zu Notenbankkrediten haben. Diese letzte Bestimmung geht noch über das Bundesbankgesetz hinaus, das immerhin die Gewährung von Kassenkrediten zuläßt.

Der Fortschritt des Lernprozesses kommt auch in der Empfehlung zum Ausdruck, daß die Einführung einer Parallelwährung, die — ausgestattet mit bestimmten Stabilitätsgarantien — allmählich die nationalen Währungen verdrängen sollte, nicht vorgeschlagen wird. Gründliche Theoretiker und erfahrene Praktiker, die seit langem an dieser Diskussion teilnehmen, wie z. B. Norbert Kloten, Präsident der Landeszentralbank von Baden-Württemberg, haben der Idee einer solchen Parallelwährung stets mit großer Reserve gegenüber gestanden, zumal der ECU seine Atraktivität marktverfälschenden politischen Datensetzungen verdankt

Große Differenzen bestehen aber nach wie vor in den zeitlichen Vorstellungen. Die Vertreter der Deutschen Bundesbank, der britischen und der Luxemburger Notenbanken sollen nach wie vor große Bedenken gegen eine allzu rasche Verwirklichung der Währungsunion geltend machen. Sie sehen noch nicht alle Voraussetzungen für einen solchen weitreichenden Schritt und für die daraus folgende Übertragung bedeutender Souveränitätsrechte auf zentrale europäische Institutionen gegeben. Der Startschuß für die Währungsunion und ein Europäisches Zentralbanksystem mit einer einheitlichen Reservewährung kann ihrer Ansicht nach erst am Ende eines langen Weges gegeben werden. Zuvor seien die Kapitalmärkte zu liberalisieren und weitere Fortschritte bei der „Konvergenz“ der noch weit auseinanderliegenden nationalen Wirtschaftsund Finanzpolitiken zu erzielen. Außerdem — und das ist vielleicht das Entscheidende — halten sie das Zusammenwachsen der zwölf Mitgliedsländer in der Währungspolitik nicht für eine unabdingbare Voraussetzung für das gute Funktionieren des für 1992 anvisierten Binnenmarktes. Insbesondere der französische und der italienische Notenbankpräsident scheinen mit Blick auf das Zieldatum 1992 auf einer rascheren Verwirklichung der Währungsunion zu bestehen. Der Delors-Bericht enthält keinen datierten Fahrplan für die Errichtung einer europäischen Notenbank. Die zu schaffende Institution wird nicht einmal bei diesem Namen genannt. Im Bericht ist immer nur vom „European System of Central Banks“ die Rede. *

Zwei Phasen der Integration der Geld-und Währungspolitik der Mitgliedsländer werden in dem Bericht unterschieden: Die erste Phase erschöpft sich praktisch in der Verwirklichung der ohnehin geplanten Maßnahmen, und es wird an alle Mitglieds-länder der Gemeinschaft appelliert, die Voraussetzungen für einen Beitritt zum europäischen Währungssystem zu schaffen und die immer noch verbliebenen Beschränkungen des Kapital-und Devisenverkehrs abzubauen.

Die Übertragung von Befugnissen der nationalen Geld-und Währungspolitik auf die europäische Zentralinstanz während der zweiten Phase soll nur durch Verträge möglich sein, die von den nationalen Parlamenten zu ratifizieren sind. Im währungstechnischen Sinne wird über die zweite Phase wenig gesagt. Wechselkursveränderungen sollen in zunehmendem Maße ausgeschlossen werden, so daß sich am Ende ein System völliger und dauerhafter fester Paritäten ergibt. Der Übergang zur europäischen Einheitswährung wäre dann nur noch ein technischer oder protokollarischer Vorgang, mit dessen Modalitäten sich der Bericht nicht befaßt. Die für den 26. und 27. Juni 1989 in Madrid angesetzte Tagung der Staats-und Regierungschefs der EG-Länder wird daher vielleicht doch eine Aufgabe bewältigen können, die über eine erste „Orientierungsdebatte“ über das weitere Vorgehen hinausgeht.

Das bisherige doch beachtliche Ergebnis des Lernprozesses faßte K. O. Pöhl wie folgt zusammen: In der Frage der notwendigen Unabhängigkeit eines europäischen Notenbanksystems, der klaren Verpflichtung auf Preisstabilität oder etwa des föderativen Aufbaus dürfte sich ein größeres Maß an Übereinstimmung herausgebildet haben als vor dem Beginn der Diskussion. Mehr sei auch zunächst nicht nötig, eine europäische Währung sei nicht über Nacht zu haben, und für weitergehende Fortschritte in der Währungsintegration sei — auch im institutioneilen Bereich — eine volle politische Union nicht erforderlich. In der Bundesbank ist man auch mit Recht der Meinung, daß für den freien Kapitalverkehr noch zu viele Vorbehalte vor allem in Frankreich und Italien bestehen. Auch der Bundesbank-Vizepräsident Helmut Schlesinger mißtraut einem „Sprung ins kalte Wasser“ einer Währungsunion, für die eine geduldige und langwierige Kleinarbeit erforderlich sei, um die noch bestehenden Divergenzen in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einzuebnen und die notwendigen institutioneilen Vorkehrungen für weitere Integrationsschritte zu treffen.

VII. Der Wirtschaftsausschuß des europäischen Parlaments

Als dritte Grundlage zur währungspolitischen Koordination liegt dem Ausschuß für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik ein Arbeitsdokument vor, das für Anfang 1992 die Errichtung eines europäischen Gouvemeurrates (der Notenbanken) und eines Europäischen Finanz-und Wirtschaftsrates befürwortet. Dem Gouverneursrat soll es obliegen. „schrittweise eine europäische Geld-und Währungspolitik“ zu entwickeln, dem Finanz-und Wirtschaftsrat, „die Eckdaten der Konjunktur und Finanzpolitik“ festzulegen. Gemeinsames Anliegen sei es, „in Abstimmung mit der Europäischen Kom

VIII. Die ordnungsethische Bedeutung des Währungssystems

Um die ordnungspolitische und damit die ordnungsethische Bedeutung der Geldwertstabilität und der freien Konvertierbarkeit der Währungen klar zu erkennen, muß man sich vor Augen halten, daß die klassischen Funktionen des Geldes als allgemeines Tauschmittel, als Wertmesser und als Recheneinheit. als Wertaufbewahrungs-und als Schuldentilgungsmittel sind, die die Währungsordnung garantieren müssen.

Der Lernprozeß, welcher den für die Wirtschaft Verantwortlichen in der deflationären und dann nach dem Zweiten Weltkrieg in der generellen inflationären Phase reichlichst geboten war. sollte die allgemeine Option für wertstabile Währungen als erste Voraussetzung zur Lösung vieler Wirtschaftsprobleme nahelegen

Die Wirkung des wertstabilen Geldes als Disziplinierungsmittel bzw.des Versagens einer in ihrer Kaufkraft schrumpfenden Währung kann heute überall beobachtet werden. In allen Ländern, wo der Staat glaubt, sich der Realität und des Zwanges der knappen Ressourcen dadurch entziehen zu können, daß er seine Bedürfnisse durch Geldschöpfung finanziert, wurde bzw. wird bald offenkundig, daß sich in der Folge weniger das Waren-und Leistungsangebot erhöht, sondern vielmehr deren Preis-niveau.

Die Ordnungsfunktion des Geldes und somit seine Gemeinwohlfunktion liegt schon darin, daß „gutes“ Geld eine Voraussetzung für die so wichtige Sozial-funktion des Wettbewerbes (Johannes Messner) in einer arbeitsteiligen Wirtschaft ist. Die Koordinamission und dem Europäischen Parlament die Währungsunion“ vorzubereiten. Zum 1. Januar 1995 seien die nationalen Währungen aller der Europäischen Währungsunion angehörenden Länder durch den neuen ECU als gesetzlichen Zahlungsmittel zu ersetzen, und zugleich sei eine Europäische Zentralbank „als Gemeinschaftsinstitut ein Europäisches Zentralbanksystem“ zu errichten. In diesem Kreis scheint also ein noch sehr hohes Vertrauen in rechtliche Institutionen zu bestehen, deren Schaffung Vorrang vor ihren währungspolitischen Voraussetzungen haben soll. tion der zahllosen Einzelentscheidungen in den Unternehmungen und Haushalten ist nur über einen generellen und zuverlässigen Knappheitsmesser und damit über den einheitlichen Ausdruck aller Vorgänge in stabilen Geldeinheiten möglich. Die Entscheidungsfreiheit im Leistungs-und Verbrauchsprozeß wird nur über ein allgemeines Tauschmittel gesichert (Werner Ehrlicher). Walter Eucken sprach vom Wettbewerb als dem „primären Koordinationsprinzip, in dem sich das „soziale ethische Ordnungswollen“ verwirklichen solle. Der funktionsfähige Wettbewerb setzt — so hat er stets betont — ein funktionierendes Geldsystem voraus.

Die soziale Ordnungsfunktion des Geldes — eine der wichtigsten Erkenntnisse der Währungsethik — gilt nicht minder für die internationale Wirtschaftsordnung. Der Welthandel ist ja den Volkswirtschaften nicht „übergestülpt“, sondern verlängert lediglich die räumlichen Dimensionen derselben: Es sind die selben Unternehmungen und Haushalte wie in den einzelnen innerstaatlichen Bereichen, die mit Vertragspartnern in den Gebieten der anderen Staaten in Geschäftsbeziehung stehen. Beide sind ökonomische Beziehungen zwischen Menschen. Die Aufgaben einer nationalen Wirtschaftsordnung gelten daher grundsätzlich auch für die Wirtschaftsordnung innerhalb Europas.

Die Kaufkraftstabilität der Währungseinheit(en) ist daher aus ordnungspolitischen und ordnungsethischen Erwähnungen die vorrangige Forderung auch an eine europäische Währungspolitik. Angesichts der derzeitigen kritischen Einstellung der britischen Regierung gegenüber einer Abtretung nationaler Souveränitätsrechte an europäische Zentralbehör23 den, angesichts der französischen und italienischen Vorbehalte gegen eine vollständige und unwiderrufliche Liberalisierung des Kapitalverkehrs und angesichts der noch mangelhaften Bereitschaft zur Harmonisierung der Steuer-und Finanzpolitik (wie z. B. in Luxemburg in bezug auf die Einführung einer Quellenbesteuerung) ist es nicht nur verständlich, sondern auch zu unterstützen, wenn die Deutsche Bundesbank eine „Vorreiterrolle" der Geld-und Währungspolitik bei der europäischen Integration ablehnt, wie dies aus ihrem Geschäftsbericht vom April 1989 hervorgeht. Für das „Fernziel einer Europäischen Währungsunion“ sind die Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes, eine gemeinsame Geld-und Währungspolitik, eine weitgehend harmonisierte Finanz-und Wirtschaftspolitik sowie die Teilnahme aller Mitgliedsländeram Europäischen Währungssystem — damit auch am gemeinsamen Wechselkursverbund — Voraussetzung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. K. 0. Pöhl, in: Handelsblatt vom 30. /31. Dezember 1988.

  2. European Monetary Integration Beyond 1992. Speech by A. Szasz, for the European Finance Symposion in Antwerpen on November 4. 1988 (Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr. 85, 19. November 1988).

  3. Vgl. Unabhängigkeit der Bundesbank sichern — durch die Denkschrift zum deutsch-französischen Finanz-und Wirt-schaftsrat. in: Börsen-Zeitung vom 3. Dezember 1988.

  4. Vgl. R. Caesar. Bundesbank-Autonomie: Internationale Bedrohungen?, in: Wirtschaftsdienst, (1988) 3, S. 127 f.

  5. Vgl. W. Schmitz, Die Währung — eine offene Flanke staatlicher Verfassungsordnung. Ihre Schließung — ein Beitrag zur Festigung der freiheitlichen Demokratie, Wien 1983.

  6. Vortrag von M. Lusser am 25. April in Biel, abgedruckt in Deutsche Bundesbank/Auszüge aus Presseartikeln vom 2. Mai 1988.

  7. Vgl. R. Caesar, Der Handlungsspielraum von Notenbanken. Theoretische Analyse und internationalen Vergleich, Baden-Baden 1981.

  8. Vgl.ders.. Bundesbankautonomie: Internationale Bedrohungen, in: Wirtschaftsdienst, 1988/111, S. 126.

  9. Vgl. H. Giersch/H. Lehment, Monetary Policy: Does In-dependence Make a Difference? — The German Experience, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Band 32, Stuttgart-New York 1981, S. 10.

  10. Siehe O. Pfleiderer, Betrachtung zur Stabilitätspolitik, in: H. Giersch (Hrsg.), Kieler Vorträge. Tübingen 1980.

  11. Vgl. J. M. Buchanan/R. E. Wagner, Democracy in Deficit. The Political Legacy of Lord Keynes, New York-San Francisco-London 1977, S. 116. Die Meinung, daß Währungsbehörden nicht als tatsächlich unabhängig von den finanzpolitischen Aktivitäten des Finanzministeriums betrachtet werden können, zumindest wenn die Staatsausgaben und die Staatsverschuldung einen relativ großen Teil des Volks-einkommens und der Kreditmöglichkeiten in Anspruch nehmen, vertrat schon R. S. Sayers, Central Banking after Bagehot, Oxford 1957, S. 92-107.

  12. Vgl. N. Kloten, Wege zu einer Europäischen Währungsunion — Usancen und Risiken, Berlin 1987, und ders. /S. Kirelli. Der ECU-Finanzmarkt — ein dynamischer Prozeß?, in: M. Borchert/U. Fehl/P. Oberender (Hrsg.), Markt und Wettbewerb, Festschrift für Emst Heuß zum 65. Geburtstag, Bem-Stuttgart 1987, S. 319ff.

  13. Vgl. W. Schmitz, Währungsethik — Eine tragende Säule der Wirtschaftsethik, in: H. Hesse (Hrsg.), Ethik und Wirtschaftswissenschaft, Berlin 1988.

Weitere Inhalte